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11. November 2016Joseph Schwartz
TEC21

Brückenschlag

Das Stahlfachwerk des Hilti Innovationszentrums in Schaan ist eine Brücke – konstruktiv wie räumlich. Der Tragwerksplaner beschreibt die Wirkungsweise.

Das Stahlfachwerk des Hilti Innovationszentrums in Schaan ist eine Brücke – konstruktiv wie räumlich. Der Tragwerksplaner beschreibt die Wirkungsweise.

Im Kern des Gebäudes befindet sich die zweigeschossige, stützenfreie Versuchshalle. Sie ist auf drei Seiten von konventionellen Skelettstrukturen in Stahl- und Spannbeton umgeben. Dort befinden sich die Werkstätten, Labors und Büroebenen. Um die Wirkung der Halle als verbindendes Element zwischen diesen Nutzungen zu verstärken, wird der Luftraum durch einen Rost aus längs und quer verlaufenden, ein- und zweigeschossigen, brückenartigen Trägern zoniert, die förmlich über der immensen Versuchshalle zu schweben scheinen und in ihren Zwischenräumen Lichthöfe offenlassen.

Die Verbindungsbrücken sind auch im übertragenen Sinn Brücken der Kommunikation, denn sie beherbergen Sitzungszimmer, Vortragsraum und Aufenthaltsräume. Diese raumhaltigen Verbindungskörper spannen mithilfe beidseitig angeordneter, stockwerk­hoher Stahlfachwerke in Gebäudequerrichtung zwischen den Begrenzungswänden der Halle beziehungsweise in Gebäudelängsrichtung zwischen den quer verlaufenden Brücken. Die zweistöckigen Brücken weisen nur Fachwerke im oberen Geschoss auf, und die untere Platte ist mittels Zugstützen jeweils an den Fachwerkträgern aufgehängt.

Die bis 25 m weit gespannten Brücken bestehen aus zwei stockwerkhohen Fachwerkträgern aus Doppel-T-Trägern, deren Diagonalen einen V-förmigen Verlauf aufweisen. Diese beiden Fachwerkträger begrenzen die Brücken seitlich. Oben und unten sind Platten als Stahl-Beton-Verbundkon­struktion angeordnet, die ebenfalls mit den Fachwerkträgern im Verbund wirken und somit nebst ihrer Plattentragwirkung in Querrichtung zusätzlich zusammen mit den Gurten der Fachwerke als Druck- bzw. als Zugbereich wirken und den Tragwiderstand und die Steifigkeit der Brückenträger wesentlich erhöhen.

Dieser Effekt war einerseits sehr willkommen, um Verformungen aus Nutzlasten gering zu halten, denn diese lassen sich im Gegensatz zu Verformungen aus Eigenlasten nicht durch Überhöhungen kompensieren. Andererseits diente der Effekt auch der Kontrolle der Schwingungen, denen während der Entwicklung des Projekts besondere Sorgfalt gewidmet wurde. Bei den zweistöckigen Brücken ist die untere Platte mithilfe der vertikalen Zugstäbe so an den Knoten der oberen Fachwerke angehängt, dass die lokalen Spannweiten der Platten identisch bleiben.

Die gesamte Stahlbaukonstruk­tion der Brücken wurde bis zum Ausführungsprojekt laufend weiterentwickelt und optimiert. Alle Stege der Doppel-T-Profile verlaufen in der Mittel­ebene des Fachwerks. Der Verlauf der inneren Kräfte wurde mit Stabwerk­modellen minutiös untersucht und die Anordnung der Rippen und Steifen in den Knoten so entworfen, dass keine grossen Spannungskonzentrationen und Zugspannungen quer zu den dickeren Stahlblechen auftreten. Auch wurde die Stärke der einzelnen Bleche so variiert, dass eine möglichst gleichmässige Beanspruchung resultiert. Alle Knoten wurden verschweisst. Wegen der beträchtlichen Kräfte und der Toleranzen stellte die Auflagersi­tuation der Fachwerke in den angrenzenden Stahlbetonwänden eine grosse Herausforderung dar.

Aus gestalterischen Gründen werden die Profile bei den Fachwerken gezeigt. Um den Brandschutz zu gewährleisten, wurden sie an diesen Stellen mit einer Brandschutzbeschichtung versehen. Andere Profile, zum Beispiel die Zugstützen der abgehängten Verbunddecken, wurden dagegen mit einer Brandschutzverkleidung versehen. Durch die unterschiedlichen Raumprinzipien, Lichtstimmungen und Materialien werden im gesamten Gebäude sowohl für konzentriertes Arbeiten, gezielten Austausch im Team als auch für entspannten Aufenthalt optimale Bedingungen geschaffen. Dank klarer Trag- und Sekundärstruktur wird eine grosse Nutzungsflexibilität sichergestellt.

TEC21, Fr., 2016.11.11



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|46 Bauen für die New Old Economy

03. Juni 2016Joseph Schwartz
TEC21

Beherrschte Freiform

Die Betonschale im Biennale-Pavillon ist analog zur architektonischen Raumbildung aus einem intuitiven gesteuerten Prozess abgeleitet, ihr Tragverhalten wurde mit Methoden der grafischen Statik veranschaulicht. Eine angewandte Forschung der Professur für Tragwerksentwurf der ETHZ.

Die Betonschale im Biennale-Pavillon ist analog zur architektonischen Raumbildung aus einem intuitiven gesteuerten Prozess abgeleitet, ihr Tragverhalten wurde mit Methoden der grafischen Statik veranschaulicht. Eine angewandte Forschung der Professur für Tragwerksentwurf der ETHZ.

Der Schweizer Pavillon für die Architekturbiennale 2016 in Venedig ist auf den ersten Blick genauso wenig als Tragstruktur wie als architektonischer Raum zu erfassen und zu verstehen. Die «zufällig» entstandene Form folgt keinen Regeln, sie ist weder nach geometrischen Gesichtspunkten hergeleitet noch nach experimentell-tragwerkstechnischen Kriterien entwickelt. Sie ist eine Hülle, nichts mehr und nichts weniger.

Wie oft bei den Werken von Christian Kerez wird der architektonische Raum durch die Tragstruktur aufgespannt, es gibt keine additiven Elemente, sondern alles verschmilzt zu einer Einheit (Abb. oben). Die Suche und das Finden der Form sind nicht Thema des vorliegenden Aufsatzes. Nichtsdestotrotz scheint der Dialog mit dem Architekten insofern bedeutungsvoll, als stets über die Konsequenzen der Grundsatzentscheide diskutiert wurde. Und wie immer ging es nicht nur um das Tragverhalten, sondern vielmehr um eine ganzheitliche Betrachtung mit zusätzlichen entscheidenden Aspekten wie etwa der Materialwahl, dem Konstruktionsprinzip, der Herstellungsart inklusive Transport und Montage, dem Nutzungsverhalten oder der Wirtschaftlichkeit.

Form- und Konstruktionssuche

Was sind die Konsequenzen einer massiven, schweren oder leichten Bauweise? Soll das Objekt eher vorfabriziert oder in situ erstellt werden? Wie können die Arbeitsfugen – sei es bei der Vorfabrikation oder beim Betonieren vor Ort – so ausgebildet werden, dass der abstrakte Charakter der Hülle nicht beeinträchtigt wird? Soll das Objekt später abgebaut und an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden können? Wie kann es möglichst kostengünstig realisiert werden? Inwiefern wirkt sich die Wahl eines mineralischen Materials auf die Platzverhältnisse in der Ausstellungshalle aus? Soll der Beton gespritzt, gegossen oder aufgetragen werden? Mit oder ohne diskrete Bewehrung, Vorspannung oder Fasern? Mit oder ohne Schalung welcher Art?

All diese Fragen sind eng verknüpft mit dem Tragverhalten und spannen eine komplexe mehrdimensionale Matrix auf, deren systematische Aufarbeitung genau wie beim klassischen architektonischen Entwurfsvorgehen weder zweckmässig noch zielführend ist. Anstelle einer wissenschaftlichen Entscheidungsfindung tritt ein intuitiver, oftmals vom sogenannten Bauchgefühl gesteuerter Prozess in den Vordergrund. An die Stelle eines deduktiven Vorgehens tritt ein induktives Vorgehen, allerdings nicht etwa wie die Form des Objekts quasi vollständig dem Zufall unterworfen, sondern doch geeicht durch die harten Kriterien der Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit. Diesbezüglich waren die Diskussionen mit den involvierten Unternehmern im Rahmen der ausgesprochen intuitiven Vorgehensweise sehr wertvoll.

Stabilität durch vielfältige Verwerfungen

Diese Fragen sind weder dem Lehrstuhl für Tragwerksentwurf noch den Ingenieuren des Büros Dr. Schwartz Consulting fremd, sondern werden laufend und ganz besonders bei der Zusammenarbeit mit dem Architekten thematisiert (vgl. TEC21 44/2009 «Schulhaus Leutschenbach» und TEC21 11/2016 «Stahlbau nackt»). Dies betrifft ebenfalls die Herausforderungen an das Tragverhalten der hier zu entwickelnden Raumhülle, die als Freiform interpretiert werden kann. Standen beim Entwurf der Überdachung des Kunstmuseums in Warschau geometrische Formen im Vordergrund, nämlich extrem weit gespannte Zylinderschalen (Abb. S. 29 unten rechts), so waren es beim Entwurf des Guangzhou Art Museum in China nicht minder herausfordernde Freiformschalen, die aus geometrischer Sicht frei entwickelt wurden und trotzdem klaren tragwerkstechnischen Prinzipien folgten (Abb. S. 29 unten links). Auch hier wurde der anspruchsvollen Frage der Ausführungsart mit plausiblen Lösungsansätzen begegnet. Interessant ist vor allem der Aspekt, dass vergleichsweise dünne Schalen dank ihrer sogenannten doppelten Krümmung eine ausserordentliche statische Effizienz aufweisen, was den Schalenbauern von der Antike bis zur Moderne bestens bekannt war.

In diesem Zusammenhang sei auf die Entwicklung der Steinbogentragwerke der alten Römer verwiesen. Besonders eindrücklich das Prinzip der Fabricius-Brücke in Rom, das ebenfalls bei der Raumhülle des Biennale-Pavillons eine wichtige Rolle spielt (Abb. oben). Nicht nur die Gravitationskräfte werden mittels der Bogenkrümmung aufgenommen, sondern ebenfalls die in der Fundation erzeugten Reaktionskräfte, die nicht minder gleichmässig verteilt sind und mithilfe eines auf dem Kopf stehenden Bogens aufgenommen werden. Sind es bei den römischen Rundbögen die Bogenstärke sowie die zusätzlichen seitlichen Drücke, die die Bögen trotz ihrer aus tragwerkstechnischer Sicht nicht optimalen Form im Gleichgewicht halten, so sind es bei der Raumhülle des Biennale-Pavillons die vielfältigen und allgegenwärtigen Verwerfungen, die der Tragstruktur eine ausserordentliche Steifigkeit verleihen. Weiter sind bei den Bogenbrücken seitliche horizontale Streben zu erkennen, die für die Umlenkung der vertikal verlaufenden Bogenkräfte zuständig sind. Die entsprechenden horizontalen Auflagerkräfte auf halber Höhe fehlen beim Biennale-Projekt und werden durch die im Bild auf S. 28 dargestellten Zugbänder ersetzt, die einem seitlichen Ausweichen der wandartigen Bereiche entgegenwirken.

Formfindung mittels grafischer Statik

Das Projekt des Biennale-Pavillons bettet sich perfekt in die Forschungsinteressen des Lehrstuhls für Tragwerksentwurf ein. Zentrales Thema von dessen Forschung ist die Frage nach der Beziehung von Architektur und Ingenieurwissenschaften mit Fokus auf dem unterschiedlichen Verständnis der Rolle der Form. Diese Fragestellung dient als Kristallisationspunkt für ein breit angelegtes Feld von Projekten mit dem gemeinsamen Ziel der Erforschung disziplinimmanenter Denkkategorien und der Möglichkeit interdisziplinärer Interaktion. Sowohl Lehre als auch Forschung sind getrieben von der grafischen Statik, bei der im Gegensatz zur analytischen Statik alle mathematischen Operationen vektorgeometrisch durchgeführt werden und damit frei von numerischen Berechnungen sind. Durch die geometrische Abhängigkeit entsteht ein Geflecht von Diagrammen, was dazu führt, dass die Modifikation eines beliebigen Diagramms die geometrische Anpassung der anderen Diagramme erzwingt. Damit werden die Zusammenhänge zwischen Kraft und Form auch im Raum visuell fassbar (Abb. S. 29 oben) und ermöglichen neben der Analyse einen aktiven und damit synthetischen Formfindungsprozess.[1]

Ein nicht nach den elementaren Kriterien eines einfachen inneren Kräfteverlaufs geformtes Flächentragwerk ist tragwerkstechnisch schwer zu erfassen, da es innerlich hochgradig statisch unbestimmt ist und sich jenseits bekannter Typologien positioniert (Abb. unten). Mit der Diskreten Analyse wurde eine Methode zur Erfassung der inneren Kräfte und des systemischen Verhaltens derartiger Strukturen entwickelt, indem das Tragsystem im Sinn des statischen Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie gleitend zwischen diskreter Gitterschale mit gelenkig verbundenen Stäben, biegesteif verbundenen Stäben sowie kontinuierlicher Schale variiert werden kann. Diese Methode eignet sich hervorragend für den Einsatz im Entwurf und dient somit als Grundlage des interdisziplinären Diskurses bei der Entwicklung von Tragwerksformen jenseits bekannter Typologien, die sowohl architektonisch als auch konstruktiv zufriedenstellend sind.[2] Der Biennale-Pavillon ist in diesem Sinn ein willkommenes experimentelles Überprüfungsobjekt.

[Prof. Dr. Joseph Schwartz, Professor für Tragwerksentwurf am Institut für Technologie in der Architektur ETHZ]


Weitere Forschungsthemen

Die Forschungsprojekte des Lehrstuhls für Tragwerksentwurf der ETHZ entwickeln Lösungsansätze zu tragwerkstechnischen und architektonischen Fragestellungen auf Basis der Geometrie. Dabei werden die inneren Kräfte von Freiformen mittels gekrümmter Spannungsfelder,[3] mittels Kombination von Hypar-Elementen,[4] mittels interaktiver Steuerung des inneren Kräfteverlaufs[5] sowie an räumlich gefalteten Strukturen[6] untersucht. Ein weiteres Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Herstellung von vorgespannten Freiformen mittels Vorfabrikation.[7]


Anmerkungen:
[01] Maximilian Schrems: Zur Erweiterung der «grafischen Statik» in die dritte Dimension, Dissertation, 2016.
[02] Thomas Kohlhammer: Strukturoptimierung von stabförmigen Flächentragwerken mittels reziproker Analyse, Dissertation, 2013.
[03] Marco Bahr, Toni Kotnik: Strut and Tie Networks – An Approach to Numerical Curved Stress Fields, Proceedings of the IABSE-IASS Symposium, London 2011.
[04] Ting Cao, Joseph Schwartz, Chi Zhang: Prototypical Hypar: an operative form-making method based on Hyperbolic Paraboloids, Proceedings of the International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) Symposium – Future Visions, Amsterdam 2015.
[05] Patrick Ole Ohlbrock, Joseph Schwartz: Combinatorial Equilibrium Modelling, Proceedings of the International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) Symposium – Future Visions, Amsterdam 2015.
[06] Pierluigi D’Acunto, Juanjo Castellon: Folding Augmented: A Design Method for Structural Folding in Architecture, in: Origami 6: The Sixth International Meeting of Origami in Science, Mathematics, and Education, Koryo Miura, Toshikazu Kawasaki, Tomohiro Tachi, Ryuhei Uehara, Robert Lang, Patsy Wang-Iverson (eds.), 2014.
[07] Lluis Enrique, Philippe Block, Joseph Schwartz: Form-finding method for prestressed cable networks using graphic statics, Proceedings of the International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) Symposium – Future Visions, Amsterdam 2015.

TEC21, Fr., 2016.06.03



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|23 «Incidental Space» im Schweizer Pavillon

27. Mai 2016Joseph Schwartz
Neven Kostic
TEC21

Solides Rückgrat

Für die einwandfreie Montage der auswechselbaren Forschungsmodule von aussen waren möglichst weit auskragende Decken gefordert. Die Ingenieure entwickelten ein Traggerüst mit eigens konstruierten Stahlpilzen und mit präziser Spannkabelführung – dies sogar im Holzdach.

Für die einwandfreie Montage der auswechselbaren Forschungsmodule von aussen waren möglichst weit auskragende Decken gefordert. Die Ingenieure entwickelten ein Traggerüst mit eigens konstruierten Stahlpilzen und mit präziser Spannkabelführung – dies sogar im Holzdach.

Das Nutzungskonzept des Forschungsgebäudes NEST forderte Architekten und Tragwerksplaner gleichermassen heraus. Man war sich einig, dass das als grosses Regal konzipierte Gebäude an allen Fassadenflächen offen bleiben und keinerlei Tragelemente in den Fassadenebenen ­aufweisen sollte. Der Wunsch nach möglichst grossen Deckenflächen für die stockwerkhohen Forschungsmodule bedingte eine Tragstruktur mit entsprechenden Deckenauskragungen, die hohe Anforderungen an die konzeptionelle Entwicklung und die konstruktive Ausbildung des Stahlbetonbaus stellte.

Uneingeschränkte Nutzfläche

Die Planer entwarfen das Konzept in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit und entwickelten es zur Optimierung der Nutzungsanforderungen konsequent weiter (Abb. S. 35 unten). Von Anfang an war klar, dass sich die Nutzung am besten mithilfe eines zentralen Kerns erfüllen lässt, der die Erschliessung, die technischen Installationsschächte sowie die wenigen dienenden Räume aufnimmt. Der sich aus dem kastenförmigen Untergeschoss entwickelnde doppelwandige Kern wirkt als Rückgrat der gesamten Struktur, spannt die auskragenden Deckenplatten ein und steift das Gebäude aus. Durch geschickte Anordnung der Wände im Untergeschoss konnten die sehr grossen Kernkräfte möglichst gleichmässig durch die Bodenplatte in den Baugrund eingeleitet werden, sodass das Gebäude flach fundiert werden konnte.

Anlässlich der intensiven Konzeptbesprechungen wurde nach Möglichkeiten gesucht, den Umfang und die Tiefe der Nutzflächen zu variieren und weiter zu vergrössern, was letztlich zum Abweichen von einer rein prismatischen Gebäudefigur führte. Durch die stockwerkweise verschränkte Anordnung der im Grundriss polygonal verlaufenden Deckenränder wurde es nämlich möglich, Nutzflächen zu generieren, die nicht mehr allein durch die effektiven statischen Auskragungen begrenzt sind. Infolge der auf auskragenden Wandscheibenelementen hängenden beziehungsweise aufgelegten Deckenbereiche konnte zum Teil auf streng übereinanderliegende Wände verzichtet werden; so wurden stockwerkweise alternierend Deckenbereiche entwickelt, deren nutzbare Auskragung grösser ist als die effektive statische Auskragung (Abb. oben).

Sonderanfertigung gegen Durchstanzen

Die sich daraus ergebenden tragwerkstechnischen Herausforderungen sind aus den Abbildungen S. 37 ersichtlich. Es sind einerseits die grossen Schubbeanspruchungen der Decken in den Bereichen der Wandenden und andererseits die Durchbiegungen an den Deckenrändern. Zur Vermeidung von Durchstanzversagen der Decken im Bereich der Wandenden war die Anordnung einer lokalen Schubverstärkung unerlässlich. Mit Bügelbewehrung allein konnte der Durchstanzwiderstand der 55 bis 60 cm starken Obergeschossdecken unter maximal 6.5 MN nicht gewährleistet werden. Es wurden spezielle in der Sichtbetonkonstruktion integrierte Stahlpilze entwickelt, die eigens für diesen Bau konstruiert wurden. Diese Durchstanzpilze wurden mit weiteren in den Beton integrierten Stahlelementen ergänzt, die die Funktion kräftiger Bewehrungen übernehmen. Einerseits sind dies die schweren Druckbewehrungen aus Vollrundstahl, die die erwähnten gros­sen Deckenlasten mittels Kopfbolzendübeln in die Wände einleiten.

Die auskragenden Wandelemente, an denen sowohl unten als auch oben konzentrierte Deckenlasten von rund 6.5 MN wirken, mussten zusätzlich mit Spannkabeln versehen werden, um die Zugkräfte aus der unteren Decke aufzunehmen. Andererseits wurden die unteren Stahlpilze zusammen mit den aufgehenden Rundstählen derart mit kräftigen Stahllaschen und Ankerplatten ergänzt, dass die geneigten Spannkabel mit dem inte­gralen Stahlbauteil verbunden werden konnten, was einen sehr direkten und eleganten Kraftfluss in den extrem hoch beanspruchten Knotenbereichen ermöglicht, wie die Modellierung mit dem kontinuierlichen Spannungsfeld eindrücklich illustriert (Abb. S. 37 oben links). Vier weitere als Bügelbewehrung wirkende Spannkabel erhöhen den Schubwiderstand der Wandscheiben.

Verformungsarm dank Vorspannung

Die zweite grosse Herausforderung bestand in der ­Kontrolle der Verformungen der Decken infolge ihrer beträchtlichen Auskragungen von bis zu rund 10 m ­über die Eckdiagonalen gemessen.

Einerseits die grossen zu berücksichtigenden Nutzlasten von 10 bis 12 kN/m2 und andererseits die respektablen Eigenlasten liessen die Ausbildung ­d­er Decken mit ausschliesslich schlaffer Bewehrung ­als wenig zweckmässig erscheinen, sind doch ins­beson­­dere die Kriechverformungen problematisch, ­weil sie nicht eindeutig mittels einer Deckenüber­hö­­h­ung kompensiert werden können. Daher wurden die Decken konsequent vorgespannt, wobei die 1900-kN-Flachkabel derart geführt wurden, dass die ständi­gen Lasten ­weitgehend durch die Umlenkkräfte der Vorspan­nung kompensiert werden und somit weder elastische noch Kriechverformungen unter ständigen ­Lasten ­auftreten.

Ein weiterer Vorteil der Vorspannung besteht darin, dass sie die Steifigkeit der Betonplatten beträchtlich erhöht und entsprechend die Verformungen im Gebrauchszustand unter den hohen Nutzlasten der Module reduziert. Dabei vergrössert sie auch den Durchstanzwiderstand der Decken infolge der geringeren Rotationen über den Stützen einerseits, und andererseits durch den Einfluss der geneigten und gekrümmten Kabel im Bereich der Stützen, die somit ihre Umlenkkräfte direkt ins Auflager einleiten können.

Nichtsdestotrotz wurden die kritischen Bereiche der Decken zusätzlich mit einer Bügelbewehrung versehen. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Kriterien wurde die Geometrie der Kabel sowohl im Grundriss als auch im Schnitt sorgfältig planerisch entwickelt und minutiös auf der Baustelle umgesetzt.

Angewandte Forschung

Beim NEST handelt es sich um ein Forschungsge­bäude. Deshalb war es naheliegend, der geplanten Holzüberdachung im Dachgeschoss mit innovativen und experimentellen Lösungsansätzen – unter anderem mit vorgespannten Brettschichtträger (vgl. «Vorgespannte BSH-Träger», S. 36) – zu begegnen.

Das Tragwerk des Forschungsgebäudes Empa ­NEST stellte sehr hohe Anforderungen an die Planenden und an die Ausführenden. Dank bewusster und engagierter interdisziplinärer Zusammenarbeit ab der ersten Konzeptphase, dem sehr starken Vertrauensverhältnis sowohl der Planenden untereinander als auch mit der Bauherrschaft sowie dem grossen Einsatz und dem respektvollen Umgang aller Beteiligten in der Ausführungsphase konnten die technischen und baulichen Herausforderungen souverän gemeistert werden.

TEC21, Fr., 2016.05.27



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|22 Empa NEST – Brutplatz für die Forschung

30. Oktober 2009Joseph Schwartz
TEC21

Hohe Schule

Voraussetzung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, dass alle Beteiligten die Belange der anderen Fachbereiche verstehen und sich nicht nur für die Qualität der eigenen Arbeit, sondern auch für die des gesamten Bauwerkes engagieren. Dies ermöglicht eine Horizonterweiterung, von der die Projektierenden auch im eigenen Fachbereich profitieren. Beim Schulhaus Leutschenbach ist dies gelungen – ein Ingenieurbericht über die Herausforderungen bei der Planung und Realisation der Tragkonstruktion.

Voraussetzung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, dass alle Beteiligten die Belange der anderen Fachbereiche verstehen und sich nicht nur für die Qualität der eigenen Arbeit, sondern auch für die des gesamten Bauwerkes engagieren. Dies ermöglicht eine Horizonterweiterung, von der die Projektierenden auch im eigenen Fachbereich profitieren. Beim Schulhaus Leutschenbach ist dies gelungen – ein Ingenieurbericht über die Herausforderungen bei der Planung und Realisation der Tragkonstruktion.

Ab der ersten Wettbewerbsphase wurde in enger Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen nach Lösungen gesucht, um die konzeptionelle Grundidee des Entwurfes am effizientesten umzusetzen. Um einen maximalen Bezug der öffentlichen Räume wie Verwaltung, Aula und Bibliothek zum Aussenraum zu ermöglichen, galt es, diese Stockwerke möglichst ohne tragende Elemente in der Fassadenebene auszubilden. Sowohl der dreigeschossige Unterrichtszimmerkörper als auch die Turnhalle boten sich mit ihren beträchtlichen Höhen dazu an, diese Idee als weit auskragende Körper überzeugend umzusetzen (Abb. 2). Um auch in den Unterrichtsräumen und in der Turnhalle einen möglichst starken Bezug zur Umgebung zu ermöglichen und die Tageslichtverhältnisse in dem sehr tiefen Baukörper mit den Unterrichtsräumen zu optimieren, wurden die für die grossen Auskragungen erforderlichen Scheiben der Tragstruktur als Stahlfachwerke ausgebildet, die mit den Stahlbetondecken im Verbund wirken. Die Lage der in der Fassadenebene liegenden Fachwerkstreben wurde anhand einer langwierigen Parameterstudie unter Berücksichtigung aller möglichen Kriterien festgelegt. Der Entscheid, diese Fachwerke im Aussenklima anzuordnen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad der Projektierungsaufgabe erheblich: Neben den relativ grossen Längen änderungen in der Tragstruktur infolge von Temperaturveränderungen müssen auch grössere Wärmebrücken akzeptiert werden. Es galt, diese zu minimieren, deren Wärmeströme zu berechnen und im Energienachweis zu berücksichtigen.

Im Erdgeschoss liegt der Baukörper lediglich auf sechs stählernen Dreibeinen auf, welche die grossen Gebäudelasten über das Untergeschoss an die Fundation abgeben. Die Decke über dem vierten Obergeschoss ruht auf den im Grundriss H-förmig angeordneten Fachwerkträgern, die ihre Kräfte über die mittleren Längsfachwerkscheiben des dreigeschossigen Klassenzimmerkörpers auf die Dreibeine abgeben. An den Rändern der Querfachwerke im vierten Obergeschoss sind sowohl die äusseren Längsfachwerkscheiben des dreigeschossigen Klassenzimmerkörpers aufgehängt als auch die Längsfachwerke der Turnhallenfassade aufgelagert (Abb. 7). Die Fachwerkscheiben der Gebäudequerseite sind in den Gebäudeeckpunkten mit denjenigen der Längsfassaden verbunden. Die stählerne Dachkonstruktion liegt auf den Obergurten der Turnhallen-Fachwerkscheiben auf.

Fundation und Untergeschoss

Der Baugrund besteht aus Seeablagerungen, die Moräne liegt tiefer als 50 m unter Terrain. Diese Verhältnisse erforderten eine Pfahlfundation. In den Bereichen, in denen die enormen Lasten eingeleitet werden, nämlich unterhalb der Dreibeine, wurden drei linienartige Pfahlbankette angeordnet. Die beiden aussenseitigen Pfahlbankette ruhen auf je zwölf Grossbohrpfählen mit einem Durchmesser von 120 cm und einer Länge von 30 m, das mittlere Pfahlbankett auf sechs Grossbohrpfählen. Unterhalb der Aussenwände des teilweise im Grundwasser liegenden Untergeschosses sind Betonrammpfähle mit einem Durchmesser von 40 cm und einer Länge von 20 m angeordnet.

Das Untergeschoss hilft dank der Steifigkeit der Innenwände, die Lasten gleichmässig auf die Pfähle zu verteilen. Die Geometrie der Räume wurde so optimiert, dass sowohl die architektonischen als auch die statischen Anforderungen möglichst gut erfüllt werden konnten. Eine besondere Herausforderung stellte die Einleitung der Dreibeinkräfte in die Kellerwände dar. Unterhalb der Aufl agerpunkte der Dreibeine sind bis zur Bodenplatte reichende, runde Stahlkerne mit einem Durchmesser von 32 bzw. 20 cm, die über ihre ganze Höhe mit Kopfbolzendübeln versehen sind, in die massiven, stark bewehrten Kellerwandbereiche eingelegt (Abb. 1). Sowohl für die Bankette, für die Bodenplatte, für die Untergeschosswände als auch für die Decke über dem Untergeschoss wurde Recyclingbeton verwendet.

Montage der Stahltragsstruktur

Der Stahlbau weist ein Gesamtgewicht von rund 1000 t auf. Die Teile wurden im Rahmen der Transportmöglichkeiten im Werk vorgefertigt und in der Feldwerkstatt der Baustelle liegend zusammengeschweisst. Es kam mehrheitlich Stahl S460N zur Anwendung. Der Feuerwiderstand des Stahlbaus wird mit einem Brandschutzanstrich in Kombination mit einer Sprinkleranlage sichergestellt. Zur Montage wurde ein mobiler Raupenkran mit einer Hubkraft von 5000 kN eingesetzt. Vier provisorische Hilfstürme dienten der Stabilisierung der Stahlbaukonstruktion während der Montage (Abb. 8). Zur Sicherstellung der Stabilität des Stahlbaus während der gesamten Bauzeit waren nur sehr wenige provisorische Verbände erforderlich. Die räumlichen Abweichungen der einzelnen Fachwerkelemente wie auch diejenigen des gesamten Stahlbaus betrugen nach der Montage nur wenige Zentimeter. In Anbetracht der sehr hohen Anforderungen an den ausführenden Stahlbauunternehmer bei der Montage der schweren Bauteile in luftiger Höhe ist dieses Resultat beachtlich.

Decken

Die konzeptionelle Entwicklung der Decken war ein intensiver Prozess, an dem alle Fachplaner beteiligt waren. Das Einlegen der Gebäudetechnikleitungen war eine wichtige Randbedingung des architektonischen Grundkonzeptes. Die grosse Herausforderung, die das Projektierungsteam in einer frühen Phase eingegangen war, nur eine einzige Steigzone anzuordnen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad zusätzlich; ebenso der Entscheid, eine kontrollierte Lüftung einzubauen. Aus statischer Sicht wurden möglichst leichte Decken angestrebt. Nach einem ausgiebigen Variantenstudium fiel die Wahl auf Leichtbetondecken mit einer Betonqualität LC 35/38 mit einer Rohdichte von 1800 kg/m3. Auch beiden Decken wurde Recyclingbeton verwendet. Die Form der Deckenuntersicht wurde unter Berücksichtigung vieler Parameter sorgfältig optimiert. Die Geometrie der eingelegten Gebäudetechnikleitungen, die Anordnung der Leuchtkörper, die Lösung der raumakustischen Anforderungen unter Berücksichtigung der gestalterischen Anforderungen und weitere Randbedingungen führten zu einer statisch effizienten Lösung mit einer polygonal gewellten Deckenuntersicht, welche die Decken als Plattenbalkenstreifen zwischen den Stahlträgern der Fachwerke wirken lässt (Abb. 04). Generell sind in Richtung der Fachwerkträger zusätzliche Längsträger an der Deckenuntersicht ausgebildet, die im Verbund mit den Stahlträgern wirken.

Um grosszügige, offene Raumverhältnisse im Gebäudeinnern zu erzielen, waren aus brandschutztechnischen Gründen aussen liegende Fluchtbalkone erforderlich. Diese sind auf allen Geschossen vorhanden und wurden formal gleich behandelt wie die Decken. Eine besondere Schwierigkeit stellte die Anordnung der Fachwerke im Aussenklima dar: Die Wärmedämmung durchdringt somit die Decken neben ihren Randaufl agern auf der ganzen Gebäudelänge. In diesen Bereichen wurden teilweise wärmegedämmte Stahlwalzprofile im Abstand der Deckenbalken eingelegt, die unter Berücksichtigung der statischen und der bauphysikalischen Anforderungen optimiert wurden.

Fassade

Die Fassade wurde – ausser im Bereich der sich öffnenden Flügel – rahmenlos ausgebildet. Sowohl für die Aussenfassade aus Floatglas als auch für die Innenwände aus Profilbauglas wurden entsprechende Deckenschlitze vorgesehen, in welche die Gläser versenkt werden konnten. Zur Aufnahme der Windlasten wurden bei grossen Spannweiten Glasschwerter angeordnet. Die theoretischen relativen Verformungen der Decken abzuschätzen, stellte in den zusammenhängenden Baukörpern – das heisst: in den Unterrichtsräumen und in der Turnhalle – kein Problem dar. Schwieriger war es in den offenen Geschossen: Sowohl im Erdgeschoss als auch im vierten Obergeschoss wurden deshalb die Verformungen der Fachwerkkörper während des Bauvorganges kontinuierlich gemessen und dokumentiert, um eine Prognose der definitiven Verformungen zum Zeitpunkt, an dem die Glasscheiben bestellt wurden, vornehmen zu können.

In den kommenden Jahren werden wir mit Spannung verfolgen, wie sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Dauerhaftigkeit der Konstruktionen niederschlagen und die Zufriedenheit von Studierenden und Lehrpersonen beeinfl ussen wird. Mit der Konzeption, Planung, Montage und Inbetriebnahme ist ein grosser Schritt getan, die hohe Schule der Zusammenarbeit zu erreichen. Auch erste Reaktionen der Gebäudenutzer zeigen positive Signale.

TEC21, Fr., 2009.10.30



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2009|44 Schulhaus Leutschenbach

27. Februar 2009Joseph Schwartz
TEC21

Kopfschütteln über Honorare

Im Off ertwesen von Bauingenieurleistungen ist bekanntlich nichts unmöglich. Es kommt immer wieder zu unglaublichen Ereignissen, die neben aller Tragik einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen. Drei Geschichten von der Honorarfront zeigen die grosse Bandbreite in der Kultur des Offertwesens.

Im Off ertwesen von Bauingenieurleistungen ist bekanntlich nichts unmöglich. Es kommt immer wieder zu unglaublichen Ereignissen, die neben aller Tragik einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen. Drei Geschichten von der Honorarfront zeigen die grosse Bandbreite in der Kultur des Offertwesens.

In den letzten Jahren hat das Bauingenieurbüro Dr. Schwartz Consulting AG in Zug wertvolle Erfahrungen mit Vergaben von Aufträgen sammeln können, die aus gewonnenen Wettbewerben hervorgegangen sind. Im Folgenden wird anhand von drei Geschichten gezeigt, in welchem Spektrum sich die sogenannte Kultur des Offertwesens von Bauingenieurleistungen heute bewegt. Entsprechende Ereignisse sollten allen Bauingenieuren zu denken geben und ihnen in Erinnerung rufen, dass sie als akademisch ausgebildete Berufsleute darum besorgt sein sollten, sich nicht in groteske Praktiken hineinziehen zu lassen. Solche Praktiken drohen den Ruf des verantwortungsvollen und interessanten Berufes gänzlich zu ruinieren.

Geschichte 1: Lockere Irrfahrt über Leichen

Vor drei Jahren lud eine grosse schweizerische Aktiengesellschaft zu einem nicht anonymen Studienauftrag ein. Es ging um die Projektierung dreier grosser Geschäfts- und Wohnhäuser mit Investitionskosten in dreistelliger Millionenhöhe. Die hoch qualifizierten Architekturbüros waren angehalten, Teams mit Partnern aus dem Bauingenieurwesen, der Gebäudetechnik, der Landschaftsarchitektur und der Bauökonomie zusammenzustellen. Diese Forderung war gemäss Wettbewerbsprogramm «explizit zu sehen im Hinblick auf die komplexe Bauaufgabe, die Honorarofferte und die folgenden Planungs phasen, die als Generalplanerleistungen erfolgen sollen». Die Ausloberin beabsichtigte, «das ausgewählte Planungsteam als Generalplaner mit der Projektweiterbearbeitung zu beauftragen. Bei Drittinvestition, d.h. bei einem Verkauf des baureifen Grundstücks, ist die Generalplanerverpflichtung an Dritte weiterzugeben. » Eindeutigere Bestimmungen haben wir nie in einem Wettbewerbsprogramm angetroffen – so weit das Erfreuliche.

Dr. Schwartz Consulting beteiligte sich im Planerteam, das den Wettbewerb gewann. Es folgte ein Überarbeitungsauftrag, bei dessen Durchführung sich die Qualität des gesamten Teams bestätigte. Anschliessend führte die Bauherrschaft einen Investorenwettbewerb durch und verkaufte das Grundstück. Die Übertragung der Generalplanerverpflichtung wurde dabei im Kaufvertrag mit einer Konventionalstrafe in Höhe von einer Million gesichert. Der anlässlich des Studienauftrags abgegebene Honorarvorschlag des Generalplanerteams war Bestandteil des Kaufvertrages. Die neuen Investoren weigerten sich dennoch, einen Generalplanervertrag mit dem Planungsteam abzuschliessen. Sie sahen sich ihrer Verpflichtung mit dem Zustandekommen von Einzelplanerverträgen nachgekommen. Die im Vorschlag enthaltenen Einzelhonorare wurden nicht wie vorgesehen als Verhandlungsbasis angenommen. So erhielten die Landschaftsarchitekten einen Auftrag zu wesentlich schlechteren Bedingungen, und die Bauökonomen mussten ausscheiden. Für den Bauingenieurauftrag wurden Drittofferten eingeholt und die Arbeiten an ein drittes Ingenieurbüro für weniger als die Hälfte des anfänglich offerierten Honorars vergeben. Ernsthafte Verhandlungen mit ursprünglichen Mitgliedern des Planerteams wurden nicht geführt. Daraufhin hat Dr. Schwartz Consulting den Rechtsweg auf zivilrechtlicher Basis beschritten. Sie warten bis heute auf eine schriftliche Mitteilung, der Auftrag sei anderweitig vergeben worden.

Geschichte 2: Kompetenz, Qualität und Vertrauen

Vor zwei Jahren führte eine grosse Aktiengesellschaft einen anonymen Architekturwettbewerb auf Einladung durch. Er weist augenscheinlich gewisse Parallelen mit dem Fall der Geschichte 1 auf: Es ging um die Projektierung eines komplexen Industriegebäudes mit gesamten Investitionskosten in dreistelliger Millionenhöhe. Auch dieses Mal waren die eingeladenen hoch qualifizierten Architekturbüros angehalten, mit Fachplanern aus dem Bauingenieurwesen, der Gebäudetechnik und der Bauökonomie zusammenzuarbeiten. Im Gegensatz zur Geschichte 1 wurde den Fachplanern aber explizit die Erteilung eines Auftrags im Falle eines Wettbewerbserfolgs nicht garantiert, eine Angebotslegung aber zugesichert.

Auch dieses Mal beteiligte sich Dr. Schwartz Consulting im Planerteam, das den Wettbewerb für sich entscheiden konnte. Dem Wettbewerbsprogramm entsprechend wurden anschliessend die Architekten mit der Weiterbearbeitung beauftragt, und die Fachplanerleistungen auf Einladung ausgeschrieben, wobei sich auch die Bauingenieure des Siegerprojektes fairerweise mitbewerben durften.

Bei der Analyse der Bewerbungen zeigte sich, dass diese die höchste Offerte abgegeben hatten. Daraufhin führte die qualitäts- und kostenbewusste Bauherrschaft ein seriöses und aufwendiges Evaluationsverfahren durch, aus dem Letztere trotz der höchsten Honorarofferte als Erst platzierte hervorgingen.

Die Bauherrschaft hat sich entschieden, die Projektierung und die Ausführung des Bauwerks ohne Mitwirkung eines General- beziehungsweise Totalunternehmers durchzuführen. Die Projektierungsarbeiten laufen seit rund einem halben Jahr auf fachlich hohem Niveau, wobei im Fokus aller Bestrebungen hohe Bauwerksqualität bei optimierten Kosten steht. Der Projektierungsaufwand ist entsprechend gross, und die anspruchsvolle Herausforderung ist ausserordentlich spannend.

Es erstaunt bei dieser Ausgangslage nicht, dass eine vorbildliche Vertrauensbasis zwischen den Projektierenden und der Bauherrschaft aufgebaut werden konnte, wobei alle Projektierenden ihre Aufgabe als Treuhänder der Bauherrschaft gegenüber sehr ernst nehmen

Geschichte 3: Bon Séjour in Monséjour

In Küssnacht am Rigi soll anstelle des heutigen Parkplatzes in Seenähe eine zweigeschossige unterirdische Parkierungsanlage geplant werden. Zur Lösung dieser anspruchsvollen Aufgabe hat die Bauherrschaft einen zweistufigen Projektwettbewerb im selektiven Verfahren für Teams bestehend aus Architekten, Bauingenieuren und Landschaftsarchitekten ausgeschrieben. Die Verschmelzung von ingenieurtechnischer Innovation, funktionalen Verkehrsabläufen und einer zweckmässigen Oberflächengestaltung im städtebaulichen Kontext forderte ein hohes Mass an interdisziplinärer Zusammenarbeit. Es meldeten sich insgesamt 22 Teams an, von denen sechs zum Wettbewerb zugelassen wurden. Die Bauherrschaft beabsichtigte, das erfolgreiche Siegerteam mit der Weiterbearbeitung zu beauftragen.

Die Honorare waren nicht im Verfasser-Couvert, sondern als Bestandteil des Wettbewerbs abzugeben. Gemäss Wettbewerbsprogramm konnte als maximaler Höchstwert von den jeweils gültigen KBOB-Tarifen ausgegangen werden.

Auch in diesem Fall ging das Planerteam, in dem Dr. Schwartz Consulting mitwirkte, als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Der Jurybericht mit den Honorarvorschlägen der Planungsteams ist öffentlich zugänglich1. In der Tabelle (Bild 2) sind die geschätzten Baukosten sowie die Honorarangaben der sechs Planungsteams aufgeführt. Bei den geschätzten Baukosten liegt der tiefste Wert bei rund 67 % des höchsten. Die geforderte Genauigkeit betrug /– 30 %, so dass diese Zahlen als im Rahmen des Möglichen gewertet werden können – auch wenn sich der Verdacht eines gewissen Zweckoptimismus nicht vollständig unterdrücken lässt. Anders sieht es bei den Honoraren aus: Es handelt sich um das altbekannte Bild, das bei Aussenstehenden nichts anderes als Kopfschütteln auszulösen vermag: Die Tabelle dokumentiert exemplarisch das Verhalten der Projektierenden. Sie soll nicht als Wertung des Verhaltens der einzelnen Büros gelten, handelt es sich doch um ein aus unzähligen ähnlichen Situationen herausgegriffenes Einzelbeispiel.

Verantwortung tragen

Wir Ingenieure haben als Akademiker eine grosse Verantwortung zu tragen: nicht nur in fachlicher, sondern auch in ethischer und in kultureller Hinsicht. Wir sind keine reinen Unternehmer, sondern Dienstleistende und Treuhänder der Bauherrschaft. Worte und Versprechen allein genügen nicht. Wir sind gefordert, unseren Pflichten als Akademiker nachzukommen und uns ernsthaft um Qualität, Fairness und Kultur zu bemühen.

Anmerkungen / Literatur:
[1] www.kuessnacht.ch/dl.php/de/48f82cd1ab8f2/Jurybericht.pdf

TEC21, Fr., 2009.02.27



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2009|09 Futterneid

26. November 2008Joseph Schwartz
Paul Lüchinger
TEC21

Gebrauchsgrenzen hinterfragen

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Das Tragwerk stellt ein Subsystem des Gesamtbauwerks dar. Sein Konzept wird im Rahmen des Entwurfs als Teil der integralen Planung in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Fachleuten entwickelt. Dieses nimmt Bezug auf die gesamtplanerischen, die architektonischen sowie auf die betrieblichen Belange und berücksichtigt gleichermassen die Randbedingungen aus der Umwelt wie die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen. Aus diesen Gegebenheiten folgen die grundlegenden Anforderungen an das Tragwerk, die mit verschiedenen Massnahmen erfüllt werden können. Im Falle der Tragwerksbemessung hat sich sowohl in der nationalen als auch der internationalen Normenpraxis seit längerer Zeit die Betrachtung von Grenzzuständen durchgesetzt.1, 2 Als solche werden die Tragsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit unterschieden.

Tragsicherheit: Verbindlich

Gegenüber Tragwerksversagen fordert die Gesellschaft allgemein die Sicherheit von Personen im Einflussbereich von Bauwerken. Bauherrschaft, Benutzer und Dritte stützen sich dabei auf einschlägige Rechtsgrundlagen. Den anerkannten Stand der Technik beschreiben entsprechende Regeln zur Tragsicherheit in den Normen – in der Schweiz sind dies die SIANormen. Da an der Tragsicherheit ein öffentlich-rechtliches Interesse besteht, ist sie nicht verhandelbar und das dazugehörige Normenwerk somit verbindlich (siehe Kasten Seite 20).

Gebrauchstauglichkeit: Verhandelbar

Nebst der Tragsicherheit steht die Zweckerfüllung und damit die Gebrauchstauglichkeit eines Bauwerks im Vordergrund des Bauherreninteresses. Sie orientiert sich an Fragen nach der vorgesehenen Nutzung des Tragwerks und den Ansprüchen der Benutzer. An der Gebrauchstauglichkeit besteht ein privatrechtliches Interesse, sie wird demnach in Absprache zwischen Bauherrschaft und Projektierenden geregelt.

Die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit sind ab Beginn der Projektierung zu diskutieren und im Rahmen der Projektentwicklung laufend neu zu beurteilen. Die Folgen der Entscheide sind im Voraus aufzuzeigen und zwischen dem Besteller und dem Ersteller frühzeitig festzulegen. Dafür dient die Nutzungsvereinbarung als wichtiges vertragliches Instrument mit technischem Inhalt zwischen Bauherrschaft und Projektierenden einerseits und Benutzern (z.B. Mietern) andererseits. Die entsprechenden Regeln der Tragwerksnormen sind ein möglicher Leitfaden in der Diskussion. Sie bezwecken einheitliche Sprachregelungen und kategorisieren Begriffe, Vorgehensweisen und Nachweise.

Objektspezifische Richtwerke

Bauingenieure beurteilen die Gebrauchstauglichkeit bezüglich dreier Aspekte: Funktionstüchtigkeit, Aussehen des Bauwerks und von den Benutzern erwarteter Komfort. Gemessen wird sie anhand von Kriterien wie Schwingungen, Rissbildung und Verformungen, wobei Letzteres zu den am häufigsten diskutierten zählt. Es sind die Verformungen, die beispielsweise das Aussehen oder die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks wegen Schäden an Einrichtungen beziehungsweise an nichttragenden Bauteilen beinträchtigen können. Für jedes Kriterium – und unabhängig von den drei Aspekten – werden die Gebrauchsgrenzen für die jeweils verifizierten Bemessungssituationen, die alle vorhersehbaren Bedingungen während der Nutzung und Ausführung eines Bauwerks einschliessen sollen, festgelegt. Die qualitative und die quantitative Entwicklung der Regeln in den Tragwerksnormen des SIA orientiert sich an Erfahrungswerten aus der Praxis – sowohl hinsichtlich Bemessungssituationen als auch bezüglich Bemessungskriterien und deren Grenzen. Darum sollten die Angaben der Gebrauchsgrenzen nur im Sinne von Richtwerten interpretiert werden – sie müssen fallweise hinterfragt und eventuell angepasst werden.

Bei heute geläufigen Spannweiten bei Flachdecken von 7 bis 10 m bedeutet der Wert l/350 beispielsweise 20 bis 30 mm Durchbiegung beziehungsweise etwa 6 ‰ Auflagerdrehwinkel. Eine detaillierte Berücksichtigung der Konstruktion und der Situation erfolgt aber höchstens in allgemeinen Anmerkungen wie: «Wenn Einbauten besonders empfindlich auf Verformungen des Tragwerks reagieren, sind neben oder anstelle von bemessungstechnischen vor allem auch konstruktive Massnahmen gegen Beschädigung vorzusehen.» Die zu erwartenden Durchbiegungen müssen kritisch analysiert und geprüft werden. Wird der Vergleich zwischen verlangten und auftretenden Durchbiegungen ohne Absprache mit allen am Projekt Beteiligten gemacht, kann dies zu Missverständnissen und damit zu grossen Problemen führen.

Vorabklärungen an planerischen Schnittstellen

Aus Erfahrung besteht in der Planung grosser Bedarf an Vorabklärungen sowohl in der Phase der Projektierung als auch während der Vorbereitung der Ausführung. Auswirkungen der zu erwartenden Verformungen auf die Nutzung und auf die nichttragenden Bauteile oder Einbauten müssen beispielsweise während der Projektierung erfragt und geklärt werden. Allenfalls notwendige konstruktive Massnahmen wie Überhöhung oder Anschlüsse an nichttragende Bauteile können dann rechtzeitig geplant werden. Im Rahmen der Ausführungsvorbereitung müssen die Planer zum Beispiel die Einbausequenzen von Tragwerksteilen und nichttragenden Bauteilen analysieren, den Einbau der Beläge ermitteln (Oberfläche horizontal oder der Durchbiegung folgend) oder sicherstellen, dass bei überhöhten Stahlbetondecken auch die Oberfläche überhöht abtaloschiert wird.

Beispiel 1: Glasfassade auf „weichen“ Deckrändern

In einem Laborgebäude in Basel werden die Deckenlasten auf der Vorderseite des Gebäudes zu den Randstützen der vierstöckigen Glasfassade abgetragen. Die Stützenlasten werden im Erdgeschoss von einem weit gespannten, einfeldrigen Stahlfachwerkträger mit beidseitiger Auskragung abgefangen (Bilder 2 und 3) und schliesslich über zwei Stützen in die Untergeschosse abgetragen. Damit ein einheitliches Fassadenbild entsteht, sind der Fachwerkträger wie die Stützen in die Glaskonstruktion eingebunden (Bild 4). Im Vergleich zu den punktgestützten Innenbereichen der Flachdecken stellt die Abfangung eine «weiche» Auflagerung der Deckenränder dar. Die Verformungen im Bereich der Glasfassade beeinflussen deshalb die Konzeptentwicklung des Tragwerks und dessen konstruktive Durchbildung und Ausführung wesentlich. Obwohl die rechnerischen Durchbiegungen des annähernd geschosshohen Fachwerkträgers äusserst gering und die Richtwerte gemäss der SIA-Norm weit unterschritten waren, mussten die Planer während der Projektierung objektspezifische Abklärungen vornehmen. Sie berechneten am Modell, welche Durchbiegungen im quasi-ständigen und welche im häufigen Lastfall entstehen. Um den detaillierten Montagevorgang zu planen, ermittelten sie die zu erwartenden Verformungen vor und nach der Montage der Glasfassade. Aus der Bewegung ergab sich die zeitliche Abfolge für den Einbau der Deckenauflasten (Bodenbeläge) und der Fassadenlasten. Ausserdem mussten sie die Extremwerte der Verformungen infolge seltenen Lastfalls ermitteln, die zu irreversiblen Schäden an der Glasfassade führen. Die Resultate bildeten die Grundlage für die Ausbildung der Anschlüsse der Glasfassade an die Tragstruktur.

Aus der Koordination und Lösungsfindung während der Projektierung entwickelten sich die Vorgaben für die Ausführung – und wiederum neue Fragen: Wie gross ist die initiale Überhöhung des Fachwerkträgers vorzusehen? Wie sind die Betondecken der Obergeschosse zu schalen und zu betonieren? Wie müssen die Oberflächen abtaloschiert werden, horizontal oder der infolge der zunehmenden Betonlasten von Geschoss zu Geschoss abnehmenden Überhöhung folgend? Diesen eher ungewöhnlichen Fragestellungen überlagern sich die eher alltäglichen Problemstellungen, hervorgerufen durch unterschiedliche Anforderungen an die Massgenauigkeiten im Ortbetonbau und im konstruktiven Glasbau.

Diskutiert wurde auch die Lage der Wärmedämmschicht: Der Fachwerkträger ist den Temperatureinwirkungen im Freien, die Betondecken sind dem Innenraumklima ausgesetzt. Ein statisch wirksamer Verbund von Betondecke und Fachwerkträger erzeugt infolge unterschiedlicher Temperaturen von Obergurt (im Gebäudeinnern) und Untergurt (im Freien) Krümmungen im Querschnitt und somit jahreszeitlich schwankende Trägerdurchbiegungen. Da solche zusätzlichen und veränderlichen Durchbiegungen von der Glasfassade nicht aufgenommen werden können, war ein konzeptioneller Entscheid notwendig: Der Träger musste von der Betondecke konstruktiv getrennt und in seiner Längsrichtung beweglich gelagert werden.

Beispiel 2: Weit gespannte Betondecken

Im polygonalen Grundriss des Bürogebäudes in Zürich ist die Hauptnutzung der Geschosse grundsätzlich entlang der Fassaden in die Raumtiefe angeordnet. Die nichttragenden Bürotrennwände sind radial beziehungsweise senkrecht zur Fassade und damit parallel zur Tragrichtung der Decken ausgerichtet. Sie folgen somit der Deckensenkung, müssen aber trotzdem die Deckenverformungen (Bild 5) unbeschadet aufnehmen können. Den möglichen Lösungsansatz beeinflussten neben baulich-konstruktiven Kriterien insbesondere auch hohe Anforderungen an die Schalldämmung zwischen den Büroräumen.

Es mussten konstruktive Massnahmen an Wandkopf und -fuss der Bürotrennwände vorgesehen werden, wobei auch die Deckendurchbiegungen auf ein der Problemstellung adäquates Mass zu begrenzen waren. Als massgebend galten die Verformungen nach dem Versetzen der Wände. Nach SIA-Norm wäre bei Spannweiten von 8 bis 10 m und dem gängigen Richtwert von l/350 eine Deckendurchbiegung von rund 25 mm erlaubt. Diese Gebrauchsgrenze war aber hier unter den gegebenen Umständen unzureichend: Die nichttragenden Trennwände wären belastet worden. Die geplanten Durchbiegungen wurden darum reduziert. Während die Durchbiegungen des geschweissten Stahlfachwerkträgers im ersten Beispiel rechnerisch genau vorausgesagt werden konnten, bestimmten bei den Stahlbetondecken in diesem Beispiel verschiedene, mit Unsicherheiten verbundene Parameter die Genauigkeit der zu erwartenden Durchbiegungen. Insbesondere die Streuung der Baustoffeigenschaften bewirkt Unsicherheiten in den Prognosen. Bei Betonbauten sind die erst nach Jahren abklingenden Langzeitverformungen und das mögliche Rissbild, das unter der massgebenden Belastung eintreten kann, die prägenden Faktoren für die effektiv auftretenden Durchbiegungen. In schlaff bewehrten Betondecken können die Langzeitverformungen im gerissenen Zustand durchaus den drei- bis vierfachen Wert der am homogenen Tragwerk ermittelten Durchbiegungen erreichen. Mit einer einmaligen Überhöhung der Schalungen im Bauzustand können die Auswirkungen dieser Langzeitverformungen in Bezug auf die Funktionstüchtigkeit der Trennwände nicht ausreichend gemildert werden, weil sie per definitionem erst lange Zeit nach dem Einbau der Wände eintreten. Lösungsansätze sind vielmehr in der Verminderung der Rissbildung und der Reduktion der Langzeiteinflüsse zu suchen. Dazu gehören baustofftechnologische und ausführungstechnische Massnahmen wie Betonnachbehandlung oder Ausschalfristen, die auf das verminderte Kriechverhalten des Betons hinzielen. Daneben beeinflussen auch konzeptionelle und bemessungstechnische Massnahmen die Rissbildung günstig.

Eine Vorspannung wirkt sich auf das Verformungsverhalten von Betontragwerken in jedem Fall vorteilhaft aus (Bild 6). Sie erzeugt nach oben gerichtete Umlenkkräfte, die der äusseren Belastung entgegenwirken. Zudem überdrückt sie den Beton, woraus im Endeffekt ein kleineres Rissmoment und wesentlich geringere Durchbiegungen resultieren.

Mehrwert durch Reflektieren

Die Um- und Durchsetzung der Anforderungen hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit erfordern eine hohe Bereitschaft zu interaktivem Planen und offenem Kommunizieren zwischen den am Planungs- und am Bauprozess Beteiligten. Die sorgfältige Behandlung der Gebrauchstauglichkeit kann aber auch die Stellung des Bauingenieurs als Treuhänder der Auftraggeber aufwerten. Kontrollierte Durchbiegungen können ganz allgemein als Gütesiegel für die Nutzbarkeit der Gebäude angesehen werden. Geringe Verformungen erhöhen die Flexibilität der Nutzung und indirekt auch den Marktwert des Gebäudes – insbesondere dann, wenn Grundausbau und Mieterausbau nicht von der gleichen Trägerschaft übernommen werden.

TEC21, Mi., 2008.11.26



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|48 Etablierte Richtwerte?

Publikationen

Presseschau 12

11. November 2016Joseph Schwartz
TEC21

Brückenschlag

Das Stahlfachwerk des Hilti Innovationszentrums in Schaan ist eine Brücke – konstruktiv wie räumlich. Der Tragwerksplaner beschreibt die Wirkungsweise.

Das Stahlfachwerk des Hilti Innovationszentrums in Schaan ist eine Brücke – konstruktiv wie räumlich. Der Tragwerksplaner beschreibt die Wirkungsweise.

Im Kern des Gebäudes befindet sich die zweigeschossige, stützenfreie Versuchshalle. Sie ist auf drei Seiten von konventionellen Skelettstrukturen in Stahl- und Spannbeton umgeben. Dort befinden sich die Werkstätten, Labors und Büroebenen. Um die Wirkung der Halle als verbindendes Element zwischen diesen Nutzungen zu verstärken, wird der Luftraum durch einen Rost aus längs und quer verlaufenden, ein- und zweigeschossigen, brückenartigen Trägern zoniert, die förmlich über der immensen Versuchshalle zu schweben scheinen und in ihren Zwischenräumen Lichthöfe offenlassen.

Die Verbindungsbrücken sind auch im übertragenen Sinn Brücken der Kommunikation, denn sie beherbergen Sitzungszimmer, Vortragsraum und Aufenthaltsräume. Diese raumhaltigen Verbindungskörper spannen mithilfe beidseitig angeordneter, stockwerk­hoher Stahlfachwerke in Gebäudequerrichtung zwischen den Begrenzungswänden der Halle beziehungsweise in Gebäudelängsrichtung zwischen den quer verlaufenden Brücken. Die zweistöckigen Brücken weisen nur Fachwerke im oberen Geschoss auf, und die untere Platte ist mittels Zugstützen jeweils an den Fachwerkträgern aufgehängt.

Die bis 25 m weit gespannten Brücken bestehen aus zwei stockwerkhohen Fachwerkträgern aus Doppel-T-Trägern, deren Diagonalen einen V-förmigen Verlauf aufweisen. Diese beiden Fachwerkträger begrenzen die Brücken seitlich. Oben und unten sind Platten als Stahl-Beton-Verbundkon­struktion angeordnet, die ebenfalls mit den Fachwerkträgern im Verbund wirken und somit nebst ihrer Plattentragwirkung in Querrichtung zusätzlich zusammen mit den Gurten der Fachwerke als Druck- bzw. als Zugbereich wirken und den Tragwiderstand und die Steifigkeit der Brückenträger wesentlich erhöhen.

Dieser Effekt war einerseits sehr willkommen, um Verformungen aus Nutzlasten gering zu halten, denn diese lassen sich im Gegensatz zu Verformungen aus Eigenlasten nicht durch Überhöhungen kompensieren. Andererseits diente der Effekt auch der Kontrolle der Schwingungen, denen während der Entwicklung des Projekts besondere Sorgfalt gewidmet wurde. Bei den zweistöckigen Brücken ist die untere Platte mithilfe der vertikalen Zugstäbe so an den Knoten der oberen Fachwerke angehängt, dass die lokalen Spannweiten der Platten identisch bleiben.

Die gesamte Stahlbaukonstruk­tion der Brücken wurde bis zum Ausführungsprojekt laufend weiterentwickelt und optimiert. Alle Stege der Doppel-T-Profile verlaufen in der Mittel­ebene des Fachwerks. Der Verlauf der inneren Kräfte wurde mit Stabwerk­modellen minutiös untersucht und die Anordnung der Rippen und Steifen in den Knoten so entworfen, dass keine grossen Spannungskonzentrationen und Zugspannungen quer zu den dickeren Stahlblechen auftreten. Auch wurde die Stärke der einzelnen Bleche so variiert, dass eine möglichst gleichmässige Beanspruchung resultiert. Alle Knoten wurden verschweisst. Wegen der beträchtlichen Kräfte und der Toleranzen stellte die Auflagersi­tuation der Fachwerke in den angrenzenden Stahlbetonwänden eine grosse Herausforderung dar.

Aus gestalterischen Gründen werden die Profile bei den Fachwerken gezeigt. Um den Brandschutz zu gewährleisten, wurden sie an diesen Stellen mit einer Brandschutzbeschichtung versehen. Andere Profile, zum Beispiel die Zugstützen der abgehängten Verbunddecken, wurden dagegen mit einer Brandschutzverkleidung versehen. Durch die unterschiedlichen Raumprinzipien, Lichtstimmungen und Materialien werden im gesamten Gebäude sowohl für konzentriertes Arbeiten, gezielten Austausch im Team als auch für entspannten Aufenthalt optimale Bedingungen geschaffen. Dank klarer Trag- und Sekundärstruktur wird eine grosse Nutzungsflexibilität sichergestellt.

TEC21, Fr., 2016.11.11



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|46 Bauen für die New Old Economy

03. Juni 2016Joseph Schwartz
TEC21

Beherrschte Freiform

Die Betonschale im Biennale-Pavillon ist analog zur architektonischen Raumbildung aus einem intuitiven gesteuerten Prozess abgeleitet, ihr Tragverhalten wurde mit Methoden der grafischen Statik veranschaulicht. Eine angewandte Forschung der Professur für Tragwerksentwurf der ETHZ.

Die Betonschale im Biennale-Pavillon ist analog zur architektonischen Raumbildung aus einem intuitiven gesteuerten Prozess abgeleitet, ihr Tragverhalten wurde mit Methoden der grafischen Statik veranschaulicht. Eine angewandte Forschung der Professur für Tragwerksentwurf der ETHZ.

Der Schweizer Pavillon für die Architekturbiennale 2016 in Venedig ist auf den ersten Blick genauso wenig als Tragstruktur wie als architektonischer Raum zu erfassen und zu verstehen. Die «zufällig» entstandene Form folgt keinen Regeln, sie ist weder nach geometrischen Gesichtspunkten hergeleitet noch nach experimentell-tragwerkstechnischen Kriterien entwickelt. Sie ist eine Hülle, nichts mehr und nichts weniger.

Wie oft bei den Werken von Christian Kerez wird der architektonische Raum durch die Tragstruktur aufgespannt, es gibt keine additiven Elemente, sondern alles verschmilzt zu einer Einheit (Abb. oben). Die Suche und das Finden der Form sind nicht Thema des vorliegenden Aufsatzes. Nichtsdestotrotz scheint der Dialog mit dem Architekten insofern bedeutungsvoll, als stets über die Konsequenzen der Grundsatzentscheide diskutiert wurde. Und wie immer ging es nicht nur um das Tragverhalten, sondern vielmehr um eine ganzheitliche Betrachtung mit zusätzlichen entscheidenden Aspekten wie etwa der Materialwahl, dem Konstruktionsprinzip, der Herstellungsart inklusive Transport und Montage, dem Nutzungsverhalten oder der Wirtschaftlichkeit.

Form- und Konstruktionssuche

Was sind die Konsequenzen einer massiven, schweren oder leichten Bauweise? Soll das Objekt eher vorfabriziert oder in situ erstellt werden? Wie können die Arbeitsfugen – sei es bei der Vorfabrikation oder beim Betonieren vor Ort – so ausgebildet werden, dass der abstrakte Charakter der Hülle nicht beeinträchtigt wird? Soll das Objekt später abgebaut und an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden können? Wie kann es möglichst kostengünstig realisiert werden? Inwiefern wirkt sich die Wahl eines mineralischen Materials auf die Platzverhältnisse in der Ausstellungshalle aus? Soll der Beton gespritzt, gegossen oder aufgetragen werden? Mit oder ohne diskrete Bewehrung, Vorspannung oder Fasern? Mit oder ohne Schalung welcher Art?

All diese Fragen sind eng verknüpft mit dem Tragverhalten und spannen eine komplexe mehrdimensionale Matrix auf, deren systematische Aufarbeitung genau wie beim klassischen architektonischen Entwurfsvorgehen weder zweckmässig noch zielführend ist. Anstelle einer wissenschaftlichen Entscheidungsfindung tritt ein intuitiver, oftmals vom sogenannten Bauchgefühl gesteuerter Prozess in den Vordergrund. An die Stelle eines deduktiven Vorgehens tritt ein induktives Vorgehen, allerdings nicht etwa wie die Form des Objekts quasi vollständig dem Zufall unterworfen, sondern doch geeicht durch die harten Kriterien der Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit. Diesbezüglich waren die Diskussionen mit den involvierten Unternehmern im Rahmen der ausgesprochen intuitiven Vorgehensweise sehr wertvoll.

Stabilität durch vielfältige Verwerfungen

Diese Fragen sind weder dem Lehrstuhl für Tragwerksentwurf noch den Ingenieuren des Büros Dr. Schwartz Consulting fremd, sondern werden laufend und ganz besonders bei der Zusammenarbeit mit dem Architekten thematisiert (vgl. TEC21 44/2009 «Schulhaus Leutschenbach» und TEC21 11/2016 «Stahlbau nackt»). Dies betrifft ebenfalls die Herausforderungen an das Tragverhalten der hier zu entwickelnden Raumhülle, die als Freiform interpretiert werden kann. Standen beim Entwurf der Überdachung des Kunstmuseums in Warschau geometrische Formen im Vordergrund, nämlich extrem weit gespannte Zylinderschalen (Abb. S. 29 unten rechts), so waren es beim Entwurf des Guangzhou Art Museum in China nicht minder herausfordernde Freiformschalen, die aus geometrischer Sicht frei entwickelt wurden und trotzdem klaren tragwerkstechnischen Prinzipien folgten (Abb. S. 29 unten links). Auch hier wurde der anspruchsvollen Frage der Ausführungsart mit plausiblen Lösungsansätzen begegnet. Interessant ist vor allem der Aspekt, dass vergleichsweise dünne Schalen dank ihrer sogenannten doppelten Krümmung eine ausserordentliche statische Effizienz aufweisen, was den Schalenbauern von der Antike bis zur Moderne bestens bekannt war.

In diesem Zusammenhang sei auf die Entwicklung der Steinbogentragwerke der alten Römer verwiesen. Besonders eindrücklich das Prinzip der Fabricius-Brücke in Rom, das ebenfalls bei der Raumhülle des Biennale-Pavillons eine wichtige Rolle spielt (Abb. oben). Nicht nur die Gravitationskräfte werden mittels der Bogenkrümmung aufgenommen, sondern ebenfalls die in der Fundation erzeugten Reaktionskräfte, die nicht minder gleichmässig verteilt sind und mithilfe eines auf dem Kopf stehenden Bogens aufgenommen werden. Sind es bei den römischen Rundbögen die Bogenstärke sowie die zusätzlichen seitlichen Drücke, die die Bögen trotz ihrer aus tragwerkstechnischer Sicht nicht optimalen Form im Gleichgewicht halten, so sind es bei der Raumhülle des Biennale-Pavillons die vielfältigen und allgegenwärtigen Verwerfungen, die der Tragstruktur eine ausserordentliche Steifigkeit verleihen. Weiter sind bei den Bogenbrücken seitliche horizontale Streben zu erkennen, die für die Umlenkung der vertikal verlaufenden Bogenkräfte zuständig sind. Die entsprechenden horizontalen Auflagerkräfte auf halber Höhe fehlen beim Biennale-Projekt und werden durch die im Bild auf S. 28 dargestellten Zugbänder ersetzt, die einem seitlichen Ausweichen der wandartigen Bereiche entgegenwirken.

Formfindung mittels grafischer Statik

Das Projekt des Biennale-Pavillons bettet sich perfekt in die Forschungsinteressen des Lehrstuhls für Tragwerksentwurf ein. Zentrales Thema von dessen Forschung ist die Frage nach der Beziehung von Architektur und Ingenieurwissenschaften mit Fokus auf dem unterschiedlichen Verständnis der Rolle der Form. Diese Fragestellung dient als Kristallisationspunkt für ein breit angelegtes Feld von Projekten mit dem gemeinsamen Ziel der Erforschung disziplinimmanenter Denkkategorien und der Möglichkeit interdisziplinärer Interaktion. Sowohl Lehre als auch Forschung sind getrieben von der grafischen Statik, bei der im Gegensatz zur analytischen Statik alle mathematischen Operationen vektorgeometrisch durchgeführt werden und damit frei von numerischen Berechnungen sind. Durch die geometrische Abhängigkeit entsteht ein Geflecht von Diagrammen, was dazu führt, dass die Modifikation eines beliebigen Diagramms die geometrische Anpassung der anderen Diagramme erzwingt. Damit werden die Zusammenhänge zwischen Kraft und Form auch im Raum visuell fassbar (Abb. S. 29 oben) und ermöglichen neben der Analyse einen aktiven und damit synthetischen Formfindungsprozess.[1]

Ein nicht nach den elementaren Kriterien eines einfachen inneren Kräfteverlaufs geformtes Flächentragwerk ist tragwerkstechnisch schwer zu erfassen, da es innerlich hochgradig statisch unbestimmt ist und sich jenseits bekannter Typologien positioniert (Abb. unten). Mit der Diskreten Analyse wurde eine Methode zur Erfassung der inneren Kräfte und des systemischen Verhaltens derartiger Strukturen entwickelt, indem das Tragsystem im Sinn des statischen Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie gleitend zwischen diskreter Gitterschale mit gelenkig verbundenen Stäben, biegesteif verbundenen Stäben sowie kontinuierlicher Schale variiert werden kann. Diese Methode eignet sich hervorragend für den Einsatz im Entwurf und dient somit als Grundlage des interdisziplinären Diskurses bei der Entwicklung von Tragwerksformen jenseits bekannter Typologien, die sowohl architektonisch als auch konstruktiv zufriedenstellend sind.[2] Der Biennale-Pavillon ist in diesem Sinn ein willkommenes experimentelles Überprüfungsobjekt.

[Prof. Dr. Joseph Schwartz, Professor für Tragwerksentwurf am Institut für Technologie in der Architektur ETHZ]


Weitere Forschungsthemen

Die Forschungsprojekte des Lehrstuhls für Tragwerksentwurf der ETHZ entwickeln Lösungsansätze zu tragwerkstechnischen und architektonischen Fragestellungen auf Basis der Geometrie. Dabei werden die inneren Kräfte von Freiformen mittels gekrümmter Spannungsfelder,[3] mittels Kombination von Hypar-Elementen,[4] mittels interaktiver Steuerung des inneren Kräfteverlaufs[5] sowie an räumlich gefalteten Strukturen[6] untersucht. Ein weiteres Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Herstellung von vorgespannten Freiformen mittels Vorfabrikation.[7]


Anmerkungen:
[01] Maximilian Schrems: Zur Erweiterung der «grafischen Statik» in die dritte Dimension, Dissertation, 2016.
[02] Thomas Kohlhammer: Strukturoptimierung von stabförmigen Flächentragwerken mittels reziproker Analyse, Dissertation, 2013.
[03] Marco Bahr, Toni Kotnik: Strut and Tie Networks – An Approach to Numerical Curved Stress Fields, Proceedings of the IABSE-IASS Symposium, London 2011.
[04] Ting Cao, Joseph Schwartz, Chi Zhang: Prototypical Hypar: an operative form-making method based on Hyperbolic Paraboloids, Proceedings of the International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) Symposium – Future Visions, Amsterdam 2015.
[05] Patrick Ole Ohlbrock, Joseph Schwartz: Combinatorial Equilibrium Modelling, Proceedings of the International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) Symposium – Future Visions, Amsterdam 2015.
[06] Pierluigi D’Acunto, Juanjo Castellon: Folding Augmented: A Design Method for Structural Folding in Architecture, in: Origami 6: The Sixth International Meeting of Origami in Science, Mathematics, and Education, Koryo Miura, Toshikazu Kawasaki, Tomohiro Tachi, Ryuhei Uehara, Robert Lang, Patsy Wang-Iverson (eds.), 2014.
[07] Lluis Enrique, Philippe Block, Joseph Schwartz: Form-finding method for prestressed cable networks using graphic statics, Proceedings of the International Association for Shell and Spatial Structures (IASS) Symposium – Future Visions, Amsterdam 2015.

TEC21, Fr., 2016.06.03



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|23 «Incidental Space» im Schweizer Pavillon

27. Mai 2016Joseph Schwartz
Neven Kostic
TEC21

Solides Rückgrat

Für die einwandfreie Montage der auswechselbaren Forschungsmodule von aussen waren möglichst weit auskragende Decken gefordert. Die Ingenieure entwickelten ein Traggerüst mit eigens konstruierten Stahlpilzen und mit präziser Spannkabelführung – dies sogar im Holzdach.

Für die einwandfreie Montage der auswechselbaren Forschungsmodule von aussen waren möglichst weit auskragende Decken gefordert. Die Ingenieure entwickelten ein Traggerüst mit eigens konstruierten Stahlpilzen und mit präziser Spannkabelführung – dies sogar im Holzdach.

Das Nutzungskonzept des Forschungsgebäudes NEST forderte Architekten und Tragwerksplaner gleichermassen heraus. Man war sich einig, dass das als grosses Regal konzipierte Gebäude an allen Fassadenflächen offen bleiben und keinerlei Tragelemente in den Fassadenebenen ­aufweisen sollte. Der Wunsch nach möglichst grossen Deckenflächen für die stockwerkhohen Forschungsmodule bedingte eine Tragstruktur mit entsprechenden Deckenauskragungen, die hohe Anforderungen an die konzeptionelle Entwicklung und die konstruktive Ausbildung des Stahlbetonbaus stellte.

Uneingeschränkte Nutzfläche

Die Planer entwarfen das Konzept in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit und entwickelten es zur Optimierung der Nutzungsanforderungen konsequent weiter (Abb. S. 35 unten). Von Anfang an war klar, dass sich die Nutzung am besten mithilfe eines zentralen Kerns erfüllen lässt, der die Erschliessung, die technischen Installationsschächte sowie die wenigen dienenden Räume aufnimmt. Der sich aus dem kastenförmigen Untergeschoss entwickelnde doppelwandige Kern wirkt als Rückgrat der gesamten Struktur, spannt die auskragenden Deckenplatten ein und steift das Gebäude aus. Durch geschickte Anordnung der Wände im Untergeschoss konnten die sehr grossen Kernkräfte möglichst gleichmässig durch die Bodenplatte in den Baugrund eingeleitet werden, sodass das Gebäude flach fundiert werden konnte.

Anlässlich der intensiven Konzeptbesprechungen wurde nach Möglichkeiten gesucht, den Umfang und die Tiefe der Nutzflächen zu variieren und weiter zu vergrössern, was letztlich zum Abweichen von einer rein prismatischen Gebäudefigur führte. Durch die stockwerkweise verschränkte Anordnung der im Grundriss polygonal verlaufenden Deckenränder wurde es nämlich möglich, Nutzflächen zu generieren, die nicht mehr allein durch die effektiven statischen Auskragungen begrenzt sind. Infolge der auf auskragenden Wandscheibenelementen hängenden beziehungsweise aufgelegten Deckenbereiche konnte zum Teil auf streng übereinanderliegende Wände verzichtet werden; so wurden stockwerkweise alternierend Deckenbereiche entwickelt, deren nutzbare Auskragung grösser ist als die effektive statische Auskragung (Abb. oben).

Sonderanfertigung gegen Durchstanzen

Die sich daraus ergebenden tragwerkstechnischen Herausforderungen sind aus den Abbildungen S. 37 ersichtlich. Es sind einerseits die grossen Schubbeanspruchungen der Decken in den Bereichen der Wandenden und andererseits die Durchbiegungen an den Deckenrändern. Zur Vermeidung von Durchstanzversagen der Decken im Bereich der Wandenden war die Anordnung einer lokalen Schubverstärkung unerlässlich. Mit Bügelbewehrung allein konnte der Durchstanzwiderstand der 55 bis 60 cm starken Obergeschossdecken unter maximal 6.5 MN nicht gewährleistet werden. Es wurden spezielle in der Sichtbetonkonstruktion integrierte Stahlpilze entwickelt, die eigens für diesen Bau konstruiert wurden. Diese Durchstanzpilze wurden mit weiteren in den Beton integrierten Stahlelementen ergänzt, die die Funktion kräftiger Bewehrungen übernehmen. Einerseits sind dies die schweren Druckbewehrungen aus Vollrundstahl, die die erwähnten gros­sen Deckenlasten mittels Kopfbolzendübeln in die Wände einleiten.

Die auskragenden Wandelemente, an denen sowohl unten als auch oben konzentrierte Deckenlasten von rund 6.5 MN wirken, mussten zusätzlich mit Spannkabeln versehen werden, um die Zugkräfte aus der unteren Decke aufzunehmen. Andererseits wurden die unteren Stahlpilze zusammen mit den aufgehenden Rundstählen derart mit kräftigen Stahllaschen und Ankerplatten ergänzt, dass die geneigten Spannkabel mit dem inte­gralen Stahlbauteil verbunden werden konnten, was einen sehr direkten und eleganten Kraftfluss in den extrem hoch beanspruchten Knotenbereichen ermöglicht, wie die Modellierung mit dem kontinuierlichen Spannungsfeld eindrücklich illustriert (Abb. S. 37 oben links). Vier weitere als Bügelbewehrung wirkende Spannkabel erhöhen den Schubwiderstand der Wandscheiben.

Verformungsarm dank Vorspannung

Die zweite grosse Herausforderung bestand in der ­Kontrolle der Verformungen der Decken infolge ihrer beträchtlichen Auskragungen von bis zu rund 10 m ­über die Eckdiagonalen gemessen.

Einerseits die grossen zu berücksichtigenden Nutzlasten von 10 bis 12 kN/m2 und andererseits die respektablen Eigenlasten liessen die Ausbildung ­d­er Decken mit ausschliesslich schlaffer Bewehrung ­als wenig zweckmässig erscheinen, sind doch ins­beson­­dere die Kriechverformungen problematisch, ­weil sie nicht eindeutig mittels einer Deckenüber­hö­­h­ung kompensiert werden können. Daher wurden die Decken konsequent vorgespannt, wobei die 1900-kN-Flachkabel derart geführt wurden, dass die ständi­gen Lasten ­weitgehend durch die Umlenkkräfte der Vorspan­nung kompensiert werden und somit weder elastische noch Kriechverformungen unter ständigen ­Lasten ­auftreten.

Ein weiterer Vorteil der Vorspannung besteht darin, dass sie die Steifigkeit der Betonplatten beträchtlich erhöht und entsprechend die Verformungen im Gebrauchszustand unter den hohen Nutzlasten der Module reduziert. Dabei vergrössert sie auch den Durchstanzwiderstand der Decken infolge der geringeren Rotationen über den Stützen einerseits, und andererseits durch den Einfluss der geneigten und gekrümmten Kabel im Bereich der Stützen, die somit ihre Umlenkkräfte direkt ins Auflager einleiten können.

Nichtsdestotrotz wurden die kritischen Bereiche der Decken zusätzlich mit einer Bügelbewehrung versehen. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Kriterien wurde die Geometrie der Kabel sowohl im Grundriss als auch im Schnitt sorgfältig planerisch entwickelt und minutiös auf der Baustelle umgesetzt.

Angewandte Forschung

Beim NEST handelt es sich um ein Forschungsge­bäude. Deshalb war es naheliegend, der geplanten Holzüberdachung im Dachgeschoss mit innovativen und experimentellen Lösungsansätzen – unter anderem mit vorgespannten Brettschichtträger (vgl. «Vorgespannte BSH-Träger», S. 36) – zu begegnen.

Das Tragwerk des Forschungsgebäudes Empa ­NEST stellte sehr hohe Anforderungen an die Planenden und an die Ausführenden. Dank bewusster und engagierter interdisziplinärer Zusammenarbeit ab der ersten Konzeptphase, dem sehr starken Vertrauensverhältnis sowohl der Planenden untereinander als auch mit der Bauherrschaft sowie dem grossen Einsatz und dem respektvollen Umgang aller Beteiligten in der Ausführungsphase konnten die technischen und baulichen Herausforderungen souverän gemeistert werden.

TEC21, Fr., 2016.05.27



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TEC21 2016|22 Empa NEST – Brutplatz für die Forschung

30. Oktober 2009Joseph Schwartz
TEC21

Hohe Schule

Voraussetzung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, dass alle Beteiligten die Belange der anderen Fachbereiche verstehen und sich nicht nur für die Qualität der eigenen Arbeit, sondern auch für die des gesamten Bauwerkes engagieren. Dies ermöglicht eine Horizonterweiterung, von der die Projektierenden auch im eigenen Fachbereich profitieren. Beim Schulhaus Leutschenbach ist dies gelungen – ein Ingenieurbericht über die Herausforderungen bei der Planung und Realisation der Tragkonstruktion.

Voraussetzung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, dass alle Beteiligten die Belange der anderen Fachbereiche verstehen und sich nicht nur für die Qualität der eigenen Arbeit, sondern auch für die des gesamten Bauwerkes engagieren. Dies ermöglicht eine Horizonterweiterung, von der die Projektierenden auch im eigenen Fachbereich profitieren. Beim Schulhaus Leutschenbach ist dies gelungen – ein Ingenieurbericht über die Herausforderungen bei der Planung und Realisation der Tragkonstruktion.

Ab der ersten Wettbewerbsphase wurde in enger Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen nach Lösungen gesucht, um die konzeptionelle Grundidee des Entwurfes am effizientesten umzusetzen. Um einen maximalen Bezug der öffentlichen Räume wie Verwaltung, Aula und Bibliothek zum Aussenraum zu ermöglichen, galt es, diese Stockwerke möglichst ohne tragende Elemente in der Fassadenebene auszubilden. Sowohl der dreigeschossige Unterrichtszimmerkörper als auch die Turnhalle boten sich mit ihren beträchtlichen Höhen dazu an, diese Idee als weit auskragende Körper überzeugend umzusetzen (Abb. 2). Um auch in den Unterrichtsräumen und in der Turnhalle einen möglichst starken Bezug zur Umgebung zu ermöglichen und die Tageslichtverhältnisse in dem sehr tiefen Baukörper mit den Unterrichtsräumen zu optimieren, wurden die für die grossen Auskragungen erforderlichen Scheiben der Tragstruktur als Stahlfachwerke ausgebildet, die mit den Stahlbetondecken im Verbund wirken. Die Lage der in der Fassadenebene liegenden Fachwerkstreben wurde anhand einer langwierigen Parameterstudie unter Berücksichtigung aller möglichen Kriterien festgelegt. Der Entscheid, diese Fachwerke im Aussenklima anzuordnen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad der Projektierungsaufgabe erheblich: Neben den relativ grossen Längen änderungen in der Tragstruktur infolge von Temperaturveränderungen müssen auch grössere Wärmebrücken akzeptiert werden. Es galt, diese zu minimieren, deren Wärmeströme zu berechnen und im Energienachweis zu berücksichtigen.

Im Erdgeschoss liegt der Baukörper lediglich auf sechs stählernen Dreibeinen auf, welche die grossen Gebäudelasten über das Untergeschoss an die Fundation abgeben. Die Decke über dem vierten Obergeschoss ruht auf den im Grundriss H-förmig angeordneten Fachwerkträgern, die ihre Kräfte über die mittleren Längsfachwerkscheiben des dreigeschossigen Klassenzimmerkörpers auf die Dreibeine abgeben. An den Rändern der Querfachwerke im vierten Obergeschoss sind sowohl die äusseren Längsfachwerkscheiben des dreigeschossigen Klassenzimmerkörpers aufgehängt als auch die Längsfachwerke der Turnhallenfassade aufgelagert (Abb. 7). Die Fachwerkscheiben der Gebäudequerseite sind in den Gebäudeeckpunkten mit denjenigen der Längsfassaden verbunden. Die stählerne Dachkonstruktion liegt auf den Obergurten der Turnhallen-Fachwerkscheiben auf.

Fundation und Untergeschoss

Der Baugrund besteht aus Seeablagerungen, die Moräne liegt tiefer als 50 m unter Terrain. Diese Verhältnisse erforderten eine Pfahlfundation. In den Bereichen, in denen die enormen Lasten eingeleitet werden, nämlich unterhalb der Dreibeine, wurden drei linienartige Pfahlbankette angeordnet. Die beiden aussenseitigen Pfahlbankette ruhen auf je zwölf Grossbohrpfählen mit einem Durchmesser von 120 cm und einer Länge von 30 m, das mittlere Pfahlbankett auf sechs Grossbohrpfählen. Unterhalb der Aussenwände des teilweise im Grundwasser liegenden Untergeschosses sind Betonrammpfähle mit einem Durchmesser von 40 cm und einer Länge von 20 m angeordnet.

Das Untergeschoss hilft dank der Steifigkeit der Innenwände, die Lasten gleichmässig auf die Pfähle zu verteilen. Die Geometrie der Räume wurde so optimiert, dass sowohl die architektonischen als auch die statischen Anforderungen möglichst gut erfüllt werden konnten. Eine besondere Herausforderung stellte die Einleitung der Dreibeinkräfte in die Kellerwände dar. Unterhalb der Aufl agerpunkte der Dreibeine sind bis zur Bodenplatte reichende, runde Stahlkerne mit einem Durchmesser von 32 bzw. 20 cm, die über ihre ganze Höhe mit Kopfbolzendübeln versehen sind, in die massiven, stark bewehrten Kellerwandbereiche eingelegt (Abb. 1). Sowohl für die Bankette, für die Bodenplatte, für die Untergeschosswände als auch für die Decke über dem Untergeschoss wurde Recyclingbeton verwendet.

Montage der Stahltragsstruktur

Der Stahlbau weist ein Gesamtgewicht von rund 1000 t auf. Die Teile wurden im Rahmen der Transportmöglichkeiten im Werk vorgefertigt und in der Feldwerkstatt der Baustelle liegend zusammengeschweisst. Es kam mehrheitlich Stahl S460N zur Anwendung. Der Feuerwiderstand des Stahlbaus wird mit einem Brandschutzanstrich in Kombination mit einer Sprinkleranlage sichergestellt. Zur Montage wurde ein mobiler Raupenkran mit einer Hubkraft von 5000 kN eingesetzt. Vier provisorische Hilfstürme dienten der Stabilisierung der Stahlbaukonstruktion während der Montage (Abb. 8). Zur Sicherstellung der Stabilität des Stahlbaus während der gesamten Bauzeit waren nur sehr wenige provisorische Verbände erforderlich. Die räumlichen Abweichungen der einzelnen Fachwerkelemente wie auch diejenigen des gesamten Stahlbaus betrugen nach der Montage nur wenige Zentimeter. In Anbetracht der sehr hohen Anforderungen an den ausführenden Stahlbauunternehmer bei der Montage der schweren Bauteile in luftiger Höhe ist dieses Resultat beachtlich.

Decken

Die konzeptionelle Entwicklung der Decken war ein intensiver Prozess, an dem alle Fachplaner beteiligt waren. Das Einlegen der Gebäudetechnikleitungen war eine wichtige Randbedingung des architektonischen Grundkonzeptes. Die grosse Herausforderung, die das Projektierungsteam in einer frühen Phase eingegangen war, nur eine einzige Steigzone anzuordnen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad zusätzlich; ebenso der Entscheid, eine kontrollierte Lüftung einzubauen. Aus statischer Sicht wurden möglichst leichte Decken angestrebt. Nach einem ausgiebigen Variantenstudium fiel die Wahl auf Leichtbetondecken mit einer Betonqualität LC 35/38 mit einer Rohdichte von 1800 kg/m3. Auch beiden Decken wurde Recyclingbeton verwendet. Die Form der Deckenuntersicht wurde unter Berücksichtigung vieler Parameter sorgfältig optimiert. Die Geometrie der eingelegten Gebäudetechnikleitungen, die Anordnung der Leuchtkörper, die Lösung der raumakustischen Anforderungen unter Berücksichtigung der gestalterischen Anforderungen und weitere Randbedingungen führten zu einer statisch effizienten Lösung mit einer polygonal gewellten Deckenuntersicht, welche die Decken als Plattenbalkenstreifen zwischen den Stahlträgern der Fachwerke wirken lässt (Abb. 04). Generell sind in Richtung der Fachwerkträger zusätzliche Längsträger an der Deckenuntersicht ausgebildet, die im Verbund mit den Stahlträgern wirken.

Um grosszügige, offene Raumverhältnisse im Gebäudeinnern zu erzielen, waren aus brandschutztechnischen Gründen aussen liegende Fluchtbalkone erforderlich. Diese sind auf allen Geschossen vorhanden und wurden formal gleich behandelt wie die Decken. Eine besondere Schwierigkeit stellte die Anordnung der Fachwerke im Aussenklima dar: Die Wärmedämmung durchdringt somit die Decken neben ihren Randaufl agern auf der ganzen Gebäudelänge. In diesen Bereichen wurden teilweise wärmegedämmte Stahlwalzprofile im Abstand der Deckenbalken eingelegt, die unter Berücksichtigung der statischen und der bauphysikalischen Anforderungen optimiert wurden.

Fassade

Die Fassade wurde – ausser im Bereich der sich öffnenden Flügel – rahmenlos ausgebildet. Sowohl für die Aussenfassade aus Floatglas als auch für die Innenwände aus Profilbauglas wurden entsprechende Deckenschlitze vorgesehen, in welche die Gläser versenkt werden konnten. Zur Aufnahme der Windlasten wurden bei grossen Spannweiten Glasschwerter angeordnet. Die theoretischen relativen Verformungen der Decken abzuschätzen, stellte in den zusammenhängenden Baukörpern – das heisst: in den Unterrichtsräumen und in der Turnhalle – kein Problem dar. Schwieriger war es in den offenen Geschossen: Sowohl im Erdgeschoss als auch im vierten Obergeschoss wurden deshalb die Verformungen der Fachwerkkörper während des Bauvorganges kontinuierlich gemessen und dokumentiert, um eine Prognose der definitiven Verformungen zum Zeitpunkt, an dem die Glasscheiben bestellt wurden, vornehmen zu können.

In den kommenden Jahren werden wir mit Spannung verfolgen, wie sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Dauerhaftigkeit der Konstruktionen niederschlagen und die Zufriedenheit von Studierenden und Lehrpersonen beeinfl ussen wird. Mit der Konzeption, Planung, Montage und Inbetriebnahme ist ein grosser Schritt getan, die hohe Schule der Zusammenarbeit zu erreichen. Auch erste Reaktionen der Gebäudenutzer zeigen positive Signale.

TEC21, Fr., 2009.10.30



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tec21 2009|44 Schulhaus Leutschenbach

27. Februar 2009Joseph Schwartz
TEC21

Kopfschütteln über Honorare

Im Off ertwesen von Bauingenieurleistungen ist bekanntlich nichts unmöglich. Es kommt immer wieder zu unglaublichen Ereignissen, die neben aller Tragik einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen. Drei Geschichten von der Honorarfront zeigen die grosse Bandbreite in der Kultur des Offertwesens.

Im Off ertwesen von Bauingenieurleistungen ist bekanntlich nichts unmöglich. Es kommt immer wieder zu unglaublichen Ereignissen, die neben aller Tragik einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen. Drei Geschichten von der Honorarfront zeigen die grosse Bandbreite in der Kultur des Offertwesens.

In den letzten Jahren hat das Bauingenieurbüro Dr. Schwartz Consulting AG in Zug wertvolle Erfahrungen mit Vergaben von Aufträgen sammeln können, die aus gewonnenen Wettbewerben hervorgegangen sind. Im Folgenden wird anhand von drei Geschichten gezeigt, in welchem Spektrum sich die sogenannte Kultur des Offertwesens von Bauingenieurleistungen heute bewegt. Entsprechende Ereignisse sollten allen Bauingenieuren zu denken geben und ihnen in Erinnerung rufen, dass sie als akademisch ausgebildete Berufsleute darum besorgt sein sollten, sich nicht in groteske Praktiken hineinziehen zu lassen. Solche Praktiken drohen den Ruf des verantwortungsvollen und interessanten Berufes gänzlich zu ruinieren.

Geschichte 1: Lockere Irrfahrt über Leichen

Vor drei Jahren lud eine grosse schweizerische Aktiengesellschaft zu einem nicht anonymen Studienauftrag ein. Es ging um die Projektierung dreier grosser Geschäfts- und Wohnhäuser mit Investitionskosten in dreistelliger Millionenhöhe. Die hoch qualifizierten Architekturbüros waren angehalten, Teams mit Partnern aus dem Bauingenieurwesen, der Gebäudetechnik, der Landschaftsarchitektur und der Bauökonomie zusammenzustellen. Diese Forderung war gemäss Wettbewerbsprogramm «explizit zu sehen im Hinblick auf die komplexe Bauaufgabe, die Honorarofferte und die folgenden Planungs phasen, die als Generalplanerleistungen erfolgen sollen». Die Ausloberin beabsichtigte, «das ausgewählte Planungsteam als Generalplaner mit der Projektweiterbearbeitung zu beauftragen. Bei Drittinvestition, d.h. bei einem Verkauf des baureifen Grundstücks, ist die Generalplanerverpflichtung an Dritte weiterzugeben. » Eindeutigere Bestimmungen haben wir nie in einem Wettbewerbsprogramm angetroffen – so weit das Erfreuliche.

Dr. Schwartz Consulting beteiligte sich im Planerteam, das den Wettbewerb gewann. Es folgte ein Überarbeitungsauftrag, bei dessen Durchführung sich die Qualität des gesamten Teams bestätigte. Anschliessend führte die Bauherrschaft einen Investorenwettbewerb durch und verkaufte das Grundstück. Die Übertragung der Generalplanerverpflichtung wurde dabei im Kaufvertrag mit einer Konventionalstrafe in Höhe von einer Million gesichert. Der anlässlich des Studienauftrags abgegebene Honorarvorschlag des Generalplanerteams war Bestandteil des Kaufvertrages. Die neuen Investoren weigerten sich dennoch, einen Generalplanervertrag mit dem Planungsteam abzuschliessen. Sie sahen sich ihrer Verpflichtung mit dem Zustandekommen von Einzelplanerverträgen nachgekommen. Die im Vorschlag enthaltenen Einzelhonorare wurden nicht wie vorgesehen als Verhandlungsbasis angenommen. So erhielten die Landschaftsarchitekten einen Auftrag zu wesentlich schlechteren Bedingungen, und die Bauökonomen mussten ausscheiden. Für den Bauingenieurauftrag wurden Drittofferten eingeholt und die Arbeiten an ein drittes Ingenieurbüro für weniger als die Hälfte des anfänglich offerierten Honorars vergeben. Ernsthafte Verhandlungen mit ursprünglichen Mitgliedern des Planerteams wurden nicht geführt. Daraufhin hat Dr. Schwartz Consulting den Rechtsweg auf zivilrechtlicher Basis beschritten. Sie warten bis heute auf eine schriftliche Mitteilung, der Auftrag sei anderweitig vergeben worden.

Geschichte 2: Kompetenz, Qualität und Vertrauen

Vor zwei Jahren führte eine grosse Aktiengesellschaft einen anonymen Architekturwettbewerb auf Einladung durch. Er weist augenscheinlich gewisse Parallelen mit dem Fall der Geschichte 1 auf: Es ging um die Projektierung eines komplexen Industriegebäudes mit gesamten Investitionskosten in dreistelliger Millionenhöhe. Auch dieses Mal waren die eingeladenen hoch qualifizierten Architekturbüros angehalten, mit Fachplanern aus dem Bauingenieurwesen, der Gebäudetechnik und der Bauökonomie zusammenzuarbeiten. Im Gegensatz zur Geschichte 1 wurde den Fachplanern aber explizit die Erteilung eines Auftrags im Falle eines Wettbewerbserfolgs nicht garantiert, eine Angebotslegung aber zugesichert.

Auch dieses Mal beteiligte sich Dr. Schwartz Consulting im Planerteam, das den Wettbewerb für sich entscheiden konnte. Dem Wettbewerbsprogramm entsprechend wurden anschliessend die Architekten mit der Weiterbearbeitung beauftragt, und die Fachplanerleistungen auf Einladung ausgeschrieben, wobei sich auch die Bauingenieure des Siegerprojektes fairerweise mitbewerben durften.

Bei der Analyse der Bewerbungen zeigte sich, dass diese die höchste Offerte abgegeben hatten. Daraufhin führte die qualitäts- und kostenbewusste Bauherrschaft ein seriöses und aufwendiges Evaluationsverfahren durch, aus dem Letztere trotz der höchsten Honorarofferte als Erst platzierte hervorgingen.

Die Bauherrschaft hat sich entschieden, die Projektierung und die Ausführung des Bauwerks ohne Mitwirkung eines General- beziehungsweise Totalunternehmers durchzuführen. Die Projektierungsarbeiten laufen seit rund einem halben Jahr auf fachlich hohem Niveau, wobei im Fokus aller Bestrebungen hohe Bauwerksqualität bei optimierten Kosten steht. Der Projektierungsaufwand ist entsprechend gross, und die anspruchsvolle Herausforderung ist ausserordentlich spannend.

Es erstaunt bei dieser Ausgangslage nicht, dass eine vorbildliche Vertrauensbasis zwischen den Projektierenden und der Bauherrschaft aufgebaut werden konnte, wobei alle Projektierenden ihre Aufgabe als Treuhänder der Bauherrschaft gegenüber sehr ernst nehmen

Geschichte 3: Bon Séjour in Monséjour

In Küssnacht am Rigi soll anstelle des heutigen Parkplatzes in Seenähe eine zweigeschossige unterirdische Parkierungsanlage geplant werden. Zur Lösung dieser anspruchsvollen Aufgabe hat die Bauherrschaft einen zweistufigen Projektwettbewerb im selektiven Verfahren für Teams bestehend aus Architekten, Bauingenieuren und Landschaftsarchitekten ausgeschrieben. Die Verschmelzung von ingenieurtechnischer Innovation, funktionalen Verkehrsabläufen und einer zweckmässigen Oberflächengestaltung im städtebaulichen Kontext forderte ein hohes Mass an interdisziplinärer Zusammenarbeit. Es meldeten sich insgesamt 22 Teams an, von denen sechs zum Wettbewerb zugelassen wurden. Die Bauherrschaft beabsichtigte, das erfolgreiche Siegerteam mit der Weiterbearbeitung zu beauftragen.

Die Honorare waren nicht im Verfasser-Couvert, sondern als Bestandteil des Wettbewerbs abzugeben. Gemäss Wettbewerbsprogramm konnte als maximaler Höchstwert von den jeweils gültigen KBOB-Tarifen ausgegangen werden.

Auch in diesem Fall ging das Planerteam, in dem Dr. Schwartz Consulting mitwirkte, als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Der Jurybericht mit den Honorarvorschlägen der Planungsteams ist öffentlich zugänglich1. In der Tabelle (Bild 2) sind die geschätzten Baukosten sowie die Honorarangaben der sechs Planungsteams aufgeführt. Bei den geschätzten Baukosten liegt der tiefste Wert bei rund 67 % des höchsten. Die geforderte Genauigkeit betrug /– 30 %, so dass diese Zahlen als im Rahmen des Möglichen gewertet werden können – auch wenn sich der Verdacht eines gewissen Zweckoptimismus nicht vollständig unterdrücken lässt. Anders sieht es bei den Honoraren aus: Es handelt sich um das altbekannte Bild, das bei Aussenstehenden nichts anderes als Kopfschütteln auszulösen vermag: Die Tabelle dokumentiert exemplarisch das Verhalten der Projektierenden. Sie soll nicht als Wertung des Verhaltens der einzelnen Büros gelten, handelt es sich doch um ein aus unzähligen ähnlichen Situationen herausgegriffenes Einzelbeispiel.

Verantwortung tragen

Wir Ingenieure haben als Akademiker eine grosse Verantwortung zu tragen: nicht nur in fachlicher, sondern auch in ethischer und in kultureller Hinsicht. Wir sind keine reinen Unternehmer, sondern Dienstleistende und Treuhänder der Bauherrschaft. Worte und Versprechen allein genügen nicht. Wir sind gefordert, unseren Pflichten als Akademiker nachzukommen und uns ernsthaft um Qualität, Fairness und Kultur zu bemühen.

Anmerkungen / Literatur:
[1] www.kuessnacht.ch/dl.php/de/48f82cd1ab8f2/Jurybericht.pdf

TEC21, Fr., 2009.02.27



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tec21 2009|09 Futterneid

26. November 2008Joseph Schwartz
Paul Lüchinger
TEC21

Gebrauchsgrenzen hinterfragen

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Das Tragwerk stellt ein Subsystem des Gesamtbauwerks dar. Sein Konzept wird im Rahmen des Entwurfs als Teil der integralen Planung in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Fachleuten entwickelt. Dieses nimmt Bezug auf die gesamtplanerischen, die architektonischen sowie auf die betrieblichen Belange und berücksichtigt gleichermassen die Randbedingungen aus der Umwelt wie die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen. Aus diesen Gegebenheiten folgen die grundlegenden Anforderungen an das Tragwerk, die mit verschiedenen Massnahmen erfüllt werden können. Im Falle der Tragwerksbemessung hat sich sowohl in der nationalen als auch der internationalen Normenpraxis seit längerer Zeit die Betrachtung von Grenzzuständen durchgesetzt.1, 2 Als solche werden die Tragsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit unterschieden.

Tragsicherheit: Verbindlich

Gegenüber Tragwerksversagen fordert die Gesellschaft allgemein die Sicherheit von Personen im Einflussbereich von Bauwerken. Bauherrschaft, Benutzer und Dritte stützen sich dabei auf einschlägige Rechtsgrundlagen. Den anerkannten Stand der Technik beschreiben entsprechende Regeln zur Tragsicherheit in den Normen – in der Schweiz sind dies die SIANormen. Da an der Tragsicherheit ein öffentlich-rechtliches Interesse besteht, ist sie nicht verhandelbar und das dazugehörige Normenwerk somit verbindlich (siehe Kasten Seite 20).

Gebrauchstauglichkeit: Verhandelbar

Nebst der Tragsicherheit steht die Zweckerfüllung und damit die Gebrauchstauglichkeit eines Bauwerks im Vordergrund des Bauherreninteresses. Sie orientiert sich an Fragen nach der vorgesehenen Nutzung des Tragwerks und den Ansprüchen der Benutzer. An der Gebrauchstauglichkeit besteht ein privatrechtliches Interesse, sie wird demnach in Absprache zwischen Bauherrschaft und Projektierenden geregelt.

Die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit sind ab Beginn der Projektierung zu diskutieren und im Rahmen der Projektentwicklung laufend neu zu beurteilen. Die Folgen der Entscheide sind im Voraus aufzuzeigen und zwischen dem Besteller und dem Ersteller frühzeitig festzulegen. Dafür dient die Nutzungsvereinbarung als wichtiges vertragliches Instrument mit technischem Inhalt zwischen Bauherrschaft und Projektierenden einerseits und Benutzern (z.B. Mietern) andererseits. Die entsprechenden Regeln der Tragwerksnormen sind ein möglicher Leitfaden in der Diskussion. Sie bezwecken einheitliche Sprachregelungen und kategorisieren Begriffe, Vorgehensweisen und Nachweise.

Objektspezifische Richtwerke

Bauingenieure beurteilen die Gebrauchstauglichkeit bezüglich dreier Aspekte: Funktionstüchtigkeit, Aussehen des Bauwerks und von den Benutzern erwarteter Komfort. Gemessen wird sie anhand von Kriterien wie Schwingungen, Rissbildung und Verformungen, wobei Letzteres zu den am häufigsten diskutierten zählt. Es sind die Verformungen, die beispielsweise das Aussehen oder die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks wegen Schäden an Einrichtungen beziehungsweise an nichttragenden Bauteilen beinträchtigen können. Für jedes Kriterium – und unabhängig von den drei Aspekten – werden die Gebrauchsgrenzen für die jeweils verifizierten Bemessungssituationen, die alle vorhersehbaren Bedingungen während der Nutzung und Ausführung eines Bauwerks einschliessen sollen, festgelegt. Die qualitative und die quantitative Entwicklung der Regeln in den Tragwerksnormen des SIA orientiert sich an Erfahrungswerten aus der Praxis – sowohl hinsichtlich Bemessungssituationen als auch bezüglich Bemessungskriterien und deren Grenzen. Darum sollten die Angaben der Gebrauchsgrenzen nur im Sinne von Richtwerten interpretiert werden – sie müssen fallweise hinterfragt und eventuell angepasst werden.

Bei heute geläufigen Spannweiten bei Flachdecken von 7 bis 10 m bedeutet der Wert l/350 beispielsweise 20 bis 30 mm Durchbiegung beziehungsweise etwa 6 ‰ Auflagerdrehwinkel. Eine detaillierte Berücksichtigung der Konstruktion und der Situation erfolgt aber höchstens in allgemeinen Anmerkungen wie: «Wenn Einbauten besonders empfindlich auf Verformungen des Tragwerks reagieren, sind neben oder anstelle von bemessungstechnischen vor allem auch konstruktive Massnahmen gegen Beschädigung vorzusehen.» Die zu erwartenden Durchbiegungen müssen kritisch analysiert und geprüft werden. Wird der Vergleich zwischen verlangten und auftretenden Durchbiegungen ohne Absprache mit allen am Projekt Beteiligten gemacht, kann dies zu Missverständnissen und damit zu grossen Problemen führen.

Vorabklärungen an planerischen Schnittstellen

Aus Erfahrung besteht in der Planung grosser Bedarf an Vorabklärungen sowohl in der Phase der Projektierung als auch während der Vorbereitung der Ausführung. Auswirkungen der zu erwartenden Verformungen auf die Nutzung und auf die nichttragenden Bauteile oder Einbauten müssen beispielsweise während der Projektierung erfragt und geklärt werden. Allenfalls notwendige konstruktive Massnahmen wie Überhöhung oder Anschlüsse an nichttragende Bauteile können dann rechtzeitig geplant werden. Im Rahmen der Ausführungsvorbereitung müssen die Planer zum Beispiel die Einbausequenzen von Tragwerksteilen und nichttragenden Bauteilen analysieren, den Einbau der Beläge ermitteln (Oberfläche horizontal oder der Durchbiegung folgend) oder sicherstellen, dass bei überhöhten Stahlbetondecken auch die Oberfläche überhöht abtaloschiert wird.

Beispiel 1: Glasfassade auf „weichen“ Deckrändern

In einem Laborgebäude in Basel werden die Deckenlasten auf der Vorderseite des Gebäudes zu den Randstützen der vierstöckigen Glasfassade abgetragen. Die Stützenlasten werden im Erdgeschoss von einem weit gespannten, einfeldrigen Stahlfachwerkträger mit beidseitiger Auskragung abgefangen (Bilder 2 und 3) und schliesslich über zwei Stützen in die Untergeschosse abgetragen. Damit ein einheitliches Fassadenbild entsteht, sind der Fachwerkträger wie die Stützen in die Glaskonstruktion eingebunden (Bild 4). Im Vergleich zu den punktgestützten Innenbereichen der Flachdecken stellt die Abfangung eine «weiche» Auflagerung der Deckenränder dar. Die Verformungen im Bereich der Glasfassade beeinflussen deshalb die Konzeptentwicklung des Tragwerks und dessen konstruktive Durchbildung und Ausführung wesentlich. Obwohl die rechnerischen Durchbiegungen des annähernd geschosshohen Fachwerkträgers äusserst gering und die Richtwerte gemäss der SIA-Norm weit unterschritten waren, mussten die Planer während der Projektierung objektspezifische Abklärungen vornehmen. Sie berechneten am Modell, welche Durchbiegungen im quasi-ständigen und welche im häufigen Lastfall entstehen. Um den detaillierten Montagevorgang zu planen, ermittelten sie die zu erwartenden Verformungen vor und nach der Montage der Glasfassade. Aus der Bewegung ergab sich die zeitliche Abfolge für den Einbau der Deckenauflasten (Bodenbeläge) und der Fassadenlasten. Ausserdem mussten sie die Extremwerte der Verformungen infolge seltenen Lastfalls ermitteln, die zu irreversiblen Schäden an der Glasfassade führen. Die Resultate bildeten die Grundlage für die Ausbildung der Anschlüsse der Glasfassade an die Tragstruktur.

Aus der Koordination und Lösungsfindung während der Projektierung entwickelten sich die Vorgaben für die Ausführung – und wiederum neue Fragen: Wie gross ist die initiale Überhöhung des Fachwerkträgers vorzusehen? Wie sind die Betondecken der Obergeschosse zu schalen und zu betonieren? Wie müssen die Oberflächen abtaloschiert werden, horizontal oder der infolge der zunehmenden Betonlasten von Geschoss zu Geschoss abnehmenden Überhöhung folgend? Diesen eher ungewöhnlichen Fragestellungen überlagern sich die eher alltäglichen Problemstellungen, hervorgerufen durch unterschiedliche Anforderungen an die Massgenauigkeiten im Ortbetonbau und im konstruktiven Glasbau.

Diskutiert wurde auch die Lage der Wärmedämmschicht: Der Fachwerkträger ist den Temperatureinwirkungen im Freien, die Betondecken sind dem Innenraumklima ausgesetzt. Ein statisch wirksamer Verbund von Betondecke und Fachwerkträger erzeugt infolge unterschiedlicher Temperaturen von Obergurt (im Gebäudeinnern) und Untergurt (im Freien) Krümmungen im Querschnitt und somit jahreszeitlich schwankende Trägerdurchbiegungen. Da solche zusätzlichen und veränderlichen Durchbiegungen von der Glasfassade nicht aufgenommen werden können, war ein konzeptioneller Entscheid notwendig: Der Träger musste von der Betondecke konstruktiv getrennt und in seiner Längsrichtung beweglich gelagert werden.

Beispiel 2: Weit gespannte Betondecken

Im polygonalen Grundriss des Bürogebäudes in Zürich ist die Hauptnutzung der Geschosse grundsätzlich entlang der Fassaden in die Raumtiefe angeordnet. Die nichttragenden Bürotrennwände sind radial beziehungsweise senkrecht zur Fassade und damit parallel zur Tragrichtung der Decken ausgerichtet. Sie folgen somit der Deckensenkung, müssen aber trotzdem die Deckenverformungen (Bild 5) unbeschadet aufnehmen können. Den möglichen Lösungsansatz beeinflussten neben baulich-konstruktiven Kriterien insbesondere auch hohe Anforderungen an die Schalldämmung zwischen den Büroräumen.

Es mussten konstruktive Massnahmen an Wandkopf und -fuss der Bürotrennwände vorgesehen werden, wobei auch die Deckendurchbiegungen auf ein der Problemstellung adäquates Mass zu begrenzen waren. Als massgebend galten die Verformungen nach dem Versetzen der Wände. Nach SIA-Norm wäre bei Spannweiten von 8 bis 10 m und dem gängigen Richtwert von l/350 eine Deckendurchbiegung von rund 25 mm erlaubt. Diese Gebrauchsgrenze war aber hier unter den gegebenen Umständen unzureichend: Die nichttragenden Trennwände wären belastet worden. Die geplanten Durchbiegungen wurden darum reduziert. Während die Durchbiegungen des geschweissten Stahlfachwerkträgers im ersten Beispiel rechnerisch genau vorausgesagt werden konnten, bestimmten bei den Stahlbetondecken in diesem Beispiel verschiedene, mit Unsicherheiten verbundene Parameter die Genauigkeit der zu erwartenden Durchbiegungen. Insbesondere die Streuung der Baustoffeigenschaften bewirkt Unsicherheiten in den Prognosen. Bei Betonbauten sind die erst nach Jahren abklingenden Langzeitverformungen und das mögliche Rissbild, das unter der massgebenden Belastung eintreten kann, die prägenden Faktoren für die effektiv auftretenden Durchbiegungen. In schlaff bewehrten Betondecken können die Langzeitverformungen im gerissenen Zustand durchaus den drei- bis vierfachen Wert der am homogenen Tragwerk ermittelten Durchbiegungen erreichen. Mit einer einmaligen Überhöhung der Schalungen im Bauzustand können die Auswirkungen dieser Langzeitverformungen in Bezug auf die Funktionstüchtigkeit der Trennwände nicht ausreichend gemildert werden, weil sie per definitionem erst lange Zeit nach dem Einbau der Wände eintreten. Lösungsansätze sind vielmehr in der Verminderung der Rissbildung und der Reduktion der Langzeiteinflüsse zu suchen. Dazu gehören baustofftechnologische und ausführungstechnische Massnahmen wie Betonnachbehandlung oder Ausschalfristen, die auf das verminderte Kriechverhalten des Betons hinzielen. Daneben beeinflussen auch konzeptionelle und bemessungstechnische Massnahmen die Rissbildung günstig.

Eine Vorspannung wirkt sich auf das Verformungsverhalten von Betontragwerken in jedem Fall vorteilhaft aus (Bild 6). Sie erzeugt nach oben gerichtete Umlenkkräfte, die der äusseren Belastung entgegenwirken. Zudem überdrückt sie den Beton, woraus im Endeffekt ein kleineres Rissmoment und wesentlich geringere Durchbiegungen resultieren.

Mehrwert durch Reflektieren

Die Um- und Durchsetzung der Anforderungen hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit erfordern eine hohe Bereitschaft zu interaktivem Planen und offenem Kommunizieren zwischen den am Planungs- und am Bauprozess Beteiligten. Die sorgfältige Behandlung der Gebrauchstauglichkeit kann aber auch die Stellung des Bauingenieurs als Treuhänder der Auftraggeber aufwerten. Kontrollierte Durchbiegungen können ganz allgemein als Gütesiegel für die Nutzbarkeit der Gebäude angesehen werden. Geringe Verformungen erhöhen die Flexibilität der Nutzung und indirekt auch den Marktwert des Gebäudes – insbesondere dann, wenn Grundausbau und Mieterausbau nicht von der gleichen Trägerschaft übernommen werden.

TEC21, Mi., 2008.11.26



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