Editorial

Es hätte ein Heft über Industriekultur werden sollen. Eine Würdigung der Unternehmen, die ihre Werte mit Architektur ausdrücken – in der Tradition der Turbinenhalle für die AEG von Peter Behrens, der Faguswerke von Walter Gropius und der Bauten von Otto Rudolf Salvisberg für Hoffmann-La Roche.

Doch auf der Suche nach aktuellen Beispielen stachen zwei Gebäude besonders heraus, und sie gaben diesem Heft eine Wendung: der Hauptsitz von Sky-Frame und das Hilti Innovationszentrum. Über ihre vorbildliche Gestaltung hinaus bieten sie innovative Nutzungsmischungen, bei der Verwaltung auf Werkhalle trifft und Versuchs­labor auf Ideenschmiede. Diese Mischung ist essenziell für die Erneuerung der Industriebetriebe, die an der Schwelle zum neuen Jahrtausend als Old Economy abgetan wurden. Mittlerweile ist diese Industrie im digitalen Zeitalter angekommen, es ist die Rede von einer Industrie 4.0 – einer post-digitalen Revolu­tion, die durch Konvergenz und das Internet der Dinge befeuert wird.

Und so dokumentiert dieses Heft nun Bauten eines jungen Gebäudetypus mit grossen Versprechungen: Bauten für die New Old Economy. Denn wo tätige Hände und findige Köpfe aufeinandertreffen, stieben die Funken, an denen sich neue Ideen entzünden. Dass die Planer daneben auch konstruktive Pionierarbeit leisten, belegt der Prix Acier: Beide Bauten wurden dieses Jahr mit dem renommierten Stahlbaupreis ausgezeichnet.

Marko Sauer

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Heisse Kiste

10 PANORAMA
Heute selbstverständlich, morgen rar | Hommage an die Schweizer Ingenieurinnen und Ingenieure

14 VITRINE
Rund ums Gebäude

17 SIA
Mehr als nur Wohnen | Konjunkturforscher treffen auf Planer

22 VERANSTALTUNGEN

THEMA
24 BAUEN FÜR DIE NEW OLD ECONOMY

24 KOMPAKTE HYBRIDE
Martin Tschanz
Die Industrie braucht neue Räume für neue Ideen: Um die Zusammenarbeit der Abteilungen zu fördern, vereinen Hilti und Sky-Frame Hand- und Kopfarbeiter unter einem Dach.

31 BRÜCKENSCHLAG
Dr. Joseph Schwartz
Das Stahlfachwerk des Hilti Innova­tionszentrums in Schaan ist eine Brücke – konstruktiv wie räumlich. Der Tragwerksplaner beschreibt die Wirkungsweise.

AUSKLANG
34 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Kompakte Hybride

Waren Arbeitswelten früher strikt nach Tätigkeit getrennt, so sind Hand- und Kopfwerker heute unter einem Dach vereint: Eine neue Typologie entsteht. Zwei Beispiele illustrieren, wie die Bauten dieser New Old Economy aussehen.

In den vergangenen Jahren sind verschiedentlich hybride Industriebauten entstanden, die sowohl Büros als auch Werkplätze anbieten, oft vertikal zueinander organisiert oder gar miteinander verzahnt. Sie entsprechen nicht mehr dem Bild einer Fabrik, wie es sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts verfestigt hat: breit gelagerte Werkhallen, flankiert von Spezial­gebäuden wie Silos und Lager, und beim Zugang ein Verwaltungsgebäude, das bevorzugt in der Vertikalen organisiert ist, sodass es das Meer der Sheds wie ein Leuchtturm überragt.

Selbst dort, wo die Werkhallen gestapelt wurden, hat man Produktions- und Büroarbeitsplätze im Allgemeinen säuberlich voneinander getrennt. Verständlicherweise, verlangen doch die beiden Nutzungen nach unterschiedlichen Gebäudetiefen und Raumhöhen; die eine produziert Emissionen, während die andere empfindlich ist gegenüber Immissionen. Vor allem aber gehören sie unterschiedlichen Kulturen an, die sich früher so schwer mischten wie Öl und Wasser.

Ich erinnere mich an die alte Sulzer-Kantine beim Escher-Wyss-Platz, wo den Arbeitern im Blaumann ein eigener Bereich reserviert war. Mein Gedächtnis kann sich täuschen, wenn es hier Tischtücher sieht, aber mit Sicherheit waren die Tische aufgedeckt. Die Arbeiter wurden bedient, während die Angestellten ihre Speisen selbst holen mussten. Ob damit den Blue Collars Ehre erboten wurde oder ob es bloss um einen Schutz der White Collars ging: Die beiden Welten blieben auch in der gemeinsamen Mittagspause säuberlich voneinander getrennt.

Die Arbeitswelten haben sich jedoch gewandelt. Büros ähneln bisweilen Werkhallen, und Werkhallen können aussehen wie Labors. Grosse Serien werden heute meist anderswo produziert; Industrien jedoch, die innovativ Spezialitäten produzieren, sind oft gerade deshalb noch hierzulande tätig, weil sie auf eine enge Verknüpfung von Entwicklung, Design, Prototyping, Produktion, Marketing und Qualitätskontrolle angewiesen sind. Nähe ist dabei von Vorteil, und hybride Gebäude, die Büros und Werkhallen stapeln wie das Nœrd in Zürich (vgl. TEC21, Sonderheft «Umsicht», 2013) oder der Bau der Sky-Frame in Frauenfeld, stellen entsprechende Räume zur Verfügung. Das Hilti Innova­tionszentrum ist zwar kein Industriebau, es kann aber als eine Art Prototyp für zukünftige Bauten der Arbeit gelten, die einer Industrie dienen, die unter starkem Innovationsdruck steht.

Die beiden in diesem Heft vorgestellten Beispiele gehen die Aufgabe unterschiedlich an, in gewisser Hinsicht sogar gegensätzlich. Das Projekt für Sky-Frame geht vom Grundsatz möglichst flexibler Räume aus – nicht von ungefähr stand der Wettbewerb unter dem Motto «open system». Während der tief greifenden Überarbeitung des Konzepts rückten die Funktionen zwar enger zusammen, das Prinzip einer neutralen Baustruktur in Form eines rationalen, weit gespannten Stahlskeletts, das sämtliche Arbeitsräume prägt, blieb jedoch bestehen. Die Unterscheidung in Büros und Werkhallen erfolgt hier sekundär, über unterschiedliche Raumhöhen und vor allem über den Ausbau, zu dem auch die Aussparung des Dachgartens gerechnet werden kann.

Das Hilti Innovationszentrum dagegen forciert die Unterschiedlichkeit der Arbeitssituation durch eine Ausdifferenzierung in eine riesige, stützenfreie Halle und eine Baumasse, die sie umgibt und die man auch als eine Art Baublock mit einem raumhaltigen Dach über dem Hof lesen kann. Die Tragstruktur und die Raumstruktur sind hier miteinander gekoppelt, und die Nähe der unterschiedlichen Bereiche wird unter Nutzung ihrer Differenz erreicht.

Die neuen Hybride sind nicht nur bezogen auf die Anforderungen heutiger Industrie, sondern auch städtebaulich interessant. Die Funktionstrennung als Errungenschaft der Moderne, die die üblichen Zonenpläne festschreiben, wird seit Längerem infrage gestellt. Es läge nahe, solche Bauten als Vorboten einer Stadt zu sehen, die wieder stärker unterschiedliche Arten des Arbeitens mit dem Wohnen vermischt. Es fällt leicht, sich vorzustellen, dass die Schichtung Wohnungen einschliessen würde, sodass man sich dem alten Traum von einer vertikalen Stadt annähern würde.

Der Inte­gration von Industrie in die Kernstädte scheinen jedoch nach wie vor Grenzen gesetzt zu sein. Der Zu- und Auslieferungsverkehr, der notwendige Freiraum für Lastwagenmanöver und potenzielles Wachstum und nicht zuletzt der nach wie vor relativ hohe Raumbedarf bleiben Eigenheiten, die eher für periphere Lagen sprechen und einer erfolgreichen Konkurrenz von Industrie oder grösserem Gewerbe mit Wohn- oder Büronutzungen entgegenstehen.

TEC21, Fr., 2016.11.11

11. November 2016 Martin Tschanz

Sky-Frame, Frauenfeld

Der Hauptsitz von Sky-Frame steht in einem anonymen Industriegebiet in Frauenfeld. Das Gebäude sticht nicht nur durch seine hochwertige Gestaltung heraus – Peter Kunz Architektur hat ein Gebäude für alle Bereiche der Firma entworfen: hier werden unter einem Dach Fenster konstruiert, gebaut, vertrieben und beworben.

Das Gebäude der Sky-Frame in Frauenfeld ist klar und einfach konzipiert. Anlieferung, Fertigung und Ver­waltung liegen in einem kompakten Baukörper über­einander. Dieser wird von zwei blechumhüllten Erschliessungstürmen flankiert. Der grössere, ein Hochregallager, dient dem Warenfluss, der kleinere, mit Aufzug und Treppe, den Besuchern und dem Personal. Der Vorplatz, eine Landreserve, wird für eine grosszügige Vorfahrt genutzt, während die Anlieferung und das Aussenlager hinter dem Bau den Blicken entzogen bleiben. Nach Süden schützt eine Art bewachsenes Regal die Glasfassade vor der Sonne, während im Norden, zur Autobahn hin, der Einblick in das Gebäude offen bleibt, sodass sie einem Schaufenster gleicht.

Die grüne Fassade der Ankunftsseite ist be­eindruckend, auch von innen. Besonders im Bürogeschoss spielt der Vordergrund des hängenden Gartens schön mit dem Hintergrund der Hügellandschaft und mit dem Gartenhof zusammen. Fast könnte man den Eindruck bekommen, in einem leichten, eingeschossigen Pavillon mitten in einem Park zu arbeiten und nicht hoch über einer Werkhalle zwischen Autobahn und Paketzentrum.

Mit seinen speziellen Aus- und Durchblicken greift der Bau das Thema der Firma auf, die extrem fein konstruierte Fenster herstellt. Als exklusive Kostbarkeit kommen diese aber einzig beim Hof im Bürogeschoss zur Anwendung, wo innen und aussen auf vielfältige Weise miteinander verknüpft werden. Ganz beiläufig wird hier der Bau zum Showroom und zum Test­gebäude. Mit Sitzungszimmern, Besprechungszonen und Rückzugszellen zwischen innen und aussen kommen die Möglichkeiten der fast rahmenlosen Schiebeverglasungen eindrücklich zum Tragen.

Grundsätzlich sind die beiden Werkhallen – unten mit Pulverbeschichtung, Montage und Spedition, oben mit den Produktionsstrassen für die Rahmen­profile – auf die gleiche Art und mit derselben Sorgfalt konstruiert wie das Bürogeschoss, das alle Bereiche von Management, Verwaltung, Marketing und Entwicklung in einem Raum vereinigt. Auch hier prägt der Rohbau der weit gespannten Stahlkonstruktion den Raumeindruck. Aufgrund der geringeren Höhe rhythmisiert er den Raum sogar noch stärker als in den Hallen.

Durch die Koppelung der kräftigen Träger mit der Beleuchtung, durch die ausgeprägte Horizontalität des Raums, die heruntergehängte Decke in der Mittelzone und den Teppich, vor allem aber durch den zentralen Gartenhof entsteht eine Atmosphäre von Eleganz und Leichtigkeit, die auf interessante Weise das Rohe des Industriebaus ergänzt. Das Licht und die Farben der Pflanzen in der Mitte werden durch die dunkle Tönung von Boden und Decke in den umgebenden Räumen zum Strahlen gebracht. Das erinnert an traditionelle japanische Architektur oder auch an den Serpentine Pavillon von Peter Zumthor.

Die White- und Blue-Collar-Arbeitsplätze sind hier nicht gleich ausgebildet, sie sind aber explizit in ein und derselben Struktur und unter einem einzigen Dach untergebracht, in Räumen, die denselben Prinzipien gehorchen und mit der gleichen Sorgfalt gestaltet sind. Das entspricht der Firmenkultur, die sich in der Tradition der ehemaligen Schlosserei sieht und den Wert des Handwerks hochhält. Dass die Cafeteria im Dachgeschoss von allen gemeinsam benutzt wird, versteht sich fast von selbst.

Man spürt deutlich, dass hier der Industriebau nicht bloss als ein Kostenfaktor der Produktion verstanden wird, sondern auch als ein Beitrag zum Marketing, vor allem aber als eine Investition in die Qualität der Arbeitsplätze und in die Identität der Firma. Gewiss richtet sich die Architektur auch an den Besucher. Er wird von der begrünten Fassade überrascht und von der Eingangshalle beeindruckt, die dramatisch die Vertikale inszeniert und so aus der Not, nach oben zum Empfang zu müssen, eine Tugend macht. Die kultivierte Architektur richtet sich aber vor allem an die Mitarbeitenden, denen sie in einem belanglosen Umfeld einen angenehmen und anregenden Ort schafft, mit dem sie sich identifizieren können.

TEC21, Fr., 2016.11.11

11. November 2016 Martin Tschanz

Hilti Innovationszentrum, Schaan

Die Industrien Europas sind auf Innovation angewiesen. Diese entsteht, wenn die Fachleute eines Betriebs aufeinandertreffen und sich austauschen. In Schaan haben giuliani.hoenger architekten für Hilti ein Gebäude entworfen, das Versuchslabor und Engineering vereint: von aussen streng gegliedert, von innen räumlich differenziert.

Das Hilti Innovationszentrum verfolgt in gewisser Weise eine gegensätzliche Strategie [als der Firmensitz von Sky-Frame in Frauenfeld]. Nicht die Ausdifferenzierung eines Open System ist hier das Thema, sondern ein System, das von unterschiedlichen und spezifischen räumlichen Situationen ausgeht und diese zu einem kompakten Ganzen zusammenführt. Dieses System kann man als Schnitttypus beschreiben, der zwar auch eine gewisse Flexibilität garantiert, aber die Unterschiedlichkeit als Ausgangspunkt nimmt. Einheit und Nähe entstehen hier durch räumliche Verknüpfungen und erst sekundär über atmosphärische Ähnlichkeit. Das Tragwerk, das auch hier eine raumprägende Rolle spielt, ist ausdifferenziert und dabei auf das ­System der räumlichen Ordnung bezogen.

Dem Architekturwettbewerb lag ein sorgfältig ausgearbeitetes Programm zugrunde. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) war bereits im Vorfeld systematisch untersucht werden, wie die Entwicklungsprozesse bei Hilti ablaufen und wie idealerweise eine Arbeitsumgebung aussehen müsste, die Innovation begünstigt. Fasst man die Resultate in Stichworten zusammen, sind diese allerdings wenig überraschend: räumliche Nähe zwischen allen Beteiligten, insbesondere zwischen theoretischer Forschung, Entwicklung, Labors und Prüffeldern; Sichtbarkeit und Transparenz; Interdisziplinarität; kurze Wege, aber viele Kreuzungen und damit Möglichkeiten der Begegnung; vielfältige und abwechslungsreiche Räume, insbesondere für den informellen Austausch. Ein wichtiger Aspekt war, dass rasch interdisziplinäre Projektteams zusammengestellt werden können, die je nach Art und Stand der Arbeiten wachsen oder auch wieder schrumpfen können.[1]

Die Gemeinschaftsräume als Brücken, die Versuchshalle als Herz

Der Bau reagiert darauf mit einer offenen Bürolandschaft, bei der die individuellen Arbeitsplätze grundsätzlich an den Fassaden liegen, während in der Tiefe des Gebäudes Gruppen- und Besprechungszonen angeordnet sind. Die Empfangsräume und Wandelhallen, Lounges und eine Bibliothek sind als Verbindungstrakte zwischen den Ring der Büros gehängt, ebenso die Konferenz- und Seminarräume sowie eine geschützte Dachterrasse, die daran anschliessen. Alle diese Gemeinschaftsräume sind im räumlichen und im übertragenen Sinn, aber auch konstruktiv als Brücken ausgebildet. Sie überspannen die grosse Versuchshalle, die das Herz der Anlage bildet und auf drei Seiten von Büros umgeben wird, während die vierte für zukünftige Erweiterungen offen bleibt.

In der zentralen Halle werden die Lösungen erprobt, die um sie herum erarbeitet werden, und hier ergeben sich die Fragestellungen, die daneben und darüber gelöst werden müssen. Die Forderung nach kurzen Wegen wird damit auf exemplarische Weise erfüllt. Wichtiger aber ist, dass das Gebäude mit seinen Durchdringungen und seiner typologischen Klarheit eine ein­drückliche symbolische Form für die postulierte Zusammenarbeit findet. Durch die Denkfabrik der Ingenieure hindurch fällt das Licht direkt in die Werkhalle.

Der Bau setzt alles daran, trotz seiner Grösse eine Atmosphäre der Teilhabe am Ganzen zu erzeugen. Die Versuchshalle wird von einem offenen Ring zu­dienender Werkstätten und Labors umgeben, darüber liegen bereits Büros, aus denen sich der ganze Grossraum überblicken lässt. In der Mitte greift die Halle nach oben in das Eingangs- und Empfangsgeschoss ein, sodass sie auch hier eine starke Präsenz entfaltet. Interne und seltener auch externe Gäste erhalten aus erhöhter Position einen begrenzten Einblick in das experimentelle Tun, finden im grossen Auditorium oder in den Konferenzräumen, an der Kaffeebar oder in der Wandelhalle den Kontakt mit den Mitarbeitern und können gegebenenfalls direkt zu einer Demon­s­tration in die Halle geführt werden.

Das oberste Geschoss schliesslich liegt ganz über der Halle. Trotzdem bleibt die Beziehung zu ihr auch hier bestehen, nicht nur über die Oberlichter in den Höfen, sondern auch und vor allem durch die starke Präsenz der Tragstruktur in der Gebäudemitte. Das offen sicht- und tastbare Fachwerk aus Stahl macht mit seiner massiven Materialität jederzeit klar, dass man sich hier in einer Brückenkonstruktion und über jenem Raum befindet, den man beim Betreten des Gebäudes gesehen hat.

Vielheit in der Einheit

Die Räume sind, dem Programm gemäss, vielfältig ausgestaltet. Die halb öffentlichen Bereiche des Eingangsgeschosses zeichnen sich durch einen Steinboden und Gipsdecken aus, die mit Friesen profiliert sind, die Büros durch einen Teppich und offene Decken mit weissen Akustik-, Klima- und Lichtfeldern, die Mittelzonen schliesslich durch Holzböden und dieselben Deckenelemente, die hier allerdings dichter angeordnet sind.

Trotz dieser Ausdifferenzierung trägt auch die Gestaltung der Innenräume zur Einheit bei. Gewiss ist das Testfeld in der Versuchshalle bauphysikalisch sorgfältig vom Rest getrennt – immerhin werden hier Elemente bis zu ihrem Versagen belastet, Erdbeben simuliert und andere, durchaus heftige Versuche durchgeführt. Mit hellem Betonboden, glatten Wänden und Decken ist es aber ähnlich sorgfältig durchgestaltet wie alle anderen Räume. Umgekehrt gibt es auch in den Büros mit den nackten Betonstützen und der teilweisen Sichtbarkeit der rohen Decken und Installationen einen Hauch von Werkstatt.

Die Sozialbereiche schliesslich verbinden sich über die Decken mit den Büros, und die Häuslichkeit von Holzböden und Mobiliar wird durch die rohe Kraft der mächtigen Stahlfachwerke konter­kariert. Ganz beruhigt scheint der Bau einzig in den repräsentativen Bereichen des Eingangsgeschosses zu sein. Wo innovativ gearbeitet wird, gibt es stets leise, offensichtlich wohlkalkulierte Kontraste und Reibungsflächen.

Spezifisch und typisch

Mit seiner breit gelagerten, horizontal gegliederten Volumetrie am Übergang zur Rheinebene schreibt sich der Bau präzise in seine Umgebung ein. Die schwarzen, stark hervortretenden Brüstungsbänder unterstreichen die Schwere des Baus, deren mächtige Betonelemente beiläufig die Wirksamkeit der hier entwickelten Befestigungssysteme demonstrieren. Durch die Neugestaltung des höher gelegenen Hauptgebäudes auf der gegenüberliegenden Seite der Hauptstrasse wurde die Horizontalität des Innovationszentrums jüngst um eine kräftige Vertikale ergänzt. Aus der Ferne könnte man fast den Eindruck gewinnen, es bilde den Sockel für die hochragende Konzernzentrale und die anschliessenden Produktionsgebäude. Auch dies ist ein sinniges Bild.


Anmerkung:
[01] Wilhelm Bauer und Jörg Kelter: Vom Konzept in die Realität, in werk, bauen + wohnen 4/­2016, S. 18f).

TEC21, Fr., 2016.11.11

11. November 2016 Martin Tschanz

Brückenschlag

Das Stahlfachwerk des Hilti Innovationszentrums in Schaan ist eine Brücke – konstruktiv wie räumlich. Der Tragwerksplaner beschreibt die Wirkungsweise.

Im Kern des Gebäudes befindet sich die zweigeschossige, stützenfreie Versuchshalle. Sie ist auf drei Seiten von konventionellen Skelettstrukturen in Stahl- und Spannbeton umgeben. Dort befinden sich die Werkstätten, Labors und Büroebenen. Um die Wirkung der Halle als verbindendes Element zwischen diesen Nutzungen zu verstärken, wird der Luftraum durch einen Rost aus längs und quer verlaufenden, ein- und zweigeschossigen, brückenartigen Trägern zoniert, die förmlich über der immensen Versuchshalle zu schweben scheinen und in ihren Zwischenräumen Lichthöfe offenlassen.

Die Verbindungsbrücken sind auch im übertragenen Sinn Brücken der Kommunikation, denn sie beherbergen Sitzungszimmer, Vortragsraum und Aufenthaltsräume. Diese raumhaltigen Verbindungskörper spannen mithilfe beidseitig angeordneter, stockwerk­hoher Stahlfachwerke in Gebäudequerrichtung zwischen den Begrenzungswänden der Halle beziehungsweise in Gebäudelängsrichtung zwischen den quer verlaufenden Brücken. Die zweistöckigen Brücken weisen nur Fachwerke im oberen Geschoss auf, und die untere Platte ist mittels Zugstützen jeweils an den Fachwerkträgern aufgehängt.

Die bis 25 m weit gespannten Brücken bestehen aus zwei stockwerkhohen Fachwerkträgern aus Doppel-T-Trägern, deren Diagonalen einen V-förmigen Verlauf aufweisen. Diese beiden Fachwerkträger begrenzen die Brücken seitlich. Oben und unten sind Platten als Stahl-Beton-Verbundkon­struktion angeordnet, die ebenfalls mit den Fachwerkträgern im Verbund wirken und somit nebst ihrer Plattentragwirkung in Querrichtung zusätzlich zusammen mit den Gurten der Fachwerke als Druck- bzw. als Zugbereich wirken und den Tragwiderstand und die Steifigkeit der Brückenträger wesentlich erhöhen.

Dieser Effekt war einerseits sehr willkommen, um Verformungen aus Nutzlasten gering zu halten, denn diese lassen sich im Gegensatz zu Verformungen aus Eigenlasten nicht durch Überhöhungen kompensieren. Andererseits diente der Effekt auch der Kontrolle der Schwingungen, denen während der Entwicklung des Projekts besondere Sorgfalt gewidmet wurde. Bei den zweistöckigen Brücken ist die untere Platte mithilfe der vertikalen Zugstäbe so an den Knoten der oberen Fachwerke angehängt, dass die lokalen Spannweiten der Platten identisch bleiben.

Die gesamte Stahlbaukonstruk­tion der Brücken wurde bis zum Ausführungsprojekt laufend weiterentwickelt und optimiert. Alle Stege der Doppel-T-Profile verlaufen in der Mittel­ebene des Fachwerks. Der Verlauf der inneren Kräfte wurde mit Stabwerk­modellen minutiös untersucht und die Anordnung der Rippen und Steifen in den Knoten so entworfen, dass keine grossen Spannungskonzentrationen und Zugspannungen quer zu den dickeren Stahlblechen auftreten. Auch wurde die Stärke der einzelnen Bleche so variiert, dass eine möglichst gleichmässige Beanspruchung resultiert. Alle Knoten wurden verschweisst. Wegen der beträchtlichen Kräfte und der Toleranzen stellte die Auflagersi­tuation der Fachwerke in den angrenzenden Stahlbetonwänden eine grosse Herausforderung dar.

Aus gestalterischen Gründen werden die Profile bei den Fachwerken gezeigt. Um den Brandschutz zu gewährleisten, wurden sie an diesen Stellen mit einer Brandschutzbeschichtung versehen. Andere Profile, zum Beispiel die Zugstützen der abgehängten Verbunddecken, wurden dagegen mit einer Brandschutzverkleidung versehen. Durch die unterschiedlichen Raumprinzipien, Lichtstimmungen und Materialien werden im gesamten Gebäude sowohl für konzentriertes Arbeiten, gezielten Austausch im Team als auch für entspannten Aufenthalt optimale Bedingungen geschaffen. Dank klarer Trag- und Sekundärstruktur wird eine grosse Nutzungsflexibilität sichergestellt.

TEC21, Fr., 2016.11.11

11. November 2016 Joseph Schwartz

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