Editorial

Am Anfang stand eine Schlacht. Als die Eidgenossen 1444 bei St. Jakob an der Birs die feindlichen Arma­gnaken trotz deren zahlenmässiger Überlegenheit zwar nicht besiegten, aber so empfindlich schwächten, dass sich diese zum Rückzug entschlossen, begründeten sie den Mythos des furchtlosen Schweizer Kriegers.

Kämpfe werden in St. Jakob auch heute noch ausgetragen, wenn auch deutlich unblutiger. Anfang der 1930er-Jahre entstand hier die gleichnamige Sportanlage, eine der grössten Europas. Aus­hängeschild ist heute die 1976 eingeweihte St. Jakobshalle an der nordwestlichen Ecke des Geländes. Ursprünglich als reine Sportstätte konzipiert, hat sich der Bau mit dem markanten Hängedach in den vergangenen Jahren zum Eventtempel gemausert. Fluch und Segen zugleich – zwar liessen die zahlreichen Veranstaltungen die Kasse klingeln, doch das Bauwerk konnte den erhöhten Anforderungen vor allem in puncto ­Sicherheit, Brandschutz und Energieeffizienz ­irgendwann nicht mehr genügen.

Den Wettbewerb für die Instandsetzung gewann 2014 die ARGE Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler zusammen mit Schnetzker Puskas Ingenieure mit einer grossen Geste: Ihre Erweiterung verbes­sert die Abläufe, gibt dem Bau eine neue Adresse, wirkt statisch und beherbergt darüber hinaus noch die nötigen Anlagen für die Gebäudetechnik. Eröffnung des neuen alten Baus ist am 15. Oktober, rechtzeitig zu Beginn der «Swiss Indoors» eine Woche später. Statt Kriegern wird sich hier dann die internationale Tenniselite messen – mit ­Schlägern statt mit Schwertern, und am Ende hoffentlich mit einem Eidgenossen als Sieger.

Tina Cieslik

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Ausschreibungen | Kontemplation und Computation

10 PANORAMA
Über die Norm hinausgedacht

13 ESPAZIUM – AUS UNSERERM VERLAG
1974: Der Ingenieur schreibt

14 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche

16 SIA
Neue Wege in die Öffentlichkeit | Mehrwert Aussenräume | Wie wollen wir Kernkraftwerke rückbauen?

20 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 ST. JAKOBSHALLE, BASEL

22 SACH- UND DACHGESCHICHTEN
Tina Cieslik
Wie ein Geschenk: Die St. Jakobshalle startet in einen neuen Lebensabschnitt.

26 NEU EINGEBETTET
Clementine van Rooden
Wie ein Korsett: Die Erweiterung der St. Jakobshalle stützt, schützt und verbessert die Form.

30 LUFT IM DACH
Roman Hermann
Wie eine Schatzkiste: Die Gebäudetechnik der St. Jakobshalle versteckt sich im Dach.

AUSKLANG
33 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Sach- und Dachgeschichten

Die Basler St. Jakobshalle wurde instand gesetzt und erweitert. Der Arbeitsgemeinschaft Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler gelang nicht nur eine zeitgenössische Neuinterpretation: Mit dem aktuellen Umbau haben sie die Halle neu erfunden.

Unglaubliche siebeneinhalb Zentimeter misst das Dach der 1976 eröffneten St. Jakobshalle an seiner dünnsten Stelle. Ganze 4.65 m hingegen ist die maximale Höhe des 127 m langen Vordachs beim neu angefügten Foyer Nord. Die Zahlen machen deutlich: Die aktuelle Erweiterung ist auch eine Geschichte von zwei Dächern.

Als Mitte der 1970er-Jahre der Wunsch nach einer neuen Sporthalle im Basler Osten aufkam, entschieden sich Giovanni Panozzo und Albert Schmidt, Architekt und Ingenieur der späteren St. Jakobshalle, für eine filigrane Konstruktion aus Leichtbeton, die, wenn auch inzwischen aufgrund zusätzlicher Nutzungen punktuell verstärkt, noch heute intakt ist. Anfang der Nullerjahre wurde der Bedarf nach einer Modernisierung des 22 000 m² grossen Gebäudekomplexes aber wegen gestiegener Sicherheitsanforderungen immer dringlicher.

Tatsächlich war es nicht die Konstruktion der Grossen Halle mit 2800 m², die Anpassungen nötig machte, sondern die sich verändernden Rahmenbedingungen: Ursprünglich vor allem als Sportstätte konzipiert, bietet der Bau neben zwei weiteren Hallen (Kleine Halle und Halle 2) auch diverse Säle und Veranstaltungsräume (vgl. Grundrisse %%gallerylink:42848:hier%% und %%gallerylink:42849:hier%%). Und der Kern, die Grosse Halle, beherbergt inzwischen einen bunten Mix an Events, von der Generalversammlung über Fernsehshows bis zu Musikkonzerten und dem wichtigsten Mieter, dem Tennisturnier «Swiss Indoors». Entsprechend ge­stiegen war der Bedarf an Technik, an Fluchtwegen, an Zu- und Anlieferung, an Verpflegungsmöglichkeiten.

Der Kanton liess daher in einer Studie Abriss und Ersatzneubau der St. Jakobshalle prüfen. Dabei kam man allerdings zu dem Schluss, ein Erhalt des nicht denkmalgeschützten Baus sei in finanzieller Hinsicht deutlich günstiger – vor allem aus der Überlegung heraus, dass internationale Veranstalter, konfrontiert mit einem mehrjährigen Unterbruch, dauerhaft auf andere Spielstätten ausweichen könnten.

Radikaler Richtungswechsel

Den vom Kanton ausgeschriebenen Generalplanungswettbewerb für die Instandsetzung des Baus konnte im Juni 2013 die Arbeitsgemeinschaft Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler für sich entscheiden – ausschlag­gebend dafür war unter anderem die enge Zusammen­arbeit mit den Ingenieuren von Schnetzker Puskas, eine fruchtbare Kooperation, die sich durch gesamte ­Planungs- und Bauzeit hindurch fortsetzte. Die Planer präsentierten als nur eines von zwei Teams einen ­städtebaulichen Befreiungsschlag: Ursprünglich befand sich der Haupteingang an der Brüglingerstrasse. Wollte man die St. Jakobshalle von der gleichnamigen Tramhaltestelle aus erreichen, musste man zunächst eine Treppenflucht über einen kleinen Hügel hinter sich bringen – die Haupterschliessung wirkte wie ein Nebeneingang ohne jede Grosszügigkeit.

Mit der Verlegung des Haupteingangs an die St. Jakobs-Strasse ist diese unglückliche Disposition nun gelöst. Ein Glücksfall war, dass die dafür nötigen Flächen bisher unbebaut geblieben waren. Heute betritt man den Bau direkt über das repräsentative Foyer Nord, die St. Jakobshalle hat damit eine Adresse und ein Gesicht. Das Foyer dient zum einen als Verteiler in die unterschiedlichen Hallen und Veranstaltungsräume, zum anderen kann es auch selber als Eventfläche genutzt werden. Wie ein Mantel legt es sich gemeinsam mit dem ebenfalls angebauten Foyer Süd um die Bestandbauten.

So entsteht eine neue Einheit – und Mantelnutzung wird einmal ganz wörtlich verstanden. Die Aufwertung dieser Räumlichkeiten, vor allem für das Catering, war neben der Adressbildung ein weiteres Anliegen für die Modernisierung. Denn die Events bilden zwar den Anziehungspunkt, den Umsatz aber macht die Gastronomie. Bisher waren die Verpflegungsstände vor allem in Temporärbauten untergebracht. Neu sind sie einheitlich in den Innenausbau entlang der Verkehrsflächen integriert.

Das Wettbewerbsprojekt brachte neben der verbesserten Erschliessung noch eine weitere wichtige Neuerung: die Erhöhung der Zuschauerkapazität in der Gros­sen Halle. Mit bisher 9000 Plätzen lag sie knapp unter der magischen Fünfstelligkeit und weit entfernt von der Konkurrenz, dem Zürcher Hallenstadion für 13 000 Zuschauer. Um im europäischen Wettbewerb mithalten zu können, sollten es schon 12 000 sein, eine Zahl, die die Halle nach dem aktuellen Umbau problemlos erreicht. Denn tatsächlich sind die Zu­schauerzahlen weniger von der Hallengrösse abhängig als von den Fluchtwegen und den Massnahmen für den Brandschutz.

Robuste Eleganz

Im Januar 2015 bewilligte der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt einen Kredit von 105 Mio. Franken für die Instandsetzung und Modernisierung des Bauwerks, im Frühling 2016 begann die erste Etappe der insgesamt drei Bauphasen. Um einen unterbruchsfreien Veranstaltungsbetrieb zu gewährleisten, fanden die Arbeiten jeweils in den spielärmeren Sommermonaten statt.

Das war aber nur eine der Herausforderungen. Eine weitere zeigte sich beim Innenausbau: Die Vielfalt an Events verlangt einen Spagat in der Gestaltung. Robust genug für ein Rockkonzert, angemessen gediegen für ein Galadinner sollten die Materialien sein. Die Architekten lösten die Aufgabe mit zurückhaltender Eleganz und Eichen- und Redgumholz an den Wänden, mit einem Boden aus grossformatigem Feinsteinzeug und farbigen Differenzierungen.

Die drei Hallen treten wie früher als Blackboxes in Erscheinung – je kleiner die Halle, desto heller das gewählte Schwarz. Die sie umfliessenden Nebenräume und Verkehrsflächen sind in neutralem Weiss gehalten. Für Atmosphäre sorgen die unterschiedlichen Möglichkeiten der Beleuchtung. Über sieben Licht­kuppeln flutet Tageslicht ins Innere des Foyers Nord, ergänzt durch eine Grundbeleuchtung aus eigens entwickelten LED-Leuchtringen, die zugleich noch Zu- und Abluft beinhalten (vgl. «Luft im Dach»). Bei einem intimeren Anlass können in die Decke in­tegrierte LED zugeschaltet werden. Der Clou für astronomische Connaisseurs: Sie sind massstäblich als Sternbilder angeordnet.

Wo sind all die Fenster hin?

Neben all der Freude über eine alte Halle, die wie ein Neubau wirkt, bleibt aber ein kleiner Wermutstropfen: eine alte Halle, die wie ein Neubau wirkt. Denn der einstige Sichtbeton ist unter Verputz und einer Dämmschicht verschwunden – und mit ihm die unterschiedlich grossen Fenster, die die Fassaden gliederten. Die Dämmung der Fassade und das Schlies­sen der Öffnungen waren allerdings Vorgaben im Wettbewerb. Die Fenster hatten zunehmend zu Problemen bei der Verdunkelung geführt – Veranstalter wünschen heute eine Blackbox mit Kunstlicht. Zudem gab es immer wieder Lärmklagen der Anwohner. In dieser Form ist der Umbau ein Zugeständnis an die Nutzung und wurde nur durch die fehlende Unterschutzstellung der Halle möglich. Er verbessert aber die innere Organisation und stärkt den architektonischen Ausdruck des Gesamtbaus. Das eindrückliche Dach der Grossen Halle kann immerhin noch im Innenraum erlebt werden.

Sein jüngerer Bruder, das weit auskragende Foyerdach, offenbart seine Geheimnisse dagegen nur dem Kenner. Zwar sind seine Dimensionen an der Fassade sichtbar; dass es über seine eigentliche Funktion hinaus auch die für Grossevents notwendige Gebäudetechnik beherbergt (vgl. «Luft im Dach»), lässt sich daran nicht ablesen. Das Dach wird zum Dreh- und Angelpunkt der Modernisierung: Es schafft innen und aussen einen neuen adäquaten Eingangs- und Foyerbereich und sorgt für die Adressbildung. Darüber hinaus bildet es den konstruktiven Rahmen für die baulich notwendigen Ertüchtigungen (vgl. «Neu eingebettet») und beinhaltet die Gebäudetechnik. Man darf gespannt sein, ob auch dieses Konzept in 40 Jahren noch seine Gültigkeit haben wird.

TEC21, Fr., 2018.10.05

05. Oktober 2018 Tina Cieslik

Neu eingebettet

Die St. Jakobshalle in Basel bestand aus Einzelbauten. Die Arbeitsgemeinschaft Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler und die Ingenieure von Schnetzer Puskas formten ein harmonisches Ganzes, indem sie dem Bestand einen Mantel gaben – funktional, gestalterisch prägend und statisch wirksam.

Die St. Jakobshalle erfuhr von 2016 bis 2018 eine Transformation in die Gegenwart. Kurz vor der Wiedereröffnung am 15. Oktober erscheint sie nicht mehr als die solitäre «Arena» mit Annexbauten auf einem Treppensockel an der Brüg­linger­strasse, sondern zeigt sich neu gegenü­ber «Joggeli», dem Stadion St. Jakobs-Park, als öffentliche, multi­funktionale Anlage mit einladendem und wit­­te­rungs­geschütztem Zugang. Damit erfüllt sie, was ­der Wettbewerbsentwurf 2013 versprach: nämlich, ­«die fun­ktionale Grundproblematik der (…) Anlage (…) strategisch auf der städtebaulichen Ebene zu lösen» (vgl. «Sach- und Dachgeschichten»).

Zeitgemässer Komplex

Die im September 1976 eröffnete St. Jakobshalle um­-fasst mehrere Gebäudeteile. Mit einer Zuschauerkapazität von rund 9000 Personen ist sie nach dem Zürcher Hallen­stadion die zweitgrösste Veranstaltungshalle der Schweiz und beherbergt zwei kleinere Hallen mit jeweils einem Betonfaltdach (Kleine Halle und Halle 2) und eine Haupthalle mit einem eleganten Hängedach (Grosse Halle, vgl. «Das Hängedach von 1976», Kasten unten). Ursprünglich für sportliche Aktivitäten mit oder ohne Publikum konzipiert, musste die Liegenschaft bereits seit Jahrzehnten einem breiteren Nutzungsmix gerecht werden. Als Teil der Sport- und Eventstätte St. Jakob dient der Gebäude­komplex dem Breitensport und dem Schul-, Universitäts- und Vereinssport. Andererseits bietet sie Platz für Grossevents in den Bereichen Sport und Kultur sowie für verschiedenste Firmenanlässe wie Generalversammlungen, Konferenzen, Kongresse und Tagungen.

Um für alle bisherigen und potenziellen Veranstalter attraktiv zu bleiben, wurde die St. Jakobshalle laufend unterhalten. Dabei erfolgten die Instandsetzungsarbeiten in den letzten 15 Jahren vor allem modulartig in kurzen Zeitfenstern, um den Events nach wie vor ihren bespielbaren Zeitraum zu ermöglichen. Diese Strategie liess sich nun aber nicht weiter umsetzen, da die erforderliche Instandsetzung tief greifende bauliche Massnahmen an der Gebäudehülle, im Innenausbau und an der technischen Infrastruktur nötig machte. Dies bedingte grössere Betriebsunterbrüche und ein technisches und betriebliches Gesamt­konzept. Zudem musste die gesamte Halle an aktuelle Sicherheitsvorschriften angepasst werden. In erster Linie betraf das die Fluchtwege, den Brandschutz und die Erdbebensicherheit.

Mit der neuesten Instandsetzungs- und Modernisierungsaufgabe galt es also, aus der ehemaligen Sport­halle einen zeitgemässen, multifunktionalen Hal­len­komplex entstehen zu lassen. Der dafür ausgeschriebene Wettbewerb von 2013 sollte ein Projekt ausfindig machen, das den Bestand mit weiteren Nutzflächen und neuen Funktionen ergänzt und ihn zugleich mit den aktuellen sicherheitsspezifischen Anforderungen in Einklang bringt. Die komplette Erneuerung sollte darüber hinaus in Etappen abgewickelt werden können, die auf die wiederkehrenden Anlässe wie das Tennisturnier «Swiss Indoors» abgestimmt sind.

Die Arbeitsgemeinschaft Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler zusammen mit Schnetzer Puskas Ingenieure überzeugte das Preisgericht mit ihrem Projekt: Es ergänzt den Bestand aus einzelnen Gebäuden so, dass die Einzelstücke zu einem Ganzen zusammengefasst werden. Der Bestand – mit wahren ingenieurspezifischen Perlen – erhält einen Mantel, der funktional genutzt wird, gestalterisch das neue Erschei­nungsbild prägt und statisch wirksam ist.

Raumhoch aufgespanntes Dach

Teil der Mantelnutzung, die den Bestand wörtlich umfasst, ist die neue Eingangshalle. Sie ist direkt zur Tramhaltestelle an der St. Jakobs-Strasse gerichtet. Über den vorgelagerten grosszügigen Platz, der für Ereignisse mit über 12 000 Zuschauern angemessen ist, zieht sich das Strassenniveau fliessend ins doppelgeschossige Foyer hinein. Über Foyer und Platz spannt ein weit auskragendes Dach und verdeutlicht den ­öffentlichen Charakter des Gebäudes. Hierfür wurde das bestehende Dach der Eingangshalle auf derselben Höhe weitergeführt und mit einer markanten, 130 m langen Stirn aus Sichtbeton gefasst. «Die Spannweiten von bis zu 70 m bewogen uns, ein aufgelöstes Raumtragwerk zu entwickeln, das diese grosse Spannweite bewältigen konnte und zugleich Raum für die Gebäudetechnik bot», erklärt Tivadar Puskas, der leitende Ingenieur des Teams von Schnetzer Puskas Ingenieure.

Das Dachtragwerk aus Beton kann als grossmassstäblicher Gitterrost gelesen werden. Seine Kon­struktionshöhe nimmt von 3.65 m auf 4.65 m zu und schwebt 6.5 m über dem Strassenniveau. Er besteht prinzipiell aus lamellenartig alle 5 m angeordneten, bis 28 m weit gespannten Wandscheiben. Als geschoss­hohe Rippen und Längsträger funktionierend, werden sie an der Unterseite mit einer Sichtbetondecke und an der Oberseite mit einer Eindeckung aus leichten, isolierenden Holz-Sandwich-Elementen eingefasst. Beide Decken wirken statisch als horizontale Scheiben. Die Rippen und die zwei quer dazu verlaufenden Längsträger – der Rand- und der Innenträger – sind zumeist vorgespannt. Die Vorspannkabel sind entsprechend dem Momentenverlauf verlegt, was planerisch, geometrisch und umsetzungsspezifisch komplex war, da die Kabel geschickt aneinander vorbeigefädelt werden mussten.

Der neue Mantel baut grundsätzlich auf der bestehenden Raum- und Tragstruktur auf. Das schlug sich öko­nomisch, bezüglich Umsetzbarkeit und auf die notwendige Etappierung positiv nieder. Der Rost ruht auf ­einzelnen Auflagern aus Beton – dem Kassenhaus, den Wandscheiben des neuen Warenlifts, den Wänden des neu erstellten Flucht- und Verkehrswegs aus der Arena (Lkw-Ausfahrt) sowie der einzelnen, markanten Pendelstütze (max. 2000 t) an der nordwestlichen Ge­bäudeecke. Diese Pendelstütze aus einem 420-mm-Vollstahlrohr, das mit einer Betonhaut ummantelt ist, wird vom «Findling» des Schweizer Künstlers Eric Hattan in Form eines 25 t schweren Granitblocks als sta­tisches Punktlager des Dachs betont.

Fundiert ist die markant skulptural geformte Stütze auf einem kreuzförmigen Trägerrost aus verschweissten Stahlblechträgern. Das Kreuz leitet die anfallenden Lasten um den bestehenden Sammelkanal herum auf vier Grossbohrpfähle. Diese haben einen Durchmesser von 1.3 m und ragen 15 m tief in den Baugrund. Die Zugkräfte infolge der Abspannung des Dachs werden durch Zugstützen entlang des Bestands aufgenommen und dort in den Baugrund ein­geleitet (%%gallerylink:42845:vgl. Abb.%%).

Das geschosshohe Dach schafft Raum für die aufwendigen technischen Installationen der Gebäudetechnik (vgl. «Luft im Dach») und bietet zudem Platz für das Materiallager. Damit können alle Lüftungs- und Entrauchungseinrichtungen verdeckt und in den Innenraum integriert werden. Das macht die Dachaufsicht zur fünften Fassade und optimiert die Zugänglichkeit, die Wartung und den Lärmschutz. Die statisch notwendige Höhe wird als Stauraum genutzt, was anderenorts Mehrfläche generieren würde. «Aus der ästhetisch und bezüglich der Gebäudetechnik erforderlichen Höhe ergab sich die statische Leistungsfähigkeit des Dachtragwerks», so Tivadar Puskas.

Verankert, gekoppelt und geschützt

Statisch effizient war auch die bestehende Grosse Halle – und zwar sowohl für gewöhnliche als auch für aus­sergewöhnliche Ereignisse wie Erdbeben. Einzig die Dilatationsfuge (vgl. «Das Hängedach von 1976», Kasten unten) liessen die Ingenieure mit der aktuellen Ertüchtigungsarbeit punktuell schliessen. Heute wirkt der Bestand – neu aussen gedämmt und verputzt – als statischer ­Anker für das über die Mantelnutzung zusammengeschlossene Ganze. Das neue Dach des funktio­nellen Rings wurde an allen Seiten der steifen Grossen Halle über jeweils 20 m Länge gekoppelt. Die Eck­bereiche liess man frei, damit Bewegungsspielraum vorhanden blieb und Zwängungen minimiert werden.

Die St. Jakobshalle – eine Perle des Ingenieurwesens – erhielt auf diese Weise eine aufgewertete Bedeutung und eine Erdbebenertüchtigung zugleich. Abgesehen davon, dass der Erhalt von Bausubstanz ohnehin nachhaltig ist, zeigt dieses Bauprojekt exemplarisch auf, dass in die Jahre gekommene Ingenieurbaukunst mit relativ einfachen Massnahmen unter Berücksichtigung aller gegenwärtigen Anforderungen modernisiert erhalten bleiben kann – auch ohne Unterschutzstellung. Das heisst allerdings nicht, dass hier nicht durchaus noch Nachholbedarf besteht.

Bislang weder geschützt noch im Inventar für schützenswerte Bauten aufgeführt, erhielt die St. Jakobs­halle zumindest einen sinnbildlichen Schutz: Gleich einem Konglomerat, das einzelne Gesteine in einer feinkörnigen Matrix verkittet, sind nun auch hier die Einzel­bauten verkittend in der Ummantelung eingebettet – und in gewissem Sinn konserviert. Dass die Grosse Halle mit dem Hängedach nach wie vor einen wesentlichen Kern der Anlage darstellt, ist aus Ingenieurssicht ein besonderer Mehrwert dieses Umbauprojekts.

TEC21, Fr., 2018.10.05

05. Oktober 2018 Clementine Hegner-van Rooden

Luft im Dach

Das markante Dach über dem neuen Foyer der St. Jakobshalle beherbergt auch die gesamte Gebäudetechnik. Der projektverantwortliche HLK-Planer von Waldhauser + Hermann erläutert Chancen und Hürden des Projekts.

Zwei wichtige Ziele waren, den Energie­verbrauch und damit die Betriebskosten des Gebäudes zu senken und gleichzeitig die Luftqualität auch bei grossen Events deutlich zu verbessern. Neu kann die Grosse Halle 12.000 Personen auf­nehmen, bisher waren es 9000 (vgl. «Sach- und Dachgeschichten»). Die Gebäudetechnik wurde seit der Erstellung Mitte der 1970er-Jahre in vielen Bereichen nicht er­neuert und musste deshalb in grossem Umfang ersetzt werden. Energetisch hat der Bau gemäss Vorgabe des Kantons Basel-Stadt den Minergie-Standard oder Gleichwertiges zu erfüllen. Weiter ist er zwar nicht im Bau­inventar des Kantons oder der Gemeinde ein­getragen, trotzdem hatte der respektvolle Umgang mit der be­stehenden Bausubstanz eine grosse Bedeutung.

Die Gebäudehülle wurde in vielen Bereichen wärmetechnisch ertüchtigt. Beim Hallendach der Gros­sen Halle und bei den Flächen gegen Erdreich verzichtete man auf eine zusätzliche Dämmung: Aus statischen Gründen konnte das bereits früher instand gesetzte und gedämmte Hallendach nicht mit zusätzlichem Gewicht belastet werden; das Freilegen der erdberührenden Wände wäre sehr aufwendig gewesen, und das Dämmen des riesigen Hallenbodens bringt nur im äussersten Randbereich eine messbare Einsparung im Energie­verbrauch. Trotzdem konnten die Wärmeverluste des Bestands auf unter ein Drittel reduziert und der Grenzwert für Sanierungen nach SIA 380/1 Qh,li um über 20 % unterschritten werden (Heizwärmebedarf unsaniert Qh ca. 427 MJ/m²a; Grenzwert SIA saniert Qh,li = 170 MJ/m²a; Heizwärmebedarf saniert Qh = 121 MJ/m²a).

Die Wärmeversorgung erfolgt ab der Fern­wärme-Energiezentrale, die im Gebäude durch die Industriellen Werke Basel IWB betrieben wird. Der Wärme­bedarf für das Warmwasser hat vor allem in den Nebennutzungen wie Turn- und Schwimmhalle eine Bedeutung. Das Warmwasser wird über die Abwärme der gewerblichen Kälte erzeugt, den Restbedarf deckt Fernwärme ab. Auf den Einbau einer Klimakälteanlage für die Hallen verzichtete man. Viele Anlässe finden ausserhalb der heissen Jahreszeit und abends statt, sodass der Bedarf für eine Zuluftkühlung begrenzt ist. Die Investitionskosten für eine fix installierte Kälteanlage wären unverhältnismässig hoch. Für spezielle Gelegenheiten wie die VIP-Bereiche beim Tennisturnier «Swiss Indoors» gibt es aber die Möglichkeit, eine mobile Kälteanlage zu mieten. Sie speist die Kälte mit bis zu 1900 kW über vorbereitete Anschlussleitungen in das System ein – so wird nur gekühlt, wenn es wirklich notwendig ist.

Licht mit Luft

Das grosszügige Foyerdach ist gleichzeitig ein Technikgeschoss, das die Grosse Halle umgibt und sie von allen Seiten optimal erschliesst. Darin sind 25 Lüftungs­anlagen eingebaut, die die Arena, das Foyer, die Nebenräume und die Nebenhallen belüften. Trotz der grossen Fläche war das Planen der Lüftungsanlagen wegen der hohen statischen Anforderungen eine komplexe Auf­gabe, die ohne 3-D-Modelle und ein hervorragend zusammenarbeitendes interdisziplinäres Team kaum lösbar gewesen wäre. Die Anlagen sind über ein Wärmerück­gewinnungssystem untereinander verbunden. Dadurch kann Wärme aus Anlagen mit einem Energieüberschuss an solche mit einer Unterdeckung transferiert werden. Die Einteilung der Lüftungsanlagen in Zonen ermöglicht es später, verschiedene Szenarien im Betrieb einzustellen und für das Folgejahr zu speichern.

Auffällig im neuen Foyer sind die ringförmigen LED-Leuchten an der Sichtbetondecke (%%gallerylink:42861:vgl. Abb.%%). Weniger offensichtlich ist, dass die komplette Belüftung und Entrauchung des Foyers ebenfalls über diese Leuchtkörper gelöst wurde. Sie dienen als Zu- und Abluft­auslass und wurden vom Planungsteam speziell für dieses Projekt entwickelt. Um die optimale Geo­metrie festzulegen, untersuchten Forscher der Hochschule Luzern einen Prototyp in einer Messreihe mit Strömungsversuchen und Schallmessungen.

In der Grossen Halle war die Luftqualität in der Vergangenheit bei grossen Anlässen unbefriedigend. Die Luftmenge wurde daher von 90 000 m³/h auf den baulich maximal möglichen Zuluftvolumenstrom von 200.000 m³/h mehr als verdoppelt. Ziel war es, diese Luftmenge weiterhin unter den Sitzplätzen der Zuschauer einzubringen, daher wurde die Anzahl der Luftauslässe massiv von 3080 auf 5287 Stück erhöht. Um sicherzustellen, dass die Luft ohne Zug und gut verteilt in den Zuschauerraum einge­blasen wird, wurde vor Ort ein einfacher Strömungsversuch aufgebaut.

Tücken mit TABS

Das Foyer wird durch eine Kombination aus thermoaktiver Bauteilheizung (TABS) und Luftheizung beheizt. Das TABS-System hat die Aufgabe, im Foyer auch ohne zusätzliche Lüftung eine Sockeltemperatur zu gewährleisten. Über die Lüftung kann das Foyer in kurzer Zeit auf Betriebstemperatur gebracht werden. Es zeigte sich allerdings, dass die im Beton eingelegten Heizleitungen ein leichtes Ziel für Bohrmaschinen verschiedenster Handwerker waren. Obwohl die Heizleitungen mit 6 cm Beton überdeckt sind und die Bohrtiefe durch die Bauleitung strikt begrenzt wurde, gab es während der Bauzeit unerfreulich viele Schäden an diesem System.

Eine weitere grosse Herausforderung stellte die sichere Entrauchung der Grossen Halle und des Foyers dar. Inbesondere das nach unten gewölbte Hallen­dach der Grossen Halle bewirkt, dass Rauch sich nicht einfach unter dem Dach sammelt, sondern in die seitlichen Bereiche der obersten Zuschauerränge aufsteigt. Um dies zu vermeiden, sind nebst der mechanischen Entrauchungsanlage zusätzlich über den Zuschauer­rängen Rauchschutzvorhänge vorgesehen, die im Brandfall her­untergelassen werden und das schnelle Ausbreiten des Rauchs verhindern. Infolge der begrenzten Tragkraft der Hallendecke (vgl. «Neu eingebettet») erfolgte die Montage der Sprinklerleitungen mit einer Sonder­lösung: Sämtliche Leitungen wurden an Stahl­seilen aufgehängt, die die Kräfte über die Seitenwände ableiten.

TEC21, Fr., 2018.10.05

05. Oktober 2018 Roman Hermann

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