Editorial
Räume für die Kunst sind so vielfältig wie die Kunst selbst: vom kreativen Chaos eines Künstlerateliers bis zum repräsentativen Museumssaal. Während bei einem Atelier eher Qualitäten einer kostengünstig zu erstellenden Werkstatt mit hohem Potenzial für konzentriertes und kreatives Arbeiten gewünscht werden, ist bei einem Kunstmuseum als öffentliche Kultureinrichtung mit Bildungsauftrag – neben dem Sammeln und Bewahren von Kunst – insbesondere die Außenwirkung von großer Bedeutung.
Unstrittig dürfte sein, dass Architektur Einfluss auf die Kunst hat. Das gilt für das Atelier, in dem sich der Künstler nicht der Wirkung des Ortes entziehen kann, genauso wie für den Ausstellungsraum, der je nach seinen räumlichen Bedingungen ein Kunstwerk in ein bestimmtes Licht rückt. Aber auch umgekehrt: Wenn der Architekt für ein konkretes Kunstwerk einen Ausstellungsort entwickeln soll, wird sein Entwurf von der Kunst beeinflusst.
Einen vollkommen neutralen Ort für die Präsentation bzw. für das Erschaffen von Kunst zu kreieren, ist so gesehen unmöglich. Dies ist jedoch keineswegs als Makel zu verstehen, vielmehr können gelungene Beispiele dieses vielfältigen Gebens und Nehmens von Kunst und Architektur dazu anregen, neue Perspektiven jenseits des Banalen und Alltäglichen einzunehmen, also auf das, was Kunst erst zur Kunst macht. | Martin Höchst
Fordernde Räume
(SUBTITLE) »Torre«, Fondazione Prada in Mailand (I)
Mit der Eröffnung des 60 m hohen Turms ist die viel beachtete Umgestaltung der ehemaligen Mailänder Brennerei zum Präsentationsort zeitgenössischer Kunst nun abgeschlossen. Das fremdartige Weißbetongebilde erweitert das vielschichtige, zumeist klösterlich introvertierte Raumangebot des Areals um kraftvolle Säle, die mit imposanten Ausblicken die ausgestellten Kunstwerke in Bezug zur Außenwelt setzen.
Das Raumangebot der Fondazione Prada ist ähnlich vielfältig wie ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst, die von Filmdokumenten über Gemälde bis hin zu großformatigen Plastiken reicht. Bei der Umwandlung der 1910 erbauten, später erweiterten und 1970 wieder geschlossenen Gin-Brennerei in ein Kunstmuseum bewahrte das Office for Metropolitan Architecture (OMA) den jeweiligen Charakter der unterschiedlichen Gebäude und stärkte diesen noch durch den Kontrast mit wenigen, mitunter stark raumgreifenden, in metallischer Ästhetik nur entfernt verwandt wirkenden Zubauten. Letztere bedienen aktuelle, betont offene und schwellenarme, wenn auch unterkühlte Präsentationsformen wie z. B. beim Louvre Lens (s. db 3/2013, S. 64). Dagegen vermitteln die charaktervollen vormaligen Lager- und Fabrikhallen eher den Eindruck einer Kunstmesse und feiern mit ihrem Werkstattflair das Prozesshafte, Rohe ebenso wie die Nostalgie des Angejahrten – ein Thema, das im Filmset-Ambiente des Cafés mit Formica-Möbeln buchstäblich greifbar wird.
Härtetest für Museumsbesucher
Das ganze Fondazione-Areal ist ein einziger Erlebnisparcours. Er will durchwandert und entdeckt werden. Man wechselt von Fluren zu Plätzen und wieder in andere Gebäudeteile, nutzt Aufzüge und Treppen, landet in ärgerlichen Sackgassen, dreht sich im Kreis und stößt dabei doch immer wieder auf Neues. Ein sinnfälliger Rundgang ist kaum möglich – und ohnehin nicht zielführend, da die einzelnen Gebäudeteile bisweilen mit thematisch unabhängigen Wechselausstellungen belegt sind. Die räumliche Vielfalt bringt reichlich Gelegenheit zu körperlichem Erleben mit sich, sorgt für Irritation, macht zwischen Keller und 10. Stock staunen, sie ermüdet schließlich den Körper, hält den Geist aber wach. Und ein wenig merkt man auch, dass die Kuratoren Spaß daran haben, sich von den unterschiedlichen Raumqualitäten fordern oder auch einfach nur lenken zu lassen. Mitunter aasen sie mit dem Raumangebot und zeigen nur ein einzelnes Kunstwerk in einem riesigen Saal oder machen sich einfach die Kelleratmosphäre tief unter dem Kino für die Präsentation eines großformatigen Grotten-Fotos von Thomas Demand zunutze.
Der Mitinhaberin, Sammlerin und Stifterin Miucca Prada wiederum hat es der vierstöckige Gebäudeteil mit den kleinsten Räumen des klösterlich selbstbezogenen Geländes angetan; stets empfand sie ihn als einen verwunschenen Ort. Dieses »haunted house« beherbergt dauerhaft Arbeiten von Louise Bourgeois und Robert Gobers, die passenderweise das Verhältnis von Körper, Raum, Einbildungskraft und Wirklichkeit thematisieren.
Als Ausdruck der besonderen Wertschätzung dieser Räume wurden die Fassaden mit Blattgold belegt und haben sich dadurch in der allgemeinen Wahrnehmung als eine Art Signet des Museums eingebrannt.
Die Schau stiehlt diesem »Goldzahn« aber der erst mit einiger Verzögerung im vergangenen April eröffnete »Torre« schräg gegenüber in der äußersten Ecke des Areals. Der Turm ist mit seiner blockigen, von zunächst unverständlichen Schrägen gestörten Präsenz, seiner jegliche Maßstäblichkeit auf dem Gelände sprengenden Höhe und der gleißenden Weißbetonoberfläche ein echter Rüpel. Man möchte ihn ob seiner Unverschämtheit gegenüber dem dezent abgestimmten, bisweilen ironisch gebrochenen Ensemble gerne links liegen lassen. Doch ist er auch ein Charmeur, der mit verführerischen Angeboten zugunsten der Raumdramaturgie sogar die Vorgaben des Auftraggebers unterläuft.
Eine Absage an Neutralweiss
Dem Wunsch der Stiftung nach einer Reihe von »White Cubes« war in, um oder auf den historischen Gebäuden kaum sinnvoll nachzukommen – wohl aber in einer Ecke des Areals, auf mehrere Geschosse verteilt. In dem industriell geprägten Konversionsgebiet nahe der Porta Romana sind einzelne Hochpunkte von bis zu 60 m zugelassen. Man war gut beraten, dieses Maß auszuschöpfen, denn spätestens mit der kommenden Bebauung des aufgelassenen Bahngeländes jenseits der Straße wird die Notwendigkeit eines prägnanten Fingerzeigs offenkundig werden.
Ausgeschöpft wurde auch die Möglichkeit, vier der sechs Ausstellungsgeschosse in den Straßenraum hineinragen zu lassen, was neben der zusätzlichen Fläche auch spannungsreiche Schrägen in der Westfassade mit sich brachte. Sie resultieren aus der Notwendigkeit, die Lasten über die freie Höhe hinweg in den Erschließungskern einzuleiten. Im Grunde besteht das Tragwerk aus raumhohen (50 cm dicken!) Stahlbeton-Wandscheiben, die alternierend mal an der Schmal-, mal an der Breitseite jeweils ein Geschoss tragen und dabei raumhohe Verglasungen überbrücken. Damit die einseitig auskragende Konstruktion nicht kippt, ist sie rückwärtig mit einem Stahlbetonbalken und Bohrpfählen im Untergrund verankert. Weißbeton wurde gewählt, da es die Architekten ablehnten, die Materialität der Konstruktion zu kaschieren – ein Prinzip, das sich durch das ganze Gebäude zieht. Wo eine Innendämmung nötig ist, tritt diese mit einer Schalung aus OSB-Platten in Erscheinung und macht es den Kuratoren durchaus schwer, mit Kunstwerken gegen deren starke Struktur anzukommen. Einen White Cube stellt man sich anders vor. Glücklicherweise bietet die Sammlung entsprechende Formate, von quasi-konstruktivistischen Gemälden Michael Heizers bis hin zu den drei durchbohrten Chevrolets der »Bel Air Trilogy« Walter De Marias.
Auch die Glasfassaden mit ihren Ausblicken haben es in sich: Wo sie die Schmalseiten belegen, entsteht eine Röhre, deren gefühlter Sog sich immerhin mit entsprechenden Werken ausbremsen lässt. In den zur Nordseite hin gebäudebreit geöffneten Sälen kommt hingegen kaum etwas gegen die fantastische Aussicht auf die Mailänder Innenstadt samt Dom und Alpenhintergrund an. Das schaffen nur die quietschbunten Tulpen von Jeff Koons oder die Abertausende von Schmeißfliegen aus der Werkstatt von Damien Hirst. Wacker schlagen sich auch die konzentrierten, zwischen Nostalgie und Mahnung changierenden Arbeiten aus der Volksempfänger-Serie von Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz, die jeweils einen eigenen Raum um sich herum definieren.
Gerne wäre man Mäuschen gewesen, als die Protagonisten von Stiftung und OMA die Raumkonzepte, die verlockenden Möglichkeiten und die kategorischen No-Gos miteinander aushandelten. Seit bald 20 Jahren entwickeln Prada und die Teams um Koolhaas gemeinsam Modenschauen und denken Showroom-Design von immer neuen Seiten her. Und man kann sich gut vorstellen, wie die Architekten dabei mit niederländischem Pragmatismus alle konventionellen Konzepte aus dem Feld zu schlagen verstehen.
Ruhe durch Ordnung
Die Architekten des OMA kokettieren bisweilen damit, Ästhetik sei nicht wichtig und niemals Grundlage für architektonische Entscheidungen. Die ausgefeilte Fügung allen Materials straft diese Aussage allerdings Lügen. Alles ist akkurat am Raster der Betonschalung ausgerichtet und bündig eingelassen, um bloß keine Unruhe aufkommen zu lassen. Keiner der Sprinklerauslässe tanzt aus der Reihe. Weder die Schienen der notwendigen Spotlights fallen ins Auge noch die Linienleuchten für die verhältnismäßig warme, dimmbare Grundbeleuchtung für gleichmäßiges Licht über den Tag hinweg (um die 3 000 K). Ebenso durchdacht sind die Anschlüsse der Glasfassade an Wand, Decke und Boden aus iranischem Travertin. Es gibt keine gestalterischen Ungereimtheiten, auch bei den Wandöffnungen zum Vorraum nicht, die zwar vorgeben, mit dem Schalraster nichts zu tun haben zu wollen, letztlich aber davon erzählen, wie die Ordnung hier genussvoll durchbrochen wurde. Und freilich verfehlt auch die Wandbekleidung im Treppenhaus das erklärte Ziel roher Materialehrlichkeit: Die unbehandelten, rosafarbenen Gipskartonplatten mit ihren charakteristischen Gipsklecksen wirken, hinter Gitterrosten indirekt beleuchtet, wie eine zwischen rigider Linie und fröhlichem Zufall fein ausgewogene Grafik.
Vertikalität
Rem Koolhaas lässt sich mit der Aussage zitieren, im 10. Stock fühle sich Kunst anders an als am Boden. In all den Räumen, in denen er die Höhe mit maximaler Öffnung inszeniert und dem Besucher die Sicherheit von Brüstungen verweigert, kann man dem nicht widersprechen. Was für ein Gegensatz zu Chipperfields 4 km entfernt liegendem Museo delle Culture (s. db 10/2015, S. 65), dessen fensterlose Räume im burgartigen Innenhof einer Fabrik die Flucht nach innen kaum mehr betonen können. Und welche Erleichterung, im obersten Ausstellungsgeschoss des Prada-Turms dann doch einen rundum geschlossenen Oberlichtsaal vorzufinden!
Weil das Raumerlebnis klar im Vordergrund steht, ist die Nutzung der Aufzüge nicht gern gesehen – lieber soll man sich die subtil nach oben hin von 2,7 auf 8 m zunehmende Höhe der Geschosse per Treppenhaus erschließen. Es lockt ein piranesihaftes Erlebnis der gegenläufigen Treppenanlage mit Ausblicken in die ehemalige Lagerhalle und weiter oben nach Süden auf Antonio Citterios Bürogebäude »Symbiosis«, in dessen Glasfassade sich dankenswerterweise die ganze Fondazione spiegelt.
Zu speziellen Anlässen auf der Dachterrasse oder in der angrenzenden Lagerhalle wird am Fuße des Turms ein zweiter Zugang zum Gelände geöffnet. So auch am Abend, wenn das Restaurant im 6. Stock mit edler Küche und Aussicht lockt. Wie die Kunstwerke im Turm steht auch die Einrichtung des opulent wie ein Herrenzimmer ausgestatteten Gastraums stellvertretend für das Wirken der Stiftung seit 1993, bzw. für die Sammlung, die sich vorwiegend aus Werken von 1960 bis heute zusammensetzt und auf dem ganzen Gelände nicht nur selbstreferenziell präsentiert wird, sondern auch als Ausgangspunkt für diverse Sonderausstellungen dient. Es gibt hier originale Einrichtungsfragmente des Four Seasons Restaurants in New York von Philip Johnson, pastose Skulpturen von Lucio Fontana, Gemälde von Jeff Koons, und und und.
Zu den Baukosten möchte man sich nicht äußern. Es wird aber betont, dass man sich Mühe gab, das Budget nicht unnötig mit Kinkerlitzchen zu belasten. Wie ironischerweise die Blattvergoldung des »Haunted House« belegt, von der berichtet wird, sie sei bei aller Handwerklichkeit immer noch günstiger gewesen als so manche andere ins Auge gefasste Alternative. Glücklich also der solvente, aber auch langmütige Bauherr, der die Architekten gute Lösungen ausprobieren lassen kann.
Auf die Frage, welches Maß an baulicher Prägnanz für die Kunstpräsentation angemessen sei, möchte man nach einem Besuch der Fondazione antworten: jegliches. Zur Leidenschaft von Privatsammlern passt der erlebnisorientierte Ansatz mit fordernden Räumen aber vielleicht doch besser.db, Di., 2018.09.04
04. September 2018 Achim Geissinger
Vielfältiges Kontinuum
(SUBTITLE) »Musée d’arts de Nantes« (F)
Stanton Williams restaurierten und erweiterten das »Musée d’arts de Nantes« mit größter Sorgfalt. Dabei gelang es ihnen, Freiflächen, Kunstwerke, Bestand und Neubauten zu einer Einheit zu verknüpfen, deren Reiz gerade in ihrer Vielfalt liegt. Für den Besucher entsteht so ein Zugewinn an Kunstgenuss, der weit über die reine Erweiterung der Ausstellungsflächen hinausgeht.
Sieben Jahre nach Baubeginn öffnete das »Musée des Beaux-Arts« in Nantes im Jahr 1900 erstmals seine Pforten. Fast genauso lang dauerte die Restaurierung und Erweiterung des Museums, ehe es vor gut einem Jahr als »Musée d’arts de Nantes« wiedereröffnet wurde. Von außen hat sich das Palais im Beaux-Arts-Stil kaum verändert. Allein der kleine Ehrenhof zur Rue Georges Clemenceau zeigt sich sichtlich neu gestaltet: Statt der einzelnen Treppen, die einst zu den drei Eingängen führten – wie Landungsbrücken zu einem Schiff – laden nun breite Sitzstufen zum Verweilen ein. Hinzu kommen zwei Glaskuben, in denen sich ein Aufzug bzw. temporäre Kunstinstallationen befinden, sowie eine Freiraumgestaltung mit parkettartig verlegten Pflastersteinen, die die Straße in einen einladenden Vorplatz verwandeln. Angesichts der langen Bauarbeiten am Museum und der zugleich nahezu unveränderten Fassaden ist klar: Das Entrée stellt nur einen kleinen Teil der Umbaumaßnahmen dar. Dass auch die Chapelle de l’Oratoire aus dem 17. Jahrhundert und ein schmaler Neubau an dieser Straße sowie ein weiteres neues Gebäude an der rückwärtigen Rue Gambetta ebenfalls Teil des Museums sind, offenbart sich dem Besucher erst nach und nach bei seinem Ausstellungsrundgang.
Durchgängig
In der Eingangshalle weist das Nebeneinander aus jahrhundertealten Marmorfiguren, einer bunten Pop-Art-Leuchtskulptur und zeitgenössischen Gemälden auf eine Besonderheit des Kunstmuseums hin: Es widmet sich nicht nur einer einzigen Epoche, sondern zeigt Exponate der bildenden Kunst vom 13. Jahrhundert bis heute. Diese große Bandbreite und eine von Anfang an rege Sammlungstätigkeit haben dazu geführt, dass das Haus in den letzten Jahrzehnten aus allen Nähten zu platzen begann. Da es zudem sowohl hinsichtlich seiner Haustechnik als auch museumspädagogisch in die Jahre gekommen war (z. B. gab es weder einen Vortragssaal noch Räume für Seminare oder Workshops), erwies sich eine umfassende Modernisierung und Erweiterung als unumgänglich. Den hierfür 2009 ausgelobten Wettbewerb gewann das im Museumsbau erfahrene Londoner Architekturbüro Stanton Williams mit einem Entwurf, der die vielfältigen Kunstwerke ebenso zelebriert wie die Vielfalt der Wege, Räume, Materialien und Lichtstimmungen. Die Architektur drängt sich dabei nirgendwo in den Vordergrund. Sie sorgt vielmehr dafür, die unterschiedlichen Bereiche durch eine einheitliche Gestaltungssprache zusammenzubinden.
Dreh- und Angelpunkt des Musée d’arts ist der zentrale Patio. Als neutraler weißer Innenhof bietet er Platz für temporäre Ausstellungen, während sich um ihn herum im EG die ständige Sammlung des 13. bis 18. Jahrhunderts und im OG jene des 19. und 20. Jahrhunderts entwickeln. Da die filigranen Stuckarbeiten und Malereien der Wand- und Deckenflächen bereits einer früheren Renovierung zum Opfer fielen, entspricht sein heutiges Erscheinungsbild in etwa dem vor der Modernisierung. Ort eines massiven baulichen Eingriffs war der Patio dennoch: er wurde aufgegraben und – wie der Rest des Palais – komplett neu unterkellert.
Der Weg ins UG führt über zwei Treppen zunächst in eine Zwischenebene mit Schließfächern und von dort schließlich ganz nach unten. Dort befinden sich neben einem Auditorium mit 150 Sitzplätzen auch der museumspädagogische Bereich, Garderoben, Toiletten und ein weiterer Wechselausstellungsraum (Salle Blanche). Letzterer dient aufgrund seiner Lage im Westteil des Palais gleichsam als unterirdisches Bindeglied zum »Cube«, dem Museumsneubau zeitgenössischer Kunst an der rückwärtigen Rue Gambetta.
Empfängt das Museum den Besucher im Palais mit den beiden äußerst sorgfältig restaurierten Räumen der Eingangshalle und des prachtvollen Haupttreppenhauses, so vermittelt das UG fast den Eindruck, sich in einem Neubau zu befinden: Im Zuge der Bauarbeiten an der neuen Bodenplatte wurden sämtliche Fundamente freigelegt, weshalb sich das UG heute deutlich vom Rest des Bestands abhebt. In den öffentlichen Bereichen entstanden elegante Räumlichkeiten mit Sockeln und Rippendecken aus Sichtbeton sowie Eichenholz-Wandbekleidungen, deren zurückhaltend natürliche Farb- und Formensprache perfekt mit den freigelegten Bruchsteinfundamenten harmoniert.
Ein weiterer Bereich massiver Umbaumaßnahmen ist das Dach. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um eine höhengestaffelte Landschaft aus unterschiedlich geneigten Glasflächen verschiedener Abmessungen (insgesamt 3 500 m²), die die natürliche Belichtung aller Ausstellungsräume des OGs sowie des Patios und des Haupttreppenhauses ermöglichen. Der elegante Stahl-Dachstuhl des Bestands blieb unangetastet, während Dachdeckungen und Verglasungen ausgetauscht und um ein automatisch steuerbares Verschattungssystem mit Textilbahnen ergänzt wurden.
Hiermit lässt sich die bisher unkontrolliert einfallende Tageslichtmenge erstmals präzise regulieren und nach Bedarf auch Kunstlicht zuschalten. Was die Besucher davon wahrnehmen, ist das sinnliche Schattenspiel der historischen Dachkonstruktion, das sich bei Sonnenschein schemenhaft an den Glasdecken abzeichnet.
Bei der technischen Ausstattung des Palais setzten die Architekten auf möglichst »passive« Maßnahmen: Neben der intensiven Tageslichtnutzung sorgen LEDs und innen wärmegedämmte Außenwände für Energieeffizienz. Hinzu kommt der Ansatz, bei der Raumtemperatur und -feuchte keine fest einzuhaltenden Werte zu definieren, sondern größere, sich langsam verändernde saisonale Schwankungen zuzulassen.
Durchscheinend
Wer auf dem Rundgang durch das Palais in der Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts angelangt ist, dem bietet sich die Möglichkeit, die Tour im nordwestlich benachbarten Cube fortzusetzen. Der Weg dorthin führt über eine breite Brücke, die dank geschlossener Seitenwände und eines Oberlichts als Ausstellungsraum erscheint – damit sich die Besucher dennoch orientieren können, ordneten die Architekten direkt neben der Brücke ein schmales Fenster mit Blick auf die dem Museum angegliederte Kapelle an. Wie die anderen Ebenen ist auch das teilweise zweigeschossige 1. OG des Museumsneubaus als neutraler White Cube konzipiert, der mit nicht tragenden Trennwänden eine flexible Bespielung der Flächen gewährleistet.
Die Brücke führt aber auch in einen lichtdurchfluteten Treppenraum, der sich in seiner Erhabenheit, wenn auch auf völlig andere Art und Weise, auf die Haupttreppe des Palais bezieht. Maßgeblich für diese Wirkung ist die Südfassade mit ihrer filigranen Stahlkonstruktion und der außen mit dünnen Platten aus portugiesischem Marmor versehenen Verglasung, deren Farbton und horizontale Fugenabstände mit der sandgelben Natursteinfassade (Tuffeau nantais) des Palais korrespondieren. Während des Tags sorgen die Platten für ein weiches, warmes Licht im Innenraum, während sie von außen den Eindruck einer massiven Wand erzeugen. Am Abend, bei beleuchtetem Innenraum, kehrt sich das Bild um. Dann beginnt die Fassade zu glühen, sodass sie in Richtung des begrünten Innenhofs eher als Lichtinstallation denn als Treppenhaus erscheint.
Im EG des Cube gelangen die Besucher in den neuen Skulpturenhof und von dort über einen verglasten Treppenraum in die Kapelle. Die Chapelle de l’Oratoire dient schon seit Längerem als Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und blieb, abgesehen von der neuen Erschließung, von den Umbaumaßnahmen unberührt. Den südlichen Abschluss des Skulpturenhofs bildet das für Besucher nicht zugängliche Archivgebäude, das neben Werkstätten v. a. Lagerräume beherbergt und daher an seiner Natursteinfassade nur wenige Öffnungen aufweist.
Der Weg wieder zurück zur Eingangshalle im Palais führt entweder über den Garderobenbereich im UG oder über die Brücke im OG – eine Verbindung im EG ist nicht möglich, weil sich zwischen Cube und Palais der Anlieferungsbereich befindet.
Es gibt zahlreiche Gründe, warum der Rundgang durch das Musée d’arts de Nantes so spannend ist. Zunächst sind da die erstklassigen Exponate aus dem 13. bis 21. Jahrhundert – von Künstlern wie Perugino, Gustave Courbet, Claude Monet, Auguste Rodin, Wassily Kandinsky oder Anish Kapoor. Dann gibt es den erfrischenden Ansatz, Werke verschiedener Entstehungszeiten gezielt nebeneinander zu stellen, um oftmals irritierende, neue Querbezüge zu schaffen. Eine Rolle spielt auch das Miteinander der Gebäude aus vier Jahrhunderten. Wesentlich ist, dass die Architekten nicht nur für die Gebäudeplanung und die Freiraumgestaltung am Haupteingang zuständig waren, sondern auch die Gelegenheit hatten, den Großteil der Möblierung, der Einbauelemente in den Ausstellungsräumen, das grafische Erscheinungsbild sowie die Signaletik des Museums zu entwerfen. Auf diese Weise wird der Museumsbesuch zu einem ganzheitlichen Erlebnis.db, Di., 2018.09.04
04. September 2018 Roland Pawlitschko
Städtische Galerie Kornwestheim
Die noch nicht einmal 30 Jahre alte Städtische Galerie Kornwestheim, seit 2003 »Museum im Kleihues-Bau« genannt, wurde im vergangenen Jahr unter Denkmal-schutz gestellt: als »gutes Beispiel für eine Spiel-art der postmodernen Architektur mit zeittypischer, reicher motivischer Gestaltung und künstlerischer Durchdringung von der Großform bis ins Detail«. Vollkommen zu Recht.
Es hat den Anschein, als wäre eigentlich nichts gewesen. Ein paar Gräser wachsen aus den Ritzen der flachen Treppe, die neben einer Rampe zum Eingang führt. Und beim Gang ums Haus entdeckt man dort, wo die Kunst angeliefert werden kann, eine eingedrückte Platte der Natursteinfassade. Aber ansonsten gibt es am Zustand eines Baus, der fast dreißig Jahre »auf dem Buckel hat«, nichts auszusetzen.
Kultur und Sparzwang
In den 80er Jahren hatte sich die Stadt Kornwestheim bei Stuttgart – eine damals etwa 28 000, heute 33 000 Einwohner zählende Gemeinde – entschieden, sich einen Museumsneubau für die stadteigene Kunstsammlung zu gönnen. Die seit 1974 bestehende Galerie der Stadt Kornwestheim verfügte in ihren ersten Jahren zwar über kein eigenes Haus, konnte aber dennoch – begünstigt durch eine Schenkung aus dem Nachlass des Malers und Kunstprofessors Manfred Henninger (1894-1986) – in den 80er Jahren damit beginnen, eine Sammlung aufzubauen. 1987 wurde der hierfür ausgeschriebene Wettbewerb unter vier eingeladenen Büros entschieden. Der erstplatzierte Entwurf von Josef Paul Kleihues wurde realisiert und bereits 1989 eröffnet. Trotz eines engagierten Programms – man zeigte u. a. Joesph Beuys, Georg Baselitz und A. R. Penck – blieb die Besucherzahl weit hinter der Erwartung zurück. In der Zeit von 2000 bis 2003 wurde das Gebäude deswegen an ein Auktionshaus als Galerie verpachtet. 2003 wagte man den Neustart mit angezogener Handbremse: Der Auktionator Gert Nagel konnte im OG ein eigenes Privat-Museum für »bürgerliche Kunst und Kultur« führen – keine gute Idee, wie die 2003 bis Anfang 2018 für städtischen Ausstellungsbetrieb zuständige Irmgard Sedler im Rückblick meinte: man habe »ein Ausstellungsprofil in das Haus für moderne Kunst gebracht, das damit nicht vereinbar war.« [1] Seit dieser Wiedereröffnung firmiert es unter dem Namen »Museum im Kleihues-Bau«. Die Doppelbelegung war freilich nicht von langer Dauer. 2010 heißt es in einer Gemeinderatsvorlage für ein neues Museumskonzept: »Der Kleihues-Bau mit seiner ausgeprägt anspruchsvollen musealen Bauausrichtung fordert ein nuanciertes, wohl überlegtes Präsentationskonzept, da er eine Erwartungshaltung beim Publikum weckt, die nicht enttäuscht werden sollte. Daran sind die privaten Aussteller von 2000 bis 2003 gescheitert.« Seither wird die Sammlungs- und Ausstellungsaktivität um eine die Stadtgeschichte einbeziehende, kulturhistorische Sparte erweitert. So präsentiert sich das Museum bis heute – in diesem Sommer etwa mit Werken von HAP Grieshaber und Gert Fabritius in einer Kunstausstellung im EG, während im OG die Geschichte Kornwestheims während der NS-Zeit beleuchtet wird. 2017 noch musste das Museum die Diskussion überstehen, ob es zu Sparzwecken erneut an ein Auktionshaus verpachtet, oder gar in Teilen als Mensa für die benachbarte Schule dienen solle. Glücklicherweise hat sich der Gemeinderat dafür entschieden, den Museumsbetrieb weiterzuführen, wenn auch mit reduziertem Budget ausgestattet. Dass das Gebäude – noch keine 30 Jahre alt – kurz zuvor auf Initiative des Landesdenkmalamts unter Denkmalschutz gestellt worden war, mag das Verantwortungsbewusstsein des Rats gefördert haben. In seiner Würdigung betonte das Denkmalamt die hohe gestalterische Qualität und den sorgfältigen Entwurf des Baus, der von der Architektur bis ins Ausstattungsdetail reiche.
Beiläufige Rationalität
»Architektonische Konzeptionen« so hatte Kleihues einmal formuliert, »sollten sich weder beliebig in Verstand auflösen noch umgekehrt durch Verstand allein beim Entwerfen verschlüsseln lassen.« [2] Diese Spannung aus Rationalität einerseits und Emotion oder Subjektivität andererseits sowohl in Rezeption als auch im Entwurfsprozess ist bei Kleihues in einer Mischung aus strenger Geometrie und einem irrationalen Element aufgebaut. Dieses irrationale Element kann auch durch eine überbordende Rationalität erzeugt werden – etwa indem das Rationalität vermittelnde Element (z. B. ein Quadrat) einer Komposition derart häufig eingeschrieben ist, dass hieraus eine gänzlich eigenständige Wirkung entstehen kann. Ein solches zutiefst postmodernes Denken mag uns heute fremd sein, um sich jedoch von der Dominanz eines verengten und dogmatisch gewordenen Moderneverständnisses zu lösen, war diese reflektierende Beschäftigung mit der Sprache der Architektur nicht nur Therapie, sondern auch ein Weg zu neuen Ausdrucksmitteln. Die Gratwanderung zwischen Poesie und Bemühtheit gelingt freilich leichter, wenn sie mit Elementen kombiniert wird, die aus anderen Referenzsystemen entnommen sind und das rationale System durch Unregelmäßigkeit brechen. In Kornwestheim findet sich die rationale Komponente in einer Kombination aus geometrischen Formen – Halbkreis, Rechteck, Dreieck und Parallelogramm, die (nicht wahrnehmbar) einem Quadrat eingeschrieben sind. Diese Konzeption ergibt ein solch sinnfälliges Ganzes, dass sich diese geometrische Grundordnung nicht aufdringlich in den Vordergrund spielt. Zwischen Ausstellungstrakt, Eingangs- und Erschließungsbereich und dem in der Halbrotunde untergebrachten und separat erschließbaren Vortragsraum wurde eine sich nach oben verjüngende Treppe eingefügt. Dazu kommen eigensinnige formale Elemente: die spitz zulaufenden Sheds des oberen Saals, die weiß lackierten Stahlelemente mit großem rundem Loch, die strenge Ornamentik der Fassadenanker aus Edelstahl, mit denen die Platten aus – auch ansonsten in Kornwestheim vielerorts eingesetztem – Cannstatter Travertin befestigt sind.
»Das erwartet man in Köln«
Entwurfserfindungen im Innern wie der als Glaskasten in den Ausstellungsraum gedrehte Kassenbereich sorgen für Belebung und sind zudem praktisch: Die Person an der Kasse kann so auch Aufsichtsfunktionen übernehmen. Dieser Raum mag aus heutiger Sicht etwas klein dimensioniert erscheinen – die mittlerweile ausufernde Verkaufsaktivität war jedoch hier, wie auch in anderen Museen der 80er Jahre, noch nicht vorhergesehen worden.
Auch an anderen Stellen im Gebäude finden sich funktionale Gründe für den formalen Eigensinn. Allen voran die raffinierte Tageslichtführung der beiden übereinandergestapelten Ausstellungsräume: der obere erhält Licht durch die nach Norden gerichteten Sheds unter denen eine konvexe Lichtdecke angebracht ist, der untere, 400 m² messende, durch ein Oberlicht entlang der Längsseite im Osten unterhalb eines leicht nach innen gekippten Fensterbands im OG. Ein über beide Geschosse offener Bereich verbindet die beiden Ausstellungsebenen miteinander und sorgt dafür, dass der obere Galerieraum, 320 m² groß, nicht zu einem langen Schlauch wird.
Präsenz am Ort
Zum Museum gelangt man über einen großen Platz, der von der Innenstadt zu einem Park überleitet. Der markante Turm des Rathauses von Paul Bonatz (1935) befindet sich in Sichtweite. Der Kleihues-Bau liegt etwas zurückgesetzt und prägt so in nobler Zurückhaltung, aber durchaus als selbstbewusste Erscheinung, die Szenerie am Platz. Die Sheddächer, die weißen Stahlteile und die wenigen Fenster verleihen der hermetischen Präsenz des Museums eine maßstäbliche Griffigkeit, die es trotz aller Strenge zu keinem Moment monumental oder erzieherisch wirken lässt. Im Innern bewirkt v. a. die Sorgfalt von Lichtplanung, Raumkomposition und Funktionalität, dass sich die zeittypischen Details, wie etwa der Teppichboden, nicht in den Vordergrund drängen. Sorgfältige Detailplanung und Ausführung haben dafür gesorgt, dass bis heute nicht grundlegend saniert werden musste.
Und so ist man auch kaum überrascht, wenn die Museumsdirektorin Saskia Dams, erst seit Kurzem im Amt, von dem Gebäude schwärmt: »So etwas erwartet man in Köln.« Sie betont die Verknüpfung von räumlicher Qualität und guter Nutzbarkeit, wie z. B. bei der durchdachten Anlieferung von Kunstwerken oder den Präsentationsmöglichkeiten selbst für größere Skulpturen.
Wurde zur Eröffnung vom Ärger der Bürger über die Verschwendung der Steuergelder berichtet, sei das Museum heute »essentieller Bestandteil des Kulturangebots der Stadt Kornwestheim«, so die Oberbürgermeisterin Ursula Keck. »Dass das Museum im Kleihues-Bau nicht nur Kunst zeigt, sondern sich auch stadtgeschichtlichen Ausstellungen widmet, unterstreicht die Verankerung des Museums in der Kornwestheimer Bürgerschaft.«
Mit dem neuen Kultur- und Kongresszentrum, das seit 2013 den Vorgängerbau aus der Nachkriegszeit ersetzt, hat es ein dominantes Gegenüber bekommen, das die Bedeutung dieses »Kulturkarrees« stärkt. Die Feinfühligkeit des Kleihues-Baus freilich ist vom neuen Nachbarn nicht erreicht worden, sie ist dadurch jedoch umso besser wahrnehmbar.db, Di., 2018.09.04
04. September 2018 Christian Holl