Editorial

Wenn gleissendes Sonnenlicht durch kunstvoll bemalte Kirchenfenster dringt, verzaubert es den Raum mit Farben. Doch auch bei bewölktem Himmel oder im Winter schaffen es die Farben der Gläser, den Raum zu verändern und je nach Lichteinfall freundlicher oder düsterer wirken zu lassen. Farbe weckt Emotionen, sie kann ihre Wirkung jedoch nur in Kombination mit Licht entfalten.

Doch nicht jede Farbe und jedes Licht harmonieren miteinander: Bei unbedachtem Einsatz kann es zu Überhöhungen oder zu neuen Mischfarben im Raum kommen, die als unangenehm empfunden werden. Farbige Oberflächen wirken anders als «naturbelassene», und auch farbiges Licht verändert unsere Wahrnehmung von Materialien. Über die Auswirkungen muss man sich bewusst sein, wenn man beides in die Hand nimmt – ein Aspekt, den Lichtarchitekt Walter Moggio in «Storybook für das Licht» anspricht. Er versteht sich als Dolmetscher zwischen den Disziplinen Architektur und Elektroplanung und redet im Interview über Fluch und Segen der neuen Beleuchtungstechnologien. Diese versprechen viel und wecken Begehrlichkeiten bei Auftraggebern von Projekten, jedoch fehlen Planenden immer noch verlässliche Erfahrungswerte. Auch in der Licht-Farb-Lehre braucht es neue Methoden und Lehrmittel, die die komplexen Phänomene anschaulich und verständlich begreifbar machen können. Ein Team um Ulrich Bachmann an der Zürcher Hochschule der Künste leistet Grundlagenforschung auf diesem Gebiet und wird im Sommer dieses Jahres sein zweites Forschungsprojekt mit einer Lehrmittelpublikation abschliessen («Untrennbar verbunden»). Während sich die einen für den sparsamen Einsatz von Lichtfarben aussprechen, sind es im Gegenzug dazu im gebauten Raum manchmal gerade die starken Farben, die Akzente zu setzen vermögen. Ein Beispiel dafür sind die bunten und beleuchteten Türme in Niederwangen ZH, die ihrer Umgebung ein starkes Signal geben: Hier wurden Licht und Farbe in einem Objekt kombiniert, die Türme sind nun eine thematische, optische und funktionale Brücke zwischen bis jetzt räumlich stark getrennten Stadtteilen («Leuchtturmeffekt»). Dieser Brückenschlag funktioniert auch zwischen Menschen und Kulturen und wird im Sommer 2011 Lichtforscherinnen, Designer und Gestaltende zum Kongress «Wechselwirkungen von Licht und Farbe in Kunst und Wissenschaft»[1] nach Zürich bringen. TEC21 wird sich begleitend dazu erneut mit dem Licht-Farb-Thema befassen.
Katinka Corts

Anmerkung
[1] AIC 2011, 7.–10.6.2011, www.aic2011.org

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Verwaltungszentrum in Genf | Primarschule Kappel SO

12 MAGAZIN
Leserbriefe | Ausblick ins Tessin | Parkett dreidimensional | Oblichter als Todesfallen | Juwelen des Lichts | Bücher

20 «STORYBOOK FÜR DAS LICHT»
Katinka Corts Farbiges und dynamisches Licht an und in Gebäuden scheint heute zum Zeitgeist zu gehören. Der Lichtarchitekt Walter Moggio spricht über seine Erfahrungen in der Branche.

24 UNTRENNBAR VERBUNDEN
Ralf Michel Wenn Farbe und Licht zusammentreffen, entstehen Farbtonverschiebungen, die sehr komplex und schwer planbar sind. Die gestal-terische Ausbildung und Praxis brauchen neue Instrumente und Methoden.

28 LEUCHTTURMEFFEKT
Tina Cieslik In Niederwangen im Süden von Bern verbinden zwei beleuchtete Türme Ortsteil und S-Bahnhof. Mit ihrer Farbigkeit bringen sie ein spielerisches Element in die vom Verkehr geprägte Umgebung.

32 SIA
Daniel Kündig: «Weg von der Ideologisierung!» | Rücktritt Daniel Kündig | Finanzierung von Nachhaltigkeit | Höhere Berufsbildung und Dualität

36 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

«Storybook für das Licht»

Die LED -Lichttechnik und deren dynamische Steuerungsmöglichkeiten machen derzeit immense Fortschritte. Die scheinbare Reife des Produkts verleitet Bauherrschaften dazu, dieses in ihren Projekten einsetzen zu wollen. Das bringt Architektinnen und Architekten in die Verlegenheit, mit einem neuen Medium zu arbeiten, zu dem es kaum Erfahrungswerte gibt. Ein Lichtplaner, der die Planungs- und die Bauseite kennt, kann in dieser Situation als Übersetzer fungieren.

TEC21: Herr Moggio, Sie haben nach Ihrer Ausbildung zum Elektroplaner Architektur studiert. Heute leiten Sie bei Ernst Basler Partner die Abteilung Lichtarchitektur und arbeiten dort an repräsentativen Beleuchtungsprojekten. Wieso haben Sie sich auf Licht fokussiert?

Walter Moggio: Ich habe das Studium wegen des Lichts gemacht mit dem Ziel, mich
später mit der Architektur des Lichts zu befassen – als Lichtarchitekt. Ich wollte die Architektursprache erlernen, Farben und Proportionen verstehen und gute Architektur erkennen können, um sie mit Licht zu unterstützen. Die Ausbildung kommt mir heute sehr zugute, denn ich kann auf Plänen schnell Räume erfassen und dem Architekten oder der Architektin vermitteln, dass ich die Absicht dahinter und das architektonische Konzept verstanden habe. Als Lichtarchitekt verstehe ich mich als Dolmetscher zwischen Elektroingenieuren und Architekten.

TEC21: Die Lichtplanung erhält immer mehr Gewicht in der Architektur, sodass spezialisiertes Fachwissen notwendig ist. Dabei kommen die Lichtspezialisten aus ganz verschiedenen Berufsgattungen. Prägt der fachliche Hintergrund das gestaltete Licht?

W. M.: Auf jeden Fall. Es ist jedoch die Frage, ob diese Vielfalt eine Chance oder ein Fluch ist. In den letzten Jahren sind viele neu in den jungen Beruf der Lichtplanung eingestiegen, vielleicht, weil er spannend scheint und en vogue ist. Vom LED-Hersteller und Elektriker über die Einrichterin, den Messebauer bis zur Szenografin: Alle nennen sich Lichtplaner, -designer oder -gestalter. Die Erfahrung zeigt, dass ein Lichtarchitekt u.a. ein breites Schnittstellenwissen und vor allem eine fundierte Gestaltungskompetenz mitbringen muss. Zudem ist nebst dem Umgang mit Kunstlicht auch ein grosses Wissen zum Tageslicht gefragt. Wer überlegt und mit einer gewissen Verantwortung an eine Beleuchtungsaufgabe herangeht, merkt schnell, dass sich Lichtarchitekturwissen wie Wein verhält: Es reift mit der Zeit. Ich habe schon viel Erfahrung mit farbigem Licht und grossen Respekt vor diesem Thema. Der Weg zur bunten Lichtfarbe sollte erst dann beschritten werden, wenn man das unbunte Licht sowie Lichtrichtung und -art versteht und anzuwenden weiss.

TEC21: Kann nicht gerade eine gewisse Unerfahrenheit – oder auch Vorbehaltlosigkeit – kreative Ideen und neue, ungewöhnliche Konzepte unterstützen?

W. M.: Wenn man ganz unbelastet Konzepte entwickelt, entstehen womöglich sehr kreative
Ansätze. Viele Planerteams präsentieren Zauberkonzepte in Form von 3-D-Visualisierungen, die aber so nicht oder nur mit viel Aufwand umgesetzt werden können. Menschen glauben an diese meist effekthascherischen virtuellen Bilder, die grosse Erwartungen bei Auftraggebern wecken. Vergleicht man die Visualisierung mit der Realität, zeigt sich gerade in der Lichtstimmung meist ein anderes Bild. Die Verantwortung muss darin liegen, ein Bild zu generieren, das auch der Realität entspricht.

TEC21: Wie nähern Sie sich Projekten an?

W. M.: Erfolgsversprechend ist, wenn Architektinnen und Architekten mit ihrer Geschichte zum Gebäude zu mir kommen. Während sie mir die von ihnen erdachten Räume inhaltlich und atmosphärisch beschreiben, übersetze ich die Geschichte in Lichträume und erarbeite das Storybook für das Licht. Und das hat nichts mit Leuchten, Lichtmenge, mit Berechnung oder Farbe zu tun, sondern schöpft nur aus den bisherigen Erfahrungen und der kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeiten. Wir klären dann die Frage, ob Licht zum Sehen, Hinsehen oder Ansehen geschaffen werden soll. Das Licht zum Sehen ermöglicht die Nutzung des Raumes, das Licht zum Hinsehen hebt Objekte oder Raumteile hervor, und das Licht zum Ansehen steht ohne einen quantitativen Anspruch selbst im Zentrum der Betrachtung – wie früher eine Kerze oder heute ein farbiger LED-Punkt. Wir müssen überlegen, ob das Licht körperhaft in Form auffälliger Leuchten oder immateriell und indirekt eingebracht werden soll. Für die Bearbeitung eines Projekts ist es auch wichtig zu klären, ob Licht den Blick lenken darf oder soll. Das geschieht beim Einsatz von bewegtem und auch farbigem Licht. Wenn es zudem noch hohe Helligkeitskontraste oder einen hohen Farbsättigungsgrad aufweist, fällt es noch mehr ins Blickfeld.

TEC21: Heisst das, dass Sie in Ihren Projekten selten mit bunten Lichtfarben arbeiten?

W. M.: Ich nutze zunächst einmal das unbunte Licht und versuche, die Anzahl an Weisstönen auszuschöpfen. Ein sehr wichtiges Kriterium für die Wahl der Beleuchtung ist, wie die Haut oder die Oberfläche im jeweiligen Licht wahrgenommen wird. Grün zum Beispiel gilt in der Farblehre als beruhigend, aber grünes Licht lässt menschliche Haut grau und ungesund erscheinen. Sobald man farbiges Licht oder farbige Oberflächen einplant, muss man sich bewusst sein, welche Wirkungen es auf Mensch und Umgebung haben wird. Mit dem Einzug von farbigem LED und medialen Fassaden im Aussenbereich wird zunehmend auch der urbane Raum (zu) farbig. Auch hier sollte eigentlich weniger mehr sein. Farbe muss den Entwurf oder die Nutzung unterstützen, zum reinen Selbstzweck darf man sie nicht in die Hand nehmen. Ich entscheide mich wegen der emotionalen Prägung des Lichtes im Zweifelsfall eher gegen Farbe und arbeite mit abgestimmten Weisstönen.

TEC21: Wobei da doch erschwerend hinzukommt, dass Farbe und Licht von jedem Einzelnen anders wahrgenommen werden.

W. M.: Das ist wahr. Eine Tapasbar in Spanien mag trotz einer nüchternen tageslichtweissen Beleuchtung gemütlich erscheinen, weil es draussen warm ist. In den nordischen Ländern hingegen findet man kaum Kaltweisslicht, weil dort in den Innenräumen Wärme gesucht wird. Wir Mitteleuropäer finden meist warm- und neutralweisses Licht besser als kaltweisses. Sozusagen ein Mechanismus unseres Körpers als Kompensation des hiesigen Klimas. Man muss überhaupt wissen, was mit unbunten und bunten Farben assoziiert wird. In vielen früheren Kulturen wurden Licht und Farbe zur Heilung von Krankheiten eingesetzt.[1] Farben oder Lichtniveaus können körperlich etwas bewirken und Emotionen wecken – so wie das Abendrot oder wie die blaue Stunde kurz nach dem Sonnenuntergang und vor dem Sonnenaufgang. Blaues Licht zum Beispiel wurde früher mit Ferne und Unendlichkeit verbunden, dann weckte es lange Zeit negative Assoziationen, weil es als ‹Drögelerlicht› galt. Unter blauem Licht sind Venen nicht sichtbar, deshalb waren lange Zeit viele Unterführungen und gedeckte Unterstände blau beleuchtet, um das Drogenmilieu zu vertreiben. Heute wird es wieder gern zur Beleuchtung eingesetzt, was zeigt, dass sich Assoziationen zu Farben wandeln.

TEC21: Sie unterrichten an der Hochschule Luzern (HSLU) das Fach Tages- und Kunstlicht. Wie behandeln Sie das Thema Lichtfarbe?

W. M.: Farbe, Lichtart und Lichtrichtung sowie Sehkomfort werden in der Klaviatur der quantitativen Lichtplanung berücksichtigt und finden einen Platz in der Lehre. Im Unterricht werden Grundlagenwissen und technisches Verständnis für qualitative Lichtplanung vermittelt. Bei Licht-Farb-Projekten muss zum Beispiel immer zwischen Körperfarben, die angestrahlt werden, und farbigem Licht unterschieden werden. Die Lichtfarbe wird beim Mischen immer heller (additive Farbmischung) und nicht, wie Körperfarben, dunkler (subtraktive Farbmischung) (Abb. 3). Wer gleichzeitig mit Körper- und Lichtfarben arbeiten möchte, sollte diese Körperfarben mit neutralweissem oder dem gleichfarbigen Licht anstrahlen. Auch das Wissen und die Möglichkeiten verschiedener Leuchtmittel ist wichtig. LED ist Teil des Grundlagenwissens und wird in der Anwendung diskutiert.

TEC21: LED bieten viele neue Möglichkeiten. Beeinflussen diese Ihre Entscheidung, mit welchem Licht Sie arbeiten möchten?

W. M.: Es ist nicht so, dass LED meine 15 Jahre Konzepterfahrung auf einmal neu schreiben. Meine Euphorie hält sich bis heute in Grenzen, da die visuelle Wahrnehmung des Menschen und die integralen lichttechnischen Werte in dieser Diskussion vernachlässigt werden. Der grosse LED-Enthusiasmus darf uns aber nicht zu sehr von der eigentlichen Lichtverantwortung ablenken. LED sind interessante und zukunftsweisende Lichtquellen, aber ich ordne sie zu den restlichen. Sie erzeugen unvergleichbar schöne, gesättigte Farben, und ich nutze sie für Aufgaben, bei denen mir ihr Einsatz sinnvoll erscheint – also wenn Farbe, Kompaktheit oder kleine, brillante Licht-Portionierung gefragt sind. Bisher verwende ich LED eher für Lichtkunst und als dekoratives Licht. Aufgrund ihrer mittleren Lichtausbeute und unzureichender Leuchtenfamilien können keine anspruchsvollen Lichtprojekte damit behandelt werden.
LED hat nach wie vor lichttechnische Lücken u.a. im Sehkomfortbereich und in der Farbkonstanz, abgesehen vom 3- bis 4fachen Anschaffungspreis für qualitativ hochwertige Produkte. Einzig die Lebensdauer ist interessant, sofern die theoretischen Vorhersagen zutreffen. Das Glühlampenverbot hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können, denn so werden LED und Energiesparlampen als scheinbar nachhaltige Alternative angepriesen. Für die Industrie ist das lukrativ, denn die Hersteller verdienen an einem solchen Leuchtmittel das 10- bis 20fache gegenüber einer Glühlampe. Wenn man jeden Tag von diesem Produkt hört, bekommt man irgendwann ein schlechtes Gewissen, ein Energieverschwender zu sein. Und es ist zudem ein gutes Marketingtool, wenn man von sich behaupten kann, das ganze Geschäft nur mit LED ausgerüstet zu haben.
Viele Projekte, die ich sehe, bringen Menschen zum Staunen, auch wenn sie nicht nachhaltig sind. Darauf bin ich aber nicht aus, sondern auf etwas, das langfristig Freude macht. Eine Lichtlösung muss nicht billig sein, aber ich möchte nachhaltig günstige Konzepte machen.
In der professionellen Lichtplanung ist der LED-Einsatz nach wie vor eine Kompromisslösung – und das Potenzial des Leuchtmittels ist noch lange nicht ausgeschöpft.

TEC21: Aber ist es nicht so, dass Architektinnen und Architekten heute immer mehr mit Bauherrschaften konfrontiert sind, die fortschrittlich sein wollen und ganz selbstverständlich vom Einsatz von LED-Leuchten oder Lichtfarbkonzepten ausgehen?

W. M.: Das kann ich mir gut vorstellen. Jedoch spielen die momentan noch sehr hohen Anschaffungskosten den Architekten in die Hände. LED amortisieren sich mit den aktuellen Strompreisen nicht in einer Umbaugeneration. Zudem definiert der Investor bekanntlich die günstige Nachhaltigkeit anders als der zukünftige Betreiber. Ich bin davon überzeugt, dass man heute wenige lichtsensible Aufgaben mit LED lösen kann. Der Weg zum farbigen Licht ist jedoch mit dem Einzug der LED wesentlich einfacher geworden.

TEC21: Was empfehlen Sie Planenden für den Umgang mit den neuen Beleuchtungs- und
Steuerungsmöglichkeiten und mit den Beleuchtungswünschen der Bauherrschaften?

W. M.: Zunächst einmal eine überlegte Annäherung an das Thema, jenseits von Extremen. In den 1970er-Jahren schien es nicht möglich, dass ein Innenraum nicht bunt war. Es folgte eine Sättigung, gefolgt von einer Farbabstinenz bis Mitte der 1980er-Jahre – die Gestalterinnen und Gestalter schienen nur noch Schwarz- und Weisstöne und keine farbigen mehr anrühren zu wollen. In den letzten Jahren wurden entweder Erdfarben der Le-Corbusier-Palette oder Interieurs wie zu Zeiten der 1970er-Jahre wieder beliebt. Im Gegenzug wuchs aber auch bei Bauherrschaften der Wunsch nach farbigem Licht im Raum.
Lichtplaner kommen leider oft erst sehr spät zum Planungsteam, obwohl gerade das Tageslicht mit Öffnungen, Geometrien und Ausrichtung zu tun hat – entscheidende Punkte bei einem Entwurf. Bevor das Kunstlichtkonzept erarbeitet wird, muss die Nutzung des kostenlosen Tageslichts optimiert werden. Schon im Wettbewerbsstadium wird definiert, wo und wie viel Tageslicht in das Gebäude eingetragen wird und wie man sich davor schützen will.
Je weiter die Planung voranschreitet, desto kleiner wird der mögliche Einfluss. Wenn frühzeitig gemeinsam, begleitend, überlegt und geplant wird, kann ein echter Mehrwert für das Objekt geschaffen werden. Das vorsichtige Herantasten an Körperfarben (Abb. 3) kann sonst mit einem relativ grobmotorischen Griff zu farbigem Licht schnell zerstört werden.

TEC21, Fr., 2011.03.04

Anmerkung
[1] Alexander Wunsch: Die Geschichte der Lichttherapie. Aus: Farbe Licht Gesundheit, Die gestalterischen und therapeutischen Wirkungen von Licht und Farbe für die Märkte der Zukunft. Verlag Farbe und Gesundheit, Frammersbach, 2006. ISBN 3-939946-00-1

04. März 2011 Katinka Corts-Münzner

Untrennbar verbunden

Der kombinierte Einsatz von verschiedenen Leuchtmitteln und farbigen Oberflächen verspricht interessante Phänomene bezüglich Farbtonverschiebungen und Wahrnehmung. Er ist aber komplex und schwer planbar. An der Zürcher Hochschule der Künste betreibt ein Team Grundlagenforschung und entwickelt Instrumente für die gestalterische Ausbildung und Praxis.

Die Entwicklung von Entwurfsinstrumenten oder -methoden hat bisher kaum der Tatsache Rechnung getragen, wie stark Farbe und Licht sich gegenseitig beeinflussen. Der Grund dürften die komplexen Zusammenhänge sein, mit denen sich konfrontiert sieht, wer in die Materie der gegenseitig voneinander abhängigen Verbindung einsteigt. In «Bemerkungen über die Farben» schrieb der Philosoph und Architekt Ludwig Wittgenstein Mitte des 20. Jahrhunderts: «Man sagt zwar ‹In der Nacht sind alle Katzen grau›, aber das heisst eigentlich: Wir können ihre Farben nicht unterscheiden, und sie könnten auch grau sein.»[1] Wittgenstein hinterfragte jene Gewissheiten, die als festgeschrieben galten. Seine berufliche Tätigkeit mag ihm jene Einsicht in Bezug auf die Farben eröffnet haben. Und so schien er aus Erfahrung zu wissen, dass die Farbtheorien und vor allem zugehörige Farbsysteme den gestalterischen Alltag zwar erleichtern, sich aber nicht ausreichend mit der Beziehung zwischen Farbe und Licht befassen.

Wechselwirkungen von Körper- und Lichtfarben

Seit der Erfindung der Glühlampe vor etwa 130 Jahren bedeutet die LED-Entwicklung den grössten Umbruch in der Beleuchtungstechnologie. Derzeit werden leistungsstarke LED als Lichtquellen für allgemeine und architektonische Beleuchtung immer mehr eingesetzt und ersetzen damit hergebrachte Lichtquellen. Eine Vergleichsstudie der Universität Pittsburgh aus dem Jahr 2009 belegt das hohe Entwicklungspotenzial der LED, die im Bereich öffentlicher Beleuchtungen die Natriumdampf-Hochdrucklampen und Halogen-Metalldampflampen in absehbarer Zeit vollständig verdrängen wird.[2] Dabei basiert der Trend zum steigenden Einsatz von LED nicht nur auf wirtschaftlichen Interessen der Hersteller, sondern geht durchaus auf eindeutige Vorteile der Technologie zurück: LED sind klein, robust und haben eine lange Lebensdauer. Bei «weissem» Licht sind sie etwa so effizient wie Halogenlampen, also effizienter als Glühlampen, und mit den neusten Entwicklungen der LED-Tubes ähnlich effizient wie Leuchtstoffröhren. LED können ohne zusätzliche Filter kräftige, satte Farben abstrahlen, zudem sind sie ohne Farbveränderungen dimmbar.

Wenn also erstens Farben nur in Abhängigkeit vom Licht betrachtet werden können und zweitens den LED ein derartiges Potenzial zugeschrieben wird, dann muss der Einsatz von Farben unter Einwirkung von LED-Beleuchtungen besonders betrachtet werden. Das ist vor allem wichtig, weil mit dieser Lichtquelle Dynamiken erzeugt werden können, die mit anderen Leuchtmitteln nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich sind. Der kalkulierte Einsatz verschiedener Spektren etwa führt automatisch zu der Frage, welcher Art die Wechselwirkungen mit den Körperfarben im Raum sein werden. Daher ist vor allem interessant, wie die Lichtwirkung beim kombinierten Einsatz von LED-Licht und farbigen Oberflächen im architektonischen, szenografischen und innenarchitektonischen Kontext berechenbarer werden kann. Dazu gilt es zu prüfen, in welcher Art sich farbige Oberflächen unter verschiedenen Lichtquellen verändern – ein einfacher, aber wirkungsvoller phänomenologischer Ansatz, der sich insbesondere zu Studien im Bereich der Wahrnehmungspsychologie abgrenzt. Im Kern dieser Untersuchungen geht es um die Phänomene der Farbtonverschiebungen und um unterschiedliche Sättigungs- und Helligkeitsgrade. Dies sind alles bisher nicht in gegenseitiger Abhängigkeit systematisch beschriebene Parameter, die aber für Entwurfsentscheidungen relevant sind. In der gestalterischen Praxis nähert man sich diesen Phänomenen über die Simulationen in virtuellen Modellen oder auf der Basis von Erfahrungswerten. Beide Vorgehensweisen offenbaren ihre Nachteile schnell: Der Simulation im virtuellen Raum mangelt es an der unmittelbar sinnlichen Übertragbarkeit ins Reale. Entwurfsentscheidungen auf der Basis von Erfahrung bergen grosse Fehlerquellen, insbesondere beim Einsatz neuer Technologien, wie der LED-Beleuchtung, weil es erstens kaum individuelle Erfahrungen gibt und zweitens die technischen Entwicklungen in diesem Feld derart rasant sind, dass sie ständig neue Möglichkeiten generieren.

Forschung im led-colour-lab

«Es ist nicht sinnvoll, über eine Farbe zu sprechen, die von farbigem Licht ausgeht, ohne über das Material zu sprechen, das es beleuchtet, und den visuellen Kontext, in dem es gesehen wird», sagt der amerikanische Künstler James Turrell.[3] Seine Installationen verknüpfen Licht und Farbe zu einer unzertrennlichen Einheit. Verändert sich die Lichtsituation oder das Farbmaterial auch nur minimal, entstehen andere Farbempfindungen. Um die Art solcher Farbtonverschiebungen zu erfassen, müssen sie sowohl visuell beurteilt als auch messtechnisch erfasst werden können. Das haben die Zürcher Forscher in ihrem Projekt LED-ColourLab exemplarisch anhand einer eingeschränkten Farbpalette geleistet (Abb. 4). Für die Untersuchung von farbigen Oberflächen unter verschiedenen Lichtquellen ist die Verwendung einer Farbbemusterungskabine sehr nützlich. Eine solche Anlage kann mit verschiedenen, genormten Lichtarten ausgestattet werden, z. B. Tageslicht, Glühlampenlicht oder Kunstlicht. Die eingesetzten Lichtquellen werden anhand ihrer Beleuchtungsstärke (E), ihrer Farbtemperatur (°K) und ihrer Lichtfarbe (x/y) genau charakterisiert (vgl. Abb. 5). Für die LED wird zusätzlich noch die Einstellung der einzelnen LED-Leuchten angegeben. Der «Schwerpunkt» des jeweiligen Lichtspektrums ergibt die Farbtemperatur °K, die mit einem Chromameter gemessen werden kann. Das Tageslicht in der Umgebung der Kabine, in der die Farbtafeln mit den NCS-Referenzwerten abgeglichen wurden, war dabei mit einer Beleuchtungsstärke von 200 – 300 lx, einer Farbtemperatur von ca. 5000 °K und einer Lichtfarbe x = 0.34 / y = 0.34 charakterisiert. Damit ähnelt es der kalten Leuchtstoffröhre, die laut Hersteller einen hohen Farbwiedergabeindex[4] im Vergleich zum Tageslicht (ca. 95) hat.

Lichtfarbsimulation für den Entwurf

Ursprünglich sollten in dieser Forschung feine Unterschiede in der Pigmentierung von Farben untersucht werden, beispielsweise die Wirkung von natürlichen im Vergleich zu synthetischen Pigmenten oder von anorganischen verglichen mit organischen Pigmenten. Die ersten Messungen zeigten jedoch, dass feine Farbunterschiede von den starken Lichtbanden der LED oder der Leuchtstoffröhren völlig überlagert werden und nicht mehr sichtbar waren. Die Forscher führten fortan die für den gestalterischen Alltag relevanteren Vergleiche zwischen Mischfarben und Pigmenten mit charakteristischem Lichtabsorptionsverhalten durch. So konnten sie die Farbtonverschiebungen sichtbar machen und mithilfe der Remissionskurven[5] belegen.

Im ersten Forschungsprojekt ging es darum, Farben zu beschreiben, die durch die Kombination einer Körperfarbe und einer farbigen LED-Beleuchtung entstehen. Dabei ergibt sich eine Intensität der Sättigung, die mit keinem der bekannten Malfarben-Systeme (wie z. B. RAL oder NCS) erfasst werden kann. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass man im Rahmen einer verwendeten Farbsystematik die Veränderungen der Farben rein rechnerisch vorhersagen könnte. Verlockend ist ein rechnerisches Modell, das vor allem zur Simulation am Bildschirm verwendet und damit in Entwurfs- und Simulationswerkzeuge integriert werden könnte. Im laufenden Forschungsprojekt «Farbe & Licht» sind dazu erste Anwendungen in einem spielerischen Kontext entwickelt worden, die derzeit getestet werden. Die tatsächliche Wirkung der Farben vor allem in komplexen Mischlichtsituationen in Architektur, Szenografie und Design kann allerdings durch ein bildschirmbasiertes Verfahren nicht wirklichkeitsnah abgebildet werden. Hierzu muss vielmehr eine Methode gefunden werden, mit der die Vorteile von virtueller Umgebung und Realität in einer Augmented-Reality-Anwendung vereint werden können. Damit sind die ersten Schritte zur Entwicklung einer Farb-Licht-Lehre für die gestalterische Praxis und für die Ausbildung getan. Als nächstes sollen diese Ergebnisse publiziert[6] und in Lehrmaterialien und Methoden für die Ausbildung umgesetzt werden.

Ralf Michel, dipl. Designer, Senior Researcher am Institut für Design und Kunstforschung an der HGK Basel

TEC21, Fr., 2011.03.04

Anmerkungen
[1] Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe Band 8, Abschnitt 196, S. 82, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1984
[2] Life Cycle Assessment of Streetlight Technologies. Douglas Hartley/Cassie Jurgens/Eric Zatcoff. Advisors: Dr. Melissa Bilec/Dr. Joe Marriott. Mascaro Center for Sustainable Innovation, University of Pittsburgh, Pittsburgh, PA. July 30, 2009
[3] James Turrell, Oslo International Colour Conference: «Colour between Art and Science». October 8-11, 1998, Oslo, Norway. Transcript of lecture, Proceedings, S. 98
[4] Mit der fotometrischen Grösse lässt sich die Qualität der Farbwiedergabe von Lichtquellen gleicher, korrelierender Farbtemperatur beschreiben
[5] Eine Remissionskurve entsteht, indem auf einer Fläche in horizontaler Richtung die Wellenlängen, in vertikaler Richtung die gemessenen Strahlungsintensitäten eingetragen werden. Für die Wellenlängen ist eine Nanometer-Skala von links (kurze Wellen) nach rechts (lange Wellen) gebräuchlich.
[6] Die multimediale Publikation «FARBE UND LICHT – Materialien zur Farb-Licht-Lehre» (Buch/DVD) erscheint im Juni 2011 im Niggli-Verlag, ISBN 3-7212-0779-3, Fr. 68.–

04. März 2011 Ralf Michel

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