Editorial

Der Raum zwischen den Siedlungen rückt vermehrt in den Fokus der ­Planung: Verdichtung ist das Gebot der Stunde, in den Siedlungen wird der Freiraum rar. Das Studio Basel der ETH Zürich hat im vergangenen Jahr mit seiner Publikation «Achtung, die Landschaft» geholfen, das Thema auf die Agenda zu bringen, den Blick zu schärfen und alternative Strategien zu entwickeln. Die Autoren regen an, den gebauten Raum vom «nicht-gebauten Territorium» aus zu denken.

Doch wie sieht der Umgang mit der Landschaft aus? Welches Potenzial liegt in ihr? Wir zeigen exemplarische Projekte, in denen die stadtnahe Natur als Erholungsraum genutzt wird. Erstaunlich ist, dass der Eingriff oft überraschend klein ist. Viel wichtiger scheint, das Bewusstsein für den unbebauten Raum zu wecken.

Hingegen ist der Aufwand für die Koordination zwischen den verschiedenen Partnern gross. Denn der politische Raum ist nicht kongruent mit dem sogenannten Funktionalraum: Die Ansprüche an die Landschaft fallen hoheitlich oft ­zwischen Stuhl und Bank – sprich zwischen ­Gemeinde, Region und Kanton.

In dieser Situation springen öffentlich getragene Organisationen ein, um im Diskurs zwischen Politik und Planung nach Lösungen zu suchen. Eine dieser Organisationen ist die Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU): Das Gespräch mit ihrem Direktor Angelus Eisinger wirft ein Streiflicht auf den Metropolitanraum von Zürich und verweist dabei auch auf überraschende Ansätze aus anderen europäischen Städten.

Susanne Frank, Marko Sauer

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Die Bürde der eigenen Geschichte

10 PANORAMA
Ausgedient

12 VITRINE
Mailand im Designfieber | Frisches für Küche und Bad 

16 SIA
Konkurrenzen lohnen sich für alle | Vergabeverfahren unter der Lupe | Für echten Wettbewerb | Konzepte sind ­am Bau zu prüfen | Honorar­berechnung leicht gemacht

20 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 LANDSCHAFT IM DIALOG

22 ERHOLUNG VOR DER HAUSTÜR
Claudia Moll
In nächster Nähe zu Siedlungen liegen oft ­interessante Nischen. Deren Potenzial wird jedoch häufig nicht erkannt. Verschiedene Projekte wollen diese attraktiven Freiräume erschliessen und auf sie aufmerksam machen.

27 «WIR BAUEN BRÜCKEN ZU POLITIK, PLANUNG UND FORSCHUNG»
Susanne Frank, Marko Sauer
Im Funktionalraum zeigt sich ­eine hoheits­politische Lücke zwischen Gemeinde, Region und Kanton. In diesem Raum wirkt die Regionalplanung Zürich und Umgebung. Wie, beschreibt Direktor Angelus Eisinger im Gespräch.

AUSKLANG
32 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Erholung vor der Haustür

Es muss nicht immer das grosse Spektakel sein: Oft sind es unscheinbare Flecken und Orte, die eine Auszeit im gehetzten Leben der Metropolitan­region Zürich erlauben. Doch häufig wird das Potenzial der Landschaft in nächster Umgebung nicht erkannt. Ein Projekt der Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU) will die Augen dafür öffnen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich in den grösseren Schweizer Städten eine ganze Reihe sogenannter «Verschönerungsvereine». Ihren Mitgliedern – zu einem grossen Teil waren es Laien, die sich selbst als «Naturfreunde» bezeichneten – lag die tägliche Erholung der stetig wachsenden Stadtbevölkerung am Herzen. Unter der Leitung von Gartenbauinspektoren, Forstingenieuren, Professoren oder Lehrern werteten sie die an das Siedlungsgebiet angrenzenden Wald- und Wiesenpartien auf: Sie liessen Wege anlegen und Sitzbänke, Denkmäler oder Gedenksteine aufstellen, inszenierten Aussichtspunkte und bauten Brücken über Wasserläufe oder Wege entlang von Teichen und Seen.

Auch wenn die Vereine teilweise bis heute bestehen, traten die ästhetischen Aspekte, die in ihrer Arbeit eine wichtige Rolle spielten, im Lauf der Zeit in den Hintergrund. Der gesamthafte Blick löste sich auf, und Einzelaufgaben wie der Bau und Erhalt von Wegen und Infrastrukturanlagen rückten ins Zentrum ­ihrer Bestrebungen. Schliesslich verlor die unmittelbare ­Siedlungsumgebung selbst als Erholungsziel an Be­deutung. Der Aufschwung der Nachkriegsjahrzehnte bescherte jedem Haushalt mindestens ein Auto, so­dass der Besuch ­weiter entfernt gelegener Ausflugs­ziele möglich wurde. Die zuvor ästhetisch betrachtete Landschaft wandelte sich zum Verkehrsträger, die rasante bauliche Entwicklung und eine Intensivierung der Landwirtschaft setzten die siedlungsnahen Erholungsräume gleichermassen unter Druck.

Heute, rund eineinhalb Jahrhunderte nach der Gründung der ersten Verschönerungsvereine, kommt den Freiräumen in und am Rand von Siedlungsgebieten wieder eine grössere Bedeutung zu.

Gerade im Zug der baulichen Verdichtung nach innen übernehmen sie wichtige Funktionen. Sie sind sozialer Treffpunkt und Aufenthaltsort, ermöglichen eine kurze Auszeit vom Alltag und bieten Raum zum Auftanken. Von ihrem hohen Stellenwert ist auch die Geschäftsstelle der RZU überzeugt. Unter dem Titel «Räume der Alltagserholung» erarbeitete sie 2015 eine Studie und plädierte darin für ihren Erhalt und ihre Weiterentwicklung sowie für eine stärkere Gewichtung des Themas innerhalb der Planung.

Kaum Konzepte zu Freiräumen

Was genau macht diese Räume der Alltagserholung aus? Oft handelt es sich um beiläufig erscheinende, eher kleine Flächen: Eine Sitzbank an einem Aussichtspunkt, ein Weg durch eine ansprechende Topografie, Tisch und Bank unter einer markanten Baumgruppe, ein Denkmal, das an die Geschichte eines Orts erinnert – meist reicht wenig, um Erholungsuchenden eine Auszeit ­vom Alltag zu ermöglichen. Das wichtigste Merkmal der Räume ist ihre Unbestimmtheit: Sie bieten keine Freizeitbeschäftigung an, indem sie ihre Besucher mit einem nutzungsorientierten Angebot vom Alltag ablenken. Vielmehr ermöglichen sie Entspannung, ­ohne Aktionen einzufordern.

Eine gewisse Unbestimmtheit macht also den Wert siedlungsnaher Freiräume aus. Diese kann ihnen aber auch zum Verhängnis werden. Selten im Rahmen einer räumlichen Gesamtstrategie entstanden und deshalb auch nicht in planerischen Regelwerken erfasst, gelten sie kaum als erhaltenswert. Ganz im Gegenteil wird ihre hohe Qualität oft erst dann erkannt, wenn sie bereits verschwunden sind. Ihre fehlende übergeordnete Bedeutung führt ausserdem dazu, dass die Räume in zukunftsorientierten Entwicklungsvorstellungen kaum auftauchen. Obwohl regionale und kantonale Richtpläne das Thema Erholung behandeln, finden sich darin wenig gesamt­räumliche Konzepte zu Freiräumen im siedlungsnahen Umfeld. So widmet der Richtplan des Kantons Zürich dem Thema zwar ein eigenes Kapitel, fokussiert aber lediglich auf eigentliche Hotspots – beispielsweise auf das Zürichseeufer, den Uetliberg oder die landschaftlich ansprechende Tössegg. Die Räume dazwischen bleiben hingegen mehrheitlich unbeachtet. Zudem birgt deren Lage in Landwirtschaftszonen oder in Naturschutz­gebieten oft Poten­zial für Nutzungs­konflikte: Hier gilt Erholung eher als störend denn als bereichernd.

Erholung und Ökologie

Angesichts der ungünstigen planerischen Voraussetzungen entstand eine Vielzahl jener Orte, die heute als wichtige Räume der Alltagserholung gelten, eher aus einem glücklichen Zufall denn aus strategischen Überlegungen heraus. So auch das Naherholungsgebiet Schübelweiher in Küsnacht, dessen ansprechender Rundweg täglich eine Vielzahl von Spaziergängern anzieht. Zu Beginn der über 15 Jahre dauernden Planungsgeschichte stand hier ein ökologisch ausgerichtetes Projekt: Das 1998 erarbeitete Grünkonzept Küsnacht zeigte unter anderem die Entwicklung der kleinen, von Äckern umgebenen Wasserfläche auf. Diese war als überkommunales Schutzobjekt eingestuft, das Land gehörte der Gemeinde, zählte zur Freihaltezone und war an Bauern verpachtet. Zur ökologischen Aufwertung entstand in einem ersten Schritt eine Flachwasserzone am einen Ende des Weihers. Rund zehn Jahre später hatte man sich mit den Landwirten geeinigt: Fortan sollten keine Äcker, sondern artenreiche Magerwiesen die Wasserfläche säumen.

Neben naturschützerischen Überlegungen fanden auch solche zum Erholungswert der Landschaft Eingang. Dies ist der interdisziplinären Zusammensetzung des beauftragten Planungsbüros quadra zu verdanken: Ökologen und Landschaftsarchitekten entwickelten gemeinsam ein Projekt, das, statt lediglich auf ökologische Inhalte abzuzielen, auch die Bedürfnisse der Erholungsuchenden berücksichtigte. Stege verbinden heute einzelne Wegabschnitte zu einem attraktiven Rundweg und führen die Spaziergänger ganz nah an wertvolle Biotope, ohne dass diese beschädigt werden.

So erfreulich das Resultat auch ist – es ist ein planerischer Glücksfall. Solche Räume entstehen nicht von allein, erläutert Gudrun Hoppe: «Es muss das Bewusstsein wachsen, dass man sich um sie kümmern muss», ist die Überzeugung der im Projekt involvierten Landschaftsarchitektin. Ihr Kollege, der Biologe Christian Wiskemann, ist zudem der Meinung, eine Kombination von Aspekten, die auf den ersten Blick nicht vereinbar scheinen, könne durchaus zu einem Mehrwert führen: Eine ökologisch wertvolle Wiese, deren Blumen gepflückt werden dürfen, erhöht in seinen Augen das Verständnis für Biodiversität weit mehr als Faltblätter und Informationskampagnen.

Alltagserholung muss also künftig in der Agenda der Planungsverantwortlichen einen festen Platz haben. Hierbei dürfen unterschiedliche Ansprüche an einen Raum nicht als Gegensätze gelten, sondern können sich ganz im Gegenteil gegenseitig stärken.

Definieren, katalogisieren, entwickeln

Auch in den Augen der Verfasser der RZU-Studie gilt es, «Räume der Alltagserholung» in einem ersten Schritt als eigene Freiraumkategorie zu definieren.

Danach heisst es, sie auf Gemeindeebene zu erfassen und in einem Übersichtsplan festzuhalten. Für eine Bestandsaufnahme schlagen die Experten die Analyse topografischer Karten und Begehungen vor; dabei lassen sich sowohl prägende Raumelemente als auch die atmosphärischen Qualitäten der Orte erfassen. Als dritten Schritt empfehlen sie die Befragung ortskundiger Personen. Gerade bei solchen Gesprächen lässt sich Wissen erschliessen, das mit konventionellen raumplanerischen Methoden nicht greifbar ist, da hier die Geschichte und Nutzung eines Orts und seine Identität in den Fokus der Betrachtung rücken. Die so erfassten Räume werden schliesslich in einer Synthesekarte zusammengefasst und nach Handlungsprio­ritäten kategorisiert.

Nur wenn man die lokalen Gegebenheiten vertieft analysiert, kann man Projekte entwickeln, die gut zum jeweiligen Ort passen, finden die Hauptverant­wortlichen für die Studie, der Geograf Matthias Loepfe und der Forstingenieur und Raumplaner Roger Strebel.

Dennoch wollen sie mit ihren Untersuchungen keine aufwendigen Planungsprozesse anstossen, sondern warnen vielmehr vor einem Zuviel an Gestaltungswillen. Dieser sei zwar gut gemeint, könne der nutzungsoffenen Alltagserholung jedoch widersprechen. Stattdessen empfehlen die Planer ein pragmatisches Vorgehen und wollen in erster Linie grundlegende Kriterien erfüllt sehen: Sind die Freiräume gut aufzufinden und zu erreichen? Kann sich ihr Besucher im Raum orientieren? In welchem Kontext stehen sie zur Siedlung und anderen Nutzungen? Und wie lassen sie sich aufwerten?

Ihre theoretischen Überlegungen haben die Verfasser der Studie mit einer ganzen Reihe von Experten abgeglichen und verfeinert. Gespräche mit Interview­partnern – Vertretern aus Politik und Verwaltung ausgewählter Gemeinden des RZU-Gebiets – erlaubten ihnen, die Charakteristika der Räume der Alltagserholung klar zu umreissen. Eine vierköpfige Begleitgruppe unterstützte das Fortschreiten des Projekts, und zwei praxisnahe Akteure – der Architekt und Städtebauer Stefan Kurath und der Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Lorenz Eugster – begleiteten die Studie inhaltlich. So skizzierte Eugster Lösungsvorschläge, wie sich potenzielle Erholungsräume mit wenig Eingriffen aufwerten lassen. Zur Steigerung der Attraktivität des Ruinsbergs, einer kleinen Erhöhung zwischen Bassersdorf und Dietlikon, empfahl er lediglich einen markanten Einzelbaum und eine Sitzgelegenheit. Der bescheidene Eingriff genügt, um den Ort einerseits zu einem Orientierungspunkt, andererseits zu einer identitätsprägenden Station innerhalb des Fuss- und Radwegenetzes der Region zu wandeln.

Alltagserholung im Fokus

Nicht nur die Geschäftsstelle der RZU befasst sich zurzeit mit dem Thema Alltagserholung. Die Hochschulen Rapperswil und Luzern schlossen unlängst ein gemeinsames Forschungsprojekt über Erholungsräume im suburbanen Raum ab, und die Geschäftsstelle Regio Appenzell AR – St. Gallen – Bodensee setzt sich mit Räumen zwischen Siedlung und Landschaft auseinander. Der Verein Metropolitanraum Zürich möchte ausserdem das Thema Erholung in der Raumplanung stärken und differenzierter betrachten und gab erste Grundlagenarbeiten zum Thema in Auftrag (vgl. «Weitere Projekte zur Alltagserholung», rechts). Und auch die Veran­stalter des Anfang April eröffneten Gartenjahrs 2016 sind ­davon überzeugt, dass siedlungsnahen Freiräumen ­eine hohe soziale Bedeutung zukommt. Anlässlich der Eröffnung der nationalen Kampagne im vergangenen April skizzierten sie ihre Vision: In ein paar Jahren stehen allen Bewohnern der Schweiz hochwertige ­Freiräume zur Verfügung, sie sind schnell und gut ­erreichbar und tragen zur Qualität der Siedlungsgebiete bei. Darüber hinaus ist ihre Relevanz anerkannt, Weiterentwicklung und Unterhalt sind feste Bestandteile übergeordneter Planungen.

TEC21, Fr., 2016.05.20

20. Mai 2016 Claudia Moll

«Wir bauen Brücken zu Politik, Planung und Forschung»

Die Stadt der Gegenwart hält sich nicht an politische Grenzen. Sie entwickelt sich als Funktionalraum. An der Schnittstelle zwischen Gemeinden, Regionen und Kanton unterstützt die Regionalplanung Zürich und Umgebung ihre Mitglieder bei der Entwicklung dieser Räume. Deren Direktor Angelus Eisinger zieht nach drei Jahren eine erste Bilanz.

TEC21: Herr Eisinger, was ist die originäre Aufgabe der Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU)?

Angelus Eisinger: Die RZU ist als Planungsdachverband im Kernraum der Metropolitanregion Zürich tätig. Sie hat aber als privatrechtlicher Verein keine hoheitlichen Kompetenzen wie etwa das Amt für Städtebau der Stadt Zürich oder das kantonale Amt für Raumentwicklung. Das macht die Einrichtung so besonders und schafft der Planung ungewöhnliche Optionen auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Entwicklung des Funktionalraums.

TEC21: Wie sehen diese Optionen aus? Was macht die RZU anders als andere Organisationen?

Angelus Eisinger: Im Grunde verstehen wir uns als «empathische Beobachter» der räumlichen Entwicklung. Als Institution, die permanent präsent ist und mitdenkt, die aber nicht direkt ins Geschehen involviert ist. Daraus ergibt sich eine grosse Freiheit in der Betrachtungsweise. Diese Freiheitsgrade wollen wir zugunsten der Regionen und Gemeinden im RZU-Gebiet nutzen. Wir verstehen uns dabei als Plattform und Netzwerk, das die doppelte Rolle eines alltagsnahen Thinktanks und eines vielfältigen Vermittlers ­zwischen Politik, Planungspraxis und Forschung einnimmt.

TEC21: Das hört sich nach einer komplexen Aufgabe an. Wie bringen Sie das Wissen auf den Boden?

Angelus Eisinger: Die Ergebnisse aus unseren Prozessen sollen so aufbereitet werden, dass sie von den Regionen und Gemeinden in der Praxis umgesetzt werden können. Unsere Arbeitsweise lässt sich als Zyklus beschreiben. Dieser setzt bei den Fragestellungen und Herausforderungen der konkreten Praxis an und endet wieder dort. Dazwischen wechselt aber die Bearbeitung dieser Aufgabenstellungen auf die abstraktere Ebene der Expertenkompetenz und der Recherche, um den konkreten Fragestellungen und Orten in unserem Gebiet angemessener begegnen zu können.

TEC21: Sie haben eine Stelle als Professor an der HafenCity Universität in Hamburg verlassen, um Direktor ­der RZU zu werden. Weshalb sind Sie gewechselt?

Angelus Eisinger: Es war ganz wesentlich eine inhaltliche Motivation, die mich zum Wechsel bewogen hat. Über die letzten Jahre haben mich immer mehr Fragen ­der Funktionalräume beschäftigt, die in den letzten ­50 bis 60 Jahren entstanden sind. Für eine nachhaltige Weiterentwicklung dieser urbanisierten Landschaften zwischen Dorf, Agglomeration und Stadt reichen die gängigen Planungsansätze und tradierten Leitvorstellungen wie Urbanität nicht aus. Unter den Vorzeichen der Innenentwicklung, der Verdichtung und der Entwicklung im Bestand hat sich das Vakuum bezüglich geeigneter Ansätze noch einmal akzentuiert.

TEC21: Mit welchen Methoden muss man solche Probleme angehen?

Angelus Eisinger: Es braucht Ansätze und Vorgehensweisen, die gezielt unterschiedliche Kompetenzen und Methoden verbinden. Solche Fragen aus einer strategischen, aber immer praxisnahen und praxisbezogenen Perspektive heraus zu bearbeiten reizt mich. Als Institution im Dreieck zwischen Planung, Politik und Forschung ist die RZU einmalig. Die Übernahme der Leitung der RZU sah ich deshalb als aussergewöhn­liche Gelegenheit. Dabei erachtete ich es als gute Startbedingung für meine neue Tätigkeit, dass ich mit dem Grossraum Zürich inhaltlich, institutionell und bezüglich wichtiger Stakeholder schon sehr vertraut war.

TEC21: Sie sind seit drei Jahren RZU-Direktor. Was haben Sie seither verändert?

Angelus Eisinger: Wir haben in dieser Zeit die Ausrichtung und die Arbeitsweisen der Geschäftsstelle justiert, neue Angebote entwickelt und eine ganze Palette von aktuell drängenden Themen in Angriff genommen, so unter anderem zur Zukunft der Ortszentren, zur Kulturlandschaft, zur Weiterentwicklung der Testplanung oder einer gesamträumlichen Betrachtung der Wohnungsfrage.

TEC21: Themen mit einer beachtlichen Flughöhe.

Angelus Eisinger: Das ist richtig. Gleichzeitig sind dies alles Themen, die der Praxis unter den Finger brennen. Im Tagesgeschäft ist oft die Zeit nicht vorhanden, diesen Fragen in der angemessenen Tiefe nachzugehen. An diesem Punkt setzen wir mit unseren Arbeiten an. Charakteristisch für unsere Arbeitsweise ist, dass wir die Inhalte gemeinsam mit den Verantwortlichen in Politik und Behörden entwickeln und vermitteln. Wir möchten so das reiche Erfahrungs- und Prozesswissen der Praktiker in Planung, Politik und Behörden aktivieren. Deshalb wollen wir auch die Erkenntnisse unserer Reflexionsprozesse Schritt für Schritt im Sinn des oben angesprochenen Zyklus wieder in die Praxis zurückführen. Mit dieser gezielten Vernetzung von Praxis, Politik und Wissenschaft arbeiten wir an einer eigentlichen Lücke in der Planung.

TEC21: Woher stammt diese Lücke?

Angelus Eisinger: Bislang existieren in Verwaltung, Planung und Hochschulen jeweils parallele Wissenskulturen mit meist nur punktuellen und wenig systematischen Begegnungen zwischen diesen Kompetenz- und Erfahrungsbeständen.

TEC21: Und was tun Sie dagegen?

Angelus Eisinger: Kurz gesagt: Wir möchten Brücken schlagen, indem wir Austausch- und Denkräume schaffen, um Politik und Planung fokussiert und themenorientiert zu vernetzen und mit externen Experten und Expertinnen und der Forschung zu verbinden.

TEC21: Sie füllen sozusagen die Lücke aus, die sich in der hoheitlichen Arbeitsteilung zwischen Gemeinden, Regionen und Kanton ergibt?

Angelus Eisinger: Genau. Wir betrachten die räumlichen funk­tionalen Zusammenhänge aus einer anderen, etwas unabhängigeren Warte, die aber mit dem Hoheitlichen vertraut ist. Als Planungsdachverband haben wir die funktional zusammenhängenden Räume in all ihren Facetten im Blick. Damit rücken diese aus meiner Sicht interessantesten, aber auch herausforderungsreichsten Räume in den Fokus.

TEC21: Und wie agiert die RZU in diesem Funktionalraum?

Angelus Eisinger: Wir bringen einmal das Wissen zwischen den Partnern zusammen und ergänzen es gezielt. Wir suchen weiter einen Rahmen, um die einzelnen, sehr heterogenen Teilräume in Stadt, Land oder Region ihrem Charakter entsprechend weiterzuentwickeln. Die Reinformen von Landschaft, Dorf und Stadt gibt es in unserem Raum nicht mehr.

An ihre Stelle sind unzählige neue, wenn Sie so wollen, hybride Verbindungen getreten. Auf diese müssen wir uns einlassen. Infrastrukturprojekte wie die S-Bahn, die Limmattalbahn oder landschaftliche Projekte wie der Agglo-Park oder der «fil bleu» im Glatttal haben hier wich­tige Zeichen gesetzt.

TEC21: Wie finden Sie Ihre Themen? Kommen die Mitglieder auf Sie zu, oder suchen Sie autonom nach interessanten Fragestellungen?

Angelus Eisinger: Wir handeln vergleichbar zu einem Seismografen oder einem Radar. Da geht es primär darum, aufmerksam zu beobachten, zuzuhören, die Alltags­arbeit der Gemeinden und Regionen und ihre Herausforderungen kennenzulernen. Es geht aber auch darum, die fachlichen und wissenschaftlichen Debatten zu verfolgen. Aus diesen Quellen ergeben sich die Themen und Aufgaben, denen wir nachgehen.

Die RZU bietet den Vorzug, dass wir kontinuierlich im gleichen Raum in unseren Netzwerken und zusammen mit den Akteuren vor Ort arbeiten können. Das schafft Nähe, Vertrautheit und Kontinuität, wie sie zum Beispiel der Hochschulforschung nicht möglich sind.

TEC21: Wie kann man das verstehen? Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Angelus Eisinger: Die Studie «Räume zur Alltagserholung» zeigt das sehr gut. Wir haben uns damit ein Thema vorgenommen, das entscheidend zur Lebensqualität in und um Zürich beitragen kann. Massnahmen, die die Erholungsqualität in siedlungsnahen Räumen steigern, bedürfen häufig eines vergleichsweise bescheidenen Mitteleinsatzes. Allein: Diese Option ist noch viel zu wenig bekannt, und wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Begeisterung dafür zu wecken.

TEC21: Steht das Thema bisher noch nicht auf der Agenda der Verwaltung? Und wie wollen Sie diese Begeisterung anfachen?

Angelus Eisinger: Das Projekt illustriert unsere Arbeitsweise sehr gut: Wir stossen gemeinsam mit unseren Mitgliedern auf interessante Phänomene, analysieren sie und überlegen, welches Potenzial zur Bereicherung der Planungspraxis besteht. Dann ziehen wir externe Experten bei, in diesem Fall Landschaftsarchitekten, die das Thema in engem Austausch mit uns weiterentwickeln. Den letzten Schritt macht dann die praxisnahe Aufbereitung durch entsprechende Dokumentationen, aber auch durch Workshops oder thematische «Expeditionen» wie auch öffentliche Veranstaltungen.

TEC21: Welche weiteren Dienstleistungen bietet die RZU denn konkret für die Gemeinden und Regionen an?

Angelus Eisinger: Neben Weiterbildungsangeboten oder Unterstützung bei aktuell anstehenden Themen, den Plattformen des Austauschs und den Projekten gibt es seit vergangenem Sommer ein Beratungsangebot, das unsere Regionen und Gemeinden bei strategischen Fragen zielgerichtet unterstützen soll. Dabei stehen die Vorphasen von Planungsvorhaben im Zentrum.

TEC21: Welche Ziele verfolgen Sie damit?

Angelus Eisinger: Wir möchten unsere Mitglieder dabei unterstützen, dass sie die Aufgaben, die sich für sie konkret vor Ort stellen, in der gebotenen Breite und Tiefe bearbeiten können. Der Einstieg geschieht über einen Augenschein, über den Austausch mit den Verantwortlichen einer Gemeinde oder einer Region und über das Studium von Unterlagen. Auf diesen Grundlagen entwickeln wir dann unsere Vorschläge, spiegeln sie zurück, entwickeln sie auf Basis der Rückmeldungen weiter.

TEC21: Das deckt sich doch weitgehend mit dem üblichen Vorgehen einer Gemeinde.

Angelus Eisinger: Das mag auf den ersten Blick banal erscheinen. Entscheidend ist aber der Fokus unserer Beratungstätigkeit: Die Erfahrung zeigt nämlich, dass den Planenden und politisch Verantwortlichen bei der Formulierung und Plausibilisierung der Fragestellung oft das Gegenüber fehlt, um die Aufgabe richtig eingrenzen zu können. Für solche Formen von ­gemeinsamer Reflexion gibt es keinen Markt. Wir beraten gänzlich ohne Eigeninteresse. Wenn die Frage plausibel und präzisiert ist, ziehen wir uns wieder zurück und überlassen das Feld den gängigen Akteuren der Planung.

TEC21: Die grenzüberschreitende Planung stellt eine grosse Herausforderung dar. Wie gehen Sie damit um?

Angelus Eisinger: Tatsächlich halte ich die grenzüberschreitende Planung für eine Schlüsselaufgabe, die bislang ganz allgemein zu wenig behandelt wird. Dementsprechend nehmen wir uns dieser Dimension in verschiedenen Projekten an. Bei unserem Beratungsangebot geben wir den Gemeinden und Regionen die Möglichkeit, gemeinsam Planungsfragen auch über deren Grenzen hinweg anzugehen. Dabei zeigt sich ein grundlegender Aspekt der Planung heute: Sie kann nicht mehr in einer ausschliesslich hierarchischen Struktur politischer Zusammenhänge gelingen, sondern sie verlangt nach dem Austausch mit allen relevanten Akteuren.

TEC21: Dazu fehlen uns heute aber noch entsprechende Werkzeuge, die den Dialog zwischen den hoheit­lichen Ebenen ermöglichen würden.

Angelus Eisinger: Das sehe ich auch so. Wir brauchen neue Arbeits- und Austauschformen zwischen den planenden Disziplinen, der Politik und den Behörden, aber auch neue Formen des Einbezugs der übrigen Stakeholder. Diese Modi muss die Planung erst noch erlernen.

TEC21: Hat sich der Rahmen der Planung verändert?

Angelus Eisinger: Ich bin davon überzeugt, dass die nachhaltige Transformation des Funktionalraums und seiner urbanen, suburbanen und ländlichen Teilräume nicht primär mit Macht zu tun hat, sondern vor allem aus Dialog resultiert. Der Grund dafür ist einfach: Bisher konnte sich Planung darauf verlassen, dass sie die Flächen, um die es geht, kontrollieren kann. Genau diese Voraussetzung ist aber im Zeitalter der Innenentwicklung nicht mehr durchwegs gegeben. So bestehen in und um Zürich praktisch keine Möglichkeiten der Aussenentwicklung auf der «grünen Wiese» mehr, die Kapazitäten der Bauzonen sind zu 90 bis 95 % ausgeschöpft.

TEC21: Gibt es Modelle, die Hinweise darauf liefern könnten, wie solche Aufgaben anzugehen sind?

Angelus Eisinger: Ich möchte an dieser Stelle zwei Projekte hervorheben, bei denen wir vielversprechende ­Planungsansätze bzw. Realisierungen unter die Lupe genommen haben. Zum einen haben wir das Instrument der Testplanungen untersucht und uns ausgehend von einer kritischen Bestandsaufnahme nach weiteren Methoden und Konzepten umgeschaut, ­um den anstehenden Herausforderungen in den Gemeinden und Regionen planerisch gerecht werden zu können. Wir sind dabei, diese Palette auszuwerten und für die Praxis aufzubereiten. Andererseits haben wir über eine europaweite Umfrage interessante Realisierungen in der Stadt- und Raumentwicklung erfragt. Die Hinweise dazu kamen aus so unterschiedlichen Bereichen wie der Landschaftsentwicklung, der Verkehrspolitik, der sozial sensiblen Transformation im Bestand oder neuen Formen der Kooperation.

TEC21: Was kann man daraus für die weitere Entwicklung des Zürcher Grossraums lernen?

Angelus Eisinger: Zunächst ist es wichtig, über den Tellerrand hinaus zu schauen und das Gewohnte und Vertraute kritisch zu beleuchten. Es gibt europaweit viele Beispiele für unterschiedliche Herangehensweisen. So ist in Kopenhagen die Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohnern seit Langem ein selbstverständlicher und elementarer Bestandteil jeglicher Planung. Im Sinn einer möglichst frühen und intensiven Aus­einandersetzung werden sie als spezifische Experten des urbanen Alltags verstanden und in die Strate­­gie- und Konzeptentwicklung miteinbezogen.

TEC21: Partizipation wird auch in der Schweiz zunehmend erprobt. Gibt es noch überraschendere Ansätze?

Angelus Eisinger: Es gibt Projekte, die Dinge vereinen, die im Zürcher Kontext als absolute Widersprüche erscheinen. Zum Beispiel betreibt in Antwerpen die Stadt Quartiersentwicklung, indem sie die Eigentumsverhältnisse verändert. Sie hat eine Entwicklungsgesellschaft unter dem Namen AG Vespa gegründet. Diese saniert prekäre Quartiere über Neu- und Umbau­projekte und zeitgemässe Architektur. Die AG Vespa verkauft die Objekte dann zu Konditionen wie vor der Planung, allerdings mit Auflagen, die der Spekulation entgegenwirken und das Leben im Quartier stärken. Unsere Beispielsammlung umfasst mittlerweile weit über 300 Einträge. Ein wegweisendes Beispiel wie das Antwerpener lädt uns dazu ein, nach den Bedingungen und Voraussetzungen seiner Entstehung zu fragen und zu überlegen, wie ein Transfer solcher Qualitäten in unsere Planungspraxis gelingen kann.

TEC21: Wie wird sich die RZU in Zukunft entwickeln? Haben Sie noch weitere Ziele, die Sie erreichen möchten?

Angelus Eisinger: Wir haben ja im Grunde gerade erst begonnen. Ich sehe zwei unserer prägenden Schwerpunkte auch zukünftig darin, unabhängig und uneigennützig zu unterstützen und zu beraten bzw. die vorhandenen Kompetenzen und Erfahrung im Raum produktiv zu vernetzen. Die RZU muss dazu ihre Funktion als Vermittlerin und Drehscheibe weiter ausbauen und stärken. Ihr Fokus wird die Planungspraxis im Funktionalraum bleiben. Damit will sie für ihre Mitglieder mitten in den Baustellen und konkreten Laboren der Stadt der Gegenwart tätig sein, fokussiert und mit einer weiten Perspektive. Hierin sieht die RZU als Verband und als Geschäftsstelle ihren Schlüsselbeitrag zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung des RZU-Gebiets.

TEC21, Fr., 2016.05.20

20. Mai 2016 Susanne Frank, Marko Sauer

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