Editorial

Feierlaune in Hamburg: Der Stolz nach der Fertigstellung der Elbphilharmonie Ende 2016 war gross – mindestens so gross wie die Häme während des Baus.

Kostenüberschreitungen, politische Verstrickungen, noch mehr Kosten und eine unglückliche Kommunikation hatten während der 15-jährigen Bau- und Planungsphase Bevölkerung und Medien auf Trab gehalten; die Architektur von Herzog & de Meuron war in den Hintergrund gerückt.

Umso grösser sind nun Erleichterung und Freude: Denn den Beteiligten ist ein Bauwerk gelungen, das sich gegen den Trend zur gnadenlosen Kommerzialisierung städtischer Flächen stellt und einen Mehrwert für die Bevölkerung bietet. Zudem haben die Planer ein auf allen ­Ebenen hochkomplexes Gebäude geschaffen: Eine ikonische Architektur trifft auf ein raffiniertes ­Tragwerk, der grosse Konzertsaal weist eine ­ausgeklügelte Akustik auf, die jetzt im Betrieb kontinuierlich nachjustiert wird.

Das tröstet über Schwächen hinweg: Verkehrs­technisch ist die Elbphilharmonie an der äussersten Spitze der Hamburger HafenCity schlecht erschlossen, und auch die Wegführung im Innern ist kompliziert. Und: Für die Finanzierung des Baus war die Mantelnutzung essenziell. Die von Herzog & de Meuron angestrebte «Stadt im Kleinen» besteht aber neben den Restaurants und der öffentlichen Plaza aus einem Fünfsterne­hotel und hochpreisigen Eigentumswohnungen.
Nichtsdestotrotz: Entgegen allen Widrigkeiten haben die Planer ihre starke Idee nicht aus den Augen verloren – das ist ganz grosses Kino. Glückwunsch nach Hamburg. Und vor allem nach Basel.

Tina CIeslik

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Zwischen Oberland und Südsee

12 PANORAMA
Kafka oder Wagner | Leserbrief | Bilderbuch für Architekten

18 VITRINE
Boden, Wand und Decke

21 SIA
Was bringt die neue Norm zum Heizwärmebedarf? | Landschaft als interdiszipli­näre Zukunftsaufgabe | Effizienter Einsatz von Beleuchtung definiert

27 VERANSTALTUNGEN

THEMA
28 HAMBURGER HIMMELSSTÜRMER

28 FUSS GEFASST UND ABGEHOBEN
Hubertus Adam
Die Geschichte der Elbphilharmonie gleicht einem Krimi – mit Happy End.

33 KRAFTFLUSS FÜR DIE MUSIK
Clementine Hegner-van Rooden, Heinrich Schnetzer
Das ausgeklügelte Tragwerk ermöglicht erst die Architektur der Elbphilharmonie.

38 VON WELLEN UND KLANG
Viola John
Der grosse Konzert­saal der Elbphilharmonie verspricht ein demokratisches Musikerlebnis – und war eine Herausforderung für die Akustiker.


AUSKLANG
41 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

Fuss gefasst und abgehoben

Die im Januar 2017 eröffnete Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron hat eine wechselvolle Entstehungsgeschichte. Das ikonische Werk vereint diverse Bauaufgaben und Nutzungen und aufsehenerregende ­Ingenieurarbeiten – und dies alles mit hanseatischer Eleganz.

Soweit es die öffentliche Wahrnehmung betrifft, begann die Planungsgeschichte der Elbphilharmonie im Juni 2003. Damals erschien in den Hamburger Tageszeitungen eine Visualisierung: ein zeltartigkristalliner Konzertsaal auf dem Backsteinsockel des vormaligen Kaispeichers A (1963, Architektur Werner Kallmorgen), an einer der prominentesten Stellen im Hafen, der Kehrwieder­spitze, benachbart und in Sichtweite der Hamburger Innenstadt. Bilder können suggestiv sein, und dieses Bild war dermassen suggestiv, dass es in Hamburg eine Welle der Begeisterung auslöste – nicht nur in musik­interessierten Kreisen, die sich seit Langem eine weiteren Konzertsaal neben der ehrwürdigen Laeiszhalle gewünscht hatten.

Selten hat ein einziges Bild binnen kürzester Zeit in solcher Weise Fakten geschaffen, auch wenn es fast 15 Jahre dauern sollte, bis aus der Vision Wirklichkeit wurde. Der Mann, ohne den es die Elb­philharmonie nicht gäbe, heisst Alexander Gérard. Und alles begann eigentlich in Zürich, genauer an der ETH. Dort studierte Gérard zwischen 1968 und 1973 Architektur, fast zeitgleich mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Nach dem Studium war er für den Baukonzern Philipp Holzmann tätig, ehe er sich als Projektentwickler etablierte. Aus der Ferne beobachtete er den Aufstieg von Herzog & de Meuron zu Weltstars, während in Hamburg die Planung der HafenCity voranschritt.

Weil die HafenCity, deren Bau 2001 startete, zwecks Finanzierung des Containerterminals Altenwerder maximalen Profit abwerfen musste[1], plante die Stadt, anstelle des denkmalwerten Kaispeichers A einen sogenannten Media City Port errichten zu lassen, also ein Bürohaus für Medienunternehmen. Diese investorenfreundliche Lösung an einem der markantesten Orte der HafenCity empörte Alexander Gérard und seine Frau, die Kunsthistorikerin Jana Marko, und sie beauftragten in privater Initiative Herzog & de Meuron mit einer Studie für einen Konzertsaal im Kaispeicher: Ort der Kultur und Öffentlichkeit statt Bürogetto. Doch die Architekten votierten für mehr Sichtbarkeit, und so entstand die Idee, das mächtige Backsteinvolumen mit einem gläsernen Aufsatz zu bekrönen.

Die ungewöhnliche Euphorie der als reserviert geltenden Hamburger wird auch vor dem Hintergrund erklärbar, dass das Projekt in einer politisch reaktionären Zeit lanciert wurde. Die Vision Elbphilharmonie torpedierte die Idee eines Aquadome, einer kruden Mischung aus Grossaquarium, Konzertsaal und Beatles­Museum inmitten der HafenCity, und sie stempelte die Pläne des Media City Port zur Makulatur.

Kostensteigerung: fast 300 %

Die Annahme, die Elbphilharmonie liesse sich – von der Überlassung des Grundstücks abgesehen – ohne Mittel aus öffentlichen Haushalten finanzieren, also allein durch Spenden sowie die Rendite der Mantelbebauung, mag rückblickend naiv anmuten. Erst recht angesichts der Schlussbilanz: Gesamtkosten 865.65 Millionen Euro, davon 57.5 Millionen an Spenden und 789 Millionen von der öffentlichen Hand. 2004 kaufte die Stadt das Projekt für geschätzte 3.5 Millionen Euro von Spiritus Rector Alexander Gérard, der damit in die weitere Planung nicht mehr involviert war, und übernahm die Regie. Hätten die finalen Zahlen schon anfangs vorgelegen, wäre die Elbphilharmonie wohl niemals gebaut worden.

Die legendär gewordenen Kostensteigerungen lassen sich nicht monokausal erklären. Zunächst vergrösserte sich das Bauprogramm gegenüber den ersten Plänen markant: Ein zusätzlicher Veranstaltungsaal im Sockel, das «Kaistudio», kam hinzu, auch die Anzahl der für die Querfinanzierung wichtigen Hotelzimmer und Apartments stieg auf 250 bzw. 45 (vgl. «Kafka oder Wagner»). Damit verbunden war die gravierendste und kostentreibendste Veränderung: Hiess es zunächst, man wolle das Tragwerk des Kaispeichers A (das einen integralen Faktor für dessen Denkmalwert darstellte) erhalten, erwies sich das schliesslich als nicht durchführbar. Zwar war es tragfähig genug, doch für die Bauherrschaft war die Raum­struktur ungenügend, da sie ihre Anforderungen nicht erfüllte. In der Konsequenz musste eine völlig neue Beton­struktur in die Mauerwerkshülle des KallmorgenBaus eingepasst werden. Dabei liess sich neben den Fassaden lediglich das durch Halbverdränger verstärkte Fundament in den Bereichen der Kerne weiternutzen.

Aber auch in den Bereichen Akustik, Gebäudetechnik und Fassadenplanung wurden gravierende Veränderungen vorgenommen, die die Kosten in die Höhe trieben. Dass mehr Kubikmeter, Ausstattung und Technik zu Preissteigerungen führen, ist nachvollziehbar. Problematischer bleiben die übrigen Faktoren, die typisch sind für die Umsetzung von derlei Grossprojekten: So werden im Kontext politischen Handelns Kosten oft wider besseres Wissen zu niedrig angesetzt, um möglicher Kritik auszuweichen und das Projekt ins Rollen zu bringen. Ebenfalls politischer Wille war es, entgegen der Warnung der Architekten mit dem Bau zu einem Zeitpunkt zu beginnen, da die Planung nicht abgeschlossen war.
Zugänglich und doch entrückt

Der Grundriss der Elbphilharmonie bildet ein Trapez, das sich einem Dreieck annähert. Die Spitze, über der sich der gläserne Aufsatz bis zu einer Höhe von 110 m auftürmt, ist zu den St. PauliLandungsbrücken hin ausgerichtet. Der Besuchereingang befindet sich der HafenCity zugewandt auf der Ostseite des Kaispeichers. Die Elbphilharmonie liegt zwar exponiert, ist aber nicht einfach zu erreichen. Auf drei Seiten von Wasser umgeben, steht das Bauwerk am westlichsten Ende der HafenCity. Die UBahnhöfe sind einige hundert Meter entfernt, Fussgänger und Autos teilen sich den Vorplatz.

Herzog & de Meuron haben auf Strassenniveau einen Schlitz in die Backsteinhülle geschnitten, in dem nebeneinander die Einfahrt in das Parkhaus im Sockel, der Zugang zum Hotel und der Eingang zur Elbphilharmonie Platz gefunden haben. Die Portale liegen in einer Reihe, jegliche repräsentative Überhöhung unterblieb. Die Architekten referieren hier eher auf die Logik des Lagerhauses als auf die Konventionen einer bürgerlichen Konzertkultur; selbst auf ein Vordach wurde verzichtet. Eine 82 m lange Roll­treppe – konvex geführt, sodass das Ende von unten nicht einsehbar ist (vgl. Abb.) – befördert die Besucher durch den Speicher hinauf ins sechste Geschoss. Ist man oben angekommen, bietet ein Panoramafenster den ersten Ausblick über Stadt und Hafen.

Die markante Öffnung in der Spitze des Sockels ist keine neue Intervention von Herzog & de Meuron, sie fand sich schon im Bau von Werner Kallmorgen. Ursprünglich war hier für die Arbeiter im Speicher A eine Kantine geplant, deren Ausführung indes aus technischen Gründen unterblieb. In gegenläufiger Richtung schliesst sich eine weitere, kürzere Rolltreppe an, es folgt eine weitläufige Treppenrampe, die zur «Plaza» auf 37 m Höhe führt. Sie wirkt als Verteiler: Wie durch einen Gehörgang gelangt man bei Konzerten direkt, also ohne Türen zu öffnen, in den Grossen Saal. Erst bei Konzertbeginn werden die in den Wänden verborgenen und von innen her unsichtbaren Türen geschlossen.

Die Plaza ist aber auch die Attraktion für all jene, die nicht in den Genuss eines Konzerts kommen. Sie befindet sich an der Schnittstelle zwischen der ­Backsteinhülle des früheren Kaispeichers und dem ­kristallinen Aufbau. Nach oben geht der Blick in die Foyerlandschaft des Grossen Saals, trichterförmig sich weitende Wölbungen in der Decke fokussieren die Blicke nach Norden Richtung Stadt und nach Süden Richtung Hafen. Ondulierende Glasscheiben begrenzen den Innenraum – ihre Verformung ist nicht ästhetischer Selbstzweck, sondern reagiert auch auf den extremen Winddruck (vgl. Abb. oben). Kreisförmige Einschnitte in Boden und ­Decke erlauben es an verschiedenen Stellen, einzelne Glas­elemente zu drehen und damit die Plaza bei gutem Wetter zur umlaufenden Terrasse hin zu öffnen.

An der Aussenfassade ist eine Reihe der Glasscheiben durch Aus oder Einbuchtungen blasenartig verformt und zum Teil mit grossen Öffnungen ver­sehen. Die kleineren Ausbuchtungen bieten Platz für ­Lüftungsöffnungen, hinter den grossen Öffnungen verbergen sich Freiluftloggien. Die grösseren Scheiben­formate finden sich in den Foyers der Elbphilharmonie, die kleineren in den Bereichen der Apartments und des Hotels. Aufgedruckte Siebdruckpunkte dienen ­einerseits dem Sonnenschutz, andererseits geben sie dem Auge optisch Halt und sollen Schwindel­gefühle angesichts des Abgrunds hinter den Scheiben vermeiden. Die ­sphärisch gebogenen Dachflächen werden aus ­grossen Metalltellern gebildet und sind aus nächster Nähe von einer kleinen, als VIP­Foyer genutzten Dach­terrassse aus zu erleben.

Hexenkessel für die Musik

Die Stadt hat mit der Elbphilharmonie aber nicht nur ein ikonisches Bauwerk erhalten, das längst zu einem, vielleicht sogar zu dem Wahrzeichen der Stadt geworden ist, sondern auch einen der spektakulärsten Musiksäle der Welt. Schon nach den ersten Testkonzerten im vergangenen Herbst waren Musiker begeistert von dessen Gestalt und Akustik (vgl. «Von Welle und Klang»). Leicht ist der Grosse Saal allerdings nicht zu bespielen, wie sich am Eröffnungskonzert zeigte. Der für das akustische Konzept verantwortliche japanische Spezialist Yasuhisa Toyota setzt auf ein analytisches Klangbild mit einer extremen Transparenz. Das führt dazu, dass man selbst bei komplexen Orchesterwerken die einzelnen Instrumente gut heraushören kann. Aber der Saal verzeiht auch nichts: weder das Falschspiel einzelner Instrumente noch das Räuspern des Publikums.

Beim Grossen Saal der Elbphilharmonie setzte Toyota auf das Prinzip der «Weinbergterrassen», das durch Hans Scharouns Berliner Philharmonie 1963 ­eingeführt wurde: Die Musiker sitzen im Zentrum, das Publikum in ansteigenden Blöcken, die sich rings um das Podium gruppieren. Diese Anordnung ist die Alternative zur rechteckigen «Schuhschachtel», wie sie die klassischen bürgerlichen Konzertsäle des 19. Jahrhunderts verkörpern. Die akustische Optimierung in Hamburg erprobte man anhand eines 1:10Modells (vgl. TEC21 2728/2010).

Im Gegensatz zur Berliner Philharmonie, die mit 2250 Plätzen 150 mehr als der Grosse Saal der Elbphilharmonie besitzt, fällt in Hamburg die Steilheit der Sitzanordnung ins Auge. Praktisch begründet ist diese Disposition durch den kristallinen Aufbau des Gebäudes, das nicht nur die Konzertsäle umfasst, sondern auch das Hotel im Osten und die Apartments im Westen. Daraus ergeben sich Proportionen, die den ­Gros­sen Saal und auch die schluchtartig sich über­lagernden Foyerbereiche bestimmen. Es war aber auch Ziel der Architekten, die Intensität des Konzerterlebnisses durch die räumliche Komprimierung zu steigern. Nicht zu­fällig fühlt man sich hier an ihre Stadionprojekte er­innert, die mit dem Prinzip eines «Hexenkessels» auf die maximale Intensivierung der Atmosphäre und die Minimierung der Distanz zwischen Akteuren und Publikum zielen.

Es ist erstaunlich, wie intim der Konzert­saal trotz seiner mehr als 2000 Sitzplätze wirkt. Die Besucher rücken nicht nur näher an das Orchester heran, sondern auch an die anderen Zuhörer im Saal. Denn ein Konzert ist ein Gemeinschaftserlebnis: Von einem «Krater durch Kunst, so einfach als nur möglich, damit dessen Zierrat das Volk selbst werde» sprach Goethe angesichts der Arena von Verona. Eine Gliederung in unterscheidbare Ränge haben die Architekten in Hamburg stärker vermieden als etwa Jean Nouvel bei der Philharmonie in Paris; alle Sitzbereiche im Saal sind miteinander verbunden, sodass man von einem beliebigen Platz zu jedem anderen gelangen kann, ohne den Umweg über das ­Foyer nehmen zu müssen.

Prägend für den Raumeindruck sind die weiss­grauen Akustikpaneele, mit denen Brüstungen, Wände und Deckenuntersichten verkleidet wurden. Es handelt sich um Verbundelemente aus Gips und 10 % recycelter Wellpappe, die je nach Position im Saal entsprechend Toyotas Forderungen unterschiedlich stark ausgebildet und unterschiedlich tief ausgefräst wurden. Dabei ­blieben die Frässchichten innerhalb der einzelnen Waben sichtbar, wie ein Binnenornament – die Architekten sprechen vom «Microshaping».

Zusammen mit dem grau melierten Wollbezug der ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfenen ­ Sitze, dem hellen Eichenparkett des Bodens und der Grundbeleuchtung in Form von mit LED ausgestatteten Schusterkugeln entsteht ein festlicher Raumeindruck, der aber nicht klassischopulent ausfällt. Eine gewisse Neutralität war gewünscht, weil der Saal nicht allein auf klassische Musik zugeschnitten ist. Für experimentellere Musikformate ist der Kleine Saal vorgesehen, der mit seinen rund 550 Plätzen dem traditionellen SchuhschachtelPrinzip folgt. Die Sitzanordung lässt sich durch verschiebbare Podien dem jeweiligen Konzert anpassen. Hier wählten die Architekten eine Holz­verkleidung; eine erneut durch Fräsung erzielte ­Wellen­struktur bildet ein vertikales Muster an allen Wänden. Weil man hier auf die Optimierung anhand eines physischen Modells verzichtete, mussten die Längswände nach ersten Tests durch Aufsägen in einzelne Elemente differenziert und akustisch nachgebessert werden.

Vielseitig auf allen Ebenen

Herzog & de Meuron sprechen angesichts der Funktions­mischung der Elbphilharmonie von einer Stadt im ­Kleinen, und tatsächlich ist die mit Backsteinen ge­pflasterte Plaza zu einem öffentlichen Ort geworden. Dieser ermöglicht nicht nur nie dagewesene Blicke über Stadt und Hafen, er ist auch eine Feier der Architektur: An der Schnittstelle zwischen Alt und Neu, ­zwischen Sockel und Aufsatz, Backstein und Glas lässt er das Konzept der Architekten zum eindrucksvollen Erlebnis werden.

Der Bau spielt mit einer Reihe von maritimen Assoziationen, ohne diese jedoch platt im Sinn einer vordergründigen «architecture parlante» auszuspielen. Von der Wandverkleidung im Innern bis zur Grossform, die an Wellen, an Gischt, an Segel erinnern mag, lässt die Elbphilharmonie vielfältige Interpretationen zu. Werner Kallmorgens Kaispeicher ist zum Sockel eines himmelsstürmenden Bauwerks geworden, das ziemlich genau das versinnbildlicht, was Bruno Taut einmal als Ziel zukünftiger Gemeinschaftsarchitektur gefordert hatte: «reine Festesdinge» zu sein.


Anmerkung:
[01] Gert Kähler hat die hart am Rand der Legalität operierende Vorplanung für die HafenCity in einer Studie dokumentiert, die sich wie ein Krimi liest: «Geheim­projekt HafenCity oder: Wie erfindet man einen neuen Stadtteil», hrsg. v. Volkwin Marg, München/Hamburg: Dölling und Galitz Verlag 2016.

TEC21, Fr., 2017.03.24

24. März 2017 Hubertus Adam

Kraftfluss für die Musik

Der Entwurf der Architekten Herzog & de Meuron ist spektakulär und die Aufstockung auf dem bestehenden Kaispeicher ein Ingenieurbauwerk sondergleichen. Im wahrsten Sinn des Wortes zum Tragen gebracht haben es Schnetzer Puskas Ingenieure.

Einer gläsernen Krone gleich erhebt sich die 19-geschossige Aufstockung auf dem bestehenden Kaispeicher A im Hamburger Hafen. Sie bildet einen eigenständigen Körper auf dem siebengeschossigen Backsteinvolumen (vgl. «Fuss gefasst und abgehoben»). Nicht nur die Materialisierung gliedert Alt und Neu, auch die geschosshohe Fuge dazwischen trennt das unterschiedliche Paar optisch in Bestand und Erweiterung. Dank ihr scheint die Auf­stockung über dem historischen Sockel zu schweben. Dennoch haben die beiden Körper einen engen Bezug zueinander. Ihre trapezförmigen Grundrisse stehen exakt übereinander, und hinter der Backsteinfassade ist ebenfalls alles neu. Die neue Tragkonstruktion erschliesst sich aus der bestehenden; zumindest aus dem, was davon geblieben ist – nämlich der Fundation und der teils tragenden Fassade.

Reserven waren das Potenzial

Der Kaispeicher mit einer praktisch geschlossenen Backsteinfassade bestand aus einem Stahlbetonskelett, das auf eine Nutzlast von 2 t/m2 im oberen und 3 t/m2 im unteren Bereich ausgelegt war. Das Stützenraster von 4.30 auf 5.00 m war orthogonal ausgelegt, allerdings in zwei Bereichen zueinander verdreht, sodass dazwischen eine «Naht» bestand. Die Lasten wurden über Betonrammpfähle mit entsprechendem Raster in den Baugrund geleitet. Insgesamt waren für den 1963 gebauten Kaispeicher 1111 Pfähle in den sandigen und durch­nässten Boden eingerammt worden. Sie bestehen heute noch. Dazwischen befinden sich zudem Holzpfähle des 1875 gebauten Kaiserspeichers – der vorangehende Bau. Das beachtliche Pfahlvolumen verdichtete den Sand, was die Tragfähigkeit der Pfähle wiederum erhöhte. Der Tidehub schwemmte zudem die Grenzschicht der Pfahloberflächen über Jahrzehnte ein – Boden und Pfahl sind regelrecht miteinander «verwachsen». Deswegen können die Pfähle gegenwärtig sogar 40 % mehr Lasten tragen als zur Bauzeit in den 1960er-Jahren. Dies trifft allerdings nicht auf die Senkkästen entlang der Längsfassaden zu. Eine erhöhte Traglast war bei dieser Fundationsart weniger feststellbar.

Die zu Beginn der Planungsarbeiten durchgeführte Analyse des Kaispeichers zeigte, dass mit dieser Nutzlastauslegung des Tragwerks und den Traglast­reserven der Pfähle ein beträchtliches Potenzial für ein aufgesetztes Bauvolumen vorhanden war. Auf dieser Grundlage wurde ein Erweiterungsbau auf dem alten Speicher erst möglich.

Getrennt und doch darauf aufbauend

Grundsätzlich besteht die Aufstockung aus einem ­Stahlbetonskelettbau, der sich an der Pfahlfundation bzw. am innerhalb der Backsteinfassade neu erstellten Stahlbetonskelett orientiert. Einzelne hoch belastete Tragelemente sind aus Stahl.

Um die verschiedenen Nutzungen wie den Grossen und den Kleinen Saal, einen dritten Saal, das Hotel, die Wohnungen, die sich teilweise über den Grossen Saal schieben, das Parking, den Backstage- und den Konferenzbereich, die Gastronomie und die Wellnessanlage überhaupt aufnehmen zu können, wird das Stahlbetonskelett in der Aufstockung durchwegs von Unregelmässigkeiten durchbrochen. Von einem kontinuierlichen und einheitlich materialisierten Tragwerksraster blieb nicht mehr viel übrig.

Infolge des grossen Konzertsaals beispielsweise ergeben sich inmitten des Aufbaus Spannweiten, die die Dimensionen des Rasters bei Weitem sprengen. Er erstreckt sich umgeben von den Hotelgeschossen im Osten und den Wohngeschossen im Westen vom 11. bis hinauf ins 22. Obergeschoss. Sein ovaler Grundriss weist Hauptspannweiten von 50 bzw. 55 m auf und nimmt so teilweise rund ein Drittel einer Geschossfläche auf. Die Ingenieure konzipierten den Grossen Saal daher als statisch eigenständigen Baukörper, der punktuell gestützt ist. Acht grosse Stahleinbauteile sammeln die Kräfte und geben sie an Schrägstützen ab. Diese leiten die Lasten geneigt weiter, bis sie an das Stahlbetonraster anknüpfen. Die relativ wenigen Lagerungen des in sich stabilen Saals ermöglichen es, die Erschliessung und Teile der Plaza unter dem Saal praktisch stützenfrei auszubilden und das Foyer entlang dieses Körpers kaskadenartig hochzuschrauben. Nur wenige schräge Stützen durchstossen diese terrassenartige Decken- und Treppenlandschaft.

Der Grosse Saal als Box-in-Box-System

Der eiförmige Saalkörper ist ein in sich komplexes Tragwerk. Um ihn vom Umgebungslärm der Stadt und des Hafens akustisch abzukoppeln, forderte der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota ein Box-in-Box-System – einen Körper aus zwei unabhängigen Schalen. Die äussere Box ist eine Stahlbetonkonstruktion, die fest mit dem Tragwerk des Gesamtgebäudes verbunden ist. Sie besteht aus einem Wandring und einem Boden mit auf­gesetzten Rippen. Während die 20 bis 40 cm dicken Wände parallel zu den Fassaden angeordnet sind, verlaufen die 21 innenliegenden Rippen orthogonal dazu zur Saalmitte hin. Der trapezförmige Gebäudegrundriss führt zu einer Nahtstelle in der Saalmitte bzw. auf der Winkelhalbierenden des Gebäudegrundrisses. Dort treffen sich die Rippen und werden – ähnlich wie die Spanten und der Kiel bei einem Schiffsrumpf – mit einer Längsrippe gefasst. In den Querfassaden im Osten und Westen sind die Rippen ausgehend vom Kiel gefächert angeordnet, und wenn sie nicht ausnahmsweise direkt auf Stützen gelagert sind, hängen sie am 6 bis 10 m hohen Wandring der äusseren Betonschale, in dem die Stahleinbauteile eingelassen sind.

Ab den obersten Tribünen geht die äussere Schale in die Saaldach-Aussenschale über, einer Stahlverbundkonstruktion, die gleichzeitig den Deckel für die äussere Box bildet. Das Saaldach besteht aus einer räumlichen Stahlfachwerkkonstruktion, die statisch im Verbund mit der darübergelegten Betonschale funktioniert. Diese Konstruktion liegt auf dem Wandring auf und kragt bis zur Fassade aus, wo die Deckenränder der Foyergänge hochgehängt sind. Die 21 Stahlträger sind als ebene Fachwerkträger konzipiert und verlaufen analog zu den Betonrippen der Aussenschale sternförmig zum Längsträger in der Saaldachmitte. Durch die zuerst nur leicht und dann steiler ansteigende Querschnittsgeometrie ähnelt die Saaldachkonstruktion einem spitzen Hut mit umlaufender Krempe.

Diese Tragwerkskonzeption war anspruchsvoll und hat zu Diskussionen mit Hochtief Solutions als Generalunternehmer und mit namhaften deutschen Professoren geführt, obwohl der Prüfingenieur Dr.-Ing. Rainer Grzeschkowitz die Saaldachkonstruktion geprüft und freigegeben hatte. Die Skeptiker fanden die Tragwirkung nicht vollumfänglich in den DIN-Normen abgebildet. Sie lässt sich mit einem Speichenrad vergleichen: Die annähernd radial angeordneten Stahlfachwerke (Speichen) werden durch ein Zugband (Felge) zusammengehalten. Als Zugband dienen das stehende umlaufende Stahlfachwerk und der Betonzugring in Form der Krempe des Huts. Der innere, zur Spitze aufsteigende Hutteil dient wegen seiner facettierten Geometrie einzig der Stabilisierung der auf Druck belasteten Fachwerkobergurte. Die Krempe erhält infolge der radialen Kräfte eine grosse Zugbeanspruchung und wegen des eiförmigen Saalgrundrisses zusätzlich grosse Biegebeanspruchungen. Damit sie als Zug- und Biegeelement wirken kann, gaben die Ingenieure ihr die geometrische Form eines flachen Kegelstumpfs. Die Konstruktion überspannt so die gesamte Saalfläche und trägt ein Gesamtgewicht von rund 2000 t.

In die Aussenschale, die während des Bau­zustands noch ohne Topfdeckel wie ein riesiger Betonkessel erschien, montierte man die Innenschale mit ihrer ­räumlichen Stahlkonstruktion. Sie ist über 342 Federpakete auf den Betonrippen der äusseren Schale gelagert. So dringen weder tieffrequente Schiffsgeräusche, die unter Wasser übertragen werden, oder Lärm von der öffentlich zugänglichen Plaza in den Konzertsaal noch Musikklänge vom Konzertsaal nach aussen, etwa in die Schlafräume des Hotelbereichs. Die Akustik des Saals verlangt eine Frequenzabstimmung des Systems von etwa 4.5 Hz – eine herausfordernde Aufgabe mit den weit auskragenden Balkonen, mit einer Anregungsfrequenz durch die Konzertbesucher von rund 2 Hz und mit der ersten Oberfrequenz von 4 Hz – insbesondere da Normwerte für die Anregung und Überprüfung nicht vorhanden waren. Die innere Box wurde aussenseitig umlaufend mit einer 20 cm dicken Betonhaut und die Saalinnenseite mit einer schallstreuenden und -reflektierenden weissen Haut aus tausenden individuell gefrästen Gipsfaserplatten von 150 kg/m2 überzogen ­(vgl. «Von Welle und Klang»).

Das Saaldach steigt bis unter das zeltartig geformte Gebäudedach auf, wo es als Auflager für eben dieses funktioniert. Das Gebäudedach ist statisch weniger anspruchsvoll, geometrisch aber umso mehr. Seine Geometrie entsteht aus acht wellenförmig angeordneten Kugelteilflächen, wobei sich die Hochpunkte – bis auf die Spitze des Grossen Saals inmitten der Dach­fläche – ausschliesslich an den Fassaden befinden. Das Dachtragwerk setzt sich aus 1000 ungleichen und gekrümmten Trägern mit einem aufgeschossenen ­Trapezblech zusammen. Das Gewicht beträgt etwa 800 t. Die horizontalen Lasten werden über drei Erschliessungskerne abgetragen, die vertikalen Lasten zusätzlich über unregelmässig verteilte Innenstützen und regelmässig im Abstand von 4.30 bis 5.00 m angeordnete Randstützen in der Fassadenebene.
Spalt in der Fassade

Die Fassaden und die raumbegrenzenden Oberflächen verdecken die gesamte Tragkonstruktion, die das ­charakteristische Bauwerk erst ermöglicht. Ausge­rechnet dort, wo sich die Fassade wie ein Spalt zwischen Alt und Neu öffnet und sich das Tragwerk zeigen könnte, weicht es zurück. Mit dem Wegfall der Fassadenstützen erreichen die Planenden die optische Trennung von Neu und Alt. Die Kräfte entlang der Fassade werden drei Geschosse über der Plaza mittels Schrägstützen auf die zweite Stützenreihe geführt. Die darunter­liegenden beiden Stockwerke sind über Zugstützen ­aufgehängt. An der schmalen Westseite ist diese Konzeption geo­met­risch nicht möglich, daher sammelt ein über der Plaza liegendes und über die beiden Gebäudeecken umlaufendes Fachwerk als Abfangträger die ­Stützenlasten.

Über Zugstützen gelangen die Kräfte drei Stockwerke darüber zu Schrägstützen, diese wiederum leiten die Lasten auf die zweite Stützenreihe.

Die indirekte Lagerung führt bei diesem 110 m hohen Gebäude zu grösseren lastabhängigen ­Verformungen. Hinzu kommen die Lasten der Fassaden­elemente, die möglichst früh angeschlagen werden mussten, um bereits während des Rohbaus in den ­darunterliegenden Geschossen mit dem Innenausbau beginnen zu können. Ausserdem wurde die spezielle Glasfassade für den Endzustand mit kleinen Deckenverformungen konzipiert. Unter den Rohbauverformungen wären die Gläser deshalb gebrochen. Um die Verformungen während des Rohbaus regulieren zu können, entwickelten die Ingenieure ein konstruktives Konzept: Massgebende Diagonalen des Fachwerks wurden dem Baufortschritt folgend mithilfe von hydraulischen ­Pressen verkürzt und im Endzustand fest verschweisst.

Dadurch wurden das Fachwerk schrittweise vorgespannt und die Verformungen sukzessive ausgeglichen.

Zäsur im Meisterstück

Die hohen Fassadenlasten von bis zu 101 kN/m konnten bei den Längsfassaden nicht gesamthaft in die vorhandenen Senkkästen fundiert werden, weil diese weniger Lastreserven als die bestehende Pfahlfundation aufwiesen. Die Ingenieure mussten die zusätzlichen Lasten an dieser Stelle entsprechend reduzieren. Diese «Entlastung» erfolgte am wirtschaftlichsten mit einer Umlagerung der grossen Saaldachlasten. Dazu wurden ausgewählte Auflagerpunkte des etwa 1800 t schweren Saaldachs entlang der Längsfassaden erhöht eingebaut und nach der Fertigstellung der Stahlkonstruktion und der darüber im Verbund wirkenden Betonschale mit hydraulischen Pressen in die Endlage abgesenkt. Dadurch erfolgte die notwendige Umverteilung der Lasten hin zur Mitte des Gebäudegrundrisses, wo Tragreserven in der Pfahlfundation vorhanden sind.

Dieser konstruktiv ingeniöse Umgang mit den Kräften zeigt, welche aussergewöhnliche Leistung die Ingenieure hier vollbracht haben. Dass die Aufstockung heute so selbstverständlich auf dem historischen Sockel aus Backstein steht und die Stadt mit einer unvergleichbaren Ausstrahlung überragt, ist ein planerisches und kreatives Meisterstück und verdient eine Atempause – eine musikalische Zäsur in der Tonfolge sozusagen. Wenn perfekt ausgeführt, ist sie kaum hörbar und verlangsamt das Tempo des Stücks nicht. Ohne sie – die präzise gesetzte Zäsur oder die sorgsam durchdachte Ingenieurleistung – wäre ein Musikwerk bzw. ein solcher architektonischer Entwurf mit seinem einverleibten Tragwerk nicht umsetzbar.

TEC21, Fr., 2017.03.24

24. März 2017 Clementine Hegner-van Rooden, Heinrich Schnetzer

Von Welle und Klang

Die vom Wellenschlag geprägte Formensprache der Elbphilharmonie setzt auch im Innern des Konzertsaals Akzente. Aufwendige Computersimulationen und digitale Fertigung sollten den Klang optimieren. Dennoch weist die Akustik des Saals noch Schwächen auf.

Wie bringt man einen Konzertsaal, der räumlich und formal alles andere als konventionell zu nennen ist, optimal zum Klingen? Vor dieser Frage stand der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota, als er den Auftrag zur Ausgestaltung des grossen Konzertsaals der Elbphilharmonie in Hamburg erhielt. Seine Antwort darauf: ein «demokratischer» Aufbau. Die Besucherränge, die rund um die Bühne und das Orchester angeordnet sind, steigen in dem verwinkelten Saal terrassenartig wie ein Weinberg an. Dadurch soll jedem einzelnen Zuhörer ein gleichermassen gutes Klang­erlebnis beschert werden, während er gleichzeitig dem Geschehen auf der Bühne räumlich näher rückt.

In keinem vergleichbar grossen Konzerthaus der Welt sitzen die ­Besucher so dicht am Orchester, die maximale Entfernung zur ­Bühne beträgt 30 m. Ca. 2100 Personen fasst der Saal, der höchste Platz liegt 17 m über dem Parkett. Der Grosse Saal ist als Haus im Haus konzipiert und akustisch vom restlichen Gebäude abgekoppelt. Die Saalwände sind zweischalig: Sie bestehen aus einer äusseren und einer inneren Betonschale, die einander nicht berühren. Der gesamte Saal ist zudem an seiner Unter­seite durch mehr als 300 Stahlfedern vom rest­lichen Gebäude abgekoppelt (vgl. «Kraftfluss für die Musik»).

Ein von der Decke in den Raum ragender Akustikpilz sorgt im Zusammenspiel mit der von Yasuhisa Toyota vorgesehenen «weissen Haut» aus Akustikpaneelen an Wänden und Decke für die gezielte Streuung des Schalls (vgl. Abb. 3). Die «weisse Haut» besteht aus 10.000 individuell CNCgefrästen Gipsfaser­platten, deren Oberfläche eine wellige Struktur aus schalldiffundierenden Zellen bildet und so die ebenfalls von Wellen geprägte Formensprache der Elbphil­harmonie aufgreift. Das unregelmässige Muster der Paneele wurde von Architekt und Informatiker Ben­jamin S. Koren über Algorithmen in aufwendigen Computersimula­tionen entwickelt (vgl. Kasten unten).

Acht Jahre Arbeit und 18.000 Zeilen Programmiercode stecken im digitalen Planungsprozess. Je nach ihrer Lage im Konzertsaal und in Abhängigkeit davon, wie viel Schall von ihnen reflektiert werden soll, wurden die Akustikpaneele in ihrer Stärke und die schalldiffundierenden Zellen in Form, Grösse und Tiefe rechnerisch angepasst. Die einzelnen Zellen variieren daher in ihrem Durchmesser von 4 bis zu 16 cm. Für die Werks und Montageplanung der Paneele arbeitete das beauftragte Ausbauunternehmen eng mit Korens Planungsbüro zusammen, das ein Softwareprogramm zur ­Automatisierung der 3DPlanung und der digitalen Produktion entwickelte. Im Werk wurden die Platten mittels einer FünfachsFräsmaschine gefertigt. Die raue Haptik der Oberfläche ­erreichte man, indem das dreidimensionale Schalldiffusionsmuster unter Verwendung eines Kugelfräsers in parallelen Spuren und mit grossen Achsabständen in die Platten gefräst wurde.
Schon das Optimum?

Seit dem Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie tauchen in den Medien auch Berichte von enttäuschten Konzertbesuchern auf, die das von Yasuhisa Toyota angestrebte «demokratische» Klangerlebnis vermissen. Im Saal scheint es bessere und schlechtere Plätze zu geben. Zudem wird gern betont, dass der Saal eher für die leisen Töne geeignet sei und den Zuhörer bei allzu lauten Stücken akustisch schnell überfordere. Das klang­liche Optimum ist noch nicht überall erreicht. Nach Einschätzung von Benjamin S. Koren ist dies jedoch kein Grund zur Beunruhigung, ist doch ein nachträgliches Nachrüsten der akustischen Komponenten eines neuen Konzertsaals eher die Regel als die Ausnahme (vgl. Kasten unten). Auch Yasuhisa Toyota räumte bereits ein, dass die Akustik im Saal zukünftig immer wieder nachjustiert werden müsse.[1] So bleibt die Elbphilharmonie noch eine Weile «work in progress», um ihr Ziel zu erreichen: eines der besten Konzerthäuser der Welt zu werden.


Anmerkung:
[01] Horst Hollmann: «Wie gut ist die Akustik der Elbphilharmonie wirklich?», NWZ Online, 17.2.2017.

TEC21, Fr., 2017.03.24

24. März 2017 Viola John

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