Editorial

Wie die Schweizer Alpen sind auch ­­­die traditionellen Holzbauten dieser Region ein identitätsstiftender ­Mythos. Aber die diffuse Bezeichnung «alpiner Holzbau» reicht vom Blockhaus bis zum mit feingliedrigen Laubsägelideko verzierten Chalet. Wohl gerade wegen ­dieser Wandelbarkeit zieht sich das Bild im Kollektiv­gedächtnis der Schweizer durch Kinderbücher, Werbekampagnen, Bergdörfer und Skiorte.

Neue Hotelchalets in Übergrösse oder alpin inspirierte Einfamilienhäuser stehen oft unter Verdacht, einen weiteren Meilenstein des landschaftlichen Niedergangs und der Zerstörung intakter Dorfkerne zu verkörpern. Historische Holzbauten sind dagegen durch moderne Materialien, ­Bauvorschriften, Infrastruktur, Klimaveränderung, Tourismus, Bevölkerungszuwachs oder Entvölkerung gefährdet.

Die verletzliche Altbausubstanz erfordert ein umsichtiges Vorgehen bei Renovation, Umbau oder Ergänzung. Die Herangehensweisen sind jedoch so individuell wie die jeweilige Ausgangslage – neben der Aus­einander­setzung mit der Tradition und ihrem Stellenwert in der heutigen Zeit.

In fast allen Fällen ist aber die Kunst des Weglassens aufschlussreich. Nicht nur in der Architektur, sondern auch beim Energieverbrauch lassen sich in Zeiten, in denen man sich vermehrt dem Natür­lichen und Ursprünglichen zuwendet, Erkenntnisse für das «Unterland» gewinnen. Gedanken zur Frage nach dem, was in unserer Zeit massvoll und notwendig ist, sind in jedem Fall angebracht.

Danielle Fischer

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Grosser Bahnhof in Liestal

14 PANORAMA
«Die betriebliche Zukunft hängt vom Hardturm ab» | Die Reise geht weiter | IBA Basel zieht Zwischenbilanz

19 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche

23 SIA
Kritische Kommentare parieren lernen | Vielfalt versus Wirkung? | Bedenklicher Perfektionsdrang

29 VERANSTALTUNGEN

THEMA
30 ALPINE HOLZBAUTEN IM WANDEL

30 AUF DEM GIPFEL DES URSPRUNGS
Andri Gerber
Durch den Umbau der Seilbahnstation verliehen Herzog & de Meuron dem Chäserrugg neue Identität.

34 HEIDENHAUS, NEU ERFUNDEN
Charles von Büren
Hutter Architekten bauten ein altes Dorfhaus in Münster energetisch vorbildlich um.

37 DIE GESCHICHTE MIT DER TRADITION
Danielle Fischer
Der Wiederaufbau eines kleinen Hauses durch Bearth & Deplazes auf einer Alp bei Davos warf viele Fragen zur Tradition auf.

AUSKLANG
41 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

Auf dem Gipfel des Ursprungs

Herzog & de Meuron verleihen der Region um den Toggenburger Chäserrugg mit dem umgebauten und baulich ergänzten Gipfelgebäude eine neue Identität.

Das Hochtal zwischen den Ortschaften Alt St. Johann und Wildhaus spannt sich über eine Breite von rund 3 km zwischen Alpstein und Churfirsten auf. ­ Es ist gekennzeichnet durch Bauernbetriebe, Holzwirtschaft und Tages­tourismus. Im Wettstreit der verschiedenen Naher­holungs- und Skigebiete – in der Umgebung sind das vor allem Flumserberg und Davos – brauchte es für den Ort, der in den 1970er- und 1980er-Jahren seinen touristischen Höhepunkt erlebt hatte, eine neue Identität. So steht das einstige Juwel der Region, das Hotel Acker, seit 2001 leer und ist mittlerweile zu einer Bauruine geworden, die bitter über dem Tal thront.

Klangwelt oder Weitsicht

Kulturelle Identität wurde hier nicht in einer globalisierten Folklore-Maskerade, ­sondern in der Leidenschaft der Einheimischen für das Singen und für das «Klang-Thema» gefunden und vermarktet. Der Komponist, Dirigent und Musiker Peter Roth machte es zum neuen Leitmotiv des Tals: Die Kulturorganisation und Stiftung «Klangwelt» führt Veranstaltungen durch, hat aber auch den Klangweg umgesetzt und das neue Klanghaus am Schwendisee geplant. Damit war eine wichtige Voraussetzung geschaffen, dem Tal eine Identität zu verleihen – bisher fehlte aber eine entsprechende Architektur.

Die Klangschmiede von Paul Knill in Alt St. Johann ­ist zwar ein gelungener Umbau aus dem Jahr 2011, sie liegt aber eher peripher zwischen Unterwasser und ­Alt ­St. Johann und hat nicht die Stahlkraft eines Neubaus.

Einen bedeutenden Beitrag zu einer solchen Baukultur hätte das Klanghaus von Meili Peter Architekten leisten können; leider wurde es am 1. März 2016 in der Schlussabstimmung des St. Galler Kanto­nal­parlaments abgelehnt.

Dagegen zeigt das in kurzer Zeit geplante und ausgeführte Gipfelgebäude von Herzog & de Meuron, dass eine weitsichtige und private Bauherrschaft eine räumliche Entsprechung dieser neuen Ortsidentität möglich macht. Dass Herzog & de Meuron für dieses Projekt gewonnen werden konnten, ist das Verdienst von Melanie Eppenberger, der Vizepräsidentin der Toggenburger Bergbahnen. Sie entwickelte eine klare Vision und wollte eine entsprechende Architektur haben.

Zwei Teile unter einem Dach

Die neue Bergstation auf dem Chäserrugg, dem ersten der sieben Churfirsten, ist trotz relativ bescheidener Grösse bereits von Weitem sichtbar. Diese Fernwirkung verdankt das Gebäude einerseits einer hellen und einheitlichen Holzoberfläche, andererseits der Dachgestalt, die sich nach Norden wie ein Zelt oder wie die Flügel einer der unzähligen Dohlen, die um den Gipfel fliegen, weit öffnet. Das Gebäude ist für den Winter- und den Sommerbetrieb konzipiert, wobei es in Winter stärker auf Skitourismus, im Sommer auf Bergwanderer und betagte Ausflügler, die das Panorama geniessen wollen, ausgerichtet ist.

Der Bau besteht aus der erhaltenen Seilbahnstation sowie dem neuen Restaurant. Während die Seilbahnstation Nord-Süd-orientiert ist, steht das Restaurant senkrecht dazu. Daraus resultiert ein T-förmiger Grundriss, den das Dach diagonal bedeckt. Die einheitliche Holzfassade umhüllt und verbindet die beiden Programmteile.

Das Restaurant öffnet sich grosszügig auf drei Seiten, wobei die Südwand eine durchgehende Fensterfront aufweist. Sie wird durch das tiefer gelegene Dach eingerahmt und er­öffnet einen atemberaubenden Blick auf die Glarner- und Sarganseralpen. Als Kontrast zur Nordseite fällt das Dach nach Süden hin tiefer und lässt das Gebäude wie eine Erweiterung der steilen Bergwand erscheinen. Diese Wirkung wird durch die horizontale Schichtung des Dachblechs erreicht, die sich der Steinschichtung des Bergs anpasst. Die trapez­förmigen ­Kamine auf dem Süddach verwandeln dieses in eine Landschaft und akzentuieren die horizontale Ausrichtung des Gebäudes.

Sowohl innen als auch aussen kommt Fichtenholz zur Anwendung. Aussen verleiht es dem Gebäude eine gewisse Leichtigkeit, innen schafft es in dem ­grossen und relativ einheitlichen Raum eine intime Atmo­sphäre. In der Mitte steht ein Kamin, und diesem gegen­über liegt die Küche. Sie ist über elegante auf­klapp­bare Holzpaneele mit dem Saal verbunden, der je nach Nutzung durch einen Vorhang geteilt werden kann.

Auf der Rückseite des Saals befindet sich das wahre Schmuckstück der Bergstation: je sechs Nischen, die gegenüber dem Hauptsaal leicht erhöht und ebenfalls aus dem gleichen Holz ausgestattet sind. Sie bieten Platz für jeweils acht bis zehn Personen. Wie kleine Schatullen gewähren sie, gerade in Zeiten von Hochbetrieb und lauten Touristen, einen willkommenen Rückzugsort. Im Obergeschoss, mit Einblick auf den Saal, befindet sich ein weiterer separater Raum.

Der Holzboden hat während des ersten Sommers den Bergschuhen problemlos standgehalten. Die Skischuhe im Winter haben jedoch deutliche Spuren hinterlassen. Diese überziehen ihn mit einer Patina, die ihn gegenüber dem helleren Holz der Wände und der Decke etwas aus dem Rahmen fallen lassen. Bis auf die Stühle von Konstantin Grcic wurde alles von Herzog & de Meuron entwickelt, und die Stimmung profitiert von dieser einheitlichen Autorenschaft.

Eine Treppe führt vom Restaurant nach unten zu Toiletten und Technikräumen. Die Unter­welt wurde bewusst als Umkehrung inszeniert, mit Sichtbeton und sichtbaren Leitungen sowie klarmatt lackiertem Aluminiumwellblech für die Toiletten.

Vom Wetter gezeichnet

Konstruktiv steht das Thema der Pfette im Mittelpunkt: Das Restaurant liegt auf drei sich in die Höhe abstufenden Betonpfetten. Sie lösen einerseits das Gebäude vom Boden, andererseits schaffen sie einen eleganten, dynamischen Übergang zum getragenen Holz­körper, wo eine massive Holzpfette den horizontalen Abschluss ausmacht. Diese ist über eine Holzdia­­gonale mit dem Betonfundament verbunden. Dort, wo sich das Dach vom Gebäude löst, tragen weitere massive, von diagonalen Holzträgern abgestützte Pfetten das Dach.

Die komplexe Bauform mit ihren Vor- und Rücksprüngen sowie ihren Nischen spiegelt die traditionelle Baukultur des Tals wieder. Sie findet sich insbesondere in der Architektur zahlreicher Ställe wieder, die dem Wetter des Orts angepasst ist. Die Namen der Ortschaften zeugen von diesem Wettereinfluss: Starkenbach, Wildhaus oder Unterwasser. Die wetterseitigen Ost- und Nordfassaden sind mit regengeschützten Nischen und schützenden Verlängerungen versehen.

Aus Symmetriegründen liegt in der Bergstation auch die Westfassade unter dem Dach. Das unbehandelte Holz vergraut mit der Zeit und verändert den Charakter des Baus. Er wird sich stärker dem Berg anpassen und an die Farb­ab­stufungen der Ställe im Tal anknüpfen.

Den Urzustand erreicht

Die Bergstation spricht explizit auch das Klangthema an. Es artikuliert sich über die Einschnitte in der Nordfassade, wo die beiden Seilbahnen ein- und ausfah­ren – ein Verweis auf Instrumenten-Schalllöcher. Aber auch die «geflochtene» Holzfassade im «Tenn» ­zwischen Seilbahn und Restaurant verweist auf ­die sich kreuzen­den Saiten des Hackbretts, ein in ­der Ostschweiz beliebtes Instrument mit seinem ­so besonderen Klang.

Die geflochtene Fassade sowie die Erscheinung des Gebäudes als Zelt – die Holzdiagonalen scheinen wie Zugseile das Dach zu ziehen – könnten aber auch als Verweis auf ein für die Architektur fundamentaleres Thema gesehen werden, nämlich jenes der Urhütte. Herzog & de Meuron haben das Thema wiederholt aufgegriffen, wie beim Schaulager in Münchenstein.

Überhaupt stand die Hütte immer wieder im Mittelpunkt des Architekturdiskurses und damit verbunden die Frage nach dem Ursprung der Disziplin und der spezifischen Architektur dieses Ursprungs.

Dass die Urhütte auf dem Chäserrugg eine Berghütte ist, spricht den Gründermythos der Schweiz an. Der Blick ist aber keineswegs rückwärts, sondern in die Zukunft gewandt. Dafür eignet sich eine Bergstation sinnbildlich durch Lage und Ausblick gut. Das muss aber nicht notwendigerweise über einen «techno-ästhetischen Infrastrukturbau» erreicht werden, sondern kann wie hier durch eine zeitgemässe Interpretation der lokalen Bautradition und über den präzisen Umgang mit Ort und Bauplatz erfolgen.

Wenn man dieses Projekt mit einem weiteren, fast zeitgleichen Gebäude von ­Herzog & de Meuron vergleicht, dem Zellweger Park Uster (vgl. TEC21 9 – 10 / 2016), fällt auf, wie sich das Büro von einem seiner Marken­zei­chen abgewendet hat. Zwischen den zuweilen exzessiv ausgearbeiteten Fassadenoberflächen sowie zwischen den Ex­tremen eines Betonmassivbaus und der Leichtigkeit einer teilweise geflochtenen Holzfassade hat das Büro zu einem «Urzustand» der Architektur gefunden. Damit scheinten Herzog & de Meuron nach einer fast 40-jährigen Karriere mit zwei Projekten in der Schweiz am Ursprung der Architektur angekommen zu sein.

TEC21, Fr., 2016.06.17

17. Juni 2016 Andri Gerber

Heidenhaus, neu erfunden

Ein altes Dorfhaus in Münster kommt ohne Zentralheizung aus. Räume als Klimapuffer, zwei Giltsteinöfen und geschickt ausgenutzte Sonnenwärme genügen für ein wohnliches Klima.

Die Bauherrschaft hat gut gewählt. Ein Ehepaar mit Kindern wollte im Oberwallis ein Ferienhaus erstellen lassen. Bei der Suche nach einem geeigneten Grundstück stiessen sie gemeinsam mit dem von Jugend an mit der Re­gion vertrauten Architekten Roman Hutter auf das leer ­stehende Heidenhaus an guter Lage mitten im Dorf Münster. Das aus dem Jahr 1448 stammende Holzhaus mit diversen An- und Umbauten war zwar wirklich in die Jahre gekommen, sein Kern aber nach wie vor intakt. Gemeinsam mit Architekt und Handwerkern erweckte die Familie es zu neuem Leben.

Im Bezirk Goms im Oberwallis ist ein sogenanntes «Heidehüs» ein gängiger Bautyp. Die Bezeichnung geht auf die irrige Annahme zurück, diese Häuser würden aus vorchristlicher Zeit stammen. Die Blockbauten sind auf Steinsockel gesetzt und mit einer Trennwand in ein Vorder- und Hinterhaus geteilt. Ursprünglich bewohnten zwei Familien das Haus mit einem gemauerten Kellergeschoss und zwei aufgesetzten Stockwerken. Es wies den für diesen Haustyp üblichen Grundriss mit einer Aufteilung in ein Vorder- und Hinterhaus auf. Im Vorderhaus fanden sich eine Stube und Kammer, im Hinterhaus die Küche mit einem Nebenraum. Fest eingebaut war in der Stube je Geschoss ein Giltsteinofen, ein von hinten befeuerter Ofen aus Speckstein.

Mit Respekt erneuert

Das Heidenhaus in Münster wies zwar diverse seitlich angebrachte Ergänzungen auf, entsprach aber kaum mehr heutigen Lebensgewohnheiten. Doch zeugt der Kernbau eindrücklich davon, wie ein mit handwerklichem Geschick erstellter Bau mit seiner materialgerechten Konstruktion weit über 500 Jahre bestehen konnte. Die Zimmerleute entfernten nach den Plänen des Architekten die über die Jahre hinzugekommenen Anbau­ten. Sie legten, wo es Sinn machte, die bestehenden Blockbauwände aus Lärche und teilweise Fichte frei und reinigten sie vom über Jahrhunderte angesammelten Staub, Russ und Schmutz.

Für Architekt und Bauherrschaft war es klar, die typische Gliederung in Vorder- und Hinterhaus beizube­halten. So wurden die Räume im Hinterhaus durch Einbaumöbel gegliedert. Im ersten und zweiten Geschoss findet sich im Hinterhaus nun eine Nasszelle mit Toilette, Waschtisch und Badewanne. Beide Stockwerke sind über einen längs der Trennwand angeordneten Korridor erschlossen. Der Zugang ins Dachgeschoss erfolgt hangseitig über den an der Ostfassade neu erstellten schmalen Anbau.

Die Riegelkonstruktion aus Fichtenholz bleibt unbeheizt und ist im hinteren Abschnitt mit einer einfach, aber robust konstruierten Holztreppe versehen, die zum Obergeschoss führt und dort in die Wohnstube mit Küche mündet. Ein west­seitiger Anbau in gleicher Konstruktion enthält im Erdgeschoss eine als Schreibstube und Bibliothek genutzte, ebenfalls unbeheizte Kammer, im Obergeschoss liegt darüber eine Terrasse. Beide Anbauten wirken wie ein Klimapuffer. Auf diese Weise sind die vormaligen beiden Kleinwohnungen zu einer Einheit verschmolzen. Dennoch funktionieren mit Ausnahme der Wohnküche die beiden Geschosse autonom. Dort treffen sich die Bewohner zum gemeinsamen Mahl, zum Zusammensein und zu Gesprächen.

Sicherheit und Komfort

Das Haus musste erdbebensicher ertüchtigt werden. Dazu diente ein Eingriff im Untergeschoss. Das Erdreich im Keller wurde abgesenkt und der Raum so erhöht. Die bestehenden Bruchsteinmauern wurden unterfangen. Mittig wurde unter der Mittelwand der Obergeschosse ein rechteckiger Raum aus Stahlbeton eingebaut und die hangseitige Wand mit einem Vorbau aus Beton versehen.

Der neue Betonkubus unterteilt den Keller in eine Werkstatt und den Erdkeller. Darin befinden sich ein Warmwassertank und Installationen für eine später eventuell einzubauende Heizanlage. Doch bleibt das Untergeschoss unbeheizt. Die hangseitige Wand weist vier vertikale Rippen auf, und in den so entstandenen drei raumhohen Nischen machen Tablare den mit Naturboden versehenen Kellerteil zum Vorratsraum.

Auch die neuen Sockel der beiden Anbauten bestehen aus ­Beton. Architekt und Bauherrschaft definierten bei diesem Umbau von Beginn an, welche Räume notwendigerweise zu beheizen sind: die innenliegenden Wohn- und Schlafräume. Als Wärmequelle dient in beiden Stockwerken ein je mittig gesetzter, bestehender Giltstein­ofen. Ein spezialisierter Hafner sanierte diese beiden Öfen aufwendig und setzte sie neu.

Ursprünglich bestand deren Brennkammer bloss aus einem Raum. Neu windet sich der heisse Rauch mehrfach durch den Ofen, und derart entstand ein weit höherer Wirkungsgrad. Unterstützend dazu ist der steinerne, neu aufgemauerte Kamin mit Speichersand hinterfüllt. Die Öfen werden von ihrer Hinterseite mit Stückholz beheizt. Die Strahlungswärme der über eine Tonne schweren Öfen wirkt angenehm und verteilt sich über die beiden Stockwerke.

Eine weitere Heizung gibt es in diesem Haus nicht. Für Warmwasser der Küche und Bäder sorgen sorgsam integrierte Sonnenkollektoren an der Südfassade des westseitigen Anbaus. Diese wärmen zudem bei Abwesenheit der Bewohner die ins Haus neu eingebauten Radiatoren, sodass die eingespeiste Energie nicht verpufft oder gar abgeführt werden muss. Mit einer Schiebetüre zur Bibliothek lässt sich die von Westen einstrahlende Sonnenwärme auf einfache Weise bewirtschaften.

Auch der ostseitige Anbau verfügt über drei Türen, die im Winter geschlossen sind und im Sommer offen stehen können. Je nach Sonneneinstrahlung ermöglichen auch sie einen Energieeintrag in den Hauptbau. Sämtliche Fenster- und Türöffnungen wie auch Teile der Wände mussten saniert werden. Dies unter anderem auch, weil über die Jahre nicht zimperlich mit der Substanz umgegangen worden war.

Beim Umbau mussten mit einer Motorsäge die Bauteile passgenau vorbereitet werden. Dafür wurde, wenn immer möglich, Altholz von der Originalsub­stanz verwendet.

Die bestehenden zweiflügligen Fenster wurden ersetzt und zweiflüglig belassen. Die in den beiden Anbauten neu gesetzten Fenster hingegen sind einflüglig konstruiert. Sie weisen eine Sprossenteilung auf, die den Massstab der Fenster im Kernbau übernimmt.

Schiebeläden, die unter der Innenverkleidung verschwinden können, dienen zur Regelung des Lichteinfalls und als Sichtschutz.

Material als Gestaltungsmittel

Der ganze Innenausbau besteht aus Fichte und setzt so einen Kontrast zu den bestehenden dunklen Strick­bauwänden. Die Massivholzküche ist wie ein Kommodenmöbel gesockelt in den Raum gestellt. Sie besteht aus Lärchenholz, und die hellblauen glatten Flächen sind aus Vollkernplatten. Der obere Stauraum ist nach dem Vorbild der 1950er-Jahre leicht abgeschrägt und mit Schiebetüren versehen. Die Rückwand über der Arbeitsfläche besteht ebenfalls aus geöltem Lärchenholz.

Das Haupthaus ist neu innen gedämmt und verkleidet. Im Gegensatz dazu erfolgte der Wandaufbau für die Anbauten von innen nach aussen. So bleibt ­die Struktur des Haupthauses aussen sichtbar, wie dies traditionell bei einem Blockbau der Fall ist. Bei den Anbauten bleibt die Struktur im Innern sichtbar. Dafür ist der Holzriegel mit Dreischichtplatten ausgefacht.

Der Leim, der bei allen anderen Bauteilen nicht erwünscht ist, übernimmt dort die Funktion der Dampfbremse.

Sämtliche Böden in den Räumen sind aus Fichtenholz – einfach gestossene breite Bohlen mit 12 cm Dicke ohne Schalldämmung. Weil das Haus durch eine Familie genutzt wird, genügt das durchaus. Für die beiden Schränke der Obergeschosse wurde das Holz der alten Böden verwendet – ein Recycling-Gedanke, der den alten Häusern aus Mangel an Ressourcen von jeher eingeschrieben ist. Die bestehenden 8 cm dicken Bohlen wurden zu Brettern aufgeschnitten und neu für die Einbaumöbel verwendet.

Bei den Anbauten dominiert das wetterbeständige Lärchenholz. Sägerohe Bretter sind in ihrer maximalen Breite stumpf gestossen und deren Fugen mit einer Deckleiste geschlossen. Ähnlich vielschichtig sind die Innenverkleidungen. Die neuen Flächen erhalten so eine optisch wirksame Tiefe entsprechend dem furchigen und unebenen Altholz des Bestands. Das dem Haus irgendwann verpasste Blechdach wurde durch ein ­traditionelles Schindeldach ersetzt.

Der in Münster aufgewachsene Architekt Roman Hutter kennt sich in solchen Dingen bestens aus. Er betont, es sei bei den Holzschindeln wesentlich, dass diese aus einer Region stammen, die möglichst ähnliche klimatische Bedingungen aufweist – am besten natürlich aus dem Ort. Nur so bleibt die Langlebigkeit der neuen Eindeckung garantiert.

Engagement zahlt sich aus

Die Planung des Umbaus und die Sanierung dieses Heidenhauses erfolgten im Jahr 2012, die Bauarbeiten selber konnten im Verlauf des Jahres 2013 abgewickelt und im Frühjahr 2014 abgeschlossen werden. Einer anspruchsvollen Bauherrschaft und dem mit örtlichen Gegebenheiten vertrauten Architekten ist es zu verdanken, dass dieses altehrwürdige Holzhaus zu neuem Leben erweckt ist und trotzdem seine Seele bewahrt hat.

Diese Sorgfalt im Umgang mit bestehender ­Bausubstanz und die intelligente Neunutzung wurden entsprechend gewürdigt. Die Zeitschrift «Umbauen ­und Renovieren» hat dem vorliegenden Umbau anlässlich der Swissbau 2016 den Sonderpreis Energie zuge­sprochen. Die Jury zeigte sich zudem beeindruckt von der architektonischen Leistung, die eine gelungene Weiterentwicklung der Holzbautradition darstellt. ­Roman Hutter hat mit seinem Büro den Best Architects Award 16 in Gold errungen, eine besondere Ehre, da diese ­Auszeichnung internationale Geltung hat.

TEC21, Fr., 2016.06.17

17. Juni 2016 Charles von Büren

Die Geschichte mit der Tradition

Der Wiederaufbau von 13 abgebrannten Walserhäusern in der Nähe von Davos war Anlass, über Tradition im Holzbau, einen einfachen Baustandard und massvoll integrierte Entwicklungen nachzudenken.

Auf den ersten Blick ist Wiesen ein Berg­dorf wie viele andere. Gut 350 Einwohner leben an dem Ort, etwa 18 km von Davos entfernt am Südhang des Landwassertals. Das ehemalige Kurhotel Bellevue, die Schule und die Kirche mit ihrer gut erhaltenen Rokokoorgel im alten Dorfteil bilden neben der Strasse, die Davos mit Thusis verbindet, die wesentliche Infrastruktur.

Eine Besonderheit des Orts befindet sich jedoch auf der rund 1900 m ü. M. gelegenen, gleichnamigen Alp: Eine Stunde Aufstieg durch den moosigen Kiefernwald führt zu einer der ältesten und grössten Walsersiedlungen Graubündens. Es handelte sich um eine homogene Gruppierung von jahr­hundertealten Sennhütten mit Stall- und Heuteil, die nach einem einheitlichen Muster aufgebaut waren. Auf ­der Terrasse umgeben die 40 Häuser in lockerem Verbund eine Gemeinschaftswiese. Auf dieser sogenannten ­Sopa spriessen im Mai tausende von Bergkrokussen. Dahinter erhebt sich die über 3000 m hohe Bergkette mit Piz Michel, Ela, Kesch und dem Tinzenhorn.

Die idyllisch gelegene Alp hat über die Jahrhunderte schon viele Gemüter bewegt. Emotionsbeladen war wohl bereits die Einwanderung der Walser, die im 13./14 Jahrhundert infolge des Bevölkerungswachstums im Wallis auf der Suche nach Acker- und Weideland nach Graubünden kamen. Im Landwassertal fanden sie eine neue Heimat. Die lokale Bevölkerung tolerierte sie allerdings nur dort, wo sie ihre Weidegründe nicht konkurrenzierten – also an der Baumgrenze, wo der Schnee länger liegen bleibt und der Zugang mühsamer ist.

Eine kalte Nacht mit Folgen

Weitaus dramatischer als die Gründung der Siedlung war wohl die Novembernacht im Jahr 2007, als zwei Jäger, die eines der Häuser aufheizen wollten, einen Brand entfachten. Bis auf dem Weg zur Alp der Schnee geräumt war und die Feuerwehr Albula sowie eine ­Einsatzgruppe aus Davos den Löschhelikopter unterstützen konnte, waren 13 Häuser abgebrannt und neun teilweise zerstört.

Der Bündner Heimatschutz, die kantonale Denkmalpflege und das Amt für Raumentwicklung beauftragten die Architekten Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner mit einer Studie für gestalterische Richtlinen für den Wiederaufbau. Diese umfasste sowohl die Positionierung der Bauten als auch deren Architektur. Der naheliegende Vorschlag, sie am gleichen Ort wieder zu errichten, wurde jedoch aus feuerpolizeilichen Gründen abgelehnt. In den folgenden ausführlichen Studien diente die Position dreier Häuser, die bereits in der alten Siedlung etwas abseits standen, als Vorlage.

In Anlehnung daran schlugen die Architekten vor, die 13 Bauten in grösserer Distanz zueinander und zum Siedlungskern anzuordnen. Die bauliche Dichte – Ausdruck des ursprünglichen Gemeinschaftsgefühls der Walser, das sich hier speziell artikulierte – trat so hinter feuerpolizei­lichen Vorschriften zurück. Der Heimatschutz stellte zudem die Bedingung, dass die Grundfläche der neuen Bauten mit derjenigen der alten identisch sein musste. Die Architekten arbeiteten deshalb drei Typen nach denselben räumlichen Kriterien aus: ein Doppelhaus, ein Einzelhaus sowie ein kleines Einzelhaus von 5 × 5 m Grundfläche.

Faszinierend einfach

Anders als die lokalen Steinbauten im Tal konstruier­-ten die Walser ihre Häuser aus Holz. Oft standen sie mit der Rückseite gegen den Hang. In einem talseitigen­ zweistöckigen Raum, der Sennerei, gab es eine Feuerstelle, daneben lag der eingeschossige Stall und darüber ein Wohn- und Heuteil. Da das Haus kaminlos war, zog der Rauch durch die offenen Ritzen des Rundholzes im Obergeschoss ab. Das Untergeschosses war aus Strickholz gebaut. Auf der Bergseite führte ein Weg zu einem Tor, um das Heu direkt in den oberen Stock anzuliefern.

Der variantenreich umgesetzte Bautyp auf der Wiesner Alp spricht für den kulturellen Reichtum und den Sachverstand der damaligen Erbauer. Ausgehend von den traditionellen Bauten entwarf Daniel Ladner ein modern adaptiertes Gebäude: Der Wohnteil ist durch eine raumhohe Glasfront von einem eingezogenen, wettergeschützten Eingangs­bereich abgetrennt. Statisch trägt ein mächtiges dreidimensionales Kreuz auch im Winter die beachtlichen Schneelasten ab.

Das Fundament ist nach dem Vorbild der alten Stelzenspeicher leicht vom Boden abgehoben, und das Dach, an dessen Vorsprung die Schindeln durch die Unterkonstruktion erkennbar sind, wirkt überraschend leicht. Bei Minustemperaturen wärmt der Specksteinofen das Haus innert vier Stunden wohnlich auf. Da das neue Gebäude nicht den energetischen Anforderungen eines konventionellen Wohnhauses entsprechen muss, verzichtete man auf die Isolation der 12 cm dicken, massiven Strickholzwände, und auch Durchlüftungsschichten oder Dampfsperren waren nicht notwendig.

Weil wegen des relativ trockenen ­Klimas moderne bauphysikalische Massnahmen fast überflüssig sind, eignet sich Holz in diesen Höhenlagen ausgezeichnet zum Bauen. Die damit verbundenen baulichen Qualitäten sind offensichtlich: Das neue Walserhaus ist genauso wie das alte vollkommen aus Holz. In einer Zeit, in der komplexe mehrschichtige Wandaufbauten und aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzte Materialien die Regel sind, fasziniert diese Einfachheit.

Bearth & Deplazes setzten einen zeitgemässen Wiederaufbau um, basierend auf den traditionellen Typen und ihrer Bauweise, und nicht eine Kopie der alten Gebäude. Sie distanzierten sich durch diese Entwurfshaltung von einer ausschliesslich nostalgischen Annäherung an die Aufgabe. Ihr gestalterischer Ansatz reflektiert die Tradition über das Bestehende hinaus und integriert massvoll neue Entwicklungen. Zentral war dabei die Frage, was funktional notwendig, was entbehrlich und was gestalterisch angebracht ist.

So erzeugt ein Solarpaneel neben dem Eingang die Elek­trizität fürs Licht, aber auf Warmwasser wird verzichtet. Der Rundholzteil des Obergeschosses wurde zugunsten einer Konstruktion aus Strickholz weggelassen, denn die rechteckigen Querschnitte der Balken sind in modernen Schreinereien einfach und effizient herzustellen. Beim verglasten Eingangsbereich zeigt sich aber, dass die Gestaltung über den Ansatz des Notwendigen hinausgeht: Die geschützte, von aussen nicht sichtbare Vorzone lädt zum Sitzen ein und lässt Licht ins Innere des sonst dunklen Hauses. Es erstaunt nicht, dass der Bau den 1. Rang Region Ost des Prix Lignum 2015 erhalten hat.

Individuell statt einheitlich

Doch das Einzelhaus am Rand zur Sopa blieb das einzige, das nach den Plänen der Architekten umgesetzt wurde. Denn der räumlich und materiell überschaulichen Architekturaufgabe standen die unterschiedlichen Auffassungen der Hausbesitzer, wie Tradition zu interpretieren sei, gegenüber.

Die Gemeindeversammlung im Jahr 2008 lehnte den Gestaltungsvorschlag der ­Architekten ab, und in der Folge wurde jedes Haus individuell wieder aufgebaut. Durch dieses Vorgehen ging weit mehr der gestalterischen Einheitlichkeit der Siedlung verloren, als dies bereits vor dem Brand geschehen war, als die Nutzungsänderung von den Sennereien zu Wochenend- und Jagdhäusern ihre Spuren an der ­Architektur hinterlassen hatte. Beim Wiederaufbau wünschen einige Eigentümer beispielsweise die traditionelle Zweiteilung mit Strick- und Rundholzbau im Obergeschoss beizubehalten.

Die heute unterschiedlichen Wandkonstruktionen – sie reichen von dickem Rundholz über Massivholzbalken bis hin zu Brettsperrholz – haben verschiedene Durchmesser und Stirnseiten. Einige der neuen Häuser erinnern mit ihren überdimensionalen Dachbalken eher an konventionelle Block­hütten denn an Walserhäuser. Ein Wiederaufbau nach einem Gesamtplan wäre eine Chance gewesen, die charakteristische Handschrift der Siedlung teilweise wiederherzustellen.

TEC21, Fr., 2016.06.17

17. Juni 2016 Danielle Fischer

4 | 3 | 2 | 1