Editorial

Wie zeitgenössische Architektur mit regionaler Identität verbinden? Danach fragte bereits 1999 der Schwarzwaldverein e. V. im Rahmen seines Architekten-Wettbewerbs »Schwarzwaldhof der Zukunft« und fand überzeugende Antworten; ebenso wie die Architektenkammer Baden-Württemberg, die 2010 gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Freiburg erstmals den Preis »Neues Bauen im Schwarzwald« vergab. Die Ergebnisse der Wettbewerbe und auch unsere, für dieses Heft ausgewählten Beispiele belegen das hohe Innovationspotenzial, das auch in tradierten Techniken und über die Jahrhunderte geformten Typologien steckt. Kein Widerspruch – wie sogar Sigfried Giedion 1956 in seinem Aufsatz »Über den neuen Regionalismus« vertrat. Auf unserer »Entdeckungstour« durch den Schwarzwald gehen wir der Frage nach »Regionalem Bauen« und »Heimat« nach und stellen Ihnen Projekte und Büros vor, die respektvoll mit dem vorhandenen Orts- und Landschaftsbild umgehen und dabei dennoch eine eigenständige, moderne Architektursprache entwickeln. Projekte, die an regionaltypische Materialien und Techniken anknüpfen und die energie- und ressourcenschonend umgesetzt sind. Architekturen also, die den Kultur- und Landschaftsraum Schwarzwald bereichern und nachhaltig fördern. | Ulrike Kunkel

Kurhaus Badenweiler

(SUBTITLE) Planung ab 1962, Planungsänderung infolge Rezession 1967–69, Bau 1969–72, Sanierung 2011–13

»Heute ist Badenweiler auch für Architekten eine Reise wert«, urteilte die Bauwelt in ihrer Ausgabe 30/31 des Jahres 1972, als das neue Kurhaus in Badenweiler eben eröffnet worden war. 40 Jahre später ist der preisgekrönte Betonbau nahezu unverändert, seine Wirkung ungebrochen, doch die Welt, in der er sich behaupten muss, ist eine andere.

Die klassische mehrwöchige Kur mit ihrem Bedarf an Unterhaltung gibt es heute in Badenweiler kaum noch, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt 3,5 Tage. Dafür kommen die Gäste das ganze Jahr: zum Wellnesstag in der benachbarten Therme, zum Wandern oder zur Tagung in besonders schöner Landschaft. Insbesondere der letzte Aspekt hat in dem Ort, der von Freiburg, Basel oder Straßburg schnell zu erreichen ist, deutlich zugenommen. Doch ist u. a. die technische Ausstattung des Kurhauses für diese Nutzungen nicht mehr zufriedenstellend. Das soll sich nun durch eine umfangreiche Sanierung ändern. Im 1. Bauabschnitt, der Mitte Februar begonnen wurde, stehen erst einmal Betonsanierung, energetische Ertüchtigung und Abdichtung der Flachdächer an. Im 2. Bauabschnitt, über dessen Finanzierung voraussichtlich Ende des Jahres entschieden wird, sind die organisatorischen und betrieblichen Veränderungen an der Reihe.

Flanieren und Ruhen in drei Dimensionen

In dem gediegenen Kurort ist die Entdeckung des Betonbaus in der Architektursprache der 60er Jahre noch heute eine Überraschung. Im Vorbeifahren ist er kaum zu sehen, weil die Ruine der Burg Baden auf einem Bergkegel (und dazu die eigenwillige Straßenführung) alle Aufmerksamkeit beansprucht. Wo der Berg in den Kurpark übergeht, sind hinter einigen Bäumen die Bänder der Betonbrüstungen des Kurhauses auszumachen, die weitläufige Terrassen auf drei Ebenen begrenzen. Tief unter den Terrassen liegt im Schatten die Fassade, bestehend aus raumhohen Holz-Glas-Elementen, die mäandernd Innen- und Außenräume definieren. Beim Näherkommen und beim Betreten des lichten dreigeschossigen Foyers beginnt man die Dimensionen des Gebäudes erst zu ahnen, ganz erschließen sie sich erst im Durchwandern: Über unzählige Treppen geht es (wie im Ort selbst auch) ständig auf und ab, jede Geschossdecke hat ihre eigene Form, hinter jeder Kurve erschließt sich unerwartet ein neuer Raum. Letztlich ist es möglich, vom Kurpark kommend durch das ganze Gebäude bis nach oben zu flanieren – womit der Aufstieg zur Burg schon halb geschafft wäre. »Wie ein Baumpilz« – so der Kommentar des Entwerfers Klaus Humpert, der damals Mitarbeiter des Stadtplanungsamts Freiburg war – saß das Gebäude schon in einem frühen Planungsstadium am Fuß des Bergs und »war [von dort] ... nicht mehr zu verdrängen.« Es entwickelte sich während der Planungszeit von sieben Jahren und unter den Händen vieler verschiedener Mitarbeiter zu einem organischen Gebilde. Wie damals erfüllt es auch heute noch den Anspruch, eine städtebauliche Klammer für die Kureinrichtungen, das Ortszentrum, den Kurpark sowie die historischen Bauten – Burg, römische Therme, Großherzogliches Palais, Grandhotel aus der Gründerzeit – zu schaffen. Die Grundrisse der drei Geschosse fächern sich untereinander auf, mit dem zylindrischen Theaterraum als Drehpunkt. Die größte Fläche umfasst das unterste, das sogenannte Wiesengeschoss. Hier befinden sich ein großes Foyer, in dem ursprünglich ein Trinkbrunnen stand, das Theaterparkett und ein großes Tanzcafé mit Zugang zur Konzertmuschel draußen. 1972 befand sich der Kurbetrieb auf seinem Höhepunkt; deshalb wurde der Konzertplatz so angelegt, dass nicht nur die unmittelbar dazugehörenden Sitzplätze, sondern auch sämtliche darüberliegende Terrassen den Zuhörern dienen konnten und können. So flexibel ist das Café leider nicht zu bespielen, und so werden gerade hier die (stilistisch schon in die 70er Jahre weisenden) geschwungenen Sitznischen mitsamt ihren Podesten entfernt und die mit Marmor ausgelegte Fläche in einen Bankettsaal für 160 Personen verwandelt – schwierig genug bei den recht eng stehenden Pilzstützen im 60°-Raster.

Einen großen Teil der jeweiligen Geschosse nimmt das offene Treppenhaus mit seinen Natursteinwandungen und Bodenbelägen aus Travertin ein. Durch einen unregelmäßigen verglasten Aufsatz ist bereits aus der untersten Ebene der dramatische Blick zur Burg freigegeben, der sich im Höherkommen stetig weitet. Im Promenadengeschoss, der weitläufigen Haupt-Eingangsebene, liegen der Zugang zum Logenbereich des Theaters und zum Restaurant. Letzteres wird samt seiner riesigen Küche zu einem Bistro verkleinert. Die frei werdenden Flächen bezieht die Touristeninformation, wodurch sie optisch im Ort endlich präsent sein wird.

Zurückgezogen sitzt das kleinste, das Musengeschoss auf den beiden Repräsentationsgeschossen. Es bietet einen offenen Bereich zum Zeitunglesen, einen Lese- und Fernsehraum mit umschlossener Terrasse sowie einen Vortragsraum. Teppiche und dicke sechseckige Polstersessel sorgen für eine intime Atmosphäre. Seit 1972 nahezu unverändert, wird hier die Sanierung auch nur den Vortragsraum umfassen. Er wird sich von einem reinen »Hörsaal« mit 12 cm hohen Stufen zu einem Seminarraum wandeln, mit einheitlicher Fußbodenhöhe für flexible Möblierung und zeitgemäßen technischen Installationen. Dafür erhält er eine Innendämmung, die zugleich akustisch wirksam ist.

Die Gestalt geht vor

»Das Kurhaus ist noch kein Baudenkmal, aber wir handeln es sehr hoch«, sagt Peter Kirch, Abteilungsleiter Hochbau der Besitzerin Vermögen und Bau Baden-Württemberg. Entsprechend behutsam geht man die Sanierung an. Die Konstruktion ist insgesamt in bemerkenswert gutem Zustand, deshalb ist die energetische Sanierung am wichtigsten. Ursprünglich fand im Winter kein Kurbetrieb statt, die Verglasung war somit nur Witterungsschutz für den Sommer. Hier werden nun dreifach verglaste Holz-Aluminium-Elemente mit einem Ug-Wert von 0,7 W/m²K und zweifach verglaste Oberlichter eingesetzt. Die Dächer und Terrassen werden abgedichtet und auf der Oberseite komplett neu gedämmt, ihr Belag aus sechseckigen Waschbetonplatten gegenwärtig gesäubert. Die charakteristischen Betonbrüstungen werden selbstverständlich nicht eingepackt, auch nicht gestrichen oder gar – wie auf einer Bürgerversammlung gefordert – verputzt, sondern rein mineralisch überarbeitet und repariert. Trotz solcher »Lecks« wird sich der Energiebedarf des Kurhauses von derzeit 175 kWh/m²a auf 113 kWh/m²a reduzieren, deutlich näher am aktuellen Durchschnittswert für Stadthallen von 93 kWh/m²a also. Klaus Humpert übrigens gab den Planern im Vorfeld der Sanierung freie Hand, den (schon damals mehr oder weniger zufällig entstandenen) Verlauf der Fassade nach Bedarf zu verändern, er sei da nicht ehrenkäsig. Doch, sagt Projektleiter Frank Tegeler, »wir sind ehrenkäsig.« Diese Bedachtheit aufs Original geht so weit, dass auch in der Innenausstattung einmal »aufgeräumt« werden soll. Mit der Zeit haben die Nutzer »den Bezug zur Gestalt verloren«, so beschreibt es Peter Kirch – das Ergebnis sind Lichterketten mit bunten Glühlampen im Außenbereich, während innen die Kugelstehleuchten von 1972, die die Terrassen- und Parkbeleuchtung reflektieren, fast komplett verschwunden sind. Die Reste sollen nun wieder aufgestockt werden, und auch für die sogar in den Augen der Behörde ausgedienten weil ineffizienten Downlights von damals wird es einen zeitgemäßen Ersatz geben.

db, Mo., 2011.04.11

11. April 2011 Dagmar Ruhnau

Zwischen Klassik und Tradition

(SUBTITLE) Büroporträt des Architekturbüros Harter + Kanzler aus Freiburg und Haslach

Klassische Vorbilder und Anleihen an die Architekturmoderne, das liest man aus den Arbeiten des Freiburger Büros Harter + Kanzler eher heraus als traditionelle Formen. Doch wer jetzt vermutet, es handle sich um ein Büro, das sich dem Regionalen gänzlich verschließt, der irrt. Ein Besuch im Schwarzwald.

Haslach, zwischen Offenburg und Rottweil – hier vermutet man so schnell kein architektonisches Zeichen der neueren Art. Sehr traditionell scheint es in diesem Ort zuzugehen, der historische Bestand prägt das Stadtbild. Doch dann wird man eines Besseren belehrt. Am Rande der kleinen Stadt an der Kinzig, im Ortsteil Schnellingen, befindet sich ein Gebäude, das so wenig mit traditionellem Bauen zu tun hat wie Dubai mit durchdachter Stadtplanung: der neue Bauhof mit Verwaltung der Firma Hansmann. Doch wie kommt ein solches Gebäude hierher? Wie kommt ein Baukörper mit klaren Linien, strenger Geometrie und klassischen Elementen in eine ländliche Umgebung wie diese? Ringsum befinden sich schließlich neben austauschbaren Gewerbebauten, den typischen Wohnhäusern mit Sattel-, Krüppelwalm- oder Walmdach lediglich Felder, auf denen Obst und Gemüse angebaut werden. Eine Umgebung also, in der ein Bauhof mit Anleihen an die regionale Architektur weitaus unauffälliger gewesen wäre. Doch die Antwort ist: Weil hier ein mutiger Bauherr einen ebenso mutigen Weg mit seinen Architekten gegangen ist. Mutig auch deshalb, weil sich der Bauherr von seinem ursprünglichen Entwurf, der ein Haus mit Walmdach vorsah, abbringen und von der heutigen Form mit Flachdach überzeugen ließ.

Dabei darf man mutig nicht mit unpassend verwechseln. Denn der Bau wirkt keinesfalls wie ein Fremdkörper. Die beigefarbene Fassade aus Wasserstrich-Klinkern fügt sich ebenso gut in die Farbpalette der Landschaft ein wie der Sichtbeton, der für verschiedene Bereiche auf dem Bauhof verwendet wurde. Gerade die bei diesem Massivbau eingesetzten Materialien sind Hinweise auf die Philosophie des Büros Harter + Kanzler. »Denn«, so Ludwig Harter, »für einen Schreiner hätten wir nicht Klinker und Beton als Baumaterialien gewählt, sondern eben Holz«. Dass man bei der Firma Hansmann auf eine Fassade in Mauerwerk und Sichtbetonflächen gesetzt habe, sei ein Hinweis auf das Tätigkeitsfeld dieses Unternehmens. Wie ernst es den Architekten dabei ist, über das Material einen Bezug zum Bauherrn und zur Nutzung herzustellen, zeigt die Tatsache, dass sowohl der Mauerwerksverbund als auch die Sichtbetonelemente von der Firma selbst hergestellt wurden.

Doch nicht nur wegen der Fassade, sondern auch aufgrund der Baumasse fällt das Gebäude angenehm auf. Die Hauptfassade des Verwaltungsbaus im Nordosten bildet mit ihren zwei Geschossen und der Lochfassade mit bodentiefen Fenstern das Hauptvolumen, das von einem gläsernen Eingangsbereich aufgebrochen wird. Über diesem Volumen befindet sich ein großes Dach in Sichtbeton, das das Gebäude und die Außenanlagen des Bauhofs gut fasst und außerdem eine Torsituation erzeugt. Komplettiert wird die Anlage mit einer Umfriedung, die eine klassische Hofsituation nachbildet und die eigentliche Betriebshalle in die Gesamtanlage integriert. Die zur Umfriedung eingesetzten Betonstelen im Osten dienen dabei als Sichtschutz und verleihen diesem Bereich ein klassisches Aussehen. Komplettiert wird die Anlage durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, die hier deutlich besser passt als auf den Dächern der Schwarzwaldhöfe ringsum.

Ausgezogen, um dem regionalen Bauen im Schwarzwald auf die Spur zu kommen, trifft man bei diesem ersten Objekt des Büros Harter + Kanzler also auf ein Gebäude, das mehr von der Moderne als von regionalen Vorbildern geprägt wird. Ist man dann vielleicht bei diesem Büro an der falschen Adresse, wenn es um regionales Bauen geht? »Ja und nein«, gibt Ingolf Kanzler zur Antwort. Denn die erste Gegenfrage, die er stellt, ist: »Was ist das denn genau, dieses regionale Bauen?« Und die selbst gegebene Antwort lautet: »Aus Sicht des Büros ist es ein Bauen, das sich an der Bauaufgabe und am Ort orientiert und nicht um jeden Preis regionale und traditionelle Zitate verwenden muss.« Und so, das sagt Kanzler sehr deutlich, hätte er manches Projekt in der Region auch abgelehnt und verweist auf ein nahe gelegenes Hotel, das nach einem Brand als klassisches Haus mit Krüppelwalmdach und Schnörkelspiel wieder aufgebaut wurde. Denn einen solchen Nachbau würde man nicht machen. Eine Einstellung, die gut und ehrenwert ist, die aber Fragen aufwirft: Ist der Architekt nun Künstler oder Dienstleister? Muss er sich den Wünschen des Kunden anpassen oder der Kunde den Ideen des Architekten? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Die beiden Architekten allerdings tendieren mit der Aussage, man erwarte vom Bauherrn ein hohes Entgegenkommen für die Entwurfsidee, wohl eher zur Seite der Künstler.

Es geht auch anders: Einfamilienhaus in Hausach

Wie positiv sich die eben formulierte Einstellung des Büros auswirken kann, zeigt ein zweites Beispiel. Nicht weit entfernt von Haslach liegt Hausach. Ein nicht minder traditionelles Örtchen mit einem kleinen Neubaugebiet, in dem das Wohnhaus einer Familie steht. Dieser Bau von 2010 kann ohne Umschweife als positives Beispiel in einem Umfeld genannt werden, welches jedem Architekturkritiker die Tränen in die Augen treibt. Punkthäuser im Stil einer toskanischen Villa, inklusive Zeltdach, unförmige Wohnhäuser mit Pultdach oder Fassaden, deren Farbgestaltung auf eine Farbblindheit von Architekt, Bauherr oder Malerbetrieb schließen lassen, dominieren das Bild und strafen denjenigen Lügen, der fordert, dass ein Planer auch stärker auf die Wünsche der Bauherren eingehen muss. Und mitten unter diesen buckligen Verwandten steht das von Harter + Kanzler entworfene Einfamilienhaus und hält die Fahne für gute Gestaltung hoch.

Auf einem Sockel aus WU-Beton, in dem sich der Keller befindet, der gleichzeitig aber Grundwasserschutz ist, scheint das Haus mit seiner Holzfassade fast zu schweben. Es wirkt dabei so leicht, dass man nicht vermuten würde, hier einen Mauerwerksbau mit WDVS und vorgehängter Fassade aus vertikal verlaufenden Tanne- und Fichteleisten vor sich zu haben. Allerdings wirkt aber auch dieses Gebäude, so gut gestaltet es auch ist, nicht wie ein Haus, das nicht ebenso gut auch an anderer Stelle stehen könnte. Mit seiner weißen, tatsächlich mit norwegischer Versiegelung versehenen Fassade, könnte es auch irgendwo in Skandinavien stehen.

Also wieder kein Hinweis auf regionale oder traditionelle Neuinterpretationen in den Entwürfen des Büros Harter + Kanzler. Dafür aber viele Hinweise auf die Verbundenheit mit der Moderne, wie man auch im Innern des Hauses sieht. So dient eine Sichtbetonwand als Raumteiler zwischen Eingang und Wohn-/Essbereich und eine wangenlose Treppe, deren Stufen an der Betonwand befestigt sind, betont den modernen Anspruch. Ein Eindruck, der auch durch den gelungenen Eingangsbereich des Hauses in Form eines Stahlkastens sowie durch die dunkle Ziegeleindeckung unterstrichen wird.

Ein Wohnhaus gilt beim Freiburger Büro übrigens als Exot. Denn neben Bauten für Unternehmen und öffentlichen Bauaufgaben widmen sich Harter + Kanzler nur ein bis höchstens drei Wohnhäusern im Jahr. Dass sie es dennoch beherrschen, bewiesen sie in Hausach.

Gymnasium in Furtwangen – Also doch regional?

So richtig scheinen diese Architekten also nicht in das Bild und die Vorstellungen einer regionalen Architektur aus dem Schwarzwald zu passen. Weder die beiden vorgestellten Beispiele noch weitere Bauten wie etwa der Umbau und die Erweiterung des Mathematischen Instituts in Wolfach, das insgesamt ein sehr überzeugendes Ensemble darstellt, zeigen Anzeichen von Zitaten oder Rückgriffen auf Bauformen und Bautechniken wie sie im Schwarzwald üblich sind. Dies natürlich nicht ohne Grund: »Würden wir heute ein Walmdach entwerfen, dann wäre das doch Blödsinn. Dieses Dach müsste keine Lagerfläche im oberen Bereich eines Hauses oder den Platz unter der Traufe schützen, sondern würde lediglich viel Licht wegnehmen«, erklärt Ludwig Harter und Ingolf Kanzler fügt hinzu: »Wir denken und entwerfen eben nach vorne gewandt und nicht rückwärts orientiert.« Das schließe aber nicht aus, dass man beim Material, einer Konstruktion oder einer Form nicht auch einmal auf etwas Regionales oder Traditionelles zurückgreifen könne, aber es müsse passen. – Also doch ein Hoffnungsschimmer in Sachen regionales Bauen im Schwarzwald? Zumindest nicht ganz ausgeschlossen ist, dass das dritte Objekt hier eine Spur erkennen lässt. Denn mit der Erweiterung des Otto-Hahn-Gymnasiums in Furtwangen hat das Büro eine Aufgabe übernommen, die aus einem Konkurrenzverfahren der öffentlichen Hand hervorgegangen ist, bei der es eine klare Vorgabe gab: Es musste das für diesen Ort typische Holz als Baustoff verwendet werden. Und so machten sich die Architekten an die Planung und entwarfen einen Erweiterungsbau für das Gymnasium, der tatsächlich, mehr oder weniger konsequent, auf Holz als Baustoff setzt. So wurden Decken, Fenster, Wände und sogar die Tragkonstruktion aus Holz gefertigt und mit Holz-Beton-Verbund-Decken eine Lösung eingesetzt, die neben den hohen Spannweiten auch gute Schallschutzeigenschaften besitzt. Dass bei der Fassade eine Schindelfassade als Variante gewählt wurde, kann dann aber als klares Signal für regionales Bauen verstanden werden. Einziger Wermutstropfen: Beim verwendeten Holz handelt es sich nicht um das für den Schwarzwald bei Schindeln übliche Fichtenholz, sondern um Weißzedernholz, das aus anderen Regionen dieser Welt stammt. Daran sieht man, dass man beim Büro bei der Wahl des Baumaterials auf andere Kriterien und Eigenschaften wie z. B. Haltbarkeit oder Kosten schaut, bevor partout auf ein regionales Produkt gesetzt wird. Immerhin lehnte man bei allen Bauprojekten Kunststoff als Baumaterial ab – etwa bei Fenstern oder Rollläden.

Wenn auch die Materialwahl und die Formensprache nur bedingt einen regionalen Bezug herleiten lassen, so kann man den Gebäuden des Büros im Allgemeinen und diesem Bau im Besonderen eine hohe gestalterische Qualität und gute Funktionalität bescheinigen. Der Anbau des Otto-Hahn-Gymnasiums, eine längliche Box mit Flachdach und offener Fassade, wirkt durchdacht. Im Innern etwa hat man so konsequent zu Ende geplant, dass die Fußböden nicht auch in Holz erstellt wurden, sondern stattdessen einen Hartbeton-Estrich mit Fußboden-Heizung bekamen. Denn in Furtwangen liegt im Schnitt deutlich länger und häufiger Schnee als in anderen Orten dieser Region. Und so sind die Schuhe der Schüler eben oft nass und die ins Haus getragene Feuchtigkeit kann auf dem pflegeleichten Boden besser gehandhabt werden und trocknet dank der Fußbodenheizung schneller ab – eine clevere Lösung.

Regional aber nicht traditionell

Damit ist klar: Das Architekturbüro Harter + Kanzler aus Freiburg und Haslach kann auch regional. Traditionelles Bauen oder ein klares Bekenntnis zu regionalen Eigenheiten in der Architektur sucht man jedoch vergebens. Dass das Büro, sobald es wie in Furtwangen auf ein für den Schwarzwald typisches Element wie die Schindel-Fassade zurückgreift, allerdings nicht so konsequent ist und heimisches Holz verwendet, trübt das Bild ein wenig. Denn die ansonsten klare Linie des Büros wird hier nicht konsequent zu Ende gedacht. Wenn man z. B. Kunststoff-Fenster aus ökologischen Gründen und wegen ihrer unbefriedigenden haptischen und optischen Eigenschaften ablehnt, dann könnte man durchaus denken, es werden nur noch Hölzer eingesetzt, die aus dem Schwarzwald stammen. Denn: Ein klares Bekenntnis zur Architekturmoderne ist in allen Bauten erkennbar, weshalb ein klares Bekenntnis zu regionalen Materialien das Profil des Büros schärfen und die individuelle Anpassung an die Bauaufgabe stärken würde – gerade, weil Harter + Kanzler die meisten Projekte im Schwarzwald verwirklicht hat.

db, Mo., 2011.04.11

11. April 2011 Marc Nagel

Markante Transparenz

(SUBTITLE) Erweiterung derProduktionshalle der Firma Ziefle Koch in Waldachtal-Cresbach

Roh und dennoch edel: Die in Teilen gläserne Produktionshalle im nördlichen Schwarzwald verweist mit ihren ungewöhnlichen Baumstamm-Stützen geschickt auf den Rohstoff, der hier bearbeitet wird. Ein passendes und wirkungsvolles Motiv für einen Inneneinrichter.

Übersehen kann man den Hotel- und Objekteinrichter Ziefle Koch spätestens seit den jüngsten Baumaßnahmen auf seinem Firmenareal in Waldachtal-Cresbach freilich nicht mehr. Von Osten, aus Richtung Stuttgart kommend, kündet schon aus einiger Entfernung eine Stützmauer aus ca. 500 Granitstein-Blöcken von der Größe und Bedeutung des Familienbetriebs für die Region. Eine imposante, wenngleich vielleicht etwas zu mächtig geratene Geste für die knapp 6 000 Einwohner umfassende Gemeinde Waldachtal im Landkreis Freudenstadt im nördlichen Schwarzwald und den lediglich 800 Seelen zählenden Ortsteil Cresbach. Folgt man der Straße (zunächst entlang der Steinmauer), umrundet man das Firmengelände fast vollständig, bis man von Westen die Besucherzufahrt und den Haupteingang erreicht. Rechter Hand liegt die neue »gläserne« Produktionshalle, deren Besonderheit die groben Baumstamm-Stützen hinter der Glasfassade sind: »das neue Gesicht der Firma«, wie Gunnar Ziefle, Sohn des Inhabers, das Gebäude durchaus treffend bezeichnet. Denn diese, ebenfalls markante, dabei aber wesentlich zurückhaltendere Geste erscheint schlüssig und überzeugt durchaus.

Gelungene Neuorganisation des Firmenareals

Platzmangel in den bestehenden Hallen und der Bedarf nach Erweiterung machten den Bau dieser Produktionshalle erforderlich. Da es im Zuge der Planungen aber nicht ausschließlich um den Neubau der Halle gehen sollte, sondern auch um eine Umstrukturierung des gesamten, seit den 60er Jahren kontinuierlich entwickelten Areals, erstellte das Architekturbüro Schmelzle und Partner zunächst einen Masterplan. So konnte sichergestellt werden, dass die Ausrichtung des Gebäudes, die neue Zufahrt, die Mitarbeiter- sowie Besucherparkplätze und der Logistikhof für Anlieferung und Versand funktionieren würden sowie spätere Erweiterungen auf dem Gelände möglich wären. Mit der Verlagerung des Logistikhofs auf die Ost-Seite – und damit weg vom Haupteingang und der Besucherzufahrt – bestand außerdem die Chance, das gesamte Firmen-Entree gestalterisch aufzuwerten. Das neue Gebäude sollte ein Übriges dazu beitragen und dem Holzverarbeiter und Inneneinrichter Ziefle Koch zu einer einprägsamen Adresse verhelfen.

Architektonisch gliedert sich die Halle in zwei Bereiche: Die Fassaden zum Betriebshof sind technisch und funktional gemäß den Nutzungsanforderungen gehalten, im Bereich der Besucherzufahrt sind sie hingegen als Glasfassaden ausgeführt (außen: ESG 12 mm, innen: Float 10 mm, SZR 16 mm, Ug-Wert: 1,1 W/m²K). Durch die gläserne Hülle wird Einblick in den vollautomatischen Lagerbereich für etwa 3 000 Spanplatten gewährt. Größe, Konstruktion und innere Aufteilung der Halle werden im Wesentlichen durch ihre Nutzung bestimmt. Die Abmessungen des auf zwei parallelen Schienen laufenden Portalkrans, mit dem das Plattenmaterial befördert wird, erfordern einen stützenfreien Raum, weshalb die Lasten des Stahltragwerks lediglich im Bereich der Fassaden abgetragen werden. Auf den »Schauseiten« des Gebäudes unmittelbar hinter den Glasflächen über 67 nur geraspelte, nicht geschälte, und damit relativ roh belassene, z. T. diagonal gestellte Eichenstämme mit einem Durchmesser von ca. 25 cm. »Ein Verweis auf den Rohstoff, der in der Tischlerei dann weiter bearbeitet und verfeinert wird«, so Ziefle. Die Baumstämme kommen übrigens aus dem Nachbarort und haben auf ihrem Weg zur Baustelle lediglich wenige Kilometer zurückgelegt.

Die technische Erschließung der Produktionshalle erfolgt ausschließlich über den Bestand, so dass auf neue Technikräume verzichtet werden konnte. Das Gebäude wird über eine Späneheizung, die mit anfallendem Restholz aus der Tischlerei befeuert wird, beheizt und verfügt über eine Betonkernaktivierung.

Zeichen am Ortsrand

Die Grundidee der Kombination der Materialien Glas und Holz war fast von Beginn an klar, die detaillierte Ausformulierung des Entwurfs erfolgte in einem engen Abstimmungsprozess zwischen Planer und Bauherr. Kein Problem, denn der Architekt ist mit der Bauherrn-Familie verwandt. Keine Seltenheit in der Region, oft sind die an Planung und Bau Beteiligten miteinander verwandtschaftlich verbunden oder bereits zusammen zur Schule gegangen. Im Falle des Projekts in Waldachtal scheint die Zusammenarbeit jedenfalls funktioniert zu haben. Das Ergebnis erfüllt die Wünsche und Erwartungen des Bauherrn, trifft auf große Akzeptanz bei Mitarbeitern und Kunden und setzt in der kleinen Gemeinde ein markant transparentes architektonisches Zeichen am Ortsrand, das zudem Bezüge zu seiner Nutzung herstellt.

db, Mo., 2011.04.11

11. April 2011 Ulrike Kunkel

Hölzerne Heimat

(SUBTITLE) Büroporträt des »Holzbauers« Christian Lehmann aus St. Georgen

Architektonisch sei der Schwarzwald ein »Notstandsgebiet«, meinen manche und blicken neidisch nach Vorarlberg mit seinen durchaus vergleichbaren Ressourcen. Doch es keimt auch hierzulande Hoffnung auf: Mitten im Südschwarzwald entwickelt ein gelernter Zimmermann Holzbauten von eigentümlicher Schönheit und Effizienz. Dabei setzt er auf einen Verbund von Fachleuten, ganz wie in der Musterregion hinter dem Bodensee.

Das Beste an St. Georgen ist, dass es zwischen den Boom-Regionen von Freiburg und dem Bodensee liegt. Auf dem »Scheitel Alemanniens« selbst gedeihen scheinbar keine besonderen Orte. »Wenn Sie heute über unsere Schwarzwaldhöhen fahren, können Sie in Neubaugebieten nicht mehr erkennen, ob das ein Schwarzwalddorf ist oder ein Ort in Hessen oder sogar in Norddeutschland«, klagt Christian Lehmann.

Er ist hier oben auf einem alten Sägebauernhof groß geworden, hat das Holz sozusagen in die Wiege gelegt bekommen. Also wurde er Zimmermann, Restaurator, Energieberater – und einer der gefragtesten Fachleute für zeitgemäßen Holzbau in der Region. Seine Projekte, die er teils alleine, teils mit befreundeten Architekten realisiert, wurden schon vielfach preisgekrönt. Doch auch er hat mehr in den benachbarten Ballungsräumen zu tun als im Schwarzwald, wo der Holzbau eigentlich zu Hause ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden hier 40 % der Gebäude aus Holz errichtet, in den Nachkriegsjahren waren es nicht mehr als 10 %, heute dürften es noch weniger sein.

Alles begann damit, dass Christian Lehmann in den 90er Jahren als Betriebsleiter einer großen Holzbaufirma mit Architekten zusammenarbeitete, die andere Formvorstellungen hatten als die gewöhnlichen von Krüppelwalm und Lochfassaden. V. a. Herbert Schaudt aus Konstanz prägte mit seinen filigran aufgelösten Strukturen eine ganze Generation junger Planer, die fortan geschosshohe Glasflächen, Holznetzfassaden und schlanke Dachränder entwarfen. Indes: »Alle wollen ein Flachdach haben, aber bauen können es die wenigsten«, soll Schaudt gesagt haben.

Holz-Netz-Werk

Doch Christian Lehmann wusste Rat. Bereits Ende der 80er Jahre hatte er an der Übertragung der nordamerikanischen Holzrahmenbauweise auf deutsche Vorschriften für den Bund deutscher Zimmermeister (BDZ) mitgewirkt und daraus ein eigenes Bausystem abgeleitet. Er teilte die Begeisterung der Architekten für lichte Räume und feingliedrige Konstruktionen. Früh setzte er sich für eine Zusammenarbeit in Netzwerken, ähnlich denen, die der Vorarlberger Szene immer wieder innovative Schübe bescheren, ein. Nachdem aus seiner abendlichen Teamarbeit mit den progressiven Architekten einige Aufsehen erregende Neubauten in Holzsystembauweise hervorgegangen waren, darunter der erste viergeschossige Holzbau in der Region (in Villingen-Schwenningen, gemeinsam mit Linie 4 Architekten), wagte Lehmann 2003 den Sprung in die Selbstständigkeit. Im Souterrain einer kleinen Wohnanlage, die er mitten im St. Georgener Teilort Peterzell aus heimischer Douglasie errichtete, betreibt er seither sein Büro. Im Haus wohnt der kräftige, zumeist stoppelbärtige Mann Anfang 50 mit seiner Familie (Lehmann hat fünf, z. T. schon erwachsene Kinder). Auf dem Schild der kleinen Firma steht – architektonisch pur – »lehmann_holz_bauten – beraten betreuen bauen«. Eine Sekretärin und ein Mitarbeiter sind vor Ort, während der Chef die Bauvorhaben besucht. Er ist froh, dass nicht wie in seinem früheren Job »50 Leute im Hof stehen, die beschäftigt werden wollen«. Zehn, zwölf Häuser im Jahr, das könne er gut schaffen, wenn er den Kontakt zu den Bauleuten nicht verlieren wolle. Er spricht ihre Sprache, duzt sich mit den meisten und setzt auf persönliche Beziehungen.

Die verhalfen ihm auch zu ersten Aufträgen in der näheren Umgebung, die wir hier dokumentieren. Ein Cousin betreibt die Zimmerei, in der Lehmann gelernt hat. Andere Handwerker und Architekten haben sich wie er aus großen Betrieben heraus selbstständig gemacht und auf dem Land angesiedelt.

Dieses Netzwerk ist Christian Lehmann wichtig, er »träumt davon, dass ´die Hölzernen´ an einem Strang ziehn« und »der Holzbau im Schwarzwald wieder zum Markenzeichen wird«. In Rundschreiben hält er Kollegen und Kunden über seine Vorhaben auf dem Laufenden und wünscht ihnen »Gottes reichen Segen«. Weltoffen, findig und doch verwurzelt, gelingt es dem Holzbauer Lehmann auf diese Weise, so etwas wie Heimat neu zu interpretieren.

Denn das alte Bild vom dunklen Tann mit heilen Höfen stimmt längst nicht mehr. Von den etwa 10 000 landwirtschaftlichen Anwesen im Schwarzwald werden nur noch rund 30 % im Haupterwerb betrieben, und jährlich werden es 3 bis 5 % weniger. Die typischen, mächtigen Eindachhöfe eignen sich nicht für moderne, effiziente Betriebsabläufe. Aus Bewunderung für diese Relikte einer anderen Zeit hat Christian Lehmann den Beruf des Restaurators gelernt, hat Studien und Erhebungen für mögliche Umnutzungen angestellt: Allein 1 500 m² Dach umzudecken kostet 100 000 Euro, zehnmal so viel wie beim üblichen Einfamilienhaus. Darüber ist Lehmann pragmatisch geworden – und erfinderisch.

Gengenbach: Langhaus im Schindelkleid

Von den vielen Wohnhäusern, die lehmann_holz_bauten schon realisiert haben, ist dies wohl das außergewöhnlichste, zugleich aber unauffälligste. Der Entwurf stammt von der Stuttgarter Architektin Dagmar Bürk Kaiser. In einer kleinen Talbucht des Kinzigtals, am Rande eines geschützten Weinbergs in Gengenbach, brachten die Planer das in zweiter Reihe stehende Haus fast zum Verschwinden, indem sie es nahezu komplett in Schindeln kleideten. Fünf Jahre nach Fertigstellung hat sich auf dem rauen, ungeschützten Holz so viel Patina gebildet, dass es in der Umgebung aufzugehen scheint. Schmal und hoch, trägt das Haus archetypische Züge. Allein die geschosshohen Glasflächen, dem Wohnwert geschuldet, und zwei kastenförmige Erker durchbrechen den ruhigen Umriss. Lehmanns effizientes Bausystem, das auf klare Raster, wenige Durchdringungen, Kastenelementdecken und einen reduzierten Schichtenaufbau in den kompakten Außenwänden setzt, bleibt in diesem belebten Familienhaus ganz selbstverständlich im Hintergrund. Muss man erwähnen, dass sich die mit entworfenen Einbaumöbel vorzüglich integrieren?

Die Schindeln, obwohl ein schwarzwaldtypisches Element, wurden hier nicht wie die Fensterrahmen und Erker aus heimischer Lärche gefertigt. Forschungen im Vorfeld – der Bauherr ist gelernter Förster – hatten ergeben, dass Lärchenholz dafür nur in höheren Lagen beständig genug ist (was man den exponierten Presshölzern und Balkonen heute schon ansieht). Kanadische Rotzeder, im Allgäu von Hand gespalten, war deshalb das Material der Wahl.

Ein verwandtes Haus, von derselben Architektin entworfen, entstand vor Kurzem jenseits des Schwarzwalds in Donaueschingen-Aasen. Hier bildet eine vertikale, dunkel lasierte Nadelholzschalung die Wetterhaut des wiederum sehr »puren« Giebelbaus. Er öffnet sich erst auf der Rückseite und am seitlichen Eingang in kastenförmigen Erker-Elementen. Im Innern tragen stählerne Stützen eine zentrale Galerie-Ebene.

Buchenberg: Die Wohnbox auf der Tenne

Von Weitem ist dem einsam oberhalb von St. Georgen gelegenen Tälerbauernhof kaum anzusehen, dass hier der Generationswechsel auf unkonventionelle Weise »über die Bühne« gegangen ist: Die Flur musste nicht durch ein neues Leibgedinghaus zersiedelt werden, denn die Familie der Tochter fand auf der Tenne Platz. Unter das mächtige, rund 12 m überspannende Gebälk des nicht mehr bewirtschafteten Hofs schob Christian Lehmann eine hölzerne »Box«. Auf der Süd- und Westseite halten Loggia und Wintergarten Abstand zum ansehnlich präparierten Gebälk, im Osten schmiegen sich Schlaf- und Kinderzimmer unter die Schräge. Nur ein schmaler Streifen der Dachdeckung wurde durch Glas ersetzt, Latten und Gebälk blieben erhalten. Ein Netz aus Latten – das Holz aus dem eigenen Wald – verbirgt rings um die Loggia die verglaste Südfassade.

Ausgetretene Dielen der von Werkstatt und Holzlager gerahmten »Brücke« (der befahrbaren Auffahrt) grenzen effektvoll an glattes Eichenparkett im eigentlichen Wohnraum. Der ist als Allraum gestaltet, von welchem die Zimmer über Einbauschränke abgeteilt sind. Das angenehm helle, nur vielleicht etwas hellhörige Ganze wird allein von einem großen Kachelgrundofen beheizt. Pfosten-Riegel-Fassade wie Einbauten sind ohne Schnickschnack sehr fein gestaltet, mit tatkräftiger Unterstützung des Bauherrn, der gelernter Orgelbauer ist. So ließen sich die 110 m² Wohnfläche für 150 000 Euro realisieren. Derzeit plant die Familie, wegen Nachwuchs', noch das Geschoss unter der Tenne auszubauen.

Langenschiltach: Ein Wohnzimmer für Milchkühe

Als Architektenkammer und Regierungspräsidium im vorigen Jahr den Architekturpreis »Baukultur Schwarzwald« auslobten, kamen nur 13 der 169 Einsendungen aus dem Bereich Landwirtschaft. Das ist bezeichnend für die, auch in dieser Region v. a. von billigen Fertigbauten geprägte Szene. Dass es auch anders geht, bewies Christian Lehmann auf einem Hof in Langenschiltach, unweit von St. Georgen. Die jungen Bauersleute wollten für ihre neue »Milchviehliege- halle« – so heißt ein Bio-Kuhstall im EU-Jargon – Holz aus dem eigenen Wald verwenden. In dem filigranen Skelettbau, den Lehmann entwickelte, sind 110 Festmeter Fichte verbaut. Einfach gesteckte Bohlenwände nach altem Vorbild umhegen die Liegefläche, so dass sich die 24 Kühe und 15 Stück Nachzucht sichtlich wohl fühlen. Dank Lowtech-Details lässt die Konstruktion je nach Bedarf Licht und Luft herein. Lediglich 135 000 Euro Baukosten für ein so individuelles »Wohnzimmer« für ihr Vieh freuten die Bauherren obendrein – eine Fertighalle wäre kaum günstiger gewesen. Von der gut eingepassten Photovoltaikanlage auf dem Trapezblechdach abgesehen, hatten es weder Material noch Planer oder Handwerker weiter als 10 km bis zur Baustelle. Regionales Bauen, wörtlich genommen.

Nach acht Jahren Selbstständigkeit zählt Christian Lehmann mittlerweile Menschen aus ganz unterschiedlichen Kreisen zu seinen Bauherren: Vom traditionellen Landwirt über aufgeschlossene Fach- und Führungskräfte der heimischen Industrie bis hin zum Ruhe suchenden Stadtflüchtling von weither. Alle schätzen die Verbindung von Innovation und Ortsbezug in seinen Bauten. Wir werden die Ideen, die auch in Zukunft vom kargen Scheitel Alemanniens herabkommen – oder dort oben für einen lebendigen, »hölzernen« Schwarzwald sorgen – also weiter mit Interesse verfolgen.

db, Mo., 2011.04.11

11. April 2011 Christoph Gunßer

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