Editorial

Als wir vor knapp drei Jahren mit unserem Heft «Minergie und mehr» (TEC21 47/2011) Licht und Übersicht in den Label-Dschungel zu bringen versuchten, zeichnete sich der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) als weiterer Zuwachs bereits am Horizont ab. Sinn mache ein neues Label bzw. ein neuer Standard nur, wenn er keine weitere Neuschöpfung sei, sondern etablierte Ansätze einbinde und zeitgemäss weiterentwickle, urteilten damals Holger Wallbaum und Regina Hardziewski von der ETH-Professur für Nachhaltiges Bauen.

Genau das waren auch die Prämissen bei der Entwicklung des Standards, der letzten Juni auf den Markt kam und dessen Pilotphase diesen Juni abgeschlossen wird. Hinzu kam ein weiterer Anspruch, der den neuen Standard von anderen Instrumenten abhebt: Das kompakte und kostenlos verfügbare Tool soll eine möglichst breite Anwendung begünstigen. Die Erfahrungen aus den Pilotprojekten zeigen, dass das zumindest teil­weise realistisch zu sein scheint.

Die geplante Weiterentwicklung des Standards zum Label und damit der Wechsel von der Selbst­bewertung zur extern überprüften und mit Zertifikat belegten Bewertung würde diesen ­Vorteil jedoch zunichte machen, denn ein Label wäre wesentlich aufwendiger und teurer. Zwar soll der Standard weiterhin parallel existieren – doch ob das funk­tioniert, ist fraglich.

Claudia Carle

Inhalt

07 WETTBEWERBE
Die kürzeste Schrägseilbrücke der Schweiz

13 PANORAMA
Basels neues Hochhaus auf festem Grund | Lüftungen ­energetisch optimieren | Seefahrt auf dem Trockenen

20 VITRINE
Leuchtende Innovationen

22 AUF DEM WEG ZUR BIRDIREKTIONALEN STROMVERSORGUNG
Dialog mit den Mitgliedern | Veränderten Bedürfnissen planerisch entsprechen

28 EIN NEUER STANDARD FÜR NACHHALTIGES BAUEN
28 WAS WILL DER NEUE?
Claudia Carle
Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz ist ein Instrument unter vielen – er könnte aber mehr bewirken.

30 «BODY-MASS-INDEX FÜR GEBÄUDE»
Claudia Carle, Nina Egger
Wie der Standard die hoch gesteckten Ziele erreichen soll, erläutern die beiden Projektleiter.

34 ERSTE ERFAHRUNGEN
Die Pilotprojekte zeigen, wo der Standard den Planern Vorteile bringt bzw. wo die Entwickler noch nachbessern müssen.

38 BRAUCHT ES EIN LABEL?
Silvio Giroud, Andrea Wittel
Die Weiterentwicklung des SNBS zum Label ist umstritten.

AUSKLANG
40 STELLENINSERATE

53 IMPRESSUM

54 UNVORHERGESEHENES

Braucht es ein Label?

Neben dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz soll es bald auch ein entsprechendes Label geben. Ob das sinnvoll ist, ist umstritten. Wir lassen einen Befürworter und eine Gegnerin zu Wort kommen.

Pro

Der neue Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) bietet eine zeitgemässe Definition, was nachhaltiges Bauen in der Schweiz zukünftig sein soll. Sogar bisher vernachlässigte Themen wie die Artenvielfalt in den Aussenräumen werden darin berücksichtigt und mit Planungshinweisen verbunden. Diese umfassende Betrachtung von Nachhaltigkeit stellt eine gute Balance zwischen den Bereichen Umwelt – auf den sich Gebäudezertifizierungen bisher mehrheitlich konzentriert haben –, Wirtschaft und Gesellschaft sicher.

Nicht zuletzt ist der SNBS eine Erfolgsgeschichte, weil viele Akteure der Immobilien- und Baubranche, die öffentliche Hand, die Wissenschaft sowie die Wirtschaft (Investoren) an der Definition des Standards mitgearbeitet haben.

Das ist aber nur der halbe Weg. Eine umfangreiche Berücksichtigung der Nachhaltigkeit erfordert Investitionen. Diese zahlen sich wirtschaftlich durch einen langfristigen Mehrwert für das Projekt aus. Die Nachhaltigkeit eines Objekts wird aber deutlich stärker wahrgenommen, wenn sie mit einem Label zertifiziert ist. Deshalb muss der SNBS auch als Label zum Einsatz kommen. Der Standard SNBS legt die Kriterien fest, das Label hingegen das konkrete Anforderungslevel, sprich den «State of the Art». Dieses soll eine echte Antriebskraft darstellen, damit die Branche sich nicht nur mit Analysen zufrieden gibt, sondern mit der konkreten Umsetzung des nachhaltigen Bauens. Insbesondere soll die Schaffung eines Labels eine klare Kommunikation und Vergleichbarkeit der Projekte in diesem Bereich gewährleisten. Nur so kann die Vision des SNBS, diese fortschrittliche schweizerische Definition der Nachhaltigkeit, konkret zum Einsatz kommen!

Contra

Brauchen wir ein weiteres Element im ohnehin schon unübersichtlichen Labelwald, um Gebäude nachhaltiger planen, bauen und betreiben zu können? Der Standard unterstützt Bauherren, Investoren und Planer in ihrer täglichen Arbeit. Er leitet sie auf dem Weg zu einem nachhaltigen Gebäude, ohne einen unverhältnismässigen Aufwand für Dokumentation, Prüfung, Zertifizierung usw. zu generieren – in zeitlicher wie auch finanzieller Hinsicht.

Ein Label – egal wie schlank ausgelegt – impliziert hingegen einen nicht unerheblichen Aufwand für die Dokumentation, ohne die Gebäude nicht prüf- und somit bewertbar sind. Eine der Prämissen für die Entwicklung des SNBS war, dass er «kurz und einfach sein soll». Er kann daher, obwohl er alle Dimensionen des nachhaltigen Bauens umfasst und Zielwerte vorgibt, mit überschaubarem Aufwand angewandt werden und eine nutzbringende Bewertung liefern. Er zeigt auf, wo ein Gebäude – egal ob Neubau oder Bestand – Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung hat und wo Zielkonflikte entstehen.

Das ist es, was wir brauchen: ein Planungs- und Steuerungsinstrument, das als solches verstanden und genutzt wird. Eines, mit dem man über alle Phasen die Entwicklung des Projekts mess- und vergleichbar nachverfolgen und somit die Qualität sichern kann. Mit dem SNBS kann zudem auch ein bestehendes Gebäude überprüft und dessen Entwicklung entsprechend gesteuert werden. Wenn der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz so verstanden und weiterentwickelt wird, hat die Schweiz mehr, als ein Label je erreichen kann.

TEC21, Fr., 2014.05.09

09. Mai 2014 Andrea Wittel, Silvio Giroud

Was will der Neue?

Bei der Vielzahl an Beurteilungsinstrumenten für nachhaltiges Bauen ist es schwer, den Überblick zu behalten. Trotzdem wurde mit dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz ein weiteres Element hinzugefügt – wird es umgesetzt wie geplant, könnte es aber mehr bewirken als andere.

Für die Erarbeitung des neuen Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) hat sich ein grosser Teil der Schweizer Akteure im Bereich des nachhaltigen Bauens an einen Tisch gesetzt. Gemeinsam hat man definiert, wie sich die Nachhaltigkeit eines Gebäudes bewerten lässt – eine gute Voraussetzung, um das wichtigste Ziel des Standards zu erreichen: eine breite Anwendung.

Alle bisher bestehenden internationalen und nationalen Instrumente werden entweder nur bei wenigen Gebäuden angewendet oder bewerten lediglich einzelne Aspekte der Nachhaltigkeit, sodass der Optimierungseffekt gering ist (vgl. TEC21 47/2011 «Minergie und mehr»). Der SNBS könnte durch sein niederschwelliges Angebot eine grössere Wirkung erreichen: Das Tool ist gratis verfügbar, relativ einfach und kompakt, umfasst aber alle wesentlichen Aspekte der Nachhaltigkeit (vgl. Interview S. 30). So können sich auch Planer und Bauherrschaften von kleineren Projekten mit vertretbarem finanziellem und zeitlichem Aufwand einen Überblick verschaffen, wo ihr Projekt steht und wie es sich optimieren lässt. Bis zu einem gewissen Grad geschieht das zwar bereits.

Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite zu beurteilen ist jedoch anspruchsvoll. Daher haben an der Erarbeitung des SNBS Fachleute aus den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt mitgewirkt. Erleichtert wird seine Anwendung dadurch, dass viele bereits bestehende Instrumente und Hilfsmittel integriert wurden und die erforderlichen Berechnungen und Nachweise oft beinahe unverändert für den SNBS verwendet werden können (vgl. «SNBS nutzt Synergien» auf espazium.ch). Nur bisher fehlende und aus Schweizer Sicht wichtige Elemente wurden ergänzt, etwa die Themen Biodiversität und Landschaftszersiedlung, die Handelbarkeit einer Immobilie oder der Umgang mit dem Ort. Der Standard lässt sich sowohl bei neuen als auch bei bestehenden Gebäuden anwenden, derzeit für die Nutzungsarten Wohnen und Büro/Verwaltung.

Nach seiner Lancierung im Juni 2013 wurde eine Pilotphase gestartet. Im Lauf dieses Jahres wird entschieden, ob und wie der Standard aufgrund der gewonnenen Erfahrungen (vgl. Artikel S. 34) optimiert wird. Ab ca. Anfang 2015 soll ausserdem ergänzend ein Label erarbeitet werden (vgl. Kasten links und Artikel S. 38). Ob das sinnvoll ist, ist fraglich, denn vermutlich wären dann die Vorteile des Standards dahin und das Label ähnlich aufwendig und teuer wie andere. Wichtig für alle weiteren Entwicklungen ist zudem die Sicherung der Finanzierung. Bisher wurde sie grösstenteils vom Bundesamt für Energie (BFE) getragen. Vom Erfolg der derzeit laufenden Diskussionen zur finanziellen Zukunft wird laut Joe Luthiger, Geschäftsführer des Netzwerks Nachhaltiges Bauen, abhängen, wie viel Aufwand für die weitere Optimierung betrieben und ob der Standard weiterhin gratis angeboten werden kann.

TEC21, Fr., 2014.05.09

09. Mai 2014 Claudia Carle

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