Editorial

Wohl kaum ein Bauteil ist technisch so komplex und gestalterisch so prägend wie Türen und Tore. Um ihrer herausragenden Rolle bei der Gestaltung eines Gebäudes gerecht zu werden, bedarf es einer der Nutzung angemessenen und funktionalen Lösung. So entscheidet sich an der sensiblen Stelle des Übertritts zwischen Außen- und Innenraum – ob als sanfter Übergang oder dramatisch inszeniert – mit welcher Erwartung der Nutzer das Innere betreten wird.

Wir haben Projekte ausgesucht, die schon bei einem kurzen Blick auf ihre Eingangssituation Lust machen ­hineinzugehen. | Martin Höchst

Der Eingang als Bühne

(SUBTITLE) Museum für Pop, Rock und Jugendkultur in Roskilde (DK)

Üppiges Gold und karger Beton sind wesentliche Elemente des Rockmuseums in Roskilde. Besucher betreten den faszinierenden Bau zwar über einen bereits kurz nach Fertigstellung verblassten »Roten Teppich« aus Asphalt, werden von der spektakulären Auskragung des Bauvolumens aber überbordend willkommen geheißen. Diese – teils unfreiwillige aber sehr passende – Dramaturgie führt bildhaft vor Augen, welche zwei Seiten das unstete Musikgeschäft hat.

Sollte der dänische, in Los Angeles lebende, Regisseur Nicolas Winding Refn wieder einmal in seiner Heimat filmen wollen, gäbe es derzeit wohl kaum eine bessere Kulisse als den Ragnarock genannten Museumsneubau in Roskilde.

Es hätte gut gepasst, das Gebäude in der Schlussszene seines aktuellen Films »Neon Demon« plötzlich in einer kargen Landschaft auftauchen zu lassen: Wie ein kopfstehender l-förmiger Baustein des Computerspielklassikers Tetris kragt das Bauvolumen in 11 m Höhe spektakulär 22 m über dem Eingangsbereich aus. Dessen mit glänzend goldenen Pyramiden bestückte Fassade und die knallrote Eingangspartie symbolisieren jenen Glamour und jene Perfektion für die auch die Models sowie einige nicht minder stylishe Gebäude im Film von Refn stehen.

Die Umgebung des glamourösen Neubaus könnte jedoch – mit ihren alten ­Fabrikhallen und Industrieruinen sowie wild wachsendem Unkraut – kaum trostloser und karger sein. Doch genau durch diese Szenerie führt ein Weg aus eingefärbtem Asphalt auf den Museumseingang zu, der für einen jener roten Teppiche stehen soll, wie sie frisch gewaschen vor VIP-Eingänge gelegt werden. Dass er sich bereits eineinhalb Jahre nach Eröffnung des Museums in verblichenem Rosa zeigt, als habe er Jahrzehnte unbeachtet in der Sonne gelegen, hat etwas Tragisches – wie bei einer ehemals gefeierte Rockband, die statt auf angesagten Festivals nun bei Autohauseröffnungen spielt.

Glanz und Verfall

Der vormals rote Asphaltteppich sollte ursprünglich, wie das Gebäude selbst, Glamour versprühen und evoziert nun unfreiwillig genau das Gegenteil. Das passt aber dennoch bestens: Es ist das Zusammenspiel aus Glanz und Verfall, das die Architekturbüros COBE und MVRDV bewusst für den Neubau des Rockmuseums gewählt haben. »Wir wollten, dass erkennbar bleibt, dass hier einmal ein Industriegebiet war und gleichzeitig all das zeigen, was mit der Welt der Musik verbunden wird«, so Thomas Krarup, projektverantwortlicher Architekt bei COBE in Kopenhagen.

Ragnarock steht inmitten einer alten Betonfabrik auf halber Strecke zwischen dem Stadtzentrum von Roskilde und dem Gelände des international bekannten »Roskilde Festival« auf dem jährlich Tausende bei Rock- und Popkonzerten zusammenströmen. Als Gewinner des Wettbewerbs für den Masterplan des vormaligen Industriegeländes – zur Ansiedlung kreativer Unternehmen auf dem Areal unter Erhalt seines historisch gewachsenen Charakters – sowie für die im Zentrum projektierten Neubauten ging 2011 der gemeinsame Beitrag der Büros hervor. Beide stehen bereits seit Jahren in engem Austausch. Krarup hat selbst sieben Jahre in den Niederlanden und dort auch bei MVDRV in Rotterdam gearbeitet.

Offiziell heißt das Haus »Museum für Pop, Rock und Jugendkultur«. So pädagogisch dieser Name bereits klingt, so didaktisch aufbereitet zeigt sich auch die Ausstellung, die den Großteil des 3100 m² großen Gebäudes im 2. und 3. OG einnimmt. Recht konventionell, aber dank der vielen Hör- und Mitmachstationen dennoch anregend, wird hier durch die jüngere Musikgeschichte und die mit der jeweiligen Zeit verbundene Jugendkultur, angepasst oder aufbegehrend, geführt. Auf überdimensionierten Schallplatten liegend können Besucher Musikstücke erraten und ein Bühnenraum bietet Platz für kleinere Konzerte.

Blick zu den Sternen

Das Äußere samt Umgebung vermittelt ästhetisch, was das Leben vieler letztlich ausmacht: das Streben nach Ruhm und gleichzeitig den unaufhaltsamen (Ver-)Fall. Es ist, als hätte Oscar Wilde für diesen Bau und seine Platzierung Pate gestanden – »We are all in the gutter, but some of us are looking into the stars. – Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne.« [1] COBE und MVRDV haben gewagt, die Tristesse der Umgebung zu erhalten und ihr mit dem auffallenden Bau etwas entgegenzusetzen – ganz so wie Popmusik das Versprechen eines aufregenden Lebens in sich birgt.

Es sind die Außenansicht, v. a. die Fassade und der Eingangsbereich von Ragnarock, die dies versprechen. Die lichtreflektierende Bekleidung aus goldenen Aluminiumpyramiden lässt an jenen »Glitzer« denken, der spätestens seit ­Abba mit dem Eurovision Song Contest, dem Schlager und anderer leichter Musik verbunden wird. »Glanz und Form der Fassadenbekleidung stammen vom Nietengürtel, den manche Musiker und Fans zur ­alten Jeans tragen«, so Krarup. Teile der Fassade bestehen aus durchbrochenen Versionen der Pyramiden – die Verwaltungsetage im 1. OG sowie ein größerer Ausstellungsraum darüber erhalten so natürliches Licht und zugleich wirkt das Gebäude durch die Perforierung etwas leichter.

Tor in eine andere Welt

Die enorme Auskragung des Bauvolumens sorgt für die Beschattung der durchgängig verglasten EG-Fassade am Haupteingang und ermöglicht zudem, dass der Vorplatz viel besser genutzt werden kann. »Wir wollen ein lebendiges Haus und dabei hilft das große Vordach, denn darunter können Konzerte stattfinden, selbst wenn das dänische Wetter nicht mitspielt und es mal wieder regnet«, so Museumsdirektor Jacob Westergaard Madsen.

Als regulärer Zugang zum Museum dient ein Windfang in der roten Pfosten-Riegel-Fassade des EGs. Bei größeren Veranstaltungen kann das Foyer mit Museumsshop und Kasse anhand eines rund 4 m breiten ebenfalls verglasten Hebeelements weit geöffnet werden. Meist allerdings geht es nur durch eine gewöhnlich dimensionierte Tür hinein und schon ist das goldfarbene Äußere beinahe vergessen. Denn im Foyer erstrahlt alles in Rot. Die Wände und Decken des Foyers sind mit den gleichen Pyramiden ausgestattet wie die Fassade, hier jedoch erhielt die Farbbeschichtung eine samtene Textur und so erinnert der Raum an ein Tonstudio. Die Nebenbereiche, wie Garderoben und die Bar leiten dann in zweiter Reihe mit Sichtbeton und schwarz beschichteten Oberflächen bereits in die ebenfalls dunkel gehaltenen Räume des Museums über.

Die Farbigkeit des Gebäudes hat mit Politischer Symbolik nichts zu tun, vielmehr steht auch sie für die beiden Seiten des Musikgeschäfts: Der Glamour (Rot und Gold) der Rockmusik trifft auf deren Ehrlichkeit, die so viele an ihr schätzen (Schwarz und Sichtbeton). »Innen wollten wir eine Black Box haben, die möglichst neutral ist und von den Ausstellungsmachern gut bespielt werden kann«, so Architekt Krarup. Sozusagen die Rock Version des White Cube der Kunstmuseen. So wurde, neben anderen Bauteilen, auch die Stahl­konstruktion des angehobenen Museums, die im Foyer auf vier Quadern u. a. für Erschließung, Leitungsführung und Nebenräume ruht, der Industrie­architektur entlehnt.

Den Architekten lag viel daran, einen großen Teil der alten Fabrik, die teil­weise für temporäre Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt wird, und damit die Erinnerung an die Lokalhistorie zu erhalten, gleichzeitig aber schon aus der Entfernung sichtbar zu machen, dass sich das Industrieareal gewandelt hat und neue Institutionen Einzug gehalten haben. »Unser Masterplan sah vor, drei Bauten – das Rockmuseum, eine Hochschule und die Büros des Roskilde-Festivals – auf den alten Hallen der Fabrik zu platzieren, als seien es drei Bandmitglieder auf einer Bühne«, so Thomas Krarup. Die Gebäude sollten durch ihre Form auffallen, aber nicht zu verspielt sein. Schließlich ist auch Rock-Musik alles andere als filigran. Also wurde für deren Formen die Grundelemente Kreis (Hochschule), Quadrat (Festivalbüro) und Quader (Rockmuseum) gewählt.

Realisiert wurde bisher einzig das Museum, an der Umsetzung der Hochschule arbeiten die Architekten derzeit. Die Umsetzung des Festivalbüros ist bislang aus Kostengründen nicht absehbar.

Es bleibt zu hoffen, dass der reizvolle Kontrast zwischen dem Bestand und dem Museumsneubau mit seiner außergewöhnlichen Eingangssituation ­erhalten bleibt – auch dann noch, wenn die beiden Ergänzungen, die der ­Masterplan noch vorsieht, verwirklicht wurden.

[1] Lady Windermere’s Fan, Oscar Wilde

db, Do., 2016.09.01

01. September 2016 Clemens Bomsdorf

Den Blick weiten

(SUBTITLE) Estnisches Nationalmuseum in Tartu (EST)

In diesem Herbst noch eröffnet das neue estnische ­Nationalmuseum auf dem Areal eines brachliegenden vormaligen Militärflughafens. Der lang gestreckte Neubau erhebt sich als Verlängerung einer ungenutzten Landebahn aus dem Gelände und mündet in einer spektakulären Eingangsfassade, die als Geste für den zuversichtlichen Blick in die Zukunft des Landes mit seiner bewegten Geschichte gelesen werden kann.

Das Landgut von Raadi – oder besser der Ort, an dem das Landgut einst zu finden war, in unmittelbarer Nähe der traditionsreichen estnischen Universitätsstadt Tartu gelegen – war bis heute immer wieder Schauplatz grundlegender Ereignisse der Landesgeschichte: Vormals lediglich als Weideland genutzt, wurde das Gebiet von einer baltisch-deutschen Adelsfamilie zu einem Landgut ausgebaut, der in den 20er Jahren noch junge estnische Staat wandelte es in ein Museum um, es wurde besetzt (sowjetisch), erneut besetzt (deutsch) und abermals besetzt (wieder sowjetisch), dann mit Bomben dem Erdboden gleichgemacht, von der sowjetischen Armee als Flugplatz für Atom-Flugzeuge genutzt, 1991 mit der Unabhängigkeit vom Estnischen Staat zurückgewonnen und einfach vergessen, dann wiederentdeckt und jetzt schließlich ins Zentrum einer kulturellen und historischen Inszenierung gerückt.

Dieser kleine geschichtliche Abriss zum Standort des neuen Nationalmuseums umschreibt einen Zeitraum von mehr als 300 Jahren und verdiente schon für sich genommen einen Ort, an dem die Hintergründe dazu ausführlich erzählt werden könnten.

Museum ohne Heimat
Formal existierte das estnische Nationalmuseum von 1909 an, es verfügte jedoch nie über geeignete Räumlichkeiten, um sich über Sammlungen und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Austausch weiterzuentwickeln – während der 20er und 30er Jahre war das Museum unzulänglich im Herrenhaus des genannten Landguts untergebracht, später wurde der Sammlungsbestand in Scheunen und Lagerräumen versteckt, um ihn während der Jahrzehnte der sowjetischen Besatzung gezielt in Vergessenheit geraten zu lassen. Erst 2005, nach jahrelangen Überlegungen, fiel die endgültige Entscheidung für das Landgut Raadi als künftigen dauerhaften Museumsstandort und auch dafür, einen Architekturwettbewerb auszuschreiben.

Der 1. Preis 2006 für das Architekturbüro Dorell Ghotmeh Tane aus Paris war umstritten, denn dessen Entwurf wich von den Vorgaben ab und sah für das Gebäude einen Standort außerhalb des vorgegebenen Baufelds vor. Die Jury schrieb damals: »Die stillgelegte Startbahn auf dem Wettbewerbsgelände – Überrest der Besatzungszeit – kann in ihrem verlassenen und ungenutzten Zustand als spannungsvoller Ort angesehen werden. (…) Damit dieser Ort zu uns ›spricht‹, sieht der Entwurf die Ausdehnung der Leere durch ein neues Gebäude vor, das als lange, offene Halle ausgebildet ist, eine Verlängerung der Achse der Startbahn. Das leicht ansteigende Dach – eine Metapher für das Abheben in den Himmel, und darauf, seinem Schicksal entgegenzufliegen – formt einen überdachten Vorplatz mit Blick auf die Landschaft aus.«

Betrachtet man den Lageplan und andere Zeichnungen heute mit zeitlichem Abstand und mit weiteren Hintergrundinformationen, wirkt die Lösung sehr naheliegend. Mehr noch: Es wäre ziemlich fragwürdig, wenn das Gebäude nicht als natürliche Verlängerung der ehemaligen Startbahn formuliert ­worden wäre.

Doppelfassade und Ruine

Wenn man sich dem Gelände vom Stadtzentrum von Tartu aus nähert, wirkt die Platzierung des Gebäudes zunächst, nicht sehr vielversprechend, da man den historischen Kontext – das Herrenhaus und die Startbahn liegen etwas weiter oben am Hang – von hier nicht wahrnehmen kann. Der langgestreckte Neubau ist als Tragwerksbalken ausgebildet, der als Brücke auch über einen kleinen Teich neben der Gutshausruine im Gelände spannt. Unübersehbares zentrales Element des neuen Museums ist jedoch seine Haupteingangsseite in Form eines riesigen asymmetrischen Trichters, der die Zugangstüren spektakulär fasst. Die Fassade besteht ringsum aus einer »trendigen«, doppelt verglasten Haut mit winziger Bedruckung, die als Sonnenschutz dient.

Abgesehen von der Gebäudeausdehnung und der Eingangsgeometrie zeigt sich die Gestaltungssprache zurückhaltend, geschmackvoll, nordisch.

Eingesogen vom Eingangstrichter überrascht dann das Innere mit seiner Vielfalt an Eindrücken – wie schon die Architekten am Ende ihrer Projektbeschreibung konstatieren: »Das Innere des Gebäudes ist in ständigem visuellen Dialog mit der Landschaft …«. Wie so oft könnte man das als Phrase abtun, denn man kann im Grunde jede Öffnung in der Wand »visuellen Dialog« nennen. Hier jedoch darf der Besucher erfahren, dass diese Beschreibung der Realität entspricht: Von Anfang an, beginnend im 14 m hohen Eingangsfoyer, kann man die äußere Umgebung draußen durch die großzügigen Verglasungen – im Allgemeinen eher untypisch für ein Museum – überblicken. Die Innen- und Außenräume mit ihren historischen Zeugnissen lassen sich so zugleich erleben. Das offene Stahltragwerk, die schlichten, hochwertigen Betonwände und Bodenbeläge sowie die Glaselemente bilden im Innern einen beruhigenden Hintergrund. Er mildert die von draußen wirksame Szenerie und bestärkt den Besucher darin, sich im Innern eines Museums zu befinden. Der Ausstellungsrundgang selbst beginnt mit der Gegenwart Estlands, erwartungsgemäß im hohen Teil des Gebäudes, und führt durch miteinander verwobene Themenbereiche zurück in die Geschichte des Landes.

Wahrnehmung und Wirklichkeit

Aufgrund des leicht abfallenden Geländes und der brückenartigen Bauweise des Museums über einen kleinen Teich nimmt man es als eingeschossig wahr, obwohl sich im UG riesige Lager für die Sammlung befinden. Das EG umfasst die Hauptausstellung, weitere öffentlich zugängliche Räume sowie die Verwaltung entlang der Südfassade, während das Mezzanin im hohen Museums­teil für Konferenzen und Vorträge zur Verfügung steht.

Beim Gang durch die hintereinandergestaffelten barrierefrei gestalteten Ausstellungssäle stellt sich das Gefühl ein, sich auf einer 340 m langen Rampe stetig aufwärts zu bewegen. Das rührt auch daher, dass der ansteigende Park des Gutshofs zwischendurch immer wieder zu sehen ist.

Dieses Gefühl täuscht jedoch. Es wird vielmehr durch die sich kontinuierlich absenkende Deckenuntersicht ausgelöst. Am Ende beträgt die Raumhöhe gerade noch 3 m! Hier an der niederen Stirnseite schließlich eröffnet die unbedruckte Verglasung einen großartigen Blick auf die Startbahn, die wie endlos daliegt. In Anbetracht dieses Bilds erscheint es völlig unerheblich, wie groß das Museum ist oder wie viele Ausstellungsstücke es fasst. Im Vergleich mit der umgebenden Landschaft und ihrer Geschichte ist es nur ein winziges Element. Und genau hier erschließt sich die Idee der Architekten in ihrer vollen Komplexität und man nimmt die Kraft ihres durchdachten Entwurfskonzepts wahr. Es zwingt einen förmlich, sich umzudrehen und zurückzublicken, um sich zu vergewissern, ob man ­seiner Wahrnehmung trauen soll. Auf erstaun­liche Weise vermittelt besonders dieser Schlusspunkt des Gebäudes dem ­Besucher das Empfinden, Teil der im Museum dokumentierten Geschichte zu sein und verleiht damit dem Erlebten zusätzlichen Wert. Dieses komplexe räumliche Konzept in den schlichten Entwurfszeichnungen des Wettbewerbs bereits erahnt und vielleicht sogar als Bild vor Augen gehabt zu haben, dafür gebührt der Professionalität der Jury besondere Bewunderung.

Zwar besitzt das Museum an beiden Stirnseiten Zugänge, doch entfaltet sich die Wechselwirkung zwischen Gebäude und Ausstellungsinhalt emotional vollständig nur in Richtung auf die Startbahn zu. Den Bereich mit der vollen Höhe am trichterförmig eingeschnittenen Haupteingang belegt der Ausstellungsteil, der sich mit der estnischen Identität im 21. Jahrhundert befasst. Er eröffnet den weiten Blick auf die moderne Stadt Tartu, deren Bewohner so stolz darauf sind, dass das wichtigste Museum des Landes seinen Platz hier bei ihnen gefunden hat.

db, Do., 2016.09.01

01. September 2016 Visvaldis Sarma

Die Tore auf, es brennt im Tal

(SUBTITLE) Feuerwehrhaus mit Veranstaltungssaal in Vierschach (I)

Als auffällig unauffälliger Monolith aus rotbraunem Sichtbeton präsentiert sich das Feuerwehrhaus der ­Architekten-Brüder Alexander und Armin Pedevilla ­im Südtiroler Ort Vierschach. Durch die konsequente Ausrichtung des Projekts zu zwei Seiten hin und die klare Funktionstrennung kommuniziert das Gebäude zielgerichtet mit seiner Umgebung.

Im 400-Seelen-Ort Vierschach, in der Gemeinde Innichen im Hochpustertal, gut 30 km östlich von Bruneck, befindet sich auf 1 130 m das neue Feuerwehrhaus mit Fahrzeughalle und Schulungs- bzw. Veranstaltungssaal für Feuerwehr und Gemeinde zugleich. Das Hochtal der Dolomiten ist UNESCO Welterbe und wird vom üppigen Grün der Wiesen und Wälder und natürlich vom weißen Dolomitengestein geprägt. Von den rund 400 Einwohnern Vierschachs engagieren sich 50 in der freiwilligen Feuerwehr – ein Nachwuchsproblem gibt es nicht. Nachdem das alte Feuerwehrhaus längst nicht mehr den räumlichen und technischen Ansprüchen genügte, schrieb die Gemeinde bereits 2011 einen einstufigen Wettbewerb für ein neues Gebäude aus.

Eigenständiger Monolith

Der lang gestreckte, monolithische Neubau aus rot pigmentiertem Leichtbeton liegt an der Staatsstraße, durch einen leicht ansteigenden Vorplatz respektvoll von ihr zurückgesetzt. Zumindest sommertags, wenn sich nicht, wie auf den gezeigten Fotos, der Schnee gnädig über das heterogene Umfeld aus undefinierten Freiflächen und verstreut liegender Bebauung legt, kann man das Feuerwehrhaus fast übersehen; zumal es, durch den Höhensprung des Geländes aus kaum einer Perspektive mit seinem gesamten Volumen in Erscheinung tritt. Dass der Entwurf diesen Höhenunterschied so geschickt löst und sich zunutze macht, trägt ganz wesentlich zur Qualität des Projekts bei und führte u. a. dazu, dass sich das Architekturbüro Pedevilla ­Architects ­zusammen mit dem Ingenieurteam Bergmeister gegen elf andere Büros im geladenen Wettbewerb durchsetzen konnte. Eine weitere Qualität liegt in der konsequenten Nord/Süd-Ausrichtung und der übersichtlichen Gliederung des Gebäudes sowie der klaren Funktionstrennung und -zuordnung: Auf der unteren Ebene, nach Süden hin, ist die Fahrzeughalle mit der breiten Ausfahrt für die Feuerwehrautos und einem Übungsplatz davor angeordnet, darüber befindet sich der nach Norden ausgerichtete und nur von der oberen Ebene aus zugängliche Saal. Hinzu kommen auf beiden Geschossen Serviceeinrichtungen, die die jeweiligen Bereiche unabhängig voneinander machen. Die Ebenen mit ihren Vorplätzen werden über eine ins Gebäudevolumen integrierte, außenliegende und somit öffentliche Wendeltreppe aus pulverbeschichtetem Stahl miteinander verbunden.

Die sich ergebenden zwei Hauptfassaden des Feuerwehrhauses sind im ­Wesentlichen identisch aufgebaut: mit einem breiten gläsernen Fenster- bzw. Türband, das sich nahezu über die gesamte Gebäudelänge zieht, und einer ­geschlossenen Fläche aus rotbraunem Beton darüber. Die wenigen weiteren Öffnungen sind nicht verglast und ebenfalls in Rotbraun gehalten, was den monolithischen Charakter des Gebäudes stärkt. Dem Wunsch der Gemeindevertreter, auch ein Fenster gen Ortschaft, mit Blick auf die Kirche zu haben, wurde von den Architekten nachvollziehbarer Weise nicht entsprochen, um das Erscheinungsbild und die eindeutige Orientierung des Entwurfs nicht zu verwässern. So kommuniziert der Bau ausschließlich zu den beiden Vorplätzen hin, unten über die Falttüren der Fahrzeughalle und den direkt anschließenden verglasten »Kommandoraum«, oben über die gläserne Saalseite, die die Gliederung der Fahrzeughallen-Fassade aufnimmt.

Manuell, nicht automatisch

Die Falttüren sind Standardanfertigungen, die, was den Architekten sehr wichtig war, bündig eingesetzt wurden. Die Farbe der pulverbeschichteten Metallprofile orientiert sich am rotbraunen Ton des Betons. Die Türen sind leicht zu handhaben und werden manuell bedient. Um einen natürlichen Wetter-, in dieser Lage v. a. Schneeschutz zu erhalten und die Funktionsfähigkeit der Falttüren jederzeit zu gewährleisten, ist die Tür-Ebene einen Meter zurückgesetzt. Der Übergang zum asphaltierten Vorplatz ist niveaugleich. Die Dreifachverglasung kann man durchaus infrage stellen, so merkte auch ­Alexander Pedevilla an, da die Tore ohnehin nicht 100-prozentig dicht ­abschließen. Die im gesamten Gebäude eingesetzten braun getönten Gläser fungieren als Sonnen- und als Blendschutz und lassen das Gebäude kom­pakter und geschlossener erscheinen.

Um das Feuerwehrhaus eindeutig als Funktionsgebäude zu kennzeichnen und ihm ein monolithisches Erscheinungsbild zu geben, es aber nicht als Fremdkörper in seiner Umgebung wirken zu lassen, fiel die Entscheidung auf Rotbraun pigmentierten Sichtbeton für innen und außen. »Das Material und der durchgängige Einsatz einer naturnahen Farbe, über die sich das Gebäude in die Umgebung einfügt, waren bereits während der Wettbewerbsphase klar«, so Alexander Pedevilla. Was zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, dass für die Außenhülle Konstruktionsleichtbeton zum Einsatz kommen ­würde. Doch erfreulicherweise trug die Gemeinde die Idee mit. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten, die v. a. witterungsbedingt waren, bekam die ausführende Firma, die bisher noch keine Erfahrungen beim Einsatz von konstruktivem Leichtbeton hatte, ein überzeugendes Ergebnis hin. Der Beton erhält durch den Zusatz von Blähton als künstlichem Leichtzuschlag hochwärmedämmende Eigenschaften, wodurch keine weiteren Dämmmaßnahmen erforderlich waren. Neben der tragenden Funktion übernimmt der mit roten ­Eisenoxidpigmenten gefärbte Sichtbeton, der am Ende fein abgeschliffen und hydrophobiert wurde, auch die Aufgabe der frostsicheren Fassade. Aus ­Gründen der geforderten Energieeffizienz ergaben sich 60 cm dicke Stahl­betonwände für die Gebäudehülle; in den stützenlosen Räumen wurden ­Trägerspannweiten von 27 m realisiert, auch für konstruktiven Leichtbeton eine ­gewisse Herausforderung.

Die »Stube«

Kommt man aus der einheitlich rot gehaltenen Fahrzeughalle über die ebenfalls rotbraune Wendeltreppe nach oben in den Saal, riecht man den Unterschied förmlich: nicht Beton, sondern Zirbenholz prägt das Raumerlebnis hier. Bis auf die Fensterfront, sind Wand, Decke und Boden damit bekleidet. Die Architekten wollten, obwohl der Raum immerhin 100 Personen fasst, die heimelige Atmosphäre einer Südtiroler Stube erzeugen. Und das ist durchaus gelungen! Akustisch wirksame Maßnahmen, eine kontrollierte Lüftung und die Fußbodenheizung unterstützen die wohlige Ausstrahlung. Die Besonderheit ist ein großer Vorhang aus hellgrauem, heimischen Loden, mit dem sich die gesamte Fensterseite »schließen« lässt.

Mit dem Feuerwehrhaus in Vierschach ist den Architekten-Brüdern aus Bruneck, die ihre Entwürfe, wie Alexander Pedevilla erzählt, zunächst stets gemeinsam entwickeln, bevor in Ausarbeitung und Umsetzung jeder eigene betreut, wieder einmal ein bemerkenswert konsequentes Stück Architektur gelungen, das ortsbezogen und eigenständig zugleich ist.

db, Do., 2016.09.01

01. September 2016 Ulrike Kunkel

4 | 3 | 2 | 1