Editorial

Die meisten Reisenden schätzen Hotelzimmer, die funktional ausgestattet sind und dabei nicht aussehen wie überall auf der Welt. Doch jedem Zimmer lediglich durch eine andere Farbe oder Möblierung einen individuellen Charakter verleihen zu wollen, reicht längst nicht mehr aus, um sich v. a. in Großstädten von einer immer stärker werdenden Konkurrenz abzuheben. Dementsprechend ist das Angebot sogenannter Individualhotels in den vergangenen Jahren umfassender geworden. Z. B. gibt es Zusatzangebote wie einen kostenlosen Fahrradverleih oder kostenfreie Snacks rund um die Uhr (»Casa Camper«, S. 30), Kino, Kunst und Kulturveranstaltungen wie etwa im wunderbar poetischen »Casa do Conto« in Porto (S. 14), im bunten Michelberger Hotel in Berlin (S. 42) oder auch im »Goli Bosi Design Hostel« (Abb. links) von StuidoUP im kroatischen Split. Dabei wurde ein ehemaliges Kaufhaus umgenutzt, die Rolltreppen darin blieben erhalten. Die Gruppenräume sind mit Schlafkojen ausgestattet, in denen dank Vorhängen und eigener Beleuchtung nicht alle zur gleichen Zeit schlafen müssen ...

Das Hostel konnten wir im Heft leider nicht mehr vorstellen, aber wer weiß: Vielleicht schreiben Sie uns eine Architekturkritik, nachdem Sie es besucht haben? Stattdessen reicht unsere Projektauswahl dieses Mal von einem Baumhaushotel in Nordschweden (S. 22) über drei Stadthotels in Berlin und Porto bis hin zu einem Hotel für Weinliebhaber im Südburgenland (S. 36). Das liegt dann doch sozusagen auf dem Weg nach Split. | Christine Fritzenwallner

Haus der Geschichten

(SUBTITLE) Die »Casa do Conto« in Porto (P)

Zunächst einmal ist da nur die elegante, aber eher unscheinbare Straßenfassade eines für Porto typischen bürgerlichen Wohnhauses des 19. Jahrhunderts. Wie bei vielen seiner schmalen Nachbargebäude zwischen der wunderbaren Casa da Música von OMA und der quirligen Altstadt prägen auch hier drei Fensterachsen und blau-weiße Fliesen das Bild. Erst bei genauerem Hinsehen fallen hinter einer Balustrade im 2. OG ungewöhnlich große Glasschiebefenster sowie ein rechteckiger Dachaufbau mit Wellenstruktur auf. Dass es sich hierbei um Sichtbetonwellen handelt und nicht – wie bei solchen Aufbauten meist üblich – um angestrichenes Wellblech, ist bestenfalls mit dem Fernglas zu erkennen. Weder an der Eingangstür noch irgendwo sonst an der Fassade gibt es Hinweise darauf, dass es sich hier um ein kleines Hotel mit sechs Zimmern handelt. Dieses Gebäude produziert sich nicht, es will, wenn überhaupt, in Ruhe erlebt werden.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Schon beim ersten Blick in die erleuchteten Räume mit ihren reliefartig in die Sichtbetondecken eingelassenen Text-, Buchstaben- und Zeichenformationen wird klar, dass hier vieles anders ist als es scheint. So handelt es sich bei der Casa do Conto mitnichten um ein historisches Gebäude, sondern ganz offensichtlich um einen Neubau hinter alten Mauern. Mit dieser Irritation im Hinterkopf öffnen Hotelgäste eine schwere Holztür, lassen das Durcheinander der Rua Boavista hinter sich, steigen im Innern einige Stufen ins Hochparterre empor und erreichen einen offenen Empfangsbereich, der sich als Mischung aus Lounge und Büro darstellt. Ein erster Rundumblick offenbart einen ebenso harmonischen wie anregenden, bis ins kleinste Detail stimmigen Mikrokosmos, einen eigentümlichen Dialog aus eleganten alten und neuen Möbeln, opulenten Spiegeln, großflächig weißen Wänden und kühlem Sichtbeton.

Nicht selten trifft man gleich hier auf Alexandra Grande, die junge Eigentümerin, Managerin und Planerin des im Juni 2011 eröffneten Hotels. Von der Geschichte des Gebäudes, die zugleich ihre ganz persönliche ist, erzählt sie mit großer Leidenschaft. Und das, obwohl sie sich spätestens seit der letzten November-Ausgabe des Designmagazins Wallpaper immer öfter mit den Fragen von Gästen und Architekturtouristen konfrontiert sieht – im Rahmen des Titelthemas »Top 20 Reasons to be in Portugal« hatte das Hotel dort den bemerkenswerten fünften Platz erreicht.

Phönix aus der Asche

Eigentlich sollte alles ganz anders kommen. Ein privater Bauherr hatte Grande und ihr Architekturbüro Pedra Líquida – wörtlich: flüssiger Stein – 2008 beauftragt, das historische Wohnhaus für sich und seine Familie zu adaptieren. Noch während der Planungsphase gab er das Projekt allerdings auf, woraufhin sich für Grande die Gelegenheit ergab, das Gebäude zu kaufen, um es mit bescheidenem Budget in eine kleine aber feine Herberge zu verwandeln – nicht zuletzt für Gäste, die eine ästhetische, authentische und eher familiäre Atmosphäre den immergleichen Hotels globaler Ketten vorziehen. Zugleich sollte das Haus aber auch einen neuen Treffpunkt in der Kulturszene Portos etablieren. Eine sogenannte Pecha Kucha-Nacht und viele andere Events hatten auf der Baustelle und im rückwärtigen Garten bereits stattgefunden, als im März 2009, wenige Tage vor der feierlichen Eröffnung, ein verheerendes Feuer zwar das liebevoll modernisierte Gebäude, nicht aber die positive Grundeinstellung Alexandra Grandes zerstörte. Noch bei der ersten Besichtigung des aus ungeklärter Ursache bis auf die Garten- und Straßenfassade komplett niedergebrannten Gebäudes entschloss sie sich, das Projekt mit einem bankfinanzierten Budget von rund 320 000 Euro zu vollenden.

Gemeinschaft auf Zeit

Während die zwischen die Nachbargebäude eingeklemmten Außenfassaden allein aus Denkmalschutzgründen sehr sorgfältig wiederhergestellt wurden (ohne dabei die feuerbedingten Abplatzungen der Natursteinlaibungen zu kaschieren), entsprechen Grundrissaufteilung und Geschosshöhen des neuen, inneren und mit den Außenfassaden verzahnten Betonkörpers nur noch prinzipiell dem Vorgängerbau. Die zu jeder Gebäudeseite in den drei OGs situierten Zimmer begrenzen zwar nach wie vor einen zentralen Treppenraum mit Oberlicht. Um zwei turmartige Sichtbetonkörper mit Nebenräumen bzw. einem Aufzug erweitert, nimmt dieser jedoch nun deutlich mehr Platz in Anspruch als zuvor. Besonders ins Auge fallen die diagonale Schalungsstruktur der beiden »Türme«, eine Reminiszenz an die einst ebenso verschalten Holzwände des Altbaus, und die großen Glasfelder in den Zimmerwänden. Einerseits leiten diese mit Drehtüren schließbaren Öffnungen zusätzliches Tageslicht in die Zimmer, andererseits ermöglichen sie die Kommunikation zwischen den privaten Zimmern und dem quasi öffentlichen Treppenraum. Sind andere Gäste schon oder noch wach? Wie sehen deren Zimmer aus? Welche Reliefs befinden sich dort an der Decke? Fragen wie diese kommen auf, wenn man die Treppe bis hinunter zum Frühstücksraum läuft. Und tatsächlich: Spätestens nach dem ersten Frühstück kennt man alle anderen Gäste und fühlt sich unversehens als Teil einer Gemeinschaft auf Zeit. ›

Schwebende Buchstabenkunst

Bis auf eine Ausnahme mit einer kleinen Küchenzeile ausgestattet, sind sich die einzelnen, zurückhaltend eleganten Zimmer grundsätzlich sehr ähnlich: weiße Wände, grauer, geschliffener Estrich, jeweils ein großer weicher Berberteppich, teils alte, teils von Grande selbst entworfene Möbel, ein jeweils am Rand als eigenständiger Sichtbetonkörper platziertes Bad. Am charakteristischsten sind freilich die Decken, die sich in ihrer Ornamenthaftigkeit als zeitgenössische Interpretation der mit feinen Stuckornamenten verzierten Altbaudecken verstehen. Die Buchstabenreliefs basieren auf eigens geschaffenen Texten befreundeter Künstler, Designer und Architekten, die mit dem ursprünglichen Projekt auf unterschiedliche Weise vertraut waren und nach deren Initialen schließlich auch die Zimmer benannt wurden. Für die in jedem Raum eigenständige grafisch-künstlerische Umsetzung sorgte das Design Studio R2, sodass sich die Gäste heute vor dem Einschlafen mit ästhetisierten Wortspielen rund um Le Corbusiers Satz »la maison est une machine à habiter«, wild verstreuten Zeichen und Buchstaben oder längeren Fließtexten auseinandersetzen können. Worum es dabei im Einzelnen geht, ist leider nur schwer nachzuvollziehen, weil es bislang keine Übersetzungen gibt.

Mit Poesie und Gelassenheit

Dass manche Geschichten zwar wahrgenommen, aber nicht gelesen werden können, schadet der sinnlichen Atmosphäre ebenso wenig wie die Tatsache, dass der gesamte Entwurf auf sehr subjektiven und damit immer auch angreifbaren Kriterien basiert. Diese positive Aura entsteht dadurch, dass es im ganzen Gebäude grundsätzlich nichts gibt, was sich den Gästen in irgendeiner Form aufdrängen würde. Stattdessen präsentieren sich Alt und Neu in diesem Hotel wie aus einem Guss und mit großer Gelassenheit. Das zeigt sich in Grandes Überzeugung, dass »alles seine Bedeutung hat« – der verheerende Brand also einfach nur Teil eines irgendwie sinnhaften Gesamtprozesses ist. Es zeigt sich aber auch bei den Buchstabenkunstwerken: Als es etwa einige der als Formgeber auf die Schalung geklebten Styrodur-Zeichen beim Einfüllen des besonders flüssigen Betons wegriss, kam es weder zum Baustopp noch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Bauunternehmer. In manchen Fällen wurden fehlende Buchstaben kurzerhand in erhabener Form ergänzt, während sie anderswo einfach fehlen und bis heute irgendwo im Innern des erstarrten Betons schwimmen – gleichsam als eine der vielen unentdeckt gebliebenen Geschichten.

Gesellschaft statt Kommerz

Die bemerkenswerte Auslastung dieses Hotels von derzeit stattlichen 80 bis 90 % beruht ganz wesentlich auf dem Selbstverständnis Grandes, nicht einfach nur ein architekturgewordenes Statement zu schaffen, sondern – im Gegensatz zu seelenlosen Design-Hotels – ein lebendiges Gesamtkunstwerk. Und dazu gehören die gelegentlichen Lesungen, Konzerte und Events auf der kleinen Bühne im Garten oder im »Wohnzimmer« auf der Gartenseite des Hochparterres ebenso wie die temporär im Haus verteilten Kunstinstallationen und Bilder. Zusätzlich soll ab dem Sommer alljährlich ein Künstler die gesamte freie Wandfläche im Treppenraum gestalten dürfen, während jeden November ein Kreativer bei freier Kost und Logis eingeladen wird, hier zu arbeiten.

Angesichts der durchwegs positiven Resonanz von Gästen aus der ganzen Welt, die hier einschließlich eines fantastischen Frühstücks zwischen 98 und 138 ausgesprochen verträgliche Euro pro Zimmer und Nacht (egal ob als Einzel- oder Doppelbelegung) bezahlen, ist es nicht verwunderlich, dass Alexandra Grande bereits unzählige Anfragen zur Realisierung vergleichbarer Hotels erhielt. Diese hat sie allerdings ausnahmslos abgelehnt, schlicht, weil dieses Konzept tatsächlich nur mit dieser Vorgeschichte und nur an diesem Ort realisierbar ist. Möglicherweise wird es aber eines Tages eine Erweiterung der Casa do Conto ins Nachbarhaus geben – in ein vom Feuer verschontes, weitgehend im Originalzustand erhaltenes Zwillingsgebäude.

db, Mo., 2012.07.02

02. Juli 2012 Roland Pawlitschko

Waldgeflüster

(SUBTITLE) Baumhotel in Harads (S)

Als »glamping« wird der Trend bezeichnet, glamourös zu campen. Eine besonders noble Art, in der freien Natur gebettet zu sein und gleichzeitig auf einen gewissen Luxus wie z. B. eine Fußbodenheizung nicht verzichten zu müssen, bietet das Treehotel in Schweden. Als Baumhaushotel ist es zwar nicht das einzige auf der Welt, aber womöglich das gestalterisch überzeugendste.

Vor Britta's Pensionat flattert weiße Wäsche auf der Leine, hinter Britta's Pensionat beginnt ein Zauberwald. In dem Wald ist ein Ufo zwischen den Bäumen gelandet, einige Meter weiter schwebt ein verspiegelter Würfel in den Baumwipfeln, dazwischen versteckt sich ein überdimensionales Vogelnest. Dies ist keine Freiluftvernissage, die Gebilde sind Baumhäuser. Doch die Bezeichnung passt nicht so recht: Baumhaus klingt nach Tarzan oder rustikalem Holzschnitt. Diese hier sind anders, und zugleich Hotelzimmer. Deren Gestaltung ist fantastisch, im doppelten Sinne: Das Konzept bringt einzigartige Architektur zusammen und erscheint gleichzeitig als ein extravagantes Nebeneinander von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben.

Um die Entstehungsgeschichte zu erklären, muss man mit Britta Jonsson- Lindvall anfangen, die zusammen mit ihrem Mann Kent das Gästehaus Britta's Pensionat in Harads betreibt, einem kleinen Ort im Norden Schwedens mit nur 500 Einwohnern, deren Häuser sich weniger um einen Ortskern gruppieren als über die Landschaft verstreuen. Als der schwedische Künstler Jonas Selber Augustsén einen Film über ein selbstgezimmertes Baumhaus drehte und während der Arbeiten in Britta's Pensionat übernachtete, kam ihnen die Idee, in dem Waldstück hinter ihrer Herberge Baumhäuser als Hotelzimmer zu errichten. Kent erzählte einer Handvoll Architekten, die er auf einer Angelreise in Russland traf, davon: Bertil Harström, Sandell Sandberg, Bolle Tham und Martin Videgård sowie Mårten und Gustav Cyrén waren sofort begeistert und bekamen von ihrem Bauherrn freie Hand bei ihren Entwürfen. So entstand das fünf unterschiedliche Zimmer und eine Sauna umfassende »Treehotel« rund 100 km unterhalb des Polarkreises.

Im Wald verstreute Traumwelten

Den Schlüssel für sein Baumhaus muss man sich bei Britta abholen – dann geht es hinaus in den Wald. Es ist ein kurzer Spaziergang, 15 Minuten vielleicht, über eine Lichtung hinein in den Birkenwald, der langsam in dichteren Nadelwald übergeht. Von der Lichtung aus sieht man den Fluss Luleå im Tal schimmern – und ein Funkeln weiter hinten im Wald. Doch dass letzteres die Fenster des verspiegelten Würfels sind, der in den Baumkronen hängt, erkennt man aus der Entfernung noch nicht.

»The Mirror Cube« und »The Blue Cone« befinden sich am Rande eines Hangs, in einer Reihe mit »The Cabin«, einem schwarzen containerartigen Gebilde, das 10 m hoch in den Baumwipfel hängt. Sie alle haben ähnliche Merkmale: Man betritt sie über Rampen, sie haben große Fenster und eine wunderschöne Aussicht. Zwischen den Bauten ist so viel Platz, dass man von einem kaum zum nächsten sieht. Einige Meter tiefer im Wald hängen dann das »Bird's Nest« und das »UFO«. In der Mitte dieser Ansammlung thront das Saunahaus.

Jedes Gebäude ist eine neue Traumwelt, bringt einen in eine andere Zeit, die unterschiedliche Geschmäcker bedient: Das »UFO« ist kindlich verspielt, und weil es mit vier Stahlseilen in den Bäumen hängt, schaukelt es sogar, wenn man sich darin bewegt. »The Cabin« wirkt wie aus einem unterkühlten Psychothriller, wie es da so zwischen zwei Bäumen feststeckt. In den Wänden des »Mirror Cube« spiegelt sich die Landschaft wie auf einem surrealen Gemälde, eine Mimikry an die Postmoderne. Die reflektierende Glashülle wurde mit einer transparenten Folie in ultraviolett beschichtet, die nur Vögel sehen können und verhindert, dass diese mit der Konstruktion kollidieren. Nur das »Bird‘s Nest« ist Natur pur und verschwindet im Wald. »The Blue Cone« ist hingegen bodenständiger und das einzige Haus, das überhaupt als solches erkennbar ist. Sein Name ist absurd, denn es ist eckig, leuchtet rot und hat ein spitzes Dach. »Ursprünglich sollte es blau werden und eine zylindrische Form haben«, erzählt Kent, doch dann habe der Architekt seine Meinung kurzfristig geändert. Es steht auf Pfeilern etwas erhöht an einer behindertengerechten Rampe. Es ist das einzige Zimmer, das wirklich komplett barrierefrei erreichbar ist, 10 % eines Hotels müssen laut schwedischen Auflagen diese Barrierefreiheit bieten. Vom Doppelbett aus geht der Blick hinaus aus dem großen Fenster über den Wald und auf den Fluss. Das Innere ist wie auch bei den anderen Zimmern in hellem Holz eingerichtet – Kent legte Wert darauf, dass sie beim Ausbau nur Hölzer der Region verwendet haben, v. a. Kiefer und Birke. Der Geruch davon liegt noch in der Luft.

Behagliches Nest

So auch im Vogelnest, dessen Camouflage perfekt ist. Bei meinem ersten Spaziergang durch diese leicht absurde Kulisse übersehe ich es, obwohl es 4 m groß ist. Am Wegesrand gibt es nichts, was einen leiten könnte, keine Stromkabel, keine Wasserleitungen, keine Lichter. Nur einen plattgetrampelten Pfad – und der führt mich erst einmal geradewegs zur Sauna, ein runder zweistöckiger Holzbau, einem großen Bottich gleich, der auf ebener Erde steht. Im EG gibt es ein paar Liegen, oben sind Sauna und Gemeinschaftsduschen. Wer duschen will, muss hierher kommen, denn keines der Baumhäuser hat einen Wasseranschluss. Die Badezimmer bestehen aus Verbrennungstoiletten sowie einem kleinen Waschbecken, über dem ein Behälter mit 3 l Wasser angebracht ist, darunter steht in einem Schränkchen ein Eimer.

Am Vogelnest muss ich meinen Schlüssel in ein kleines Schloss stecken, das an einem Baum hängt, damit eine steile Leiter herunterfährt. Über die klettere ich dann 4 m hoch durch eine Luke im Boden in das Innere des Nests, das bewusst duster ist: Anstatt Fenster gibt es ein nur paar Bullaugen, die hinaus in den Wald »blicken«. Ich sehe keines der anderen Häuser – und fühle mich, als wäre ich ganz alleine in diesem Wald. Das stört nicht: Das Nest ist durch die fein arrangierte Beleuchtung und die Einrichtung so heimelig, dass man es nicht mehr verlassen will. Es riecht so herrlich nach Holz – und sieht so gar nicht nach Baumhaus aus. Eher nach einem schwedischen Sommerhaus in luxuriöser Ikea-Optik. Im kreisförmigen Innern ist alles aus Massivholz. Auf der Rückseite der Luke im Halbrund sind zwei Stockbetten untergebracht, daneben ist das winzige Bad. Hinter einer Wand, die den Raum teilt, steht ein Doppelbett, an der Seite hängt ein elektrischer Kamin – er sieht aus wie ein Flachbildschirm, auf dem ein Feuer brennt, tatsächlich pustet er aber aus den Seiten warme Luft heraus. Man braucht ihn nur in sehr kalten Winternächten, denn in den Häusern gibt es eine elektrische Fußbodenheizung, gespeist mit Hydroenergie – von den Staudämmen im Luleå Fluss.

Herausforderung: Langfristiges Schweben

Dass alles ökologisch durchdacht ist, vergisst man, wenn man in seinem Zimmer ist. Wie man im Übrigen auch vergisst, dass man einige Meter über dem Boden schwebt. Der verspiegelte Würfel von 4 m Kantenlänge, der am häufigsten gebucht wird, besteht aus einem leichten Aluminiumrahmen. Dieser ist in ein paar Metern Höhe um den Baumstamm einer Tanne herumgebaut und an diesem mit verstellbaren Schellen befestigt, ansonsten ist er nur mit Seilverspannungen in der Umgebung fixiert. »Der Stamm hat einen Durchmesser von 25 cm und könnte bis zu 25 t tragen«, erklärt Kent, der Würfel wiegt aber nur 5,5 t. Das schwerste Gebäude ist »The Cabin« mit 7 t, alle anderen wiegen zwischen 3 und 5 t. Der verspiegelte Würfel, wie auch das Ufo und »The Cabin« wurden vorfabriziert, auf Lastkraftwagen in den Wald gebracht und dann nur noch zusammengesetzt, das Vogelnest und »The Blue Cone«, die beide vorrangig aus Holz gebaut sind, wurden vor Ort gezimmert.

»Die größte Herausforderung war zu lernen, welche Materialien auf lange Zeit unserem Klima standhalten und wie man die Häuser sicher gestalten kann«, sagt Kent. Ein Entwurf sah beispielsweise vor, eine Art Zelt zwischen den Bäumen aufzuhängen, doch gibt es kein Material, das warm und stabil genug ist, um auch die Winter zu überstehen. Denn im »Treehotel« kann man das ganze Jahr schlafen, auch bei -20 °C.

Kostspieliges Vergnügen

Der Bau der einzelnen Häuser war teuer, und der Unterhalt ist es ebenso, das schlägt sich auf die Preise nieder. Eine Nacht für zwei Personen kostet zwischen 450 und 500 Euro, je nach Haus passen maximal vier Personen hinein. »Wir haben mit einer Auslastung von 30 % geplant«, erklärt Kent, »haben mittlerweile aber bereits zwischen 40 und 50 % erreicht.«

Der Gegensatz zwischen Natur und Kultur scheint die Gäste zu reizen: Man ist mitten im Wald, hört das Holz der Bäume knacksen, ein Kratzen auf dem Dach – vielleicht sind es Äste, die aneinanderreiben, vielleicht sind es Vögel, die die Wärme suchen – und befindet sich doch mitten im Luxusleben. »Genau so soll es auch sein«, erklärt Kent. »Wir möchten die Menschen erreichen, die in der Natur sein wollen, ohne gleich campen zu müssen.« Aber er weiß auch um das kreative Potenzial seines Hotels, das mit Erwartungen bricht und althergebrachte Kategorien von Wohnen auseinandernimmt. Deshalb will er dieses Jahr noch einen Konferenzraum bauen, der wie eine Schaukel zwischen zwei Bäumen hängen soll.

db, Mo., 2012.07.02

02. Juli 2012 Pia Volk

Kleine Boxen ganz gross

(SUBTITLE) »Wohnothek« in Deutsch Schützen (A)

Der Weg zu ihrer jeweiligen Unterkunft führt die Gäste der Wohnothek im Südburgenland nicht durch einen Hotelkorridor, sondern über Schotter und Rasen. Die »Zimmer« liegen umgeben von Grün und Vogelgezwitscher mitten im Weinberg und gehen auf eine Initiative von vier Weinbauern zurück. Obwohl die Konstellation der Bauherrngruppe sich als schwierig erwies, sieht man das allenfalls ein paar wenigen Details im Innern an, zum Glück aber nicht der Architektur insgesamt.

Die Zimmer heißen Kentaur, Vinea, Pfarrweingarten und Blue. »Eigenartige Namen? Aber nein!«, meint Gerda Wiesler, Wirtin im Haubenrestaurant Wachter-Wieslers Ratschen und Miteigentümerin des benachbarten Hotels. »Die Zimmer sind nach Rebsorten und Weinen benannt, die bei uns in der Ortschaft produziert werden. Mein liebstes Zimmer ist der Pfarrweingarten. Das ist der erfolgreichste Wein in unserem Sortiment: süffig und gut.«

Das kleine Hotel in Deutsch Schützen, weit unten im tiefsten Südburgenland, zählt zu den ungewöhnlichsten Gästehäusern Österreichs. Hotel ist vielleicht der falsche Ausdruck. Wohnotek – so der offizielle, etwas glücklose Name des im September 2011 eröffneten Etablissements – ist auch nicht viel besser. Vielmehr handelt es sich um zehn wie zufällig in die Landschaft gewürfelte Holzboxen, die all jenen Freunden des lukullischen Genusses zur Verfügung stehen, die nach einem wohlschmeckenden Menü oder nach einer etwas zu flüssigen Weindegustation vor einer weiten Heimfahrt zurückschrecken und sich stattdessen lieber für eine Nacht in fremde Federn betten. Zumindest unter der Woche ist diese Flexibilität noch möglich, für die Wochenenden sind die Zimmer in der Regel schon weit im Voraus gebucht.

Mitten im Weingarten

»Die Konzeptionsphase hat weit über ein Jahr gedauert«, erinnert sich Wiesler. »Wir wussten zwar, dass wir keines dieser normalen Hotels mit Zimmer und Frühstückssaal wollten, doch das genaue Resultat unserer Vorstellung ließ lange auf sich warten. Das war ein intensiver Prozess mit den Architekten.« Die Tatsache, dass es sich dabei um ein Kooperationsprojekt von insgesamt vier Winzerfamilien aus dem Ort handelt, wirkte sich auf die Planungsphase nicht gerade beschleunigend aus. Viele Köche verderben den Brei, heißt es. Viele Winzer, könnte man hinzufügen, vergären die Planung.

Nach rund 15 Monaten waren Brainstorming und Detailplanung abgeschlossen. Der Bau konnte beginnen. »Ursprünglich war das Hotelkonzept noch etwas stringenter und klarer im Aufbau«, erinnert sich Johannes Traupmann, einer der beiden Chefs von Pichler Traupmann Architekten (PXT), und erklärt: »Die Weinreben hätten bis an die Hauskante kommen sollen, das Gebaute wäre also Teil der Natur gewesen, und das Projekt hätte in Summe mehr Schlüssigkeit gehabt als das heute der Fall ist.« Doch zum Glück weiß der Laie nichts von alledem. Das ungewöhnliche Mini-Hotel im Weingarten ist allen Abstrichen zum Trotz überzeugend und attraktiv.

Alles ist aus Holz, Zäune und Mauern sucht man hier vergeblich. Sowohl das Material der Häuser als auch die »Zaunlosigkeit« des 3 000 m² großen Grundstücks waren eine Vorgabe der Behörde, denn das Projekt befindet sich mitten im Landschaftsschutzgebiet. Den Architekten kamen die strengen Richtlinien überaus gelegen. Eine Einzäunung hätte ihrer Meinung nach den Kontext des gesamten Projekts zerstört.

Verzahnung mit der Landschaft

Und so wandert man also vom Parkplatz hoch, geht ein paar Meter über knirschenden Schotter, lässt die letzten Weinreben hinter sich, und steht plötzlich im grünsten und offensten Hotelkorridor, den man sich vorstellen kann: Die Wände bestehen aus Wald und Panorama, der Plafond ist aus Wolken und Himmel, mittendrin ein riesiger Kirschbaum, und gelegentlich, wird sich am nächsten Morgen herausstellen, hoppelt ein Wildkaninchen über den Flur. »Unsere Gäste schätzen das ungewöhnliche Ambiente«, meint Gerda Wiesler. »In welchem Hotel liegt die Natur schon so nahe? Und wo kann man schon nach dem Duschen direkt ins Freie treten und bloßfüßig durch die Wiese marschieren?«

Rein ins Zimmer. Der erste Eindruck der knapp 24 m² großen Wohneinheit: Es riecht intensiv nach Holz. Boden, Wände und Decke bestehen aus unbehandelter Lärche. Lediglich im Nassbereich, also rund um das Waschbecken und im WC, wurde der Boden zum Schutz vor Feuchtigkeit versiegelt. Das geübte Auge erkennt den Unterschied.

Während Boden und Decke aus Kreuzlagenholz (KLH) bestehen und somit Konstruktion, Aufbau und Dämmung in einem Material vereinen, wurden die Wände in herkömmlicher Pfosten-Riegel-Konstruktion errichtet. Die Innenseite der Häuser ist großflächig mit Dreischichtplatten bekleidet, an der Außenfassade regiert das Prinzip des Zufalls. »Es gibt unterschiedlich breite Lärchenholzlatten, die zwischen 8 und 16 cm variieren«, erklärt Traupmann. »Wir haben die Handwerker gebeten, möglichst unregelmäßig zu arbeiten. Es wurde der Reihe nach an die Wand montiert, was auf der Palette gerade zur Hand lag.« Der kleine Maßstab mit seinen leichten Irritationen tut dem Projekt gut.

Die Inneneinrichtung stammt nur zu einem Teil aus Architektenhand – so z. B. die Liegebank, die flächenbündig zu einem integrierten Schreibtisch aufsteigt oder etwa der Waschtisch, der Minibar, Ablagefläche und Waschmöglichkeit in einem einzigen, schlichten Möbelband vereint. Bei anderen Details hingegen haben sich die Winzer durchgesetzt. So wirken diese an einigen Stellen lieblos und ungelöst. Leider trifft das auch auf die Lichtplanung zu. Statt schöner Leuchten und indirekter Beleuchtung hängen nun ordinäre Leuchtstoffröhren aus dem Baumarkt an der Wand. Eiskalte Lichtfarbe. Der Fauxpas ist unverzeihlich. Demnächst, versichern die Inhaber des Hotels, wolle man die Zimmer mit adäquaten Lichtquellen nachrüsten.

Seine größte Stärke spielt das Zimmer aus, wenn man in der Früh aufwacht und sich zwischen zwei riesigen Glasscheiben wiederfindet. Das Bett ist nämlich in einer Art Alkove untergebracht. Der Platz zu beiden Seiten der Schlafstatt ist eng, hinter den Nachtkästchen strömt unmittelbar die Natur in den Raum. »Die Integration in die Umgebung ist für mich das absolute Highlight«, sagt Johannes Traupmann. »Eigentlich gibt es eine Genehmigung für insgesamt 15 Hoteleinheiten, aber ich denke, dass wir dieses Potenzial nicht mehr ausschöpfen werden. Wenn wir die Dichte anheben, dann gehen die Qualitäten des Ausblicks und der Nähe zur Natur womöglich verloren.«

Mitreisser

Mit einer Bauzeit von nur 100 Tagen und einem Stückpreis von 43 000 Euro pro Box – das entspricht Baukosten von knapp 2 000 Eur/m2 – ist das Hotel günstig kalkuliert. Fast. Wäre da bloß nicht die dezentrale Lage in der Landschaft. »Die Zimmer liegen recht dispers, daher sind ziemlich hohe Nebenkosten angefallen, die bei einem herkömmlichen Hotelprojekt kaum ins Gewicht fallen würden«, so Traupmann. Der größte Brocken waren die Infrastruktur- und Erschließungskosten. Auch die gesamte Haustechnik – beheizt werden die Hotelzimmer mit einer Luft-Luft-Wärmepumpe – musste zehnfach ausgeführt werden. Trotz günstiger Bauweise belaufen sich die Gesamtinvestitionskosten daher auf rund 800 000 Euro. Das ist viel Geld.

Doch der Plan scheint aufzugehen. Allein in den ersten vier Monaten verzeichneten die Wachter-Wieslers mehr als tausend Übernachtungen. Bei Preisen zwischen 48 und 59 Euro pro Person – abhängig von Wochenende und Saison – wolle man innerhalb von fünf Jahren den »Break-even-Point« erreichen. »Es läuft sehr gut«, meint die Hausherrin. »Und wie es scheint, werden wir schon ab dem dritten Jahr Gewinn machen können. Für mich persönlich ist das ein geglücktes Beispiel für sanfte, nachhaltige Tourismusentwicklung in dieser Region.«

Sanft und nachhaltig sind auch die Zahlen: Die Wohnotek hat die Übernachtungen auch in den umliegenden Hotels und Pensionen nach oben geschraubt. Insgesamt verzeichnet man in Deutsch Schützen eine Gästeplus von rund 40 %. Die kleinen Boxen in den Weinreben haben großes Potenzial. Es fehlen noch ein, zwei nachträgliche Handgriffe, danach steht einem Aufstieg in den sternenlosen Olymp der Hotellerie nichts mehr im Weg.

db, Mo., 2012.07.02

02. Juli 2012 Wojciech Czaja

Baustellen-Boogie

(SUBTITLE) Das »Michelberger Hotel« in Berlin

Das »Michelberger«, gelegen im östlichen Berliner Stadtteil Friedrichshain, versteht sich weniger als klassisches Hotel denn als Treffpunkt für die Berliner Subkultur, aus der heraus es entstand. Und wenn überhaupt, dann lässt es sich als ein Individualhotel für die kreative bis alternative Szene einordnen. Für die Umsetzung hat man einen bekannten Designer und Innenarchitekten gewonnen. Der Auftrag an ihn: das Hotel bewusst »undesignt« und improvisiert erscheinen zu lassen. Das Konzept ging auf und scheint eine der höchsten, wenn nicht sogar die höchste Hotelauslastung Berlins nach sich zu ziehen.

Es war einmal, vor fünf Jahren, da beschloss Tom, sich nicht mehr zu beschweren, sondern es besser zu machen. Er hatte die Idee, eine große Wohnung für sich und seine Freunde zu finden, oder warum nicht gleich ein ganzes Haus, in dem alle Freunde wohnen können und in das man auch fremde Leute einladen kann. Sobald sie den Schlüssel zu dem Haus hatten, versammelten sie weitere ihrer fantastischen, kreativen und charismatischen Freunde um sich und alle halfen dabei, das Haus umzubauen: zu einer Welt im Kleinen, wie man sie gerne hätte. Sie feierten Baustellenpartys, zu denen, als das Hotel fast fertig war, über 1 000 Leute aus aller Welt kamen, um mit ihnen den Baustellen-Boogie zu tanzen.

»Warum warten«

So lautet, reichlich verkürzt, die Entstehungsgeschichte des Michelberger Hotels in Berlin, die bereits viel über den Charakter des Hotels aussagt und auf der entsprechenden Webseite nachzulesen ist. Und nicht nur dort muten Entstehungsgeschichte und Gestaltung wie im Märchen oder einer Fantasiewelt an: »Why wait«, heißt es bereits groß neben dem Hof- und Hoteleingang, links darunter »Looking for the entrance? Welcome to the Jungle«. Im großen Innenhof angekommen, der von einer sechsstöckigen Bebauung umschlossen ist, fühlt man sich tatsächlich wie in einer anderen Welt. Pippi Langstrumpf, mein erster Gedanke. Eine große Gartenparty, mein zweiter. Es ist bunt, allerdings nicht zu bunt, ein bisschen verspielt, freundlich, gemütlich. Auf manche mag es auch naiv wirken. An einer Seite, etwas erhöht, ein überdimensioniertes Vogelnest mit Ei, darunter eine Bühne aus Holz, daneben sitzen zwei Freundinnen in einer der beiden Hollywoodschaukeln. An der Pingpongplatte vor ihnen liefern sich zwei Gäste gerade ein Match. Auf der anderen Seite ein gläserner Anbau, der zur Rezeption weist. In der Mitte des Hofs eine schraddelige Laube, ringsum Tische mit rot-weiß-karierten Decken, Detlev Buck läuft vorbei.

Ein Anti-Hotel

Dass man hier den ein oder anderen Schauspieler oder Künstler trifft, verwundert nicht. Tom Michelberger, Gründer des Hotels, ist ein »Szenetyp aus Berlin«, erklärt Innenarchitekt und Designer Werner Aisslinger, in seinem Umfeld tummeln sich Kreative, »er ist kein Hotelier«. Und genau das ist wohl auch der Grund dafür, dass das Hotel eine gigantische Auslastung von 95 % erreicht. »Andere Hotels in Berlin sind froh, 70 % zu haben«, so Aisslinger. Schon während der Bauphase gab es immer wieder Partys, Life-Performances, gute und viel Pressearbeit – die Location sprach sich herum. Weltweit. »Ein wildes Szenekonstrukt kann man überall promoten«, erläutert Aisslinger.

Die Architektur des von ihm geplanten Hotel Daniel in Graz hatte Tom Michelberger gefallen, so kam die Zusammenarbeit vor Ort in Berlin zustande. Von Anfang an war allerdings klar, dass in den drei gefundenen und leer stehenden Büroetagen eines ehemaligen Fabrikgebäudes im Berliner Osten bloß kein klassisches Hotel entstehen sollte, »mehr ein Hostel, ein Anti-Hotel. Er wollte etwas Improvisiertes, Undesigntes, etwas, was typisch Berlin ist«, so Aisslinger weiter über seinen damals 30-jährigen Auftraggeber.

Ein ursprünglich geplantes 36-Betten-Zimmer kam dann zwar nicht zustande, es hätte doch zu jugendherbergsartig gewirkt, dafür gibt es immerhin kleinere Gruppenzimmer. Wenn eben mal eine Band aus Tokio kommt und zusammenbleiben möchte, oder Künstlergruppen, »DJs mit Anhang«… – Der damalige Wunsch Michelbergers entspricht der heutigen Realität.

119 Zimmer, von gemütlich bis Luxus

Zusätzlich zu dem »Band-Zimmer« mit bis zu fünf Einzelbetten entstand das »Big One« für bis zu neun Personen und mit zwei Bädern, daneben gibt es die »Michelberger WG«, ein »Loft« und ein »Loft Triple« (Zwei- bis Dreier-Belegung), vier »Luxus«-Zimmer (»Das Chalet«, das »Zimmer mit View«, das »Golden One« und das »Clever One«), einige rollstuhlgerechte »Comfort«-Zimmer sowie zahlreiche »Cosy«: Zimmer, deren »Gemütlichkeit« v. a. durch Minimalismus entsteht. Das 1,40 m große Bett ist dort genau in die Lücke zwischen Fenster und Dusche eingepasst – von der sich durch die Verglasung über das Bett nach draußen blicken lässt. Dass eine solche Offenheit nicht jedermanns Sache ist, kann man seit Jahren in Hotelbewertungsportalen lesen.

Andererseits: Wer in diesem kleinen Zimmer überhaupt zu zweit übernachtet – gedacht ist es mit seiner »Live-Dusche« laut Michelberger ohnehin nur »für Singles oder verliebte Paare« –, wird sich daran wohl kaum stören. Ebenso wenig, dass es in diesem Hotel im Zimmer kein Telefon gibt. Warum auch, hat doch jeder – oder zumindest jeder Michelberger-Hotelgast – ein Handy. Und der Preis für ein »Cosy«, der zwar gegenüber dem Preis zum Eröffnungsjahr leicht anstieg, ist mit einer Spanne zwischen 60 und 80 Euro, je nach Buchungszeit, immer noch günstig.

In allen anderen Zimmern, die bis maximal rund 200 Euro die Nacht kosten, konnte Aisslinger die Betten unter der Decke anordnen oder Stockbetten planen – und sich so die günstige, 3,70 m umfassende Raumhöhe des früheren Fabrikgebäudes zunutze machen. In Abstimmung mit und dank finanzieller Beteiligung der vermietenden Wohnungsbaugesellschaft konnten in die rückwärtige Westfassade große Fensteröffnungen geschnitten werden. So war es möglich, diesen Gebäudeteil, wie auch das Vorderhaus zur Warschauer Straße hin, als Zweispänner zu konzipieren, der Nord- und Südflügel hingegen nur als Einspänner. Bis auf eine zusätzliche Trittschalldämmung wurde im Innern konstruktiv wenig verändert, sogar rund 30 % aller Trockenbauwände der ehemaligen Büros ließen sich als Trennungswände für die Hotelzimmer nutzen, was dem Low-Budget-Projekt zugutekam.

Unkonventionell und improvisiert

Die Details in allen Hotelzimmern sind sich, bis auf die individuell gestalteten »Luxus«-Zimmer, sehr ähnlich: Seile als Aufhängung für Spiegel oder Handtücher, Netze als Geländer, hölzerne Einbaumöbel, weiße Waschbecken auf dunkelbraunen, beschichteten Sperrholzplatten, Bücherregal-Kästchen und mit Holz umfasste TV-Kästen, unaufdringlich gemusterte Tapeten, Laminatböden, rohe und beschichtete MDF-Platten, große, hohe Sprossen-Fenster mit dicken, senffarbenen Stoffgardinen davor. Eine stilsichere Mischung aus Schlichtheit, Improvisation und der Eleganz vergangener Jahre, die ein kompositorisch ausgewogenes Bild ergeben.

Wer hingegen den Hotelflur passiert, wird nicht nur aufgrund der in den Ecken installierten Fernseher (mit einem Kultfilm in Endlosschleife), sondern v. a. wegen der im Gegensatz zu den Zimmern eher lieblosen Gestaltung überrascht sein. Ging hier das Geld aus? Wird noch weitergebaut? Dass hier überhaupt baulich etwas verändert und gestaltet wurde, erkennt man erst auf den zweiten Blick. Aber auch das ist, so Aisslinger, gewollt: Die Gipskartonplatten sind nur im Bereich bis 1,80 m angestrichen, darüber findet sich noch die eine oder andere, bewusst sichtbar belassene Kritzelei aus der zwölfmonatigen Bauphase, der eine eineinhalbjährige Planungsphase vorausging – eine lange Dauer, die bei so vielen Beteiligten nicht überrascht. In dieser Zeit wurden immer wieder, in Abstimmung mit Aisslinger, auf Flohmärkten Stücke für die Inneneinrichtung gesammelt. So gut wie kein Möbelstück wurde beim Hersteller bestellt (und folglich neu produziert); und wenn, dann als Sonderanfertigung wie etwa ein mit FSB entwickelter Türdrücker für Badezimmertüren und Fenster. Der zweite Zugang zur Rezeption, den man direkt von der Straße aus über die »Honolulu«-Bar erreicht, sieht so auch eher wie ein Wohnzimmer aus, etwas unordentlich, mit eigens kreierten Leuchten, zig Büchern und Zeitschriften ringsum. Dazu passt, dass der (selbst im Michelberger wohnende) Hotelgründer auch gerne mal den Abend hier verbringt.

Unzerrüttbar

Ein umgemodeltes Fabrikgebäude, eine hohe Auslastung und intensive Nutzung der Gemeinschaftsbereiche aufgrund eines guten, in sich stimmigen und neuartigen Hotelkonzepts, das sicher über viele Jahre und Jahrzehnte funktionieren wird, Mobiliar vom Flohmarkt, der Verzicht auf längst überflüssige, klassische Hotelzimmer-Details wie etwa ein Telefon, die Stadtbahn und somit öffentliche Verkehrsanbindung direkt vorm Eingang: Während alle um uns herum von Nachhaltigkeit reden, kann man sie im Michelberger erleben, ohne sie direkt zu sehen oder ständig darauf hingewiesen zu werden. Auf was man aber gerne hinweist, sind speziell entwickelte Michelberger-Produkte und Imageträger wie ein zuletzt als »our new baby« angekündigtes Getränk. »Es wäre schön, wenn Ihr auch was über das neue Kokosnusswasser schreiben könntet: michelbergermonkey.com«, antwortet Tom Michelberger auf eine Mail von mir. Dies sei hiermit getan. Willkommen im Dschungel!

db, Mo., 2012.07.02

02. Juli 2012 Christine Fritzenwallner

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