Editorial
Keine Angst zu haben vor großen Gesten, figürlichen Darstellungen, starken Farben oder glänzenden Oberflächen ist die wichtigste Voraussetzung dafür, opulente Architektur zu schaffen. Losgelöst von den Hemmnissen vermeintlich angemessener Architekturästhetik braucht es jedoch einen tragenden Gedanken, eine Klammer, ein Konzept, damit aus der entfesselten Gestaltungslust kein kitschiges Durcheinander wird.
Beim Durchwandern einer Stadt möchte man allerdings auch nicht ganzen Straßenzügen voller Ornamente und expressiver Formen ausgeliefert sein, denn die Opulenz braucht Platz zum Atmen.
Nicht von ungefähr stellen wir Projekte vor, die gebührenden Abstand zu ihrer Umgebung wahren — ob durch ihren artifiziellen Charakter inmitten der Natur oder durch ihre herausgehobene Typologie im Niemandsland der städtischen Peripherie oder aber als Innenraumgestaltung, die gleich ganz im Verborgenen bleibt. So können Orte entstehen, die einen Anlass zum Staunen, zum erholsamen Vergessen aber auch zur Identifikation bieten — ohne sich je aufzudrängen. | Martin Höchst
Große Geste am Meer
(SUBTITLE) Schiffsterminal in Porto (P)
Mit diesem Gebäude ist dem Architekten Luís Pedro Silva zweifellos ein großer Wurf gelungen: ein ästhetischer Fels in der Brandung der Belanglosigkeit, aber auch ein eng mit seiner Umgebung vernetztes, funktionales Bauwerk, das sich mühelos gegenüber den »schwimmenden Hochhäusern« am Landungssteg behaupten kann.
Gegründet vor gut zwei Jahrtausenden an einem Ort am Atlantik, der schon von Steinzeitmenschen und Kelten bewohnt war, zählt Porto zu den ältesten Städten Europas. Sie ist die namensgebende Stadt des Landes und des Portweins, ihre Altstadt gehört zum Weltkulturerbe, zugleich ist sie aber auch ein wissenschaftliches, kulturelles und industrielles Zentrum von internationalem Rang. Kein Wunder also, dass Porto längst auch ein wichtiges touristisches Ziel ist. Während der weitaus größte Teil der Touristen immer noch mit dem Flugzeug anreist, stieg in den letzten Jahren auch die Zahl derer, die die Stadt mit großen Kreuzfahrtschiffen ansteuern. Bis Mitte 2015 stand hierfür eine Anlegestelle im Industriehafen Porto de Leixões zur Verfügung. Die relativ schlechte Anbindung an die Innenstadt, die unattraktive Lage zwischen Frachtschiffen, Kränen und Containern, und nicht zuletzt fehlende Platzreserven führten dazu, dass die Stadt und die Hafenverwaltung im Jahr 2004 erste städtebauliche Überlegungen für eine Neuordnung anstellten.
Empfang und Verbindung
Den kurz darauf ausgelobten Wettbewerb zur Ausarbeitung eines Strategieplans für das Hafengelände konnte der Architekt Luís Pedro Silva für sich entscheiden. Zu seinen Aufgaben zählte u. a., den neuen Standort für ein Kreuzfahrtschiffsterminal zu finden, das er schließlich an einem funktionslos gewordenen, geschwungenen Pier aus dem 19. Jahrhundert an der Hafeneinfahrt vorsah. Was zu dieser Zeit noch kaum mehr als ein schriftlicher Eintrag auf einem Plan war, entwickelte sich im Laufe von zehn Jahren zu jenem einzigartigen Gebäude, das heute von ca. 80 000 Kreuzfahrtreisenden jährlich frequentiert wird. Für die Architekten stand der Wunsch nach einem ebenso einprägsamen wie einladenden Gebäude im Mittelpunkt, das den Hafen nicht als hermetisch abgeschlossenes Areal begreift, sondern wie selbstverständlich in die Stadt integriert ist, indem es sich ihr gegenüber wörtlich und im übertragenen Sinn öffnet.
In einer ersten Realisierungsphase wurde der alte Pier seitlich um einen rund 340 m langen und 18 m breiten Landungssteg erweitert, der zugleich als Anlegestelle für ein großes Kreuzfahrtschiff und als Umfassung eines neuen Yachthafens für bis zu 170 Boote dient. Der Bau der entsprechenden Anlegestege sowie eines kleinen Gebäudes mit Café und Räumen des Hafenmeisters stehen noch aus. Unmittelbar dort, wo sich die Straße vom Festland in den alten Pier und den Landungssteg gabelt, befindet sich das neue Terminal. Ganz gleich, ob sich Besucher nun vom Schiff, vom Yachthafen oder vom Festland aus annähern, der erste Eindruck ist aus allen Richtungen fast derselbe.
Das Gebäude erscheint zunächst nicht als »Haus« mit Wänden, Fenstern und Dach, sondern vielmehr als kunstvoll drapierte Struktur aus ineinander verschlungenen, weißen Bändern, zwischen denen horizontale Glasstreifen liegen. Um die Geometrie dieses eleganten Knäuels zu verstehen (tatsächlich handelt es sich um zwei lange »Schlaufen«, die sich von außen ins Gebäude hinein und wieder hinaus winden), bräuchte man ein Architekturmodell – oder einen Helikopterrundflug. In beiden Fällen würde man in dem opulent geschwungenen Körper unwillkürlich einen riesigen Oktopus erkennen, der drei seiner weichen Tentakeln von sich streckt. Bilder wie die des Tintenfischs spielten für Luís Pedro Silva überall im Gebäude eine wichtige Rolle – einfach nur Selbstzweck sind sie dennoch nirgendwo. Die Tentakeln beispielsweise bieten Fußwege ins Gebäudeinnere: von der Straße, vom alten Pier bzw. vom Landungssteg.
Glasierte Schuppen
Beim Näherkommen wird deutlich, dass die Oberflächen der weißen Bänder nicht aus einem Guss sind, sondern sich aus glänzend glasierten Keramikfliesen zusammensetzen, die die Form von flachen, oben schräg »abgeschnittenen« Sechsecksäulen haben. Natürlich erinnern sie sofort an Fischschuppen, aber auch an die in Porto an fast allen älteren Bauten vorzufindenden blau-weißen Azulejo. Nach vielen Voruntersuchungen und Diskussionen mit dem Bauherrn fiel die Wahl aber letztlich aus ganz praktischen Gründen auf die Fliesen – schlicht weil es der verantwortlichen Baufirma nicht gelang, die zuvor favorisierten Lösungen aus Sichtbeton oder weißem Glas fristgerecht zu kalkulieren. Die gegen Wind, Wetter und die aggressive Seeluft unempfindlichen Fliesen hatten den Vorteil, dass sich ihre Herstellung und das Verkleben mit Spezialkleber relativ einfach in Quadratmeterpreisen errechnen ließen. Dass dies dennoch eine besondere Herausforderung bedeutete, zeigt die Tatsache, dass auf einer Fläche von 16 000 m² (Innenräume und Fassade) insgesamt rund 900 000 Fliesen zu verlegen waren, ein Arbeiter pro Tag aber lediglich 5 m² Fläche bewältigte. Verlegepläne gab es nicht, wohl aber die Vorgabe, dass direkt nebeneinander liegende Fliesen mit ihrer schrägen Oberfläche nicht in dieselbe Richtung zeigen durften. Das Ergebnis zeigt sich als unregelmäßige, aber homogene Oberfläche, die durch die schillernden Lichtreflexionen von jedem Standpunkt aus anders anmutet.
Reisen und Forschen
Die fensterlosen Bänder lassen von außen kaum erkennen, wie üppig das Terminal eigentlich dimensioniert ist. Wer z. B. von dem teilweise unter der Tentakel zur Straße situierten Busparkplatz in die Empfangsebene im EG gelangt, steht in einem runden, überraschend großen und hohen Atrium. Von hier aus windet sich, verknüpft mit einem der weißen Bänder, eine Rampe nach oben – in Richtung eines flach geneigten Glasdachs. Im 1. OG befinden sich insbesondere die Räumlichkeiten zur Abfertigung der ankommenden und abreisenden Kreuzfahrtschiffspassagiere (Zollkontrollen, Gepäckausgabe, Wartebereiche, Cafeteria etc.). Eine der Tentakeln bietet von hier als lang gestreckter Steg die witterungsgeschützte Verbindung zum Schiff. Im 2. OG waren ursprünglich Shopflächen vorgesehen, die im Planungsverlauf den Labor- und Büroflächen des »Interdisciplinary Centre of Marine and Environmental Research« der Universität Porto gewichen sind. Insgesamt 250 Forscher widmen sich hier in zweigeschossigen, zum Atrium vollverglasten Raumeinheiten der meeresbiologischen Forschung – im UG sind deshalb, neben einer Tiefgarage, zusätzlich noch etliche Fischzuchtbecken eingerichtet worden. Im 3. OG schließlich liegt ein 600 m² großer Ausstellungs- bzw. Multifunktionsbereich, ein Vortragssaal und ein Restaurant.
Brandschutztechnisch konnten die Architekten das sämtliche Bereiche flankierende Atrium wie einen Außenraum behandeln, weil im Dach eine mechanische Rauchabzugsanlage installiert wurde, und zudem hohe Unterzüge an den Geschossdecken den Brandüberschlag zum Atrium hin verhindern. So wurden sämtliche Erschließungsbereiche offen und durchlässig ausgeführt, gänzlich ohne spezielle Brandschutzverglasungen der zum Atrium orientierten Räume.
Detailreich und komplex
Der räumlichen Komplexität und dem im Wesentlichen aus Deckenplatten und unregelmäßig gesetzten, teils geneigten Stützen bestehenden Tragwerk stehen einheitlich weiße Oberflächen gegenüber: Böden mit weißem Industrieestrich, weiß verputzte Wände (teilweise mit dunklen Wischspuren), weiße Glaspaneele, weiße Möbel und Theken sowie die auch im Innern prägenden weißen Fliesenbänder. Farbakzente bieten z. B. die knallig roten, in abstrahierter Form als Fische gestalteten Kästen, die zur Unterbringung des Feuermelders, eines Wasserschlauchs und des Feuerlöschers dienen. Aus all dem Weiß stechen einige Räume mit besonderen Funktionen hervor: der Vortragssaal gänzlich mit tiefblauem Samt ausgeschlagen oder das Restaurant mit einer Wand- und Bodenbekleidung aus goldbraunen Alupaneelen.
Noch ist das neue Kreuzfahrtschiffsterminal nicht vollständig in Betrieb. Zwar legen bereits Kreuzfahrtschiffe an, doch sind längst nicht alle Labore bezogen und auch das Restaurant ist noch nicht eröffnet. Und weil die Straße zum Festland immer noch als Teil des Hafengeländes gilt, also nicht öffentlich zugänglich ist, bleibt auch die in Form eines Amphitheaters angelegte Dachterrasse bislang weitgehend ungenutzt. Das ist nicht nur wegen des atemberaubenden Blicks über den Atlantik, die Strände und den Hafen bedauerlich, sondern weil sie als quasi öffentlicher Raum den bildhaften krönenden und opulenten Abschluss des Gebäudes bildet. Hier können Stadttouristen, Reisende, Anwohner und Universitätsmitarbeiter gemeinsam ein vielfältiges Stück Stadt leben: sonnenbaden, picknicken, entspannen, sich besprechen, arbeiten. Wie gut die Idee der Vernetzung mit der Stadt aufgeht, zeigte ein letzten September veranstalteter Tag der offenen Tür, an dem 16 000 Besucher gezählt wurden. Der Grund für die bislang fehlende Anbindung an die Stadt ist einfach: für die letzten Umstrukturierungsmaßnahmen (z. B. Yachthafen, Straßenneubau, Verlängerung einer Tramlinie bis direkt zum Terminal) fehlt es schlicht an den nötigen öffentlichen Geldern. In diesem Zusammenhang hat Luís Pedro Silva seinen Beitrag bereits geleistet. Statt der ursprünglich veranschlagten 28,5 Mio. Euro kostete das Terminal am Ende nur 26 Mio. Euro – und das, obwohl es mit großem Detailreichtum als ganzheitlich durchdachtes Baukunstwerk ausgeführt ist.db, So., 2016.05.01
01. Mai 2016 Roland Pawlitschko
Der Tanz des Lattenzauns
(SUBTITLE) Wohnhochhaus in Wien (A)
Der Citygate Tower im äußersten Norden von Wien ist eine eigenwillige Erscheinung. Das 35-geschossige Wohnhochhaus vereint Ästhetik und Banalität, Opulenz und Wirtschaftlichkeit, silbernschimmernde Eleganz und kostengünstigen Baumarkt-Chic.
Autohäuser, Reifenhändler, Tankstellen, Lagerhallen, Erotiksupermärkte, XXL-Discounter, Hundefutter- und Katzenstreugeschäfte und mittendrin ein dunkelblauer Ikea. Doch plötzlich ragen aus dem peripheren Gewerbe- und Fachmarktsumpf, als hätte jemand ein Stückchen Erdkruste extrudiert, zwei monumentale Hochhausstelen in den Himmel. Auf den ersten Blick wirken die beiden, zugegebenermaßen nicht uneleganten Turmbrüder wie fehlgelandete Versatzstücke aus Hongkong, Benidorm oder Las Vegas.
Tatsächlich ist die Existenz des 100 m hohen Citygate Towers und des etwas kleineren Leopoldtowers einer urwienerischen Verkettung von stadtplanerischen Umständen zu verdanken. Durch die Verlängerung der U-Bahn-Linie 1 wurde der Norden Wiens, beinahe 10 km vom Stadtzentrum entfernt, unmittelbar aufgewertet. Die Immobilienbranche witterte ihre Chance und machte sich schon bald für eine lukrative Umwidmung der letzten noch ungenutzten Freiflächen im Quartier stark. Luxuriöse Bürotürme mit Blick auf ganz Wien. Das war die Vision.
Wohnungen statt Büros
Im Zuge der Finanzkrise 2008 musste der Investor und Immobilienentwickler Georg Stumpf, der sich mit der Errichtung des 202 m hohen Millennium Towers 1999 einen Namen gemacht hatte, jedoch umdenken und beschloss, die umgewidmeten Grundstücke mit den großen zugelassenen Gebäudehöhen nun für Wohnzwecke zu nutzen. Keine schlechte Idee angesichts steigender Einwohnerzahlen, dachte sich die Stadt Wien und gab für die Pläne grünes Licht.
Ursprünglich wollte der Bauherr, nachdem die Turmpläne anderer Büros vom Grundstücks- und Fachbeirat bereits zweimal abgelehnt worden waren, von dem international etablierten Architekturbüro querkraft lediglich einen Fassadenentwurf. Dies lehnten die Architekten jedoch ab und erhielten schließlich den Auftrag für die gesamte Planung, und nun ist das Resultat der fast zehn Jahre andauernden Genese endlich gebaute Materie.
»Wenn schon Hochhaus, dann aber wirklich«, sagt Jakob Dunkl, Partner bei querkraft. »Ein Hochhaus muss nicht nur alle Funktionen wie normale Gebäude erfüllen, sondern stellt darüber hinaus ein weithin sichtbares Zeichen in der Stadt dar. Wir wollten diesen skulpturalen Charakter aus der Struktur heraus entwickeln, und so sind die tanzenden Linien an der Fassade Abbild der Funktion und des Innenlebens.« Im Klartext: Der Turm ist über die gesamte Höhe mit Balkonbändern umfasst. Zu jeder Wohnung gehört zumindest ein Bereich, an dem sich der 1,20 m tiefe, lineare Freiraum punktuell auf 2,10 m weitet. Die Ausbuchtung, die Frühstückstisch und Sonnenliege aufnehmen kann, wandert pro Geschoss um ein paar Zentimeter und führt auf diese Weise zum charakteristischen, aus der Ferne wirksamen, linearen Relief.
Üppig und sparsam zugleich
»Ja, natürlich ist die Geste opulent, aber immerhin ist es uns gelungen, diese Opulenz mit den einfachsten und billigsten Mitteln herzustellen«, erklärt der Architekt. Zwar habe man sich auch hochwertige Materiallösungen überlegt, letztendlich fiel die Wahl jedoch auf einen handelsüblichen Lattenzaun, den man auch im Baumarkt bekommt. Mehr als 38 000 Aluminiumlatten wurden im Citygate Tower verbaut, 4,2 km in Summe, wobei die Höhe und Dichte der Elemente im Bereich der runden Ausbuchtung sichtbar zunimmt. Hier sollte auch im 30. Stock noch ein Gefühl von Geborgenheit entstehen können. In gewisser Weise hat sich querkraft mit dieser hocheleganten Low-Budget-Lösung der pulsierenden, tanzenden Adern seine Alleinstellungsphilosophie der ersten Bürostunde erhalten: »Big wow for little money«.
Das an dieser Stelle eingesparte Geld – ein konventioneller Lattenzaun belastet das Baubudget weniger als jedes andere Brüstungsmaterial – sollte der sozialen Nachhaltigkeit zugutekommen. An der Nordseite des Turms setzten die Architekten einen haushohen, vertikalen Schnitt an. Statt Wohnungen sind hier Gemeinschaftsräume und Infrastruktureinrichtungen für die Allgemeinheit untergebracht. Wie Schubladen schweben die Funktionsboxen in unterschiedlichen Etagen, mal ein-, mal zweigeschossig, mal weiter vorne, mal leicht eingerückt. Die dazwischen liegenden Lufträume dienen als Gemeinschaftsterrassen und Belichtungsschotten für den weit im Gebäudeinnern liegenden Erschließungskern.
Soweit die Theorie. Die Praxis ist eine andere. Wo bis zuletzt Skygarten, Heimkino, Kletterhalle und Tischtennisraum geplant waren, befinden sich nun trostlose Mehrzweckräume mit Spannteppich und Alibimobiliar. Lediglich Yogaraum und Waschküche dürften den Transfer von der Vision in die Realität einigermaßen unbeschadet überstanden haben. »Wir haben vier Kinder und wir würden die Kinderspielräume gerne öfter nutzen«, sagt Farsana Nuuri, wohnhaft im sechsten Stock. »Aber das sind leere Räume mit nichts drin. Was sollen wir da machen? Ab und zu treffe ich dort andere Mütter, aber da wäre wirklich mehr möglich gewesen.«
Auch die Architekten sind enttäuscht, dass ihre Idee der »vertikalen Dorfstraße« nicht konsequent verfolgt wurde. Dominik Bertl von querkraft, der in das Projekt von Anfang an involviert war, erklärt »Wir haben die Räume im Kostenrahmen geplant, aber letztendlich beschloss der Investor, den Rotstift anzusetzen und die soziale Nachhaltigkeit gegen kurzfristige Wirtschaftlichkeit einzutauschen.« Besonders bitter ist das für den geplanten Fitnessraum im 30. und 31. Stock. Statt mit Sportgeräten wurde die Skybox mit Lagerabteilen wie in einem Keller zugestellt. Den Blick ins Weinviertel gibt’s gratis dazu. Einen luxuriöseren und ressourcenfeindlicheren Hort für Einmachgläser und leere Kartons gibt es in ganz Europa nicht.
Charmant kaschiert
Sinnvollerweise überaus luxuriös und geradezu vereinnahmend ist hingegen das Farbkonzept des Wiener Künstlers Heimo Zobernig. Es beruht auf einer Studie mit 1 888 Männern und Frauen und bildet ab, mit welcher Farbe die Befragten jeweils den Begriff »Geselligkeit« assoziieren. Das Resultat der Umfrage ist nun als prozentuales Farbspektrum auf die Höhe des gesamten Turms aufgeteilt: Treppenhaus, Korridore, Mehrzweckräume, Fassadeneinschnitt an der Nordseite. Ein Glück, dass nur 8 % der Befragten einen Braunton favorisierten. »Ich habe das Glück, in einem grünen Geschoss zu wohnen, aber ich finde die Idee mit den Farben auch grundsätzlich sehr schön«, meint Branko Pavlovsky aus dem 21. Stock. »Das ist mir allemal lieber als weiße, gesichtslose Flure, denn tatsächlich ist das Innere eines solchen Hochhauses recht eintönig und repetitiv.«
Die Farben verleihen dem Turm, der in konventioneller Bauweise und Struktur errichtet wurde, eine zusätzliche Qualität. Viel Effekt für wenig Geld eben. Alles andere als üppig und opulent nämlich ist das konstruktive und technische Innenleben des Wohnturms, der mit insgesamt 309 geförderten und frei finanzierten, durchwegs geschickt strukturierten und modular aufgebauten Wohnungen bestückt ist: Stahlbetonbauweise, Vollwärmeschutzfassade, Fernwärme, einfachste technische Details. Man sehe schon, dass an einigen Stellen gespart wurde, sagt ein Bewohner im raschen Vorbeigehen im Treppenhaus. Aber es sei auch das Bemühen sichtbar, die Wirtschaftlichkeit charmant zu kaschieren. Das Konzept scheint gelungen. Viele Bewohner haben an den Alulatten auf ihren Balkonen großen Gefallen gefunden. Dass es dabei um ein preisgünstiges Ready-made handelt, ist nur den wenigsten bewusst.
Der Citygate Tower, dieses Gebilde über dem nordwienerischen Gewerbeteppich, ist ein eleganter Turm, dessen tanzende Linien man von Weitem gerne betrachtet. Die Architekten haben beste Arbeit geleistet, doch solange der gewinnmaximierungsorientierte Investor an der sozialen Qualität des Projekts spart, bleibt man besser auf Distanz. Soeben hat querkraft eine Petition mit einer Gratis-Postwurfsendung an die 309 Haushalte des Turms gestartet. In einem kleinen Büchlein wird das ursprüngliche Konzept des Hauses erläutert. Darin erfährt man z. B. über die zunächst geplante Nutzung der »Kellerabteile« im 30. und 31. Stock und dass die Skygärten mit Bäumen bestückt werden sollten. Vielleicht, so Jakob Dunkl, finde sich ja eine Gruppe von Bewohnern, die die Gemeinschaftsräume einrichtet und das nachholt, was der Investor versäumt hat – mit etwas mehr sozialer und funktionaler Opulenz.db, So., 2016.05.01
01. Mai 2016 Wojciech Czaja
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