Editorial
Gebäude der Arbeit prägen in hohem Maße unseren Alltag. Anders als bei Verwaltungsbauten spielt die Architektur bei Fabriken und Gewerbehallen i. d. R. jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Jedes beliebige Gewerbegebiet zeugt von dieser Fehlstelle. So manch trostloser Anblick bliebe einem erspart, investierten die Bauherren in anspruchsvollere Planungen. Dass sich dies auch in anderer Hinsicht auszahlt, darüber sind sich die Firmenverantwortlichen der im Weiteren vorgestellten Projekte einig – ob zur Effizienzsteigerung, als Marketinginstrument oder im Wettbewerb um Arbeitnehmer. Letzteres jedoch nur, wenn die Arbeitsplätze attraktiver gestaltet werden als jene bei der Fertigung von Fernsehgeräten in den USA 1947 (s. Abb.), die damals dennoch als fortschrittlich galten. | Martin Höchst
Zeichen der Kontinuität
(SUBTITLE) Uhrenmanufaktur in Glashütte
Das Sortiment der sehr teuren Luxusuhren der Manufaktur A. Lange & Söhne ist auf eine gut betuchte Kundschaft ausgerichtet. Der Erfolg, den das Unternehmen damit hat, ist für das Städtchen Glashütte im Erzgebirge ein großes Glück – auch baukulturell, wie der Neubau eindrücklich zeigt.
In den vergangenen Jahrzehnten haben die meisten Industriebetriebe den Städten den Rücken gekehrt, um rentabler produzieren zu können. Seither befördern sie – meist als gesichtslose Großcontainer auf günstigem Bauland – die Zersiedlung und verunstalten die Landschaft. In letzter Zeit aber entdecken einige Industriezweige die Stadt wieder, als Standort für die Produktion und zugleich als Bühne für die Inszenierung einer Marke. Produktionsgebäude werden zunehmend zu Orten der Unternehmensrepräsentation und Produktwerbung. Damit steigt einerseits ihr architektonischer Anspruch, andererseits drohen aber Egozentrik und protziges Gehabe auf Kosten des gewachsenen Stadtbilds.
Dass sich ein Produzent mit seinem Platzbedarf und Repräsentationsanspruch auch ganz unaufgeregt in den Dienst der Stadtentwicklung stellen kann, zeigt der Erweiterungsbau der Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne im sächsischen Glashütte. Nach Enteignung und Verstaatlichung in der DDR-Zeit war das Unternehmen 1990 von Walter Lange, einem Urenkel des Begründers der Glashütter Feinuhrmacherei, Ferdinand Adolph Lange, wiederbelebt worden. Nach kontinuierlichem Wachstum beschäftigt es in dem Erzgebirgsstädtchen mittlerweile rund 650 Mitarbeiter. In der Berufung auf die ehrwürdige, über eineinhalb Jahrhunderte zurückreichende Tradition konkurriert die Manufaktur, die heute dem Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont gehört, mit fast einem Dutzend weiterer Betriebe in Glashütte. Mit den Preisen für ihre legendären Uhren, die den legendären Markennamen A. Lange & Söhne tragen, ist sie aber in nahezu konkurrenzlosen Gefilden unterwegs.
Zurückhaltung
Es gibt also allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Großspurigkeit gehört aber nicht zum Stil des Unternehmens, das bei der Gestaltung der überwiegend in Handarbeit gefertigten Uhren auf die Zeitlosigkeit schlichter Eleganz setzt. So markiert der Neubau des Basler Architekturbüros jessenvollenweider, der im August 2015 nach knapp dreijähriger Bauzeit von der Bundeskanzlerin eingeweiht wurde, unübersehbar den südlichen Stadteingang, verzichtet aber auf jede aufdringliche Geste. Mit seinem stattlichen Volumen, das 5 400 m² Produktionsfläche aufnimmt, übertrifft er zwar die beiden Altbauten der Firma aus dem frühen 20. Jahrhundert deutlich. Er marginalisiert seine denkmalgeschützten Nachbarn jedoch nicht, sondern bildet mit ihnen ein Ensemble, das ein Bild der Kontinuität hervorruft.
Der neue Baukörper hat die Gestalt zweier aneinanderstoßender Gebäude von unterschiedlicher Höhe. Das niedrigere nimmt die Traufhöhe des gegenüberliegenden Altbaus auf, an den es mit einem Verbindungsgang über eine Straße hinweg andockt. Für das Unternehmen hat diese verglaste Brücke zugleich die symbolische Funktion einer Verbindung von Tradition und Moderne. Entlang des Bahndamms und des Flusslaufs der Müglitz schließt sich der höhere Gebäudeteil an. Als lang gestreckter Fünfgeschosser wendet er seine markante Stirnseite der Stadt zu. Beide Teile des Neubaus tragen schiefergedeckte Walmdächer, die der örtlichen Bautradition huldigen und zugleich gebäudetechnische Aufbauten zum Verschwinden bringen.
Das Fassadenraster aus Sichtbetonteilen und die großen Fenster evozieren das Urbild einer Fabrik. So schlicht die Gebäudehülle auf den ersten Blick erscheint, so lassen sich bei genauerem Hinsehen viele raffinierte Details erkennen. Mit ihrem unterschiedlichen Maß an Offenheit und Geschlossenheit sind die Fassaden konsequent aus der Funktion der dahinterliegenden Innenräume abgeleitet, zugleich aber auf ihre städtebauliche Wirkung abgestimmt. Besonders transparent erscheint der Bau an seinen aus der Ferne von Osten und Norden wahrnehmbaren Seiten. Trotz des hohen Glasanteils vermittelt das kräftige Sichtbetonraster aber auch hier den Eindruck einer unerschütterlichen, ruhenden Massivität. Es besteht aus präzise gegossenen Fertigteilen, die akribisch zu differenzierten Fassadenkompositionen gefügt wurden. Die beiden unteren Geschosse bilden eine subtil abgesetzte Sockelzone aus. Gesimse und Lisenen setzen fein ausbalancierte horizontale und vertikale Akzente. Die Vor- und Rücksprünge erzeugen eine plastische Wirkung, durch die die Rigidität des Rasters gemildert wird. Dazu tragen auch die filigran reliefierten diagonalen Linien bei, die wie ein zarter Fries die Fensterbrüstungsfelder überziehen und dabei die betont tektonischen Fassaden in eine leichte Schwingung versetzen. Der Bau verdankt sie dem Basler Künstler Peter Suter. Entgegen verbreiteter Praxis in der »Kunst am Bau« wurden die »Taktstriche«, wie sie ihr Urheber nennt, nicht nachträglich appliziert, sondern im Zusammenwirken mit den Architekten von vornherein in den Entwurf einbezogen.
Dass der Bau bei aller Strenge nicht abweisend wirkt, liegt überdies an der freundlichen Wirkung der Sichtbetonoberflächen: Ein Weißzementzuschlag hellt den Ton auf, Glimmerzusätze erzeugen einen dezenten Schimmereffekt, und durch die abschließende Sandbestrahlung zeigt sich die Oberfläche mit einer lebendigen Struktur.
Nüchternheit und Raffinesse
Das Gebäude nimmt ein komplexes Raumprogramm auf, für das es in der Industriearchitektur keine Blaupause gibt. Fast alle Bestandteile der Uhren werden in der Manufaktur hergestellt, die meisten Fertigungsschritte erfolgen im Neubau. Daraus ergibt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, von den hohen Bodenlasten für die im niedrigeren Gebäudeteil untergebrachten Dreh-, Fräs- und Bohrmaschinen über strenge sicherheitstechnische Bestimmungen bis zur ausgeklügelten Lichttechnik und dem besonderem Raumklima in den Ateliers der Feinuhrmacher. Letzteren sind die teilweise durch flexible Wände unterteilten, lichten Raumfolgen vorbehalten, die in den OGs an der Ostseite des höheren Gebäudeteils angeordnet sind. Um die Arbeitsplätze vor der direkten Sonneneinstrahlung zu schützen, haben die Architekten die Räume mit ihren großflächigen Fenstern, die einen grandiosen Blick auf die Berglandschaft bieten, leicht nach Norden verschwenkt. Für zusätzlichen Blendschutz sorgt eine Doppelfassade, die als vorgelagerte begehbare Raumschicht ausbildet ist. Sie dient dem Druckausgleich für die staubreduzierte Atmosphäre der Ateliers und verhindert zugleich deren Überhitzung im Sommer. Darüber hinaus können Besucher von hier aus den Uhrmachern durch die Glaswand bei ihrer Arbeit zuschauen. Die Idee, die Sonneneinstrahlung auf ein Minimum zu reduzieren, ohne auf die – durch die Lage des Grundstücks naheliegende – Nordsüdausrichtung des Gebäudes zu verzichten, dürfte den Ausschlag dafür gegeben haben, dass sich jessenvollenweider in der letzten Stufe des 2007 durchgeführten Wettbewerbs gegen das auf Unternehmens- und Industriebauten spezialisierte Büro Henn Architekten durchsetzen konnten.
Bei den im Innern verwendeten Materialien herrscht gediegene Nüchternheit. Die Wände sind zumeist in einem zurückhaltenden Grau gestrichen. Die Bodenbeläge bestehen, je nach Raumfunktion, aus Terrazzo, Kautschuk oder Hartbeton. Dem Charakter einer Manufaktur entsprechend, so erläutert Architektin Anna Jessen die Haltung, wird gewöhnliches, im Außenbau gebräuchliches Material leicht veredelt nach innen gezogen. Einen spielerischen Kontrast zur strengen Anmutung der Produktionsräume bietet die elliptisch geschwungene Treppenanlage mit einem wunderbar geschmeidigen Handlauf aus Chromstahl – eine Begegnungszone an der Schnittstelle zwischen den beiden Gebäudeteilen, die in ihrer Großzügigkeit zum Verweilen einlädt.
Ästhetische Haltbarkeit
Dass Unternehmensleitung wie Mitarbeiter mit dem Bau hochzufrieden sind, verdankt sich nicht zuletzt der besonders intensiven Abstimmung, die im Planungsprozess zwischen Werksvertretern und Architekten stattgefunden hat. Ohne die enge Zusammenarbeit mit den künftigen Nutzern, so Anna Jessen, wäre das Projekt nicht realisierbar gewesen.
Zu den Wünschen des Unternehmens gehörte auch ein ressourcenschonendes Energiekonzept. Dafür steht v. a. die große Geothermieanlage, die sowohl zur Beheizung als auch zur Kühlung des Gebäudes eingesetzt wird. Nachhaltig ist der Bau aber nicht nur und nicht in erster Linie aufgrund seiner Energiewerte.
Wichtiger noch ist, dass er als dauerhaftes Bekenntnis zum Produktionsstandort Glashütte nicht zu weiterer Zersiedlung beiträgt und eine ästhetisch dauerhafte Architektur bietet, die beste Chancen hat, in Würde zu altern.db, So., 2016.01.31
31. Januar 2016 Arnold Bartetzky
Mit Präzision
(SUBTITLE) Hydraulikteile-Werk in Kaufbeuren
Die neue Produktionsstätte eines Hydraulikspezialisten in Kaufbeuren bietet weit mehr als nur attraktive Fotomotive mit saftig grünen Wiesen und dem Blick zu den Allgäuer Alpen. Die für ihre Industriebauten bekannten Architekten Barkow Leibinger schufen ein Gebäudeensemble, bei dem die Architektur und die Bedürfnisse des Bauherrn und der Mitarbeiter gleichberechtigt nebeneinanderstehen.
Vermutlich hat kaum je ein Leser dieses Artikels von Proportional-Wegeschiebern gehört – kleinen kompakten Bauteilen zur Steuerung hydraulischer Komponenten, die z. B. in Bau- und Werkzeugmaschinen, Kränen und Erdölbohrgeräten unerlässlich sind. Dass es sich hierbei um Präzisionsbauteile handelt, zeigen u. a. die Vorgaben des Hydraulikspezialisten HAWE, der bei der Fertigung lediglich Maßtoleranzen von maximal 0,002 mm zulässt. Allein angesichts dieses Werts erscheint es fast selbstverständlich, dass in dem in Kaufbeuren eigens und ausschließlich zur Produktion solcher Bauteile errichteten Werk funktional und räumlich absolut klar strukturierte Produktionsabläufe im Mittelpunkt stehen.
Bis zur Eröffnung des Neubaus im Sommer 2014 wurden die Proportional-Wegeschieber in einem Münchner Werk gefertigt, das wegen der in den letzten Jahren stetig steigenden Produktionszahlen zu klein wurde. Im Rahmen einer Analyse, bei der rund 200 bayerische Standorte in Gewerbegebieten im Umkreis von München untersucht wurden, erwies sich das Grundstück am östlichen Rand von Kaufbeuren als ideal. Direkt an der viel befahrenen B12 zwischen Landsberg am Lech und Kempten gelegen, bot es bei einem guten Kaufpreis die Aussicht sowohl auf ein rasch abgewickeltes Genehmigungsverfahren als auch auf ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte aus der Umgebung. Insbesondere jedoch war es groß genug – nicht nur für die heutige Produktion, sondern auch für potenzielle Erweiterungen.
Prozessoptimiert
Nach dem Kauf des Grundstücks lobte HAWE einen Architektenwettbewerb aus, der den teilnehmenden Büros zwar reichlich Informationen zu den Produktionsprozessen bot, dabei aber große Spielräume bei der Gestaltung der Produktionsgebäude ließ. Das letztlich siegreiche Konzept des Architekturbüros Barkow Leibinger überzeugte den Bauherrn von Beginn an durch das tiefe Verständnis für die Betriebsabläufe, das eine Vereinbarkeit von Produktion und Architektur ermöglichte: Auf der einen Seite finden sich vollkommen pragmatisch organisierte Produktionshallen mit effizientem Tragsystem, die unverkennbar ganz im Zeichen wirtschaftlicher und funktionaler Zwänge stehen; auf der anderen Seite kommen spannungsvolle Fassaden sowie das sorgfältig komponierte Zusammenspiel von Holz, Sichtbeton und Profilglas zum Einsatz, insbesondere in den Büro- und Aufenthaltsbereichen.
In einem Überarbeitungsprozess entwickelten Architekten und Bauherr gemeinsam aus dem Wettbewerbsbeitrag mit sieben Gebäuden das heutige Konzept der windmühlenartig um einen begrünten Innenhof angeordneten Produktionshallen. Von diesem geschützten Bereich ist von außen jedoch zunächst einmal nichts zu sehen. Was bei der Annäherung an das Werksgelände hingegen sofort auffällt, ist ein feinsinnig gestaltetes Gebäudeensemble. Dessen weithin sichtbares Charakteristikum sind mit transparenter Wärmedämmung gefüllte Profilglasfelder in Form stehender und an der unteren Ecke gekappter Dreiecke, die nahtlos in ein sich nach Norden öffnendes Sheddach übergehen. Im Wechsel mit großflächig in Aluminiumtrapezbleche gehüllten Fassaden tragen diese prägenden Großformen dazu bei, die bis zu 120 m langen Baukörper optisch zu gliedern. Zugleich sorgen sie für sehr gute Lichtverhältnisse im Innern der Hallen und ermöglichen dank der transparenten Glasfelder im unteren Bereich den Blickkontakt von fast jedem der derzeit rund 350 Arbeitsplätze ins Freie. Umgekehrt erhalten Passanten und Autofahrer auf der B12 durch diese Glasfelder v. a. am Abend, wenn die Hallen gleichsam wie riesige Schatzkästchen zu leuchten beginnen, Einblicke in die Produktion.
Besucher, die auf diese Weise beim Rundgang um die Hallen neugierig geworden sind, werden beim Betreten der Eingangshalle erneut überrascht. Hier herrscht nämlich keineswegs nüchterne Fabrikhallenatmosphäre. Vielmehr erscheint dieser leicht aus der Flucht der Produktionshalle gerückte, zweigeschossige Gebäudeteil mit raumhoher Verglasung, ausladendem Empfangstresen, Loungesesseln und skulpturaler Holzlamellenwandbekleidung wie eine Hotellobby. Im EG befinden sich temporäre Büroarbeitsplätze für externe Mitarbeiter, im OG liegen die Büros der Geschäftsleitung sowie Besprechungsbereiche.
Attraktivität und Flexibilität
Vom EG führt ein ganz in samtigem Sichtbeton und transluzentem Profilglas gehaltener Gang – vorbei am nördlichen Mitarbeitereingang – direkt in eine der vier, 8 m hohen Produktionshallen. Obwohl hier keineswegs nur montiert, sondern auch produziert wird, steigt einem lediglich ein leichter Geruch von Maschinenschmierstoffen in die Nase. Der Grund hierfür sind u. a. Anlagen, die unter Schutzabdeckungen vernebelte Kühlmittel absaugen, abscheiden und am Ende gesäuberte Luft entlassen. Eine wesentliche Rolle für die hohe Luftqualität spielt aber auch das Quelllüftungssystem, das für einen dreifachen Luftwechsel pro Schicht sorgt und im Winter (gespeist von einem Blockheizkraftwerk) die Beheizung der Halle übernimmt. Zur angenehmen Atmosphäre tragen zudem die relative Ruhe (sämtliche lärmemittierende Maschinen sind akustisch wirkungsvoll abgeschirmt) und das dank der Sheddächer hohe und blendfreie Tageslichtniveau bei. Energieeffizientes LED-Kunstlicht wird bedarfsweise mithilfe intelligenter Lichtsteuerungssysteme automatisch zugeschaltet.
Diese Arbeitsplatzqualitäten bilden eine Einheit mit den allgegenwärtigen ordnenden räumlichen Strukturen. So erfolgt die gesamte Versorgung der Maschinen und Arbeitsplätze u. a. mit Frischluft, Strom und Medien über die Decke, sodass der hochbelastbare und vollkommen leitungsfreie Boden vollkommen flexibel einteilbar bleibt und veränderte Produktionsabläufe jederzeit problemlos umsetzbar sind. Zur Flexibilität trägt nicht zuletzt auch das Betonfertigteil-Tragwerk bei, dessen Stützenraster (12 x 24 m) maximale Freiheit in der Grundrissgestaltung schafft. Aussparungen in den Betonbindern reduzieren dabei nicht nur das Gewicht und ermöglichen die Durchführung von deckengeführten Leitungen. Sie lassen auch das durch die Sheddächer einfallende Tageslicht bis tief in die Hallen strömen.
Treffpunkt in der Mitte
Grundsätzlich sind die hinsichtlich ihrer Abmessungen unterschiedlichen, strukturell aber identischen Hallen so angeordnet, dass die Produktion ausgehend von der Anlieferung der Rohmaterialien in der südlichen Halle über die Bohr- und Feinbearbeitung bis hin zur Endmontage und Auslieferung der fertigen Proportional-Wegeschieber im Uhrzeigersinn abläuft. Dazwischen ordneten die Architekten jeweils einen verbindenden Bereich an. Hier befinden sich Durchgänge zum Transport der teilbearbeiteten Werkstücke mittels personengeführter Routenzüge, v. a. aber dienende, unmittelbar der jeweiligen Hallennutzung zugeordnete Bereiche wie etwa Toiletten, Umkleiden, Materiallager, Werkstätten, Mess- und Technikräume sowie Büros und Besprechungsbereiche. Letztere orientieren sich insbesondere zum zentralen Innenhof, der zugleich das soziale Herz des Produktionsstandorts bildet – nicht zuletzt wegen der im 1. OG situierten Kantine. Die Innenhoffassaden erinnern dank der raumhohen Verglasung und der dunklen Blechbekleidung an den bereits erwähnten Eingangsbereich, und ähnlich wie das Eingangsgebäude versprüht auch der Innenhof einen geradezu urbanen Charme.
Es gelingt, den im Hof für kurze Pausen, informelle Gespräche oder zum Mittagessen aus den Industriehallen auf der »grünen Wiese« zusammenkommenden Mitarbeitern eine wirklich regenerative Auszeit zu verschaffen. Ein zur Umgebung orientierter Pausenbereich wäre im Gegensatz hierzu überdies nie in der Lage gewesen, die Belegschaft im gleichen Maße als Gemeinschaft zu zelebrieren.
Dass beim Produktionswerk in Kaufbeuren am Ende jedes Planungsdetail in irgendeiner Weise als Baustein dazu beiträgt, die Gesamtqualität zu heben, hat zum einen mit einem hohen architektonischen Anspruch zu tun, den HAWE auch an all seine anderen Firmenstandorte stellt. Zum anderen ist sich das Unternehmen aber auch bewusst, dass es als Hersteller von Präzisionsprodukten unerlässlich ist, den Begriff Qualität und eine gewisse Detailverliebtheit – für die Kunden gut sichtbar – auch in den Firmengebäuden fest zu verankern. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die Wirkung auf die derzeitigen und zukünftigen Mitarbeiter, die sich letztlich stets für den attraktivsten Arbeitgeber entscheiden.db, So., 2016.01.31
31. Januar 2016 Roland Pawlitschko
Schuhwerk
(SUBTITLE) Schuhmanufaktur in Ferrara (I
Erdbebensicher, erweiterungsfähig, rational gegliedert und höchst repräsentativ: Das 2014 fertiggestellte Manufakturgebäude bei Ferrara, in dem 250 Fachkräfte die Herrenschuhe und Leder-Accessoires der Luxusmarke Berluti fertigen, überzeugt unter allen Gesichtspunkten.
Äcker und Obstwiesen erstrecken sich bis zum Horizont, hier und da ragt ein Gehöft aus einer Baumgruppe, ansonsten gibt es nichts, das den Blick einfangen würde: Die Po-Ebene ist berühmt für ihre Fruchtbarkeit und ihre stolzen Stadtrepubliken, nicht für ihre abwechslungsreiche Landschaft. Umso herausfordernder ist es, in dieser Umgebung zu bauen – jedenfalls dann, wenn Architekt und Bauherr ein Gebäude schaffen wollen, das sich in der Landschaft behauptet, ohne ihren Charakter zu mißachten. Die Manifattura Berluti ist solch ein zurückhaltend vornehmes Gebäude.
Es steht recht allein auf weiter Flur. Allerdings dürfte der Standort, ein neu angelegter Gewerbepark am Ortsrand der Gemeinde Sant’Egidio, bald weitere Investoren anziehen. Nicht zuletzt die gute Verkehrsanbindung spricht dafür: Bis zur Autobahn Bologna/Ferrara sind es gerade mal zehn Minuten, Ferrara selbst liegt rund 6 km nördlich. Dort hatte Berluti zuvor produziert – in einem verwinkelten, innerstädtischen Gewerbebau, der den Anforderungen der Firma schon lange nicht mehr genügte. Zur Verbesserung der logistischen, technischen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen für die Produktion brauchte man mehr Raum. Zugleich wünschte man sich ein architektonisches Aushängeschild.
Kein Wunder, bei einem Bauherrn wie Bernard Arnault. Der Präsident des französischen Luxusgüterkonzerns Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH), zu dem auch die Herrenschuhmarke Berluti gehört, liebt Architektur von Welt – und scheut keine Kosten. Frank Gehrys 2014 fertiggestelltes Museum der Fondation Louis Vuitton in Paris ist das jüngste und eindrucksvollste Beispiel. Nun ging es im Falle von Berluti zwar nur um einen Produktionsbetrieb auf der grünen Wiese, aber auch hier war höchste Architekturqualität gefragt. Um den Planungsauftrag bewarben sich ein italienisches Team und das in Paris ansässige Büro von Philippe Barthélémy und Sylvia Griño. Dass letzteres den Zuschlag erhielt, hat wohl auch damit zu tun, dass die französischen Architekten bereits mehrfach für LVMH tätig gewesen waren. Ganz sicher überzeugte der Entwurf, weil er ein tiefes Verständnis sowohl für die produktionstechnischen als auch die ästhetischen Belange der Marke Berluti erkennen lässt.
Das im Jahre 1895 von dem italienischen Schuhmacher Alessandro Berluti in Paris gegründete Unternehmen vermarktet neben edlen Herrenschuhen inzwischen auch Leder-Accessoires und Kleidung. Zu der wohlhabenden und stilbewussten Kundschaft gehören Prominente wie Robert de Niro, Brian Ferry, Zinedine Zidane und Michael Jordan. Wie bei John Lobb in London oder Rudolf Scheer in Wien gibt es auch bei Berluti in Paris individuell gefertigte Maßschuhe zu kaufen. Darüber hinaus bietet die Firma ein exquisites Programm seriell produzierter Herrenschuhe. Markenzeichen des Hauses ist das in aufwendiger Handarbeit patinierte Oberleder. Diese »Berluti-Patina« haben Barthélémy und Griño zu einem Thema ihres Entwurfs gemacht. Auf jede weitere visuelle Reminiszenz an das Produkt oder den Produktionsprozess verzichteten sie jedoch und entsprachen damit einem Wunsch des Bauherrn.
Kommt Zeit, kommt Patina
»Keinesfalls sollte die Fabrik wie eine Fabrik aussehen«, sagt Philippe Barthélémy. Tatsächlich verrät der zweigeschossige Quader, der sich auf einer Grundfläche von rund 8 000 m² erhebt, kaum etwas von seiner Nutzung: Kein Schornstein überragt den Baukörper, kein technisches Aggregat zeigt sich, nicht mal der Markenname prangt auf dem Dach oder an der Fassade. Einzigen Anhaltspunkt bietet die unterschiedliche Gestaltung der Fronten. Nach Westen zur Straße hin, wo hinter der aus Metall, Glas und Zedernholz komponierten Fassade Büros, Konferenzräume und Designateliers angeordnet sind, präsentiert sich die Manufaktur als eleganter Verwaltungsbau. Dabei sorgt der Kontrast von breiten Metallfriesen und schmalen Fenster- und Holzflächen für einen harmonischen Ausgleich zwischen horizontaler und vertikaler Bewegung.
Die Flanken des Gebäudes öffnen sich im EG jeweils mit einer langen, von einem Brisesoleil beschatteten, Fensterfront zum Außenraum. Den übrigen Fassadenflächen sind Lattenroste vorgeblendet. Noch bestimmt der rötlich warme Ton des Zedernholzes, aus dem die Latten gefertigt wurden, das Fassadenbild; doch das wird sich mit der Zeit, wenn das Holz verwittert, ändern. Der Clou dabei: Weil die Latten aufgrund ihrer variierenden Querschnitte unterschiedlich dem Sonnenlicht und dem Regen ausgesetzt sind, wird die Holzbekleidung nicht gleichmäßig verwittern, sondern ein changierendes Kolorit annehmen – die Patina eben, von der bei Berluti so viel die Rede ist.
Im Vergleich zu den aufwendig gestalteten Fassaden an den Flanken und der Stirnseite wirkt die simple Wellblechbekleidung der rückwärtigen Gebäudeseite wie ein Provisorium. Und das ist sie auch. Die Ostwand, die sich bei Bedarf einfach demontieren lässt, ist die Nahtstelle für eine potenzielle Erweiterung der Produktionshalle.
Repräsentativ und produktiv
Gegenüber im Westen liegt hinter dem Haupteingang ein schmales, eingeschossiges Foyer, an das sich nahtlos die sogenannte Agora anschließt: ein gebäudehoher, lichtdurchfluteter Saal mit einem Dach aus ETFE-Membranen über einem scherengitterartig sich kreuzenden Gebälk. Foyer und Agora trennt lediglich ein offenes Regal, in dem hölzerne Schuhleisten ausliegen. Von der bei Berluti gepflegten Handwerkskunst künden auch die Seitenwände des Foyers, die mit Platten patinierten Leders bekleidet sind. Die Agora dient als Showroom, wird aber auch für Firmenfeiern und andere Veranstaltungen genutzt. Räumlich bildet sie die Schnittstelle zwischen den verschiedenen Sektionen des Betriebs. Wer sie vom Foyer aus betritt, hat den Büroriegel im Rücken. Links breitet sich auf zwei Geschossen die Prototypen-Abteilung aus, wo neue Schuhentwürfe gefertigt und zur Serienreife geführt werden. Rechts liegt die »Académie du Savoir-Faire«, in der Auszubildende das Schuhmacherhandwerk lernen. Geradeaus blickt man in den ersten von drei hintereinander gestaffelten Produktionssälen. Alle Werkstätten öffnen sich mit gläsernen Wänden zur Agora, die auf einen Gang stößt, der das Gebäude quert und gewissermaßen auch teilt. Vorn erstellen die Mitarbeiter Schriftstücke, Tabellen, Entwürfe, Modelle und Probestücke, hinten produzieren sie Schuhe für den Verkauf.
Die Produktionsräume können zwar nicht mit der gediegen-repräsentativen Qualität des vorderen Gebäudeteils aufwarten, doch dank heller und offener Räumlichkeiten ist die Atmosphäre auch hier angenehm. Dies gilt besonders für den ersten der drei Säle, wo das Oberleder ausgewählt, zugeschnitten und vernäht wird. Letzteres geschieht teils von Hand, teils mithilfe von Ledernähmaschinen. Deren gelegentliches Rattern klingt geradezu wie Musik in den Ohren im Vergleich zu dem Lärm, der im mittleren Saal herrscht. Der Krach dort rührt von den Schneidewerkzeugen und Nähmaschinen her, mit denen Sohlen gefertigt und mit den Oberteilen verbunden werden. Ruhiger geht es im dritten Saal zu, wo bis zu 80 Mitarbeiter an 24 Werkbänken sitzen und den Schuhen die ‧Berluti-Patina einschleifen und aufrubbeln. Die Tinkturen, die dabei verwendet werden, sehen schön aus, riechen aber zumeist übel. Deshalb ist jeder Arbeitsplatz mit einer Absaugvorrichtung ausgestattet.
Anders als in der »Patina-Abteilung« sind die Arbeitsplätze im mittleren Saal nicht fest installiert. Die Werkbänke und Maschinen lassen sich beliebig platzieren, ihre Konstellation richtet sich jeweils danach, welche Modelle in welchen Mengen zur Produktion anstehen. Die erforderliche räumliche Flexibilität für diese »schlanke Produktionsweise« erzwang die Anlage eines nicht durch Stützen oder (schallschluckende) Zwischenwände unterteilten Großraums. Dem Zweck der flexiblen Arbeitsorganisation dient auch der lange Erschließungsgang, der zwischen der Produktionsabteilung und dem gegenüberliegenden Lager verläuft. Hier begegnet man ständig Mitarbeitern, die Rollwagen vor sich her schieben, auf denen Schuhe oder Rohstoffe von einer Abteilung in die andere transportiert werden.
Die Fensterfronten, die jedem Mitarbeiter einen freien Ausblick gewähren, steigern die Aufenthaltsqualität in den Arbeitsräumen merklich. Ein gutes Raumgefühl vermitteln auch die mit Lattenrosten abgehängten Decken. Dahinter verbergen sich nicht nur Leitungen und Ventilationsrohre, sondern auch ungewöhnlich groß dimensionierte Stahlfachwerkträger. Sie verweisen auf eine Besonderheit der Tragwerkskonstruktion und Gründung des Gebäudes. Bei beidem war der Umstand zu berücksichtigen, dass die Provinz Ferrara zu den am stärksten von Erdbeben bedrohten Regionen Europas gehört. Die diesbezüglichen Bestimmungen wurden von vornherein auf elegante Weise in den Entwurf der Gesamtform integriert. Dies trägt neben vielen der anderen qualitätvollen Aspekte des Gebäudes dazu bei, dass die Manifattura Berluti nicht nur mit gelungenen Räumen für die Produktion glänzt, sondern darüber hinaus sogar das Bild der Landschaft bereichert.db, So., 2016.01.31
31. Januar 2016 Klaus Meyer