Editorial

In Zeiten, in denen durch digitale Entwurfs- und Planungsmethoden Bauten mit äußerst komplexen Geometrien (s. links, »Metropol Parasol« in Sevilla) Wirklichkeit werden können, nimmt die enge Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren mehr Raum ein als je zuvor. Je besser die ursprüngliche Idee und die statischen Notwendigkeiten durch einen intensiven und unvoreingenommenen Austausch aller am Entwurf Beteiligten auf einen gemeinsamen Weg gebracht werden, desto gelungener das Ergebnis – v. a. aus ästhetischer Sicht; schließlich hat die Formulierung der Lastabtragung maßgeblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild eines Bauwerks.

Und auch unter wirtschaftlichen Aspekten lohnt die frühzeitige Abstimmung der einzelnen Fachdisziplinen untereinander, lassen sich doch dadurch Produktionsabläufe und Materialverbrauch optimieren.

Für diese db-Ausgabe haben wir die verantwortlichen Tragwerksplaner zu ihrer individuellen Herausforderung bei dem jeweiligen Projekt und zur Zusammenarbeit mit den Architekten befragt - die Statements finden Sie auf nachfolgenden Seiten. | Martin Höchst / Christine Fritzenwallner

Kunstvoll überbrückt

(SUBTITLE) Brücke in Oberhausen

Künstler und Ingenieure denken und arbeiten in unterschiedlichen Sphären, meint man. Doch wenn die Kunst zum Instrument des Strukturwandels wird und ohne Tragwerk nichts hält, kann der eine nicht ohne den anderen. Gegenseitige Zugeständnisse – in diesem Fall eines angesehenen Künstlers und eines ebenso bekannten Tragwerksplaners – sind also unvermeidlich. In Oberhausen wurden die Grenzen der Kompromissbereitschaft ausgereizt, ohne dass es dem geplanten Erscheinungsbild der Fußgänger- und Radfahrerbrücke schadete.

Was die IBA Emscherpark in den 90er Jahren begonnen hatte, konnte die Europäische Kulturhauptstadt RUHR.2010 dank des erneuten Fördermittelregens vielerorts erfolgreich fortführen. Eines der unter dem Leitmotiv »Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur« durchgeführten Projekte war die EMSCHERKUNST.2010. Der regionale Wasserwirtschaftsverband Emschergenossenschaft, der außer für die Abwasserwirtschaft auch für die Renaturierung der Emscher verantwortlich ist, ließ daher im Frühjahr 2009 rund 40 Künstler Konzepte für Projekte entwickeln, die einen Sommer lang auf der Emscherinsel zwischen Oberhausen und Castrop-Rauxel zu sehen sein sollten.

»Slinky Springs To Fame«

Der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger schlug nach einem Ortstermin eine Brückenskulptur vor, die den Kaiserpark und den auf der Insel gelegenen Reformpark verbinden sollte. Überlegungen, an dieser Stelle einen Überweg oder gar ein begehbares Landschaftskunstwerk zu errichten, um eine längst zerstörte Holzbrücke aus den 20er Jahren zu ersetzen, hatte es schon seit Jahrzehnten gegeben, ohne dass die Pläne jemals konkretisiert wurden. Mit der Brückenskulptur, einer bewegten schwarzen Spirale, die ein schmales buntes Band über den Kanal tragen sollte, versprach Rehberger schon im Planungsstadium die vielbeschworene Synergie von Kultur und Stadtentwicklung zu erzeugen.

Rehberger nannte sein Projekt »Slinky Springs To Fame« und zitierte damit die Anzeige, die 1946 für eine von dem amerikanischen Mechaniker Richard James entwickelte Spielzeugspirale warb. Auch wenn der Name hierzulande nicht so geläufig ist, fasziniert »Slinky« Kinder und Erwachsene auch nach über 60 Jahren noch. Wohl jeder hat schon einmal eine solche Spirale in der Hand gehabt, die – sollte es sich um eine hochwertige Ausführung gehandelt haben – aus scheinbar eigenem Antrieb die Treppe hinuntermarschiert.

Mit seiner Brückenskulptur wollte Rehberger aber mehr als nur eine Verbindung über den Kanal schaffen. Er wollte einen gerichteten Blick erzeugen, jedoch ohne die klaustrophobische Situation eines Tunnels. Zunächst als Handskizze, dann als computergenerierte Grafik inszenierte er daher die Dynamik der Spirale, dem, wie er es selbst beschrieb, »konstruktiv Schlechtesten«, das es gibt. Dass die Vision des Künstlers eine Sache ist, die Umsetzung aber eine ganz andere, musste auch das von der Emschergenossenschaft mit der Konstruktion der Brückenskulptur beauftragte Stuttgarter Ingenieurbüro schlaich bergermann und partner in den folgenden Monaten feststellen. Das von Andreas Keil, Knut Göppert, Sven Plieninger und Mike Schlaich geführte Büro ist mittlerweile auch in Berlin, New York und São Paulo beheimatet und mit der Bearbeitung anspruchsvoller Tragwerke bestens vertraut.

Die Unmöglichkeit der gebogenen Diagonale

Natürlich lag es nahe, dass die Ingenieure mit dem »Material« arbeiteten, das Rehbergers Visualisierungen ihnen bot: eine schwarze Spirale und ein buntes Band. Ihr Ehrgeiz war geweckt, auch konstruktiv etwas Neues zu entwickeln und die Spirale zum Tragwerk zu machen. Doch die Versuche, daraus ein Raumfachwerk zu entwickeln, scheiterten am fehlenden Obergurt und an der Unmöglichkeit der gebogenen Diagonalen. Auch die Idee, zwei Spiralen ineinander zu verschrauben, musste verworfen werden, als die Dimensionen der Bauteile zu groß wurden.

Die Lösung war schließlich eine klassische Spannbandbrücke, die das Band zum tragenden Element macht. Doch durch die filigrane Konstruktion bleibt die Spirale, auch wenn sie nicht tragwerkrelevant ist, das gestaltprägende Element. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass das leichte Schwingen der Spannbandbrücke den bewegten visuellen Eindruck auch physisch erlebbar macht. Die von schlaich bergermann und partner entwickelte Konstruktion spannt zwei 3 cm dicke und 46 cm breite Bänder aus hochfestem Stahl 66 m weit über den Rhein-Herne-Kanal zu geneigten V-Stützen, die die resultierenden Zugkräfte über vertikale Zugstäbe in kräftige Widerlager ableiten. Doch die Spannweite der Brücke ist in diesem Fall nicht die Attraktion, sondern die Fragilität der tragenden Konstruktion. Als Lauffläche dienen 12 cm hohe, aufgeschraubte Betonfertigteile mit einem 4 cm dicken, farbigen Kunststoffbelag. Mit ihrem Eigengewicht stabilisieren sie die nur 2,65 m breite Brücke.

Um die Durchfahrtshöhe des Kanals von 8 m einzuhalten, mussten die Unterkante der Spirale und des Durchhangs der Konstruktion von 1,27 m mit in die Berechnungen einbezogen werden. Bei Spannbandbrücken bestimmt der Durchhang die auf die Stützen wirkenden Zugkräfte: Je geringer der Stich, desto größer die Kräfte – will man jedoch die Widerlager entlasten, wird die Steigung des Spannbandes zu den Stützen hin größer, und die Brücke wäre möglicherweise nicht mehr für Rollstuhlfahrer geeignet. Hier liegt die Steigung am Rand des mittleren Felds der Brücke weit unter den maximal zulässigen Werten, was jedoch mit entsprechenden Zugkräften bezahlt werden musste.

Bei den Berechnungen zeigte sich auch, dass die in den ersten Skizzen von Rehberger gezeichnete Spiralgeometrie mit extrem diversen Radien und Staffelungen in der Praxis nicht umsetzbar war, Brückenhöhe und Baukosten wären ins Unermessliche gestiegen. Schon bei der schließlich realisierten Höhe von 10,30 m über Gelände (am höchsten Punkt über den Stützen) ist die Länge der andienenden Rampen auf beiden Seiten beträchtlich: 170 m im Kaisergarten, 130 m auf der Emscherinsel. Langsam winden sie sich auf Straßenniveau herab, sodass sich von verschiedenen Standorten auf der Brücke interessante Perspektiven ergeben, die der kontrolliert wirkende Lageplan so nicht vermuten lässt.

Spielen mit der Wahrnehmung

Die 496 Spiralbögen aus Aluminiumrechteckprofilen, die aus der Nähe betrachtet recht massiv wirken, wurden aus jeweils drei Einzelteilen vor Ort aneinander und mit zwei Streben an die Unterseite der Betonplatten der fertigen Spannbandbrücke geschraubt. Auch hier sollte die Konstruktion so unsichtbar wie möglich sein, um die Spirale schwebend erscheinen zu lassen. Nicht zuletzt die Krümmung und Neigung der Rampen erforderte an dieser Stelle die Entwicklung von verstellbaren Verbindungselementen, die auf die in unterschiedlichen Winkeln ankommenden Spiralbögen angepasst werden können.

Der vor Ort vergossene, farbig eingefärbte, federnde und tartanähnliche Belag der Lauffläche verstärkt den Eindruck, dass es sich bei »Slinky« tatsächlich um ein dynamisches Objekt handelt, das auf die Masse und Bewegung der › › Passanten reagiert. Wie bei den meisten der an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Design zu lokalisierenden Rehberger-Projekten, darunter auch die mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Neugestaltung der Biennale-Cafeteria (2009) in Venedig, spielt der Künstler auch hier mit Farben und Kontrasten und der manipulierten Wahrnehmung des Raums: Dieser scheint sich durch den Rhythmus des 16-farbigen Streifenmusters mit der Bewegung über die Brücke kontinuierlich zu verändern. Und genau dadurch wird die Brücke zum Kunstwerk, wenn plötzlich etwas Ungewöhnliches und Unerwartetes – und sei es nur ein dicker Streifen Lila – auftaucht und nicht nur den unmittelbaren Eindruck, sondern auch den Blick auf die Umgebung völlig verändert.

Vom Bild zum Bauwerk zum Bild

Während des gesamten Entwurfs- und Entwicklungsprozesses haben die Ingenieure und der Künstler eng zusammengearbeitet und dabei immer wieder die Grenzen der Kompromissbereitschaft des anderen getestet. Insbesondere an die Detaillösungen stellte Rehberger hohe Anforderungen. Auch wenn er die Brücke am liebsten ohne Handlauf und Absturzsicherung gesehen hätte, konnte er sich mit der von schlaich bergermann und partner entworfenen »rauen« Erscheinung der Sicherungsmaßnahmen aus verzinkten Rundrohren und Seilnetzen schließlich anfreunden. Konstruktiv wirkt der Maschendraht zusätzlich noch als Dämpfer, der die Bewegungsenergie über die Reibung an den unzähligen Knoten aufnimmt.

Schwierig umzusetzen waren auch die Anforderungen des Künstlers an das Beleuchtungskonzept: Rehberger wollte, dass die Brücke bei Dunkelheit von innen heraus strahlt. Um diesen Effekt zu erzielen, mussten die Planer LEDs wie auch deren Verkabelung im Bauwerk verstecken. Die LED-Lämpchen für die Unterseite wurden in ausgefrästen Öffnungen in den Spiralbögen versenkt, die für die Oberseite im Rundrohr des Handlaufs. Dabei kam den Ingenieuren zugute, dass die Brücke fast nur aus eigens entwickelten Bauteilen besteht, in die auch diese Funktion noch integriert werden konnte.

Zwei strenge Winter, dauergefrorener Boden, der sich bei Gründungsversuchen als sumpfig erwies, nicht dokumentierte Spundwandverankerungen und Kampfmittelfunde aus Kriegszeiten verursachten immer wieder Verzögerungen und Umplanungen, sodass die Brücke erst nach 15-monatiger Bauzeit am 25. Juni 2011 eingeweiht werden konnte. Damit wurde zwar die EMSCHERKUNST.2010 um fast ein Jahr verpasst und die Baukosten nahezu verdoppelt, doch davon einmal abgesehen, entstand ein Projekt mit einem erheblichen künstlerischen, technischen und infrastrukturellen Mehrwert.

Bemerkenswert an der Ingenieurleistung ist, wie viel Sachverstand und Ehrgeiz eingesetzt wurden, um eine Konstruktion maßzuschneidern, die ihre Funktion als Tragwerk optimal erfüllt. Und die sich gleichzeitig in der Erscheinung so zurücknimmt, dass es schließlich, wie in Rehbergers ersten Skizzen, nur noch die schwarze Spirale und das bunte Band sind, die sich dem Betrachter einprägen.

db, Di., 2011.10.04

04. Oktober 2011 Uta Winterhager

Federvieh auf drei Beinen

(SUBTITLE) Eiermuseum in Winden am See

Wie baut man eiergerecht? Diese Frage hatten sich anfangs nicht nur die Architekten in Bezug auf die Form des Eiermuseums gestellt, sondern auch die Bauingenieure, die ein schwingungsfreies Gebäude errichten sollten. Durch die enge Zusammenarbeit der Planer entstand im Burgenland ein Stück Architektur, das in konstruktiver Hinsicht und aufgrund seiner beeindruckenden Gestalt selbst schon ein Kunstwerk ist.

Die meisten schlagen sie sich in die Pfanne und machen daraus ein schmackhaftes Gericht. Der österreichische Bildhauer Wander Bertoni will sie nicht essen, er sammelt sie viel lieber: Eier. »Das Ei ist eine faszinierende Skulptur«, erklärt er. »Die geometrisch einfachste und perfekteste Form, die in der Natur vorkommt, ist die Kugel. Sobald man eine gewisse Kraft ausübt und sie einmal verformt, erhält man ein Ei.«

Rund 4 500 dieser Urskulpturen hat Bertoni in den letzten Jahrzehnten angesammelt. Hühnereier, Enteneier, Straußeneier, ja sogar Dinosauriereier, manche perlenbesetzt, manche handbemalt, manche mit ruhiger Feile millimetergenau geschnitzt. Doch nur die wenigsten Eier sind echt. Die meisten sind aufwendig hergestellte Artefakte aus vielen unterschiedlichen Kulturkreisen, sie sind aus Stoff, aus Stein oder aus Porzellan, sie kommen aus dem Nachbardorf oder von weit her. Die längste Zeit wurden sie in irgendwelchen Kartons gehortet, aufgeteilt auf mehrere Ateliers, verstreut in ganz Österreich. Vor ein paar Jahren wurde es Bertoni zu viel: Er beschloss, für seine ungewöhnliche Sammlung ein Eiermuseum zu errichten.

Kanten als Kontrast zum Ei

Der Architekt Johannes Spalt (1920-2010), der auf dem friedvollen Anwesen in Winden am See, nur einen Steinwurf vom Neusiedler See und damit von einem der begehrtesten Ausflugsziele der Wiener entfernt, schon eine Werkstätte und ein Ateliergebäude für Bertoni geplant hatte, war für diese Bauaufgabe damals schon zu alt. Er empfahl den Bauherrn daher an seine ehemaligen Schüler Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Wiener Architekturbüro gaupenraub. Prompt machten sich die beiden Eierdebütanten an die Arbeit, studierten Spalts bisherige Bauten auf dem Gelände, recherchierten sich durch die Welt der Eier und kamen schließlich zu dem Schluss, dass 4 500 Eier bereits genug sind. Da muss nicht noch ein weiteres in Funktion eines Gebäudes her: »Natürlich liegt der Gedanke nahe, dass man ein Eiermuseum in Eierform macht«, so Hagner. »Aber so ein Bau wäre nicht nur ziemlich einfallslos und plump gewesen, sondern würde auch in Konkurrenz zur Eiersammlung und zu den vielen organischen Arbeiten in Bertonis Skulpturengarten stehen. Für uns war bald klar, dass wir nicht amorph, sondern eckig arbeiten müssen.« ›

Form folgt Tageslicht

Das Resultat dieser Überlegungen ist ein quadratischer Pavillon mit einer Grundfläche von 10 x 10 m. Wer glaubt, es handle sich dabei um einen schnöden Eierkarton, der irrt. Über einem voll verglasten EG schwebt ein kupferbekleideter Baukörper mit im Bodenbereich abgeschrägtem Fensterband und steil geböschten Wänden. Die eigenwillige Form folgt nicht nur der Funktion, sondern auch der Belichtung: Während von unten indirektes Tageslicht ins OG dringt, können auf Augenhöhe die Eier bestaunt werden.

»Die Aufteilung der 4 500 Ausstellungsstücke folgt einem klaren Prinzip«, erklärt Hagner. Im transparenten EG – man steht quasi mitten in der Natur – sind die etwas robusteren Ausstellungsstücke zu sehen. Ei vor landschaftlichem Hintergrund. Die von der Decke abgehängten Vitrinen tricksen einmal mehr die Schwerkraft aus. Im lichtgeschützten OG hingegen kann Bertoni die etwas lichtempfindlicheren, großteils historischen oder handbemalten Eier zur Schau stellen. Eigens entwickelte Holzvitrinen, die mal wie ein Bauchladen in den Raum ragen, mal kopfüber in die schräge Außenwand eingebaut sind, bergen einen Großteil der Unikate. »Eigentlich ist die Aufteilung ganz logisch«, meint Hagner. »Schwierig war nur die Berechnung der tatsächlich benötigten Fläche. Kein Mensch kann einem sagen, wie viel Platz man für 4 500 Eier braucht. Das steht auch in keiner Neufert Bauentwurfslehre.«

Das eierlegende Haus

Doch der tatsächliche Clou dieses Gebäudes ist sein Tragwerk. Wie ein Federtier auf zwei Beinen balanciert das Museum auf zwei geneigten Stahlsäulen, einzig gestützt durch den ebenfalls tragfähigen Treppenlauf. »Ein übliches Traggerüst mit Stützen und Platte kam für uns nicht in Frage«, so gaupenraub. »Wir haben uns von der Natur inspirieren lassen und gesehen, dass die meisten eierlegenden Tiere auf zwei Beinen durchs Leben gehen. In der Natur ist das ganz einfach. In der Architektur aber ist das eine ziemliche Challenge.« Und das sieht man auch. Beim Besichtigungstermin vor Ort streift ein burgenländischer Bauingenieur durch das Museum. »Haben Sie das etwa geplant? Wahnsinn! So eine schlanke Konstruktion habe ich ja noch nie gesehen!« Ein Schulterklopfen unter Kollegen. Hagner grinst.

Doch ohne das Statikbüro werkraum wien, das im Hintergrund die diffizilen Berechnungen anstellte, wäre das Projekt niemals realisierbar gewesen. »Es ist ein kleines, aber sehr komplexes Bauwerk«, erklärt der zuständige Tragwerksplaner Peter Bauer. »Unsere Computer waren oft einen halben Tag lang ausgelastet. Das passiert uns sonst nur bei Großprojekten.« Durch die dreibeinige Konstruktion wäre das Gebäude zwar stabil gewesen, nicht aber resistent gegen Schwingungen durch Windkräfte und trampelnde Besuchergruppen. »Der Bauherr wünschte sich für seine Eier ein komplett schwingungsfreies Gebäude, also mussten wir sämtliche Nutzlastverteilungen in die Berechnung miteinbeziehen und die Konstruktion so weit vorspannen, dass im Alltag keinerlei Schwingungen auftreten.«

Konkret sieht das so aus: Die beiden geneigten Stahlstützen haben einen Durchmesser von 400 mm, ihre Wanddicke beträgt je nach Belastung 20 bzw. 50 mm. Gemeinsam mit der diagonal in den Raum gestellten, einläufigen Treppe, die als Kastenträger ausgebildet ist (zusammengeschweißt aus einzelnen Blechen), entsteht ein stabiles Dreibein. Darüber befindet sich, gleich einer gigantischen Obstschale, ein Rahmenwerk aus Stahlträgern, das an den Rändern aufgekantet ist und auf diese Weise gleichzeitig als Unterkonstruktion für die »Nurverglasung« im Bodenbereich dient. Der Rest des Gebäudes besteht aus einer hinterlüfteten Holzkonstruktion aus Kreuzlagenholz (KLH), eingepackt in ein abschließendes Kleid aus Kupferblech.

Torsion und Schüsselung

Im Rohbau musste die gesamte Konstruktion leicht gewölbt und mit einer Überhöhung von 60 mm ausgeführt werden. Der Stahlbau hat sich, wie man in Österreich so schön sagt, nach oben »geschüsselt«. Das war Absicht. Erst durch die insgesamt 27 Zugstangen im EG, die im Innenraum ein paar Zentimeter vor der Glasebene schweben, wird das OG nach unten gezogen. In jeder einzelnen Zugstange stecken 5 t Zugkraft. Durch die asymmetrische Positionierung des Dreibeins hat sich das Gebäude während des Spannvorgangs um 5 cm um die eigene Achse gedreht. Auch diese Torsion musste von Anfang an berücksichtigt werden.

»Das Ganze ist ein gewaltiger Kraftakt, doch dank dieser Vorspannung ist das gesamte Eiermuseum nun erschütterungsfreie Zone«, erklärt Peter Bauer. Der letzte Trick liegt in der 30 cm dicken Fundamentplatte. »Normalerweise müsste man die Zugkraft in entsprechend großen Punkt- oder Streifenfundamenten aufnehmen. Wir haben stattdessen die Fundamentplatte entsprechend stark bewehrt, und zwar nicht oben, wo sich die Zugzone üblicherweise befindet, sondern an der Untersohle. Der Kräfteverlauf ist in diesem Projekt eben komplett auf den Kopf gestellt.«

Das Unmögliche möglich

Ungewöhnlich in diesem durch und durch eierspezifischem Projekt – sogar die selbstverständlich weiß lackierten Scheinwerfer weisen eine ovoide Form auf – ist nicht zuletzt das Haustechnik-Konzept. Die Verglasung ist einfach, es gibt weder Wärmedämmung noch Kühlung und Beheizung. Horizontale Fugen im EG sorgen für Frischluft, abgesaugt wird die verbrauchte Luft schließlich im höchsten Punkt unter Dach. Das war’s. »Die Eier sind ziemlich resistent, also herrscht im Museum das ganze Jahr über mehr oder weniger Außentemperatur«, erklärt Hagner. Und verweist auf einen Bonuspunkt dieses minimalistischen Konzepts: »In den meisten Projekten muss man sich mit komplizierten Details herumschlagen und mühsam Wärmebrücken vermeiden. Hier konnten wir archaische und ganz simple Stahldetails verwenden, wie man sie heute kaum noch sieht. Das war ein seltener Genuss.«

Keine Frage, das Eiermuseum in Winden am See ist eine konzeptionelle Hirngeburt. Es gibt kein einziges nachvollziehbares Argument, das den Einsatz von 18 t Stahl rechtfertigt, nur um ein paar Eier in den Himmel zu heben. Und billig dürfte das Haus auch nicht gewesen sein. Die Bausumme wird geheim gehalten. Fragile Angelegenheit. Letztlich aber fügt sich Bertonis ungewöhnlicher Eierpalast perfekt in das gesamtkünstlerische Konzept seines Wohn- und Arbeitsreichs und beweist, dass das Unmögliche möglich ist, wenn man es nur will. So gesehen ist das Museum mehr Kunst als Architektur. Und zwar Kunst sowohl im Sinne konzeptionellen Arbeitens als auch im Sinne handwerklichen Talents.

db, Di., 2011.10.04

04. Oktober 2011 Wojciech Czaja



verknüpfte Bauwerke
Eiermuseum Bertoni

Schattiger Schaulauf

(SUBTITLE) Neugestaltung der Plaza de la Encarnación, Multifunktionsgebäude »Metropol Parasol« in Sevilla

Der Versuch, einen zentralen Platz mitten im Herzen Sevillas durch eine aufsehenerregende bauliche Intervention zu neuem Leben zu erwecken, ist gelungen. Architekten und Ingenieure haben in enger Zusammenarbeit ein innovatives, wenngleich umstrittenes Wahrzeichen für die Stadt geschaffen, das nur dank technischer Neuentwicklungen bei den ingenieurbaumäßigen Verbindungsdetails der Holzkonstruktion verwirklicht werden konnte.

Biegt man mitten im Gewimmel der schmalen Gassen der Altstadt Sevillas um eine Ecke, kann es passieren, dass man seinen Augen nicht recht traut: Ein Gebilde schwingt sich einige Stockwerke über Straßenniveau ins Blickfeld, frei geformt und streng gerastert zugleich, voluminös und doch aufgelöst, in einer Farbigkeit, die zwar an Holz erinnert, dafür aber zu hell und homogen erscheint. Die mächtige Skulptur thront auf der weitläufigen Plaza de la Encarnación haushoch über den Köpfen der Passanten als eine Art ausschwingende Pergola, die, sich zu sechs kräftigen Stielen verjüngend, den Kontakt zur Erde hält. Das Bauwerk entzieht sich einer einfachen Deutung oder gar einer typologischen Einordnung und möchte – so scheint es – bestaunt, erforscht und in Besitz genommen werden. Passanten halten inne und wenden den Blick nach oben, um die Dimension des Gebäudes abzuschätzen. Oder sie lassen sich auf den Treppen nieder, die das Straßenniveau mit dem erhöhten Platz für Freiluftveranstaltungen verbindet, und beobachten die Wege anderer Besucher, die sich im Schatten dieses baulichen Großereignisses bewegen. Touristengruppen blicken durch amorph geformte Öffnungen im Boden auf die römischen Ausgrabungen im UG, bevor sie über eine Rampe dorthin abtauchen – entweder, um das archäologische Museum zu besuchen oder den Lift zu besteigen. Dieser bringt sie in einem der Stiele ganz nach oben auf die Beschattungskonstruktion zum »Skywalk« mit angeschlossenem Panoramarestaurant. Eiligere steuern die auf Straßenniveau gelegene Passage an, um von dort in die Markthalle zum Einkauf abzubiegen oder geradeaus weiter die fußläufige Nord-Süd-Verbindung durch das »Gebäude« hindurch zu nutzen. Die Überlagerung der verschiedenen Funktionen sorgt für eine stete Belebung und ermöglicht so die Begegnung von Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen hier einfinden. Was könnte einem zentralen Platz in einer Stadt, in der das Leben draußen stattfindet, Besseres widerfahren?

Geduld und grosse Geste

Die vormalige auf der Plaza de la Encarnación errichtete Markthalle von 1842 wich schrittweise bis 1973 einem gigantischen Parkplatz. In den 80er Jahren schließlich wollte sich die Stadt dieses Makels im Herzen der Altstadt entledigen und projektierte einen adäquaten Ersatz für die von den Anwohnern vermisste alte Markthalle, ergänzt um eine Tiefgarage. Die dafür ausgehobene Baugrube offenbarte jedoch Reste römischer Grundmauern. Der prompt erfolgte Baustopp währte 15 Jahre, in denen Archäologen die Funde freilegten und dokumentierten. So klaffte also weiterhin eine Lücke mitten in Sevilla – nur eben rund 5 m tiefer. Erst 2003 unternahm die Stadt den erneuten Versuch, der unbefriedigenden Situation Herr zu werden und schrieb einen Wettbewerb aus: Neben einer Markthalle sollte nun auch ein Witterungsschutz der Ausgrabungen und eine (dem andalusischen Sommer durch Verschattung trotzende) Veranstaltungsfläche entstehen. Mit dem von J. Mayer H. verfassten Entwurf »Metropol Parasol«, dessen Bezeichnung sich ebenso wie die Formen seiner überdimensionalen »Sonnenschirme« einprägte, entschied sich die Jury für den spektakulärsten Vorschlag.

Wettbewerb und Wirklichkeit

Um eine optische Teilung des Platzes durch das Volumen der Markthalle im EG zu vermeiden, sah das kostspielige aber schlüssige Wettbewerbskonzept vor, die Oberflächen der beiden Platzniveaus zu verschmelzen. Der Straßenbelag aus grauem Granit zieht sich daher über Treppenanlagen und Rampen 5 m hinauf auf die Decke des EGs und geht in die ebene Veranstaltungsfläche über. Die darüber hinaus geplante Einbindung von Pflanztrögen, Sitzgelegenheiten und Wasserbecken in die Platzoberfläche fiel leider weitgehend dem Rotstift zum Opfer und wirkt daher teilweise recht banal. Die realisierten »Parasoles« – sie heißen bei den Sevillanos mittlerweile »Setas« also Pilze – weichen in Form und Dimension nur wenig von den Wettbewerbsplänen ab. Gebaut wurden sie jedoch nicht als mit perforiertem Blech bekleidetes Stahltraggerüst, wie es das unter Zeitdruck entstandene Wettbewerbskonzept vorsah und was Jürgen Mayer H. bald nicht mehr adäquat schien für die unkonventionelle Formgebung. Die Skulptur sollte konstruktiv homogener werden, und so untersuchten die Architekten zusammen mit den Ingenieuren von ARUP mögliche Alternativen. Nach doppelt gekrümmten zweischaligen Stahlmembranen und Studien zu Generierungsprozessen von Strukturen, die auf Schäumen basieren, fiel die Entscheidung u. a. aus Gewichts- und Kostengründen auf eine Struktur dünner vertikal angeordneter Scheiben aus polyurethanbeschichteten Schälfurnierschichtplatten. Diese Materialwahl trägt jetzt ganz entscheidend zur außergewöhnlichen Wirkung des »Riesenbaldachins« bei. Dem zuwider läuft allerdings, dass aufgrund erhöhter Brandschutzauflagen zwei der Stiele, in denen sich auch die Aufzüge bewegen, in Stahlbeton und die sie verbindende Plattform für das Panoramarestaurant als Stahl-Beton-Verbundkonstruktion ausgeführt wurden. Hier dient die vorgehängte Holzstruktur nur als Bekleidung. Auf ausdrücklichen Wunsch der Bauherren erweiterten die Architekten die in einem der Pilze integrierte Aussichtsplattform zum Panoramarestaurant mit Rundweg auf der Holzkonstruktion. Es besteht kein Zweifel, dass der beeindruckende auf- und abschwingende stählerne Skywalk »auf dem Dach der Stadt« zwischen 20 und 28 m über Straßenniveau zum festen Programmpunkt jedes Sevillabesuchs wird. Gleichzeitig jedoch bedingt diese Nutzungserweiterung auch Abstriche bei der Reinheit der Konstruktion und somit der Abstraktheit der Verschattungsskulptur.

Ideen, Versuche, Lösungen

Um das auch anhand von Schattenstudien entworfene geometrisch komplexe Volumen der »Setas« zu realisieren, bediente sich das Planerteam eines Rasters von 1,50 x 1,50 m. Die gewählte orthogonale Anordnung der Scheiben – statt einer um die Stämme radialen mit besseren Eigenschaften bei der Lastabtragung – bot die Möglichkeit, aufgrund der einfacheren Geometrie die nötigen Verbindungselemente zu standardisieren. Um unterschiedliche Lastbeanspruchungen berücksichtigen zu können und transportierbare Abmessungen zu gewährleisten, wurden die Scheiben wiederum in Abschnitte unterteilt und in einem digitalen 3D-Modell dokumentiert. Auf dieser Grundlage erfolgte die weitere Entwicklung des Tragwerks bis schließlich das ausführende Holzbauunternehmen insgesamt 3 600 unterschiedliche Holzteile per CNC-gesteuertem Abbundroboter herstellen konnte.

Da die offene Holzkonstruktion der Witterung ausgesetzt ist, besannen sich J. Mayer H. Architekten auf ein anderes ihrer Projekte: Bei der Mensa in Karlsruhe bediente man sich bereits einer 2-3 mm dicken, rissüberbrückenden und diffusionsoffenen Polyurethan-2K-Spritzbeschichtung als Holzschutz. Statt eines grünen wurde in Sevilla ein sandfarbener Ton verwendet, der sich auch in der Spezialbeschichtung der meisten sichtbaren Stahlverbindungsteile wiederfindet. Zusammen mit den Ingenieuren von Arup erarbeiteten die Holzbauer die Kopplungsdetails der Holzscheiben, die im Baukastenprinzip in über 2 700 verschiedenen Anschlüssen einsetzbar waren (s. Detailbogen, S. 94). Da sich die Befestigung der Momentanschlüsse mittels eingeklebter Gewindestangen an den Stirnseiten der Scheiben als zu hitzeunbeständig für die andalusischen Sommertemperaturen erwies, entwickelte man ein Verfahren zur Verbesserung der Eigenschaften des eingesetzten Epoxydharzes: Nach der sogenannten Temperung, bei der das Bauteil samt verklebtem Anschlussteil langsam auf 55 °C erwärmt wird, konnte eine weitergehende Vernetzung der Klebermoleküle und damit eine auf 80 °C erhöhte Temperaturbeständigkeit nachgewiesen werden. Ringförmig um die Stiele angeordnete Stahldiagonalen bewirken ein Tragverhalten ähnlich dem einer Schale und sorgen so für die Aussteifung der Schirme.

Um die Standsicherheit der gesamten Konstruktion nachzuweisen, mussten die einzelnen Bauteile und Verbindungselemente in einem Gesamtrechenmodell zusammengeführt werden. Darin wurden die Bauteilbreiten und -gewichte schrittweise bis zu ihren endgültigen Abmessungen angepasst. Diese sehr arbeitsintensive aber aufgrund der Komplexität des Projekts unumgängliche iterative Planung erforderte den steten Austausch der aktualisierten Daten und eine kooperative und zuverlässige Zusammenarbeit zwischen Arup, Finnforest und J. Mayer H..

Die mehr als selbstbewusste Geste, mit der »Metropol Parasol« im städtischen Gefüge auftritt, scheint übertrieben zu sein, aber die Rechnung der verantwortlichen Politiker, Sevillas historische um eine zeitgenössische Architekturattraktion zu erweitern, ist aufgegangen – wenn auch für sehr viel Geld, das die Stadt nicht hat. Ungeachtet dessen wich die Skepsis der Sevillanos gegenüber dem teuren Fremdkörper in ihrer Altstadt mit der Einweihung im März einem gewissen Stolz auf ihre Pilze. Die Umsetzung der Idee einer »urbanen Kathedrale« (Jürgen Mayer H.) ist gelungen: Der verschwenderisch großzügig überwölbte Raum mitten in Sevilla bildet tags wie nachts eine einzigartige Bühne für das städtische Treiben.

db, Di., 2011.10.04

04. Oktober 2011 Martin Höchst

4 | 3 | 2 | 1