Editorial

Treffpunkt Tramhaltestelle Kleinhüningeranlage. Wir befinden uns an einer vielbefahrenen Strasse, gesäumt von einer Wohnbebauung aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, die hohen Silo- und Lagerhausbauten der grössten Firma im Rheinhafen Basel-Kleinhüningen in Sichtweite. Richtung Norden sind es nur wenige Meter bis zur Hiltalingerbrücke, die Fussgänger, Velo- und Autofahrer nach Weil-Friedlingen führt; seit Ende 2014 fährt auch die Tram­linie 8 dorthin.

Von der Haltestelle machen wir uns auf, um das Hafenquartier Kleinhüningen zu entdecken, und treffen auf den Gelpke-­Brunnen, das Bernoulli-Silo, die Revierzentrale. Wir lassen uns von der Stimmung am Hafenbecken I ver­zaubern und beobachten das Be- und Entladen der Schiffe. Nur wenige Schritte entfernt wartet ein historischer Dorfkern mit einer sehenswerten kleinen Kirche auf uns. Der Ort hat keinen ­musealen Charakter, und trotzdem – oder eben ­deshalb – spürt man hier den eigenen Charme des Quartiers.

Bei unserem Rundgang durch Kleinhüningen, entlang der Westquaiinsel und des Klybeckquais, wird uns aber auch bewusst, dass sich das Gebiet im Basler Norden im Umbruch befindet. Welche Stadt wird hier künftig entstehen? Über den ­Prozess dieser Entwicklung berichten wir aus unseren Gesprächen mit Vertretern des Kantons Basel-Stadt und der Schweizerischen Rheinhäfen. Der Fotoessay von Michael Heinrich (ab S. 34) veranschaulicht eindrücklich die besondere Atmosphäre im Hafenquartier – ein vielfältiges und kontrastreiches Basel jenseits jeglicher ­Postkartenromantik.

Susanne Frank, Daniela Dietsche

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Das rechte Licht

14 PANORAMA
Substanzieller Eingriff, ­räumlicher Gewinn | ­Von «Undine» zum Elsässer­rheinweg

20 VITRINE
Intelligentes Licht | ­Schöner Schein | Aktuelles ­aus der Baubranche

27 SIA
Heute schon an 2050 denken | GEOSummit 2016

33 VERANSTALTUNGEN

THEMA
34 HAFEN UND STADT

34 EIN DORF WIRD HAFENSTADT
Klaus Spechtenhauser
Seiner bewegten Geschichte verdankt das Quartier Kleinhüningen am Basler Rheinhafen ­eine ganz eigene Identität.

40 DAS NEUE QUARTIER AM RHEINHAFEN
Daniela Dietsche, Susanne Frank
Welche Chancen bietet der geplante Hafenumbau für die Stadtentwicklung?

44 «WIR WOLLEN DIESE JAHRHUNDERTCHANCE NUTZEN»
Daniela Dietsche, Susanne Frank
Kantonsbaumeister Beat Aeberhard erläutert die nächsten Schritte in der Stadtentwicklung am Rheinhafen und seine Vorstellung für das ­neue Quartier.

AUSKLANG
47 STELLENINSERATE

53 IMPRESSUM

55 UNVORHERGESEHENES

Ein Dorf wird Hafenstadt

Kleinhüningen ist nicht nur ein Hafen: Das ehemalige Fischerdorf schaut auf eine bewegte Geschichte zurück. Die Etappen seiner Entwicklung sind bis heute ablesbar. Dadurch erhält das Quartier ein spezifisches Gesicht und eine eigene Identität.

In wohl keinem anderen Basler Stadtquartier sind die Kontraste stärker ausgeprägt als in Kleinhüningen: alte Wohnhäuser samt schmucker Kirche, markante Silo- und Lagerhausbauten entlang der Hafenbecken I und II, weitverzweigte Gleisanlagen, Industrieareale, Brücken, Tankbehälter und Containerberge, dazwischen Arbeiterhäuschen und Wohnblöcke. Eine dichte, heterogene und daher auch typisch städtische Packung; nicht so ganz schweizerisch, jedenfalls aber mit verborgenem Charme, der sich erst bei genauem Hinschauen offenbart.

Zwischen Wiese und Rhein

Es verwundert nicht, dass im Mündungsgebiet der ­Wiese in den Rhein einst ein Dorf gegründet wurde. Dass die Gründer die Hunnen waren, darf längst als Mär gelten; aber vielleicht kamen ja die Ungarn, als sie 917 Basel plünderten, bis hierher. Die Volksetymologie hat dies nicht so genau genommen, während freilich archäologische Funde auf eine viel frühere Besiedlung hinweisen.

Jedenfalls befand sich hier einst eine idyllische Flusslandschaft mit Schwemmterrassen, mäandrierenden Rheinarmen, Inseln und Sandbänken. Das fruchtbare Gebiet war ideal für den Gemüse- ­und Obstanbau, für das Vieh gab es ausgedehnte Weide­flächen. Und es gab reiche Fischvorkommen in Rhein und Wiese, was immer wieder zu Zwistigkeiten zwischen den Kleinhüninger Fischern und ihren elsässischen Berufsgenossen führte.

Unruhige Zeiten

Kleinhüningens neuere Geschichte begann 1640, als Basel auf Vermittlung des damaligen Bürgermeisters Johann Rudolf Wettstein das Dorf für 3500 Reichstaler von Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach erwarb. Damals umfasste Kleinhüningen kaum mehr als zwanzig Häuser.

Meist waren es ein- und zweigeschossige Fachwerkhäuser, die sich entlang der noch heute so benannten Dorfstrasse aufreihten. 1710 erhielt das Dorf einen barocken Kirchenneubau, um 1760 liess der Basler ­Peter Gemuseus einen stattlichen Landsitz errichten, das spätere Clavel’sche Gut, das heute als Restaurant Schifferhaus gehobene Gastronomie bietet.

Als Frankreich infolge des Westfälischen Friedens 1648 bis an den Rhein vorrückte, wurde das Gebiet um Kleinhüningen zum Dreiländereck. Der von Ludwig XIV. ab 1679 veranlasste Bau der Grenzfestung Huningue durch Festungsbaumeister Vauban setzte klare Zeichen. Tatsächlich folgten kriegerische Zeiten, und immer wieder schlugen fehlgeleitete Kanonen­kugeln und Granaten im Dorf ein. Die fortwährenden Auseinandersetzungen endeten 1815 mit der Niederlage der französischen Truppen, und noch im Winter des gleichen Jahres wurde die Festung Huningue gesprengt. Für Kleinhüningen war die stetige Bedrohung nun gebannt, und es folgten ruhige Jahrzehnte.

Von der Dorfidylle zum Arbeiterquartier

Kleinhüningen unterschied sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht von anderen Dörfern. Landwirtschaft, Handwerk und Fischfang sorgten für ein gutes, wenn auch bescheidenes Leben. Das Bild einer friedlichen und naturnahen Idylle entstand wohl in erster Linie bei Basler Bürgern, und so wurde der Ort immer beliebter als Ausflugsziel, um hier zu spazieren und anschliessend in einem der traditionsreichen Gasthäuser reichlich Fisch zu essen. Seit 1897 gelangte man auch bequem mit der neu eröffneten Tramlinie hierher, die direkt im Dorfzentrum endete. Interessant wurde die Gegend um Kleinhüningen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber auch als Industriestandort. 1893 begann die Basler Chemische Fabrik Bindschedler hier Farbstoffe und pharmazeutische Spezialpräparate herzustellen, 1908–1910 folgten ein Filialbetrieb der Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel, der nachmaligen CIBA, und die Färberei Schetty. Aus Letzterer ging 1917 die Basler Stückfärberei AG («Stücki») hervor, auf deren Fabrikareal heute ein Einkaufszentrum steht.

Die Industrialisierung führte auch zu einem markanten Zuwachs der Einwohner Kleinhüningens und zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Zwischen 1850 und 1900 verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf rund 1900. Kleinhüningen wurde zu einem eigentlichen Arbeiterdorf – gross, aber arm, sodass die Dorfbehörden 1891 zum ersten Mal eine Vereinigung der Landgemeinde mit der Stadt Basel erwogen. 1908 wurde diese dann Tatsache. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Industrialisierung in Kleinhüningen um 1930, als die Gasfabrik vom St. Johann an die Neuhausstrasse verlegt wurde. Sie sollte das Gebiet mit ihren beiden mächtigen Kokereitürmen über Jahrzehnte hinweg prägen. Mit der Umstellung auf Erdgas 1970/71 wurde die Gasfabrik geschlossen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist Kleinhüningen dann aus unterschiedlichen Gründen immer mehr zum industriellen Randgebiet geworden. Im Zug von Reorganisationen, Abwanderungen und Schliessungen von Betrieben gingen zahlreiche Arbeitsplätze verloren. Ein Arbeiterquartier ist Kleinhüningen heute immer noch. Mittlerweile aber sind es aufgrund der internationalen Durchmischung der Bevölkerung weniger klassenkämpferische Themen, die bewegen, sondern eher die komplexen Fragen von Migration und Integration.

Die Hafenstadt der Schweiz

Die einschneidendsten Veränderungen in Kleinhüningen zeitigte der unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Bau des Rheinhafens. Das Grossprojekt des Hafenbaus wurde ab 1914 unter der Gesamtleitung des Ingenieurs Oskar Bosshardt in Angriff genommen, nachdem der Pionier der schweizerischen Rheinschifffahrt Rudolf Gelpke 1903 bewiesen hatte, dass der Gütertransport zu Wasser bis nach Basel möglich war. Verzögert durch den Ersten Weltkrieg begannen die Arbeiten 1919 mit dem Aushub des Hafenbeckens I. Bereits im August 1922 ging hier der erste Schleppzug vor Anker. Parallel zum Bau des Beckens, das auch heute noch das Herzstück des Hafens ist, wurden die ersten Silo- und Lagerhausbauten errichtet – darunter das 1926 fertiggestellte Bernoulli-Silo an der Hafenstrasse 7 – sowie eine umfangreiche Infrastruktur aus Krananlagen, Gleisen, Strassen und Brücken. Entlang des Rheins entstand der Westquai, der vor allem als Lager- und Umschlagplatz für Kohle diente, desgleichen der Klybeckquai, der v. a. auch für die Lagerung von Flüssiggütern vorgesehen war. Das bereits viel früher geplante Hafenbecken II wurde 1936–1939 gebaut und nach dem Krieg in Betrieb genommen. Zwischen 1950 und 1970 wurde die Anzahl der Silos, Umschlag- und Lagerhallen auf den heutigen Bestand erweitert. Eine ingenieurtechnische Pionierleistung war der 1952/53 errichtete Umschlaghof an der Hafenstrasse mit seinem 32 m über das Hafenbecken auskragenden Dach in vorgespanntem Beton. Es sind insbesondere die Silos und Lagerhäuser an der Hafenstrasse, die trotz Umbauten und Ergänzungen auch heute noch ein für die Schweiz einzigartiges Gebäudeensemble bilden: architektonisch und typologisch, aber auch technik- und wirtschaftsgeschichtlich.

In die Enge getrieben

Mit dem Bau des Hafens und seinem fortschreitenden Ausbau geriet das einstige Dorf Kleinhüningen immer stärker in Bedrängnis. Eindrücklich ist dies auf historischen Fotografien zu sehen, die ein Dorf zeigen, dessen Umland einfach abgeschnitten wurde. Auch der direkte Zugang zu den Ufern von Rhein und Wiese wurde zunehmend verunmöglicht und damit das Fischen stark eingeschränkt. Dies spielte aber nicht wirklich eine Rolle, da vor allem in der Wiese die Fischbestände aufgrund der Emissionen von Färbereien und Chemie­fabriken drastisch zurückgegangen waren. Mit dem Bau des Hafenbeckens II verschwanden die letzten Bauernbetriebe Kleinhüningens, der weitläufige Landschaftsgarten des Clavel’schen Guts wurde mit Gleisan­lagen und Strassen überbaut. Das heutige Schifferhaus war der bei Weitem repräsentativste grossbürgerliche Landsitz in Kleinhüningen und hatte sich unter der Fabrikantenfamilie Clavel ab 1859 zu einem gesellschaftlichen Zentrum in den Anfängen der chemischen Industrie Basels entwickelt. 1943 kaufte es die Schweizerische Reederei und richtete darin ein Heim für ihr Schiffspersonal ein. 1958 folgte gleich daneben das Schifferkinderheim, in dem schulpflichtige Kinder von Schiffern wohnten; ihre Ferien verbrachten sie auf dem Schiff.

In der Zeit der Boomjahre nach dem Zweiten Weltkrieg mussten weitere alte Dorfbauten neuen Silos, Lagerhäusern oder gesichtslosen Neubauten weichen, sodass sich Ende der 1970er-Jahre lokaler Widerstand gegen die fortschreitende Zerstörung des Dorfs for­mierte. Die Initiative versandete jedoch wieder. Auch Denkmalpflege und Ortsbildschutz hatten Kleinhüningen damals noch nicht wirklich erreicht; immerhin wurden die verbliebenen historischen Bauten in einem Inventar erfasst. Vom ursprünglichen Dorf Kleinhüningen ist letztlich wenig übrig geblieben. Einzig zwischen der Dorfkirche und der Pfarrgasse gruppieren sich einige historische Bauten, die noch die einstige Siedlungsstruktur erahnen lassen. Erhalten ist auch das Bauernhaus der einst tonangebenden Fischerfamilie Bürgin. Das auf das 18. Jahrhundert zurückreichende Gebäude war von der Zerstörung bedroht, wurde 1999 an seinem alten Standort abgetragen und im Garten des Schifferhauses wiederaufgebaut.

Containerburgen statt Kohleberge

Schifffahrt, Hafenwirtschaft und Warentransport haben in den letzten Jahrzehnten weitreichende Veränderungen erfahren. Anfang der 1970er-Jahre wurden in Kleinhüningen am Hafenbecken I die ersten Container umgeschlagen; in der Folge wurde ein erster Contai­nerterminal errichtet, kurz darauf folgte ein zweiter am Hafenbecken II. Die zunehmende Präsenz von Con­tainern im Rheinhafen ging einher mit dem Wegfall der charakteristischen Kohleberge. Einerseits hatte Erdöl als Energieträger immer mehr an Bedeutung gewonnen, andererseits wurde mit der Umstellung auf Erdgas 1970/71 die Gasfabrik geschlossen. Der Wandel im Warentransport und neue, globalisierte Marktabwicklungsmechanismen setzten auch die traditionsreichen Reedereien und Transportunternehmen unter Druck. 1975 fusionierte die Schweizerische Reederei mit der Neptun zur Schweizerische Reederei und Neptun AG (SRN), um sich besser für die Zukunft zu rüsten. Der Niedergang der schweizerischen Rheinschifffahrt ­hatte jedoch bereits begonnen.

Nach dem Umbau der traditionsreichsten und grössten Schweizer Reederei in eine internationale Logistikfirma bestand die Flotte der SRN im Jahr 2000 nur noch aus wenigen Schiffen. Der im gleichen Jahr erfolgte Verkauf an die deutsche Rhenus war dann, wie die lokale Presse kommentierte, ein «folgerichtiger Schritt», um in den globalen Marktmechanismen bestehen zu können. Ausgedient hatten damit aber auch die letzten «roten Schweizer» – die Schiffe der SRN, so benannt nach ihrem in markantem Rot gestrichenen Schanzkleid mit Schweizerkreuz, das weithin für herausragende Unternehmenskultur stand. Noch gibt es in Kleinhüningen Schiffer, die über Jahre hinweg als Matrosen, Maschinisten oder Schiffsführer auf dem Rhein oder zur See unterwegs waren. Die schiffische Kultur pflegen sie im Schifferverein Basel-Kleinhüningen und im Seemanns-Club der Schweiz. Oder sie sind Aktivmitglied im Seemannschor «Störtebekers».

Verheissungsvolle Randlage

Vieles hat sich verändert in den letzten Jahren in Kleinhüningen: die Hafenwirtschaft, die Waren, aber auch die Wahrnehmbarkeit der Menschen, die hier für weltweit agierende Unternehmen tätig sind. Prägten einst zahlreiche Hafenarbeiter und Schiffsleute das Gebiet, so sind es jetzt nur mehr wenige Menschen, die Maschinen bedienen oder mittels Krananlagen ­Container ­verschieben. Arealplanungen und Nutzungsvisionen, Zukunftsszenarien und Aufwertungsstra­te­gien beschäftigen heute die Planungsbüros, vermögen Wirtschafts- und Immobilienstrategen zu begeistern – oder lösen bei der lokalen Bevölkerung Widerstand aus. Kleinhüningen ist schon längst zu einem grossen Entwicklungsareal auf dem kleinen Kantonsgebiet ­geworden. Zu hoffen bleibt da nur, dass dereinst noch etwas von früher bestehen bleibt: heterogene, ungestaltete Nischenbereiche, die an den rauen Charme der Industriearchitektur und der Welt der Schifffahrt erinnern.

TEC21, Fr., 2016.05.13

13. Mai 2016 Klaus Spechtenhauser

Das neue Quartier am Rheinhafen

Die Quartiere Kleinhüningen und Klybeck im Basler Norden sind im Umbruch. Der Druck ist enorm: Die Logistiker im Hafen brauchen Platz für den Güterumschlag, die Stadt benötigt Raum zum Wohnen und Arbeiten. Welche Chancen bietet der geplante Hafenausbau für die Stadtentwicklung?

Nur wenige Schritte trennen den historischen Kern des ehemaligen Fischerdorfs Kleinhüningen (vgl. «Ein Dorf wird Hafenstadt», S. 35) von den Hafen- und Industrieanlagen. In nur ein oder zwei Jahrzehnten wird die Stadt am Rhein hier ganz anders aussehen: Der geplante Ausbau der Hafeninfrastruktur führt dazu, dass sich die Gebiete in ­Hafennähe, auf der Westquaiinsel und entlang der Rheinufer markant verändern werden. Doch diese Entwicklung bleibt nicht auf die Quartiere Klein­hüningen und Klybeck begrenzt, vielmehr wird sich die Transformation dieses ca. 50 ha grossen Areals auf die gesamte Region im 3Land auswirken.

Der Hafen hat in seiner jetzigen Grösse die Grenzen seiner Kapazität erreicht, da der Güterverkehr weltweit stark anwächst und auch weiterhin zunehmen wird. Neben dem Umschlag von trockenen und flüssigen ­Massengütern wie Getreide und Heizöl spielt auch der Containerverkehr eine wichtige Rolle. 2015 wur­den in den Schweizerischen Rheinhäfen[1] 124  267 Con­tainer umgeschlagen (Schweizerische Rheinhäfen, Jahres­bericht 2015). Es ist davon auszugehen, dass sich der Containerverkehr in der Binnenschifffahrt ­bis 2030 verdoppeln oder gar verdreifachen wird. Der ­Neubau eines dritten Hafenbeckens mit Verlagerung ­der Hafeninfrastrukturen ist daher unumgänglich – und gleichzeitig auch eine grosse Chance für den Kanton Basel-Stadt.

Motoren der Stadtentwicklung

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Hafen wurde im Mai 2008 die vierspurige Nordtangente eröffnet. Die rund 3 km lange Stadtautobahn verbindet die schweizerische mit der französischen und der deutschen Auto­bahn und verläuft zu 87 % unterirdisch. Für Basel, das an seine räumlichen Grenzen stösst, eine gute Gelegenheit, die Wohnlagen im Norden aufzuwerten; auf der Grossbaslerseite war das Quartier St. Johann zu stärken und über die Voltastrasse hinaus zu entwickeln. Die Voltastrasse hatte mit ihren rund 40 000 Fahrzeugen pro Tag eine unglaubliche Trennwirkung, fast im Sinn einer vorgezogenen Landesgrenze. Die Nordtangente brachte eine spürbare Verkehrsentlastung und war Auslöser für Investitionen in den Wohnungsbau und den öffentlichen Raum in Kleinbasel und St. Johann.

Im Zusammenspiel mit privaten Akteuren und der Quartierbevölkerung konnte die Stadt Basel eine Vielzahl von kleinen und grossen Massnahmen umsetzen: «Mit der Stadtreparatur ProVolta, insbesondere dem Boulevard Volta und den ­begleitenden Neubauten und Stadtplätzen auf dem Nordtangententunnel, konnten wir neue, hochwertige Stadträume schaffen und die Lebensqualität in das äussere St. Johann zurückbringen», erläutert Thomas Waltert, der für die Gesamtprojektkoordination Basel Nord seitens des Kantons ­Basel-Stadt zuständig ist. Die städtebaulichen Massnahmen im Rahmen des Nordtangentenbaus versteht er als Initialzündung für weitergehende Transfor­mationen der nördlichen Wohn- und Industrieareale. «Die direkt nachfolgenden Investitionen der Stiftung Habitat in das Geviert an der Lothringerstrasse (u. a. Musikerwohnhaus, vgl. TEC21 1–2/2016) und die Planung VoltaNord bestätigen, dass der Funken übergesprungen ist», so Waltert.

Zudem verbessert die Nordtangente die Anbindung an den Flughafen, was für die Pharmaindustrie mit ihrem internationalen Publikum interessant ist. Gleichzeitig trug der Wandel mit dem Novartis Campus vom Industrie- zum Forschungsstandort dazu bei, dass die Produktion ausgelagert wurde. Der Hafen St. Johann war nun kein idealer Nachbar mehr, dennoch wurde der Standort in Basels Norden nicht aufgegeben. Mit der Verlagerung dieses Hafens wurden der Kanton Basel-Stadt sowie die Schweizerischen Rheinhäfen beauftragt, eine abgestimmte Hafen- und Stadtentwicklung zu erarbeiten. Parallel dazu begann eine Standortbestimmung der Schweizerischen Rheinhäfen.

Rheinschifffahrt mit dem Ausbau des Hafens stärken

Es stand die Frage im Raum, ob denn zusätzliche Kapazitäten für Containerterminals überhaupt benötigt werden. Eine vom Bundesamt für Verkehr (BAV) initiierte Mediation, an der Vertreter der ganzen Logistikbranche beteiligt waren, schloss mit einer Wachstums­prognose, die von der Branche 2014 einstimmig als realistisch verabschiedet wurde. Auf dieser Vorgabe basiert die aktuelle Planung des trimodalen Terminals, erinnert sich Sabine Villabruna, Bereichsleiterin der Schweizerischen Rheinhäfen, Areale und Hafenbahn. Die Terminallogistik wird damit zum Thema der Raumplanung. Es braucht sowohl den Hafen, um die Versorgung der Schweiz, inbesondere des Mittellands sicherzustellen, als auch den optimalen Umschlagstandort für Schiff und Bahn in Kleinhüningen.

Geplant sind ein Ausbau und die teilweise Verlagerung der Hafenanlagen auf das Gebiet des ehemaligen badischen Rangierbahnhofs; hier soll ein drittes Hafenbecken realisiert werden, es wird ein trimodales Containerterminal (Schiff-Schiene-Strasse) entstehen. Das Hafenbecken III eignet sich einzig für das Gütersegment Containerumschlag. Die Hafenbecken I und II sind in ihrer Nutzung nicht beschränkt, sie bleiben weiter für die Schifffahrt in Betrieb. Die Umnutzung des ehemaligen Gleisfelds stellt die Planer vor einige Herausforderungen, da hier zwei nationale Interessen aufeinandertreffen: auf der einen Seite die Bedeutung des Hafens als Verkehrsdrehscheibe der Stadt und des gesamtschweizerischen Güterverkehrs, auf der anderen Seite die Belange des Naturschutzes, denn viele schützenswerte Tier- und Pflanzenarten haben sich im Lauf der Jahre auf dem Gebiet niedergelassen (vgl. TEC21 48/2012). Wie und wo entsprechende Ausgleichsflächen zur Verfügung stehen, wird derzeit ausgearbeitet.

Die Projektarbeiten für die erste Realisierungsphase des Containerterminals sind so weit fortgeschritten, dass ein konsolidiertes Betriebskonzept und eine Kostenplanung vorliegen. Darin geht es um das Stras­se-Schiene-Terminal (bimodaler Betrieb) auf dem Gelände des ehemaligen Rangierbahnhofs in Basel-Nord. Die Gateway Basel Nord AG[2] hat deshalb im November 2015 das Fördergesuch für die Finanzierung der Terminalinfrastruktur beim BAV eingereicht. Das Subventionsgesuch für die Finanzierung des Hafenbeckens III soll in der ersten Hälfte 2016 von den Schweizerischen Rheinhäfen eingereicht werden; ist diese gesichert, folgt das Plangenehmigungsgesuch.

Ein inhaltliches Leitbild entwickeln

Die Optimierung der Hafeninfrastruktur sichert und stärkt den Hafenstandort Kleinhüningen, der nicht nur für die Stadt, sondern für die gesamte Schweiz eine grosse Bedeutung hat. Mit diesen Perspektiven und Investitionen eröffnet sich für den Kanton Basel-Stadt aber auch die grosse Chance, am Rhein ein neues Stadtquartier zu entwickeln und die bestehenden Quartiere, besonders Klybeck, besser an den Fluss anzubinden. Mit Ablauf der Baurechte per Ende 2029 sollen die ­Hafenaktivitäten auf der Westquaiinsel aufgegeben werden, es besteht erstmals die Möglichkeit, den Hafenbahnhof zu verlagern. Somit werden grosse Flächen am Klybeckquai weitgehend uneingeschränkt für neue Nutzungen frei. An die Rheininsel angrenzend werden weiterhin emissionsträchtige Umschlagaktivitäten im Hafenbecken I stattfinden, die Nutzung auf der Westquaiinsel wird darauf abgestimmt. Die Rahmenbedingungen sind zum heutigen Zeitpunkt aber weder für
die Hafen- noch für die Stadtentwicklung gesichert.

Da die Hafen- und Stadtentwicklung Kleinhüningen-Klybeck sowohl im Kontext der Stadt als auch der trinationalen Agglomeration zu sehen ist, hat Basel im September 2012 mit Weil am Rhein (D) und Huningue (F) eine Planungsvereinbarung unterzeichnet. Auf Basis der Entwicklungsvision 3Land soll sich der Stadtraum entlang des Rheins rund um das Dreiländereck zwischen Dreirosen- und Palmrainbrücke zu einer urbanen Teilstadt innerhalb der trinationalen Agglomeration entwickeln. Die lokalen Planungen sollen aufgrund eines trinationalen Raumkonzepts koordiniert werden. Der Stadtteilrichtplan Kleinhüningen-Klybeck, der zur ­Bearbeitung ansteht, ist in diesem Zusammenhang das lokale Planungsinstrument in Basel.[3]

Mit der voranschreitenden Planung der Hafeninfrastruktur zeichnet sich nun eine neue Etappe ab: Mit dem Grossratsbeschluss im Mai 2014 wurden die Mittel zur Verfügung gestellt, um die Vorarbeiten zu einem Entwicklungsplan, d. h. einem Stadtteilrichtplan für Kleinhüningen-Klybeck, zu beginnen. Eine wesentliche Aufgabe wird nun sein, ein inhaltliches Leitbild für das neue Stadtquartier zu entwickeln (vgl. Interview mit Kantonsbaumeister Beat Aeberhard « ‹Wir wollen diese Jahrhundertchance nutzen› », unten). Aus diesem Grund hat die Stadt Basel im Februar dieses Jahres eine Ausschreibung lanciert, um ein Planerteam zu beauftragen, das die Grundlagen einer «Programma­tion» für die Stadtentwicklung auf den rheinnahen ­Hafenarealen erarbeiten soll. Seit Kurzem steht fest, welches Team für diese nächste Planungsphase beauftragt werden wird. Die Stadt Basel wird in der nächsten Zeit bekannt geben, wer den Zuschlag bekommen hat. Die Ergebnisse der Bearbeitung werden zu Beginn des nächsten Jahres erwartet.


Anmerkungen:
[01] Die Schweizerischen Rheinhäfen sind eine öffentlich-rechtliche Anstalt im Eigentum der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, die 2008 gegründet wurde. Zuvor agierten die Rheinhäfen eigenständig und in Konkurrenz zueinander. Heute beschäftigt der «Port of Switzerland», wie sich die Schweizerischen Rhein­häfen im internationalen Kontext nennen, rund 40 Mitarbeiter. Sie sind als öffentlicher Infrastrukturbetreiber dafür verantwortlich, die Güterschifffahrt zu fördern und einen Beitrag zur Verlagerungspolitik des Bundes zu leisten. www.portof.ch
[02] Die drei Schweizer Logistik- und Transportunternehmen Contargo, SBB Cargo und Hupac haben im Juni 2015 die Gateway Basel Nord gegründet. Die Gesellschaft mit Sitz in Basel plant und realisiert das Umschlagterminal Strasse-Schiene-Wasser für den Import-Export-Verkehr in Basel Nord. http://blog.sbbcargo.com/19331/gateway-basel-nord-ag-reicht-foerdergesuch-fuer-containerterminal-ein/
[03] www.3-land.net

TEC21, Fr., 2016.05.13

13. Mai 2016 Susanne Frank, Daniela Dietsche

«Wir wollen diese Jahrhundertchance nutzen»

Am Basler Rheinhafen entsteht ein neues Quartier. Kantonsbaumeister Beat Aeberhard hat uns einige Fragen zum Verfahren beantwortet und erläutert seine Vorstellung für das neue Stück Stadt.

TEC21: Herr Aeberhard, für die Stadtentwicklung im Basler Norden beginnt nun eine neue wichtige Planungsphase. Was passiert aktuell?

Beat Aeberhard: Im Moment befinden wir uns in der Phase der planerischen Grundlagenarbeit. Die bisherigen städtebaulichen Überlegungen und Visionen haben zwar das Potenzial der Transformation im Basler Hafen eindrücklich aufgezeigt und mitgeholfen, die abgestimmte Hafen- und Stadtentwicklung politisch zu verankern. Gleichzeitig haben die ab­strakten Bilder aber auch einen Teil der Bevölkerung verunsichert. Die Chancen der Stadtentwicklung müssen wir den Menschen noch aufzeigen. Konkret verfügen wir erst über relativ wenige gesicherte Rahmenbedingungen. Als Nächstes wollen wir eine «Programmation» für die Entwicklungsgebiete am Rhein erarbeiten.

TEC21: Was verstehen Sie unter einer Programmation?

Beat Aeberhard: Darunter verstehe ich eine inhaltliche Leit­linie der Stadtentwicklung. Auf einer strategischen Ebene macht die Programmation Aussagen zu den Nutzungsarten, deren Verteilung, zu Akteuren, Verfahren und zur zeitlichen Dimension der Transformation. Es geht somit gegenwärtig nicht um Städtebau in seiner entwerferischen Dimension, sondern um die zukünftige Programmierung des Quartiers, das heisst um die Menschen mit ihren Bedürfnissen, die das neue Stadtquartier aufbauen und darin leben werden.

TEC21: Warum macht man eine Programmation als Grundlage für die Stadtentwicklung?

Beat Aeberhard: Stadtplanung ist hochpolitisch und bedingt das Aushandeln. In der anstehenden langen Reihe von Aushandlungsformaten ist die Programmation ein Element. Mit einem akteurbasierten Ansatz gehen wir nun die Grundlage für eine verbindliche Planung an.

TEC21: Wie geht es nach dieser Phase weiter mit der Stadt­entwicklung? Welche Schritte folgen als Nächstes?

Beat Aeberhard: Die Programmation ist ein wichtiger Baustein für den Stadtteilrichtplan Kleinhüningen-Klybeck, der als behördenverbindliches und dynamisches Ins­­­trument den langjährigen Transformationsprozess begleiten wird. Er bindet in der übergeordneten Sichtweise die verschiedenen Themen wie Hafenentwicklung, Mobilität, Frei- und Grünräume, aber auch die bestehenden Wohn- und Arbeitsquartiere zusammen, koordiniert sie und sorgt für einen transparenten Interessenausgleich. Er schafft die Basis, um den politisch notwendigen Konsens, nämlich eine sinnvolle Stadtentwicklung, herbeizuführen. Denn die Frage der gesellschaftlichen Konventionen ist von beträchtlicher Bedeutung. Es braucht die Übereinkunft darüber, wie die Stadt weiterzubauen ist. Auf Basis des Stadtteilrichtplans können dann nutzungsplanerische Massnahmen wie Zonenänderungen und Bebauungspläne bis hin zu konkreten Projektentwicklungen in die Wege geleitet werden.

TEC21: Wie sehen Sie dieses neue Quartier am Rhein? Welche Art von Stadt soll es werden?

Beat Aeberhard: Seit den ersten planerischen Entwürfen ist die Rede von einem lebendigen, gemischt genutzten Stück Stadt, das auf den Hafenarealen entstehen soll. Es entsteht aber nicht aus dem Nichts. Man wird die Auseinandersetzung mit dem Bestand suchen müssen. Die örtlichen Identitäten sind zu berücksichtigen. Darauf aufbauend sollen diese Gegebenheiten in den neuen Quartieren spürbar werden. Auf dem Klybeckquai ist ein Bezug zum bestehenden Klybeckquartier herzustellen, damit im Gegenzug auch für die heutige Bevölkerung Qualitäten und ungeahnte Möglichkeiten resultieren. Auf dem Westquai geht es um das Miteinander von Hafen und Stadt. Die neu entstehende Stadt befindet sich unmittelbar neben einem funktionierenden Hafen. Darauf müssen wir in der Planung Rücksicht nehmen und ein «echtes» Hafenquartier entwickeln. In der Konsequenz – und da wage ich nun eine Prognose – könnte das bedeuten, dass der Schwerpunkt auf dem Klybeckquai tenden­ziell auf Wohnen und Quartierleben, auf dem ­Westquai auf Arbeiten, öffentlichen, trinationalen Nutzungen und urbanem Wohnen liegt. So oder so, die Entwicklung dieses Stadtquartiers ist eine Jahrhundert­chance, die wir nutzen wollen.


[Beat Aeberhard ist seit April 2015 Kantonsbau­­meis­­ter und leitet den Bereich Städtebau & Architektur im Kanton Basel-Stadt. Von 2008 bis 2014 war er Stadtarchitekt in Zug und bis 2014 zudem als selbstständiger Architekt tätig. Er studierte Architektur und Städtebau an der ETH Lausanne und Zürich sowie an der Columbia University, New York.]

TEC21, Fr., 2016.05.13

13. Mai 2016 Susanne Frank, Daniela Dietsche

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