Editorial

Vehemente Begeisterung, aber auch harsche Kritik: Der Entwurf für das Museum für Gestaltung in Zürich schlug seinerzeit, um 1930, hohe Wellen, war der Bau doch als einer der ersten in der Schweiz ganz dem Geist der Neuen Sachlichkeit verpflichtet. Zwischen frühen Skizzen und Ausführung entfernten sich die Architekten aus dem Kanon der anerkannten Formensprache in Richtung Abstraktion – die begleitende Kontroverse spiegelte den gesellschaftlichen Aufbruch kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Viel leiser, aber nicht weniger spektakulär ging die kürzlich fertiggestellte Instandsetzung des Museums über die Bühne. Mit ihr erhielt das Haus seine klar strukturierte Gestalt zurück, die über die Jahre vor allem in den Innenräumen verloren gegangen war. Zentraler Gewinn ist die Demon­tage einer Zwischendecke, die – in den 1950er-­Jahren nachträglich eingefügt – der Ausstellungshalle ihre Grosszügigkeit genommen hatte. Der jetzt wieder hohe und lichtdurchflutete Saal fordert bei der Inszenierung von Ausstellungen eine Auseinandersetzung mit wenig museumstypischen Bedingungen.

Der aktuelle Umbau ist auch in weiterer Hinsicht interessant: Statt massiver Einbauten für die Erdbebenertüchtigung koppelten die Inge­nieure die drei bisher unabhängigen Gebäudeteile zu ­einem statisch wirksamen System zusammen. Aus der formalen Einheit entstand so auch die konstruktive.

Tina Cieslik, Hella Schindel

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Ausschreibungen/Preis | Der Unort wird ein Platz

12 PANORAMA
Wohnen im Entlisberg II | Von der Kunstgewerbe- zur Berufsschule | Gleichstellung für Velowege | Dichter und höher

24 ESPAZIUM – AUS UNSERERM VERLAG
«Wir denken mit den Händen» – vom Boot zum Flugobjekt

26 VITRINE
Aktuelles aus der Bau­branche | Weiterbildung

29 SIA
Konjunkturelle Prognosen im leichten Sinkflug | Revision Empfehlung SIA 430 | Same same but different

34 VERANSTALTUNGEN

THEMA
36 MUSEUM FÜR GESTALTUNG ZÜRICH

36 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT
Michael Hanak
Bei den reduzierten Bauten der Moderne fällt jede Veränderung ins Gewicht.

41 VON VERLUSTEN UND ENTDECKUNGEN
Nina Hüppi und Lukas Knörr
Dank der kontinuierlichen Nutzung des Museums konnte die Denkmalpflege auf zahlreiche Dokumente zurückgreifen.

44 DAS MINIMUM IST DAS MAXIMUM
Clementine Hegner-van Rooden
Die genaue Auseinandersetzung mit dem Gebäude führte zu einer integrativen Sicherung gegen Erdbeben.

AUSKLANG
48 STELLENINSERATE

53 IMPRESSUM

54 UNVORHERGESEHENES

Zurück in die Zukunft

Das Museum für Gestaltung und die daran anschliessende Gewerbeschule gelten als Ikonen des Neuen Bauens. Ruggero Tropeano Architekten haben den Museumstrakt in seine ursprüngliche Form zurückgeführt und ihn zugleich für die Zukunft ertüchtigt.

Ansporn und Herausforderung zugleich waren die unverkennbaren Qualitäten des ursprünglichen Baus, die bei der aktuellen Instandsetzung unbedingt erhalten bleiben mussten: Er gilt als Zürichs erstes öffentliches Gebäude im Stil des Neuen Bauens. Projektiert hatten ihn Karl Egender und Adolf Steger. Sie waren als Sieger aus dem zwischen 1925 und 1927 in zwei Durchgängen ausgetragenen Wettbewerb hervorgegangen, den die Stadt Zürich nach langer Vorgeschichte und Vorbereitungszeit durchgeführt hatte.[1]

Angeregt durch die politischen und gesellschaftlichen Reformen wagten sich die Architekten während der Weiterbearbeitung des Projekts immer weiter in die Abstraktion.

Die zunehmend mutigere Umsetzung lässt sich an den drei Flügeln des Komplexes ablesen: Der zuerst geplante Schulbau, geprägt von einem weit gespannten Achsmass, das grosse Fensterflächen zulässt, erscheint noch relativ konventionell. Die Anlehnung an eine basilikale Form für die Ausstellungshalle im Mittel­teil ist bereits als eine Provokation zu betrachten, während der expressive Kubus an der Ausstellungsstrasse mit seinen Fensterbändern und der sorgfältig gesetzten Beschriftung von den neuen Leitbildern zeugen.

Der Kunsthistoriker Sigfried Giedion nahm unterstützend Einfluss auf die Form: Er forderte einen zwanglosen, funktionalen Charakter, ohne Lichthöfe.[2] Als wegweisend hinsichtlich Modernität galt natürlich das Bauhaus in Dessau. Wie zur gleichen Zeit bei der Siedlung Neubühl und dem Geschäftsgebäude Zett-Haus suchte man für Kunstgewerbemuseum und Gewerbeschule nach einer zukunftsorientierten Form – ein Ansatz, der nicht unumstritten war. So war von «Architektur-Bolschewismus einiger exzentrisch veranlagter Künstler» die Rede; und der deutsche Heimatschützer Paul Schultze-Naumburg kritisierte, man könne den Bau nicht von einer Schuh- oder Fahrradfabrik, von Werkstätten für kosmetische Artikel oder einer Milch­zentrale unterscheiden.[3]

Neue Technik und mehr Platz

Im Lauf der Jahre hat das 1930 bis 1933 errichtete Museumsgebäude einige Veränderungen erfahren (vgl. Chronologie, Kasten unten). Einschneidend war der Einzug eines Zwischenbodens im doppelgeschossigen Bereich der Ausstellungshalle 1958, auf der Höhe der rundum verlaufenden Galerie. In den 1990er-Jahren erfolgte, als es dringend notwendig geworden war, die Renovation der Fassaden und des Flachdachs. Zuvor war der Bau unter Denkmalschutz gestellt worden und von der Stadt an den Kanton übergegangen. Nach dem Umzug der Zürcher Hochschule der Künste ins Toni-Areal 2014, in dem das Museum für Gestaltung Zürich einen zweiten Ausstellungsort erhielt (vgl. TEC21 39/2014), konnten nun der Museums- und der Schultrakt instandgesetzt werden – notabene jeder für sich und durch ver­schiedene Architekten (für den Umbau der ehemaligen Kunstgewerbeschule zeichneten Silvio Schmed und Arthur Rüegg verantwortlich).

Den Anstoss zum jetzigen Umbau, der seit Jahren angedacht war[4], gab die Museumsleitung, die die Ausstellungskonditionen bezüglich Raumklima und Brandschutz für untragbar erklärte. Die konservatorischen Bedingungen entsprächen nicht mehr den internationalen Richtlinien. Ziel war es, den einzigartigen Charakter des Gebäudes zu erhalten und es gleichzeitig zeitgemässen Museumsstandards anzupassen.

Umgang mit einem Meisterwerk

Seit der Wiedereröffnung des führenden Schweizer Museums für Design und visuelle Kommunikation im März 2018 erleben die Besucher dessen eindrückliche Architektur aussen wie innen in ihrer ursprünglichen Intensität. Eindrücklich die Gesamterscheinung des kubischen Komplexes zwischen den riesigen Bäumen im Klingenpark, harmonisch die Kompo­sition der unterschiedlich hohen Flachdachtrakte mit den gleichmässigen Reihen grossformatiger Fenster.

Am Museumstrakt an der Ausstellungsstrasse fallen zunächst Bandfenster und verglaste Flächen auf, die aussenbündig in die Putzfassaden eingefügt sind. Unter dem weit vorkragenden Baukörper des Vortragssaals – auf drei unregelmässig angeordneten Rund­pfeilern ruhend – erstreckt sich eine grosszügige Vorhalle, von der man, mit Blick in den abge­senkten Architekturgarten, durch die völlig verglaste Eingangsfront in das von aussen gut sichtbare Foyer mit Cafe­teria und Museumskasse gelangt.

Im weit­läufigen Foyer führen zur rechten Seite hohe Glastüren in den Ausstellungssaal, geradeaus eine breite gegenläufige Treppe ins Obergeschoss mit dem Vortragssaal. Daneben gelangt man über eine weitere Treppe ins Unter­geschoss, wo nun zusätzliche Ausstel­lungs­räume eingerichtet worden sind, von denen einer wegen der dortigen charakteristischen Pilzstützen nun «Maillart-Halle» heisst – Robert Maillart war seinerzeit zustän­dig für die Tragkonstruktion des Museums­trakts.

Wie selbstverständlich bewegen sich die Besucher jetzt auf verschiedenen Etagen durch die Ausstellung. Mit der Gesamtinstandsetzung sollte der wertvolle Bauzeuge so weit als möglich in seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden, wobei den heutigen Anforderungen bezüglich Brandschutz und Erdbebensicherheit sowie allgemein der Nachhaltigkeit Rechnung getragen werden musste. Im 1994 unter den Beteiligten vereinbarten Schutzvertrag sind teils materiell, teils konzeptionell geschützte Elemente festgehalten. Im Einzelnen suchten Ruggero Tropeano und die Kantonale Denkmalpflege, die das Instandsetzungs- und Umbauprojekt begleitete, gemeinsam nach verträglichen Lösungen (vgl. «Von Verlusten und Entdeckungen»).

Ausgebessert und ergänzt

Um die Ausstellungsräume auf den geforderten Stand zu bringen, wurden eine Lüftungs- und eine Klimaanlage installiert. Der Zugang zu den neuen Ausstellungsflächen im Untergeschoss wurde mit einer Glastürwand im Foyer und einer indirekten Beleuchtung im Treppen­haus, die sich in die Architektur einfügt, aufgewertet. Diese und viele weitere Veränderungen bemerkt man erst beim genauen Hinsehen. Ruggero Tropeano, der seit rund 25 Jahren die baulichen Massnahmen im Museumsgebäude vornimmt, spricht denn auch von einer Vorgehens­weise, die dem «Kunststopfen» gleicht: ein stellenweises Ausbessern und unauffälliges Er­gänzen – wie beim Flicken eines Pullovers.

Beispielhaft für diese Haltung ist die Erneuerung der Beleuchtung: An der Decke der Ausstellungshalle wurden richtbare Spots auf Schienen ap­pli­ziert. Im Foyer kamen zum einen Neonröhren hinzu, die linear zum Treppenhaus hin verlaufen, und zum ande­ren bewegliche Bolich-Leuchten, ähnlich wie sie einstim Aktzeichensaal hingen. Für Treppenhaus und Vestibül hatte Tropeano schon in den 1990er-Jahren zusammen mit der Firma Neue Werkstatt zylinderförmi­ge Pendelleuchten entwickelt. Stellen­weise kamen die alten gerun­deten Opalglasleuchten zur Wiederverwendung, so in der möglichst originalen Raum­achse mit den Treppen zur Galerie der Ausstellungshalle. Auch die charakteris­tischen orange-beige-braunen Platten aus Lausener Klinker am Boden wurden geflickt und ergänzt. In den Seitenschiffen der Ausstellungshalle liegt da, wo Erneuerung nötig war, in Anlehnung an das ursprüngliche Linoleum ein schwarzer Gummigranulatbelag.

Die Holzrahmen der Fenster wurden instand­gesetzt, zusätzliche Isoliergläser innen angebracht und fast alle Fensterbänke ersetzt. Alte Glasscheiben mit kleinen Rissen beliess man jedoch. Durch den Rückbau zwischenzeitlicher Modifikationen an den Metalltüren und -fenstern im zwischenzeitlichen Eingangsbereich ist die Transparenz wiederhergestellt.

Bewahrt und rekonstruiert

Der Umgang mit dem Denkmal umfasst Schritte vom Restaurieren über das teilweise Wiederherstellen bis zum Ergänzen. Die zum Ausstellungssaal hin neu eingefügte zweite Glaswand sowie die ebenfalls neue raumhohe Verglasung entlang der Galerie entsprechen den Forderungen zum Raumklima. Der Thekenkorpus für die Cafeteria ist wie die dazugehörige Küche völlig neu. Eine Besonderheit sind Bau­teile, die keine Verwendung mehr finden, auf Wunsch der Denkmalpflege aber gleichwohl wieder zum Einbau kamen, wie Bauberater Lukas Knörr im Gespräch ausführt: Diese Relikte besitzen zwar keine unmittelbare Funktion mehr, aber eine denkmalpflegerische – quasi als archäologische Dokumente. Beispielsweise wurden auf der Galerie originale Teilstücke des Linoleumbodens, der getüpfelten Tapete und des Drahtglas-Geländers angebracht.

Sichtbares Zeichen der Neueröffnung ist die Gebäudebeschriftung an der Fassade: In grossen Lettern steht «Museum für Gestaltung» anstatt dem früheren «Kunstgewerbemuseum». Hierfür wurde die originale Typografie des Grafikers Ernst Keller eingesetzt, von dem auch die übrige Signaletik im Gebäude stammt; einzelne bisher nirgends verwendete Buchstaben mussten allerdings nachempfunden werden. Neu ist die abendliche Hinterleuchtung der Beschriftung.

Das wesentliche Resultat der Instandsetzung ist zweifellos die Demontage der eingangs erwähnten Zwischendecke im Ausstellungssaal und der Büro­einbauten auf der Galerie. Damit präsentiert sich das moderne Denkmal wieder mit dem basilikalen Querschnitt, dem es seine einzigartige räumliche Qualität verdankt. Das Museum für Gestaltung Zürich ist seiner ursprünglichen Architektur gemäss wieder hergestellt und für den weiteren Gebrauch aufgerüstet. Den Architekten gelang es aufgrund ihrer jahrelangen Beschäftigung mit dem Museum, adäquate Lösungen für die Integration aktueller technischer Anforderungen zu finden. Ihr respektvoller und einfühlsamer Um­gang mit diesem komplexen Denkmal überzeugt.


Anmerkungen:
[01] Vgl. Gewerbeschule und Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich. Festschrift zur Eröffnung des Neubaus im Frühjahr 1933.
[02] Neue Zürcher Zeitung, 7. August 1927.
[03] Vgl. Heimatschutz 1930, Nr. 1, S. 16.
[04] Vgl. Reprofilierung der Architektur des Gebäudes der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich von 1932 – Ein Auftrag, hg. von der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich, Schule für Gestaltung, Zürich 1981. Darin wurde u. a. bereits die Wiederherstellung der Ausstellungshalle gefordert.

Einen Film zum Rückbau der Hallendecke und zusätzliches historisches Material finden Sie auf espazium.ch/mfg-zh

TEC21, Fr., 2018.08.31

31. August 2018 Michael Hanak

Von Verlusten und Entdeckungen

Durch die kontinuierliche Nutzung konnten Zeugnisse der ursprünglichen Ausstattung bewahrt und bei der aktuellen Instandsetzung des Museums für Gestaltung wieder eingesetzt werden.

Das stolze Alter von fast 90 Jahren sieht man dem vermeintlich schmucklos und funktional gehaltenen Bau, der heute das Museum für Gestaltung sowie die Allgemeine Berufsschule Zürich (ABZ) beheimatet, auf den ersten Blick nicht an. Die klare Form und die stellenweise fast aufgelöste Fassade wirken zeitlos. Erst bei genauerer Betrachtung verraten kleine Details wie Geländer oder feingliedrige Holzfenster mit maschinengezogenen Scheiben, dass es sich hierbei um einen sehr gut erhaltenen und gepflegten Bau aus den 1930er-Jahren handelt.

Der gute Erhaltungszustand ist einerseits auf die Nutzungskontinuität zurückzuführen, die aufgrund des funktional ausgerichteten Entwurfs möglich war und zudem den Nutzern selbst zu verdanken ist, die in all den Jahren einen umsichtigen und wertschätzenden Umgang mit dem Gebäude pflegten. Es muss andererseits von Glück gesprochen werden, dass die beiden Bauten immer im Verbund bestanden und primär als Schule mit angehängtem Museum verstanden wurden.

So kamen auch von Seiten der Eigentümerschaft (früher Stadt, seit 2004 der Kanton Zürich) nie Gelüste auf, das Museum mit dem nötigen Geld und den damit verbundenen Eingriffen zu verändern.

Gerade vor diesem Hintergrund genoss die Weiterführung der bestehenden Nutzungen bei der anstehenden Instandsetzung nicht nur hohe Priorität, sondern war für die Denkmalpflege auch unbestritten – nicht zuletzt auch, da auf diese Weise der Erhalt des Gebäudes in seiner jetzigen Form garan­tiert werden konnte. So bedingt die Nutzungskontinui­tät in der Regel bedeutend weniger bauliche Inter­ven­tionen, als dies bei einer Umnutzung der Fall ist. Da sich aber die Anforderungen an einen Museumsbetrieb seit der Bauzeit massgeblich verändert haben – beispiels­weise das Einhalten von Klimabändern oder verän­derte Anforde­rungen an Lichtverhältnisse – brauch­te es teil­weise doch umfassende technische Eingriffe, um das Mu­seum ins 21. Jahrhundert zu überführen.

Neues geht, Altes kommt

Mit der Entfernung der im Museumstrakt eingezogenen Zwischendecke war eine der wichtigsten denkmalpflegerischen Forderungen erfüllt. Die Wiederherstellung der Halle bedingte aber eine Kompensation der verloren gegangenen Ausstellungsfläche. Hierfür musste ein Teil der Werkstätten sowie ein Unterrichtsraum mit bauzeitlichen Einbauten im Keller weichen. Und auch die neue Technik, insbesondere die Klima­anlage, beansprucht viel Raum – ein Wermutstropfen, der jedoch zukünftig die Nutzungskontinuität garantiert.

Nebst Verlusten konnten aber auch Entdeckungen gemacht und erhalten werden. So hat ein Teil des originalen Geländers auf der Galerie in einer Kiste versteckt die Zeit überdauert. Beim jüngsten Umbau konnte es wieder leicht versetzt montiert werden und ist heute Teil des «Museums im Museum». Auch im einstigen Bücherlager der Bibliothek befindet sich eine Art «archäologisches Befundfenster». Der Nebenraum hatte über all die Jahre seine Funktion als Lager beibehalten können. Der fehlende Druck zur Erneuerung und die kontinuierliche Nutzung ermöglichten ein Überdauern von jahrzehntealten Oberflächen. Unter den Bücherregalen kam so bei der jüngsten Sanierung bauzeitliches Linoleum zum Vorschein, das noch die ur­sprüngliche Farbe aufwies, da es nie dem Licht und Verschmutzung ausgesetzt war. Zudem fand sich an den Stützen und Wänden noch die originale Punkte­tapete – eine Seltenheit im Museumstrakt.

Original, Kopie, Kopie von Kopie

Bei der Punktetapete handelt es sich um eines der wenigen schmückenden Elemente in dem ansonsten industriell und sachlich geprägten Komplex. Die Ta­pete wurde bei den jüngsten Baumassnahmen im Schul­trakt bereits zum zweiten Mal rekonstruiert und wieder aufgebracht. Schon bei der Instandsetzung in den 1990er-Jahren war es nicht mehr möglich, sie in ihrer ursprünglichen Form herzustellen. Bei der bauzeitlichen Ausführung wurde ein Stramingewebe auf ein Ölpapier gespannt und mit einem mehrschichtigen Ölanstrich versehen. Bei der ersten Rekonstruktion[1] behalf man sich mit einer Papiertapete, die von zwei unterschiedlichen Druckwalzen bedruckt wurde, von denen eine die textile Gewebestruktur auf dem Papier imitierte und die andere die Tupfen aufbrachte, um so der optischen Wirkung des Originals möglichst nah zu kommen.

Heute, rund 20 Jahre später, fand sich bereits keine Firma mehr, die mit diesen Walzen die Tapete hätte herstellen können. Und so ist die Schule nun­mehr mit der dritten, modernisierten Generation der Punktetapete, also einer Re-Rekonstruktion, tapeziert.[2] Dabei handelt es sich um ein digital bedrucktes Stramingewebe, bei der die Verteilung der Punkte vom Original abgenommen wurde. Es fand also wieder eine Annäherung an die originale Oberfläche statt.

Die Tapete in ihrer rekonstruierten Version findet sich heute grossflächig nur noch in den Korri­doren der Schule. Im Museumstrakt wurde die Original­tapete relativ früh überstrichen, und so entstand wohl im Lauf der Jahre der Fehlschluss, dass die Wandober­flächen zwar mit einem Textil tapeziert, aber in einem Grauton gestrichen waren. Es ist davon auszugehen, dass auch die Oberflächen im Museumstrakt – mit Ausnahme der grossen Halle – «betupft» waren. Bei der aktuellen Sanierung wurden die textilen Wandober­flächen aus den vorhergehenden Instandsetzungen beibehalten, da Sondagen zeigten, dass die bauzeitlichen Tapeten bereits bei einer früheren Sanierung entfernt worden waren.[3]

Eine weitere Befundachse befindet sich im neu entstandenen Vorraum der Museumshalle. Der Einbau einer zweiten Glastrennwand aus Brandschutzgründen ermöglichte diese Rekonstruktion. Sie weist nun wieder die bauzeitliche Farbgebung auf.

Ursprünglich waren Halle und Vorraum in einem warmen Grauton gestrichen, der sich aber für die moderne Museums­nutzung als unpraktisch erwies. Heute ist die Halle weiss. Auch hier: ein denkmal­pflegerischer Kompromiss zugunsten einer zeitgemässen Nutzung.

Einst umstritten, jetzt etabliert

Der damals kontrovers diskutierte Bau – zwischenzeitliche als «Schulfabrik» betitelt[4] – hat schon lang seinen Platz in der Geschichte gefunden und seine Tauglichkeit und Funktionalität bewiesen. So muss auch nicht befürchtet werden, dass das Gebäude dereinst einem Platz oder Park weichen muss, wie es einem jüngeren Bau des Architekten Karl Egender – dem Globus-Provisorium – momentan droht.


Anmerkungen:
[01] 1998–1999 unter Tropeano Pfister Architekten, Zürich.
[02] Die Instandsetzung der Schule erfolgte 2016/17 durch Silvio Schmed und Arthur Rüegg (vgl. «Von der Kunst­gewerbe- zur Berufsschule», Panorama-Buchtipp, S. 17).
[03] Heinz Schwarz und Getrud Fehringer, Kriens, Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich, Restauratorische Untersuchung der Innenräume, Typoskript 12. August 2015, Archiv kantonale Denkmalpflege Zürich.
[04] Vgl. «Unsere Kunstdenkmäler», Band 41, Heft 1, 1990, S. 64.

TEC21, Fr., 2018.08.31

31. August 2018 Nina Hüppi, Lukas Knörr

Das Minimum ist das Maximum

Das Museum für Gestaltung und die Kunstgewerbeschule in Zürich erstrahlen seit März wieder im Glanz der 1930er-Jahre – auch dank der Analyse der Ingenieure von Dr. Deuring + Oehninger. Damit liessen sich die notwendigen statischen Massnahmen auf ein Minimum beschränken.

Das Stammhaus des Museums für Gestaltung strahlt seit den aktuellsten Umbauarbeiten neue Ruhe aus – sowohl äus­sere als auch innere. Die äussere Ruhe hatte der Komplex aus drei Kuben mit jeweils rhythmisierten und differenzierten Fassaden grundsätzlich nie verloren. Die innere Ruhe aller­dings war aus statischer Sicht nie gegeben. In einer Krisensituation wie einem Erdbeben wäre der Bau gemäss neuesten Berechnungen nach den aktuellen norma­tiven Grundlagen des SIA kollabiert; damals war die mögliche konstruktive Erdbebensicherheit eines Gebäudes noch zu wenig im Bewusstsein der Planer. Mit den Umbauarbeiten sollte der Bau deshalb auch auf den Lastfall Erdbeben ertüchtigt werden. Doch die vorgesehenen Massnahmen hatten es in sich – die ausgeführten Eingriffe hätten mit weniger vertieften Analysen so massiv sein können, dass die Seele des Bauwerks zerstört worden wäre.[1]

Ein Winkel aus drei Trakten

Zwischen Ausstellungsstrasse und Sihlquai steht seit 1933 das Museum für Gestaltung – früher als Kunstgewerbemuseum und Gewerbeschule bekannt . Adolf Steger und Karl Egender lieferten in einem zweistufigen Projektwettbewerb (1925–1927) den Entwurf für den Massivbau. Er besteht aus drei Trakten und ist der erste öffentliche Bau in Zürich, der nach den Ideen des «Neuen Bauens» ausgeführt wurde (vgl. «Zurück in die Zukunft»). 1981 wurde er ins Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutz­objekte von überkommunaler Bedeutung der Stadt Zürich aufgenommen. Die Trakte – Berufsschule, Museum und Saal – wurden in drei Losen vergeben und unabhängig voneinander von drei verschiedenen Ingenieurbüros erstellt. Sie sind mit Fugen voneinander getrennt.

Im Nordosten des Grundstücks, zur Limmat hin, liegt der fünfgeschossige Berufsschultrakt. Der Bau des Ingenieurbüros Terner & Chopard ist als Rahmenkon­struktion mit einem Achsabstand von 3.50 m erstellt und bildet den langen Flügel der im Grundriss winkelartig angeordneten Gebäudevolumen. Die Rippendecken mit eingelegten Bimsbetonhohlsteinen tragen quer zu den Rahmen. Die Hauptkonstruktion ist bis ins vierte Obergeschoss identisch, das fünfte Obergeschoss ist an der Südfassade zurückversetzt. In Traktmitte ist quer zum Gebäude über die gesamte Höhe eine zusätzliche Dilatationsfuge angeordnet.

Bemerkenswert sind die Wände zwischen dem Korridor und den Klassen­zimmern, die den Raum zwischen den Hauptstützen nur so weit ausfachen, dass jeweils im oberen Teil eine grosszügige Verglasung entsteht – eine gestalterisch wertvolle Geste für den Korridor, der auch als grosszügiger Aufenthaltsbereich der Studierenden funktioniert.

Der Saaltrakt des Ingenieurbüros Robert Maillart ist der kurze Flügel und zugleich der Haupteingang des Museums. Über dem Eingangsbereich spannt die Decke stützenfrei über die gesamte Gebäudebreite. Sie ist auf Unterzügen und eingespannten Stahl­beton­stützen gelagert. Darüber liegt der grosse Saal, der ebenfalls von einer Unterzugsdecke überspannt wird. Die Kon­struktionen bestehen aus Unterzugs­decken und Rippendecken mit Bimsbetonhohlsteinen wie beim Berufsschultrakt. Im Bereich des Treppenaufgangs sind zusätzlich massive Mauerwerkswände vorhanden. Im Unter­geschoss befindet sich ein Raum mit einer für Maillart typischen Pilzdecke.

Der dreischiffige Museumstrakt des Ingenieurbüros E. Rathgeb zwischen den beiden Flügelbauten besteht wie der Schulbau wiederum aus einer Rahmenkonstruktion mit einem Achsabstand von 3.50 m. Die typischen Rippendecken mit eingelegten Bims­betonhohlsteinen finden sich auch hier quer zu den ge­vou­teten Rahmen tragend. Die im obe­ren Geschoss zurückspringenden Fassadenstützen werden über die Hauptrahmen abgefangen. Im Mittelschiff ist der Raum zweigeschossig und erinnert mit seiner markanten Tragkonstruktion an eine Mischung aus Basi­lika und Industriehalle. «Der Trakt sollte den hier vermittelten Berufsfeldern eine würdevolle und doch industrielle Heimat geben», so der heutige Direktor des Hauses, Christian Brändle. Damit war die Halle von Beginn an das Herzstück des 85 Jahre alten Gebäudes.

Leider wurden diesem Raum 1958 innenräumliche Strukturen implantiert, die das Ge­bäude zu seinen Ungunsten veränderten – insbesondere die Zwi­schen­decke im Mittelschiff. In den letzten Jahren durften Ruggero Tropeano Architekten das Museum aber erneut um­bauen – den Schultrakt renovierten die Architekten Arthur Rüegg und Silvio Schmed. Erstere verhalfen dem Museum in respektvoller Herangehensweise wieder zu altem Glanz (vgl. «Zurück in die Zukunft»).

Die Seele bewahren

Der brandschutzspezifische Aspekt war einer der Treiber, den ursprünglichen Zustand der Halle wiederherzustellen. Die eingebaute Zwischendecke aus Holz war der Feuerpolizei ein Dorn im Auge – so erhielten all jene, die das Mittelschiff freilegen wollten, neben den gestalterischen Argumenten auch die notwendige technische Unterstützung. Allerdings waren weitere Eingriffe so aufwendig, dass der Charakter des Bauwerks an anderen Stellen zu verschwinden drohte.

Vor mehreren Jahren wirkende Ingenieure hatten in einer oberflächlichen Studie für eine Erdbebenertüchtigung ermittelt, dass im langen Flügelgebäude Erdbebenwände notwendig seien. Dafür hätten die charakteristischen Ober­lichter in den Korridoren des Schultrakts geschlossen werden müssen. «Das wäre weder stimmig noch die adäquate Lösung gewesen», betont der projektierende Bauingenieur Martin Deuring, der im Zuge der aktuellen Arbeiten von den Architekten angefragt wurde, eine vertiefte Analyse der Erdbebenertüchtigung des Ge­bäudekomplexes durchzuführen. Ein Tragwerk sei nicht deshalb das beste Tragwerk, wenn es für sich betrachtet das geeignetste sei, sondern es sei dann das beste, wenn es das Gesamtkonzept am besten stütze.

In interdis­zi­plinärer Weise erfassten die Ingenieure von Dr. Deuring + Oehniger schliesslich zusammen mit den Architekten und der Denkmalpflege den Bestand des Bauwerks mit seiner Bau- und Nutzungsgeschichte, seinem architektonischen Konzept, seinen tragwerks- und materialspezifischen Eigenschaften sowie seinen nutzungsbezogenen Bedürfnissen bzw. zeitgemässen Anforderungen.

Auch Prof. Hugo Bachmann, der von Martin Deuring als Experte für Schwingungsprobleme und Erdbebensicherung beigezogen wurde, um die Arbeiten der Erdbebenertüchtigung korreferieren zu lassen, betont: «Die Ingenieure sollten sich ganz am Anfang mit der Geschichte und der Substanz des Gebäudes vertieft auseinandersetzen. Erst wenn man das Gebäude und sein Tragwerk wirklich kennt und versteht, kann man ihm neue, statisch wirksame Elemente einfügen, die dem geschützten Bestand gerecht werden.»

Kluge Wahl der Methode

Die Ingenieure erfassten, gut mit Archivplänen bestückt, die gegebene Bausubstanz (Bauwerksklasse II, Erd­beben­zone Z1, Baugrundklasse C), entnahmen Proben und aktualisierten die Baustoffeigenschaften aller Querschnitte der Tragelemente. Danach untersuchten sie das Gebäude bezüglich Erdbebensicherheit gemäss den aktuell gültigen Tragwerksnormen mittels dyna­mi­scher Computerberechnung. In einem dreidimensionalen Finite-Elemente-Modell unter Einbezug der wichtigen Interaktion zwischen Baugrund und Tragwerk erfolgte die wirklichkeitsnahe Erdbebenanalyse.

Ausschlaggebend für die später umgesetzten Massnahmen war, dass die Ingenieure nicht nach dem vereinfachten Ersatzkraftverfahren vorgingen – eine statische, lineare Berechnungsmethode mit horizontalen Ersatzkräften –, mit einer losgelösten Betrachtung der einzelnen Kuben. Vielmehr führten sie eine ver­tiefte Tragwerksanalyse mit dem dreidimensionalen, kräftebasierten Antwortspektrenverfahren durch – eine dynamische, lineare Berechnungsmethode, bei der das Schwingungsverhalten der massgebenden Eigenschwingungsformen ermittelt wird. Die drei im Grundriss asymmetrisch angeordneten Gebäudetrakte mit unterschiedlichen Bauwerkshöhen wurden an einem Gesamtmodell analysiert. Erst so konnten die Inge­nieure dem asymmetrischen Tragwerk Rechnung tragen.

Die Resultate aus dem Antwortspektrenverfahren wurden mit dem verformungsbasierten Push-over-Verfahren plausibilisiert – ein Verfahren, das vergleicht, wie stark sich ein Tragwerk unter Erd­beben­einwirkung verformen könnte und wie stark es sich im örtlichen Erdbebenfall tatsächlich rechnerisch verformt. Dieses Verfahren war zur Planungszeit mit der SIA-Norm 269/8 «Erhaltung von Tragwerken – Erdbeben» zwar noch nicht in Kraft – diese Norm gilt erst seit 1. Dezember 2017 –, zählte aber bereits zum etablierten neuen Know-how.

Ist das Verhältnis – der sogenannte Erfüllungsfaktor – von Verformungsvermögen zu erforderlicher Verformung kleiner als 1, muss eine Verstärkung des Tragwerks in Betracht gezogen oder die Nutzung eingeschränkt werden. Unter Berücksichtigung des nichtlinearen Baustoffverhaltens eruierten die Ingenieure, ob das Verformungsvermögen vorhanden ist, das im Erdbebenfall benötigt würde. Mit Ausnahme von Teilbereichen wiesen sie für das Gesamttragwerk eine ausreichende Erdbebensicherheit von r > 1 nach.

Bedingung für die ausreichende Sicherheit war die kraftschlüssige Verbindung der nur 2 cm breiten Fugen zwischen den Gebäudetrakten. Denn die Stockwerke sind teilweise auf ungleicher Höhe. Eine Decke hätte bis anhin beispielsweise an eine Rahmenstütze stossen können, und durch den Anprall hätten die Stützen knicken und einen Kollaps verursachen können. Die kraftschlüssige Verbindung wurde im Rahmen der Umbaumassnahmen umgesetzt. Alle drei Kuben wirken nun zusammen und schwingen – wie im Gesamtmodell modelliert – nicht mehr unabhängig voneinander.

In Teilbereichen des Gebäudes zeigt die Analyse eine ungenügende Sicherheit von ca. r = 0.50. Die problematischen Zonen wie die gelenkig ausgebildeten Rahmen und der ungenügend gehaltene Aktsaal im fünften Obergeschoss wurden mit eingebohrten Ge­windestangen ertüchtigt, womit für das Gesamttragwerk nun eine ausreichende Sicherheit von r > 1.0 vorliegt. Alle anderen Eingriffe, wie neue Leitungen durch bestehende Unterzüge, wurden in Abstimmung aller Fachplaner einzeln besprochen und punktuell so platziert, dass sie das Tragwerk nicht zusätzlich schwächen.

Mehr Planung gleich weniger Massnahmen

Dank der Analyse mittels des verformungsbasierten Verfahrens konnten die Ingenieure einen ausreichenden Erfüllungsfaktor nachweisen. So konnte das Mass an baulichen Eingriffen stark reduziert und dennoch die Anforderungen der aktuellen Normen erfüllt werden. «Eine vertiefte Analyse ist auch bei anderen bestehenden Bauwerken sinnvoll», bemerkt Hugo Bachmann, «hier waren die Konsequenzen allerdings beachtlich.» Der finanzielle Aufwand für die baulichen Massnahmen, die hier umgesetzt wurden, war gemäss Martin Deuring schliesslich kleiner als der planerische Mehraufwand. Dieser Mehraufwand verhinderte aber radikale Baumassnahmen, die teuer gewesen wären und das Denkmal mit seinem Charakter zerstört hätten. Die kreative Leistung vorab reduzierte den baulichen Aufwand danach – ohne statische, gestalterische oder allzu grosse denkmalpflegerische Abstriche machen zu müssen.


Anmerkung:
[01] Zu diesem Thema siehe auch: «Damit Denkmäler nicht zu Mahnmälern werden», TEC21 14–15/2017.

TEC21, Fr., 2018.08.31

31. August 2018 Clementine Hegner-van Rooden

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