Editorial

Als wir beim Ingenieurbüro ­Conzett Bronzini Partner anfragten, ob es möglich sei, die Umbau- und ­Instandsetzungsarbeiten am Kongresshaus und der Tonhalle in Zürich zu besuchen, lautete die freundliche Antwort: «Die Baustelle der 100 Eingriffe möchtet ihr sehen? Gern!»

Der leitende Ingenieur Josef Dora zeigte uns die Restaurierung der für das Bauwerk typischen Sgraffitoverzierungen. Daneben die schweren Baumaschinen, die das Kongresshaus von seiner Aufstockung aus den 1980er-Jahren be­freiten. Der wieder abgebrochene Panoramasaal wird kom­pensiert durch eine einstöckige Er­weiterung vor dem Gartensaal auf der Seeseite, das Fundament dafür ist bereits vorbereitet. Freigelegte Rohrzellendecken mit ihren ver­lo­renen Schalungen aus Schilfrohrmatten begeisterten uns ebenso wie die raffinierte Lösung der Grundwasserproblematik. In einem solchen Gebäudekomplex die Übersicht zu behalten ist anspruchsvoll und erfordert eine genaue Planung des Gesamteingriffs.

Die Instandsetzungsarbeiten dauern voraus­sicht­lich noch bis 2020, die Kosten werden auf rund 165 Mio. Franken geschätzt. Mit dieser ­Ausgabe möchte TEC21 einen Überblick über die laufenden Arbeiten geben, sowohl aus architektonischer als auch aus ingenieur­technischer Sicht.

Daniela Dietsche, Clementine Hegner-van Rooden

Inhalt

RUBRIKEN
03 Editorial

AKTUELL
07 WETTBEWERB
Ausschreibungen/Preis | Quartierpark Thurgauerstrasse, Zürich

13 BUCH
Blicke über die Grenzen

14 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche

15 ESPAZIUM – AUS UNSEREM VERLAG

18 SIA
Inseln der Homogenität | Ein Tag an der Berufsmesse in Oerlikon

22 VERANSTALTUNGEN

THEMA
24 Kongresshaus und Tonhalle Zürich

24 BEWEGTE GESCHICHTE
Hubertus Adam
Das Ensemble am Zürichsee kann auf eine rege Vergangenheit zurückblicken.

26 INTELLIGENTER SCHACHZUG
Hubertus Adam
Die architektonischen Qualitäten der Gebäude sollten wieder deutlicher hervortreten – dazu wurden Teile der Zubauten aus den 1980er-Jahren entfernt.

30 EINZELEINGRIFFE MIT GESAMTKONZEPT
Clementine Hegner-van Rooden
Um die heutigen technischen Anforderungen zu erfüllen, bedarf es einer überlegten
Anpassung der Bausubstanz.

AUSKLANG
34 STELLENMARKT

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Bewegte Geschichte

Das Kongresshaus der Architekten Haefeli Moser Steiger hat seit 1939 kleinere und in den 1980er-Jahren grössere Umbauten erlebt. Sogar der Abriss drohte. Seit 2017 wird das bestehende Ensemble instand gesetzt.

Das Kongresshaus in Zürich wurde 1939 zur Landesausstellung eröffnet und gilt heute, da nahezu alle anderen baulichen Zeugnisse der Grossausstellung zerstört sind, als wichtigster Vertreter des «Landistils», also der moderaten Schweizer Moderne jener Zeit. Diese orientierte sich nicht an den radikalen Positionen der architektonischen Avantgarde, wie sie etwa die CIAM verfochten, sondern eher an Haltungen, wie sie in der zeitgenössischen Architektur Skandinaviens zu finden waren. Dabei wird anhand der Ornamente und einer Reihe von Ausstattungsdetails offensichtlich, in welchem Mass die Architekten die organisch-geschwungene Formensprache der 1950er-Jahre antizipierten.

Das Kongresshaus ist aber noch aus anderen Gründen als herausragender Bau einzustufen: weil die Architekten sich dafür entschieden, mit der Tonhalle und dem kleinen Ton­hallesaal Teile des sogenannten Trocadéro der Architekten Fellner & Helmer in ihr Projekt zu integrieren, und weil es das erste Projekt war, mit dem sich die zuvor einzeln oder in wechselnden Konstellationen tätigen Architekten Max Ernst Haefeli, Werner M. Moser und Rudolf Steiger zu einer Bürogemeinschaft for­mierten. Haefeli Moser Steiger: Dieses Label prägte die Schweizer Architektur in den ersten Nachkriegsdekaden.

Am Kongresshaus wurden immer wieder kleinere Umbauten vorgenommen, ein Eingriff mit grösserer Interventionstiefe erfolgte dann in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre mit der Eliminierung des Gartenhofs und der Aufstockung der seeseitigen Flachbauten mit einem Panoramasaal. In diesem Zustand verblieb das Kongresshaus bis in die Nullerjahre. Zürich verstand sich als Boomtown, «Downtown Switzerland» lautete der Slogan, mit dem sich die Stadt vermarktete. Luzern hatte gerade mit dem KKL ein spektakuläres Kongresszentrum in Premiumlage am See­ufer erhalten, und nun wollte Zürich nachziehen: Nicht konkurrenzfähig sei das bestehende Kongresshaus, für grosse internationale Kongresse schlicht zu klein.

So entstand der von politischen und wirtschaftlichen Kreisen sowie Touris­tikern forcierte Plan, das Kongresshaus bis auf die Tonhalle abzureissen und an seiner Stelle ein zeitgemässes Kongresszentrum samt Saal für 2500 Personen und auf dem benachbarten Grundstück der Baur-au-Lac-Erben ein Kongresshotel zu errichten.

Eilig wurde das bestehende Gebäude aus dem Schutz entlassen[1] und ein internationaler Architekturwettbewerb durchgeführt. Das Siegerprojekt für den Neubau stammte von Rafael Moneo. Doch von Begeisterung wie in Luzern war wenig zu spüren. Es waren letztlich weniger die Argumente der Anhänger des Baus von Haefeli ­Moser Steiger als die geringe Strahlkraft des Neuen, das Finanzierungsmodell und die Fragwürdigkeit eines für Zürich übergrossen Kongresszentrums, die dazu führten, dass der Souverän das Moneo-Projekt mit der Volksabstimmung über einen Nebenschauplatz im Juni 2008 mit 57 % Nein-Stimmen an der Urne verwarf.

Ein bescheidener Neuanfang ereignete sich 2011. Während nach alternativen Bauplätzen für ein Kongresszentrum gesucht wurde, konnte sich die Arbeitsgemeinschaft von Elisabeth und Martin Boesch, Diener & Diener sowie Conzett Bronzini Partner in einem Planerwahlverfahren für die Teilinstandsetzung des Altbaus durchsetzen. Der Auftrag erweiterte sich, als 2013 seitens der Stadt die Entscheidung fiel, auf den Neubau eines Kongresszentrums zu verzichten und stattdessen die Kongress­infrastruktur im bestehenden Gebäude zu ertüchtigen und zu modernisieren.

Im Juni 2016 sagte das Stimmvolk schliesslich Ja zu dem mit insgesamt 240 Millionen Franken taxierten Projekt. Eingeschlossen waren die 165 Millionen ­Baukosten sowie die Entschuldung der Tonhalle-Gesell­schaft, ausserdem ein Beitrag für die Errichtung des Provisoriums Tonhalle Maag.


Anmerkung:
[01] Es handelte sich um eine bedingte Entlassung aus dem Inventar, die im Zusammenhang mit der Realisierung des Wettbewerbprojekts vollzogen worden wäre. Heute ist das Gebäude im Inventar enthalten und wird denkmalpflegerisch betreut.

TEC21, Fr., 2018.12.07

07. Dezember 2018 Hubertus Adam

Intelligenter Schachzug

Die Wiedereröffnung von Kongresshaus und Tonhalle ist nach einer dreijährigen Umbauphase für Spätsommer 2020 geplant. Die Architekten Elisabeth und Martin Boesch sowie das Büro Diener & Diener überführen den Bau vom 1980er-Jahre-Groove in die Neuzeit.

Seit 2011 plant und arbeitet die Arbeitsgemeinschaft am Kongresshaus. Neun Jahre werden es gewesen sein, wenn das Kongresshaus und die Tonhalle 2020 ihren Betrieb wieder aufnehmen. Das Tonhalle-Orchester hat mit der Tonhalle Maag einen attraktiven Ausweichspielort, der offenbar ein neues Publikum anlockt und daher schon Begehrlichkeiten zur Weiternutzung auslöst, doch die Rückkehr der Kongresse und sonstigen Veranstaltungen duldet keinen weiteren Aufschub.

Die architektonische Lösung wird von zwei ­Architekturbüros gemeinsam entwickelt und umgesetzt, die sich lang kennen und schon verschiedentlich miteinander gearbeitet haben. Federführend bei der Planungsphase waren Elisabeth und Martin Boesch, in der Ausführungsphase ist es das Büro Diener & Diener. Verglichen mit den neun Jahren für die Realisierung des aktuellen Umbauprojekts wirken die zwei Jahre, die Haefeli Moser Steiger bis zur Eröffnung 1939 zur Verfügung standen, schlicht unvorstellbar.

Gewiss, ­Anforderungen hinsichtlich Erdbebensicherheit oder Brandschutz waren damals leichter zu erfüllen. Aber komplex war das Unternehmen auch seinerzeit. Denn die Architekten hatten nicht auf einer Tabula rasa einen Neubau errichtet, sondern in ihr Projekt die beiden wichtigsten Innenräume des Trocadéro von 1895 integriert: die Tonhalle sowie den Kleinen Tonhallesaal. Dabei verfolgten Haefeli Moser Steiger eine überaus spannende Strategie, Alt und Neu zu verschränken und gegenseitig zu aktivieren.

Die Architekten verstanden den Bestand nicht als Spolie; vielmehr wählten sie eine Strategie, die kein Nebeneinander, geschweige denn ein Gegeneinander zur Folge hatte. Mit dem grossen Kongresshausfoyer schufen sie einen Raum parallel zur Tonhalle, durch den der Weg führt, wenn man vom unteren Tonhallevestibül zur Saalebene gehen möchte. Aber die Verschränkung zeigt sich auch in den Eingriffen in den vorhandenen Sälen selbst. Die Architekten purifizierten den Prunk des Historismus nur an wenigen Stellen, aber sie modulierten die Farbigkeit. Über Blattgoldpartien wurde ein Firnis gelegt, der Grauanteil an der Gesamtfarbigkeit verstärkt.

Derzeit gehört der Innenraum der Tonhalle den Restauratoren, die die Ablagerungen aus mittlerweile 80 Jahren entfernen. Grundsätzlich sind kantonale Denkmalpflege und Nutzer übereingekommen, sich im ­Bereich des grossen Tonhallesaals von Fellner & Helmer eher am Ursprungs­­bestand zu orientieren. In der Konsequenz bedeutet das: we­niger Beige, mehr Gold, mehr Prunk des Fin de Siècle. Gewiss eine anfechtbare Entscheidung, doch ein endgültiges Urteil wird man erst fällen können, wenn Gerüste und Arbeitsebene unter der Decke entfernt sind und der Raum mit seiner veränderten Farbfassung gesamthaft zu erleben ist.

Freilegen und befreien

An anderen Stellen hingegen kommen Haefeli Moser Steiger wieder zu ihrem Recht. Das gilt beispielsweise für die Ritzmuster in den Foyers, bei denen sich diagonal kreuzende Strichraster mit ondulierenden Linienführungen überlagern. Ursprünglich in Sgraffitotechnik mit einer gelben Farbschicht über einer grauen Putzschicht realisiert, wurden die Wandflächen später überstrichen. In mühsamer Arbeit werden die späteren Farbschichten derzeit entfernt, wobei aber auch der Putzuntergrund in Mitleidenschaft gerät. Eine neue gelbliche Lasur homogenisiert die etwas versehrte Oberfläche, und den verblassten dunkelgrauen Linien muss durch Farbauftrag nachgeholfen werden.

Eine Trouvaille beim Rundgang über die Baustelle ist der einstige Kammermusiksaal mit seinem geschwungenen Bühnenprospekt, der von entstellenden Verbauungen befreit wird. Beim Kongresshaussaal mit seiner in den 1950er-Jahren transformierten Bühne bleibt die Veränderung bewahrt – nicht zuletzt, weil die Betreiber den Istzustand aus betrieblichen Gründen erhalten wollen.

Blick auf den See

Entfernt hingegen wird die Zeitschicht aus den 1980er-Jahren. Es sind die Umbauten, die noch von Peter Steiger, einem Sohn Rudolf Steigers, in die Wege geleitet und dann von Atelier WW umgesetzt wurden. Markantestes und von aussen wie innen unüberseh­bares Element war der auf der ursprünglichen Terrasse errichtete Panoramasaal, der den Bezug vom grossen doppelgeschossigen Foyer zum See zerstört hatte.

Die Eingriffe gingen jedoch viel tiefer. Wo in den 1980er-Jahren interveniert worden war, wurde die ­Bausubstanz der 1930er-Jahre zerstört. Nach dem ­Abbruch stiess man also nicht mehr auf die frühere Schicht. Doch genau diese Tatsache bietet jetzt im Neubaubereich die Möglichkeit, das Raumprogramm funktional optimiert zu organisieren. Der Panoramasaal auf der Terrasse ist mittlerweile abgebrochen, der Blick zum See wieder frei.

Vom Haefeli-Moser-Steiger-Bestand ist nach dem Rückbau nur das Tragwerk samt der Front des Gartensaals zur Claridenstrasse übrig geblieben. Hier entsteht das neue Gartensaalfoyer, an das sich seitlich zwei Säle anlagern: der eine Richtung See – hier ist der einzige Bereich, mit dem der Neubauteil über den bestehenden Perimeter ausgreift –, der andere Richtung Haefeli-­Moser-Steiger-Foyer. In kleineren Dimensionen findet sich auch der verschwundene Gartenhof wieder. Das Restaurant zieht von seiner etwas versteckten Lage unter dem Kongresssaal auf die Terrasse um, wo es als filigraner verglaster Pavillon ausgebildet ist und auch vom grossen Pausenfoyer sowie von aussen leicht zu erreichen ist. Der frei werdende Platz unter dem Kongresssaal nimmt weitere Konferenzräume ­sowie Bereiche für das Catering auf.

Die Architekten sprechen von einer Rochade, und in der Tat ist die Neustrukturierung ein überaus intel­ligenter Schachzug. Konferenz- und Tonhallenbetrieb lassen sich in Zukunft räumlich gut trennen, unterschiedliche Veranstaltungen nebeneinander abzuhalten ist ohne Einschränkung möglich. Schliesslich konnte auch noch das Problem der Tonhalle-Infrastruktur ­gelöst werden, indem im Bereich der beiden Clubs aus den 1980er-­Jahren Garderoben sowie Räume für die Mu­sikerinnen und Musiker entstehen. Es profitieren also viele – und insbesondere das Gebäude von Haefeli Moser Steiger, das sich in Zukunft wieder Richtung See und Landschaft öffnet.

TEC21, Fr., 2018.12.07

07. Dezember 2018 Hubertus Adam

Einzeleingriffe mit Gesamtkonzept

Während des aktuellen Umbaus des Kongresshauses und der Tonhalle in Zürich setzen sich die Ingenieure von Conzett Bronzini Partner eingehend mit zahlreichen Einzelbaustellen auseinander.

Mit der laufenden Instandsetzung wird das Kongresshaus in Zürich an die heutigen Anforderungen in puncto Gebäudetechnik, Tragwerk oder Brandschutz angepasst, um für die nächsten 50 Jahre nutzbar zu sein. Teile des Ensembles werden rückgebaut, um die Attraktivität des architektonisch einzigartigen Baus zu steigern. Die Innenräume werden heller, moderner, sicherer und flexibler nutzbar (vgl. «Intelligenter Schachzug»).

Auf Holz im Wasser fundiert

Der bestehende Gebäudekomplex besteht aus fünf einzelnen Baukörpern, die sich in unmittelbarer Nähe des Zürichsees befinden und von den Schwankungen des Seespiegels tangiert werden. Ehemals das frühere See­ufer bildend – der Bereich hin zum See wurde in den 1880er-Jahren nach Plänen von Stadtingenieur Arnold Bürkli aufgeschüttet –, ist der Baugrund setzungsempfindlich. Die Gebäude sind deshalb auf Pfählen fundiert.

Die 1895 erbaute Tonhalle und zu einem grossen Teil die Gebäudeerweiterung aus den 1930er-Jahren stehen auf Holz-, andere und später erstellte Bauteile auf Betonpfählen. Der Grundwasserspiegel folgt den Schwankungen des Seespiegels. Der tiefste Spiegel und damit die Fäulnisgrenze der Holzpfähle liegt etwa 0.60 bis 1.10 m über der bestehenden Gebäudesohle bzw. über den Pfahlköpfen. Die wichtigste Voraussetzung für eine lange Lebensdauer dieser Pfähle war somit gegeben.

Allerdings musste der konservierende Zustand auch während der Bauarbeiten bewahrt werden. Die Ingenieure von Conzett Bronzini Partner planten deshalb eine ausgeklügelte Grundwasserhaltung und ­detaillierte Bauetappen unter Terrain und Grundwasserspiegel wie Betonieren und Ausheben unter Wasser. So gewährleisteten sie, dass die bestehenden Holzpfähle auch bei über 5 m tiefen Baugruben, die für die Erweiterung nötig waren, nie trockengelegt und somit nie dem schwer kalkulierbaren Fäulnisprozess aus­gesetzt waren.

Um die Wasserdichtigkeit des Fundaments zu bewahren, wurden Eingriffe in die bestehenden Bodenplatten nur dort vorgenommen, wo es zum Beispiel für neue Kanalisationsrohre nicht anders ­möglich war. Die Nahtstellen sind auch nach der Bauphase zugänglich, falls nötig wird man nachinjizieren. Der durchdachte Grundbau ermöglichte es, die Fundamenterweiterungen inklusive zusätzlicher Pfahlgründungen nur durch punktuelle Eingriffe umzusetzen.

Tragwerk bewahren

Vergleichbar gingen die Ingenieure die Instandsetzung und Erweiterung des Tragwerks der Gebäude an. Um möglichst viel von der vorgefundenen Substanz zu ­bewahren und dennoch einen modernen Betrieb zu ­gewährleisten, sind bauliche Eingriffe bezüglich Gebäudetechnik, Brandschutz, Gebäudehülle und Erdbebensicherheit unumgänglich. Architekten und Ingenieure behandelten jeden Eingriff gesondert – allerdings mit einem ganzheitlichen, baustellenübergreifenden Ansatz. So sollte das vertikale Tragkonzept belassen werden. Dieses Vorgehen wird den denkmalpflegerischen und den wirtschaftlichen Interessen gerecht, denn ­zusätzliche Belastungen von bestehenden Bau­teilen werden vermieden und Tragreserven aus Nutz­last­veränderungen ausgenutzt.

Wo trotzdem neue Betonbauteile erforderlich sind, schliessen die Ingenieure sie monolithisch an die bestehende Konstruktion an. Dazu wird die Be­wehrung der angrenzenden Bauteile lokal freigelegt und mit den neuen Bauteilen vergossen. Beim Betonieren von neuen tragenden Wänden zwischen vorhan­denen Decken werden in der oben liegenden Decke ­Kernbohrungen erstellt, durch die der selbstverdichtende Beton gepumpt wird. Dieser in kurzen Etappen und mit relativ kleinen Baugeräten ausführbare Bauablauf ­berücksichtigt die örtlichen Gegebenheiten: ­Die mehrheitlich innen liegenden Bauteile sind meist nur über die bestehenden, teilweise schmalen Erschliessungswege zugänglich.

Eingriff für Eingriff klären

Bevor mit der Planung der Eingriffe begonnen werden konnte, war eine umfassende Aufnahme des Bestands erforderlich. Die Ingenieure lernten das Gebäude in seinen Details kennen, befassten sich mit seiner baulichen und statischen Geschichte, versuchten den Kräftefluss und die Konstruktion zu begreifen und analysierten das Potenzial. Über tausend Bestands­pläne unterschiedlicher Detaillierungstiefe und die statischen Berechnungen des Büros Maillart zum Kongresssaal­trakt geben Auskunft über die Tragkonstruktion der fünf Trakte. Andere Bauteile waren weniger gut dokumentiert, weshalb vorab viele Sondierungen nötig waren, um die Nachweise führen zu können.

Historischer Gartensaal neu eingebettet

In den 1980er-Jahren erfolgte mit der Erweiterung des Gartensaaltrakts inklusive Panoramasaal der radikalste Eingriff in den Bestand (vgl. «Bewegte Geschichte»). Diese Anbauten wurden nun abgebrochen, erhalten blieb der Gartensaal mit seiner filigranen Trag­konstruktion, ­dessen Untergeschoss und das Untergeschoss des Tagungszentrums. Die Neubauten mit einem Tragsystem aus Stahlbetonstützen mit aufgelagerten vorgespannten Unterzügen umschliessen die belassenen Gebäudeteile.

Die neuen Decken werden monolithisch mit dem Bestand verbunden und stabilisieren ihn so gleichzeitig horizontal. Vertikale Lasten werden kaum übertragen, um Zusatzbelastungen der vorgefundenen Stützen und deren Pfahlfundation möglichst zu ver­hindern. Das neue Restaurant auf der Terrasse über dem historischen Gartensaal wird als Stahlskelettbau konstruiert. Dieser Pavillon gibt die Lasten ausschliesslich auf die Decken und Stützen der Erweiterung ab, die auf Grossbohrpfählen oder, wo nicht anders möglich, auf Mikropfählen fundiert wurde.

Neu miteinander verzahnt

Die Verzahnung und die horizontale Stabilisierung erfolgten nicht nur rund um den Gartensaal, sondern über den gesamten Komplex. Dadurch wird dieser auch den aktuellen Anforderungen bezüglich Erdbebensicherheit gerecht. Die einzelnen Gebäudetrakte waren durch Dilatationsfugen getrennt. Sie fingen die längst abgeklungenen Bewegungen aus Temperaturänderungen im Gebäudeinnern und vor allem die Schwind- und Kriechvorgänge sowie die Setzungen der Fundamente auf.

Da im Erdbebenfall die Fugenweiten für ein unabhängiges Schwingverhalten der einzelnen Gebäudetrakte mit 1 bis 2 cm zu schmal sind, wurden sie im Bereich der Geschossdecken stellenweise vergossen. Die Gebäudetrakte verschmolzen miteinander und wurden insgesamt steifer. Zudem liessen die Ingenieure ohnehin notwendige Wände erdbebenstabil ausbilden oder vorhandene Betonwände lokal ertüchtigen.

Konservierte Stahlfachwerke

Verstärkt werden mussten auch die Dachkonstruktionen aus Stahl-Fachwerken, die die Tonhalle und das Kongresshaus überspannen. Die statische Nachrechnung zeigte, dass sie grundsätzlich genügend tragfähig und aufgrund des trockenen Raumklimas kaum korrodiert sind. Wegen der zusätzlichen Beanspruchungen aus Bühnen- und Gebäudetechnik musste das Dachtragwerk über dem grossen Tonhallesaal aber trotzdem statisch ertüchtigt werden.

Da die Stahlqualität Schweissungen nicht zuliess, lösten die Ingenieure sämtliche Anschlüsse an die bestehenden Stahlteile mittels Umfassungslaschen, Klemmen und Druckanschlüssen. Die Verstärkung wurde vorgespannt, damit diese bereits unter ständigen Lasten Kräfte abträgt und vorab keine plastischen Umlagerungen nötig sind – eine Bedingung, um den Bestand nicht unnötig zu beschädigen (vgl. «Stuck an feinen Drähten», Kasten unten).

Die detaillierten Eingriffe widerspiegeln die Verflechtung der Disziplinen. So unterschiedlich die einzelnen baulichen Eingriffe letztlich auch ausfallen, ihnen liegt ein gleicher Ansatz zugrunde: Originales möglichst als Ganzes zu erhalten und Neues interdisziplinär aufeinander abgestimmt an die Merkmale des Bestands anzuknüpfen.


Literatur:
Robert Maillart, Tonhalle und Kongresshaus, ETH-Bibliothek, Hochschularchiv ETHZ (HS 1085 : 1936/38-1)
Strategie Kongressstadt Zürich, Norbert Müller, Martina Glaser, Präsidialdepartement, Stadt Zürich
Arthur Rüegg und Reto Gadola (Hrsg.), Kongresshaus Zürich 1937–1939: Moderne Raumkultur, Zürich, gta Verlag, 2007
Sonja Hildebrand, Bruno Maurer und Werner Oechslin (Hrsg.), Haefeli Moser Steiger: die Architekten der Schweizer Moderne, Zürich, gta Verlag, 2007

TEC21, Fr., 2018.12.07

07. Dezember 2018 Clementine Hegner-van Rooden

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