Editorial

Ob Sternerestaurant oder Stehimbiss – über Erfolg oder Misserfolg eines gastronomischen Konzepts entscheidet neben dem kulinarischen Angebot auch die atmosphärische Gestaltung der Räumlichkeiten. Essen gehen hat im 21. Jahrhundert weniger mit Ernährung als vielmehr mit Entertainment und mit Selbstinszenierung zu tun; v. a. in den Großstädten, wo sich aufgrund steigender Immobilienpreise immer weniger Menschen repräsentativen Wohnraum leisten können, werden Restaurants mehr und mehr zu Ersatzbühnen, auf denen sich das soziale Leben abspielt. Entsprechend vielfältig sind die Angebote: Um Interaktion geht es schließlich am Dönerstand nicht weniger als auf der Gartenparty oder beim romantischen Tête-à-Tête bei Kerzenschein. Architektonische Konzepte, überlegte Eingriffe in die bestehende Bausubstanz und durchdachte Gestaltungslösungen können viel dazu beitragen, suggestive, wenn nicht gar einzigartige Räume zu schaffen – je nach Wunsch und Anforderung des jeweiligen Gastgebers und seiner anvisierten Klientel. Das Zeitlose ist dabei nicht immer das Richtige, oft findet gerade jene Gestaltungshaltung den größten Zuspruch, die sich ganz und gar dem herrschenden Zeitgeist verschreibt. Wenn ein solches Interieur dann den nachfolgenden Trends standhält, wird es vielleicht sogar zum Klassiker. | Achim Geissinger

Inszenierte Tafelrunde

(SUBTITLE) »Noir Cuisine & Bar« in Stuttgart

Der Name ist französisch, die Küche vietnamesisch, der Innenraum beinahe gänzlich schwarz: Das »Noir« im Stuttgarter Süden bricht mit gängigen Vorstellungen von Restaurantbesuchen und erfreut sich dennoch großen Zuspruchs. Das starke Raumkonzept bildet dabei den gelungenen Rahmen für eine Mischung aus asiatischer und europäischer Esskultur im urbanen Kontext.

An warmen Abenden herrscht reges Treiben auf dem großen steinernen Marienplatz mitten im aufstrebenden Stuttgarter Süden. Durch Zentrumsnähe und gute Infrastruktur steigen auch hier im ehemals eher einfachen Viertel die Mieten z. T. erheblich. Viele Nutzer der Ladenflächen an den Hauptachsen mit dichter Blockrandbebauung haben gewechselt. Zunehmend beleben Restaurants und Bars mit Tischen im Freien Straßen und Plätze. So auch im EG eines ausgesprochen reich detaillierten und denkmalgerecht sanierten Gründerzeithauses zwischen zwei Straßen, die in spitzem Winkel in eine Ecke des Marienplatzes münden.

Schwarze Bierbänke, cremefarbene Sonnenschirme und eine auf ihre technische Substanz reduzierte und dadurch objekthafte Leuchtreklame an der Fassade weisen eher unauffällig auf das Restaurant »Noir« hin. Mit der – aus der vormaligen Nutzung als Verkaufsraum eines Optikers – erhalten gebliebenen Sonnenschutzverglasung vermitteln die großen Schaufenster aufgrund ihrer verminderten Transparenz einen scheinbar unbelebten Eindruck des Innenraums. Der Erhalt dieses optischen Filters ist jedoch vielmehr Ausdruck eines dem begrenzten Budget geschuldeten Kompromisses als eines Wunschs nach Abschirmung. Die geringe Außenwirkung kann dem Zulauf des Restaurants mit vietnamesischer Küche jedoch nichts anhaben, es läuft gut.

Exotische Kombination

Die Betreiber der Szenebar »Schocken« in der Stuttgarter Stadtmitte wollten ihre Vorliebe für asiatische Küche und ihr Faible für »Film Noir« in ein gastronomisches Konzept überführen. Nach zwei abgebrochenen Versuchen mit anderen Planern fand man mit den jungen Stuttgarter Architekten von raumspielkunst in Zusammenarbeit mit dem freien Architekten Florian Lachenmann eine gemeinsame Linie: Mitten im urbanen Treiben sollte ein reizreduzierter schwarzer Raum, der sich ganz bewusst zurücknimmt, das Essen selbst inszenieren. So sollte die Gestaltung nicht als beliebige Dekoration dienen, sondern vielmehr anhand starker Hell-Dunkel-Kontraste Speisen und Gäste in den Mittelpunkt rücken. Auch das limitierte Budget und die aufgrund des mehrfachen Planerwechsels knapp gewordene Realisierungszeit galt es zu berücksichtigen. Der effizient neu organisierte tortenstückförmige Grundriss des Bestands verschafft dem eintretenden Gast ganz selbstverständlich gute Orientierung. Die zentrale Verteilerfläche ist von einer goldfarbenen Bodenbeschichtung und Leuchten, die an Straßenlaternen erinnern, gekennzeichnet. Hier zwischen Gastraum und Theke sind auch ein kleiner Wartebereich und der Abgang zum UG mit Bar und Toiletten angesiedelt; schmale Fenster mit leuchtend roten Laibungen bieten einen diskreten Einblick in die Küche.

Sämtliche sonstigen Oberflächen zeigen sich ganz in Schwarz: Tresenblock Einbauschränke und die Decke wurden lackiert, die Wände z. T. über verbliebene Tapetenreste hinweg mit Innenraumfarbe gestrichen und matt versiegelt. Den Gastraum füllt vom Boden bis auf Sitzhöhe ein Podest, dessen Schichtholzkonstruktion in mehreren Arbeitsschritten mit einer weichen PU-Beschichtung einheitlich mattschwarz überzogen wurde. Durch die eingeschnittene Rampe, die vom Verteilerniveau zur schmalen Stirnseite des Gastraums hin auf Sitzebene ansteigt, und die sechs Sitzmulden, in denen die Tische aufgestellt sind, entsteht eine Art Sitzskulptur. Die größtenteils asymmetrisch zugeschnittenen Tischplatten, ebenfalls PU-beschichtet, scheinen darüber zu schweben.

Im selben Boot

Anstelle von Stühlen eine große Sitzskulptur in den Raum einzupassen, geht auf die Idee zurück, angesichts des begrenzten Raumangebots die Gäste in der großen gemeinsamen Sitzgelegenheit bei Bedarf leichter zusammenrücken lassen zu können. Dadurch, dass alle in der durchgängigen Sitzskulptur wie zu einer Bootspartie Platz nehmen, ergibt sich automatisch das Gefühl einer temporären, die Tischrunde vereinenden Gemeinschaft. Keine Reservierungen anzunehmen, ist Teil dieses Konzepts, und so finden sich häufig bunt zusammengewürfelte Tischgemeinschaften. Das für europäische Restaurants ungewöhnliche Einsteigen in die Sitzskulptur bietet sogleich einen ersten Anlass, mit den zufälligen Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen. Der allein wartende Gast indes kann sich Kurzweil verschaffen, indem er durch die großen Fenster die Straßenszenen draußen betrachtet, ohne sich unangenehm exponiert zu fühlen. Von außen betrachtet ergibt sich abends aufgrund der punktuell nach unten gerichteten Beleuchtung ein eher ungewohnt rätselhaftes Bild eines Restaurants: Wie Fragmente eines Film noir leuchten einzelne Gesichter und Gegenstände im Dunkel des Raums auf. Viele Passanten jenseits der Sonnenschutzverglasung fühlen sich unbeobachtet, weil sie den Innenraum nur vermindert wahrnehmen, und verhalten sich entsprechend ungezwungen. Mit zunehmender Belegung des Restaurants gewinnt jedoch die Konzentration auf das Geschehen im Innern an Gewicht.

Die ursprüngliche Idee, sich stärker an den Gepflogenheiten in einigen asiatischen Ländern zu orientieren und zu diesem Zweck Schuhe aus dem Gastraum zu verbannen, wurde als unpraktikabel eingeschätzt und wieder verworfen. Die Lösung, bei der die Schuhe anbehalten werden können, trage der europäischen wie der asiatischen Esskultur Rechnung, so Architekt Fabrice Henninger von raumspielkunst. Darüber hinaus verschafft die ansteigende Rampe den schwarzgekleideten Service-Kräften die erhöhte Aufmerksamkeit der Gäste und lässt aus ihren Wegen kleine Auftritte werden.

In der radikal schwarzen Szenerie sorgen die Gäste und gut angerichtete vietnamesische Speisen auf sorgfältig ausgewählten Geschirrteilen für Farbe und rücken dadurch in den Fokus. Besonders bei abendlicher Beleuchtung der Tischflächen durch tiefhängende Halogenleuchten kommt das starke Bild der Tischgemeinschaft zum Tragen. Zu kontemplativ wird es aber dennoch nicht, da der Geräuschpegel bei voller Belegung auch wegen der vielen schallharten Oberflächen – trotz partieller textiler, schwarzer Wandbespannung – kaum gedämpft wird. Ein Ort der Ruhe im akustischen Sinne konnte also nicht entstehen, die Unaufgeregtheit der Einrichtung vermindert jedoch wohltuend die Reizflut.

Konzept statt Luxus

Die Genehmigung für die Umnutzung des Optikerladens zum asiatischen Restaurant in dem ansonsten mit Wohnungen belegten und unter Denkmalschutz stehenden Haus war an strenge Auflagen der Behörden gebunden. So wurde, um den Schallschutz zu verbessern, der bestehende Estrich von den flankierenden Wänden aufwendig entkoppelt und eine abgehängte Gipskartondecke mit besonders hoher Dichte eingebaut. Die Nachrüstung einer leistungsstarken Absauganlage für die Küchendünste, inklusive des Abluftrohrs, das in enger Abstimmung mit der Denkmalbehörde an der Hoffassade hochgeführt wurde, war ebenso nötig, wie der Austausch des Fensterelements an der Stirnseite, das nun im Brandfall als Notausstieg bereitsteht.

Angesichts der bereits hohen Kosten für die genehmigungsrelevanten Umbauten, konnte die Innengestaltung nicht mit edlen Materialien auftrumpfen oder hohen Verarbeitungsaufwand rechtfertigen. Farbe als Gestaltungselement, zumal in Schwarz, kam diesem Zweck da sehr entgegen. Und so ist es eher charmant als der Atmosphäre abträglich, wenn Tapetenreste überstrichen wurden oder die PU-Beschichtung hie und da eine Tropfnase hat. Auch die Sanitärräume verzichten auf Überflüssiges und zeigen weiße Sanitärkeramik vor schwarz gestrichenen Wänden. Das starke und schlüssige Konzept ist so konsequent umgesetzt und so auf die vorhandenen räumlichen Qualitäten zugeschnitten, dass eine perfektionistische Ausführung vielleicht schon zu einer gewissen Kälte geführt hätte. Zu den gemäßigten Preisen, dem freundlichen und unkomplizierten Personal und dem bunten städtischen Treiben vor der Tür passt es allemal. Dem Zeitgeist verpflichtetes Publikum aus vorwiegend gestalterischen Berufen mischt sich hier mit Personen, die beim Essengehen eine gewisse Lockerheit schätzen.

Der kleinen schummrigen Bar im UG haftet noch etwas Provisorisches an, da das wichtigste Gestaltungselement, eine plastische rote Deckenbekleidung bisher noch nicht verwirklicht wurde. Aber auch schon vor deren Vollendung macht das Noir Lust, bald wieder in die Sitzskulptur zu steigen und entspannt vietnamesisch zu essen.

db, Mo., 2013.06.03

03. Juni 2013 Martin Höchst

Restaurant-Bar-Hybrid

(SUBTITLE) Restaurant »Cavos Taverna« in Stuttgart

Turbulente Tavernen-Atmosphäre, gutes Essen, gesellige Runden, Feierlaune bis in die Morgenstunden – dieser gastronomische Hybrid in der Innenstadt von Stuttgart vereint Essen, Trinken, Feiern und Tanzen unter einem Dach. Die einfache, klare und dennoch anheimelnde Raumgestaltung zitiert dabei gekonnt und z. T. eigenwillig den Stil traditioneller griechischer Tavernen.

Die griechische Taverne »Cavos« in Stuttgart Mitte ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Adresse »gemacht wird« und nicht von vornherein besteht; und – vielleicht etwas ernüchternd – dass es, wenn Restaurant- und Raum-Konzept stimmen, auf die architektonische Hülle nicht ankommt, um in der Gastronomie erfolgreich zu sein. Das Konzept einer quirligen Taverne, die Restaurant, Club und Bar miteinander vereint und in der erst gegessen und später (auf den Tischen!) getanzt und gefeiert wird, mag zunächst überraschen und ist sicher auch nicht jedermanns Sache, in sich stimmig und konsequent umgesetzt ist das Konzept im Cavos aber allemal. Und der Erfolg gibt den Betreibern Florian Faltenbacher und Petros Bakirtzis Recht: Erst im Oktober letzten Jahres eröffnet, ist das Lokal, das sich hinter einer wenig einladenden dunkelbraunen, kupferbekleideten Fassade in der Lautenschlagerstraße 20 fast ein wenig versteckt, an den Wochenenden bereits auf lange Zeit ausgebucht.

Individuell und Massgeschneidert

Das Gestaltungskonzept basiert auf dem Einsatz natürlicher, »griechischer« Materialien und heller, naturverbundener Farbtöne, kombiniert mit einigen wenigen Pastelltönen, meist Blau. Stoffbezüge in hellem Braun-Grau, beigefarbenes Korbgeflecht, weiße Tische, Wände und Textilien, Bambusrohr, Dielenböden und Theken aus Eiche prägen den großen, sich über zwei Ebenen erstreckenden Gastraum. Im oberen Bereich wird er durch einen »Barblock« mit wunderbar luftiger Lichtdecke aus vielfach eng zusammengenommenem, weißem Vorhangstoff und im ebenerdigen durch eine lang gestreckte prominent gegenüber vom Eingang platzierte Bar zusätzlich gegliedert. Ein Hingucker ist hier aber v. a. die hinterleuchtete, farbige Flaschenwand der Münchener Designerin Nadja Belg, die die gesamte, in diesem Teil des Lokals beachtliche Raumhöhe nutzt. Die weiß gestrichenen Holzstühle mit hoher Rückenlehne und handgeflochtenem Sitz wurden in Griechenland, in einem der beiden letzten Betriebe, die diese traditionellen Stühle noch komplett von Hand fertigen, in Auftrag gegeben. Kombiniert mit den ebenfalls weiß gestrichenen Massivholztischen, die statt mit Tischtüchern mit Packpapier eingedeckt sind, entsteht eine angenehm gastliche Atmosphäre mit edler Note und rustikalem Touch. Der klare, einfache Einrichtungsstil sowie das gastronomische Gesamtkonzept orientieren sich an dem Stil traditioneller griechischer Tavernen; interpretieren und transformieren ihn aber geschickt in eine zeitgemäße und nordeuropäische Sprache. So sitzt man auf der oberen Ebene des Gastraums z. B. unter einer Lichtdecke, bei der das Kunstlicht durch weiß gestrichene Bambusstäbe fällt und einen zwangsläufig an die schattenspendenden »Bambussegel« griechischer Bars denken lässt.

Man spürt die Sonne förmlich. Es handelt sich aber nicht nur um ein schönes Zitat, sondern verleiht dem in diesem Bereich relativ niedrigen Raum zudem eine gewisse Großzügigkeit. Im Gastraum auf Straßenniveau sitzt man unter einer originellen, dicht an dicht gehängten Korb-Leuchten-Decke.

Mittlerweile haben die Inhaber gemeinsam mit ihrem Designer Panagiotis Desfiniotis offensichtlich ein gutes Gespür dafür entwickelt, was funktioniert und was nicht, welcher Standort und welche Gestaltungsrichtung zu ihrem Konzept passen. Bereits vor 20 Jahren eröffneten sie ihr erstes Lokal in München, wo sie inzwischen drei Tavernen nach demselben Muster betreiben. Die gestalterische Grundlinie zieht sich wie ein roter Faden durch alle Lokale, wird aber jeweils individuell ausgestaltet. »Kein Design von der Stange«, das ist ihnen wichtig; nach ersten, eher groben Planzeichnungen werden Materialien und Details vor Ort auf der Baustelle mit dem Designer entwickelt und im Weiteren von diesem mit einem bewährten Handwerkerteam umgesetzt. »Rock and Roll-Style« nennt Florian Faltenbacher diese Art zu »entwerfen«. Dabei wird viel diskutiert, experimentiert, ausprobiert und wieder verworfen. So waren für das Cavos z. B. bereits 100 m² Spiegel bestellt und vom Glaser geliefert und montiert worden. An Ort und Stelle entsprach die Spiegelwand dann aber doch nicht den Vorstellungen, »sie war einfach zu schick für unser Konzept, also ließen wir sie wieder entfernen«. Kostengünstig plant man so natürlich nicht, aber auf jeden Fall mit einer Menge Spaß an der Sache!

Geschickt gegliedert

Mit rund 600 m² ist die Taverne relativ weitläufig; durch geschickte Zonierungen nimmt man als Gast die Größe aber nicht als unangenehm wahr. Der Bereich vor den Toiletten bildet eine Art Übergangszone zwischen Restaurant und dem sich anschließenden Club-/Barbereich, in dem geraucht werden darf. Mit Raum- und Nutzungswechsel ändert sich auch die Gestaltung: Im hinteren Teil herrschen dunkle Farben vor; man verlässt in gewisser Weise Griechenland, wie es der Designer umschreibt. Wand- und Thekenbekleidungen sind hier aus dem afrikanischen Holz Abachi; von Panagiotis Desfiniotis handgebürstet und mit verdünnter blauer Tinte lasiert, bis es die gewünschte Oberflächenbeschaffenheit und Farbe hatte. Hinterleuchtet werden die Holzbekleidungen mit farbigen LEDs. Das gesamte Lichtkonzept basiert auf einer Kombination aus unterschiedlichen Lichtquellen und Leuchtmitteln. Auf bloße Raum-Dekorationen wurde erfreulicherweise vollständig verzichtet. Lediglich einige aussagekräftige Schwarz/Weiß-Fotografien, wie die eines lebenslustigen Opas, der sich in allen Lokalen der Betreiber findet, sowie ausgewählte Kunstwerke hauptsächlich griechischer Künstler setzten wohlüberlegte Akzente.

Doch was hat es nun mit dem eingangs erwähnten »Tanz auf den Tischen« auf sich? Nun, wenn man an einem Donnerstag, Freitag oder Samstag im Cavos ist, klärt sich die Frage schnell. Gegen 23 Uhr wird der Wechsel von Restaurant zu Partylocation eingeläutet: Die Musik wird lauter und zunächst griechischer, das Licht dunkler, die Kellner sammeln Geschirr und Kerzen ein und beginnen damit (auf den Theken stehend), eine Unmenge weißer Papierservietten in die Luft zu werfen! Wie ich mir von einem griechisch-schwäbischen Kollegen bestätigen ließ, die harmlose, da gefahrlose Variante der seit den 60er Jahren in Griechenland praktizierten und beliebten Sitte, in den Lokalen Teller oder später zumindest noch Blumen zu werfen. Am Ende dieses herrlich dekadenten Spektakels, bei dem es natürlich ordentlich mitzumachen gilt, steht man fast kniehoch in Servietten und viele der Gäste bereits auf den Tischen. Wer mag, kann dann bis in die Morgenstunden weiter feiern und tanzen – auch gerne auf Tisch und Stuhl.

Egal ob nur essen oder essen und feiern – auch nur feiern ist am späteren Abend erlaubt – es sei empfohlen, in nicht zu warmer Kleidung zu erscheinen. Denn während der Raucherbereich gut be- und entlüftet wird, sodass er sogar für Nichtraucher erträglich ist, wird es im großen Gastraum doch relativ warm und stickig – und das nicht erst, nachdem er zum Tanzparkett erklärt wurde. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass Akustikmaßnahmen eine untergeord- nete Rolle spielen. Zur Tavernen-Atmosphäre gehört ein gewisser Geräuschpegel eben dazu. Wer also einen ruhigen Abend verbringen möchte, sollte sich besser für ein anderes Restaurant entscheiden. Wer aber ausgehen und sich in geselliger Runde amüsieren möchte, der kann in der »Cavos Taverna« einen durchaus besonderen Abend erleben und das begleitet von sehr gutem, nicht ausschließlich griechischem Essen zu angemessenen Preisen – ab dem Sommer (hoffentlich) auch draußen, die Terrasse ist derzeit jedenfalls in Planung.

db, Mo., 2013.06.03

03. Juni 2013 Ulrike Kunkel

Landpartie mit einem Hauch von Zen

(SUBTITLE) »Festzelt« Des Restaurants »Les Cols« in Olot (E)

Das überregional bekannte Restaurant in einem ausgebauten Gehöft im Vulkangebiet der Garrotxa wurde um einen überdachten Freibereich erweitert, für dessen Gestaltung das Bild eines Picknicks im Grünen Pate stand. Transluzente Kunststoff-Bahnen dienen als Wetterschutz, zonieren den Raum und bilden schmale Atrien, aus denen Bäume emporwachsen. Die nahezu ganz entmaterialisierte Architektur lässt die Frage nach Drinnen oder Draußen nebensächlich werden.

Nach dem Umbau eines alten Bauernhofs in ein Restaurant, dessen minimalistischer Prunk auch in New York Furore machen würde, und den fünf Pavillons, die als rundum gläserne Behälter zu den eigentümlichsten Hotelzimmern der Welt gehören (vgl. db 3/2007, S. 32), hat das katalanische Architekturbüro RCR den Komplex »Les Cols« im Städtchen Olot nun um ein Bankettzelt erweitert. Es destilliert das architektonische Denken dieser Baukünstler auf seine Essenz und offenbart es damit in seiner Wundersamkeit wie in seiner Trickhaftigkeit.

Die Grundidee basiert auf der Vorstellung einer Landpartie: Man spaziert in eine Aue hinab, lässt sich an einem lauschigen Ufer nieder und breitet sein Picknick aus. Wer will, darf an Manets »Déjeuner sur l’herbe« denken. Nun aber die Wirklichkeit: Der Fluss, der streckenweise tatsächlich lauschige Fluvià, durchquert hier ein vorstädtisch verunstaltetes Gebiet. Das Grundstück selbst grenzt nicht an das Gewässer; und so haben die Architekten das Gelände neben dem Restaurant und den Pavillons gefahrlos absenken können, um darin jene Stätte zu schaffen, die man kaum ein Gebäude, aber auch nicht Bierzelt nennen kann – eher eine Ruine aus der Zukunft?

Uneindeutigkeit

Die Architektengruppe Aranda Pigem Vilalta, nach den Initialen ihrer Vornamen RCR genannt, hat weltweit Kultstatus erlangt. Rafael, Carme und Ramón stammen alle aus dem Städtchen Olot, 150 km nordöstlich von Barcelona. In und um Olot haben sie ein Œuvre aus Einfamilienhäusern, öffentlichen Bauten und landschaftlichen Interventionen geschaffen, das unverkennbar ihre Handschrift trägt. Über den Wert dieser Handschrift wird auch dieser Artikel keine gültige Antwort anbieten können.

Hält RCR daran fest, nur lokal tätig zu sein und Shanghai Shanghai sein zu lassen? Jein, so könnte man die Antwort Rafael Arandas wohl übersetzen. Jüngste Projekte in Barcelona – eine Bibliothek, ein Bürohaus – und in Südfrankeich – etwa das Musée Soulages in Rodez – können zwar noch zum natürlichen »Einzugsbereich« der Architekten zählen; ein Hotel in Dubai hingegen schwerlich. Dennoch sind RCR ein mit 14 Mitarbeitern überschaubares Büro geblieben (s. Erfahrungsbericht einer Mitarbeiterin in db 4/2007, S. 20), dessen Arbeitsräume in einer einstigen Glockengießerei im Zentrum des Städtchens gewiss eines der schönsten Beispiele dafür sind, was Rafael Aranda als ihr vorderstes Anliegen nennt: den Außenraum nach innen zu holen.

Eben eine solche Zwielichtigkeit oder Durchdringung von Außen und Innen kennzeichnet das Projekt Les Cols. In struktureller Hinsicht könnte man von einem künstlichen Tal sprechen. Das beim Aushub geförderte vulkanische Gestein wurde in unterschiedlichen Körnungen sowohl für den Boden als auch für die Bekleidung der z. T. zu Halden geformten Stützmauern verwendet. Mit diesem basaltenen, rauen, tektonischen Grund kontrastiert das schwebende, luftige, transparente Dach, welches das Erscheinungsbild auf dem Zugangsweg in das »Tal« bestimmt. Im Hintergrund erhebt sich, perfekt gerundet, einer der zahlreichen die Stadt Olot überragenden Vulkankegel.

Ist der Talgrund erreicht, so tritt man unter die metallenen Gestänge, die durchhängend, als wären sie Bambus, das Dach tragen. Einige Schritte noch, und man trifft auf den ersten Außen und Innen voneinander trennenden Vorhang. Es sind dies 30 cm breite, von der Decke hängende, durch ihre Bodenverankerung verstellbare PVC-Lamellen, die den Raum kaum sichtbar strukturieren. Sie bilden eine Art Zickzackweg durch die für den Ablauf eines Festbanketts typischen Stationen – Aperitif, Diner, Tanzfläche.

Dabei kommt den dazwischen gefügten schmalen »Patios« die entscheidende Rolle zu. Als nicht überdachte Intervalle dienen sie der Entwässerung, v. a. aber nehmen sie die (vorläufig noch jungen) almeces auf, auf Deutsch Zürgelbaum genannt – ein autochthones Gewächs, dessen Kronen dereinst ihren Schatten über das große Festzelt werfen werden. Laut den Architekten filtert die ETFE-Doppelmembran (mit 100 mm Zwischenraum), die auch akustischen Problemen mit der Nachbarschaft abhilft, das Sonnenlicht bereits zu 50 %. Das ist eine zuversichtliche Rechnung: Die Winter in der Garrotxa sind kalt, der Sommer ist heiß, und schon an einem milden Frühlingstag wird deutlich, dass es sich hier um eine Art Treibhaus handelt. Klimatisierung ist denn auch, wie diskret auch immer angebracht, unvermeidlich. Die entsprechenden Anlagen bekommt natürlich nur das Personal zu sehen: Sie befinden sich dort, wo auch etwa die Anlieferung mittels hydraulischer Aufzüge stattfindet. Denn das durchsichtige Traumreich hat – obwohl RCR sich nach dem Grundsatz richtet, Komplexität »in einer Einheit, einem räumlichen Fluss« zu lösen, seine Schattenseiten.

Die carpa – so der spanische Ausdruck für ein Festzelt – ist, wie schon die Pavillons, eine höchst seltsame Abstraktion: von Natur oder eher von Architektur? Versuchen wir, uns der Anlage ein zweites Mal zu nähern: Sie ist offensichtlich von den grundlegenden Elementen des Lichts und des Materials her konstruiert. Wie jedes Bauwerk von RCR hat sie den Anspruch, ein sinnliches Lehrstück zu sein – mit minimalen Mitteln maximale Wirkung zu erzielen. RCR-typisch, bildet eine dem Terrain genau angepasste Kubatur eine Art Chassis, über dem die niedrige Dachlinie schwebt. Für diese Architekten müsste man den Begriff der »angewandten Land Art« erfinden. Man kann die Carpa introvertiert oder extrovertiert nennen – beides trifft zu.

Oder ein dritter, ganz sachlicher Anlauf: Der Partygast – es sind überwiegend Hochzeiten, die hier stattfinden – wird sich (und soll sich, so Rafael Aranda) zunächst fragen, »warum da eigentlich nichts ist«. Selbst Glas erschien den Architekten als zu »materiell« – daher die PVC-Lamellen, und daher auch die eigentlich aberwitzige Plexiglas-Möblierung für maximal knapp 300 Gäste: so gut wie unsichtbar – bis sich ein Dickwanst darauf setzt und den Stuhl vermutlich nicht besonders bequem findet.

Ein Picknick-Platz nach alter Väter Sitte sieht so gewiss nicht aus. Aber wir haben selber kein Fest dort erlebt; und können uns daher nur vorstellen, wie gut die in die Metallrohrdecke integrierten LED-Leuchtschienen funktionieren, wie wunderbar das mittlerweile zwei Michelin-Sterne verdienende Essen in Les Cols ist, und ob die sehr großzügigen, scheinbar im Freien liegenden und wie die gnadenlos sachlich geordnete Küche als Extra-Geviert an die Carpa anschließenden Toiletten ganz einfach benutzbar sind.

db, Mo., 2013.06.03

03. Juni 2013 Markus Jakob

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