Editorial

Mit der Präsentation seines Projekts «WerkBundStadt» im vergangenen Herbst hat der Berliner Werkbund grosse Aufmerksamkeit erregt: 33 Architekturbüros, darunter auch solche aus der Schweiz, haben gemeinsam in einem disziplinenübergreifenden Verfahren ein dichtes städtisches Wohnquartier mitten in ­Berlin ­entworfen. Dieses Experiment eines kollektiven ­Städtebaus ist ungewöhnlich und bietet das Poten­zial, einiges daraus zu lernen. Grund genug für uns, dem Thema gleich zwei aufeinanderfolgende TEC21-Ausgaben zu widmen.

Mit einem Blick auf die Geschichte der Werkbundsiedlungen führt der Architekturhistoriker Michael Hanak in die Thematik ein und verortet die WerkBundStadt in diesem Kontext. Ähnlich wie der Deutsche Werkbund hat auch der Schweizerische Werkbund eine lange Tradition als ­interdisziplinäres Forum und Netzwerk, in denen Themen der Gestaltung, des Wohnens und des Lebensumfelds eine bedeutende Rolle spielen. Der Bau der Werkbundsiedlung Neubühl (1930–1932) in Zürich ist bis heute wegweisend in der Schweizer Architektur.

Die WerkBundStadt in Berlin ist das jüngste Projekt in dieser Geschichte, das vergleichbar und doch gänzlich anders konzipiert ist – nicht mehr Siedlung, sondern Stadt. Wir betrachten einen einzigartigen Entwurfs- und Planungsprozess, der noch lang nicht abgeschlossen ist: Was macht dieses Projekt aus? Auf welchem Weg wurde es entwickelt, wie geht es weiter? In der nächsten Ausgabe werden wir Beiträge beteiligter Schweizer Büros vorstellen und mit ihnen Projekt und Verfahren der WerkBundStadt diskutieren.

Susanne Frank

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Ertüchtigung mit Respekt

12 PANORAMA
Rohe Kost

14 VITRINE
Weiterbildung

15 SIA
Warum verhält sich jemand unethisch? | Rechnung neu per Mail | Ein gewichtiger Partner der Vereinspolitik | Grosses Interesse am BIM-Merkblatt

19 VERANSTALTUNGEN

THEMA
20 WerkBundStadt I – Experimentierfeld

20 WIE WOHNEN?
Michael Hanak
Die WerkBundStadt in der Tradition des Werkbunds und seiner Wohnbauprojekte: vergleichbar und doch gänzlich anders.

26 DISKURS ALS STRATEGIE
Susanne Frank
Was macht die WerkBundStadt einzigartig? Einblick in einen ungewöhnlichen Entwicklungsprozess.

29 «DAS GANZE PROJEKT IST EIN EXPERIMENT»
Susanne Frank
Die WerkBundStadt beschreitet einen neuen Weg in der Planung und leistet damit einen Diskussionsbeitrag zu Fragen heutigen Städtebaus. Paul Kahlfeldt,
Mitverantwortlicher des Projekts, über Hintergründe, Verfahren und die nächsten Schritte.

AUSKLANG
32 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Wie wohnen?

Die Wohnfrage ist ein Leitthema und Kernkompetenz des Werkbunds. Vor diesem Hintergrund entstanden im Lauf der Zeit Werkbundsiedlungen mit unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. In dieser Tradition wagt der Berliner Werkbund nun ein vergleichbares und doch gänzlich anders geartetes Projekt: die WerkBundStadt.

WerkBundStadt nennt sich das ehrgei­zige Wohnbauprojekt in Berlin, das der Berliner Werkbund mit einer Gruppe von Architektinnen und Architekten derzeit lanciert. Am Deutschen Werkbundtag im vergangenen Herbst (23. bis 25. September 2016) stellten die Projektleiter und Beteiligten das während rund eines Jahres ausgearbeitete Konzept der Öffentlichkeit vor. Nach der Präsentation dieses Vorentwurfs beginnt nun eine neue Phase, in der weiterbearbeitet und vertieft wird im Hinblick darauf, das Projekt konkret umzusetzen (vgl. «Diskurs als Strategie»).

Im Wesentlichen geht es darum, eine zeitgemässe, vorbildliche Form einer Wohnbebauung zu finden. Aus ­ der Tradition des Werkbunds heraus, selbst Wohnsiedlungen zu planen und realisieren, sollte wiederum ein ­aktueller Beitrag zum Wohnungsbau geleistet werden. Das bedeutet für die Projektbeteiligten: eine dicht ­bebaute, zentral gelegene und nachhaltig ausgeführte städtische Wohnbebauung. In einer Ausstellung und begleitenden Büchern sind zum einen das Projekt WerkBundStadt und zum anderen seine Eingliederung in die Geschichte der Werkbundsiedlungen gut dokumentiert (Literaturhinweise am Ende des Artikels). Ein Augenschein auf dem Bauplatz und ein Gespräch mit den Projektleitern brachten weiteren Aufschluss. Ein Blick zurück in die Geschichte der Werkbundsiedlungen mit besonderem Augenmerk auf den Schweizerischen Werkbund soll helfen, das Vorhaben zu beurteilen.

Stadtreparatur statt Siedlung

Noch ist es ein Konzeptvorschlag für ein neues Stadtgeviert – nicht mehr und nicht weniger. Bevor es nun an die Umsetzung geht, dokumentiert die Initiativgruppe des Werkbunds sowohl das Projekt wie auch dessen Herleitung. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich um ein ideelles, vom Werkbund initiiertes Wohnbauprojekt handelt und um ein gemeinsam in der Gruppe aller Beteiligter entwickeltes Szenario.

Was bedeutet Wohnen heute? Wie sehen angemessene Wohnformen aus? Wie können sie erreicht werden? Solche grundsätzlichen Fragen bewegten Mitglieder des Berliner Werkbunds dazu, ein umfangreiches Wohnbauprojekt anzugehen. Es sollte keine Siedlung am Stadtrand oder im Grünen sein wie frühere Werkbundsiedlungen, sondern eine funktionsgemischte, verdichtete Wohnbebauung in der Stadt – so die Leitidee. Ein geeignetes Grundstück mitten in Berlin wurde gefunden. Es ist ein unternutztes Industriegelände an sehr zentraler Lage, unmittelbar an der Spree, nahe dem Schloss Charlottenburg und der TU Berlin und unweit des Flughafens Tegel.

Eine Annäherung an die Arbeit setzte Ende 2015 mit mehreren Klausuren ein, an denen über die sozialen, ökonomischen, ökologischen, politischen und gestalterischen Grundfragen heutiger Stadtquartiere gesprochen wurde. Die daraus resultierenden Regularien halten die Grundlage der Planungsidee fest. Die Vorschläge der 33 beteiligten Architekturbüros, zuerst für den städtebaulichen Entwurf und dann für die einzelnen Gebäude, wurden an Workshops vorgestellt und diskutiert. Anstatt einen Sieger zu prämieren, einigten sich am Ende alle auf einen gemeinsam erarbeiteten städtebaulichen Rahmenplan («Konsensplan») sowie auf architektonische Richtlinien. Dieses kooperative Verfahren, dieses gemeinsame Suchen nach einer Lösung stellt einen wesentlichen Teil des Ergebnisses dar.

Die 39 Parzellen sind in drei grössere Blockränder, eine lange Zeile und einzelne Solitärblöcke aufgeteilt. Die Strassen nehmen die schiefwinkligen Grundstücksgrenzen auf und schaffen einen Bezug zur bestehenden Fussgängerbrücke über die Spree. Ein Platz bildet den Anschluss an die benachbarten erhaltenswerten Industriehallen. Die Solitäre am Platz und die Blockecke am Tor zur Spree zählen bis zu 14 Geschosse respektive 55 m. Die Grossstruktur mit rund 1100 Wohnungen soll eine Dichte von etwa 3,5 bis 3,8 erreichen.

Damit schlägt der Werkbund städtischen Wohnraum vor, der einen gültigen städtebaulichen Beitrag leisten und zugleich gute Wohnarchitektur auf gemeinnütziger Basis schaffen soll – doch ohne Investoren wird dies nicht zu realisieren sein. Die Auswahl der Architekten und die Zuteilung der Parzellen nahmen die federführenden Initianten vom Werkbund vor, allen voran Paul Kahlfeldt (Vorsitzender Deutscher Werkbund) und Claudia Kromrei (Vorsitzende Werkbund Berlin) – eine demokratische Ausmarchung war nicht angestrebt. Mit der Umnutzung und Verdichtung des Grundstücks kann das Projekt als Stadtreparatur verstanden werden – hinter diesen lobenswerten Ansatz scheint das Bereitstellen innovativer Wohnkonzepte (zunächst) zurückzutreten. Den Vergleich mit früheren Werkbundsiedlungen relativieren die Projektleiter bereits mit dem Projektnamen – dennoch vergewissern sie sich der Einbettung in die eigene Geschichte.

Ursprünge des Werkbundgedankens

Der Deutsche Werkbund wurde 1907 in München gegründet. Die Hauptmotivation war, in einer Zeitepoche der zunehmenden Industrialisierung Alltagsgegenstände qualitativ zu verbessern und sinnvoll zu gestalten. Nicht zuletzt sollte damit eine ökonomisch vorteil­hafte Position auf dem Weltmarkt geschaffen werden. Zentrale Anliegen waren die Funktionalität und Materialgerechtigkeit der Gebrauchsgüter. Kunst, Industrie und Handwerk sollten zusammenfinden. Die Gründer des Werkbunds waren Künstler, Architekten, Kunsthandwerker, Schriftsteller, Industrielle und Kaufleute. Sie stellten das Werk, also das Produkt gestalterischer Arbeit, in den Mittelpunkt. Bis heute stehen die Interdisziplinarität und das Netzwerk auf der Agenda der Vereinigung.

Besondere Beachtung schenkte der Werkbund von Beginn an allen Gebrauchsgegenständen für den Haushalt und der Wohneinrichtung. Das Wohnen, die Wohnung und das Wohnumfeld sind seither vorherrschende Themen im Werkbund. Architektur war damit bereits mit eingeschlossen. Konkret kam Wohnhaus­architektur im Rahmen von Ausstellungen und in Form von eigenen Werkbundsiedlungen ins Spiel.

Legendär wurde die Werkbundausstellung 1914 in Köln, die zu einer ersten Leistungsschau des Deutschen Werkbunds geriet. Schon die über 50 exemplarischen Gebäude auf dem Ausstellungsgelände gingen in die Geschichte ein, darunter das Werkbund-Theater von Henry van de Velde, die Musterfabrik von Walter Gropius und ein Glashaus von Bruno Taut – alles Manifestationen einer neuen Baukunst.

Verbreitung und Entwicklung des Werkbunds

Nach dem Vorbild des Deutschen Werkbunds entstanden in anderen Ländern Europas bald gleiche oder ähnliche Vereinigungen. So in Österreich, in der Schweiz, in Schweden und schliesslich in der Tschechoslowakei. Das schweizerische Pendant wurde im Frühling 1913 in Zürich gegründet. Den Anstoss dazu gab Alfred Altherr, der Direktor der Kunstgewerbeschule und des Kunstgewerbemuseums Zürich, nach seiner Rückkehr aus Deutschland. Der Schweizerische Werkbund wollte unabhängig vom Deutschen sein, lehnte sich aber in der kulturpolitischen Ausrichtung an diesen an.[1]

Wie in Deutschland galten die Vereinsaktivitäten des Schweizerischen Werkbunds zunächst vorbildlichen Erzeugnissen aus Kunst, Industrie und Handwerk. Regelmässig wurden solche in Ausstellungen präsentiert. Architektur spielte in der Anfangszeit des Schweizerischen Werkbunds, im Unterschied zum ­Deutschen Werkbund, keine zentrale Rolle. Vielmehr war es eine Besonderheit der Schweizer Vereinigung, stets von der Innenraumgestaltung auszugehen. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts massgebliche Reformarchitektur in der Schweiz stand stark unter dem ­Einfluss des Heimatschutzes. Die erste augenscheinliche architektonische Manifestation des Schweizerischen Werkbunds war die Werkbundausstellung 1918 in Zürich, sowohl mit den temporären neuklassizistischen Ausstellungsbauten als auch mit den Exponaten der «Raumkunst-Ausstellung» zu den verschiedenen Wohnbereichen. Zudem wurde die «Arbeiter- und Mittelstandswohnung» thematisiert und damit eine Debatte darüber lanciert.

Mit der aufkommenden Moderne verschob sich der Fokus. An der Ausstellung «Wohnung und Haus» 1926 ging der Werkbund auf das «moderne Wohnproblem» ein, das eng mit den sozialen und kulturellen Fragen der Siedlungsarchitektur verbunden sei.[2] Während den Jahren des Neuen Bauens verstärkte sich die Auseinandersetzung mit dem Wohnungsbau und dem Wohnen. Die Debatte wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs von den Gegensätzen zwischen Typisierung und künstlerischer Individualität sowie zwischen Modernismus und Traditionalismus beherrscht. Wohnung und Wohneinrichtung wurden mit einer modernen, aufgeschlossenen Lebensphilosophie verbunden.

Ausgeführte und unausgeführte Werkbundsiedlungen

Stuttgart, Brünn, Breslau, Zürich, Prag, Wien: Gemeinsam ist diesen Städten, dass hier Ende 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre durch den Werkbund initiierte Wohnsiedlungen errichtet wurden. Diese Wohnsiedlungen dienten sowohl als experimentelle Ausstellungsbauten als auch als modellhafte Lösungsvorschläge mit internationalem Muster- und Vorbildcharakter. Sie verliehen der Architekturentwicklung wesentliche Impulse und sind als Wegmarken in die Geschichte des Wohnungsbaus eingegangen. Das Projekt zur WerkBundStadt in Berlin nehmen die Beteiligten zum Anlass, die früheren Wohnbauprojekte des Werkbunds zu reflektieren.

Schon vor den als solchen deklarierten progressiven Werkbundsiedlungen entstanden aus der Werkbundbewegung heraus neuartige Wohnbaukonzepte. Die 1908 bis 1913 erbaute Gartenstadt Hellerau bei Dresden ist eng mit der Gründung des Werkbunds verbunden. An der Kölner Werkbundausstellung 1914 wurde mit dem sogenannten Niederrheinischen Dorf eine «zukünftige Siedlungsform»[3] umgesetzt.

Einen Höhepunkt erreichten die weiteren Bemühungen des Werkbunds im Bereich des Siedlungsbaus im Kontext der Ausstellung «Die Wohnung» in Stuttgart: 1925 bis 1927 entstand dort die Weissenhofsiedlung, die internationale Beachtung und Berühmt­heit erlangte – ihre Bedeutung für die Architekturgeschichte kann kaum hoch genug eingestuft werden. Eine wichtige Voraussetzung war das 1919 gegründete Bauhaus, eine völlig neue Art und Konzeption von Kunstschule, die wie der Werkbund eine Zusammenführung von Kunst und Handwerk anstrebte. 1926 konnte die Schule ihr neues Gebäude in Dessau beziehen.

Als Leiter der Stuttgarter Neubausiedlung wurde Ludwig Mies van der Rohe eingesetzt, und mit ihm wurden eine Reihe von Architekten der Avantgarde nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den umliegenden Ländern zur Mitarbeit aufgeboten. Gemeinsam waren den verschiedenen Häusern der Stil des Neuen Bauens, der experimentelle Charakter und die manifestartige Ausstrahlung.

In den darauffolgenden Jahren entstanden unter verschiedenen Voraussetzungen etliche weitere Werkbundsiedlungen in der Tschechoslowakei, in Polen, Österreich und in der Schweiz. Allerdings unterscheiden sich diese in der städtebaulichen Konzeption und im architektonischen Ausdruck. Auch erhielten sie unterschiedliche Resonanz in der Öffentlichkeit und in der Fachpresse. Bis in die jüngste Zeit schlugen Werkbundleute immer wieder Planungen zu Werkbundsiedlungen vor. Ausgeführt wurden 1978–1992 «Dörfle» in Karlsruhe und 1984–1989 «Am Ruhrufer» in Oberhausen. – Es ist eine Leistung der Ausstellung und der Begleitpublikation anlässlich der WerkBundStadt in Berlin, auch alle ausgeführten und unausgeführten Werkbundsiedlungen in Erinnerung zu rufen.

Siedlungen des Werkbunds in der Schweiz

Nach der Stuttgarter Weissenhofsiedlung brachten wichtige Ereignisse den modernen Wohnungsbau in der Schweiz voran. Eines war der Bau der Musterhäuser an der Wasserwerkstrasse in Zürich, die 1927/28 im Rahmen der Ausstellung «Das neue Heim» durch Max Ernst Haefeli errichtet wurden. Ein anderes war die Gründungsversammlung des Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) 1928 in La Sarraz, die zur internationalen Vernetzung der Avantgarde beitrug.

Einen ersten architektonischen Höhepunkt erzielte der Schweizerische Werkbund mit der Wohnsiedlung Eglisee, die im Rahmen der «Schweizerische Wohnungs-Ausstellung in Basel» (WOBA) im Spätsommer 1930 eröffnet wurde. Sie war zunächst als Mustersiedlung dem Ausstellungspublikum zugänglich und er­füllte danach ihren Zweck als kostengünstiger Kleinwohnungsbau. Der Schweizerische Werkbund hatte die Initiative dazu ergriffen und sich in unterstützender und beratender Funktion engagiert. Die Bedeutung liegt im progressiven Anspruch, Wohnungen für das Existenzminimum und neue Formen des sozialen ­Wohnungsbaus zu schaffen.

Der Kunsthistoriker und Architekturkritiker Peter Meyer hob den Unterschied zu anderen Werkbundsiedlungen hervor, die stärker unter einem baukünstlerischen Anspruch standen: «Da ist nichts mehr von dem kecken Künstler-Draufgängertum zu spüren, das an der Stuttgarter Weissenhof­siedlung gelegentlich auf Kosten der Solidität etwas Allotria trieb, sondern alle diese Wohnblöcke sind mit trockenem, schweizerisch-solidem Ernst durchgear­beitet, der auf das Wohl des Bewohners gerichtet ist, nicht auf die Unterhaltung des Besuchers.»[4]

Von 1930 bis 1932 wurde am Südrand von Zürich die Werkbundsiedlung Neubühl in Etappen errichtet. Zur Projektierung hatten sich modern gesinnte Architekten zusammengetan. Einige von ihnen stammten aus der Schweizer Gruppe, die der Deutsche Werkbund mit der Innenausstattung von sechs Ausstellungs­wohnungen im Apartmentblock von Ludwig Mies van der Rohe in der Weissenhofsiedlung beauftragt hatte. Der Schweizerische Werkbund unterstützte das gemeinnützige Projekt zwar nicht finanziell, bot den Projektierenden jedoch institutionellen und ideellen Rückhalt, konkret war er in die Vorarbeiten und Organisation involviert.[5] Dessen «Protektorat»[6], wie sich der Werkbund-Geschäftsführer Friedrich Gubler ausdrückte, schlug sich in der offiziellen Benennung als «Werkbundsiedlung» nieder. In den Statuten wurde festgelegt, dass dem Schweizerischen Werkbund ein Sitz in der Genossenschaft zusteht – was bis heute der Fall ist.

Die Architekten einigten sich auf eine städtebauliche Konzeption in Zeilenbauweise. Dessen konsequente Umsetzung ist entscheidend für das harmonische Siedlungsbild, das gemäss Hans Schmidt ein grundlegendes Ziel war.[7] Die quer zu den Strassen gestellten Zeilen erlaubten nicht nur eine organische Einbettung in die Landschaft, sondern auch die demokratische Verteilung der Aussicht. In der architektonischen Umsetzung überzeugen vor allem die zugleich platzsparenden wie grosszügigen Grundrisse der Reihenhäuser. Vor dem Bezug wurde in der Ausstellung eine optimale Möblierung demonstriert. Die Architekten hatten hierfür eigens Möbel entworfen und für deren Vertrieb das Möbelgeschäft «Wohnbedarf» ins Leben gerufen.

Der Bau der Werkbundsiedlung Neubühl war ein zentrales Ereignis in der Architektur der Zwischenkriegszeit. Aufgrund konzeptioneller wie baukünstlerischer Aspekte erlangte die um Ateliers, Läden und Kindergarten angereicherte Wohnsiedlung mit 194 Wohnungen eine höchst bedeutsame, kaum zu überschätzende Position in der Schweizer Architekturgeschichte. – Wiederholen lässt sich diese Werkbundsiedlung freilich nicht, doch daran anknüpfen kann man.

Werkbundwohnen heute

Seither hat sich der Werkbund stark verändert. Heute versteht er sich vor allem als Forum und Netzwerk, wobei die Interdisziplinarität unter den gestalterischen Berufen besonders gepflegt wird. Immer noch engagiert er sich, gestützt auf «die Neugierde, das Engagement und die Fachkompetenz seiner Mitglieder»[8], in möglichst allen gestalterischen Belangen «für ein qualitätvolles Gestalten der humanen Umwelt»[9]. Selbstverständlich liegt ein besonderes Augenmerk auf Themen des Lebensumfelds und des Wohnens.

Die bestehenden, meist unter Denkmalschutz stehenden Werkbundsiedlungen nehmen schon nur dar­um einen wichtigen Stellenwert im heutigen Werkbund ein, weil gegenwärtig die zweite Sanierungswelle ­ansteht – in Stuttgart, Wien und Zürich wurde diese soeben abgeschlossen.[10] Für die Siedlung Neubühl sucht der Werkbund Zürich zudem nach zeitgemässen Ergänzungsangeboten: Eine von allen über das Internet buchbare Gästewohnung funktioniert bereits seit über einem Jahr, für eine weitere Wohnung wird derzeit eine Spezialnutzung vorgeschlagen. Kürzlich haben sich die Werkbundsiedlungen institutionell miteinander vernetzt. Die Vergangenheit ist somit präsent. Doch die Geschichte kann weitergehen. Wie weit sich die Tradition der Werkbundsiedlungen fortschreiben lässt, muss sich weisen. Jedenfalls müssen Anliegen des ­Wohnens und Zusammenlebens immer wieder von ­Neuem hinterfragt und weiterentwickelt werden. Die Gesprächskultur und konkrete Projekte dazu sind ­sehr zu be­grüssen.


Literaturhinweise:
WerkBundStadt Berlin Am Spreebord, hg. von Deutscher Werkbund Berlin, mit Texten von Thorsten Dame, Benedikt Goebel, Albrecht Göschel, Claudia Kromrei, Michael Mönninger, Matthias Noell und Gerwin Zohlen, Berlin 2016.
Bauen und Wohnen. Die Geschichte der Werkbundsiedlungen, hg. vom Deutschen Werkbund Berlin, Tübingen 2016 (Ausstellungskatalog).

Anmerkungen:
[01] Zur Geschichte des Schweizerischen Werkbunds vgl.: Thomas Gnägi, Bernd Nicolai, Jasmine Wohlwend Piai (Hg.), Gestaltung – Werk – Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich 2013.
[02] Friedrich T. Gubler, «Wohnung und Haus. Eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum Zürich», in: Werk, Nr. 12, 1926, S. 381–383, hier S. 381.
[03] Fritz Stahl, «Die Architektur der Werkbund-Ausstellung», in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Nr. 4, 1914, S. 153–160, hier S. 160.
[04] P. M. [Peter Meyer], «‹WOBA›, Schweiz. Wohnungs-Ausstellung in Basel», in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 96, Nr. 10, 6.9.1930, S. 120–126, hier S. 123.
[05] Vgl. Thomas Gnägi, Bernd Nicolai, Jasmine Wohlwend Piai (Hg.), Gestaltung – Werk – Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich 2013, S. 348, 357. U. a. begleitete Werkbundmitglied und Anwalt Wladimir Rosenbaum-Docummun die Gründung der Genossenschaft in juristischen Fragen.
[06] Ebd., S. 356.
[07] Ebd., S. 357.
[08] www.werkbund.ch
[09] www.deutscher-werkbund.de
[10] Zu diesem Thema fand vom 26. bis 28. Oktober 2016 in Stuttgart die Tagung «Die Revision der Sanierung? Denkmalpflege in zweiter Generation an Objekten des Neuen Bauens» statt.

TEC21, Fr., 2017.01.20

20. Januar 2017 Michael Hanak

Diskurs als Strategie

Mitten in der Stadt plant der Berliner Werkbund ein dichtes, funktionsgemischtes Wohnquartier. Dabei schlägt das Projekt einen ungewöhnlichen Weg ein. Was ist das Besondere an diesem Entwicklungsprozess? Und was macht die WerkBundStadt aus?

Der Berliner Werkbund hat ein bemerkenswertes Projekt auf den Weg gebracht: die WerkBundStadt. Ungewöhnlich ist es aus mehreren Gründen. Erstmals trägt eine Planung des Werkbunds die «Stadt» im Namen – ob­wohl bereits frühere Projekte, wie etwa die 2007 ­ini­tiierte Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München, im städtischen Kontext entwickelt wurden. Damit zeigt die WerkBundStadt augenscheinlich ihren besonderen Fokus: Hier stehen der städtebauliche Ansatz, die Stadträume und die Idee des Wohnens in der Stadt, inmitten eines Quartiers von sehr hoher Dichte, im Vordergrund.

Auch das Verfahren, das die beiden Projektverantwortlichen – der Vorsitzende des Deutschen Werkbunds, Paul Kahlfeldt, und die Vorsitzende des Berliner Werkbunds, Claudia Kromrei – wählten, weicht ab von dem, was bislang üblich war: Sie entschieden sich für einen disziplinenübergreifenden kooperativen Konzeptions-, Entwurfs- und Umsetzungsprozess. 33 Architekturbüros haben sich auf Anfrage zu­sammengetan, um gemeinsam «ein Stück Stadt» zu ­entwerfen. Auf einem ehemaligen Industrieareal mitten in Berlin-Charlottenburg soll ein dichtes, funktionsgemischtes Wohnquartier ent­stehen.

Da drängen sich viele Fragen auf: Wie läuft ein solcher Prozess ab? Ist es überhaupt möglich, dass so viele Architekten einen Entwurf konstruktiv gemeinsam erarbeiten und dafür einen Konsens erzielen? Und welche Aus­sichten hat ein derartiges Projekt auf Realisierung?

Gemeinsame Wissensbasis

Schaut man sich den Prozess der Planung näher an, so zeigt sich, dass die Grundlagen sorgfältig über einen Zeitraum von über einem Jahr geschaffen wurden, um darauf aufbauend die Entwürfe zu diskutieren: Im Rahmen von sieben mehrtägigen Klausurtagungen erarbeiteten sich die beteiligten Architekten gemeinsam mit Experten der unterschiedlichen Fachdisziplinen nicht nur ein umfangreiches Wissen, sondern die Verantwortlichen stellten die Weichen für eine erfolgreiche Umsetzung, indem sie im Rahmen der Tagungen auch die Stadt Berlin, Politik, Anwohner und Investoren frühzeitig in diesen Prozess involvierten.

In den ersten vier Konzeptklausuren wurden die gestalterischen, bautechnischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Leitlinien des Bauens und Wohnens entwickelt. Konkret standen diese Klausuren unter den Leitthemen Politik und ­Investment, Energie und Nachhaltigkeit, Nutzung und Gestalt sowie öffentlicher Raum und Verkehr. Die Ergebnisse wurden als Regularien formuliert, sie lagen dem Entwurfsprozess zugrunde.

Meilensteine der Entwicklung

Ein erster Meilenstein war mit der fünften Klau­sur erreicht, in der das städtebauliche Konzept der ­WerkBundStadt aufbauend auf Entwürfen von acht Städtebauteams erarbeitet wurde. Ziel war es, die besten Ansätze der verschiedenen Entwürfe herauszukristallisieren und daraus einen Masterplan zu entwickeln, der von allen Architekten mitgetragen wird. Dieser erste Stand eines städtebaulichen Rahmenplans wurde gleichzeitig mit den behördlichen und politischen Vertretern des Bezirks Berlin-Charlottenburg diskutiert und abgestimmt.

Die baurechtliche Situation ist erwartungsgemäss sehr komplex, wenn man bedenkt, dass ein ehemaliges Tanklager zu einem Wohngebiet umfunktioniert werden soll. Noch sind einige Hürden zu nehmen, doch laut dem Leiter des Stadtentwicklungsamts von Charlottenburg-Wilmersdorf, Rainer Latour, ist man hier auf gutem Weg. Dies belegen die aktuellen Entwicklungen: Mit einer Überarbeitung des städtebaulichen Rahmenplans wird das Verfahren zum Bebauungsplan nun eingeleitet.

Auf Grundlage des gemeinsam verabschiedeten Masterplans fertigten die Verantwortlichen einen Parzellierungsplan, in dem sie insgesamt 39 Parzellen auswiesen. Jedes beteiligte Architekturbüro soll mit einem Gebäudeentwurf beauftragt werden. Die einzelnen Parzellen wurden schliesslich auf der sechsten Klausurtagung ausgelost: Jedes Büro bearbeitete zunächst drei Entwürfe für drei unterschiedliche Parzellen, um aus diesem Fundus die stimmigste Lösung für das grosse Ganze – die WerkBundStadt – zu finden. Ausserdem diskutierten die Beteiligten auf dieser Klausur die architektonischen Regularien für die Entwürfe der Häuser und legten hierzu ein Regelwerk fest (Link oben rechts). Mit diesen Grundlagen entwickelten die Architekten ab März 2016 ihre Häuser für das Quartier, die einzelnen Bausteine der WerkBundStadt. Die Vorentwürfe stellten sie bis Sommer 2016 fertig und präsentierten sie auf der siebten Klausur.

Ein gemeinschaftliches Werk

Diese Klausur war der zweite Meilenstein in der Entwicklung: Hier wurden die Vorentwürfe diskutiert und unter der Federführung der Verantwortlichen ­ausgewählt – ein spannender und zugleich herausfordernder Prozess, denn ein derartiges Vorgehen muss gesteuert und moderiert werden. Dazu braucht es diejenigen, die die Rolle der Regisseure annehmen und das kollektive Ganze im Auge behalten, und diejenigen, ­ die im Sinn des Ganzen vermitteln. Und diese Konstellation scheint stimmig gewesen zu sein. Tatsächlich gelang es, einen gemeinsamen Konsens zu finden und eine Lösung zu formulieren, die von der Gemeinschaft mitgetragen wird. Das sei das Ziel dieses Verfahrens, so die Verantwortlichen: Die WerkBundStadt solle ein Entwurf aller Beteiligten werden. Welche Erfahrungen beteiligte Schweizer Architekten daraus gewonnen ­haben, werden wir in der folgenden TEC21-Ausgabe ­ zur WerkBundStadt zum Thema machen.

Hervorheben kann man zu Recht das grosse Engagement aller Beteiligten: seitens der Verantwortlichen des Werkbunds, Claudia Kromrei und Paul Kahlfeldt, der Projektleiterin Corinna Scheller, seitens der Architekten – die bislang ohne Honorar und in Vorleistung arbeiten – und seitens sämtlicher involvierter Gremien und Institutionen. Das war auf der Veranstaltung im vergangenen September spürbar, auf der die Ergebnisse dieses Arbeitsstands der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Das Projekt wird von vielen mitgetragen, und damit ist eine solide Basis für die Realisierung geschaffen. Die Beteiligten haben einen beachtlichen Zwischenstand erarbeitet, der noch Entwicklungspotenzial hat. Die inhaltlich offenen Punkte, etwa die Gestaltung der Stadträume, die Konzeption der Wohnungen oder neue Formen kollektiver Räume und Angebote, werden nun in weiteren Schritten vertieft. Zu wünschen wäre allen Beteiligten, dass sich für die anstehende Herausforderung, wie die Entwürfe im Sinn der WerkBundStadt zusammen mit Investoren realisiert werden können, tragfähige Konzepte finden lassen.

TEC21, Fr., 2017.01.20

20. Januar 2017 Susanne Frank

«Das ganze Projekt ist ein Experiment»

Die WerkBundStadt wird in einem dialogischen Verfahren entwickelt. Paul Kahlfeldt, Vorsitzender des Deutschen Werkbunds und Mitverantwortlicher des Projekts, erläutert diesen ungewöhnlichen Weg und die nächsten Schritte in der Planung.

TEC21: Herr Kahlfeldt, wie lang geht die Geschichte dieser WerkBundStadt zurück?
Paul Kahlfeldt: Die ersten Ideen im Werkbund Berlin, sich zu aktuellen Fragen der Stadt und der Wohnungen zu positionieren, entstanden schon 2004/2005 anlässlich der Vorbereitung zu «100 Jahre Werkbund». Als dann der bayerische Werkbund eine Werkbundsiedlung plante, haben wir das erst einmal aufgegeben. Da dieses Vorhaben aber scheiterte, haben wir die Gründe dafür analysiert, um diese Probleme zu umgehen.

TEC21: In welcher Form haben Sie darauf reagiert?
Paul Kahlfeldt: Uns wurde bewusst, dass es ein kleines Entscheidungsteam braucht und keine unkontrollierbaren Eingriffe von aussen stattfinden dürfen. Wir haben daher einen privaten Grundstückseigentümer mit einem geeigneten Areal gesucht. Alle Massnahmen sollen ohne staatliche Förderung erfolgen – die gesetzlichen Vorgaben für den geförderten Wohnungsbau sind in Deutschland äusserst restriktiv –, und sämtliche Verfahren sollen ebenfalls nur von uns gesteuert werden. Daher haben wir keinen Wett­bewerb ausgelobt. Zudem wurden die politischen Entscheidungsträger und Interessenvertretungen vom ersten Tag an eingebunden, um alle Prozesse so transparent wie möglich zu gestalten. Letztlich versuchen wir, die gesamten Projektkosten sofort zu benennen, um schon früh grösstmögliche Transparenz zu erreichen.

TEC21: Wie kam es dann zu dem Projekt WerkBundStadt?
Paul Kahlfeldt: Konkret ist die WerkBundStadt Teil einer Untersuchung zur «Moderne» in der heutigen Zeit. Das Konzept entstand 2012/2013 zuerst ohne genaue Idee zu dem Projekt. Wir haben dann als Beitrag des Deutschen Werkbunds für die Architekturbiennale 2014 in Venedig das Thema «This is modern» herausgegeben und mit Architekten zum Deutschen Pavillon gearbeitet. Danach entstand als Resümee die Idee ­ der WerkBundStadt: die konkrete Umsetzung eines Konzepts zum Wohnen in der Grossstadt. Auch stand anfangs die Idee im Raum, anlässlich des 2019 stattfindenden Jubiläums «100 Jahre Bauhaus» den Werkbund wieder stärker zu positionieren und aus der musealen Betrachtung herauszuführen. Salopp formuliert: «Schaut euch das Bauhaus an – die Aus­bildungsabteilung des Deutschen Werkbunds. Es existierte nur ein paar Jahre und wird sentimental bis heute gefeiert, alles retro! Aber den Werkbund gibt es noch, und der zeigt ein reales Vorhaben.» Leider dauern die Planungsprozesse doch etwas länger als angenommen, und wir werden die WerkBundStadt wohl erst 2021 fertiggestellt haben.

TEC21: Sie haben ein kooperatives Konzeptions-, Entwurfs- und Planungsverfahren gewählt – und keinen ­Wettbewerb. Dieser Weg ist eher ungewöhnlich. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Paul Kahlfeldt: Eigentlich ist ein Wettbewerb kein ideales Instrument zur Qualitätsfindung in der Architektur. Eine Jury – oft falsch besetzt – entscheidet an einem oder zwei Tagen hektisch und einigt sich auf einen Konsens oder Kompromiss, somit fast immer auf Mittelmass. Mies van der Rohe hat bis auf das späte, nicht realisierte Mannheim-Projekt keinen Wettbewerb gewonnen, alle bekannten und guten Gebäude waren Direktaufträge. Auch die berühmte Weissenhofsiedlung in Stuttgart ist nicht aus einem Wett­bewerb entstanden. Mies hat die Teilnehmer nach klaren Kriterien ausgewählt. Alle Werkbundsiedlungen sind nicht Ergebnis eines Wettbewerbs, sondern direkt beauftragt. So haben wir auch die Teilnehmer nach verschiedensten Aspekten ausgesucht und angefragt. Nicht alle Wunscharchitekten haben zugesagt, aber wir haben einen bewusst an Qualität arbeitenden Kreis zusammengestellt, nicht eine stilistische Verbindung, sondern Büros mit Erfahrung im Wohnungsbau und in der Stadtbaukunst.

TEC21: Die Projekte des Werkbunds entstanden immer vor einem ideellen Hintergrund. Welchen Beitrag liefert hier die WerkBundStadt?
Paul Kahlfeldt: Die ganze WerkBundStadt ist ideell entstanden. Wir wollen einen Diskussionsbeitrag zur Frage des heutigen, modernen Städtebaus liefern und uns der Herausforderung nach heutiger Modernität stellen. Es ist sehr spannend zu sehen, dass ein Teil der architektonischen Kritik bemängelt, dass wir heute nicht mehr weisse Kisten mit Flachdächern auf eine Wiese stellen. Eine andere Kritik bemängelt das vermeintliche Fehlen von Experimenten. Das macht mich nachdenklich, denn natürlich ist das ganze Projekt ein Experiment. Warum muss man jedes Jahr eine neue Betonmischung erdenken oder krampfhaft funktionierende Grundrisslösungen infrage stellen? Wir wollen aus den Erfahrungen und Erkenntnissen der letzten 100 Jahre lernen und nicht in die Falle oberflächlicher Innovations- und Nachhaltigkeits­floskeln tappen. Heute ist vermutlich das «Normale» das «Besondere»: unspektakulär, nützlich, nachhaltig und auch «schön».

TEC21: In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit liegt ein beeindruckender Zwischenstand vor. Wie und in welcher Form möchten Sie die Wohnungen und Stadträume dieser WerkBundStadt weiterentwickeln?
Paul Kahlfeldt: Wir wollen das Projekt kontinuierlich weiterbearbeiten. Es kommen jetzt die Fachplaner dazu. Dann erstellen wir zusammen mit Entscheidungs­trägern aus der Politik, den städtischen Behörden und Anwohnern den Bebauungsplan. Dafür wird der vorliegende Vorentwurf weiter konkretisiert, um ­möglichst in zwei Jahren mit dem Bauen beginnen ­zu können. Es gibt noch einige planungsrechtliche Hürden zu nehmen. Besondere Aspekte des Lärmschutzes sind wegen des benachbarten Kraftwerks in den Bebauungsplan zu integrieren. Viele Juristen diskutieren die beste Lösung. Der städtebauliche Rahmenplan wird Anfang 2017 überarbeitet werden, und die Ergebnisse fliessen dann in den Bebauungsplan ein. Dieser wird keine Baukörperfestsetzungen vorsehen, um spätere Modifikationen beim Entwurf der Fassaden und Gebäude zu ermöglichen. Wir diskutieren dann sicherlich noch das Mass der Freiheit der Gebäude und deren mögliche Anpassungen an eine einheitliche Haltung. Das wird noch ein spannender Dialog werden. Auch die Grundrisse sind noch nicht in Stein gemeisselt. Sobald die Bauherren der einzelnen Parzellen ermittelt sind, werden wir deren Interessen berücksichtigen. Die Vielfalt an Wohnungsgrössen und Art der Nutzungen werden wir konkretisieren. Neben der Mischung ist der lang­fristige Erhalt der Flexibilität von grosser Bedeutung.

TEC21: Im Hinblick auf die Realisierung ist die Investorenfrage essenziell. Wie waren diese bislang in das Verfahren eingebunden? Wie wollen Sie zusammen mit den Investoren und der Vielzahl an Architekten die WerkBundStadt weiterentwickeln?
Paul Kahlfeldt: Die Grundstückseigentümer waren von Anfang an dabei. Die erste «Grundfinanzierung» der WerkBundStadt übernahmen die Besitzer des Tank­lagers. Jetzt erarbeiten wir ein Bauherrenkonzept zur Realisierung. Die Idee ist, dass am Schluss jede Parzelle oder jedes Haus einem Eigentümer gehört: von Baugenossenschaften bis zum privaten Eigennutzer. Wenn wir das durchhalten können, wäre es ideal. Dafür gründen wir eine WerkBundStadt-Realisierungsgesellschaft, in der alle Entscheider vertreten sind und das Areal übernehmen. Weiter wird es eine Planungsgesellschaft geben, in der die Architekten vertreten sind und gemeinsam planen. Diese Konstellation verspricht eine effiziente Struktur.

TEC21: Wo stehen Sie jetzt gerade, und welche Schritte wollen Sie als Nächstes angehen?
Paul Kahlfeldt: Augenblicklich sprechen wir mit geeigneten Institutionen, um die finanziellen Mittel für die nächsten Planungsstufen bereitstellen zu können. Im kommenden Jahr soll dann mit dem Abbau der Tankanlagen begonnen werden. Im Anschluss er­folgen die Bodenuntersuchungen, um die Gründung festzulegen. Verunreinigungen aus dem Tankbetrieb sind glücklicherweise nicht zu erwarten. Parallel werden wir ein Verkehrsgutachten erstellen lassen, um die Fragen der Mobilität, Erschliessung und des ruhenden Verkehrs zu erörtern. Das bildet die Grundlage für die Vorplanung der einzelnen Häuser. Die Architekten werden dann in kleineren Teams die übergreifenden Themen der Dachflächen als öffentliche Freiflächen bearbeiten, und gemeinsam wollen wir kritisch untersuchen, welche Angleichungen in der Gestaltung der Gebäude möglich und notwendig sind. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat den Entwurf zur WerkBundStadt in vorbildlicher Weise planungsrechtlich durchleuchtet und in einem umfangreichen «Stresstest» einige städtebauliche Schwachstellen definiert. Diese werden gemeinsam mit dem Stadtplanungsamt diskutiert. Im Ergebnis soll im nächsten Jahr eine konkrete Vorplanung vorgestellt werden.

TEC21: Wie wird die Öffentlichkeit weiter in diesen Prozess eingebunden sein?
Paul Kahlfeldt: Ziel ist eine kontinuierliche Information und Einbindung der Öffentlichkeit in alle Verfahrensschritte und Entwurfsstände. Eine kritische Debatte zu allen Aspekten sehen wir als Qualitätssicherung im Rahmen der Realisierung der WerkBundStadt. Darüber hinaus wollen wir mit den Unternehmenspartnern die Zusammenarbeit ausbauen. Es sollen 2017 im WerkBundHaus Musterwohnungen realisiert werden, und durch das Zusammenwirken von Produktgestaltern, Architekten, Herstellern und Ver­arbeitern werden konkrete Lösungen präsentiert und erprobt. Die Erkenntnisse sollen in die Planung einfliessen. Ausstellungen, Tagungen und Vorträge im WerkBundHaus werden das Verfahren begleiten.

TEC21, Fr., 2017.01.20

20. Januar 2017 Susanne Frank

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