Editorial

Bauen für Kinder
Die Kinder seien unsere Zukunft heißt es immer wieder aus allen politischen Lagern. In Anbetracht zahlloser Übergangslösungen in Form gestapelter Container und angesichts maroder Bausubstanz von Kitas und Schulen scheint dieser im Grunde selbstverständliche Gedanke beim Bauen für Kinder nur selten wirklich ernstgenommen zu werden. Unübersichtliche Zuständigkeiten, träge Verwaltungsapparate, beschränkende Baurichtlinien, mutlose Pädagogen, desinteressierte bzw. überfürsorgliche Eltern und nicht zuletzt auch desillusionierte Planer erschweren zukunftsfähiges Bauen für Kinder. Oft werden selbst die seit Jahren bewährten Empfehlungen – wie z. B. zusätzliche nicht zweckgebundene Flächen vorzusehen und ein Mindestmaß an Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde pädagogische Konzepte zu gewährleisten – nicht berücksichtigt.
Trotz aller Widrigkeiten gibt es die raren Ausnahmen von der Regel: Kitas und Schulen, bei denen das kooperative Engagement der am Bau Beteiligten statt schlechter Kompromisse anregende Lebensräume für Kinder hervorbringt. Auf den folgenden Seiten beleuchten wir ausführlich einige dieser erfreulichen Projekte. | Martin Höchst

Lustvolles Lernen

(SUBTITLE) Gymnasium in Wien (A)

Das neue Gymnasium, in der Seestadt Aspern im Nordosten Wiens steht beispielhaft für die gelungene räumliche Umsetzung weiterentwickelter pädagogischer Konzepte. Die leichtfüßig anmutende und vielfältige Gestaltung von fasch&fuchs.architekten bietet die besten Voraussetzungen dafür, dass sich Schüler und Lehrer hier wohlfühlen.

»Ein Meilenstein in der Entwicklung des österreichischen Schulbaus«, hat Christian Kühn im Sommer letzten Jahres in der Tageszeitung Die Presse geschrieben.

»fasch&fuchs.architekten haben für die Seestadt Aspern ein Gymnasium entworfen, das Optimismus und Pioniergeist verströmt.« Beim Vororttermin mit der Schuldirektorin des Gymnasiums steht die gläserne Tür ihres Arbeitszimmers offen. Silvia Böck sitzt an ihrem Schreibtisch, lächelt strahlend und meint: »Es stimmt schon, was da in der Zeitung geschrieben stand. Das hier ist die schönste Schule Wiens.«

Der Bildungscampus in der Seestadt Aspern – Satellitenstadt im Nordosten Wiens und eines der großen Vorzeigeprojekte der Wiener Stadtregierung – ist das Resultat eines offenen, einstufigen Realisierungswettbewerbs, der Anfang 2013 entschieden wurde. Das ungewöhnliche pädagogische Raumkonzept, das hier umgesetzt wurde, war bereits Bestandteil der Ausschreibung und sollte die teilnehmenden Architekten dazu anspornen, einen neuen Schultypus zu entwickeln.

»Wir haben ganz schön große Augen gemacht, als wir die Ausschreibung gelesen haben. Das hat nach einem richtig großen Schritt in der Entwicklung der Schulpädagogik geklungen«, sagt Hemma Fasch. Das Wiener Architekturbüro fasch&fuchs.architekten, das sie zusammen mit ihren beiden Partnern Jakob Fuchs und Fred Hofbauer leitet, konnte sich im Wettbewerb gegen seine Mitstreiter durchsetzen. Beflügelt von der Herausforderung einer derart anspruchsvollen Aufgabe setzten die engagierten Architekten ihre Planung ohne große Abstriche um.

Albino-Rochen oder Schlossgespenst

Von außen betrachtet sieht das Schulgebäude auf den ersten Blick wie eine flache Flunder aus oder vielleicht auch wie ein nach Osten schwimmender Albino-Rochen mit zwei seitlich nach hinten abzweigenden Schwänzen – den beiden Gartentreppen, die zugleich als Fluchtwege dienen.

Während die Fassade im EG robuste Materialien wie Glas und vorgehängte Betonfertigteile prägen, sind den beiden ebenfalls großzügig verglasten OGs an der Nord-, Ost- und Südfassade zusätzlich Balkone vorgelagert, die wiederum von einer weißen, perforierten Membran verhüllt werden. Das textile Material ist leicht transluzent und lässt, je nach Sonnenstand, die dahinterliegenden Bauteile als tanzende Schatten durchschimmern ‒ während der Pausen noch ergänzt durch die Silhouetten spielender Kinder. Die Membran dient nicht nur als Beschattungsmaßnahme für die dahinterliegenden Fenster und Balkone, sondern auch als weiche, emotionale Grenze zwischen Innen- und Außenraum. Die Balkone sind so konzipiert, dass sie in der warmen Jahreszeit als Lernraum-Erweiterung dienen können. Bei Bedarf lassen sich die ausgesparten Bereiche der leichten Hülle in derselben Materialität schließen. Dann verunklärt sich das Haus im Nu zu einer Art Schlossgespenst. Keine unangenehme Geste in dieser noch im Entstehen begriffenen Satellitenstadt, in der die meisten Bauwerke mit knalligen Farben und mehr oder weniger gelungenen Fassadengestaltungen um die Gunst der Betrachter ringen.

Wohnzimmer und Loft

Sobald man das Haus an der Nordseite betreten hat, spürt man eine gelungene Mischung aus Exponiertheit und Geborgenheit. Vor einem eröffnet sich ein riesiges, dreigeschossiges Atrium, hell und lichtdurchflutet, mit freundlichen Farben und einer so großen Luftigkeit und Leichtigkeit, dass man Lust verspürt, tief durchzuatmen und neugierig um sich zu blicken. Die Verwandtschaft mit der Architektur der Hellerup-Schule in Kopenhagen, jenem Best-Practice-Projekt von Arkitema Architects, das seit seiner Errichtung 2011 als eine Art heiliger Gral des pädagogischen Bauens gilt, ist nicht von der Hand zu weisen.

Das rege Treiben für das die zentrale Halle ausgelegt ist, hat sich indes noch nicht eingestellt. Da das Haus im Schuljahrestakt jeweils ausschließlich mit den Klassen der Eintrittsklassenstufe belegt wird, werden hier derzeit nur rund 50 Schüler unterrichtet. Im Herbst werden vier neue erste Klassen dazukommen und in acht Jahren schließlich wird das Schulhaus voll ausgelastet sein. Dann werden hier jeden Tag bis zu 1100 Schüler und rund 120 Lehrer ein- und ausgehen. Bis dahin soll das Gebäude auch als temporäres Ausweichquartier für all jene Wiener Schulen genutzt werden, die von größeren Umbaumaßnahmen betroffen sind.

Die lang gestreckte Halle mit Sheddach bietet auf den ersten Blick eine gute Übersicht und unterstützt so die Orientierung. Die breite Sitztreppe wird wohl so manches Mal als Tribüne für Feste und Theateraufführungen dienen. In den beiden OGs links und rechts entlang der Umgänge reihen sich Unterrichtsräume, die durch schalldämpfende Holzelemente und Glasscheiben von der Halle abgetrennt sind. Das Gebäudeinnere zeigt sich als eine Art Rohbau mit vorgefertigten Betonstützen und sichtbar belassenen, bauteilaktivierten Ortbetondecken (Heizung mit Fernwärme, Kühlung mit Grundwasser), dazwischen immer wieder eingehängte Brücken und Treppenläufe aus Stahl – eine Mischung aus Wohnzimmer und Fabrikloft. Um die Räume im EG möglichst flexibel nutzbar zu machen, haben fasch&fuchs.architekten die Stützen in diesem Bereich auf ein Minimum reduziert und den Großteil der beiden OGs als Hängewerk aus Stahl ausgeführt.

Cluster und Homebase

Die architektonische Gestaltung sei gelungen, meint die Schuldirektorin Silvia Böck. »Aber das wirklich Außergewöhnliche an diesem Haus ist das neue, hier in Teilen erstmals implementierte pädagogische Konzept der Stadt Wien.« Die Unterstufe ist – wie bereits an einigen Wiener Schulen – in sogenannte Cluster unterteilt. Jeder Cluster besteht aus vier, über Schiebetüren ‧erweiterbaren Schulklassen und einem zentralen Raum, dem sogenannten Marktplatz. Der Vorteil an diesem Konzept ist, dass die Kinder – auch unterschiedlicher Klassen – nicht nur während der Pausen, sondern bereits schon im Unterricht leichter in Kontakt treten und miteinander projektbezogen arbeiten können. Ein absolutes Novum am Haus ist jedoch die räumliche Organisation der Oberstufe: Jede Klassenstufe wird im 2. OG eine eigene »Homebase« haben. Die großen Räume werden wie ein Wohnzimmer mit Tischen, Stühlen, Regalen, Schränken, gemütlichen Sofas und etlichen Leselampen ausgestattet sein. Jede der insgesamt vier Homebases wird gleichzeitig bis zu 80 Schülern Platz bieten. Der Unterricht selbst wird in »Departments« stattfinden. Ähnlich wie an einer Universität wird jedem Fach ein eigener Lernbereich, ein eigener Studiensaal zugeordnet. Das System ist laut Architekt Jakob Fuchs nicht nur komfortabel für die Lehrkräfte, da sie dadurch »stationär« arbeiten können, sondern auch wirtschaftlich und flächeneffizient.

Licht und Farbe

Auffällig ist nicht zuletzt der Umgang mit Tageslicht und Farbe. Mitten ins Gebäude ist ein Atrium mit einem »Schulwäldchen« aus Bambus eingeschnitten. Nach Westen zum angrenzenden Park hin treppt sich der Bau ab. Aufgrund der Abgrabung des Geländes entlang dieser Gebäudeseite können auch die im UG untergebrachten Räume wie etwa Werkräume, Zeichensäle und die drei Turnhallen natürlich belichtet werden.

Die beiden Künstler Gustav Deutsch und Hanna Schimek haben den gesamten Schulbau – so unfarbig er sich nach außen auch zeigt – im Innern in ein Wechselbad der hellen und dunklen, der kalten und warmen, der gedeckten und leuchtenden Farben getaucht. Jeder Farbton steht dabei für eine bestimmte Raumfunktion im Haus – Gelb für die Treppenhäuser, Ziegelrot für die Treppen im Atrium, Türkisgrün für die Sanitärräume, Violett für den Garderobenbereich und Hellblau für den Sport. Das Farbsystem sorgt jedoch nicht nur für abwechslungsreiche Raumeindrücke, sondern erleichtert auch ganz beiläufig die Orientierung und Kommunikation im Haus.

Eine fundierte Bewertung des Gymnasiums in der Seestadt Aspern wird erst in einigen Jahren möglich sein ‒ erst wenn es voll belegt sein wird und wenn hier Hunderte Schüler die Möglichkeiten haben werden, eine neue Form des Lernens zu entdecken. Aber das Versprechen ist so groß wie schon lange nicht mehr.

db, Fr., 2018.02.02

02. Februar 2018 Wojciech Czaja

Pavillons im Park

(SUBTITLE) Sanierung und Erweiterung der Primarschule Felsberg in Luzern (CH)

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Luzern ein bis vor einiger Zeit weitgehend in Vergessenheit geratenes Meisterwerk des Schulbaus: die Primarschule Felsberg. Menzi Bürgler Architekten aus Zürich haben den Bestandsbau den heutigen Anforderungen angepasst und durch einen Neubau für Kindergarten und Hort ergänzt. Die Balance gelingt auf Augenhöhe.

Das Wesembergquartier, am Hang hoch über der Hofkirche St. Leodegar und der Altstadt gelegen, zählt zu den bevorzugten Wohngegenden Luzerns. Der kontinuierliche Zuzug neuer Bewohner hat seit Längerem auch Auswirkungen auf die Nachfrage nach Kindergärten, Betreuungsangeboten und Schulen. Dies führte Anfang der 2000er Jahre zu der Überlegung, das Schulhaus Felsberg abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Das wäre tatsächlich möglich gewesen – das Bauensemble aus dem Jahr 1948 stand seinerzeit noch nicht unter Denkmalschutz. Doch die Verantwortlichen besannen sich eines Besseren und entschieden sich für die denkmalgerechte Sanierung des Altbaus und den Neubau eines Baukörpers, der einen zweigruppigen Kindergarten und einen Hort beinhaltet – eine Investition von gut 16 Mio. Euro. Das auf Basis eines Wettbewerbs 2010 entwickelte Gesamtprojekt musste zunächst eine Volksabstimmung passieren. Dass die Bürger für ein Projekt votierten, das mehr Kosten verursachte als ein reiner Neubau, ist dem ebenso plausiblen wie sensiblen Entwurf der Architekten Menzi Bürgler aus Zürich zu verdanken. Es ist aber auch ein Beweis für die eminenten architektonischen Qualitäten des Bestandsbaus, der sich harmonisch in eine Geländestufe mit wert vollem Baumbestand einfügt. Und letztlich mag man sie auch als eine Verneigung vor Emil Jauch verstehen ‒ dem weitgehend vergessenen Architekten des Primarschulhauses Felsberg.

Skandinavische Einflüsse

Zur Zeit ihres Entstehens wurde die Schule viel beachtet, nicht zuletzt durch ihre Aufnahme in das wegweisende Buch »Das neue Schulhaus« von Alfred Roth, das 1950 erschien und mit internationalen Beispielen den Typus der Pavillonschule ins Zentrum rückte. Emil Jauch, 1921 in Luzern geboren, hatte 1936 an der ETH Zürich diplomiert und nach kurzen Tätigkeiten in schweizerischen Architekturbüros vier Jahre in Stockholm sowie weitere Aufenthalte in Graz und im oberschlesischen Königshütte verbracht, ehe er in die Schweiz zurückkehrte und Anstellung im Berner Stadtbauamt fand. 1944 nahm er am Wettbewerb für das Felsbergschulhaus im heimischen Luzern teil und erhielt den 1. Preis. Für die Ausführung zwischen 1946 und 1948 bestand eine Arbeitsgemeinschaft mit dem zweitplatzierten und baupraktisch erfahreneren Architekten Erwin Bürgi, die auch nach der Fertigstellung des Projekts noch andauerte.

Jauch rückte das Schulhaus nicht an die durch eine grandiose Aussicht über Stadt und Vierwaldstättersee privilegierte Hangkante, sondern platzierte es an der rückwärtigen Seite der Geländestufe, sodass der bestehende Park den vorgelagerten Schulhof bildet. Das langgestreckte Volumen treppt sich dem Gelände entsprechend ab und gliedert sich in drei um je ein Stockwerk versetzte und leicht abgewinkelte Baukörper mit jeweils vier Klassenzimmern im OG sowie gemeinschaftlichen Räumen und überdeckten Vorbereichen im EG. Den oberen Abschluss des dreigliedrigen Schulgebäudes bildet das Volumen des Musiksaals; dieser findet sein Pendant im freistehenden Baukörper der Turnhalle an der Hangkante, wodurch sich eine Art von Torsituation zum öffentlich zugänglichen Schulareal ergibt.

Aktualisiertes Programm

Im Zuge der Renovierung wurde die Raumstruktur im Innern vereinheitlicht und verändert. Der Kindergarten im unteren Pavillon zog aus, an seine Stelle trat ein weiteres Klassenzimmer mit zugehörigem Gruppenraum. Ansonsten dient das EG des unteren Pavillons mittlerweile als Werkraum (vormals ‧Nadelarbeitsraum), das des mittleren als Lehrerzimmer (vormals Sammlungsraum und Hobelwerkstatt) und das des obersten als Bibliothek (vormals Schulküche). In jedem der drei OGs wurde die Reihung von vier gleich großen ‧Klassenzimmern durch eine Abfolge von drei Klassenzimmern mit zwei ‧zwischengeschalteten Gruppenräumen ersetzt. Dies ließ sich durch die Entfernung einer Wand und die Installation zweier neuer relativ leicht bewerkstelligen; hinter den vier Korridortüren verbergen sich jetzt also fünf Räume, wobei die Gruppenräume nur über die benachbarten Klassenzimmer zu betreten sind. Durch diese vergleichsweise geringe Umstrukturierung gelang es, viel von der historischen Substanz zu bewahren. Das gilt insbesondere für die Korridore und die Eingangshallen mit ihren bunten Mosaiken aus gebrochenen Fliesen, ihren polygonalen Bodenplatten und ihren Wasserbecken. Die liebevolle Ausstattung der Entstehungszeit setzt sich in der Außenraumgestaltung fort – die bombierten Granitsäulen der Pausenvorhallen und die Plattenwege lassen sich als für die Schweizer Architektur der 40er Jahre typische Tessiner Referenzen verstehen, während andere Teile des Gebäudes, insbesondere der Musiksaal mit seiner Eingangsüberdachung, deutlich von der zeitgenössischen skandinavischen Architektur beeinflusst sind. Auffällig gestaltet ist auch die östliche Außenwand des Musiksaals – gemauert aus Geröllsteinen referiert sie als architecture parlante über den Namen der Schule, was fast wie eine Vorlage für die Postmoderne wirkt.

Höhle und Panorama

Die Erweiterung des Komplexes mit Kindergarten und Hort haben Menzi Bürgler vom Schulhaus abgerückt und an der Hangkante platziert, sodass sie einen Dialog mit der Turnhalle aufnimmt. Entscheidend für die genaue Positionierung sowie die Ausbildung des Volumens waren die Mammutbäume des Parks. Weil deren Wurzeln weiter ausgreifen als die Kronen, besitzt der Neubau nur einen vergleichsweise geringen Fußabdruck. Die Fassade des EGs, das neben Haupteingang und Treppenhaus lediglich einige Technikräume aufnimmt, zeigt sich mit Sichtmauerwerk; Natursteinbekleidung und steinerner Bodenbelag verknüpfen den Neubau mit dem Bestand. Die beiden OGs, die ebenfalls quadratische Grundrisse aufweisen, kragen aus und sind leicht zueinander verdreht geschichtet, sodass sie sich zwischen die Baumkronen schieben können. Um den grandiosen Ausblick in den Park und über die Stadt zum eigentlichen Thema zu machen, ist die Fassade umlaufend verglast. Zusammen mit dem zentralen Erschließungskern übernehmen vier weitere Betonvolumina in den Eckbereichen die Lastabtragung des Gebäudes. Sie dienen z. T. als Sanitärräume, z. T. aber auch als Spielhöhlen der Kinder. So entstanden kleine Refugien, die zum Klettern, Herumtoben oder Ausruhen einladen und dadurch den Gegenpart zur fließenden, nach außen hin sich öffnenden Raumlandschaft der beiden Geschosse übernehmen.

Pyramidenstumpfförmig das Dach durchstoßende Lichtkanonen sorgen wie auch beim Treppenhaus für die Belichtung. Die zwei Kindergartengruppen nutzen das 1.OG, der Hortbereich befindet sich im weiter auskragenden 2. OG. Die vier Betonvolumen führen im Zusammenspiel mit dem zentralen Kern zu einer vorteilhaften Gliederung der Geschosse, die sich gut bespielen lässt. Die Garderobenbereiche sind nach Norden orientiert und dem Park zugewandt, und drei weitere Aufenthaltsbereiche schließen sich an. Letztere lassen sich flexibel nutzen und können bei Bedarf durch hölzerne Schiebetüren voneinander getrennt werden. Durch die größere Grundrissfläche im 2.OG ergab sich der Platz für zwei Loggien, die nach Westen bzw. nach Osten ausgerichtet sind.

Menzi Bürgler haben einen Erweiterungsbau verwirklicht, der sich perfekt in das parkartige Schulgelände einfügt. Die liebevolle Detaillierung und die feinteilige Differenzierung des Altbaus findet im Neubau ihre zeitgemäße Fortsetzung. Versuchte Emil Jauch durch die versetzte und abgetreppte Anordnung mehrerer Baukörper mit dem Gelände zu versöhnen, so reagieren Menzo Bürgler auf den Ort mit sukzessiver Auskragung, Verdrehung und geschickter innerer Differenzierung der Geschosse. Das bewusst Spielerische wird auf diese Weise zu einem verbindendenden Moment, jedoch ohne jede Anbiederung an vordergründige Kindgerechtigkeit. Eichenholz und Beton garantieren die nötige Robustheit im Neubau, die Spielhöhlen bieten die nötigen Rückzugsräume im kinderkompatiblen Maßstab. Böden, Teppiche und Mobiliar sind farblich kräftiger gehalten als im Altbau. So schafft der Neubau seine eigene Welt, die jedoch mit der vorgefundenen eine perfekte Liaison eingeht.

db, Fr., 2018.02.02

02. Februar 2018 Hubertus Adam

Ordnende Räume

(SUBTITLE) Montessorizentrum in Freising

Das Gebäudeensemble aus Kita und Schule des Montessorizentrums in Freising bei München zeigt sich nach außen hin eher unscheinbar. Im Innern der beiden Baukörper jedoch offenbaren sich klar strukturierte und gut gestaltete Räume, die neben dem Lernen insbesondere das kreative Miteinander von Pädagogen und Kindern in den Mittelpunkt rücken.

Pisa-Schock, überfrachtete Lehrpläne, zu große Klassen, Lehrer- und Platzmangel haben das Vertrauen in öffentliche Schulen erschüttert. Laut Bildungsbericht 2016 besuchen inzwischen fast 9 % aller Schüler in Deutschland Schulen freier Träger. Neben kirchlichen Einrichtungen und Waldorf-Schulen verzeichnen insbesondere die Montessori-Schulen, wachsenden Zulauf. Der pädagogische Ansatz, den die Ärztin, Reformpädagogin und Philosophin Maria Montessori zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründete, hat auch gut 100 Jahre später nichts von seiner Gültigkeit verloren. Er betrachtet Kinder als individuelle Persönlichkeiten, die keine standardisierten Lehrpläne, sondern freie Entfaltungsmöglichkeiten brauchen. Wesentliches Merkmal dieser Pädagogik ist daher das Eingehen auf die wechselnden, entwicklungsabhängigen Lerninteressen und sensiblen Lernphasen jedes einzelnen Kindes. Zusammen mit den eingesetzten Montessori-Unterrichtsmaterialien, wie z. B. numerische Stangen, Perlen oder trinomische Würfel, übernimmt das Schulhaus dabei die Rolle der »vorbereiteten Umgebung«, die das selbstständige, selbstbestimmte und soziale Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung fördert. Träger des Montessorizentrums in Freising ist ein gemeinnütziger Verein, den engagierte Eltern 1986 gründeten, um kurz darauf in den Räumen des katholischen Palotti-Hauses in Freising zunächst eine Grundschule und einen Kindergarten zu betreiben. Einige Jahre später folgten eine Spielgruppe und eine Mittagsbetreuung der ersten vier Klassenstufen sowie eine Montessori-Mittelstufe in einem vormaligen Gewerbegebäude am Stadtrand.

Steigende Kinder- und Schülerzahlen sowie auslaufende Genehmigungen für den Betrieb an zwei Standorten führten 2011 zum Beschluss, einen Neubau zu errichten, in dem sowohl ein Kinderhaus mit Krippe und Kindergarten als auch eine Grund- und Mittelschule Platz finden. Nach langer Suche im Stadtgebiet stieß der Verein auf ein geeignetes Grundstück zwischen einem Wohn- und einem Gewerbegebiet im Südosten Freisings und lud fünf Architekturbüros zur Bearbeitung der Aufgabe ein. Auf Grundlage der Entwurfsplanung des Berliner Büros Numrich Albrecht Klumpp, das für Kinderhaus und Schule je ein separates Gebäude vorsah, lobte der Verein schließlich ein EU-weites VOF-Verfahren aus. Dieselben Architekten konnten abermals überzeugen und wurden somit auch mit der umfassenden Objektplanung beauftragt.

Äußere und innere Ordnung

Um fördermittelrelevante Fristen einzuhalten, begannen die Planungen und Baumaßnahmen beim eingeschossigen Kinderhaus. Dieses liegt im rückwärtigen Grundstücksbereich und umschließt zusammen mit dem L-förmigen Schulgebäude einen gemeinsamen Spiel- und Pausenhof, der sich nach Westen hin zu einem kleinen Wäldchen mit Bachlauf orientiert. Ein zu diesem Naturraum offener eingeschnittener Innenhof gliedert das Kinderhaus am Eingangsfoyer in zwei Bereiche, dient zugleich aber auch als verbindende Terrasse. Auf der einen Seite ist eine Krippe mit maximal 13 Kindern zwischen einem und drei Jahren untergebracht, auf der anderen Seite befinden sich zwei Kindergartengruppen für insgesamt 50 Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Jede der Gruppen verfügt über einen Gruppen- und einen Nebenraum, hinzukommen ein Mehrzweckraum für gemeinsame Veranstaltungen und sportliche Aktivitäten sowie Nebenräume und Räume für die Erzieher. Dass das Kinderhaus sehr klar strukturiert ist, entspricht dem Montessori-Prinzip, nach dem eine äußere Ordnung auch zur inneren Ordnung führt.

Die Innenraumgestaltung basiert auf wenigen, farblich angenehm zurück‧haltenden Oberflächen: weiße Wände und Decken (im Eingangsbereich Sichtbetonwände), Holz-Alu-Fenster, Naturholzmöbel, hellgrüner Linoleum-Bodenbelag. Leuchtend gelbe Farbakzente hingegen setzen insbesondere die Garderobenwände im Eingangsbereich und die freistehenden Küchenblöcke in den Gruppenräumen des Kindergartens. Hier können die Kinder Erfahrungen im Zubereiten von Essen sammeln. Ungeachtet dessen wird das Mittagessen – ebenso wie in der Mensa der Schule – von einem Caterer geliefert. Für eine klare äußere Ordnung des Gebäudes sorgt eine zweigeteilte, mit dem Schulhaus korrespondierende Fassade aus grauen Faserzementplatten und vertikalen Lärchenholzbrettern. Übernehmen die Faserzementplatten beim Kinderhaus v. a. die Aufgabe eines robusten, widerstandsfähigen Gebäudesockels, machen sie beim dreigeschossigen Schulhaus zudem noch das Innenraumkonzept ablesbar. Dort bekleiden sie das gesamte EG, in dem sich neben der Sporthalle und den Büros der Schulleitung auch eine Mensa und ein Schülercafé befinden – sämtliche Unterrichtsräume für die insgesamt 320 Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 10 befinden sich im 1. OG (Grundstufe) und 2. OG (Mittelstufe). Hinsichtlich der Farb- und Oberflächengestaltung entspricht das Schulhaus fast vollständig dem Kinderhaus – allein die Klassenzimmer und die Klassenzimmerflure verfügen über dunkelgraue Teppichböden.

»Raum der Mitte«

Obwohl das Schulgebäude in Bezug auf die Flächen grundsätzlich einer vergleichbaren Regelschule entspricht, stellt sich schon im Foyer das Gefühl ein, sich in einem besonders großzügigen und einladenden Gebäude zu befinden. Das liegt v. a. an der offenen Haupttreppe und der großen Pausenhalle mit ihren jeweils über drei Geschosse reichenden Lufträumen, die sowohl für weite Durchblicke als auch für viel Tageslicht sorgen. Darüber hinaus signalisieren Sitzstufen entlang der Straßenfassade und ein an eine Kanzel erinnerndes Treppenpodest, dass die in Gebäudemitte platzierte Pausenhalle auch als Bereich vielfältiger Aktivitäten dient. Und tatsächlich finden hier im »Raum der Mitte« neben Schulfesten und Präsentationen auch Veranstaltungen von Sportvereinen und anderen Gästen statt, die je nach Raumbedarf zusätzlich noch die Sporthalle oder die Mensa anmieten können. Diese Bespielungsmöglichkeiten, der dezidiert »öffentliche« Charakter und die kleinteilige Gestaltung schaffen eine wohltuende räumliche Qualität und lassen das klar gegliederte EG außerdem größer erscheinen als es in Wirklichkeit ist. Diese Großzügigkeit ist auch deshalb möglich, weil die dreigeschossige Pausenhalle kein Bestandteil des Rettungswegekonzepts der drei Unterrichtsbereiche im OG ist. Sie sind mit jeweils einem eigenen Fluchttreppenhaus ausgestattet und von dem über alle Geschosse offenen Bereich mit Glas-Brandschutztüren abgetrennt.

Aktives Lernen

Wie alle bayerischen Montessori-Schulen orientiert sich auch die in Freising an den Bildungs- und Erziehungszielen für staatliche bayerische Schulen. Im Unterschied zu diesen kann sie jedoch frei über die Lehr- und Erziehungsmethoden, die Lehrinhalte und die Formen der Unterrichtsorganisation entscheiden. Und so gibt es statt Frontalunterricht und starren, abgeschlossenen Klassenzimmern jahrgangsgemischte Klassen (1-3, 2-4, 5-7 und 8-10) und flexible Lernräume, die den Kindern vielfältige Erfahrungs- und Bewegungsspielräume eröffnen. Hier können sie sich frei gewählten Aufgaben widmen, die sie sich nach dem Montessori-Leitsatz »Hilf mir, es selbst zu tun« in Begleitung der Pädagogen selbst erschließen. Als Teil der Lernumgebung sind die Flure so gestaltet, dass sie aktiv in den Unterricht miteinbezogen werden können, z. B. wenn sich die Schüler zur Freiarbeit oder zur Arbeit in kleineren Gruppen zeitweise aufteilen. Sie verfügen (ebenso wie die Unterrichtsräume) über weiche Teppichböden und große Sitz- und Sichtfenster in den Klassenzimmerwänden. In den Klassenzimmern – vorgesehen für max. 25 Schüler – gibt es leichte Stühle sowie dreieckige Tische auf Rollen, die sich schnell und mühelos umkonfigurieren lassen, um auf diese Weise alle denkbaren Unterrichtsformen zu unterstützen. Einige der Klassenzimmer verfügen noch über die alte Möblierung aus dem Vorgängerbau, die jedoch in den nächsten Jahren ersetzt werden soll.

Die Schüler erhalten im Verlauf der 9. Klasse den Montessori-Abschluss und legen anschließend die Prüfungen für den Haupt- und den Realschulabschluss ab. Die Fachhochschulreife und Hochschulreife können die Schüler dann an der Montessori Fachoberschule in München erwerben, die der Verein als einer von acht Gründungsgesellschaftern mitgegründet hat. Bislang gibt es keine Pläne, das Montessorizentrum um eine Oberstufe zu erweitern, um vor Ort ein vollständiges Schulangebot bereitstellen zu können – eine wesentliche Rolle in der Schullandschaft Freisings nimmt dieser Standort zweifellos dennoch ein. Nicht nur, weil der Landkreis direkt nebenan gerade eine Realschule errichtet, sondern v. a., weil das Schulhaus ebenso unprätentiös wie beispielhaft aufzeigt, wie Architektur die Kommunikation und das gemeinschaftliche Lernen und Arbeiten fördern kann – jene Fähigkeiten, die sowohl im privaten Bereich als auch im Berufsleben eines jeden immer wichtiger werden.

db, Fr., 2018.02.02

02. Februar 2018 Roland Pawlitschko

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