Editorial
Großraum-, Gruppen- und Zellenbüro haben ausgedient, an ihre Stelle sind Multi-Space, Business Club und Coworking Space getreten? So einfach, das zeigen auch die folgenden Projekte, ist es sicher nicht. Zu unterschiedlich und komplex sind allein schon im Bereich der Büroarbeit die Aufgaben und die damit verbundenen Anforderungen an das Arbeitsumfeld. Eine Kombination verschiedener Konzepte scheint daher sinnvoll und geboten. Doch bei aller Individualität lassen sich natürlich auch allgemein gültige Parameter ausmachen, die bei der Planung von Arbeitsplätzen und Bürogebäuden berücksichtigt werden müssen, da sie sich unmittelbar auf die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter und somit auf die Qualität ihrer Arbeit auswirken. Neben einem anregenden Umfeld sind dies z. B. räumliche Strukturen, die Interaktion ermöglichen und befördern; aber auch Akustik, Beleuchtung, Belüftung, Raumtemperatur sowie das gut abgestimmte Zusammenspiel von Farben und Formen sind entscheidend. Darüber hinaus spielen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie Corporate Identity-Aspekte eine immer wichtigere Rolle. Ob im Bestand oder im Neubau, in den von uns ausgewählten und kritisch betrachteten Projekten finden sich all'diese Themen wieder. | Ulrike Kunkel
Flügel verliehen
(SUBTITLE) Headquarter Red Bull Niederlande in Amsterdam (NL)
Auf der ehemaligen NDSM-Werft in Amsterdam sind Teile der alten Schiffsschmiede zum Sitz von Red Bull Niederlande umgewandelt worden. Der Entwurf von Sid Lee Architecture nutzt die historische Kulisse als Spielfläche für eine kontrastreich inszenierte Bürolandschaft.
Im Amsterdamer Norden ist in den vergangenen Jahren die seit 1978 leer stehende NDSM-Werft sukzessive zur »MediaWharf« transformiert worden. In der riesigen Werfthalle haben sich zahlreiche Künstler niedergelassen, die ehemalige Kantine wurde als Kaffeehaus wiederbelebt. Direkt neben dem kleinen Hafen, und in Sichtweite zum Gebäude von MTV Benelux, hat zuletzt auch der österreichische Getränkehersteller Red Bull seinen neuen Hauptsitz für die Niederlande bezogen. Die ursprünglich aus dem Jahr 1927 stammende, auf Basis der alten Kubaturen und Strukturen 2010 weitgehend neu errichtete Industriehalle integriert auf einer Fläche von 875 m² eine abwechslungsreiche Bürolandschaft für rund 60 Mitarbeiter.
Bis zuletzt war Red Bull Nederland in Utrecht ansässig. 2009 hatte die Konzernleitung jedoch beschlossen, den Sitz an einen urbaneren Standort zu verlagern, der eher dem offensiv durch zahlreiche Werbekampagnen propagierten Lifestyle-Image des Unternehmens entspricht. Nach Prüfung von etwa 30 möglichen Alternativen fiel die Wahl auf die Sheddachhallen der denkmalgeschützten ehemaligen Schiffsschmiede. Aus dem begrenzten Architekturwettbewerb konnte sich schließlich der Entwurf des kanadischen Büros Sid Lee Architecture durchsetzen, das seit 2008 mehrere Architektur- und Branding-Projekte für Red Bull realisiert hat und dessen unkonventionelle Handschrift bestens zur CI des Unternehmens passt.
»Ausgehend von der besonderen Unternehmenskultur von Red Bull wollten wir ganz bewusst kein Standard-Büro schaffen«, erklärt Projektarchitekt Jean Pelland. In enger Absprache mit den Nutzern entstand stattdessen ein offen und flexibel gestaltetes Ambiente mit zahlreichen skurrilen Details und bewusster Beschränkung auf einfache, industriell anmutende Materialien wie Stahl, Glas und Holz. Um dabei ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten im Team oder allein zu ermöglichen und gleichzeitig Raum zur informellen Begegnung zu bieten, wurden zwei klar definierte Bereiche geschaffen, die durch einen zentralen Service-Kern voneinander getrennt werden. Der südliche der vier noch vorhandenen Sheddachriegel wurde gesondert ausgebaut und an eine Marketingagentur vermietet. In Richtung Norden wurde ein kompletter Riegel abgebrochen, um Platz für das noch zu errichtende, von Group A aus Rotterdam geplante Boutique Hotel zu erhalten.
Aus Alt mach Neu
Inzwischen sind die Räumlichkeiten seit rund 18 Monaten bezogen. Und auch wenn es von Weitem betrachtet so wirkt, als habe sich vor Ort kaum etwas verändert, kann von einem Altbau letztlich keine Rede mehr sein. Schließlich wurde die durch einen Brand stark beschädigte Backsteinfassade mit ihren vier dreiecksförmig nach oben zulaufenden Giebeln im Zuge des Umbaus entsprechend der vorhandenen Geometrien neu errichtet. Und ebenso wurde auch der Innenraum vollständig entkernt und durch Glas- und Trockenbauwände neu untergliedert. Zusätzlich wurden ein neuer Boden aus Betonestrich, neue Sheddächer und neue Zwischendecken sowie eine bewusst sichtbar belassene neue Lüftungsanlage für eine betont industrielle Anmutung eingefügt. Original erhalten wurden letztlich nur die verfahrbaren blauen Tore vor den Fenstern sowie ein Teil der alten Tragstruktur.
Über den Hauptzugang nach Nordwesten gelangen die Mitarbeiter zunächst in den eher informellen Teil des Gebäudes. Statt einer herkömmlich-repräsentativen Empfangssituation erwartet sie dort eine expressiv aus gefalteten und stürzenden Geometrien zusammengesetzte, dabei dreidimensional begehbare Raumskulptur mit überraschenden Perspektiven und fließendem Wechsel von Schwarz und Weiß sowie von Innen und Außen. Die von den Architekten CI-gerecht inszenierte, vom Amsterdamer Büro Fiction Factory mit einer mächtigen Stahlträgerkonstruktion sowie mit einfachen Holzplatten und einer schwarzen Stahlverkleidung errichtete Kulisse erinnert in ihrer Struktur je nach Perspektive an eine Höhlen- oder Gebirgslandschaft, an ein Schiff, an eine Skating- oder Climbing-Anlage oder an den dadaistischen Merzbau von Kurt Schwitters. Neben einer Teeküche mit Sitzecke und einem abgetrennten Konferenzzimmer beherbergt sie auch ein kleines »Kino« mit Videoleinwand. Noch attraktivere Räumlichkeiten bietet anschließend das als Mezzaningeschoss fungierende, und mit blitzförmigem Grundriss gestaltete »Dach« der riesigen Raumplastik, wo den Mitarbeitern eine bequeme Sitzecke zum Entspannen zur Verfügung steht. Über die großen Glasdreiecke in der Brüstung ergeben sich dabei ungewöhnliche Perspektiven auf‘s EG.
Flexible Arbeitswelt
Vergleichsweise funktional präsentiert sich die südlich angrenzende Bürolandschaft. Im Zentrum des Raums stehen offene Gruppenarbeitsplätze zur Verfügung, direkt angrenzend befinden sich die mit gläsernen Schiebetüren sowie mit abgehängten Zwischendecken abgetrennten Zellenbüros für die Bereiche Marketing, Finanzen, Verkauf und Leitung. »Je nach Anforderung stehen unterschiedliche Arbeitsplätze vom Einzel- bis zum Großraumbüro bereit, deren Anordnung sich bei Bedarf leicht verändern ließe«, erklärt Pelland. Zusätzliche Qualität bieten die großen, über die gesamte Gebäudetiefe reichenden Sheddach-Oberlichter, die selbst im zentralen Bereich einen optimierten Tageslichteinfall ermöglichen und damit zur hohen Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Gebäude beitragen. Zur ergänzenden Kunstlichtversorgung wurden Industrieleuchten im Großraumbüro sowie individuell steuerbare Pendelleuchten in den außen liegenden Zellenbüros integriert.
Ein wichtiges Element im Raum ist die zentral eingestellte Meeting-Box aus Glas und perforiertem schwarzem Stahl, deren asymmetrisches Schmetterlingsdach die Sheddachkonstruktion des Gebäudes zitiert. Besonders eindrucksvolle Perspektiven ergeben sich dabei am Abend, wenn die über Bodenfugen von innen her beleuchtete Raumskulptur als geheimnisvoll illuminierter Meteorit in Szene gesetzt wird. Zusätzliche Flächen bietet der zentrale Servicekern, der neben den WCs auch einen Kopierraum, einen Ruheraum sowie ein kleines Tonstudio zur Vorbereitung der verschiedenen Red-Bull-Events beherbergt.
Individuelle Möbel
Neben der Meeting-Box wurden auch zahlreiche andere Möbel individuell durch die Gestalter von Sid Lee Amsterdam entwickelt. Um dabei eine hohe Flexibilität zu ermöglichen, wurden sämtliche Elemente bewusst modular und multifunktional geplant: So lassen sich die tribünenartig angeordneten Stufen des Ruheraums gleichzeitig als riesige Schubladen verwenden. Und das riesige Wandregal im Eingangsbereich fungiert gleichzeitig als Sitzbank. »Nichts ist hier eindeutig, alles hängt von der Interpretation und Fantasie der Nutzer ab«, erklärt der Architekt das Konzept. »Auf diese Weise wollten wir die brutale Simplizität der alten Industriehalle mit der von Red Bull repräsentierten Aufforderung zur Performance verbinden.« Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Elemente entstand eine schrille, aber stimmig umgesetzte Kulisse, die eigentümlich zwischen industriell und künstlich oszilliert und dabei in gewisser Weise tatsächlich dazu geeignet ist, den Mitarbeitern die aus der Red-Bull-Werbung bekannten Flügel zu verleihen. Zusätzlichen Reiz erhält das Ambiente durch die ebenfalls durch die Gestalter von Sid Lee Amsterdam entwickelte – und entsprechend den Markenfarben von Red Bull überwiegend in Rot- und Blautönen umgesetzte – grafische Gestaltung des Innenraums. Das durch Comic und Graffiti inspirierte Design erstreckt sich beinahe allgegenwärtig über unterschiedliche vertikale und horizontale Flächen und schafft so eine fließende Fortsetzung des expressiven Raumeindrucks im Eingangsbereich und einen gelungenen Kontrast zur sonstigen Orthogonalität der Halle. Am deutlichsten wird der rebellische Charakter der Gestaltung beim Gang auf die Toilette. Denn hier haben die Planer ein wahrhaft blasphemisches Wandmosaik mit einer Kopfhörer-tragenden Jungfrau Maria als DJane sowie mit einem fliegenden Jesus und fliegenden Red-Bull-Stieren geschaffen. Ein Hingucker in leuchtend blauen und gelben Farben, der echte Jesusfans allerdings erst mal schlucken lässt.db, Mo., 2012.10.01
01. Oktober 2012 Robert Uhde
Differenziertes Raumangebot
(SUBTITLE) Büroetagen für Carl Zeiss Meditec in Berlin
Für ein Unternehmen der Medizintechnologie entwarfen WeberWürschinger Architekten Büros, die Seriosität und Modernität zugleich ausstrahlen. In einem Bestandsgebäude konnte ein differenziertes Rauman- gebot realisiert werden, das den Bedürfnissen der Belegschaft entspricht.
Der Graue Star, in der Fachsprache Katarakt genannt, ist eine vorwiegend altersbedingte Eintrübung der natürlichen Augenlinse, die zu einem Verlust der Sehschärfe, zu eingeschränkter räumlicher Wahrnehmung und zu einer deutlichen Reduktion der Farbwahrnehmung führt. Behandelt wird diese verbrei- tete Erkrankung heute mithilfe der sogenannten Intraokularlinsen – künstliche Linsen, die operativ ins Auge implantiert werden. Ein renommierter Hersteller dieser medizintechnischen Hightech-Produkte ist die Carl Zeiss Meditec. Das expandierende Unternehmen, bisher im brandenburgischen Henningsdorf ansässig, bezog im Januar dieses Jahres einen neuen Standort im Berlinbiotechpark. Dieser, auf Firmen aus dem Bereich Life Science spezialisierte, nicht weit vom Charlottenburger Schlosspark gelegene Gewerbepark, einst ein Betriebsgelände des Berliner Pharma-Konzerns Schering, bot dem Unternehmen die Möglichkeit, seine bis dato in getrennten Gebäuden untergebrachten Abteilungen unter einem Dach zu vereinen. Produktion (unter Reinraumbedingungen), Forschung und Verwaltung fanden hier, in einem nach den Bedürfnissen des neuen Nutzers umgebauten Bestandsgebäude Platz.
Das Büro als Visitenkarte
Mit der Gestaltung der beiden aus logistischen Gründen (direkte Verbindung zum Produktionstrakt) über zwei Stockwerke voneinander getrennten Büroetagen für rund 80 Mitarbeiter wurde das in Berlin ansässige Büro WeberWürschinger Architekten beauftragt. Gefordert war ein Arbeitsumfeld, das sich durch Offenheit und Transparenz auszeichnen und die interne Kommunikation befördern sollte. Dabei galt es, strenge Konzernvorgaben hinsichtlich Flächeneffizienz und Möblierungskosten einzuhalten. Im Verständnis von WeberWürschinger Architekten, die im Bereich Bürogestaltung einschlägige Erfahrungen vorweisen können, hängt die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens und seiner Produkte entscheidend von einem Einklang zwischen den kommunizierten Werten und den vielfältigen Erscheinungsweisen einer Firma ab. Der (Innen-)Architektur kommt dabei eine bedeutende Rolle zu, denn in der Gestaltungsqualität der Arbeitsplätze spiegelt sich – nach außen ebenso wie nach innen – die Wertschätzung des Unternehmens für seine Belegschaft unmittelbar wider. Von dieser Überzeugung ausgehend und auf der Basis intensiver Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei denen es um das Verständnis der internen Arbeitsabläufe und um die Abklärung von Bedürfnissen hinsichtlich des konkreten Arbeitsplatzes ging, entwickelten die Architekten einen Lösungsansatz, der mit einem deutlich differenzierten räumlichen und atmosphärischen Angebot aufwartet. Dabei gelang es, zentrale Themen der Gestaltung, wie etwa der Umgang mit Licht und Farbe, aus dem Tätigkeitsfeld des Unternehmens zu generieren.
Spaces, Spots und Rooms
Im Kern sieht ihr Entwurf für die langrechteckig geformten, durch eine zentrale Stützenreihe geteilten Büroetagen die Aufgliederung in drei sich entlang der Längsachse entfaltenden Raumzonen vor. Als »Spaces«, »Spots« und »Rooms« bezeichnet, setzen sich diese Zonen hinsichtlich ihrer binnenräumlichen Struktur und ihrer gestalterischen Ausformulierung klar voneinander ab. Die an der Nordseite der Etagen gelegenen Spaces sind als »öffentlicher« und entsprechend als betont offener und heller Bereich konzipiert. Zwischen den linear angeordneten Tischgruppen für jeweils sechs Mitarbeiter stehen halb- hohe Aktenschränke, die dieser Raumzone eine gleichmäßige, kojenartige Struktur verleihen. Die mit verschiedenfarbigen Textilpaneelen bespannten Schranktüren, die sich nach oben aufschieben lassen, verstärken die Segmentierung des Raums und brechen zugleich, da in der Regel nicht alle Türen gleichzeitig geöffnet sind, zumindest optisch die Gleichförmigkeit der sonst recht klassisch-rigiden Büro-Ordnung. Unterstützt wird dieser Effekt durch die sorgfältig ausgewählten Farben der Textilpaneele. Die hier verwendeten Blau- und Grüntöne entwickeln eine unaufgeregte Präsenz im Raum und sorgen für eine lebendige und dennoch sachlich-nüchterne Anmutung. Die mittlere Zone der Büroetage wird von den Spots eingenommen. Dabei handelt es sich um kreisrunde, raumbildende Möbelelemente, die sich hinsichtlich ihres Durchmessers, ihrer Höhe, ihres Öffnungsgrads, ihrer räumlichen Ausrichtung und ihrer Nutzung unterscheiden. Während die niedrigen Rauminseln etwa als Empfangstresen oder als Teeküche dienen, bieten sich die höheren Spots als quasi halböffentliche, temporär genutzte Rückzugsorte an: für die Arbeit allein oder in kleinen Gruppen, für Besprechungen und Präsentationen mit maximal acht Personen. Gemeinsam ist den Spots, ihre weiße, konkav geformte Außenhaut, die aus einer mittels LED-Bändern hinterleuchteten Kunststoffbespannung besteht. Sie verleiht den Inseln eine optische Leichtigkeit, die durch die Schattenfugen am Boden noch hervorgehoben wird. Wer mag, kann in der konkaven gewölbten Haut auch einen gestalterischen Bezug zum Produkt des Unternehmens erkennen. Die scheinbar spielerische Anordnung der Spots im Raum betont ihren eher informellen Charakter und bringt zugleich ein heiter-beschwingtes Moment in die Gestaltung ein.
Die Südseite der Büroetage wird von den Rooms eingenommen. Dabei handelt es sich um geschlossene Einzel- und Gruppenbüros, die hinter einer leicht gezackten, mit Nussbaumfurnier vertäfelten Wand liegen. Auf Wunsch der Belegschaft angelegt, repräsentieren diese nach Bedarf und auf Zeit vergebenen Räume den »privaten« Bereich innerhalb des Gesamtkonzepts. In markantem Gegensatz zu den Spaces herrschen in den Rooms gedämpftes Licht und dunklere, eher gedeckte Farben vor. Das erzeugt eine introvertierte, ruhige Atmosphäre, die einen idealen Rahmen für konzentrierte Arbeit bildet.
Auf der Grundlage eines klaren, mit großer Konsequenz umgesetzten Konzepts entstand hier eine offene, kommunikative Bürowelt, die sich durch atmosphärische Vielfalt und ein abwechslungsreiches Raumangebot auszeichnet. Die positive Reaktion sowohl der Bauherren als auch der Belegschaft bestätigen die Qualität des Ansatzes. Ästhetisch auf der Höhe der Zeit, gelang es den Architekten auf überzeugende Weise, den Eindruck von Seriosität und Modernität miteinander zu verbinden. Ohne auf Elemente einer klassischen CI zurückzugreifen, schufen sie einen Ort mit hohem Identifikationspotenzial und repräsentativer Ausstrahlung – im besten Sinn eine Visitenkarte des Unternehmens.db, Mo., 2012.10.01
01. Oktober 2012 Mathias Remmele
Eine Frage der Balance
(SUBTITLE) Bürohaus für Schlaich Bergermann und Partner in Stuttgart
Wie stellt man sich die Arbeitsräume eines der renommiertesten Büros für Tragwerksplanung und Ingenieurbau vor, das sich seit Jahrzehnten durch leichte und weitgespannte Konstruktionen verdientermaßen einen Namen macht? Vermutlich eher kühl, hochtechnisiert, schlicht auf das Funktionelle beschränkt. Umso mehr überrascht es, auf ein »weiches« Ambiente zu stoßen, in dem vielerlei Materialien und Farben für Lebendigkeit sorgen, eine angenehme und gemütliche Wohnzimmeratmosphäre versprühen und gar ein rosa Teppich seinen Platz findet.
Stärker hätte der Kontrast kaum sein können. Der Umzug aus zwei prachtvollen alten, aber für die Belegschaft zu klein gewordenen Villen, am Hang der Stuttgarter Karlshöhe gelegen, hin zu einem urbanen, lauten Verkehrsknotenpunkt im Westen der Stadt, ging im Sommer letzten Jahres über die Bühne. Dass dabei das Büro vom vorherigen Standort gerade einmal 1 km entfernt ist, ändert nichts an der Umstellung, die sich für die rund 100 Mitarbeiter ergab. War man früher von Grün umgeben und abgeschieden vom städtischen Trubel, flankieren nun zahlreiche Geschäfte das Büro, mehr noch: Man sitzt direkt über einem bis Mitternacht geöffneten Supermarkt und kann eine Ebene tiefer zur S-Bahnstation abtauchen. Teilte man sich zuvor hinter dicken Wänden mit ein bis drei Mitarbeitern ein Zimmer, arbeitet man nun überwiegend in Gruppenbüros, die trotz niedriger Deckenhöhe dank raumhoher Verglasungen luftig wirken. Statt wie früher das Haus verlassen zu müssen, um die Kollegen im rund 200 m entfernten Nachbargebäude zu treffen, geht es nun schneller und je nach Wetterlage trockener. Und erst recht für die für jeden Morgen angesetzten kurzen Kaffeepausen zum Austausch oder den wöchentlichen Jour fixe um 10 Uhr muss sich keiner mehr in die letzte Ecke quetschen – nun ist ausreichend Platz für alle.
Vertrauen in den Architekten
Mit der Gestaltung ihrer neuen Räume haben die weltweit agierenden Ingenieure schlaich bergermann und partner das ebenso bekannte Büro für Architektur und Kommunikation Ippolito Fleitz beauftragt. Wohl wissend, auf deren Gefühl für Farben und Raumwirkung vertrauen zu können, das diese in jedem ihrer individuell auf den Kunden zugeschnittenen Raumgestaltungen unter Beweis stellen. Doch während sich sonst stärker eine Konzeptidee aus deren Projekten ablesen lässt, stand hier »nur« die spätere Raumwirkung im Vordergrund. Es sollte »etwas Lebendiges werden, und natürlich sollten die Markenwerte wie Präzision, Zuverlässigkeit und Strukturiertheit transportiert werden«, erklärt Peter Ippolito, »und es durfte nicht zu straight sein« – aber das waren schon die wenigen Vorgaben von schlaich bergermann und partner.
Dessen einziges, klar und deutlich in Erscheinung tretendes Corporate IdentityElement findet sich bereits am Eingang des Büros, im nach vorne verglasten Treppenhaus vom EG ins 1. OG, umgeben von einer Spiegelrückwand und dunkelgrauen Flächen: eine extrem schlanke Stahltreppe, die – wer das Büro oder z. B. den Turm auf dem Stuttgarter Killesberg kennt, wird richtig vermuten – beim Gehen leicht schwingt. Einen besseren Standort für ein solches Aushängeschild als hier zur belebten Straße und zur Bushaltestelle hin hätte sich wohl kaum finden lassen. Die Treppe ist das einzige Element, was die Ingenieure für ihr neues Büro selbst geplant haben, denn das Gebäude wurde seitens eines schwäbischen Besitzers entkernt und umgebaut. Intern wurde für den Treppenentwurf sogar ein Wettbewerb unter den Mitarbeitern initiiert.
Vielfältige Angebote
Im 1. OG, der Empfangs- und Kommunikationsebene, angelangt, ist man überrascht. Haben das Treppenhaus und der Eingangsbereich in seiner Anmutung noch die herkömmlichen Vorstellungen erfüllt, die man sich bezüglich der Gestaltung eines neuen Ingenieurbüros von schlaich bergermann und partner zuvor vielleicht ausmalte, trifft man im großen offenen Zentrum der ersten Etage auf eine Fülle von Farben, Materialien und Möbelstücken – von lackiertem MDF, Nussbaum-Furnierholz über pinkfarbene Sofakordeln und Lichttulpen, einem Edelstahlvorhang und Metalllochdecken bis hin zu Akustikputz und membran-bespannten Lichtdecken. Für Ippolito ist dies ein taktisches Gegensteuern: »Wo visuelle Pfade erwartet werden, muss man ganz bewusst etwas anderes machen, Querdenken zulassen.« Die gewünschte Lebendigkeit spiegelt sich neben der farbenfrohen Innenausstattung in mannigfachen, räumlichen Angeboten an die Mitarbeiter zum Sitzen, Lesen oder Sich-Austauschen und in verschiedenartigen, flexiblen Besprechungsbereichen wider: Es gibt zwei lange weiße Tische mit insgesamt 24 Sitzplätzen, an denen z. B. auch gemeinsam zu Mittag gegessen werden kann – zuvor war dies kaum möglich. An die offene, aber abtrennbare Küche grenzen Stehtresen, kleinere Einzeltische und die riesige, mit vier Sonnenschirmen und viel Grün bestückte Dachterrasse. Vor der raumhohen, hölzernen Bibliothekswand bietet ein halbkreisförmiges Sichtschutz-Polster die Möglichkeit, sich etwas abzugrenzen, daneben lockern ein paar lose bunte Polsterhocker und Ohrensessel sowie seit Kurzem auch ein Klavier erneut den Raum auf. Schließlich umfasst ein dünner grauer Vorhang eine wiederum offene Besprechungsmöglichkeit – mit der sicher ungewöhnlichsten Farbzusammenstellung im ganzen Büro, thront doch der mittelblaue, leicht glänzende, quadratische Tisch auf einem rosafarbenen Plüschteppich. Zugegeben: Was niedergeschrieben wie ein wahlloses buntes und wild zusammengeworfenes Nebeneinander erscheinen mag, funktioniert erstaunlich gut und ist in sich stimmig. Flankiert wird die große offene Zone von weiteren, abgeschlossenen Besprechungs- und Medienräumen, Archiv, Plottraum und einem Duschbad und Schließfächern.
Präzision, Struktur, Flexibilität
In den fünf weiteren Geschossen mit den eigentlichen Arbeitsplätzen ist die Atmosphäre hingegen konzentrierter und ruhiger, auch optisch. Farben (etwa Hellblau, Orange oder Violett) werden nur dezent eingesetzt, etwa zur Wiedererkennung im Zugangs- oder im Sanitärbereich. Sie geben jeder Etage, zusammen mit einer immer leicht abgewandelten Aufteilung und Abfolge der Büros, ein individuelles Gesicht. Verglaste Einzel- oder Zweierbüros sind die Seltenheit, aber nicht nur bei den Geschäftsleitern und Partnern in der obersten Etage zu finden, deren Arbeitsplätze sich sonst hinsichtlich Materialwahl oder Mobiliar nicht von den anderen unterscheiden. Doch auch wer im offenen Raum sitzt, ist durch die Anordnung der Büroschränke optisch abgeschottet und hat in der Regel eine »Rückwand«, um private Fotos oder Projekte auf der magnetischen Oberfläche anzupinnen. Die Organisation der Arbeitsplätze ist außerdem flexibel: Zweierbüros lassen sich z. B. recht einfach zu Einzelzimmern umbauen. Hierzu können in allen Achsen wie auch auf halber Achse zwischen den Schreibtischen Glastrennwände nachinstalliert werden.
Aber ob dies tatsächlich einmal notwendig sein wird? Hinsichtlich einer guten Raumakustik haben Ippolito Fleitz nämlich alle Register gezogen: Nicht nur der braune, flauschige Teppich dämpft, sondern auch gepolsterte Stützen und an den Glaswänden befestigte Textilpaneele. Zusätzlich schluckt die in der Mittelzone angebrachte löchrige Metallrasterdecke Schall (eine Revisionsdecke, die je nach Sonnenstand das Licht stimmungsvoll reflektieren soll), ebenso wie die weiße Akustik-/Kühldecke, die sich über die Arbeitsplätze zieht. Diese sowie die entlang der Fassade angebrachten Konvektoren zum Heizen lassen sich von den Mitarbeitern ansteuern, sodass sie die Raumtemperatur auf Wunsch geringfügig ändern können. Ebenso lassen sich der außenliegende Sonnenschutz, der Blendschutz sowie das Präsenzmelder-basierte Licht an den Arbeitstischen individuell regeln. Anstelle auf herkömmliche Büromöbelsysteme zurückzugreifen, wurden diese wie auch die »schwebenden« (da vom Boden abgehobenen) Büroschränke eigens für das Projekt entwickelt. Nur so ist, erklärt Ippolito, tatsächlich eine »gestalterische Durchgängigkeit möglich und alles präzise aufeinander abgestimmt. Und teurer ist dies auch nicht.«
Zum Stichwort »abgestimmt« stellt sich aber noch eine Frage: Wie stark sollten Mitarbeiter eigentlich in einen solchen Umzug und die baulichen und gestalterischen Maßnahmen einbezogen werden? Laut Ippolito liegt auch hier der Schlüssel in der angemessenen Kommunikation und Information. Die großen Fehler kennt wohl jeder aus eigener Erfahrung: »Wird nicht kommuniziert, ist der Unmut später groß. Wird hoffnungslos zerredet oder werden gar Arbeitsgruppen gebildet, leidet das ganze Konzept und es kommt zu Zeitproblemen.« Hier ist weder das eine eingetreten noch hat das andere stattgefunden. Auch bei ihrem Büroumzug haben schlaich bergermann und partner also wieder einmal die richtige Balance gefunden.db, Mo., 2012.10.01
01. Oktober 2012 Christine Fritzenwallner