Editorial
Anhand von verschiedenen Ausstellungsgestaltungen (temporären und dauerhaften) stellen wir unterschiedliche Herangehensweisen und Haltungen bei der Konzeption und Umsetzung komplexer »Ausstellungslayouts« vor. Um ein Thema überzeugend, stringent und für den Betrachter nachvollziehbar in Szene zu setzten, ist u. a. die frühzeitige und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Architekten, Kuratoren, Grafikern und Handwerkern entscheidend. | Ulrike Kunkel
Farbenfroher Kosmos
(SUBTITLE) Wanderausstellung »Alexander Girard. A Designer’s Universe« in Weil am Rhein
Der spielerische und dabei doch klar strukturierte und systematische Umgang mit Farbe, Form und Ornament prägt das Werk Alexander Girards und ebenso die Ausstellungsgestaltung des jungen Architekturbüros Raw Edges aus London, das die Ausstellung über Leben und Werk des Designers am Vitra Design Museum in Szene gesetzt hat.
Unter den Designern, deren Nachlässe das Vitra Design Museum besitzt und deren Produkte von Vitra vertrieben werden, ist Alexander Girard sicher der unbekannteste geblieben. 1907 in New York geboren, in Florenz aufgewachsen und an der Architectural Association in London ausgebildet, kehrte er 1932 in seine Heimatstadt zurück und gründete dort ein Studio für Innenarchitektur. 1937 übersiedelte er nach New York, wo er Kontakte zu der auf Radiogeräte spezialisierten Firma Detrola aufbaute und zu deren Chefdesigner er 1945 aufstieg. In diesem Zusammenhang lernte Girard Charles and Ray Eames kennen, drei Jahre später Eero Saarinen; Saarinen und die Eames waren es auch, die ihn an die Möbelfirma Herman Miller vermittelten.
Als Leiter der neugeschaffenen Textilabteilung entwarf Girard für Miller mehr als 300 Textilien, die ganz maßgeblich sein bleibendes Verdienst als Designer darstellen.
Anders als seine Kollegen verstand sich Alexander Girard nicht als Objekt- und Produktdesigner. Er besaß niemals ein großes Büro, sondern arbeitete die meiste Zeit als Ein-Mann-Unternehmen, unterstützt von wechselnden Assistenten.
Ausschlaggebend dafür war sein kunsthandwerkliches Verständnis der Profession, das sich besonders in seiner Liebe für Volkskunst manifestierte. Diese Leidenschaft hatte schon in der Kindheit begonnen und ließ ihn zu einem nachgerade obsessiven Sammler werden; letztlich war sie auch der Grund für seine Übersiedlung 1953 nach Santa Fe in New Mexico, wo die mexikanische Kultur sich als deutlich spürbar erwies.
Seine Sammlung, die mehr als 100 000 Objekte umfasst, wird im Museum of International Folk Art in Santa Fe aufbewahrt, wo Girard 1982 die noch heute bestehende Ausstellung »Multiple Visions: A Common Bond« einrichtete. Der übrige Nachlass gelangte 1996 – Girard war drei Jahre zuvor in Santa Fe gestorben – an das Vitra Design Museum nach Weil am Rhein.
Gut 20 Jahre später hat der Chefkurator des Museums, Jochen Eisenbrand, nun die lang erwartete erste große monografische Girard-Ausstellung erarbeitet. Dabei hieß es einmal wieder, mit der speziellen Raumsituation des Frank-Gehry-Baus umzugehen, der zunächst gar nicht für seine heutige Nutzung als Haus für Wechselsausstellungen geplant worden war. Als Vitra-CEO Rolf Fehlbaum 1986 dem amerikanischen Architekten den Auftrag erteilte, bestand die Absicht, hier die eigene Möbelsammlung für Freunde und Geschäftspartner zu präsentieren. Erst durch das Zusammentreffen Fehlbaums mit dem Möbelsammler Alexander von Vegesack, der dann zum Gründungsdirektor avancierte, entstand die Idee eines von der Firma unabhängigen Design Museums, dessen anspruchsvolle Wechselausstellungen nicht zuletzt durch weltweite Tourneen mitfinanziert werden sollten. 1989 eröffnete das Museum als erstes europäisches Werk des Architekten; obwohl nie als klassisches Museumsgebäude konzipiert, kann es doch als Nukleus all jener weit größeren Museumsbauten gelten, mit denen Gehry später reüssieren sollte.
Die Ausstellungsfläche des Vitra Design Museums ist relativ beschränkt und überdies nicht leicht zu bespielen, da drei der Haupträume – die im übrigen, auch wenn die Außenansicht des dekonstruktivistischen Baus anderes vermuten lässt – rechteckige Grundrisse besitzen – miteinander visuell verbunden sind und z. T. extreme Raumhöhen aufweisen. Von der Galerie des vierten Raums blickt man zurück in die Räume darunter, sodass die Exponate stets aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen werden. Es gilt also für Kuratoren und Gestalter einerseits, ortsspezifische Lösungen zu finden, die auf die Eigenarten des Gehry-Baus abgestimmt sind, und andererseits Ausstellungen so zu konzipieren, dass sie als Wanderausstellungen in völlig unterschiedlichen räumlichen Kontexten gezeigt werden können.
Nachdem in den früheren Jahren vornehmlich Dieter Thiel für die Ausstellungsdesigns verantwortlich gewesen war, haben die Kuratoren in der vergangenen Zeit mit wechselnden Gestaltern und Architekten zusammengearbeitet – u. a. mit dem Berliner Büro Kuehn Malvezzi. Für Jochen Eisenbrand kam eine kühle, klassische und etwas trockene Präsentation angesichts des farbenfrohen Œuvres von Girard aber nicht infrage. Daher ging der Auftrag an das Büro Raw Edges, das von den beiden Israelis Shay Alkalay und Yael Mer 2007 in London gegründet wurde, nachdem sie ihren Bachelor an der Bezalel Academy in Jerusamlem und ihren Master am Royal College of Art in der britischen Kapitale absolviert hatten. Mit steigendem internationalen Erfolg sind Raw Edges seither in verschiedenen Bereichen tätig: als Textil- und Produktdesigner, aber auch als Gestalter von Showrooms. Das Schneiderhandwerk ist für sie ein wichtiges Referenzfeld, und immer wieder spielt die Auseinandersetzung mit Stoff eine zentrale Rolle für sie. So entwickelten sie etwa eine Stuhlkollektion, deren Sitze aus individuell geformten, kunstharzgehärteten Filzrollen bestehen; und für den Auftritt des dänischen Herstellers Kvadrat auf der Stockholm Furniture & Light Fair Anfang 2013 realisierten sie einen Auftritt, bei dem der Raum durch gestaffelte, hängende Textilbänder gefasst wurde. Dieser Auftrag war es, der den Ausschlag zur Beauftragung durch das Vitra Design Museum gab – und damit zur ersten Realisierung einer Museumsausstellung von Raw Edges führte. In enger Abstimmung entstand ein Konzept, das von Arbeiten Girards inspiriert ist, diesen jedoch nicht allzu direkt folgt. Es handelt sich also weniger um Nachbauten von Raum- oder Ausstellungssituationen als um assoziative Adaptionen. Das wird insbesondere im zweiten Ausstellungssaal deutlich, der den Textilentwürfen gewidmet ist. Von Papprollen abgewickelt, hängen die Stoffmuster an den Wänden und lassen die Atmosphäre eines Textil-Verlagskontors anklingen; andere Stoffbahnen sind zeltartig über den Raum gespannt und greifen damit Elemente der Ausstellung »The Design Process at Herman Miller« auf, die Girard 1975 im Walker Art Center in Minneapolis eingerichtet hatte. Die Sitzmulde mit den unterschiedlich bezogenen Kisten im folgenden Raum hat ihr Vorbild in Girards Innenraumgestaltung von Eero Saarinens »Miller House in Columbus«, Indiana, während die Bestückung der großen, den Wänden folgenden Glasvitrinen an Objektarrangements Girards orientiert ist. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die 60 m lange Wandgestaltung, die er 1964 für das Verwaltungszentrum des Landmaschinenherstellers John Deere in Moline, Illinois, realisierte.
Um den Anforderungen der Wanderausstellung gerecht zu werden, lassen sich sämtliche Einbauten zerlegen. Das gilt für die im separaten ersten Raum installierten Sperrholztafeln, die mit Stahlrohren an den Wänden befestigt sind, ebenso wie für die diversen Vitrinen. Deren größte befindet sich im OG und dient der Präsentation der Volkskunst-Objekte. Mit Podesten ist innerhalb der Vitrine eine Stufenlandschaft gestaltet. Rundbogenelemente finden sich sowohl hier als auch in einem kleinen Kabinett im ersten Raum, in dem das spielerische Projekt der »Republic of Fife« vorgestellt wird, dem Entwurf eines fiktiven Staats, der Girard während seiner Jugend- und Studienjahre beschäftigte.
Neben der Materialfarbigkeit des Sperrholzes an verschiedenen Paneelen und den Vitrinen setzten die Ausstellungsgestalter auf vereinzelte Farbakzente, die sie der Palette Girards entlehnt haben. Farben haben den Designer ein Leben lang beschäftigt: bei seinen Interieurs, bei seinen Stoffentwürfen, aber auch bei einem Farbkonzept für das Geschäftszentrum der Washington Street (1964) in Columbus. Mal nutzte er eher pastellfarbene Töne, mal aggressive Farben in ungewöhnlichen Kombinationen. Für die Gestalter galt es eine Balance zu finden, um die Eigenfarbigkeit der Exponate nicht zu konkurrenzieren. Farbakzente werde daher eher zurückhaltend gesetzt, nur in dem kleinen Seitenraum, in dem es um Girards Gestaltungskonzept der Braniff Airline geht, werden seine Streifendekore zu einer farbintensiven, raumbeherrschenden Supergrafik.
Insgesamt ist es Raw Edges gelungen, für das Werk von Alexander Girard eine Szenografie zu finden, die weder unterkühlt ist noch sich gegenüber dem farbigen Kosmos des Designers in den Vordergrund drängt. Die Inszenierung wird also im besten Sinne dem Werk von Girard gerecht.db, Fr., 2016.06.03
03. Juni 2016 Hubertus Adam
Bar jeder Bergidylle
(SUBTITLE) Sonderausstellung »FRONT – HEIMAT«. Tirol im Ersten Weltkrieg in Innsbruck (A)
Unter Verwendung natürlicher Materialien, weniger Formen und dezenter Farben entwickelten die Architekten ein veränderbares Ausstellungssystem, das die dargestellten Themen auch architektonisch erfahrbar macht und in das die einzelnen Exponate wie eingewoben sind. Die variable Struktur zieht sich konsequent durch die Ausstellungsgestaltung und setzt das sensible Thema »Tirol im Ersten Weltkrieg« angemessen in Szene.
Fläche und Linie – darauf basiert ganz wesentlich das bestechend klar und einfach gehaltene architektonische Gesamtkonzept der Ausstellung »Front – Heimat« von münzing architekten aus Stuttgart am Tiroler Landesmuseum in Innsbruck. Vertikal oder horizontal angeordnet, verdichtet oder aufgeweitet, nebeneinander oder ineinander verschränkt, geordnet oder in Unordnung geraten: Das System aus Flächen und Linien wird über die neun Ausstellungsstationen jeweils variiert und verdeutlicht so auf architektonische Weise die dargestellten Themen eindrücklich für den Betrachter.
Ordnung und Unordnung
Die Sonderausstellung (gezeigt von Mai bis November 2015) thematisierte auf rund 1 200 m² auf zwei Ebenen die Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Kriegsende in Tirol. Mit dem Kriegseintritt Italiens am 23. Mai 1915 wurde auch Tirol zum Kriegsschauplatz und in den Alltag der Bevölkerung, in ihre Heimat, drängte sich die Frontlinie hinein – daher auch der Ausstellungstitel Front – Heimat. Erzählt wird aus der Perspektive von Einzelpersonen, das besondere Augenmerk liegt auf dem Menschen und seinen alltäglichen Erfahrungen und Katastrophen in dieser Zeit. Als Grundthema gingen die Architekten, die frühzeitig in die Überlegungen zum Ausstellungskonzept mit einbezogen wurden und dieses mit entwickelten, den Fragen nach: Was verändert sich, wenn plötzlich in der Heimat eine Front entsteht? Welche Umwidmung erfahren gewohnte Gegenstände, Themen und Situationen in Kriegszeiten? Um das zu beantworten und für den Besucher nachvollziehbar zu machen, bildet den Auftakt der Ausstellung eine Art Bestandsaufnahme Tirols im frühen 20. Jahrhundert. Mit wenig Text und zahlreichen Objekten wie Tourismusplakaten, Modelleisenbahnen, Möbeln und Gebrauchsgegenständen wird ein Stimmungsbild erzeugt. Die Ausstellungsarchitektur ist hier klar und geordnet, wie das ungestörte Leben vor Kriegseinbruch, Flächen und Linien bilden Räume für verschiedene Situationen, die skizzenhaft Eindrücke vermitteln.
Nachdem der Besucher zunächst also auf die damalige Zeit eingestimmt wurde, kommen am sogenannten Strategietisch und in den Rahmenstrukturen gegenüber geschichtliche Fakten und Hintergründe hinzu. Daran anschließend, in einem immer dichter und unübersichtlicher werdenden »Stelenwald« werden Einzelschicksale anhand von Totenbildern und Totenbüchern dargestellt; der Krieg wird präsent, die Geschichten der Front stören den Alltag und prägen ihn. Dies wird auch über die Ausstellungsinstallation vermittelt: Die Struktur beginnt sich aufzulösen, die Installation lässt den Raum nach hinten hin immer enger werden, der Besucher wird (durch den Krieg) bedrängt und eingeengt. Verstärkt wird dieser Eindruck zusätzlich durch die gegenüber liegende, sich schräg in den Raum schiebende Medienwand, auf der über projizierte Bilder und Schlagzeilen von Flugblättern und Zeitungen den persönlichen Schicksalen die offizielle Kriegspropaganda gegenübergestellt wird. Die riesige Wand verbindet außerdem die beiden Ausstellungseben miteinander; entlang einer künstlerischen Großgrafik auf der Rückseite gelangt der Museumsbesucher ins OG. In einer Punktewolke werden hier die gefallenen Tiroler Soldaten sinnbildlich dargestellt.
In der nächsten Sektion, »Hinterland« (hinter der Front), begegnen einem wiederum Alltagsgegenstände und -themen, nun aber durch den Krieg in ihren Funktionen umdefiniert. Die in den ersten Ausstellungsstationen noch stehenden Rahmenstrukturen sind wie in sich zusammengefallen und ineinander verschränkt.
Die definierten Flächen sind hier weitgehend als Flachvitrinen ausgebildet, in ihnen und auf der Holzstruktur direkt sind die Exponate verteilt. Ebenso die begleitenden Objekt- und Ausstellungstexte, die, wie angepinnt, mal in der Vitrine, mal auf dem Holz, mal neben, dann wieder über dem Objekt angeordnet sind. Die nicht definierte Platzierung, die unterschiedlichen Formate sowie die gewählte Typografie nehmen Bezug auf Aushänge und plakatierte Bekanntmachungen in der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Natürliche Materialien, dezente Farben
Die von den Architekten für die gesamte Ausstellung gewählte zurückhaltende Farbigkeit hat etwas Natürliches; sie orientiert sich am Menschen. So sind die Flächen, auf denen die Exponate präsentiert werden, in zartem Matt-Rosa gehalten.
Die durchgängig verwendete Rahmenstruktur aus gehobelten Kanthölzern ist an den ersten Stationen der Ausstellung noch dunkler, kontrastreicher lasiert, zum Ende hin wird die Lasur immer heller und dezenter: Das Leben, das Gewohnte ist in Auflösung begriffen, die Ausstellungsarchitektur ist es ebenfalls und auch die Farbe schwindet mehr und mehr.
Von der Sektion »Hinterland« aus hat man den Blick »an die Front«. Ein zerlegtes Großfoto (gedruckt auf Stoff) zeigt den mühsamen Aufstieg der Soldaten zur Frontlinie. In dieser Sektion strebt auch die Architektur nach oben; die Holzrahmen wachsen in die Höhe, ähnlich einem Gebirge entstehen Spalten und Nischen, die die Objekte beherbergen. Der Besucher bahnt sich den Weg hindurch und wieder zurück, bevor er sich im mittleren Bereich des Ausstellungsraums abermals mit persönlichen Kriegsschilderungen u. a. in Form von Briefen sowie offizieller Berichterstattung konfrontiert sieht.
Den Abschluss bildet das »Plateau der Funde«. Wie Eis- oder Erdschollen liegen die begehbaren Flächen auf dem Boden, leicht angehoben durch Kanthölzer; in den spaltenartigen Zwischenräumen befinden sich die Exponate direkt auf dem Boden. Es sind archäologische Funde des Ersten Weltkriegs, die erst mit der Zeit freigegeben wurden.
Das Ausstellungsprojekt war bereits die sechste erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen münzing architekten und dem Tiroler Landesmuseum. Das »bestehende Grundvertrauen«, so Uwe Münzing, »merkt man dem Ergebnis durchaus an.« Beide Seiten profitieren auch davon, dass die Architekten mit der nicht ganz einfachen Raumsituation – im Grunde ein großer Erschließungsbereich, der ursprünglich nicht für Ausstellungen vorgesehen war – bereits vertraut sind. So konnte dieses komplexe Projekt in kürzester Zeit quasi Hand in Hand zwischen Kuratorin, Architekten und der Werkstatt des Museums überzeugend entwickelt und umgesetzt werden. Wollen wir hoffen, dass es nicht das letzte war!db, Fr., 2016.06.03
03. Juni 2016 Ulrike Kunkel