Editorial

Angesichts der voranschreitenden Verdichtung des Städtischen wird der verbleibende öffentliche Raum immer kostbarer. Unterschiedliche Interessen von immer mehr Menschen – vom spielenden Kind und dem »chillenden« Jugendlichen über den sportbegeisterten Single und die picknickende Familie bis hin zum bewegungseingeschränkten Senior – treffen im Außenraum aufeinander. Und so gilt es bei nachhaltigen Planungen neben den speziell auf Zielgruppen ausgerichteten Angeboten, wie z. B. Spiel- und Sportplätzen, auch Bereiche vorzusehen, die eine Aneignung möglichst vieler verschiedener Bevölkerungsgruppen zulassen. In Zeiten zunehmender Vereinsamung können diese Stadträume – egal ob Straße, Park oder Platz – dazu anregen, den Blick vom Smartphone abzuwenden, um sowohl die Mitmenschen als auch den außergewöhnlichen Charakter eines ganz realen Orts jenseits der virtuellen Welten wahrzunehmen.

Um solch unverwechselbare Orte entstehen zu lassen, fällt den Planern die nicht einfache Aufgabe zu, die menschlichen Sinne anzusprechen und Geräusche, Ausblicke, Wegeverbindungen, aber auch die Historie und die Gedanken ihrer künftigen Nutzer zu einem vielschichtigen Erleben zu verweben. Entstehen auf diese Weise belebte, unverwechselbare und im besten Falle gar identitätsstiftende Außenräume, leisten sie, statt nur Abstand zwischen der Bebauung zu erzeugen, einen wesentlichen Beitrag zu einem funktionierenden Miteinander. Die beispielhaften Projekte, die wir in db 5/2018 ausführlich beleuchten, können das! | Martin Höchst

Grünes Wohnzimmer

(SUBTITLE) Lohsepark und denk.mal Hannoverscher Bahnhof in Hamburg

Mit dem Lohsepark in der Hamburger HafenCity haben Vogt Landschaftsarchitekten einen abwechslungsreich gestalteten grünen Stadtraum geschaffen, der sich als langes Band von Wasser zu Wasser erstreckt. Das integrierte denk.mal Hannoverscher Bahnhof erinnert an die Deportation von über 8 000 Juden, Sinti und Roma.

Was ist nicht schon alles über die Hamburger HafenCity gesagt und geschrieben worden. Über zu viel Grün hat sich dabei noch niemand beklagt. Umso größere Bedeutung kommt deshalb dem 2017 abschließend fertiggestellten Lohsepark zu. Die 4,4 ha große Parkanlage erstreckt sich als 550 m langes und 80 m breites Band vom Ericusgraben im Norden bis zum Baakenhafen im ­Süden und schafft eine markante grüne Fuge innerhalb des extrem dicht ­bebauten Umfelds. Die topografische Staffelung, der Wechsel von offenen Rasenflächen und Elementen des klassischen Landschaftsparks sowie die ­Integration unterschiedlicher Spiel- und Sportflächen schaffen dabei ein abwechslungsreiches und vielfältig nutzbares Gesamtgefüge, das sich ganz explizit an der Tradition des Hamburger Volksparks orientiert.

Staffeln

Mit der Planung des Projekts war 2010 nach einem internationalen Wettbewerb das Büro Vogt Landschaftsarchitekten mit Sitz in Zürich, London und Berlin beauftragt worden, das auch bereits die Außenanlagen am Hauptsitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt a. M. realisiert hat und das ­momentan an der Planung des Areals am Tacheles in Berlin beteiligt ist: »Um die vorhandenen Raumqualitäten der extrem schmalen Grundstücksfläche ­zwischen den bereits bebauten Abschnitten der HafenCity im Westen und den noch zu bebauenden Flächen in Richtung Osten und Südosten hervorzuheben, haben wir die Idee einer freigehaltenen Mittelzone entwickelt, die von ­einer differenzierten Baumbepflanzung an den Rändern flankiert wird«, beschreibt Architekt Günther Vogt einen der zentralen Planungsgedanken.

Entstanden ist dadurch eine freie Blickachse von Nord nach Süd: »Das Wasser ist zwar nicht von jedem Standpunkt aus sichtbar, prägt aber dennoch die Raumwirkung«, so Günther Vogt. »Denn die offenen Wasserflächen durchbrechen die dicht bebaute Fassadenlandschaft und bringen ausreichend Licht und Luft in den Park.« Begleitet wird das Konzept von einer präzisen räumlichen Staffelung der Parkfläche in drei Höhenstufen: »Die in den meisten Bereichen ausgeführte Parkebene von 6,50 müNN fungiert dabei als Vermittler zwischen dem historischen Niveau von 5,50 müNN und der neuen, hochwassergeschützten Stadtebene von 8,00 bis 8,50 müNN«, erklärt Günther Vogt. Umgesetzt wird die Idee u. a. durch die vier an den Längsseiten eingefügten »Bastionen«, die als klar gefasste Landmarken und vielfältig nutzbare Terrassen das Stadt­niveau in den tiefer liegenden Park schieben und eine barrierefreie Erschließung über Zugangsrampen ermöglichen. Der projektspezifisch für die Brüstungen der Bastionen entwickelte, aus einer Wabenstruktur abgeleitete Klinkerformstein unterstreicht dabei den Wunsch nach Transparenz und Offenheit. Die Planer gestalteten außerdem eine langgestreckte Sitzbank aus mit­einander verbundenen Einzelstühlen, die sich je nach Einsatzort flexibel formen lässt und die auch bei Steigungen eine ebene Sitzfläche bereitstellt.

Ergänzt wird das Konzept durch drei »Follies«, die als Elemente des traditionellen Landschaftsparks das klassische Erscheinungsbild der Grünanlage ­unterstützen.

Neben einem Säuleneichenhain als Umgrenzung eines Streetball-Felds und einem kleinen Wald aus bekletterbaren Hainbuchen findet sich darunter auch eine »Umzäunte Wildnis« – ein kleiner »Urwald«, der als ­Experiment sich selbst überlassen werden soll. Bereichert wird das Pflanzkonzept durch Gehölze wie Lederhülsenbäume sowie durch Obstbäume in historischen Sorten, die frei geerntet werden können. Eine Bewohnerinitiative kümmert sich engagiert um die Bewirtschaftung der Bäume.

Verbinden

Als große Herausforderung bei der Planung des Projekts erwies sich die Einbindung der beiden Stirnseiten des Parks, die durch die viel befahrene Überseeallee im Süden bzw. die Stockmeyerstraße im Norden vom sonstigen Park abgetrennt werden.

Vergleichsweise einfach gestaltet sich die Situation in Richtung Ericusgraben, wo die durchgehende Blickachse in Richtung des am gegenüberliegenden Ufer aufsteigenden Ericus-Contor mit seiner markanten Torsituation eine offene Verbindung zwischen Nord und Süd schafft. Jenseits der Stockmeyerstraße trifft der Blick hier überraschend auf eine sanft abfallende Uferböschung aus Gräsern, Stauden, Röhricht und Schilf, die als ökologische Ausgleichsfläche einen gelungenen Kontrast zu den sonst mit Kaimauern gefassten Gewässern des Tidehafens schafft.

Deutlich urbaner präsentiert sich der südliche Abschnitt des Lohseparks,
der ebenso wie die direkt angrenzende HafenCity Universität bereits 2013 ­fertiggestellt worden war. Um trotz der verkehrsreichen Überseeallee einen möglichst organischen Übergang in Richtung Baakenhafen zu erreichen, ­haben die Planer mehrere Bäume auf der Mittelinsel der Überseeallee ­gepflanzt und die ansteigende Topografie des Parks weitergeführt. Der ­Brückenschlag ist ­damit fraglos gelungen, die Durchtrennung der Parkfläche bleibt aber zwangsläufig bestehen. Als zentrales Gestaltungselement integrierten die Planer außerdem eine große Freitreppe in Richtung Wasser, die den ­Höhenunterschied von 3 m zwischen Stadtebene und Uferpromenade überbrückt und gleichzeitig auch als vielfältig nutzbare Sitzgelegenheit und ­Tribüne fungiert: »Je nach Wetter können Passanten und Studierende so ganz entspannt den Sonnenuntergang über der Elbe erleben oder den regelmäßig hier stattfindenden Tanzveranstaltungen beiwohnen«, so Projektleiter ­Johannes Hügle.

Hier wie an sämtlichen anderen Stellen legten die Planer Wert auf charakteristische Materialisierungen. Ein schönes Detail ist z. B. der für die Freitreppe sowie für die angrenzende Rampenanlage verwendete Kolumba-Ziegel, der mit seinem extrem schlanken Format einen modern interpretierten Bezug zur backsteinernen Speicherstadt schafft. Einen ebenso deutlichen Bezug zum Standort zeigt das durchgehend verwendete, im Hafengebiet auch sonst überall vorhandene und überaus robuste historische Großsteinpflaster, das hier für eine verbesserte Begehbarkeit allerdings geschnitten wurde.

Um den Park zu einem »Volkspark« mit hoher Akzeptanz werden zu lassen, wurde das Projekt von Beginn an durch verschiedene Bürgerbeteiligungs­verfahren begleitet. Dabei führten die Landschaftsarchitekten auch Workshops mit Kindern durch. Ein direktes Ergebnis dieses engen Austauschs ist die 2 000 m² große, auch von den angrenzenden Kitas genutzte Kinderspielfläche. Um den Wunsch der Kinder nach Versteckmöglichkeiten aufzugreifen, entwickelten die Planer hier u. a. ein kleines Hüttendorf aus geflochtenen ­Linden. Angrenzend findet sich außerdem eine begehbare Grotte, die mit ­ihren übereinander geschichteten Ebenen aus Stampfbeton und eingearbei­teten Intarsien wie Torf, Geröll, Kiesel, Lehm oder Glas subtil das auch sonst für den Park bestimmende Thema der Topografie aufgreift.

Erinnern

Ein integraler Bestandteil des Parks ist der Lohseplatz mit seinen alten Bestandsbäumen und dem angrenzenden denk.mal Hannoverscher Bahnhof. Um einen Ort der Erinnerung an die über 8 000 Juden, Sinti und Roma zu schaffen, die zwischen 1940 und 1945 von hier aus deportiert wurden, zeichnet eine durch prismenartig gefaltete Stützwände begrenzte Fuge den ehemaligen Gleisverlauf nach und verbindet den Lohseplatz als Teil des ehemaligen Bahnhofsvorplatzes quer durch den Park mit dem historischen Bahnsteig. Dort angelangt schaffen 20 Betonwerksteintafeln mit den in Glas eingelassenen Namen der Deportierten sowie ein großer Gedenktisch einen würdevollen, gemeinsam mit Opferverbänden und Hinterbliebenen entwickelten Gedenkplatz. Verstärkt wird die besondere Atmosphäre des Orts durch eine vermeintlich ungeplante Vegetation aus Birken, Robinien und Wildrosen – Pioniergehölzen also, die sich üblicherweise auf Gleisschotterflächen verbreiten.

Trotz seiner vielfältigen stadträumlichen, sozialen und ökologischen Funktionen wirkt der Lohsepark nirgends überfrachtet, sondern überzeugt durch seine betont großzügige Gestaltung, die Kinder, Sportler, Radfahrer oder Flaneure gleichermaßen anspricht und die für ein harmonisches Miteinander ausgewiesene Bereiche für die unterschiedlichen Gruppen vorsieht. Auch der Gedenkort bleibt ganz bewusst ein optionales Angebot, das die sonstigen, eher heiteren Nutzungen nicht überlagert. Die klare Formensprache einerseits und die charakteristischen Details und Materialisierungen andererseits – ergänzt durch eine subtil eingesetzte funktionale Beleuchtung mit einfachen Bodenleuchten, Lichtstelen und Pendelleuchten –, lassen dabei eine spezifische Atmosphäre entstehen, die gelassen zwischen Ruhe und urbaner Lebendigkeit changiert. Kein Wunder also, dass der Park inzwischen nicht nur von den Anwohnern, sondern auch von Hamburgern anderer Stadtteile gerne als Treffpunkt genutzt wird; als grünes Wohnzimmer inmitten der sonst so dicht ­bebauten HafenCity.

db, Mi., 2018.05.02

02. Mai 2018 Robert Uhde

Park mit Schleife

(SUBTITLE) Victor-Hugo-Park in Utrecht (NL)

Eine nur 3 ha große Grünanlage zwischen der Innenstadt von Utrecht und dem Neubaugebiet Leidsche Rijn nimmt seit 2017 eine Schule und eine schwungvolle Rampe zu einer Fahrradbrücke auf. Dem Planerteam ist es erstaunlich gut gelungen, die erforderlichen Funktionen auf engem Raum zu verbinden und dadurch möglichst viel Parkfläche zu erhalten.

»Mehrfache Raumnutzung« (meervoudig ruimtegebruik) ist ein oft gehörtes Stichwort in den Niederlanden. V.a. im Ballungsraum Randstad, der mit über 900 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den dichtest besiedelten Regionen der Welt gehört, herrscht chronischer Platzmangel. Da bleibt nur, Funktionen zu stapeln oder miteinander zu verschränken. So entstanden in der Region ­innerhalb der letzten Jahre u. a. ein Strandboulevard mit integrierter Park­garage, ein Park auf einem Einkaufszentrum, das auch als Deich fungiert, ein Sportplatz mit Regenwasserrückhaltebecken – und schließlich eine Schule mit Fahrradrampe auf dem Dach, eingepasst in den kleinen Victor-Hugo-Park in Utrecht.

Die Dafne-Schippers-Brücke, benannt nach einer niederländischen Leichtathletin, liegt westlich der Innenstadt von Utrecht und verbindet den Stadtteil Oog in Al mit dem Neubauviertel Leidsche Rijn. Sie führt über den Amsterdam-Rheinkanal, eine der wichtigsten Binnenschifffahrtsrouten der Niederlande. Während Oog in Al ein ruhiges, grünes Wohnviertel aus den 30er Jahren ist, handelt es sich bei Leidsche Rijn, das jenseits des Kanals liegt, um das derzeit größte Neubaugebiet der Niederlande. Bis 2030 sollen dort auf einer Fläche von 2 500 ha insgesamt 100 000 Menschen wohnen – in einem Meer aus Reihenhäusern, unterbrochen von höherer Wohnbebauung entlang der Hauptstraßen. Um zu vermeiden, dass all diese Vorstadtbewohner mit dem Auto in die enge Innenstadt pendeln, bedurfte es einer neuen Fahrradverbindung über den Kanal. In Utrecht ist fahrradgerechte Planung ein großes Thema, denn wenngleich die Amsterdamer Fahrradkultur international viel bekannter ist, profiliert sich die viertgrößte Stadt des Landes gerne als Fahrradhauptstadt. Im »Copenhagenize Index 2017« belegt Utrecht den zweiten Platz – selbstverständlich hinter Kopenhagen, aber einen Platz vor Amsterdam.

7000 pro Tag

Zwar gab es bereits zwei Brücken über den Kanal, die auch für Radler freigegeben sind, aber sie bieten keinen direkten Anschluss an die Innenstadt, ­liegen in einem Abstand von zwei Kilometern voneinander entfernt und sind obendrein stark befahrene Autobrücken.

Schon in den ersten städtebaulichen Plänen für Leidsche Rijn, die 1995 entstanden, wurde deshalb der Victor-­Hugo-Park als »Anlandepunkt« einer Fahrradbrücke auserkoren, denn er befindet sich direkt am Kanal, auf halber Strecke zwischen den beiden bestehenden Brücken. Außerdem ließ sich von diesem Standort aus ein ebenerdiger Fahrradweg in beinahe gerader Linie zum Hauptbahnhof führen, wodurch sich die Entfernung von Leidsche Rijn in die Innenstadt um etwa einen Kilometer verkürzt. Wenn der neue Stadtteil fertiggestellt sein wird, sollen davon schätzungsweise 7 000 Radfahrer pro Tag profitieren.

Und genau das war anfänglich das Problem.
Umstanden von Wohnblöcken aus den 30er Jahren war der Victor-Hugo-Park vor seiner Umgestaltung eine etwas vernachlässigte Grünfläche mit einem Schulgebäude aus den 50er Jahren, dessen Pausenhöfe in den Park integriert waren. Die Außenraumgestaltung bestand aus einer Rasenfläche, einigen Bäumen und einer (noch immer vorhandenen) zierlichen Bronzeskulptur ­einer Hirschkuh. Bei den Anwohnern stieß die Vorstellung, dass ihr Park ­einer riesigen Brückenzufahrt geopfert und obendrein zur Durchgangszone für tausende Radfahrer täglich werden würde, auf wenig Gegenliebe. Auch die konservativen und sozialistischen Parteien im Stadtrat waren dagegen, denn sie hielten die bestehenden Brücken für ausreichend. Letztlich wurden sie­­­­ jedoch von den Grünen und Linksliberalen, die die Mehrheit im Stadtrat haben, überstimmt. Zum Projekt, das insgesamt 25 Mio. Euro gekostet hat, gehörte neben der neuen Brücke und Außenraumgestaltung auch der Abriss des bestehenden Schulgebäudes sowie der Neubau einer Montessori-Grund­schule sowie 15 neue Reihenhäuser an der Südseite des Parks. Da die Fahrradverbindung aufgrund des Schiffsverkehrs in 7 m Höhe über den Kanal geführt werden musste, entstand die Idee, die neue Schule in Teilen darunter zu schieben und so den Flächenverbrauch zu minimieren.

Besänftigt

Die Europäische Ausschreibung gewann ein Team aus dem etablierten Architekturbüro Rudy Uytenhaak + Partners Architecten gemeinsam mit dem jüngeren Büro Next Architects, dem Ingenieursbüro Arup und den Landschaftsarchitekten von Bureau B+B. Alle beteiligten Planer hatten bereits zuvor erfolgreich zusammengearbeitet, wenngleich auch in anderen Konstellationen. In der Vorentwurfsphase arbeiteten sie das Projekt gemeinsam aus und teilten erst danach die einzelnen Aufgabenbereiche untereinander auf. Einzig die Reihenhäuser gehörten nicht zum Projektumfang und wurden später von ­einem anderen Architekturbüro realisiert. Die Anwohner und die Schul­leitung wurden bereits früh in die Planung einbezogen. Es wurden mehrere Informationsabende veranstaltet und Arbeitsgruppen zusammengestellt. Nach der Präsentation des Vorentwurfs waren die Anwohner etwas besänftigt und leisteten weniger Widerstand gegen das Projekt, im Wissen, dass ihr Park nicht völlig verschwinden würde.

Die weiße, stählerne Hängebrücke selbst, zu der die Rampe durch den Park führt, überspannt 110 m und entfaltet v. a aufgrund ihres nur 30 cm dicken Brückendecks eine filigrane Wirkung. In Leidsche Rijn wird der Überbau von einem A-förmigen Pylon getragen, in Oog in Al von einem niedrigeren, H-förmigen Pylon, der an den Maßstab des Wohnviertels anknüpft. Der gesamte Radweg ist, wie in den Niederlanden üblich, rot asphaltiert – wobei das Rot hier besonders kräftig ausgefallen ist und eher an eine Leichtathletikbahn erinnert. Der Grund ist, dass die Brücke auch als Laufstrecke gedacht und mit entsprechenden weißen Abstandsmarkierungen versehen ist.

Schwungvoll

Die Brückenzufahrt liegt sehr prominent an der Südseite des Victor-Hugo-Parks. In Utrecht ist sie bereits als »Korkenzieher« bekannt, denn um den ­Höhenunterschied für Radler kräftesparend zu überbrücken, führt sie in einer schwungvollen Mäanderbewegung in die Höhe. Ihre Steigung beträgt ­zwischen 2,56 % und 4,05 %. Als große Schleife umfasst sie einen runden ­Basketballplatz mit einer halbrunden Bank, der auf Wunsch der Anwohner hier (anstatt, wie zunächst geplant, mitten in der Grünanlage) angesiedelt wurde. Danach führt der Radweg über eine Brücke, die für den Schulhof ­darunter als Torsituation auf dem Weg zum Schuleingang fungiert, und schließlich über das Dach des niedrigeren Bauteils der Schule, bevor er in ­einem rechten Winkel nach Westen abknickt und in die Brücke übergeht.

Die beiden Bauteile der Grundschule sind mit abgerundeten Ecken sowie ­einer Fassade aus bunt melierten Klinkern versehen. Der niedrigere nimmt die Turnhalle auf. Der höhere, zweigeschossige Bauteil, in dem sich die Aula und je zwei Spiel- und Klassenzimmer befinden, begrenzt Park und Schulhof zum Kanal hin. Während das Dach des Hauptbaus 109 Solarpaneele, oberhalb einer extensiven Begrünung, aufnimmt, dient das Dach der Sporthalle ‒ von der Brücke aus begehbar ‒ als Schulgarten.

Lerneffekt

Der kleine Victor-Hugo-Park selbst zeigt sich als geometrisch geformte Landschaft, in der die Rasenflächen in Richtung der Brückenzufahrt ansteigen, von zwei Fußwegen durchkreuzt und von zwei großen Lichtmasten beleuchtet. Zum Basketballplatz hin fällt der »Rampenhügel« in Form eines terrassierten Amphitheaters ab. Die kniehohen Mäuerchen mit Abdeckungen aus Betonfertigteilen, die den Radweg von den Rasenflächen abgrenzen, bestehen aus denselben Klinkern wie die Schulfassade. Die »niederländisch steile« Betontreppe wiederum, die Fußgängern als direkter Zugang zur Brücke dient, verweist mit ihren weißen, metallenen Geländern deutlich auf die Gestaltung der im weiteren Wegeverlauf folgenden Brücke.

Für den Bau der Brückenzufahrt und der Schule mussten einige bestehende Bäume weichen, aber zur großen Freude der Anwohner wurden sogar mehr Bäume neu gepflanzt als zuvor gefällt wurden. Da der vormalige Baumbestand kein ausgeprägtes Blütenbild aufwies, entschieden sich die Landschaftsarchitekten von Bureau B+B bei den Neupflanzungen für Magnolien.

Im Ergebnis ist mit dem Projekt eine in ihrer funktionalen Vielfalt erstaunlich kohärente Außenraumgestaltung als Synthese aus Architektur und Landschaftsarchitektur gelungen.

Für Radfahrer ist es ein echtes Erlebnis, von der Brücke in einer schwungvollen Bewegung ­herabzurollen, über die Schule hinweg und an spielenden Kindern vorbei. Zwar ist die Brückenzufahrt mehr als dominant, dient zugleich aber auch als identitätsstiftendes Element. Mit ihrer großen Schleife umarmt sie den Schulhof und das Basketballfeld und wirkt geradezu beschützend. Ob die kleinen Mäuerchen zwischen Rasen, Schulhof und Radweg deutschen Sicherheitsvorschriften genügen würden, ist zweifelhaft. Auf die Frage, ob nicht die Gefahr bestehe, dass Kinder beim Spielen auf den Radweg rennen, antwortet eine Lehrerin mit niederländischem Gleichmut: »Dass sie das nicht tun sollten, lernen sie schnell genug.«

db, Mi., 2018.05.02

02. Mai 2018 Anneke Bokern

Heinrich-Böll-Platz / Ma’alot in Köln

Es ist derselbe Ort: Ob man ihn nun Heinrich-Böll-Platz oder Ma’alot nennt, hängt davon ab, ob man den öffentlichen Raum oder das Kunstwerk meint. So prägnant sich die Platzgestaltung zwischen Dom und Rhein zeigt, so kostspielig gestaltet sich ein schon seit der Fertigstellung bestehender Nutzungskonflikt.

1975, genau fünf Jahre nach der Fertigstellung der Domplatte (Fritz Schaller), lobte die Stadt Köln einen Ideenwettbewerb aus, um das seit dem Krieg bestehende Vakuum zwischen dem schroff abgeschnittenen Domhügel und dem Rheinufer mit geballter Kultur zu füllen. Gleich zwei Museen und ein Konzertsaal sollten es sein, eine gewaltige Baumasse, die nicht nur ein Haus für das Schöne und Erhabene sein würde, sondern auch ein hochkomplexes Infrastrukturbauwerk, mit dem Höhen überwunden und neue Wegeverbindungen geschaffen werden sollten. Peter Busmann und Godfrid Haberer, die jungen Kölner, reichten einen Entwurf ein, der sich so forsch über die Ausschreibung hinwegsetzte, dass sie gleich in der ersten Runde ausschieden. Doch auf Betreiben des damaligen Dombaumeisters Wolff wurde ihre Arbeit zurück in das Verfahren geholt, und schließlich mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Ihr städtebaulicher Ansatz war es, den Rheinufertunnel bis unter die Hohen­zollernbrücke zu verlängern, wodurch eine fußläufige Anbindung der Uferpromenade an den Domhügel möglich wurde. Das Bauvolumen ordneten sie als Einzige so auf und im verlängerten Domhügel an, dass es in seiner Mitte einen Freiraum und in dessen Verlängerung wiederum eine Sichtachse auf den Domchor ausbildet.

Haus, Stadt, Kunst

1986 wurde der Komplex, bestehend aus Wallraf-Richartz-Museum, Museum Ludwig und Kölner Philharmonie, eröffnet. Trotz zahlreicher Änderungen, die der Entwurf seit dem Wettbewerb erfahren hatte, wurde der ursprüngliche Grundgedanke, kein Gebäude zu entwerfen, sondern die Stadt fortzuschreiben, auf sehr unmittelbare Weise umgesetzt.

Busmann + Haberer knüpften an die mittelalterliche Struktur an und rückten nah an den Domchor und das Römisch-Germanische Museum (Heinz Röcke, Klaus Renner 1974) heran, um Gassen, Passagen und Plätze auszubilden und so den Neubau kleinteilig und durchlässig erscheinen zu lassen. Während die Domplatte durch einen Belag aus hellem Granit nobel wirkte, setzten Busmann + Haberer mit roten Ziegeln auf Kontrast. Nicht nur die Fassaden, auch sämtliche befestigten ­Außenflächen sind mit dem kleinteiligen und vergleichsweise alltäglichen Material bekleidet bzw. belegt – durchaus als Zeichen des herrschenden ­Zeitgeists dafür, die Hochkultur breiteren Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen.

Wesen der Bewegung

Aus dem eher spielerisch angelegten Wettbewerbsentwurf war nach vielen Zwischenstadien eine deutlich aufgeräumtere Struktur geworden, eine schmale Gasse in der Achse des Domchors teilt das Museum in zwei Baukörper. Der kleinere, in dem sich die Restaurierungswerkstätten befinden, schirmt den Komplex zur Bahntrasse hin ab. Richtung Rheinufer springt der große Museumsflügel so weit zurück, dass ein an drei Seiten baulich gefasster Platz entsteht, der mit einer breiten Treppe zum Rhein hinunterführt. Hier nur eine städtische Grünanlage anzubieten, genügte den Architekten nicht: In diesem Außenraum, an dessen Gestaltung auch der Landschaftsarchitekt Hans Luz beteiligt war, sollte nicht das Sich-Niederlassen, sondern die Bewegung im Vordergrund stehen. An diesem Punkt kam der 1933 in Tel Aviv geborene Künstler Dani Karavan ins Spiel, dessen begehbare Skulpturen bei der documenta 6 (1977) für Aufsehen gesorgt hatten. Karavan setzte sich intensiv mit der komplexen Morphologie des Entwurfs und der Topografie des Domhügels auseinander und fügte schließlich Ziegelsteine, Granit, Eisenbahnschienen, Gusseisen, Rasen und Bäume zu einem 5 000 m² großen »Environment für das Wallraf-Richartz-Museum/Museum Ludwig in Köln« zusammen. Mit den Materialzitaten stellte er unmittelbare Bezüge her, zum Bahnhof, zum Dom, zum Museum, zum Fluss. Zwei in der Platzfläche verlegte Schienen laufen parallel in Ost-West-Richtung und führen die Besucher über den Platz. Während die eine 118,5 m lang in einem Granitband liegt und vom Domchor auf den 10,8 m hohen Stufenturm aus dunklem Gusseisen und ­hellem Granit führt, beginnt die andere im Zentrum einer leicht aus der Platzfläche gehobenen kreisförmigen Plattform genau über dem Mittelpunkt des Konzertsaals der Philharmonie und führt die Treppen hinunter zum Rheinufer. Der sehr formalen geometrischen Gestaltung liegt eine strenge Zahlenlogik zugrunde, die wiederum auf dem Achsmaß der Museumsfassade von 90 cm basiert. Als Passant folgt man den Markierungen im Bodenbelag ganz unwillkürlich so lange, bis ein Element des Environments den Weg verstellt und einen zum Richtungswechsel zwingt.

Dani Karavan nannte sein Environment Ma’alot und implementierte mit dem hebräischen Wort für Stufen oder Aufstieg die gewünschte Bewegung nicht nur in die Gestaltung, sondern auch in den Namen. Die mit Lavendelbeeten und Rampen skulptural angelegte Treppenanlage setzt Kommende und ­Gehende mit großer Geste in Szene. Erst aus der Vogelperspektive jedoch zeigt sich, dass der gewundene Anstieg sogar die Silhouette der Domtürme nachzeichnet.

Häufig wird Ma’alot als Holocaust-Mahnmal interpretiert. Hinweise dafür finden sich nicht nur in den verwendeten Bildern und Materialien des ­Environments, sondern auch in der Biografie des Künstlers. Karavan, der auch explizit politische Werke geschaffen hat, überlässt die Auslegung bei Ma’alot dem Empfinden des Betrachters.

Fest oder lose

Die beiden Identitäten des Orts zwischen Dom und Rhein – auf der einen ­Seite als städtischer Platz und auf der anderen Seite als Kunstwerk – sind ihm fast zum Verhängnis geworden: Als öffentlicher Raum muss er funktionieren, sicher und zugänglich sein, für Kunstwerke hingegen gelten diese Regeln nicht. Zwei große Problemstellungen galt und gilt es zu lösen, damit der Platz auch in Zukunft seiner Bestimmungen gemäß genutzt werden kann: Viele Stunden täglich, wenn im Konzertsaal unterhalb Proben oder Konzerte der Philharmonie stattfinden, darf der größte Teil der Platzfläche nicht betreten werden: Die fugenlos vergossene Decke verstärkt jedes Geräusch wie eine Trommelmembran und überträgt insbesondere das Rattern von Rollkoffern und Skateboards in den darunter liegenden Konzertsaal. Dieser Konstruktionsfehler entstand aus der großen Sorge, das Eindringen von Feuchtigkeit durch die Decke mit allen Mitteln zu verhindern. Für 6 Mio. DM, so eine Studie der Uni Stuttgart, hätte man unmittelbar nach Feststellung des Mangels, die Decke entfernen und durch einzelne voneinander entkoppelte Deckensegmente ­ersetzen können. Doch der Stadt fehlten nach dem Kraftakt des Museumsbaus die Mittel. Rund 170 000 Euro verschlingt die Bewachung des temporär abgesperrten Platzbereichs jedes Jahr, und so hätten sich die Kosten der nicht durchgeführten Deckensanierung schon längst amortisiert.

Obschon das Environment als Kunstwerk im Katalog des Museum Ludwig inventarisiert ist, gilt dafür die Verkehrssicherungspflicht des Amts für Straßen und Verkehrstechnik. Unter der starken Beanspruchung, insbesondere dem unerlaubten Befahren mit schweren Reinigungsfahrzeugen, hatte die Platzoberfläche über die Jahre hinweg massiv gelitten.

Gebrochene Granitplatten und herausstehende oder fehlende Ziegel wurden besonders in der von Fußgängern und Radfahrern stark frequentierten Verbindung zwischen Roncalliplatz und Hohenzollernbrücke zu gefährlichen Stolperfallen.

Karavan hatte die kleinformatigen Klinker im Sandbett verlegen lassen, Gras und Moos hätten Halt geben sollen. Für eine dauerhafte Lösung wollte die Stadt jedoch die Platzoberfläche bei der nötigen Sanierung fest mit Mörtel verfugen lassen. Es regte sich Widerstand; Künstler und Architekten forderten in die Reparaturmaßnahme einbezogen zu werden, unterstützt von der Initiative »BürgerInnen für Ma’alot«. Nach Jahren des Verhandelns und einigen von der TH Köln durchgeführten technischen Studien wurde mit der kostspieligen Sanierung begonnen: Granitplatten wurden aufgenommen und neu verlegt, gebrochene Exemplare ersetzt. Auf einer Fläche von 2 500 m² wurden die Ziegel vollständig durch einen nun 8 statt 5 cm hohen Stein ersetzt, der sowohl durch die größere Höhe als auch die eingesetzten Fugenkreuze – selbst in ungebundener Verlegung – ausreichende Stabilität aufweisen soll. Im April 2016 wurde schließlich die Sanierung nach 18 Monaten vorwiegend nächtlichen Arbeitens abgeschlossen.

Nur durch das Engagement einzelner Bürger sieht der Heinrich-Böll-Platz heute wieder so aus wie zu seiner Eröffnung 1986. Gelegentlich finden Tanz-Performances statt, die an das Wesen der Bewegung dieses immer wieder in Teilen stillgelegten Orts erinnern. Die Achse zwischen Hohenzollernbrücke und Domchor, die nicht unmittelbar von den akustischen Problemen betroffen ist, wird heute allerdings so stark frequentiert wie wohl noch nie zuvor: von Reisenden, Touristen und Pendlern – viele davon mit Rollkoffern. Und es ist interessant zu beobachten, wer von ihnen den Koffer über die Ziegel ­rattern lässt und wer sich für die glatte Granitspur entscheidet.

db, Mi., 2018.05.02

02. Mai 2018 Uta Winterhager

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