Editorial
Bauten für die Wissensvermittlung jeglicher Art sind Thema dieser Ausgabe - darunter Institute und Hörsäle von Hochschulen, eine Stadtbibliothek, ein Gebäude der Katalanischen Wirtschaftskammer mit verschiedenen Seminar- und Vortragssälen sowie eine Kunsthochschule. Einrichtungen der studentischen und der beruflichen Bildung und Weiterbildung. Gebäude, an die besondere bauliche und städtebauliche Anforderungen gestellt werden, und die nicht selten mit geringem Budget realisiert werden müssen. | Ulrike Kunkel
Der vertikal verlängerte Platz
(SUBTITLE) Katalanische Wirtschaftskammer in Barcelona (E)
Das neue Seminargebäude der katalanischen Wirtschaftskammer hat eine für viele Barcelonesen sentimental besetzte Ecke so unterkühlt wie hochherzig in Beschlag genommen. Die großflächig verglasten Foyers der übereinander gestapelten Seminarräume bilden »vertikale Plätze«, die den aufgeweiteten Stadtraum vor dem Haus gewissermaßen ins Gebäudeinnere fortführen. Dank dieses Klimapuffers und des kompakten Baukörpers gelingt es den Architekten zudem, den Energiebedarf des Gebäudes stark zu reduzieren.
Für die einen bedeutet »Bildung« das reine Ansammeln von Faktenwissen, für die anderen bezeichnet der Begriff eine glückhafte Verbindung von allseitiger Offenheit und der Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und nutzbar zu machen. Für Letztere haben die Architekten Roldán + Berengué mit ihrem Neubau für die Wirtschaftskammer einen Ort geschaffen, der nicht einfach nur einen weiteren Stadtbaustein darstellt, sondern durchlässige Räume bildet, die das öffentliche Leben einsaugen, reflektieren und auch in dieses hinauswirken.
Anknüpfungspunkte und Verbindungen, v. a. historischer Art, gibt es einige: Der Platz, dessen nördliches Ende das Seminar- und Verwaltungsgebäude belegt, ist nach Galla Placidia, der letzten römischen Kaiserin benannt. In ihrem bewegten Leben bekam sie es zwischen ihrer Geburtsstadt Konstantinopel und Spanien mit Goten und Hunnen zu tun. Im Jahr 414 brachte sie, entführt und zwangsverheiratet, in Barcelona ein Kind des Westgotenkönigs Athaulf zur Welt. Daher die ehrenhafte Benennung des Platzes, den man im Grunde als eine, wenn auch beträchtliche, Aufweitung der Via Augusta ansehen kann, die ihrerseits wiederum auf das römische Straßennetz verweist.
Viele Barcelonesen hatten zu diesem Winkel in der oberen Stadtmitte, zwischen den Quartieren Gràcia und Sant Gervasi, eine sentimentale Beziehung: Hier befand sich innerhalb einer alten Industriestruktur ein kleiner Rummelplatz – sein Karussell unter dem Namen El Caspolino war stadtbekannt. Dem trägt der Neubau im Eingangsbereich mit Druckmotiven auf den Glasfassaden Rechnung, deren Vokabular zwar den Wirtschaftswissenschaften entliehen ist, aber zugleich auch die Pferdchen des alten Karussells diskret nachbildet. Ähnlich gestaltet sind die Sonnenschutzaufdrucke der Verglasungen in den OGs, wo Texte zu dekorativen Streifen zusammengebunden sind und – so heißt es – die Hälfte des einfallenden Sonnenlichts reflektieren.
Vom obersten Stockwerk mit prachtvoller Aussicht aus reicht der Blick auf der einen Seite zu Bofills umstrittenem Segel des Hotel W vor dem Meereshorizont, auf der anderen zu Fosters Kommunikationsturm hoch oben auf der Serra de Collserola. Zu Füßen breitet sich eine zum reinen Fußgängerbereich umgestaltete Fläche von 150 x 45 m aus.
Schmal, aber weit
Von dem schmalen, 380 m² messenden Grundstück nimmt sich das ebenso unterkühlt wie hochherzig auftretende Gebäude 32 m entlang der Platzkante und gerade einmal 10,5 m in der Tiefe. Von außen präsentiert es sich als von Vertikalen geprägter Abschluss des Platzes; seitlich – an der Via Augusta – gibt es sich bis auf einen verglasten Streifen hermetisch. Die Geschosseinteilung wird dabei verschleiert, indem eine übergeordnete Geometrie mit nach oben hin zunehmenden Höhen von etwa 4, dann 7 und schließlich 13 m mitunter zwei Geschosse zusammengefasst und somit eine scheinbare Dreistöckigkeit erzeugt. Dieses Spiel mit den Fassadenflächen thematisiert den Übergang vom durchschnittlich dreigeschossig bebauten Viertel Gràcia in das wesentlich höher aufragende Viertel Sant Gervasi, den der Platz markiert. Der schmale Bereich über dem EG ist vom Mehrzwecksaal belegt, im mittleren Bereich sind die Seminarräume versammelt und hinter den fast turmartig aufragenden Stufen ganz oben befinden sich kleinere Räume und die Verwaltung.
Das Innere ist v. a. von Holzoberflächen geprägt und wird dadurch zu einer Art städtischem Wohnzimmer. Durch die Mischung edlerer mit sehr günstigen Materialien und z. T. vorfabrizierten Elementen konnte man im Kostenrahmen bleiben. Erstaunlich ist, auf wie einfache Weise – übrigens durchweg mit marktgängigen Materialien und Objekten ausgestattet – ein solches Kleinod ein anderes, dem viele Barcelonesen nachtrauerten, würdig ersetzen kann.
Es finden sich subtile Details wie z. B. die seitlich zwischen den Gebäudestützen eingelassenen Sitznischen des Auditoriums im 1. UG, deren modisch abgeschrägte Holzvertäfelung den Blick aufs Podium erweitert.
Kaum prägnanter hätte die Trennung zwischen den Schulungsräumen und den vorgelagerten Vestibülen mit hölzernen, in den Pausen weit zu öffnenden Zwischenwänden ausfallen können. Der massive Wechsel von den hermetisch wirkenden, ganz in Weiß gehaltenen Seminarräumen zu den warmtonigen, sonnendurchfluteten Flurzonen muss jedem Seminaristen wie eine Offenbarung vorkommen.
Mit dieser längsseitigen Zweiteilung wurden auf allen sechs Geschossen sich wiederholende Räume geschaffen. Die kommunikativen Flure dienen dabei als klimatische und akustische Pufferzonen. Man darf sie getrost als Balkone ansehen. Sie liegen zwar hinter der doppelten, das Klima kontrollierenden und – zumindest rechnerisch – fast drei Viertel der eingestrahlten Energie abwehrenden Glasfassade, nehmen zum Platz aber dennoch eine symbiotische Beziehung auf, quasi als dessen vertikale Verlängerung. Ein Vergleich mit den Terrassen japanischer Tempel erscheint nicht abwegig. Japanische Einflüsse, etwa die in Tatami-Manier ausgelegten keramischen Bodenbeläge, werden weder verleugnet noch hochgespielt. Die stützenfreien Geschosse sind wie Räume eines japanischen Hauses frei konfigurierbar gedacht. Auch die Verwandtschaft der bedruckten Gläser mit Papierwänden darf man anerkennen, wenngleich sie eher einer Neuinterpreation altbekannter Brise-Soleils gleichkommen, wie sie traditionell zum Bild Barcelonas gehören. Die Architektin Mercè Berengué meint dazu: »Das Lattenfenster ist Buchstabe geworden.«
Trotz der beengten Verhältnisse nimmt das Gebäude von den rückseitig angrenzenden Bauten etwa einen Meter Abstand. Große Teile der Innenräume lassen sich somit beidseitig belüften und von Norden her belichten. Fenster zu den Nachbargebäuden und zu einem Innenhof hin erlauben ein Minimum an Licht in den unteren Stockwerken, ausreichend davon in den vom Platz abgewandt liegenden Räumen und in den obersten beiden Geschossen. Durch den kompakten Baukörper, die großen Glasflächen der Doppelfassade und den Sonnenschutz erhofft man sich eine Energieeinsparung von 45 % gegenüber dem spanischen Standard.
Tagsüber reflektiert das Glas der Fassaden den Himmel und das Treiben auf dem Platz, nachts wird es durchsichtig und das Gebäude nimmt den Charakter eines Setzkastens an. Mit seiner Offenheit und der Art, wie es je nach Beleuchtung von seinem Innenleben erzählt, bietet das Gebäude den Nutzern die Gelegenheit, nicht nur physikalisch ihren Blick in die Stadt hinein zu weiten, sondern auch ihre Gedanken aus der Innensicht in die Außenwelt zu übertragen.
Mit diesem Werk haben die Architekten bereits eine ganze Reihe regionaler und auch internationaler Preise eingeheimst – angesichts der Vielzahl guter Ideen und der hochästhetischen Gestaltung völlig zu Recht.db, So., 2015.01.18
18. Januar 2015 Markus Jakob
Stadt in der Stadt
(SUBTITLE) Ein Ehemaliges Industrie-Areal in Zürich wird zum Hochschulstandort
Der Koloss der früheren Toni-Molkerei im Züricher Industriequartier ist zu einem hybriden Gebilde umgebaut worden, das neben 100 Mietwohnungen auch eine der größten Kunsthochschulen Europas sowie Fachbereiche der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften beherbergt. Gibt sich der Bau nach außen eher hermetisch, so besteht das Konzept einer »inneren« Stadt den Praxistest und überzeugt in hohem Maße.
1977 eröffnete im Westen Zürichs die größte Molkerei Europas. Unter dem Namen »Toni« verarbeitete die Milchwirtschaft des Schweizer Mittellands hier ihren Rohstoff zu Milchpulver, Joghurt und Käse. Die Dimensionen des mit Trapezblech bekleideten Kolosses waren enorm: 1 Mio. Liter Milch pro Tag wurden verarbeitet, und auf einer spiralförmigen Rampenspindel konnten Autos bis auf das Dach fahren. Überproduktion und Zusammenlegungen mit anderen Molkereien führten allerdings sukzessive in die Krise: Zunächst wurde die Produktion nach Ostermundigen bei Bern ausgelagert, dann ging Swiss Dairy Food, wie Toni inzwischen firmierte, in Konkurs. Aus der Toni-Molkerei wurde damit das Toni-Areal – eine Industriebrache, die der neuen Entwicklung harrte. 12000 t Stahl und 75 000 m³ Beton waren in den 70er Jahren in die Struktur verbaut worden. Ein Abriss kam aus Kostengründen nicht infrage, und weil niemand zunächst eine zündende Idee hatte, was mit der quartiersbeherrschenden Hinterlassenschaft anzufangen wäre, setzte zunächst eine informelle Zwischennutzung ein: Die in der Ruine eingenisteten Clubs, Rohstofflager, Toni-Molkerei und Dachkantine zählten in den Nullerjahren zu den Fixpunkten des Züricher Partylebens. Aus der Konkursmasse von Swiss Dairy Food war die Milchkathedrale inzwischen in den Besitz der Zürcher Kantonalbank übergegangen. Der zunächst in Erwägung gezogene Umbau zu Büroflächen blieb wegen der sinkenden Nachfrage nach Büros und der dadurch fallenden Mietpreise unrealisiert. Hinzu kam, dass weitere Büroflächen im Entwicklungsgebiet Zürich-West – zumindest aus städtischer Sicht – kaum zur dringend ersehnten Belebung beigetragen hätten.
Zwei Hochschulen, ein Standort
Eine Machbarkeitsstudie ebnete den Weg zum Umbau des Toni-Kolosses in einen Hochschulstandort. Hintergrund war die zur Anpassung an den Bologna-Prozess eingeleitete Neuordnung der Züricher Fachhochschullandschaft. So entschloss man sich, die aus dem Zusammenschluss der Hochschule für Musik und Theater sowie der Hochschule für Gestaltung und Kunst hervorgegangene Züricher Hochschule der Künste (ZHdK), die bislang auf 37 Standorte verteilt war, im Toni-Areal zu konzentrieren; als Satelliten erhalten blieben lediglich das Museum für Gestaltung, das Museum Bellerive und das Theater der Künste an der Gessnerallee. Und weil Raumbedarfsanlaysen ergaben, dass im Toni-Areal noch etwas Platz blieb, kamen zwei Studiengänge der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hinzu: der für Soziale Arbeit und der für Angewandte Psychologie. Die Berührungspunkte zwischen ZHdK und ZHAW dürften nicht allzu vielgestaltig sein, aber die Stichworte Konzentration und Synergie genügten zu dieser Zeit schon, um neue Investitionen zu legitimieren, mit denen andere Investitionen zu reduzieren seien. 2005 beschloss der Züricher Regierungsrat die Hochschullösung für das Toni-Areal, und noch im gleichen Jahr wurde ein Studienauftrag unter sieben Architekturbüros lanciert. Das 2006 zur Ausführung bestimmte Projekt stammte vom ortsansässigen Büro EM2N.
Acht Jahre später, zum Wintersemester 2014, wurde der neue Kunstcampus in Betrieb genommen, was für Schweizer Verhältnisse und angesichts der Dimensionen des Projekts durchaus akzeptabel anmutet. Aber die Fertigstellung verzögerte sich trotz Baubeginn 2008 mehrfach – zunächst weil die Clubbetreiber eine längere Dauer der Zwischennutzung erwirken konnten, und später weil die Komplexität des Gesamtprojekts alle Beteiligten an ihre Grenzen brachte. Spricht man über die Beteiligten, so ist zunächst das Gesamtfinanzierungsmodell erklärungsbedürftig.
Auch wenn es sich bei der ZHdK und der ZHAW, die den Großteil des Volumens beanspruchen, um staatliche Hochschulen handelt, trat der Kanton Zürich hier nicht als Bauherr auf, sondern als Nutzer. Für die Finanzierung und Umsetzung des Projekts zeichnete die, zudem als Generalunternehmer fungierende Allreal verantwortlich, die das Toni-Areal Ende 2007 von der Züricher Kantonalbank erwarb und damit zur Eigentümerin der Liegenschaft wurde. 547 Mio. CHF will die Allreal als Baukosten investiert haben, 228 Mio. steuerte der Kanton einmalig für Innenausbau und Ausstattung bei. Zudem wurde ein Vertrag über 20 Jahre geschlossen, demzufolge der Kanton jährlich 15,2 Mio. Nettomiete an Allreal zahlt. Um das Ganze noch attraktiver zu machen, umfasste das Bauprogramm auch 100 Mietwohnungen, für die der zur Pfingstweidstrasse hin orientierte zwölfgeschossige Hochbauteil des Bestands um weitere zehn Geschosse aufgestockt wurde und nun eine Höhe von 75 m erreicht.
Von suburbanem Geist geprägtes Umfeld
Mit Mietpreisen zwischen etwa 3 000 und 7 000 CHF pro Monat wird jene Zielgruppe anvisiert, die auch die in den letzten Jahren ringsum aus dem Boden geschossenen Hochhäuser besiedeln soll: Menschen, die sich problemlos auch ein Domizil am gediegenen Zürichberg leisten könnten, aber dennoch das Industriequartier bevorzugen. Dieses besitzt zwar den von Marketingstrategen ohne Unterlass beschworenen Nimbus des Trendquartiers, doch die wirklich trendigen Clubs muss man mittlerweile suchen, die angesagten Orte finden sich in anderen Teilen der Stadt. Hochhäusern und Bauboom zum Trotz: der Westen Zürichs entlang der Ausfallachse Pfingstweidstraße ist eine öde Gegend und – trotz zum Teil herausragender Architektur wie dem Zölly-Hochhaus von Meili, Peter Architekten – ein Desaster, ja eine Bankrotterklärung der Stadtplanung. Die einzelnen Bauten wirken wie abgestellt, weil eine konsistente Freiraumplanung nicht existiert. Baulich wird mit einer Phalanx von Hochhäusern Dichte suggeriert, doch wer sich auf Bodenniveau bewegt, durchquert eine Pseudo-Parklandschaft von suburbanem Geist: Abstandsgrün allerorten, bemüht gestaltet – jeder Schrebergarten, der am Rand des Gleisfelds einst bestand, trug mehr zur Belebung des Quartiers bei als die heutige Mischung aus Teermeer und Begrünungskrampf.
Dass seit jüngstem 3 600 Studierende und 1 650 Lehrende und Mitarbeitende das Quartier bevölkern, ist gleichsam ein Geschenk für das Entwicklungsgebiet im Zürcher Westen. Doch die tatsächliche Verzahnung mit dem Umfeld lässt Fragen offen. Auf der Seite der Pfingstweidstraße führt eine Rampe hinauf zum Haupteingang und zur zentralen Halle der Hochschulen. Von der Tramhaltestelle aus kann man in das Gebäude hineinschlüpfen, doch allein mit dem Taxi vorzufahren ist unmöglich. Nicht besser ist es auf der Nordseite: Die weit ausgreifenden Rampenspindeln, die früher den Lkw dienten, wirken zwar als große Geste, sind aber durch Poller abgesperrt und harren einer Nutzung. Vielleicht gilt es, bis zum Frühjahr zu warten ...
Offen für alle(s)
Man mag über die gewellte und perforierte Streckmetallhaut, die das gesamte Gebäude umhüllt, streiten: sie soll an die industrielle Vergangenheit der Toni-Molkerei erinnern und wirkt doch mit ihrem gräulich-generischen Charakter zumindest aus der Ferne wenig anziehend, erst recht nicht nach Kunstschule und visionärem Inkubator.
Doch die Struktur des inneren Aufbaus, die EM2N schon im Wettbewerb vorgeschlagen hatten, überzeugt. Die Rampe von der Pfingstweidstraße führt hinauf zur zentralen Halle, die sich an der Schnittstelle zwischen Hoch- und Flachbau befindet und mit einer Länge von 90 m das Volumen in seiner Breite durchsticht. Es ist der zentrale Verteilerraum des Gebäudes, und, bestückt mit Holzmöbeln, auch sein informelles Foyer. Café und Mensa schließen sich an, rechts – im Sockel des Hochbaus – gelangt man zum Ausstellungsbereich des Museums für Gestaltung und zum Schaudepot, links schließen sich zwei große Auditorien an. Unterhalb der Betondecke sind die Leitungen offen geführt; der experimentelle Charakter wird hier sichtbar wie sonst nur an wenigen Stellen. Denn die bis auf jeden Quadratmeter durchgeplante Nutzung des Gebäudes lässt kaum noch erahnen, dass es sich im Grunde um ein bestehendes Tragwerk handelt. Zahlreiche Zwischendecken, die in das Betonskelett gesägten fünf Innenhöfe, die Aufstockungen und die Streckmetallhülle haben jegliche Rauheit abgeschliffen.
EM2N, die ja selbst von der niederländischen Architektur der 90er Jahre inspiriert sind, konnten unter Schweizer Bedingungen in ihrem hybriden Gebilde selbstredend nicht jenes radikale Resultat erzielen, das man sich vielleicht gewünscht hätte: eine parasitäre Eroberung einer bestehenden Struktur.
Von der Halle aus führt die »Kaskade« diagonal durch den Flachbau, in dem die ZHdK untergebracht ist. Eine breite Treppenanlage bildet gleichsam das Rückgrat, das die Ebenen miteinander verbindet und bis zum Konzertsaal hinaufführt, der sich auf dem Niveau des Dachs befindet. Da es EM2N gelungen ist, die Fluchtwege so zu organisieren, dass sie nicht über die Kaskade verlaufen, ist diese weit mehr als nur Erschließung: Sie bietet Orientierung in einem mit seinen ungefähr 1 500 Räumen tendenziell unübersichtlichen Gebäude, und sie kann überdies für Aufführungen oder Ausstellungen genutzt werden. Schließlich handelt es sich um die zum Flanieren einladende Promenade in der inneren »Stadt«, wie die Architekten ihr Gebäude verstehen. Und wie Städte aus repräsentativen Bauten und Alltäglichem bestehen, so differenzieren EM2N zwischen einfachen Räumen wie den Werkstätten und Übungsräumen, die sich unter anderem auch in den Tiefen der Kellergeschosse befinden, und den »Perlen«, also den Sondernutzungen mit öffentlicheren Funktionen: der Konzertsaal, ein mit Orgel ausgestatteter Kammermusiksaal mit schwarzen bubbleartigen Wandverkleidungen, ein Studiokino, ein Jazzclub, aber auch die › › geräumige Bibliothek, die sich im Hochbau befindet. Die ebenfalls in diesem Bauteil angesiedelten Fachbereiche der ZHAW werden durch eine kleinere Kaskade erschlossen, in diesem Fall ein Treppenschacht von piranesiartig anmutenden Charakter.
Die Stadt, die EM2N in die Tragstruktur der Toni-Molkerei integriert haben, besitzt auch Parks. In den Innenhöfen, die zur Belichtung unabdingbar sind, v. a. aber auf dem Dach des Flachbaus. Hier hat das Büro Studio Vulkan eine grandiose, fast dschungelartig wirkende Landschaft aus Pflanzkästen entstehen lassen, die – und das ist das Beste – allen offen steht, den Studierenden, den Lehrenden, aber auch den Besuchern. So wie sich auch jeder frei durch die Hallen, die Korridore und die Kaskaden bewegen kann. Mit 600 Veranstaltungen im Jahr ist irgendwo auch immer etwas los. Hier ist sie wirklich entstanden, die lebendige Stadt, die man in der Umgebung vermisst.db, So., 2015.01.18
18. Januar 2015 Hubertus Adam