Editorial

Die Welt ist zerstört. Einige Überlebende haben sich in den Schutz des Moskauer Metrosystems zurückgezogen und dort eine neue Zivilisation errichtet. Durch die nukleare Strahlung sind bizarre Lebensformen entstanden, die die Menschen bedrohen. Während seiner Reise durch den Untergrund trifft der junge Artjom auf unterschied­liche U-Bahn-Haltestellen, deren Bewohner Zwergstaaten mit eigenen Ideologien, Regimen, Führern und Armeen gebildet haben. Attraktiv erscheinen Stationen, in denen Dynamomaschinen und selbst gebaute Wasserkraftwerke funktionieren, Champi­gnons gedeihen und Schweine gezüchtet werden. Das soziale Gefälle spiegelt sich auch in der architektonischen Gestaltung der verschiedenen Metrostationen wider.

Dieses dystopische Szenario entwirft Dmitry Glukhovsky in seinem Roman «Metro 2033»[1]. Tatsächlich aber gilt die Moskauer Metro heute als eine der prachtvollsten Untergrundbahnen der Welt. Um die architektonische Gestaltung von unterirdischen Bahnhöfen geht es in der vorliegenden Ausgabe.

Auch ohne das beschriebene Horrorszenario empfinden viele Menschen die oft vollen, lauten und hektischen Untergrundbahnhöfe als unangenehm. Mit dem Aufenthalt im Untergrund verbinden sie Dunkelheit und Enge. Die Gestalter der Anlagen versuchen diesen beklemmenden Gefühlen entgegenzuwirken, wie die drei beschriebenen Stationen in Zürich und Hamburg zeigen. Die Rahmenbedingungen könnten dabei nicht unterschiedlicher sein.

Zürich: Beim innerstädtischen unterirdischen Durchgangsbahnhof Löwenstrasse waren Lage und Grösse von Beginn an festgelegt (vgl. TEC21 48/2012, TEC21 17/2013). Die Aufgabe des Architekten war es vor allem, herauszufinden, wie sich zu Stosszeiten viele Menschen sicher, bequem und in kurzer Zeit durch die neue Station bewegen können. Hinzu kam die städtebauliche Komponente, die beiden vom Bahnhof getrennten Stadtteile wieder zu verbinden und den Bestand mit dem Neubau zu verknüpfen.

Hamburg: Die HafenCity – das grösste innerstädtische Stadtentwicklungsquartier Europas, das die U4 erschliessen wird – befindet sich noch im Aufbau. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass die Stationen räumlich grosszügig gebaut werden konnten. Bei der Station Überseequartier arbeiteten die Verantwortlichen mit Farbverläufen und unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten, um eine Unterwasserwelt abzubilden. Bei der Gestaltung der vorläufigen Endhaltestelle HafenCity Universität spielte dagegen der Umgang mit Licht eine zentrale Rolle.

Daniela Dietsche

Anmerkung:
[01] Dmitry Glukhovsky: Metro 2033. München 2007

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Lausanne Jardins 2014

12 MAGAZIN
Herr der Röhren | ­Die Stimme des Meisters | ­Rijksmuseum – zurück und vorwärts | ­Carbon auf Karton

20 «GETRENNTE STADTTEILE VERBINDEN»
Judit Solt
Unter dem Zürcher Hauptbahnhof wird 2014 die Durchgangsstation Löwenstrasse eröffnet. Architekt Jean-Pierre Dürig spricht über seine Aufgaben als Gestalter, über Personenfluss, Sicherheit und Übersicht.

25 UNTERIRDISCHES LEUCHTEN
Monika Isler Binz
Hafenatmosphäre und Unter­wasserwelt sind die Themen der U4-Haltestellen HafenCity Universität und Überseequartier in Hamburg. Sie machen den Aufenthalt im Untergrund zu einem Erlebnis.

31 SIA
Sitzung der ZO 1/2013 | Delegiertenversammlung 1/2013 | Sitzung der ZN 2/2013 | Oranger Ordner: Projektmanagement | So nicht! | «Darum Raumplanung»: Herbsttournee

36 PRODUKTE| FIRMEN
Prolux | Velux | Sika Sarnafil

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

«Getrennte Stadtteile wieder verbinden»

Unter dem Hauptbahnhof Zürich wird im kommenden Jahr der unterirdische Durchgangsbahnhof Löwenstrasse eröffnet. Als die Planung des Neubaus ­begann, waren seine Lage und seine Abmessungen bereits festgelegt. Wie Architekt Jean-Pierre Dürig erläutert, beschränkt sich der Entwurf jedoch nicht auf Verschönerungsmassnahmen für die räumlich sehr enge Anlage, sondern setzt auch wichtige städtebauliche Akzente.

TEC21: In vielen Schweizer Städten wurden in den letzten Jahren Infrastrukturanlagen der SBB aufgehoben. Bauten, die bisher als Puffer zwischen den Bahnlinien und den Quartieren fungiert hatten, wurden abgebrochen. Die Quartiere rücken immer dichter an die Gleise ­heran, und die gebaute Präsenz der SBB im Stadtbild nimmt ab. Die Bahnhöfe gehören zu den Orten, wo die SBB sich noch baulich darstellen können. War architektonische Repräsentation beim Bahnhof Löwenstrasse ein Thema?

Jean-Pierre Dürig: Nein. Einen oberirdischen Bahnhof zu bauen kam aus städtebaulichen Gründen nicht infrage. Zudem ist der Verkehr heute überwiegend Umsteigeverkehr; um ­kurze Umsteigzeiten zu gewährleisten, mussten die Perrons möglichst nah an- bzw. über­einander angeordnet werden. Aus Platzgründen haben sich die SBB für eine unterirdische Lösung entschieden, wie bereits beim ersten Durchgangsbahnhof, dem 1990 eröffneten Bahnhof Museumstrasse für S-Bahn-Linien, und wie beim Bahnhof SZU für die Sihltal- und die Üetlibergbahn. Es gab keine andere Möglichkeit. Dank der Durchmesserlinie kann aber der provisorische Bahnhof Sihlpost mit den vier Zusatzgleisen aufgehoben werden. Dort entsteht ein neuer Stadtteil, die Europaallee. Wo die Stadt am dichtesten und die Infrastruktur am besten ausgebaut ist, soll der Platz nicht für Abstellgleise verschwendet werden. Umgekehrt führt die zusätzliche Verdichtung dazu, dass noch mehr Infrastruktur benötigt wird. Unter diesem Druck können es sich die SBB gar nicht leisten, nur an Repräsentation zu denken. Das Hauptanliegen ist Effizienz: Wie befördert man möglichst viele Menschen zu den Stosszeiten? Übrigens gibt es noch Platz für einen dritten unterirdischen Durchgangsbahnhof zwischen den beiden Bahnhöfen Museumstrasse und Löwenstrasse …

TEC21: Dass das Thema Effizienz bei den Menschenmassen, die heute unterwegs sind, an Bedeutung gewinnt, leuchtet ein. Haben die SBB auch gestalterische Anforderungen an den Bahnhof Löwenstrasse gestellt?

J.-P. D.: Die Auftraggeber wollten selbstverständlich eine schöne, helle, übersichtliche Anlage. Aber die Prioritäten haben sich seit den Pionierjahren des Bahnverkehrs verschoben. Die grosse Haupthalle von 1871, von Jakob Friedrich Wanner im prunkvollen Neorenaissancestil erbaut, mit einem Triumphbogen als Tor zur damals neuen Bahnhofstrasse – diese ­architektonische Haltung stammt aus einer Zeit, als das Reisen noch etwas Exklusives war. Man betrat die Halle, gab sein Gepäck auf und begab sich auf Reise. Noch vor einer ­Generation war man von diesem Bild geprägt. Davon sind auch Robert und Trix Haussmann ausgegangen, als sie die Aufgänge in die Bahnhofshalle gebaut haben. Es gab lange Diskussionen darüber, ob die Rolltreppen parallel zur Halle verlaufen müssten oder nicht. Auch die schwarz-weiss gestreiften, marmorverkleideten Wände und die verspiegelten Decken bezeugen, wie wichtig die Repräsentation damals noch war. Diese Vorstellung vom Reisen gibt es nicht mehr – heute spricht man vom Pendeln. Die S-Bahn ist so erfolgreich, dass die SBB schleunigst neue Kapazitäten zur Verfügung stellen müssen. Relevant ist, dass die Pendlerinnen und Pendler ihren Anschluss nicht verpassen. Unsere Aufgabe war daher nicht, einen repräsentativen Bau zu entwerfen, sondern möglichst viele Menschen bequem und in kurzer Zeit durchzuschleusen. Die wichtigsten Stichworte lauten Personenfluss, ­Sicherheit, Übersicht. Und natürlich braucht es ein Shoppingcenter: nicht nur aus kommerziellen Interessen, sondern auch aus einem Bedürfnis heraus, denn die Pendlerinnen und Pendler müssen sich mit Dingen des täglichen Bedarfs eindecken können.

TEC21: Welche städtebauliche Tragweite hat die Tatsache, dass der Zürcher Hauptbahnhof allmählich von einem oberirdischen Kopf- zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof wird?

J.-P. D.: Auch in Bezug auf den Städtebau hat sich die Fragestellung komplett verschoben. Für Robert und Trix Haussmann war die Haupthalle von Wanner das Zentrum und das Shopville, die heutige Passage Löwenstrasse, lediglich ein darauf ausgerichteter Weg. Im Gegensatz dazu sind wir bei unserem Wettbewerbsprojekt von einem Netz ausgegangen (Abb. 02). Unser Ziel war, viele Eingänge zu schaffen, damit man möglichst ungezielt auf den Bahnhof zugehen kann. Umgekehrt haben wir auch geschaut, dass es im Untergrund keine Sackgassen gibt und dass jede Ecke einen attraktiven Ausgang zur Stadt hat. Das verändert die Wahrnehmung des Bahnhofs massiv – in Bezug auf Funktion und Charakter gleicht er immer mehr einer Metrostation. Das hat seine Berechtigung: Die S-Bahn ist nichts anderes als eine sehr gute Metro, und auch der Fernverkehr bedient mit dem Stunden- und Halbstundentakt hauptsächlich Pendlerströme. Unser wichtigstes städtebauliches Anliegen aber war, die beiden vom Bahnhof getrennten Stadteile wieder zu verbinden. Es sollte kein «hinter den Gleisen» mehr geben, sondern viele gleichwertige Seiten, die zusammenwachsen und sich stark verdichten. Mit dieser Idee haben wir den Wettbewerb gewonnen.

TEC21: Die Lage des Bahnhofs war durch betriebliche Notwendigkeiten gegeben, seine Grösse durch bestehende Bauten und der Verlauf der Gleise durch den Tunnelbau (vgl. Kasten S. 24). Welche Aufgabe blieb Ihnen als Architekten überhaupt noch?

J.-P. D.: Zum Zeitpunkt des Wettbewerbs 2002 war die Geometrie vorgegeben. Die Inge­nieure hatten im Vorfeld festgelegt, wo und wie der Tunnel liegen muss. Dabei hatten sie ­extrem einschränkende Randbedingungen zu berücksichtigen: Die Sihl und die Limmat mussten unterquert werden, ebenso ein Teil der Halle und sechs Gleise, und zwar unter ­laufendem Betrieb. Zudem musste man dem bereits als Vorinvestition erbauten Stadttunnel ausweichen. Daraus ergibt sich für den Bahnhof Löwenstrasse eine Geometrie, die nicht viel mit dem Bestand zu tun hat. An uns lag es, Alt und Neu räumlich zu verbinden.

TEC21: Es ging also in erster Linie um einen städtebaulichen Eingriff, die räumliche Verknüpfung des geplanten Ingenieurbaus mit dem Bestand?

J.-P. D.: Das Schöne an diesen Aufgaben für die SBB ist, dass sie zwischen Städtebau und Architektur angesiedelt sind. Neben dem Bahnhof Löwenstrasse haben wir auch beim ­Bahneinschnitt und den Brücken in Zürich-Oerlikon den Gestaltungsauftrag. Solche Infrastrukturanlagen haben einen grossen Massstab und stellen die Frage nach der urbanen Anbindung. Man muss innerhalb eines streng gesteckten Rahmens das Gegebene möglichst intelligent formen und organisieren. Trotzdem kann – muss – man sich mit ganz grundlegenden architektonischen und städtebaulichen Fragen beschäftigen: Wie betritt man einen Raum, wie ­verlässt man ihn, wie sind seine Funktionen angeordnet, wie vernetzt er sich mit dem ­Stadtkörper? Meiner Meinung nach sind das äusserst schöne, zeitgemässe Frage­stellungen. Selbstverständlich gibt es auch hier formale Aspekte, aber die Arbeit beginnt an einem ganz anderen Punkt.

TEC21: Was war dieser Punkt beim Bahnhof Löwenstrasse?

J.-P. D.: In Bezug auf die Funktionen lautete die wichtigste Frage: Wie bringt man die ­Menschen von unten nach oben? Wie verbindet man die drei Ebenen Tiefbahnhof, Halle ­Löwenstrasse, die Passagen und die bestehende Gleishalle miteinander? Wir konnten die Aufgänge nicht nach Belieben platzieren: Ihre Ausgangspunkte waren durch die Lage des unterirdischen Bahnhofs vorgegeben und ihr Verlauf durch den Autotunnel und die Sihl, die es zu umgehen galt. Weil die unterirdischen Gleise nicht genau unter den oberirdischen liegen, haben wir schräge Lifte eingeführt; so haben mindestens zwei von drei Perrons einen direkten Weg nach unten, und man braucht nicht umzusteigen. Statisch haben die Aufgänge zudem die Aufgabe, das Dach der bestehenden Perronhalle abzufangen. Wir haben deshalb prägnante Sichtbetonkörper ausgebildet, die wie Arme vom Tiefbahnhof über die Passage bis in die Perronhalle hinaufgreifen; sie fassen die Aufgänge und ersetzen, einmal in der Halle angelangt, jeweils eine Stütze. Weil sie irgendwo oben in der Halle ankommen – zum Teil unter einer Stütze, zum Teil auch nicht – haben sie je nach Lage unterschiedliche Formen. Trotzdem bleibt der architektonische Ausdruck gleich, sodass eine gemeinsame Identität entsteht. In der Negativform betrachtet, bildet die Passage zusammen mit diesen Armen eine Art Krake, einen verzweigten Raum, den man zwar spürt, aber nie so sieht.

TEC21: War auch die Raumhöhe des Tiefbahnhofs schon vorgegeben?

J.-P. D.: Von Höhe kann man gar nicht reden – es sind U-Bahn-Dimensionen. Der Bahnhof Löwenstrasse hat noch weniger Höhe als der Bahnhof Museumstrasse. Und selbst dieser sehr enge Querschnitt wird im ausgebauten Zustand noch beträchtlich enger als im Rohbau. Seit der Fertigstellung des Bahnhofs Museumstrasse sind die Vorgaben in puncto Sicherheit strenger geworden, die Entrauchung ist aufwendiger geworden. Damit kein Rauch in den Bahnhof Löwenstrasse dringt, wenn es im Tunnel brennt, wird ein Entrauchungskamin ­gebaut, und über den Perrons des Bahnhofs Löwenstrasse gibt es durchgehende Galerien mit Entrauchungsanlagen. Das macht die Decke noch einmal niedriger. Die Züge stehen definitiv nicht in einer Halle, sondern in einem Tunnel. Wir haben versucht, architektonisch darauf zu reagieren. Darum haben wir entschieden, die Perrons als farbige, warm beleuchtete Inseln auszubilden. Nur der Boden und die Decken der Perrons sind im Licht; die Tunnelwände und die seitlichen Verkleidungen der Galerien sind schwarz, sodass man die Grenzen des Raums nicht sieht und nicht merkt, dass er klein ist.

TEC21: Dieses «Verschönern» ist eine Aufgabe, mit der manche Architekten hadern dürften. Doch für die Menschen, die sich in diesen Räumen aufhalten, ist eine gute Gestaltung umso wichtiger, je enger der Platz und je dominanter die funktionalen Zwänge sind.

J.-P. D.: Das Ziel war eine helle, übersichtliche Wegführung, die die Ebenen miteinander verbindet. Der Perronbereich, wo man sich vielleicht einige Minuten aufhält, bekommt einen warmen Ton mit einer goldfarbenen Metalldecke, die mit dem Licht eine warme, ruhige Atmosphäre erzeugt. Die Passage ist durchgehend neutral und hell – hellgrauer Granitboden, helle Wände, helle Decke. Die Ladenfront ist eine Fassade, bei der die Module für die Öffnungen und das Beschriftungsband festgelegt sind. Die Läden wählen aus einer Palette das für sie Passende aus; ihre Beschriftungen und Schaufenster sind es, die – neben der typischen Signaletik der SBB – Farbe in die Passage bringen. Auch die Aufgänge sind dank Sichtbeton und Granitstufen hell. Dabei mussten wir mit günstigen, langlebigen und unterhaltsarmen Materialien arbeiten. Beim Beton und den Vollstahlstützen des Tiefbahnhofs ist das offensichtlich; die golden leuchtende Perrondecke ist aus Metall und kann überall geöffnet werden, um Nachinstallationen vorzunehmen; und der Granit ist langfristig das günstigste Material für Boden und Treppenstufen, weil er so dauerhaft ist. Bei der Farb­gebung haben wir uns am Bestand orientiert. Das Shopville ist schwarz; wir haben von der Stadt den Auftrag erhalten, es bis zur Passage Gessnerallee zu verlängern, damit es keine Sackgasse bleibt, und wir werden auch die Verlängerung schwarz halten. Der Haussmann-Teil dazwischen ist schwarz-weiss. Uns blieb also weiss. Es soll eine Einheit über das Ganze entstehen – mit feinen Unterschieden.

TEC21: Wie ist die Zusammenarbeit mit den Ingenieuren organisiert?

J.-P. D.: Der Wettbewerbsentwurf basiert auf den Vorgaben der Ingenieure. 2002–2006 haben wir in engem Austausch mit den Bauingenieuren das Projekt ausgearbeitet, aufgrund dessen die Rohbaupläne erstellt worden sind. Wir sind übrigens auch Generalplaner, der Gebäudetechniker ist in unserem Team dabei. In diesem Sinn ist die Zusammenarbeit ganz traditionell, bis auf die Grösse, die Komplexität und die vielen Beteiligten. Die Bauarbeiten haben 2006 begonnen, der Rohbau wird zum grössten Teil dieses Jahr beendet. Es hat ­verhältnismässig lang gedauert, weil alles unter Betrieb realisiert wurde. Jetzt sind wir am Ausbau. Die Eröffnung findet Mitte 2014 statt.

TEC21, Fr., 2013.06.21

21. Juni 2013 Judit Solt

Unterirdisches Leuchten

Hamburgs HafenCity ist seit rund sechs Monaten an das U-Bahn-Netz der Stadt angebunden – zwei neue unterirdische Stationen inklusive. Die Gestaltung beider Bahnhöfe darf getrost als spektakulär bezeichnet werden, wenngleich die Herangehensweisen unterschiedliche sind.
Während die vorläufige Endhaltestelle HafenCity Universität den Aufenthalt im Untergrund mit riesigen Leuchtcontainern und wechselnden Lichtszenarien zum sinnlichen Erlebnis macht, beeindruckt der U-Bahnhof Überseequartier mit räumlicher Grosszügigkeit und vielfältigen Oberflächen.

Gut fünf Jahre nahm der Bau der vier Kilometer langen Strecke zwischen Jungfernstieg und der HafenCity Universität in Anspruch. In den nächsten Jahren soll die Linie U4 bis zu den Elbbrücken verlängert werden, von wo aus künftig auch der «Sprung über die Elbe» möglich wäre. Dem Bau der U-Bahn-Linie ging eine lange Kontroverse voraus: Der Anschluss der HafenCity ans Schnellbahnnetz der Stadt wurde zwar gemeinhin als wichtig erachtet, doch waren die politischen Parteien über dessen Ausgestaltung teils gänzlich unterschiedlicher Ansicht. Einige plädierten für den überirdischen Anschluss mit einer Strassenbahn, andere hätten sich eine abweichende Trassenführung gewünscht – so macht die neue Linie beispielsweise nicht an der Elbphilharmonie Station. Und teuer sind derlei Projekte am Ende sowieso: Die Betreiberin, die Hamburger Hochbahn, gibt die prognostizierten Gesamtkosten für den Abschnitt vom Jungfernstieg bis HafenCity Universität mit 323.6 Millionen Euro an.

Hafen in der Tiefe: Station HafenCity Universität

Zurzeit noch etwas verloren zwischen Baustellen, Zäunen, Brachflächen und dem Hamburger Hafen markieren lediglich blau-weisse U-Bahn-Schilder und schlichte Treppeneinfassungen die Eingänge zur unterirdischen Haltestelle HafenCity Universität. Mit der definitiven Aussenraumgestaltung werden die Eingänge unter anderem mit grossen Leuchtstelen stärker betont, aber die Treppenabgänge erhalten auch in Zukunft kein Dach – angesichts des Hamburger Wetters eine erstaunliche Entscheidung. Doch gerade ohne Dach und dank der grauen Eternit-Verkleidungen erhalten die Abgänge einen neutralen, hellen Charakter. Er begleitet die Passagiere über den steilen Abstieg bis ins Zwischengeschoss. Die Intention hinter dieser zurückhaltenden Gestaltung enthüllt sich beim Abbiegen in die Schalterhalle mit einem Überraschungseffekt: Die Verkleidung der Wände und Decken wechselt hier von Eternit auf dunkel und rostig schimmernde Stahlplatten, die Beleuchtung geht von indirekten Leuchtstoff-Lichtbändern zu eingelassenen Downlights über. Und es offenbart sich in dieser edlen, schummrigen Atmosphäre eine leuchtende, zentral in der Bahnsteighalle hängende Reihe aus zwölf riesigen Lichtcontainern. Ihr Strahlen füllt den Raum und taucht ihn in kräftige Farben – eine betörende Raumwirkung, die periodische Farbwechsel zusätzlich verstärken.

Warten auf die U-Bahn? Was anderswo nervenraubend sein mag, haben Raupach Architekten aus München hier zum sinnlichen Raumerlebnis gestaltet. Die eigens für den Ort entwickelten Lichtszenarien entsprechen den Jahres- und Tageszeiten, sind wahlweise dynamisch oder statisch programmiert und prägen die Raumstimmung mit verschiedenen Farben, Licht- und Dimmverläufen. Konkret sind es zum Beispiel abends Kompositionen mit weniger Blau-, dafür mehr Orangetönen oder im Frühling helle, frische Szenarien mit viel Gelbanteil. Die Unterseiten der Container strahlen homogen in warm-weissem Licht. Vom hellen Boden reflektiert, lässt es den Bahnsteig wie einen erleuchteten Steg erscheinen. So entsteht ganz bewusst ein Kontrast zwischen dem immer gleich ausgeleuchteten Bahnsteig und der abwechselnden Farbatmosphäre des umgebenden Raums.

Die zwölf aus Stahl und semitransparentem Glas konstruierten Leuchtcontainer entsprechen in ihren Massen (6.5  ×  2.8  ×  2.8 m) gängigen 20-Fuss-Containern, allerdings stellen sie mit ihren abgerundeten Kanten eine wohltuend reduzierte Abstraktion der realen Transportbehälter dar. Im Inneren jedes Containers wurden 280 RGB-LEDs montiert, mit denen über eine Lichtsteuerung das ganze Farbspektrum generiert werden kann. Als zentrales Gestaltungselement dominieren die Leuchtcontainer zwar das Bild, sie sind aber in ihrer Wirkung stark abhängig von der klaren Anordnung sowie von der Materialisierung des umgebenden Raums.

Entsprechend ist die stützenlose, 130  × 16 m grosse Bahnsteighalle mit den stirnseitigen Schalterhallen in Form verglaster Galerien sehr übersichtlich angelegt. Ihre räumliche Grosszügigkeit, insbesondere die erstaunliche Höhe von 10 m, ergab sich aus der offenen Bauweise des U-Bahnhofs. Wände und Decken sind mit oxidierten Stahlplatten verkleidet, die einzeln und von Hand vorbehandelt wurden. Dadurch erhielt jede Platte ihren eigenen Charakter, die darauf stattfindende Reflektion des farbigen Lichts wirkt noch lebendiger.

Die Station HafenCity Universität steht damit nicht nur in starkem Bezug zur Identität der Hafenstadt, zu den Modulen der Transportcontainer, zu den changierenden Farben der omnipräsenten Ziegelfassaden und der stählernen Schiffsrümpfe; mit den Farbwechseln und Lichtverläufen nimmt sie zusätzlich auch das Thema der ständigen Veränderung auf, das Kommen und Gehen der Schiffe, aber auch der U-Bahnen und ihrer Fahrgäste. Dies setzten die Lichtplaner allerdings nicht in Form eines hektischen, sich schnell überlebenden Spektakels um, sondern mit einer ruhigen und reduzierten Lichtchoreografie.

Entstanden ist dabei eine ausdrucksstarke Arbeit, die erst kürzlich in Philadelphia mit dem Radiance Award for Excellence von der International Association of Lighting Designers ausgezeichnet wurde.

Unter der Erde Unter Wasser: Station Überseequartier

Ein Besuch in der zweiten neu erstellten Bahnstation der U4, der Haltestelle Überseequartier, zeigt einen ganz anderen Umgang mit dem Bauen im Untergrund. Hier thematisieren die Darmstädter netzwerkarchitekten die Tiefen des Meeres in ihrer Farbigkeit und ihren Lichtstimmungen – passend zu den meereshungrigen Kreuzfahrtpassagieren, die hier künftig aussteigen und sich anschliessend auf ihren Weg zum Terminal machen werden.

Die Fahrgäste treten aus der Bahn auf einen Perron aus Betonwerksteinplatten in verschiedenen Grautönen. Die Wände und Decken der grosszügigen Bahnsteighalle sind mit blau beschichteten, reflektierenden und zur Decke hin heller werdenden Metallpaneelen verkleidet. Als Inspirationsquelle führen die Architekten den Eindruck an, der beim Tauchen entsteht: Nach unten breitet sich ein tiefes Blau aus; blickt man zur Wasseroberfläche hin, werden die Blautöne immer heller, bis das Sonnenlicht sie überstrahlt und in einem bewegten Weiss auflöst. Als Analogie zu diesem Leuchten wurden Edelstahlkassetten mit unregelmässige Motivlochungen an die Decke montiert. Den Weg ins Zwischengeschoss begleiten keramisch beschichtete Glasfliesen und horizontal versetzt angeordnete Leuchtbänder in einem kalten Weiss. Die glänzenden Oberflächen und die hellen Lichtstreifen erinnern zusammen mit den Chromverkleidungen der Rolltreppen an das Glitzern der Sonnenstrahlen im Wasser und an dessen vielfache Brechungen unterhalb der Wasseroberfläche.

In einem anderen Kontext würde die Kombination von glänzenden Fliesen, kaltweissem Licht sowie Metallpaneelen – und dies alles ausschliesslich in Blau- und Grautönen – steril wirken und den Vergleich mit einem Schwimmbad provozieren. Dass dies hier nicht der Fall ist, verdankt die Station ihrer räumlichen Grosszügigkeit: Zwar entspricht die Bahnsteighalle in Höhe und Länge den Massen der Station HafenCity Universität und ist einzig in ihrer Breite von 18 m noch etwas opulenter. Doch erreicht sie in den Zugangsbereichen durch die räumliche Verschränkung der verschiedenen Ebenen aussergewöhnliche Raumhöhen und eine in der Architektur von U-Bahnhöfen seltene Offenheit. Von einzelnen Punkten des Bahnsteigs aus kann man sogar Tageslicht erblicken; wo dies nicht möglich ist, sorgt die helle Verkleidung der nach oben steigenden Decken für einen ähnlichen Effekt.

Zwei Bahnhöfe, zwei Konzepte

Nur zwei Bahnminuten voneinander entfernt und doch so verschieden: Die Station Überseequartier stellt eher nüchtern und pragmatisch, aber durchaus reizvoll die Abbildung einer realen Unterwelt dar. Deren Inszenierung funktioniert über die Gestaltung der sich vermeintlich in Wasser verwandelnden Wände und Decken, über die Farbverläufe und die Beschaffenheit ihrer Oberflächen. Mit räumlicher Grosszügigkeit und vereinzelten Blickbezügen zur Aussenwelt wird die Weite des Meeres sowie die Schnittstelle zwischen Wasser und Luft thematisiert. Gefühlen der Enge oder fehlender Sicherheit wird dadurch auf subtile Weise entgegengewirkt.

Das Oben atmosphärisch und abstrakt veredelt nach unten transportieren – so könnte man dagegen den Entwurfsansatz für die derzeitige Endhaltestelle beschreiben. Mit einem stimmungsvollen Konzept wurde an der HafenCity Universität ein Bahnhof geschaffen, der die Besucher den Aufenthalt unter der Erde und damit verbundene negative Assoziationen vergessen lässt. Die Farbszenarien kompensieren das Fehlen sensorischer Eindrücke im geschlossenen Raum unter der Erde, indem sie einen Bezug zu den oberirdisch gemachten Wahrnehmungen herstellen. So kann ein mögliches Gefühl von Beklemmung oder Orientierungslosigkeit kaum aufkommen.

Beide U-Bahnhöfe treten oberirdisch kaum in Erscheinung, nehmen sich zugunsten der sich im Bau befindlichen Umgebung zurück. Dagegen spielt aber die Aussenwelt im Untergrund eine grosse Rolle – einmal ganz konkret, das andere Mal in inhaltlicher Hinsicht. Doch während die Haltestelle Überseequartier mit räumlicher Öffnung und zunehmender Helligkeit der Oberflächen förmlich zum Tageslicht hin strebt, schottet sich der Bahnhof HafenCity Universität weitestgehend von äusseren Lichteinflüssen ab. Umso prägnanter erzeugen die Lichtcontainer tief unter der Erdoberfläche ein magisches Leuchten, dessen visuelle Kraft diesen U-Bahnhof schon wenige Monate nach seiner Eröffnung zur unterirdischen Sehenswürdigkeit hat werden lassen.

TEC21, Fr., 2013.06.21

21. Juni 2013 Monika Isler Binz

4 | 3 | 2 | 1