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21. Juni 2013Monika Isler Binz
TEC21

Unterirdisches Leuchten

Hamburgs HafenCity ist seit rund sechs Monaten an das U-Bahn-Netz der Stadt angebunden – zwei neue unterirdische Stationen inklusive. Die Gestaltung beider Bahnhöfe darf getrost als spektakulär bezeichnet werden, wenngleich die Herangehensweisen unterschiedliche sind.
Während die vorläufige Endhaltestelle HafenCity Universität den Aufenthalt im Untergrund mit riesigen Leuchtcontainern und wechselnden Lichtszenarien zum sinnlichen Erlebnis macht, beeindruckt der U-Bahnhof Überseequartier mit räumlicher Grosszügigkeit und vielfältigen Oberflächen.

Hamburgs HafenCity ist seit rund sechs Monaten an das U-Bahn-Netz der Stadt angebunden – zwei neue unterirdische Stationen inklusive. Die Gestaltung beider Bahnhöfe darf getrost als spektakulär bezeichnet werden, wenngleich die Herangehensweisen unterschiedliche sind.
Während die vorläufige Endhaltestelle HafenCity Universität den Aufenthalt im Untergrund mit riesigen Leuchtcontainern und wechselnden Lichtszenarien zum sinnlichen Erlebnis macht, beeindruckt der U-Bahnhof Überseequartier mit räumlicher Grosszügigkeit und vielfältigen Oberflächen.

Gut fünf Jahre nahm der Bau der vier Kilometer langen Strecke zwischen Jungfernstieg und der HafenCity Universität in Anspruch. In den nächsten Jahren soll die Linie U4 bis zu den Elbbrücken verlängert werden, von wo aus künftig auch der «Sprung über die Elbe» möglich wäre. Dem Bau der U-Bahn-Linie ging eine lange Kontroverse voraus: Der Anschluss der HafenCity ans Schnellbahnnetz der Stadt wurde zwar gemeinhin als wichtig erachtet, doch waren die politischen Parteien über dessen Ausgestaltung teils gänzlich unterschiedlicher Ansicht. Einige plädierten für den überirdischen Anschluss mit einer Strassenbahn, andere hätten sich eine abweichende Trassenführung gewünscht – so macht die neue Linie beispielsweise nicht an der Elbphilharmonie Station. Und teuer sind derlei Projekte am Ende sowieso: Die Betreiberin, die Hamburger Hochbahn, gibt die prognostizierten Gesamtkosten für den Abschnitt vom Jungfernstieg bis HafenCity Universität mit 323.6 Millionen Euro an.

Hafen in der Tiefe: Station HafenCity Universität

Zurzeit noch etwas verloren zwischen Baustellen, Zäunen, Brachflächen und dem Hamburger Hafen markieren lediglich blau-weisse U-Bahn-Schilder und schlichte Treppeneinfassungen die Eingänge zur unterirdischen Haltestelle HafenCity Universität. Mit der definitiven Aussenraumgestaltung werden die Eingänge unter anderem mit grossen Leuchtstelen stärker betont, aber die Treppenabgänge erhalten auch in Zukunft kein Dach – angesichts des Hamburger Wetters eine erstaunliche Entscheidung. Doch gerade ohne Dach und dank der grauen Eternit-Verkleidungen erhalten die Abgänge einen neutralen, hellen Charakter. Er begleitet die Passagiere über den steilen Abstieg bis ins Zwischengeschoss. Die Intention hinter dieser zurückhaltenden Gestaltung enthüllt sich beim Abbiegen in die Schalterhalle mit einem Überraschungseffekt: Die Verkleidung der Wände und Decken wechselt hier von Eternit auf dunkel und rostig schimmernde Stahlplatten, die Beleuchtung geht von indirekten Leuchtstoff-Lichtbändern zu eingelassenen Downlights über. Und es offenbart sich in dieser edlen, schummrigen Atmosphäre eine leuchtende, zentral in der Bahnsteighalle hängende Reihe aus zwölf riesigen Lichtcontainern. Ihr Strahlen füllt den Raum und taucht ihn in kräftige Farben – eine betörende Raumwirkung, die periodische Farbwechsel zusätzlich verstärken.

Warten auf die U-Bahn? Was anderswo nervenraubend sein mag, haben Raupach Architekten aus München hier zum sinnlichen Raumerlebnis gestaltet. Die eigens für den Ort entwickelten Lichtszenarien entsprechen den Jahres- und Tageszeiten, sind wahlweise dynamisch oder statisch programmiert und prägen die Raumstimmung mit verschiedenen Farben, Licht- und Dimmverläufen. Konkret sind es zum Beispiel abends Kompositionen mit weniger Blau-, dafür mehr Orangetönen oder im Frühling helle, frische Szenarien mit viel Gelbanteil. Die Unterseiten der Container strahlen homogen in warm-weissem Licht. Vom hellen Boden reflektiert, lässt es den Bahnsteig wie einen erleuchteten Steg erscheinen. So entsteht ganz bewusst ein Kontrast zwischen dem immer gleich ausgeleuchteten Bahnsteig und der abwechselnden Farbatmosphäre des umgebenden Raums.

Die zwölf aus Stahl und semitransparentem Glas konstruierten Leuchtcontainer entsprechen in ihren Massen (6.5  ×  2.8  ×  2.8 m) gängigen 20-Fuss-Containern, allerdings stellen sie mit ihren abgerundeten Kanten eine wohltuend reduzierte Abstraktion der realen Transportbehälter dar. Im Inneren jedes Containers wurden 280 RGB-LEDs montiert, mit denen über eine Lichtsteuerung das ganze Farbspektrum generiert werden kann. Als zentrales Gestaltungselement dominieren die Leuchtcontainer zwar das Bild, sie sind aber in ihrer Wirkung stark abhängig von der klaren Anordnung sowie von der Materialisierung des umgebenden Raums.

Entsprechend ist die stützenlose, 130  × 16 m grosse Bahnsteighalle mit den stirnseitigen Schalterhallen in Form verglaster Galerien sehr übersichtlich angelegt. Ihre räumliche Grosszügigkeit, insbesondere die erstaunliche Höhe von 10 m, ergab sich aus der offenen Bauweise des U-Bahnhofs. Wände und Decken sind mit oxidierten Stahlplatten verkleidet, die einzeln und von Hand vorbehandelt wurden. Dadurch erhielt jede Platte ihren eigenen Charakter, die darauf stattfindende Reflektion des farbigen Lichts wirkt noch lebendiger.

Die Station HafenCity Universität steht damit nicht nur in starkem Bezug zur Identität der Hafenstadt, zu den Modulen der Transportcontainer, zu den changierenden Farben der omnipräsenten Ziegelfassaden und der stählernen Schiffsrümpfe; mit den Farbwechseln und Lichtverläufen nimmt sie zusätzlich auch das Thema der ständigen Veränderung auf, das Kommen und Gehen der Schiffe, aber auch der U-Bahnen und ihrer Fahrgäste. Dies setzten die Lichtplaner allerdings nicht in Form eines hektischen, sich schnell überlebenden Spektakels um, sondern mit einer ruhigen und reduzierten Lichtchoreografie.

Entstanden ist dabei eine ausdrucksstarke Arbeit, die erst kürzlich in Philadelphia mit dem Radiance Award for Excellence von der International Association of Lighting Designers ausgezeichnet wurde.

Unter der Erde Unter Wasser: Station Überseequartier

Ein Besuch in der zweiten neu erstellten Bahnstation der U4, der Haltestelle Überseequartier, zeigt einen ganz anderen Umgang mit dem Bauen im Untergrund. Hier thematisieren die Darmstädter netzwerkarchitekten die Tiefen des Meeres in ihrer Farbigkeit und ihren Lichtstimmungen – passend zu den meereshungrigen Kreuzfahrtpassagieren, die hier künftig aussteigen und sich anschliessend auf ihren Weg zum Terminal machen werden.

Die Fahrgäste treten aus der Bahn auf einen Perron aus Betonwerksteinplatten in verschiedenen Grautönen. Die Wände und Decken der grosszügigen Bahnsteighalle sind mit blau beschichteten, reflektierenden und zur Decke hin heller werdenden Metallpaneelen verkleidet. Als Inspirationsquelle führen die Architekten den Eindruck an, der beim Tauchen entsteht: Nach unten breitet sich ein tiefes Blau aus; blickt man zur Wasseroberfläche hin, werden die Blautöne immer heller, bis das Sonnenlicht sie überstrahlt und in einem bewegten Weiss auflöst. Als Analogie zu diesem Leuchten wurden Edelstahlkassetten mit unregelmässige Motivlochungen an die Decke montiert. Den Weg ins Zwischengeschoss begleiten keramisch beschichtete Glasfliesen und horizontal versetzt angeordnete Leuchtbänder in einem kalten Weiss. Die glänzenden Oberflächen und die hellen Lichtstreifen erinnern zusammen mit den Chromverkleidungen der Rolltreppen an das Glitzern der Sonnenstrahlen im Wasser und an dessen vielfache Brechungen unterhalb der Wasseroberfläche.

In einem anderen Kontext würde die Kombination von glänzenden Fliesen, kaltweissem Licht sowie Metallpaneelen – und dies alles ausschliesslich in Blau- und Grautönen – steril wirken und den Vergleich mit einem Schwimmbad provozieren. Dass dies hier nicht der Fall ist, verdankt die Station ihrer räumlichen Grosszügigkeit: Zwar entspricht die Bahnsteighalle in Höhe und Länge den Massen der Station HafenCity Universität und ist einzig in ihrer Breite von 18 m noch etwas opulenter. Doch erreicht sie in den Zugangsbereichen durch die räumliche Verschränkung der verschiedenen Ebenen aussergewöhnliche Raumhöhen und eine in der Architektur von U-Bahnhöfen seltene Offenheit. Von einzelnen Punkten des Bahnsteigs aus kann man sogar Tageslicht erblicken; wo dies nicht möglich ist, sorgt die helle Verkleidung der nach oben steigenden Decken für einen ähnlichen Effekt.

Zwei Bahnhöfe, zwei Konzepte

Nur zwei Bahnminuten voneinander entfernt und doch so verschieden: Die Station Überseequartier stellt eher nüchtern und pragmatisch, aber durchaus reizvoll die Abbildung einer realen Unterwelt dar. Deren Inszenierung funktioniert über die Gestaltung der sich vermeintlich in Wasser verwandelnden Wände und Decken, über die Farbverläufe und die Beschaffenheit ihrer Oberflächen. Mit räumlicher Grosszügigkeit und vereinzelten Blickbezügen zur Aussenwelt wird die Weite des Meeres sowie die Schnittstelle zwischen Wasser und Luft thematisiert. Gefühlen der Enge oder fehlender Sicherheit wird dadurch auf subtile Weise entgegengewirkt.

Das Oben atmosphärisch und abstrakt veredelt nach unten transportieren – so könnte man dagegen den Entwurfsansatz für die derzeitige Endhaltestelle beschreiben. Mit einem stimmungsvollen Konzept wurde an der HafenCity Universität ein Bahnhof geschaffen, der die Besucher den Aufenthalt unter der Erde und damit verbundene negative Assoziationen vergessen lässt. Die Farbszenarien kompensieren das Fehlen sensorischer Eindrücke im geschlossenen Raum unter der Erde, indem sie einen Bezug zu den oberirdisch gemachten Wahrnehmungen herstellen. So kann ein mögliches Gefühl von Beklemmung oder Orientierungslosigkeit kaum aufkommen.

Beide U-Bahnhöfe treten oberirdisch kaum in Erscheinung, nehmen sich zugunsten der sich im Bau befindlichen Umgebung zurück. Dagegen spielt aber die Aussenwelt im Untergrund eine grosse Rolle – einmal ganz konkret, das andere Mal in inhaltlicher Hinsicht. Doch während die Haltestelle Überseequartier mit räumlicher Öffnung und zunehmender Helligkeit der Oberflächen förmlich zum Tageslicht hin strebt, schottet sich der Bahnhof HafenCity Universität weitestgehend von äusseren Lichteinflüssen ab. Umso prägnanter erzeugen die Lichtcontainer tief unter der Erdoberfläche ein magisches Leuchten, dessen visuelle Kraft diesen U-Bahnhof schon wenige Monate nach seiner Eröffnung zur unterirdischen Sehenswürdigkeit hat werden lassen.

TEC21, Fr., 2013.06.21



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|26 Station im Tunnel

02. Juli 2010Monika Isler Binz
TEC21

Lautsprecher

Mit freiem Blick auf die imposante Baustelle der Elbphilharmonie steht auf der obersten Ebene der Hamburger Magellanterrassen ein Kubus. Ein abstrakt gehaltener Körper, im unteren Bereich schwarz und geschlossen, im oberen Teil verglast und durchlässig. Aus der Orthogonalität und dem Massstab seiner Umgebung ausbrechend, nachts mittels Beleuchtung sogar vom Boden abgehoben, behauptet sich der kleine Bau auf diesem zentralen Platz der Hafencity: der Infopavillon Elbphilharmonie, errichtet vom Hamburger Studio Andreas Heller.

Mit freiem Blick auf die imposante Baustelle der Elbphilharmonie steht auf der obersten Ebene der Hamburger Magellanterrassen ein Kubus. Ein abstrakt gehaltener Körper, im unteren Bereich schwarz und geschlossen, im oberen Teil verglast und durchlässig. Aus der Orthogonalität und dem Massstab seiner Umgebung ausbrechend, nachts mittels Beleuchtung sogar vom Boden abgehoben, behauptet sich der kleine Bau auf diesem zentralen Platz der Hafencity: der Infopavillon Elbphilharmonie, errichtet vom Hamburger Studio Andreas Heller.

Der Pavillon steht sowohl geometrisch als auch inhaltlich in Beziehung zur Elbphilharmonie: Er ist auf die rechte Kante des Kaispeichers A und damit auf den Sockel der Elbphilharmonie ausgerichtet und beherbergt eine Ausstellung, die über die Architektur und den musikalischen Betrieb der von Herzog & de Meuron entworfenen Elbphilharmonie informiert. Zudem kann im Obergeschoss das 1:10-Modell des grossen Konzertsaals besichtigt werden. Der dreigeschossige Pavillon ist als «fliegender Bau» konzipiert und kann nach Erfüllung seiner Aufgabe leicht entfernt werden. Das Ephemere des Baus sowie die Lage am Wasser legte die Ausführung in Stahl nahe. Die Abmessungen des Kubus spielen mit ihren 10 × 10 × 10 m auf ein normiertes Mass an, sollen mit den Worten von Architekt Andreas Heller «keine Bedeutung » haben. Der unter anderem dadurch erreichte Abstraktionsgrad hebt sich bewusst vom expressiven Gestus der Elbphilharmonie ab und lässt das Bild einer Vitrine entstehen, in der das Akustikmodell der Elbphilharmonie wie ein Schmuckstück präsentiert wird.

Spiegelungen

«Der Pavillon zitiert in seinem Baukörper die Elbphilharmonie», sagt Architekt Heller, und wahrlich offenbaren sich trotz der eigenständigen Kubatur auf den zweiten Blick einige formale Bezüge: Wie die Elbphilharmonie ist der Pavillon in einen unteren, geschlossenen sowie einen oberen, gläsernen und nachts leuchtenden Teil gegliedert. Bei beiden Bauten ist der Konzertsaal – auch wenn im Pavillon lediglich in Form des Modells – von aussen sichtbar und die mittlere Ebene, die Plaza bzw. das erste Obergeschoss, als Aussichtsplattform gedacht. Sogar in Details wie der Punktrasterung und den Farbverläufen an den Fassaden ist die Referenz auf das Konzerthaus spürbar.

Bei näherem Herantreten offenbart der Pavillon jedoch eine ihm ganz eigene Facette. Er macht sich akustisch bemerkbar, sendet in den dichten, lauten Klangteppich der Umgebung eigene akustische Signale aus und lockt die Passanten den griechischen Sirenen gleich mit Ausschnitten konzertanter Musik zu sich heran. Diese ertönen aus an der Fassade angebrachten «Klanghörnern», in ihrer Form frei entworfenen Schalltrichtern, die aus Aluminium- Druckguss gefertigt sind. Farblich in die Fassade integriert, öffnen sie das Gebäude nach aussen hin. So wird das Gebäude selbst zum Instrument, das durch die Trichter mit den Besucherinnen und Besucher zu kommunizieren beginnt.

Der Pavillon tritt aber nicht nur auf einer akustischen, sondern auch auf einer taktilen Ebene mit den Besuchern in Kontakt. Diese müssen nämlich ihre Köpfe dicht an die Hörtrichter heranhalten, um die Musik deutlich zu hören bzw. die in einigen wenigen Trichtern gezeigten Filmeinspielungen des NDR-Symphonieorchesters zu sehen. Entsprechend deuten die Schalltrichter mit der unterschiedlichen Abschrägung ihres äusseren Abschlusses verschiedene Körperhaltungen an und gehen mit ihrer in der Höhe springenden Setzung an der Fassade auf die diversen Körpergrössen der Besucher ein. Das abstrakte, strenge Fassadenbild der Aluminium- und Glasplatten wird somit von einer verspielten Ebene überlagert und erhält eine musikalische Konnotation, wie sie André Baltensperger anhand von Le Corbusiers – bzw. Iannis Xenakis’ – «pans de verres ondulatoires» für das Kloster La Tourette beschreibt: «Die ‹Musik› entsteht somit durch die Bewegung des Auges, welches über die architektonischen Elemente hinweggleitet und deren rhythmische Gliederung wahrnimmt.» Die eigentliche Ausstellung im Inneren des Gebäudes ist den Themen Architektur und Musik entsprechend zweigeteilt. Dazu wurde das Erdgeschoss durch einen offenen Durchgang mittig geteilt, der seinerseits auf die Baustelle der Elbphilharmonie ausgerichtet ist und diese damit in den Blickpunkt rückt. Beidseits des Durchgangs werden zum einen die Geschichte des Ortes, die Architektur der neuen Elbphilharmonie und deren Nutzung, zum anderen die musikalische Tradition, das Musikerlebnis sowie das künftige Programm des Konzerthauses erläutert.

In der Akustik berühren sich Musik und Architektur

Im ersten Obergeschoss des Pavillons dominiert das räumlich-visuelle Erlebnis. Ab Brüstungshöhe ist der Raum vollständig verglast und bietet ein Panorama mit Blick auf die Elbphilharmonie, den Schiffhafen und den entstehenden Sandtorpark. Aufgrund der von unten ausgefachten Einhängevorrichtung für das Akustikmodell scheint der Raum eher niedrig, einzig direkt an den Fenstern zeigt sich seine volle Höhe. Im Zentrum dieses Geschosses, das auch für kleinere Veranstaltungen genutzt wird, steht einer Gangway gleich der mobile Aufgang zum Modell.

Das Modell im Massstab 1:10 war für die Akustikplanung von grosser Bedeutung. Unter der Vorgabe eines hervorragenden Klanges im grossen Saal arbeiteten die Architekten Herzog & de Meuron schon seit Beginn des Projektes mit Yasuhisa Toyota (Nagata Acoustics Inc.), einem der weltweit renommiertesten Akustikdesigner, zusammen. Der Grosse Konzertsaal ist eine radikale architektonische Weiterentwicklung der philharmonischen Bautypologien. Zwar ist die Grundidee eines Raums, in dem sich Orchester und Dirigent inmitten des Publikums befinden, eine bekannte Typologie. Auch die Tatsache, dass die Architektur und die Anordnung der Ränge sich aus der Logik von akustischer und visueller Wahrnehmung ableiten, gehört zum Stand der Technik. Hier führt diese Logik jedoch zu einem anderen Schluss: Die Ränge reichen hoch in den Gesamtraum hinein und bilden mit Wand und Decke eine räumliche Einheit. Dieser neue Raum, vertikal aufragend, beinahe wie ein Zelt, wird nicht primär von der Architektur bestimmt, sondern von den 2150 Zuschauenden und Musikern, die sich gemeinsam versammeln, um Musik zu machen und Musik zu hören. Die aufragende Geste des grossen Saals ist die formgebende statische Struktur für den gesamten Baukörper und zeichnet sich dementsprechend in der Silhouette des Gebäudes ab.

Klang materialisiert als Abdruck des Schals

Nachdem die akustischen Effekte des entsprechend konzipierten grossen Saales erst in digitalen 3D-Modellen simuliert worden waren, konnte insbesondere das Entstehen ungewollter Echos im 1:10-Modell überprüft werden. Dazu wurde das mit entsprechender Bestuhlung und Oberflächenstrukturen versehene Modell mit 2150 in Filz gewandeten Püppchen besetzt, mit diversen Mikrofonen ausgestattet, gegen aussen luftdicht abgeschlossen und mit Stickstoff gefüllt, um das Modell gasdicht abzuschliessen, was verfälschende Einflüsse der Atmosphäre auf die Messungen verhindert. Die ausgesendeten Tonsignale wurden massstabsgetreu umgerechnet. Die aus den Messungen resultierende Optimierung der Raumakustik schlug sich in Anpassungen der strukturierten Verkleidung sowie Modifizierungen einiger Brüstungswinkel nieder.

Heute ist das Modell Herzstück des Pavillons und ermöglicht schon vor der Eröffnung der Elbphilharmonie einen Blick in den grossen Konzertsaal. Den meist einzeln ihre Köpfe von unten in das Modell steckenden Besuchern bietet sich denn auch ein Eindruck, der durch den Moment des Alleinseins und den Standpunkt «mitten im Saal» intensiviert wird: Ineinander verschränkte Ränge schieben sich – den engen Platzverhältnissen auf dem Kaispeicher geschuldet – zu einem steilen Zuschauerkessel zusammen. Dem Inneren einer Schnecke oder einer von Wasser geformten Höhle gleich ordnen sie sich unregelmässig um die zentrale Bühne herum an. Es scheint, als ob der Klang die feste Materie geformt hätte und sich die Architektur weniger als Friedrich von Schellings «erstarrte Musik», sondern vielmehr als Abdruck des sich ausbreitenden Schalls präsentiert. Die Musik wird quasi in der Architektur sichtbar, der optische Eindruck und das mit dem Saal verknüpfte akustische Erlebnis decken sich.

Dieses Phänomen gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sich die Architektur und die darin gespielte Musik in jüngerer Vergangenheit auseinander entwickelt hatten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts stimmten Architektur und Musik stilistisch nämlich überein, die Musik wurde in der Regel für einen bestimmten Anlass und den entsprechenden Raum komponiert. Mit dem Übergang zu einem «musealen» Konzertbetrieb, in dem vor allem Musik aus vergangener Zeit gespielt wird, und den erweiterten Möglichkeiten in der Architektur ging die Einheit des visuellen und des akustischen Erlebnisses verloren. Der grosse Konzertsaal der Elbphilharmonie knüpft auf seine Art direkt an das Hörerlebnis an und stellt so wieder einen mitnichten formalen, dafür aber sinnlichen Bezug zwischen Musik und Architektur her.

Klingende Architektur

Dies zeigt sich auch in einem Detail des Saals, das seiner akustischen Feineinstellung dient. Mit der sogenannten Weissen Haut, einer neuartigen Wandverkleidung, soll der Klang optimal reflektiert und jeder Platz des Saals mit perfektem Klang versorgt werden. Sie besteht aus etwa zwölftausend Gipsplatten von hoher Dichte, deren individuelle Fräsung auf 3DBerechnungen und der Überprüfung im Modell basiert. Als akustisch wirksames Element wird die Weisse Haut nicht versteckt, sondern zum prägenden Ausdrucksmittel stilisiert und damit die Ausbreitung bzw. Reflexion des Schalls architektonisch thematisiert. Zusammen mit einem riesigen, trichterförmigen Schallreflektor über der Bühne ermöglicht sie die Optimierung von Form und Oberfläche des Saales, der einem gestimmten Instrument gleich der Musik als Resonanzkörper dient.

In diesem Sinne kann Andreas Hellers Aussage, dass «die Idee der Architektur ist, der Musik einen Raum zu geben», sowohl auf den Pavillon als auf den grossen Konzertsaal der Elbphilharmonie bezogen werden – und um den Nachsatz ergänzt werden, dass bei beiden über die Visualisierung der Akustik die Architektur auf ihre Art zu klingen beginnt.

TEC21, Fr., 2010.07.02



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2010|27-28 Musik und Architektur

Presseschau 12

21. Juni 2013Monika Isler Binz
TEC21

Unterirdisches Leuchten

Hamburgs HafenCity ist seit rund sechs Monaten an das U-Bahn-Netz der Stadt angebunden – zwei neue unterirdische Stationen inklusive. Die Gestaltung beider Bahnhöfe darf getrost als spektakulär bezeichnet werden, wenngleich die Herangehensweisen unterschiedliche sind.
Während die vorläufige Endhaltestelle HafenCity Universität den Aufenthalt im Untergrund mit riesigen Leuchtcontainern und wechselnden Lichtszenarien zum sinnlichen Erlebnis macht, beeindruckt der U-Bahnhof Überseequartier mit räumlicher Grosszügigkeit und vielfältigen Oberflächen.

Hamburgs HafenCity ist seit rund sechs Monaten an das U-Bahn-Netz der Stadt angebunden – zwei neue unterirdische Stationen inklusive. Die Gestaltung beider Bahnhöfe darf getrost als spektakulär bezeichnet werden, wenngleich die Herangehensweisen unterschiedliche sind.
Während die vorläufige Endhaltestelle HafenCity Universität den Aufenthalt im Untergrund mit riesigen Leuchtcontainern und wechselnden Lichtszenarien zum sinnlichen Erlebnis macht, beeindruckt der U-Bahnhof Überseequartier mit räumlicher Grosszügigkeit und vielfältigen Oberflächen.

Gut fünf Jahre nahm der Bau der vier Kilometer langen Strecke zwischen Jungfernstieg und der HafenCity Universität in Anspruch. In den nächsten Jahren soll die Linie U4 bis zu den Elbbrücken verlängert werden, von wo aus künftig auch der «Sprung über die Elbe» möglich wäre. Dem Bau der U-Bahn-Linie ging eine lange Kontroverse voraus: Der Anschluss der HafenCity ans Schnellbahnnetz der Stadt wurde zwar gemeinhin als wichtig erachtet, doch waren die politischen Parteien über dessen Ausgestaltung teils gänzlich unterschiedlicher Ansicht. Einige plädierten für den überirdischen Anschluss mit einer Strassenbahn, andere hätten sich eine abweichende Trassenführung gewünscht – so macht die neue Linie beispielsweise nicht an der Elbphilharmonie Station. Und teuer sind derlei Projekte am Ende sowieso: Die Betreiberin, die Hamburger Hochbahn, gibt die prognostizierten Gesamtkosten für den Abschnitt vom Jungfernstieg bis HafenCity Universität mit 323.6 Millionen Euro an.

Hafen in der Tiefe: Station HafenCity Universität

Zurzeit noch etwas verloren zwischen Baustellen, Zäunen, Brachflächen und dem Hamburger Hafen markieren lediglich blau-weisse U-Bahn-Schilder und schlichte Treppeneinfassungen die Eingänge zur unterirdischen Haltestelle HafenCity Universität. Mit der definitiven Aussenraumgestaltung werden die Eingänge unter anderem mit grossen Leuchtstelen stärker betont, aber die Treppenabgänge erhalten auch in Zukunft kein Dach – angesichts des Hamburger Wetters eine erstaunliche Entscheidung. Doch gerade ohne Dach und dank der grauen Eternit-Verkleidungen erhalten die Abgänge einen neutralen, hellen Charakter. Er begleitet die Passagiere über den steilen Abstieg bis ins Zwischengeschoss. Die Intention hinter dieser zurückhaltenden Gestaltung enthüllt sich beim Abbiegen in die Schalterhalle mit einem Überraschungseffekt: Die Verkleidung der Wände und Decken wechselt hier von Eternit auf dunkel und rostig schimmernde Stahlplatten, die Beleuchtung geht von indirekten Leuchtstoff-Lichtbändern zu eingelassenen Downlights über. Und es offenbart sich in dieser edlen, schummrigen Atmosphäre eine leuchtende, zentral in der Bahnsteighalle hängende Reihe aus zwölf riesigen Lichtcontainern. Ihr Strahlen füllt den Raum und taucht ihn in kräftige Farben – eine betörende Raumwirkung, die periodische Farbwechsel zusätzlich verstärken.

Warten auf die U-Bahn? Was anderswo nervenraubend sein mag, haben Raupach Architekten aus München hier zum sinnlichen Raumerlebnis gestaltet. Die eigens für den Ort entwickelten Lichtszenarien entsprechen den Jahres- und Tageszeiten, sind wahlweise dynamisch oder statisch programmiert und prägen die Raumstimmung mit verschiedenen Farben, Licht- und Dimmverläufen. Konkret sind es zum Beispiel abends Kompositionen mit weniger Blau-, dafür mehr Orangetönen oder im Frühling helle, frische Szenarien mit viel Gelbanteil. Die Unterseiten der Container strahlen homogen in warm-weissem Licht. Vom hellen Boden reflektiert, lässt es den Bahnsteig wie einen erleuchteten Steg erscheinen. So entsteht ganz bewusst ein Kontrast zwischen dem immer gleich ausgeleuchteten Bahnsteig und der abwechselnden Farbatmosphäre des umgebenden Raums.

Die zwölf aus Stahl und semitransparentem Glas konstruierten Leuchtcontainer entsprechen in ihren Massen (6.5  ×  2.8  ×  2.8 m) gängigen 20-Fuss-Containern, allerdings stellen sie mit ihren abgerundeten Kanten eine wohltuend reduzierte Abstraktion der realen Transportbehälter dar. Im Inneren jedes Containers wurden 280 RGB-LEDs montiert, mit denen über eine Lichtsteuerung das ganze Farbspektrum generiert werden kann. Als zentrales Gestaltungselement dominieren die Leuchtcontainer zwar das Bild, sie sind aber in ihrer Wirkung stark abhängig von der klaren Anordnung sowie von der Materialisierung des umgebenden Raums.

Entsprechend ist die stützenlose, 130  × 16 m grosse Bahnsteighalle mit den stirnseitigen Schalterhallen in Form verglaster Galerien sehr übersichtlich angelegt. Ihre räumliche Grosszügigkeit, insbesondere die erstaunliche Höhe von 10 m, ergab sich aus der offenen Bauweise des U-Bahnhofs. Wände und Decken sind mit oxidierten Stahlplatten verkleidet, die einzeln und von Hand vorbehandelt wurden. Dadurch erhielt jede Platte ihren eigenen Charakter, die darauf stattfindende Reflektion des farbigen Lichts wirkt noch lebendiger.

Die Station HafenCity Universität steht damit nicht nur in starkem Bezug zur Identität der Hafenstadt, zu den Modulen der Transportcontainer, zu den changierenden Farben der omnipräsenten Ziegelfassaden und der stählernen Schiffsrümpfe; mit den Farbwechseln und Lichtverläufen nimmt sie zusätzlich auch das Thema der ständigen Veränderung auf, das Kommen und Gehen der Schiffe, aber auch der U-Bahnen und ihrer Fahrgäste. Dies setzten die Lichtplaner allerdings nicht in Form eines hektischen, sich schnell überlebenden Spektakels um, sondern mit einer ruhigen und reduzierten Lichtchoreografie.

Entstanden ist dabei eine ausdrucksstarke Arbeit, die erst kürzlich in Philadelphia mit dem Radiance Award for Excellence von der International Association of Lighting Designers ausgezeichnet wurde.

Unter der Erde Unter Wasser: Station Überseequartier

Ein Besuch in der zweiten neu erstellten Bahnstation der U4, der Haltestelle Überseequartier, zeigt einen ganz anderen Umgang mit dem Bauen im Untergrund. Hier thematisieren die Darmstädter netzwerkarchitekten die Tiefen des Meeres in ihrer Farbigkeit und ihren Lichtstimmungen – passend zu den meereshungrigen Kreuzfahrtpassagieren, die hier künftig aussteigen und sich anschliessend auf ihren Weg zum Terminal machen werden.

Die Fahrgäste treten aus der Bahn auf einen Perron aus Betonwerksteinplatten in verschiedenen Grautönen. Die Wände und Decken der grosszügigen Bahnsteighalle sind mit blau beschichteten, reflektierenden und zur Decke hin heller werdenden Metallpaneelen verkleidet. Als Inspirationsquelle führen die Architekten den Eindruck an, der beim Tauchen entsteht: Nach unten breitet sich ein tiefes Blau aus; blickt man zur Wasseroberfläche hin, werden die Blautöne immer heller, bis das Sonnenlicht sie überstrahlt und in einem bewegten Weiss auflöst. Als Analogie zu diesem Leuchten wurden Edelstahlkassetten mit unregelmässige Motivlochungen an die Decke montiert. Den Weg ins Zwischengeschoss begleiten keramisch beschichtete Glasfliesen und horizontal versetzt angeordnete Leuchtbänder in einem kalten Weiss. Die glänzenden Oberflächen und die hellen Lichtstreifen erinnern zusammen mit den Chromverkleidungen der Rolltreppen an das Glitzern der Sonnenstrahlen im Wasser und an dessen vielfache Brechungen unterhalb der Wasseroberfläche.

In einem anderen Kontext würde die Kombination von glänzenden Fliesen, kaltweissem Licht sowie Metallpaneelen – und dies alles ausschliesslich in Blau- und Grautönen – steril wirken und den Vergleich mit einem Schwimmbad provozieren. Dass dies hier nicht der Fall ist, verdankt die Station ihrer räumlichen Grosszügigkeit: Zwar entspricht die Bahnsteighalle in Höhe und Länge den Massen der Station HafenCity Universität und ist einzig in ihrer Breite von 18 m noch etwas opulenter. Doch erreicht sie in den Zugangsbereichen durch die räumliche Verschränkung der verschiedenen Ebenen aussergewöhnliche Raumhöhen und eine in der Architektur von U-Bahnhöfen seltene Offenheit. Von einzelnen Punkten des Bahnsteigs aus kann man sogar Tageslicht erblicken; wo dies nicht möglich ist, sorgt die helle Verkleidung der nach oben steigenden Decken für einen ähnlichen Effekt.

Zwei Bahnhöfe, zwei Konzepte

Nur zwei Bahnminuten voneinander entfernt und doch so verschieden: Die Station Überseequartier stellt eher nüchtern und pragmatisch, aber durchaus reizvoll die Abbildung einer realen Unterwelt dar. Deren Inszenierung funktioniert über die Gestaltung der sich vermeintlich in Wasser verwandelnden Wände und Decken, über die Farbverläufe und die Beschaffenheit ihrer Oberflächen. Mit räumlicher Grosszügigkeit und vereinzelten Blickbezügen zur Aussenwelt wird die Weite des Meeres sowie die Schnittstelle zwischen Wasser und Luft thematisiert. Gefühlen der Enge oder fehlender Sicherheit wird dadurch auf subtile Weise entgegengewirkt.

Das Oben atmosphärisch und abstrakt veredelt nach unten transportieren – so könnte man dagegen den Entwurfsansatz für die derzeitige Endhaltestelle beschreiben. Mit einem stimmungsvollen Konzept wurde an der HafenCity Universität ein Bahnhof geschaffen, der die Besucher den Aufenthalt unter der Erde und damit verbundene negative Assoziationen vergessen lässt. Die Farbszenarien kompensieren das Fehlen sensorischer Eindrücke im geschlossenen Raum unter der Erde, indem sie einen Bezug zu den oberirdisch gemachten Wahrnehmungen herstellen. So kann ein mögliches Gefühl von Beklemmung oder Orientierungslosigkeit kaum aufkommen.

Beide U-Bahnhöfe treten oberirdisch kaum in Erscheinung, nehmen sich zugunsten der sich im Bau befindlichen Umgebung zurück. Dagegen spielt aber die Aussenwelt im Untergrund eine grosse Rolle – einmal ganz konkret, das andere Mal in inhaltlicher Hinsicht. Doch während die Haltestelle Überseequartier mit räumlicher Öffnung und zunehmender Helligkeit der Oberflächen förmlich zum Tageslicht hin strebt, schottet sich der Bahnhof HafenCity Universität weitestgehend von äusseren Lichteinflüssen ab. Umso prägnanter erzeugen die Lichtcontainer tief unter der Erdoberfläche ein magisches Leuchten, dessen visuelle Kraft diesen U-Bahnhof schon wenige Monate nach seiner Eröffnung zur unterirdischen Sehenswürdigkeit hat werden lassen.

TEC21, Fr., 2013.06.21



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|26 Station im Tunnel

02. Juli 2010Monika Isler Binz
TEC21

Lautsprecher

Mit freiem Blick auf die imposante Baustelle der Elbphilharmonie steht auf der obersten Ebene der Hamburger Magellanterrassen ein Kubus. Ein abstrakt gehaltener Körper, im unteren Bereich schwarz und geschlossen, im oberen Teil verglast und durchlässig. Aus der Orthogonalität und dem Massstab seiner Umgebung ausbrechend, nachts mittels Beleuchtung sogar vom Boden abgehoben, behauptet sich der kleine Bau auf diesem zentralen Platz der Hafencity: der Infopavillon Elbphilharmonie, errichtet vom Hamburger Studio Andreas Heller.

Mit freiem Blick auf die imposante Baustelle der Elbphilharmonie steht auf der obersten Ebene der Hamburger Magellanterrassen ein Kubus. Ein abstrakt gehaltener Körper, im unteren Bereich schwarz und geschlossen, im oberen Teil verglast und durchlässig. Aus der Orthogonalität und dem Massstab seiner Umgebung ausbrechend, nachts mittels Beleuchtung sogar vom Boden abgehoben, behauptet sich der kleine Bau auf diesem zentralen Platz der Hafencity: der Infopavillon Elbphilharmonie, errichtet vom Hamburger Studio Andreas Heller.

Der Pavillon steht sowohl geometrisch als auch inhaltlich in Beziehung zur Elbphilharmonie: Er ist auf die rechte Kante des Kaispeichers A und damit auf den Sockel der Elbphilharmonie ausgerichtet und beherbergt eine Ausstellung, die über die Architektur und den musikalischen Betrieb der von Herzog & de Meuron entworfenen Elbphilharmonie informiert. Zudem kann im Obergeschoss das 1:10-Modell des grossen Konzertsaals besichtigt werden. Der dreigeschossige Pavillon ist als «fliegender Bau» konzipiert und kann nach Erfüllung seiner Aufgabe leicht entfernt werden. Das Ephemere des Baus sowie die Lage am Wasser legte die Ausführung in Stahl nahe. Die Abmessungen des Kubus spielen mit ihren 10 × 10 × 10 m auf ein normiertes Mass an, sollen mit den Worten von Architekt Andreas Heller «keine Bedeutung » haben. Der unter anderem dadurch erreichte Abstraktionsgrad hebt sich bewusst vom expressiven Gestus der Elbphilharmonie ab und lässt das Bild einer Vitrine entstehen, in der das Akustikmodell der Elbphilharmonie wie ein Schmuckstück präsentiert wird.

Spiegelungen

«Der Pavillon zitiert in seinem Baukörper die Elbphilharmonie», sagt Architekt Heller, und wahrlich offenbaren sich trotz der eigenständigen Kubatur auf den zweiten Blick einige formale Bezüge: Wie die Elbphilharmonie ist der Pavillon in einen unteren, geschlossenen sowie einen oberen, gläsernen und nachts leuchtenden Teil gegliedert. Bei beiden Bauten ist der Konzertsaal – auch wenn im Pavillon lediglich in Form des Modells – von aussen sichtbar und die mittlere Ebene, die Plaza bzw. das erste Obergeschoss, als Aussichtsplattform gedacht. Sogar in Details wie der Punktrasterung und den Farbverläufen an den Fassaden ist die Referenz auf das Konzerthaus spürbar.

Bei näherem Herantreten offenbart der Pavillon jedoch eine ihm ganz eigene Facette. Er macht sich akustisch bemerkbar, sendet in den dichten, lauten Klangteppich der Umgebung eigene akustische Signale aus und lockt die Passanten den griechischen Sirenen gleich mit Ausschnitten konzertanter Musik zu sich heran. Diese ertönen aus an der Fassade angebrachten «Klanghörnern», in ihrer Form frei entworfenen Schalltrichtern, die aus Aluminium- Druckguss gefertigt sind. Farblich in die Fassade integriert, öffnen sie das Gebäude nach aussen hin. So wird das Gebäude selbst zum Instrument, das durch die Trichter mit den Besucherinnen und Besucher zu kommunizieren beginnt.

Der Pavillon tritt aber nicht nur auf einer akustischen, sondern auch auf einer taktilen Ebene mit den Besuchern in Kontakt. Diese müssen nämlich ihre Köpfe dicht an die Hörtrichter heranhalten, um die Musik deutlich zu hören bzw. die in einigen wenigen Trichtern gezeigten Filmeinspielungen des NDR-Symphonieorchesters zu sehen. Entsprechend deuten die Schalltrichter mit der unterschiedlichen Abschrägung ihres äusseren Abschlusses verschiedene Körperhaltungen an und gehen mit ihrer in der Höhe springenden Setzung an der Fassade auf die diversen Körpergrössen der Besucher ein. Das abstrakte, strenge Fassadenbild der Aluminium- und Glasplatten wird somit von einer verspielten Ebene überlagert und erhält eine musikalische Konnotation, wie sie André Baltensperger anhand von Le Corbusiers – bzw. Iannis Xenakis’ – «pans de verres ondulatoires» für das Kloster La Tourette beschreibt: «Die ‹Musik› entsteht somit durch die Bewegung des Auges, welches über die architektonischen Elemente hinweggleitet und deren rhythmische Gliederung wahrnimmt.» Die eigentliche Ausstellung im Inneren des Gebäudes ist den Themen Architektur und Musik entsprechend zweigeteilt. Dazu wurde das Erdgeschoss durch einen offenen Durchgang mittig geteilt, der seinerseits auf die Baustelle der Elbphilharmonie ausgerichtet ist und diese damit in den Blickpunkt rückt. Beidseits des Durchgangs werden zum einen die Geschichte des Ortes, die Architektur der neuen Elbphilharmonie und deren Nutzung, zum anderen die musikalische Tradition, das Musikerlebnis sowie das künftige Programm des Konzerthauses erläutert.

In der Akustik berühren sich Musik und Architektur

Im ersten Obergeschoss des Pavillons dominiert das räumlich-visuelle Erlebnis. Ab Brüstungshöhe ist der Raum vollständig verglast und bietet ein Panorama mit Blick auf die Elbphilharmonie, den Schiffhafen und den entstehenden Sandtorpark. Aufgrund der von unten ausgefachten Einhängevorrichtung für das Akustikmodell scheint der Raum eher niedrig, einzig direkt an den Fenstern zeigt sich seine volle Höhe. Im Zentrum dieses Geschosses, das auch für kleinere Veranstaltungen genutzt wird, steht einer Gangway gleich der mobile Aufgang zum Modell.

Das Modell im Massstab 1:10 war für die Akustikplanung von grosser Bedeutung. Unter der Vorgabe eines hervorragenden Klanges im grossen Saal arbeiteten die Architekten Herzog & de Meuron schon seit Beginn des Projektes mit Yasuhisa Toyota (Nagata Acoustics Inc.), einem der weltweit renommiertesten Akustikdesigner, zusammen. Der Grosse Konzertsaal ist eine radikale architektonische Weiterentwicklung der philharmonischen Bautypologien. Zwar ist die Grundidee eines Raums, in dem sich Orchester und Dirigent inmitten des Publikums befinden, eine bekannte Typologie. Auch die Tatsache, dass die Architektur und die Anordnung der Ränge sich aus der Logik von akustischer und visueller Wahrnehmung ableiten, gehört zum Stand der Technik. Hier führt diese Logik jedoch zu einem anderen Schluss: Die Ränge reichen hoch in den Gesamtraum hinein und bilden mit Wand und Decke eine räumliche Einheit. Dieser neue Raum, vertikal aufragend, beinahe wie ein Zelt, wird nicht primär von der Architektur bestimmt, sondern von den 2150 Zuschauenden und Musikern, die sich gemeinsam versammeln, um Musik zu machen und Musik zu hören. Die aufragende Geste des grossen Saals ist die formgebende statische Struktur für den gesamten Baukörper und zeichnet sich dementsprechend in der Silhouette des Gebäudes ab.

Klang materialisiert als Abdruck des Schals

Nachdem die akustischen Effekte des entsprechend konzipierten grossen Saales erst in digitalen 3D-Modellen simuliert worden waren, konnte insbesondere das Entstehen ungewollter Echos im 1:10-Modell überprüft werden. Dazu wurde das mit entsprechender Bestuhlung und Oberflächenstrukturen versehene Modell mit 2150 in Filz gewandeten Püppchen besetzt, mit diversen Mikrofonen ausgestattet, gegen aussen luftdicht abgeschlossen und mit Stickstoff gefüllt, um das Modell gasdicht abzuschliessen, was verfälschende Einflüsse der Atmosphäre auf die Messungen verhindert. Die ausgesendeten Tonsignale wurden massstabsgetreu umgerechnet. Die aus den Messungen resultierende Optimierung der Raumakustik schlug sich in Anpassungen der strukturierten Verkleidung sowie Modifizierungen einiger Brüstungswinkel nieder.

Heute ist das Modell Herzstück des Pavillons und ermöglicht schon vor der Eröffnung der Elbphilharmonie einen Blick in den grossen Konzertsaal. Den meist einzeln ihre Köpfe von unten in das Modell steckenden Besuchern bietet sich denn auch ein Eindruck, der durch den Moment des Alleinseins und den Standpunkt «mitten im Saal» intensiviert wird: Ineinander verschränkte Ränge schieben sich – den engen Platzverhältnissen auf dem Kaispeicher geschuldet – zu einem steilen Zuschauerkessel zusammen. Dem Inneren einer Schnecke oder einer von Wasser geformten Höhle gleich ordnen sie sich unregelmässig um die zentrale Bühne herum an. Es scheint, als ob der Klang die feste Materie geformt hätte und sich die Architektur weniger als Friedrich von Schellings «erstarrte Musik», sondern vielmehr als Abdruck des sich ausbreitenden Schalls präsentiert. Die Musik wird quasi in der Architektur sichtbar, der optische Eindruck und das mit dem Saal verknüpfte akustische Erlebnis decken sich.

Dieses Phänomen gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sich die Architektur und die darin gespielte Musik in jüngerer Vergangenheit auseinander entwickelt hatten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts stimmten Architektur und Musik stilistisch nämlich überein, die Musik wurde in der Regel für einen bestimmten Anlass und den entsprechenden Raum komponiert. Mit dem Übergang zu einem «musealen» Konzertbetrieb, in dem vor allem Musik aus vergangener Zeit gespielt wird, und den erweiterten Möglichkeiten in der Architektur ging die Einheit des visuellen und des akustischen Erlebnisses verloren. Der grosse Konzertsaal der Elbphilharmonie knüpft auf seine Art direkt an das Hörerlebnis an und stellt so wieder einen mitnichten formalen, dafür aber sinnlichen Bezug zwischen Musik und Architektur her.

Klingende Architektur

Dies zeigt sich auch in einem Detail des Saals, das seiner akustischen Feineinstellung dient. Mit der sogenannten Weissen Haut, einer neuartigen Wandverkleidung, soll der Klang optimal reflektiert und jeder Platz des Saals mit perfektem Klang versorgt werden. Sie besteht aus etwa zwölftausend Gipsplatten von hoher Dichte, deren individuelle Fräsung auf 3DBerechnungen und der Überprüfung im Modell basiert. Als akustisch wirksames Element wird die Weisse Haut nicht versteckt, sondern zum prägenden Ausdrucksmittel stilisiert und damit die Ausbreitung bzw. Reflexion des Schalls architektonisch thematisiert. Zusammen mit einem riesigen, trichterförmigen Schallreflektor über der Bühne ermöglicht sie die Optimierung von Form und Oberfläche des Saales, der einem gestimmten Instrument gleich der Musik als Resonanzkörper dient.

In diesem Sinne kann Andreas Hellers Aussage, dass «die Idee der Architektur ist, der Musik einen Raum zu geben», sowohl auf den Pavillon als auf den grossen Konzertsaal der Elbphilharmonie bezogen werden – und um den Nachsatz ergänzt werden, dass bei beiden über die Visualisierung der Akustik die Architektur auf ihre Art zu klingen beginnt.

TEC21, Fr., 2010.07.02



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