Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Wir feiern das 140-jährige Bestehen unserer Zeitschrift, die 1874 unter dem Namen «Die Eisenbahn» das Licht der Welt erblickt hat und seither als «Schweizerische Bauzeitung», «si a» und schliesslich «TEC21» über das Baugeschehen in der Schweiz berichtet. Wir sind stolz, eine solche Tradition weiterführen zu dürfen!

Trotz beachtlicher Ahnengalerie hat sich TEC21 stets erneuert. Wir haben den runden Geburtstag zum Anlass genommen, um die Lehren aus der letztjährigen Leserbefragung und unserer kritischen Selbstbetrachtung umzusetzen. Ab dieser Ausgabe präsentiert sich TEC21 grafisch und inhaltlich aufgefrischt. Unter «Aktuell» sind alle Rubriken mit Nachrichtencharakter versammelt: die Wettbewerbe, das Panorama mit Neuigkeiten aus der Baubranche, die SIA-Seiten, die Vitrine mit News aus der Bauindustrie und der Veranstaltungskalender. Im zweiten Teil des Hefts finden Sie ausführliche Artikel zu einem Thema, das der jeweiligen Ausgabe den Titel gibt. Den Ausklang bilden der Stellenmarkt und die neue Rubrik «Unvorhergesehenes», ein persönlicher Schlusspunkt der Redaktorinnen und Redaktoren.

TEC21 bleibt eine interdisziplinäre Fachzeitschrift für Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt – von Fachleuten für Fachleute geschrieben, zeit­gemäss und seriös. Etwas pointierter wird sie dennoch. Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Entdecken und freuen uns auf Ihre Reaktionen!

Inhalt

05 WETTBEWERBE
In grosse Fussstapfen treten / Aufbruchstimmung im Kulturzentrum / Ein Haus für den Rest

24 PANORAMA

27 BEWEGTE JAHRE / Entwurf Struktur Erfahrungen / Der Bauplan – Werkzeug des Architekten / Gefährliche Pracht / Gründächer fördern Insekten / Aus unserem Bücherregal

43 VITRINE
Neuer Wein in neuen Schläuchen / Swissbau 2014 – Firmen, Stände und Produkte / Neues aus der Bauindustrie

59 AUSZEICHNUNGSFEIER UMSICHT 2013 / «Wir müssen von kleinräumigen Strukturen weg­kommen» / Neue Wettbewerbsdatenbank «Konkurado»

67 VERANSTALTUNGEN
Neubau Messe Basel

70 EIN GIGANT BREITET SICH AUS
Tina Cieslik
Prestige, Macht, Geld – eine Projektgeschichte.

76 VIRTUOS UND UNERTRÄGLICH
Martin Tschanz
Ein Vorzeigeobjekt im falschen Quartier.

82 HAUTE COUTURE
Markus Schmid
Virtuell errechnet, manuell hergestellt: die Fassade.

84 EINGESCHRIEBENES TRAGWERK
Clementine van Rooden
Eine Tragkonstruktion für die Statik, eine zusätzliche für die Form.

90 LUXUS BRENNT ANDERS
Jörg Kasburg, Ralf Schnetgöke Sonderlösungen beim Brandschutz.

94 STELLENINSERATE

105 IMPRESSUM

106 UNVORHERGESEHENES

Ein Gigant breitet sich aus

Der Neubau der Messe Basel polarisiert. Architektonische Ideale kollidierten mit städtebaulichen Zwängen, lokale Planungs- und Ausführungsstandards mit den Terminplänen internationaler Aussteller. Vor der wirtschaftlichen Bedeutung der Messe blieb die Arbeitskultur auf der Strecke.

Im Februar 2013 erreichte die Messe Basel ­einen weiteren Meilenstein ihrer knapp hundertjährigen Geschichte: Mit der Eröffnung der neuen Halle 1 von Herzog & de Meuron ist erneut eine Etappe in der Entwicklung des Standorts im Zentrum von Kleinbasel ab­geschlossen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts finden hier Messen statt, 1917 erstmals die Basler Muster­messe muba. Die internationale Uhren- und Schmuckmesse Baselworld, ehemals integriert in die muba, machte sich Anfang der 1970er-Jahre selbstständig. Begleitet wurde die Expansionspolitik jeweils von Hallenneubauten oder -erweiterungen, beginnend bei der ursprünglichen Halle 1 des Stadtzürcher Baumeisters Hermann Herter (1924–26) bis zur aktuellen Halle 1 von Herzog & de ­Meuron (vgl. Abb. S. 72 und S. 73, oben).

Die zunehmende Bedeutung der Baselworld und die Entstehung von konkurrenzierenden Messeplätzen, vorwiegend in Asien, machten gemäss der Betreiberfirma MCH Group einen Neubau nötig. Das börsenkotierte Unternehmen befindet sich zu 49 % im Besitz der Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zürich sowie der Stadt Zürich. Um im internationalen Wettbewerb der Aussteller für Luxusmarken mithalten zu können, galt es, mehr und vor allem hochwertigere Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen. 2004 vergab die Bauherrschaft das Projekt als Direktauftrag an Herzog & de Meuron – man wünschte sich von dem lokalen Büro mit dem globalen Anspruch «einen Bau mit Ausstrahlungskraft».

Ein liegender Riese

Die Architekten entwarfen einen 230 × 106 m grossen dreistöckigen Riegel entlang des Riehenrings, der nordseitig an die bestehende Halle von Theo Hotz (Halle 1, 1998–1999; vgl. Abb. S. 72) andockt. Der Begriff «dreistöckig» führt hier allerdings in die Irre – die Geschosse sind zwischen 8 m und 10 m hoch. Weichen mussten dem ­Neubau der historische Kopfbau der Halle (1924–1926, Hermann Herter) und die ehemalige Halle 3 («Rosentalhalle») der Architekten Suter & Suter auf dem Südteil des Areals. Im Innern entstand so im 1. Obergeschoss eine durchgehende Messehalle mit einer Länge von über 400 m. Die einzelnen Ebenen sind – ähnlich wie beim SBB-Stellwerk der gleichen Architekten (1994 –1998) – leicht gegeneinander verschoben. Eine Fassade aus ­gewellten Aluminiumbändern umschliesst den Bau komplett und kaschiert mangels architektonischer ­Referenzgrössen wie Fenstern oder Geländern die Dimensionen des Volumens. Im Herbst 2008 wurde das Projekt aufgrund zu hoher Kosten überarbeitet und dabei auf 217 × 90 × 32 m redimensioniert, als Totalunternehmerin kam die HSR Real Estate AG mit an Bord.

Erschlossen wird der neue Hallenkomplex heute beim Messeplatz durch die Foyers Nord und Süd.

Die beiden Obergeschosse der neuen Halle überbrücken den Platz, auf dem nach wie vor die Trams Richtung Riehen und Badischer Bahnhof verkehren. Eine zentral an­geordnete kreisförmige Öffnung bringt Tageslicht in den in «City Lounge» umbenannten Platz. Die neue ­Halle 1 ist über Passerellen mit den Hallen 2, 3 und 4 sowie mit dem Kongresszentrum verbunden.

Das 430 Millionen Franken teure Gebäude wurde von Juni 2010 bis Februar 2013 in drei Phasen erstellt, unterbrochen jeweils durch mehrmonatige Pausen während der Messen Swissbau und Baselworld. Die kurze Bauzeit – der Bau sollte rechtzeitig zur Baselworld im April 2013 fertiggestellt sein – und der hohe Grad an Handarbeit (vgl. «Haute Couture», S. 82, und «Ein­geschriebenes Tragwerk», S. 84) schlugen sich in vielen Sonderlösungen (vgl. «Luxus brennt anders», S. 90, und Kasten «Gebäudetechnik», S. 72) und in teils prekären Arbeitsbedingungen nieder. 22 Monate lang arbeiteten im Dreischichtbetrieb täglich bis zu 1300 Arbeiter auf der Baustelle. Im August 2012 machte die Basler Zeitung «TagesWoche» Fälle von Lohndumping, Subunternehmerketten und nicht bezahlten Löhnen publik. Nachdem sich sowohl die Messe als auch die Regierung von Basel-Stadt als Hauptaktionärin des Unternehmens ­zunächst als nicht zuständig erklärten, übernahmen Bauherrschaft und Totalunternehmung im Dezember 2012 die Aussenstände. Ende April 2013 konnte die ­Baselworld als erste Messe im Neubau pünktlich stattfinden.

Ausstellungskiste mit Tarnkappe

Bereits zu Beginn der Planungen wurde das Projekt kontrovers beurteilt: Zum einen betraf die Kritik das Volumen des Baukörpers im ansonsten eher kleinteiligen Quartier, zum anderen die städtebauliche Setzung und den Umgang mit dem öffentlichen Raum. Auch die Direktvergabe an das Büro Herzog & de Meuron und der Verzicht auf einen Studienwettbewerb wurden bemängelt. Tatsächlich sind der Bau und seine Geschichte weit ­vielschichtiger, als diese knappe Auslegeordnung vermuten lässt.

In architektonischer Hinsicht kann Entwarnung gegeben werden. Vor allem die lebendig wirkende Aluminiumfassade und die Verschiebung der drei Geschosse gegeneinander lassen den Koloss erstaunlich leicht wirken, fast scheint er auf dem Glassockel des Erdgeschosses zu schweben (vgl. «Virtuos und unverträglich», S. 76). Sowohl Fassade als auch Tragwerk suggerieren ein Idealbild: Die vielen Einzelteile der ­futuristischen Fassade sind zwar am Computer geplant, aber in Handarbeit hergestellt und montiert worden.

Und das Tragwerk baut eigentlich auf einem Quader auf, um den herum die formgebende Konstruktion erstellt ist (vgl. «Haute Couture», S. 82, und «Eingeschriebenes Tragwerk», S. 84).

Städtebaulich ist die Sache weniger klar: Darf ein öffentlicher Platz von einem privaten Unternehmen überbaut werden? Immerhin bildet der Messeplatz einen Knotenpunkt im öffentlichen Verkehr zwischen Grossbasel auf der linken Uferseite und Kleinbasel, der Gemeinde Riehen und dem Badischen Bahnhof auf der rechten. Zwar deutet die neue Bezeichnung «City ­Lounge» – ob gelungen oder nicht – die Hoffnung an, den Platz auch ausserhalb der Messezeiten zu beleben. Auch die Architekten hegen diesen Wunsch (vgl. Kasten unten). Tatsache ist aber, dass der Neubau die Sichtachse entlang der Clarastrasse durch eine Wand aus Aluminium unterbricht und das Gebiet in ein Basel vor und eines hinter der Messe teilt.

Eine städtebauliche Projektstudie hätte hier womöglich Klärung gebracht – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Messe nun doch den Abriss und die Neuüberbauung des muba-Parkings plant. Das Parking soll ins UG verschoben werden, oberirdisch sind Wohnungen und ein Hotel angedacht. Pikant: Im Vorfeld der Planungen für die jetzige Halle 1 stand der Abriss des Parkings inklusive eines Ersatzbaus entlang der Riehenstrasse als stadtverträgliche Alternative zum heutigen Neubau bereits zur Debatte. Damals wehrte sich die MCH Group aus Kostengründen vehement gegen dieses Ansinnen. Fünf Jahre später, nach Fertigstellung des Prestigebaus der Halle 1, beauftragte sie die drei Basler Büros Herzog & de Meuron, Buchner Bründler und Morger   Dettli mit der Testplanung. Bis zum Sommer 2013 sollten Ergebnisse vorliegen, bisher drang allerdings noch kein Entscheid an die Öffentlichkeit.

Was bringt die Messe der Stadt?

Die Entwicklung des Standorts ist noch nicht abgeschlossen. Daher stellt sich weniger die Frage nach der Qualität der Architektur als die nach dem Grund dieser Funktion an diesem Ort: Ergibt ein Messeplatz von dieser Grösse überhaupt Sinn mitten in einer Stadt?

Den Grundsatzentscheid dazu fällten die Baslerinnen und Basler bereits 1993, als sie die Verlegung der Hallen an den Flughafen ablehnten. Auch beim konkreten Projekt, das 2008 zur Abstimmung kam, stimmten rund zwei Drittel der Stimm­bürger für einen Ausbau – verständlich, führt man sich die Wertschöpfung der Messe, die für das Baselbiet mit jährlich 210 Millionen Franken beziffert wird, die über 70 Millionen Franken an Steuereinnahmen für die beiden Basler Kantone und die mit der Messe verknüpften 2500 Arbeitsplätze vor Augen.

Angesichts dieser Bedeutung sollte bei der Planung keine Salamitaktik zum Zug kommen. Stattdessen müsste eine sorgfältige Entwicklung nicht nur möglich, sondern selbstverständlich sein. Dazu kommt, dass die «Messe in der Stadt» von Stadt und Unternehmen aktiv vermarktet und als Alleinstellungsmerkmal gefördert wird. Umso mehr müsste den Beteiligten daran gelegen sein, dass das benachbarte Quartier mit seinen städtischen Qualitäten erhalten bleibt und nicht irgendwann die «Messe in einem Rest von Stadt» steht.

TEC21, Fr., 2014.01.17

17. Januar 2014 Tina Cieslik

Virtuos und unverträglich

Auch die exzellente Architektur kann nicht darüber hinwegtäuschen:
Basel zahlt einen hohen Preis, um als Messeplatz international zu bestehen.Der Neubau stellt die Hierarchie von Städtebau und
Architektur auf den Kopf.

Scheinbar mühelos überspannen die neuen Hallen am Messeplatz den Raum und lassen hier ihre gewaltigen Dimensionen von 217 m Länge und 90 m Tiefe beinahe vergessen. Das liegt nicht primär daran, dass das Bauvolumen aus Kostengründen im Vergleich zum Vorprojekt um fast ein Drittel geschrumpft ist. Zwar kommt die Verringerung der Bautiefe um rund 16 m der Situation durchaus zugute. Die Proportion des durch den Neubau verkleinerten Messeplatzes hat sich dadurch verbessert, und der Anschluss an den bestehenden Bau von Theo Hotz (1998–1999) gelingt nun mit grosser Selbstverständlichkeit. Überdies verhilft die nach Süden verlängerte Isteinerstrasse dem benachbarten Landhof zu einem neuen Auftritt.

Die geringfügige Verminderung der Bauhöhe führte dazu, dass der Bau rechtlich kein Hochhaus ist. Trotzdem ist er mit 32 m immer noch höher als manches, was hierzulande als ein solches gilt. Entsprechend hoch einzuschätzen ist die Leistung der Architekten, den Bau so zu gestalten, dass man nicht von seiner Wucht erschlagen wird, wenn man vor oder unter ihm steht. Drei Aspekte sind dabei wesentlich: Entmaterialisierung, dinghafte Ganzheit und Verschiebung der Massstäblichkeit.

Ähnlich wie beim Dogenpalast

Die beiden oberen Geschosse sind gänzlich mit Aluminiumbändern bekleidet. Deren wellenförmiges Auf und Ab erinnert an Streckmetall oder aber an ein Gewebe, dessen Schussfäden durch die Stossfugen der Bänder gerade noch angedeutet werden. Dadurch wird die Längsrichtung betont, wobei die Textur ein Gespanntsein von Kante zu Kante suggeriert. Keine Schwer-, sondern eine Zugkraft scheint hier zu wirken, die die Kanten aus der Vertikalen auskippen lässt. So entstehen lang gestreckte Regelflächen, die durch ihre prägnante Geometrie von Kante zu Kante die Ganzheit der Geschosse unterstreichen. Im Zusammenspiel mit der Textur wirkt dies in der Horizontalen ähnlich wie eine Kolossalordnung in der Vertikalen.

Die Textur als Mittel, einem Baukörper seine Schwere zu nehmen, kennt Vorläufer in der Geschichte der Architektur. Am bekanntesten ist der Dogenpalast in Venedig, wo es auf diese Weise gelang, den mächtigen, weitgehend geschlossenen Baukörper über offene Loggien zu stellen, ohne dass diese optisch erdrückt würden. Der Mauerverband ist dort als Gewebemuster gestaltet, das mit seinen Rauten die Flächigkeit der Wand unterstreicht, und der Bauschmuck der Kanten und Fenstereinfassungen als Bordüre, sodass sogar das filigrane Masswerk der darunter liegenden Loggien textil erscheint: als kostbarer Spitzenbesatz eines gewaltigen Festbehangs.

Dass bei der Messe Basel die Fassadentextur prosaischer ausgebildet ist, schmälert ihre die Schwere und Massivität auslöschende Wirkung nicht. Es entsteht eine Art Entmaterialisierung, ein Effekt, der paradoxerweise durch das Material selbst verstärkt wird. Das anodisierte Aluminium, weder glänzend noch völlig stumpf, ist im Grundton silbergrau, scheint aber keine eigene Farbe zu haben, sondern das wechselnde Licht einzufangen, sodass sich der Bau ständig verändert, entsprechend den Tages- und Jahreszeiten. Mal erscheint er strahlend hell wie der blaue Himmel mit seinen Schönwetterwölkchen, mal ebenso grau und stumpf wie der Hochnebel, mal orange aufleuchtend im Abendlicht, wobei Tönungsverläufe die Kontraste zwischen offen und geschlossen in feinen, die Flächen belebende Übergänge auflösen. Fast wird der Bau selbst zu einer atmosphärischen Erscheinung.

Noch weiter geht die Entmaterialisierung im Erdgeschoss. Hier werden die Grenzen unscharf, wobei die virtuelle Ausweitung des Raums durch Spiegelung und die reelle durch Transparenz fliessend ineinander übergehen. Zum überbauten Teil des Messeplatzes hin treten die Glaswände konkav zurück und greifen den Schwung des zentralen Okulus auf, der im Gebäudeinnern in mehreren Stufen weitergeführt wird. So entsteht eine schrittweise Verdichtung des Raums, die die Härte der Klimagrenze vergessen lässt. Eine stärkere Verzahnung von Messe und Stadt liesse sich kaum denken. Überdies erzeugt das Verspiegeln der Decke eine gewisse Festlichkeit, indem das Geschehen in der sogenannten City Lounge auf sich selbst zurückgeworfen wird. Das städtische Leben wird so zu einem Schauspiel, in dem die Zuschauer zugleich die Akteure sind.

Ein Loch als Anker

Die Erscheinung des Gebäudes mit drei deutlich artikulierten, fast schon voneinander isolierten Geschossen entspricht seinem inneren Aufbau. Drei riesige, lang gestreckte Hallen liegen übereinander, wobei die erste durch den offenen Raum der City Lounge in Messe- und Eventhalle zweigeteilt wird. Jeder Ausdruck eines Lagerns, der damit verbunden sein könnte, wird unterdrückt: durch die bereits beschriebenen Massnahmen, aber auch durch das leichte Ausdrehen der beiden oberen Hallen. Diese scheinen sich um die kreisförmige Öffnung in ihrer Mitte herum drehen zu können, nicht auf dem Boden stehend, sondern angehängt an einer zentralen Achse aus offenem Raum, die den Bau im Stadtraum verankert und das Innere der Hallen zentriert.

Abgesehen davon nimmt sich die Architektur der Hallen ganz zurück. Schwarze Farbe lässt die ruhige, strenge Ordnung von Tragstruktur und Installationen ebenso in den Hintergrund treten wie die Raumgrenzen, sodass die einzelnen Stände und Exponate umso effektvoller ins Licht gesetzt werden können.

Verschobene Wahrnehmung

Die prägnante, dinghafte Gestalt des Baus – zwei flache, umspannte Behälter über einem Erdgeschoss – trägt dazu bei, seine Grösse vergessen zu machen. Seine Dreigeschossigkeit wirkt vertraut, die Geschosse geradezu niedrig angesichts ihrer enormen Ausdehnung. Nichts lässt erahnen, dass jedes für sich gut so hoch ist wie ein dreigeschossiges Haus üblichen Zuschnitts. Die Schrägen verunmöglichen eine präzise perspektivische Wahrnehmung, und alles, was durch eine Referenz auf menschliche Grössen als Massstab dienen könnte, ist unterdrückt. Es gibt weder sichtbare Treppen noch Brüstungen oder Fenster, und die Aluminiumbänder wirken fein wie eine Textur, die wir aus haptischer Erfahrung kennen. Nichts erlaubt es, die wahren Dimensionen zu ermessen.

Als Resultat ergibt sich eine eigenartige Verschiebung der Grössenverhältnisse. Man glaubt sich fast in ein Modell versetzt, dessen Massfiguren – Autos, Trams, Menschen – in ihrer Grösse nicht ganz getroffen wurden. Alles hat die Tendenz, spielzeughaft klein zu wirken, was unangenehm sein könnte, es hier aber nicht ist, weil das Grosse nicht mächtig wirkt. Vielmehr entsteht auf dem und um den Messeplatz eine etwas surreale und durchaus heitere Atmosphäre, die gut zum Ausnahmezustand der Messen passt: ein Raum in Erwartung des Jahrmarkts von Art, Baselworld oder Herbstmesse.

Fein wird grob, klein wird gross

All die beschriebenen Effekte nehmen jedoch ab, je weiter man sich vom Bau entfernt. Die neue Messe gleicht darin dem Scheinriesen Turtur aus Michael Endes Erzählung von Jim Knopf. Während Turtur jedoch aus der Ferne als furchterregender Riese erscheint, der bei Annäherung zu seiner wahren, ganz und gar menschlichen Grösse zusammenschrumpft, scheint der neue Messebau erst mit zunehmender Distanz zu seiner echten, riesenhaften Grösse anzuwachsen. Aus der Ferne verlieren all die virtuos angewandten architektonischen Kniffe ihre Wirkung, weil die Feinheiten des Baus verschwimmen, vor allem aber, weil dieser im städtischen Kontext nur noch fragmentarisch wahrgenommen werden kann.

So kommt es, dass der Bau aus der Clarastrasse heraus gesehen den Raum als mächtige Wand verstellt und dabei die einstmalige Eleganz des Messeturms vernichtet, der nun nur noch gross wirkt und ohne präzisen Ort auf oder in dem neuen Gebilde zu stehen scheint. Von der mittleren Brücke aus, wo früher die zentrale Achse von Kleinbasel der Stadt zu Offenheit und Weiträumigkeit verholfen hat, scheint es nun, als würde Basel von einer neuen Mauer eingeschnürt. Was dahinter liegt, liegt nun im Abseits. Auch von der Pfalz aus, dem zweiten Herzen der Stadt, tritt die neue Messehalle nicht eben vorteilhaft in Erscheinung. Unwirklich, wie eine grosse Nebelbank scheint sie auf den Dächern von Kleinbasel zu liegen, und auch aus dieser Perspektive verbindet sich der gleichsam entmannte Messeturm mit dem Flachbau zu einem unharmonischen Ensemble (Abb. S. 80).

Und die Alternativen?

Man mag einwenden, solches sei der Preis für den Verbleib der Messe in der Stadt und in Anbetracht der gegebenen Aufgabe unvermeidlich – vielleicht zu Recht. Es bleibt jedoch das schale Gefühl, dass aufgrund des gewählten Planungsverfahrens in dieser Frage keine Gewissheit herrschen kann. Durch den Direktauftrag an die Architekten, durch die kurzen Fristen und durch die geballte Macht, mit der die Messe Basel als wichtiger Wirtschaftsfaktor zusammen mit der Autorität von Herzog & de Meuron aufgetreten ist, um die vorgeschlagene Lösung als die einzig mögliche und richtige zu präsentieren, wurde jegliche Diskussion im Keim erstickt. Ob nicht auch eine grundsätzlich andere, vielleicht stadtverträglichere Lös ung denkbar gewesen wäre, mit einer Überbrückung statt Überbauung des Messeplatzes, unter Opferung von Parkhaus und Halle 5, und vielleicht sogar – horribile dictu – der Rosental-Anlage: Wir werden es nie erfahren. Ausser Zweifel steht, dass der gewählte Ansatz mit seiner Überbauung des öffentlichen Raums für die Messe der günstigere ist – nicht zuletzt, weil dadurch eine weitere, zweifellos profitable Bautätigkeit am Messeplatz möglich, ja fast notwendig wird. Es bleibt zu hoffen, dass dabei die Verfahren transparenter und die Resultate besser abgestützt sein werden.

TEC21, Fr., 2014.01.17

17. Januar 2014 Martin Tschanz

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