Editorial
Editorial ROCHE-TURM Basel und Pierre Keller
Hans Rohr ist Architekt in Chur und der Stadt Basel nah verbunden. Kaum hatte Hochparterre in seiner Ausgabe vom April den Roche-Turm von Herzog & de Meuron kritisch betrachtet, schrieb uns Rohr einen Brief, dass dieses Projekt unbedingt öffentlich zu diskutieren sei. Hochparterre müsse diese öffentliche Debatte einberufen. Denn das Gewicht von Bauherr und Architekt sei gross und die Architektenverbände schwiegen still. Wir haben auf Hans Rohr gehört und laden am 16. September zusammen mit der Basler Zeitung ein, um über Turm und Stadt zu reden siehe Seite 34.
Pierre Keller regiert seit bald zwanzig Jahren die ECAL, wie die Hochschule für Design und Kunst in Lausanne heisst. Er zieht ein unschweizerisches Programm durch — jenseits von allen bildungsbürokratischen Vorsichtsmassnahmen und Regeln. L’école c’est moi. Sein Gebahren ist in keiner anderen Hochschule denkbar.
Während meiner Zeit als Leiter der Designklasse an der Zürcher Schule hatte ich immer wieder mit Keller zu tun. Und seufzte über den wunderlichen, quicklebendigen Mann, der eine Schule als sein Privatunternehmen verstand und als eine Mischung von Zirkusdirektor, Werbeagent und Homme de lettre brillierte. Pierre Keller hat mich tief beeindruckt: Er liebt seine Studentinnen und Studenten bedingungslos. Er verehrt sie, er fördert sie. Rund um die Uhr. Ohne Distanz. Mit Leidenschaft und Hauruck-Didaktik ist es ihm gelungen, eine farbige, frische und freche Designschule zu etablieren — und vielen Studentinnen und Studenten viel zu geben. Meret Ernst hat den Mann und seine Schule besucht. Er wird pensioniert. Doch es bleibt auch ihr ein Rätsel, wie diese Schule ohne ihren faszinierenden Lehrer und Lenker wird funktionieren können.
Köbi Gantenbein
Inhalt
06 Meinungen
07 Lautsprecher
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 Massarbeit
Titelgeschichte
18 Das Prinzip der Ecal ist die Auswahl
Was ist eine gute Designschule? Dies und mehr fragte Meret Ernst Pierre Keller, den wort- und tatkräftigen Direktor.
30 Architektur: Massiv auf dem Gotthard. Miller & Maranta bauen das Hospiz auf dem Gotthard um.
34 Architektur: Der Roche-Turm zu Basel. Angelus Eisinger stellt klare Forderungen ans Hochhaus.
36 Architektur: Schwarze und weisse Elefanten. Benedikt Loderer spricht zu den Generalunternehmern.
42 Design: Aufgemöbelt wohnen. Die Kollektion der Designer fürs Atelier Pfister ist da.
44 Architektur: «Wir sind brutal stolz!» Das Architekturbüro EM2N gründet eine Immobilienfirma.
50 Architektur: Der Sonne verschrieben. Zwanzig Jahre Solarpreis. Ein Rückblick mit Bilanz.
52 Design: Ein Zug für den Berg. Mit einer Designerin und einem Designer im neuen RhB-Zug.
54 Wettbewerb: Auf dem Holzweg Sind Projekte beim TU besser aufgehoben als beim Architekten?
60 Fotografie: Schere, Maus, Papier. Grafikdesignerinnen und Fotografen an der «Soirée Graphique».
64 Architektur: Der Dritte Wald. Besuch im neuen Schulhaus bei Genf mit Grüssen von Alvar Aalto.
68 Leute
72 Siebensachen
74 Bücher
78 Fin de Chantier
84 Raumtraum
Massiv auf dem Gotthard
Miller & Maranta zeigen Berührungsmut mit Traditionen und schaffen einen Gipfel alpiner Beherbergung.
Der St. Gotthard ist nicht nur ein Mythos. Die baumlos strahlende Landschaft der Passhöhe hat keine Mühe, sich gegen den touristischen Sommerbetrieb durchzusetzen. Die vielen verschiedenen Wege und Strassen, die sich hier bis auf 2114 Meter über Null schrauben, zeugen von den Entwicklungsschritten des Reisens: Säumer, Kutschen, Autos. Ebenso die wenigen Gebäude.
Das «Albergo San Gottardo» (1866), die Jugendherberge im ehemaligen Stall, die Alte Sust (1837), früher Warenlager und Remise, heute Museum und Selbstbedienungsrestaurant, und schliesslich das Alte Hospiz, das seit dem 1. August als komfortable Dependance des Hotels dient. Es ist das älteste Haus zwischen den beiden Bergseelein. Die Kapelle, die sich in seinem hinteren Teil befindet, weihte der Mailänder Erzbischof vor achthundert Jahren. Kurz darauf baute man daneben das erste Hospiz, als Unterkunft der Pilger, Händler, Armen und Elenden.
Mehrfach gingen Lawinen, Kriege oder Feuer über das Haus, man baute es wieder auf und um, zuletzt vor hundert Jahren. Die einstige Herberge romantischer Grössen wie Goethe, Mendelssohn oder Wagner geriet in Vergessenheit und verkam. Zuletzt hauste hier das portugiesische Hotelpersonal im Durchzug. Die Stiftung Pro St. Gotthard besitzt seit 1972 alle Gebäude auf der Passhöhe. Eins nach dem anderen hat sie renoviert und wieder nutzbar gemacht. Doch es dauerte drei Jahrzehnte, bis sie den historischen Wert des Alten Hospizes erkannte, dessen Giebelseite so traurig nach Süden blickte. 2005 richtete die Stiftung einen Studienauftrag zu dessen Umbau und Erweiterung aus.
Doch wie geht man mit solch einem historisch bedeutenden Haus um, das sowohl technisch als auch architektonisch heutigen Beherbergungsansprüchen nicht mehr genügt? Man besinnt sich auf die Tradition des Hauses und baut es kräftig weiter. Und das taten die siegreichen Architekten aus Basel, Miller & Maranta. Sie machten sich zum Ziel, die architektonische Wirkung des Gebäudes zu klären und zu stärken. Dafür erhielten sie zwar seine Giebelform, erhöhten es jedoch um ein Geschoss, höhlten es aus und setzten eine neue Holzstruktur ins Innere und eine grosse schwere Dachhaube aus Blei darüber. Deren 25 Tonnen drücken das Haus nun auf den Fels des Gotthardmassivs.
Monumentale Melancholie
Frisch nach ihrem ETH-Studium hatten Quintus Miller und Paola Maranta die Fussgängerpasserelle Werdenberg über die A 13 gebaut. Die war aus Holz und schön verziert und zeigte, dass ihre Entwerfer bei Fabio Reinhard und Miroslav Šik studiert hatten. Die Fachwelt handelte die Brücke als die erste gebaute «Analoge Architektur», die bestehende Vorbilder mit verfremdeten Elementen vorgeschlagen hat. Zwanzig Jahre und viele abstrakte Miller-Maranta-Bauten später, kommt das Déjà-vu: Das Alte Hospiz riecht nach den Ölkreidebildern der «Analogen», denen monumentale Melancholie stets wichtiger war als der Nutzen eines Gebäudes. Gedrungen und käferhaft, die tief heruntergezogene Bleihaut einer Kathedrale würdig. Gespickt ist sie mit zahllosen Gauben. Mit mutiger Hand gingen Miller & Maranta ans Werk. Ein verhaltener Umgang mit dem Flickwerk des Bestandes wäre an dessen erbärmlichem Zustand gescheitert. Oberhalb der ersten Etage entkernten sie das Haus. Der in den 1980er-Jahren renovierte Kapellenraum blieb unverändert, die beiden Geschosse daneben sind neu aufgeteilt, im Erdgeschoss mit knappem Eingangsraum, Technik und Lager, im ersten Obergeschoss mit den Gemeinschaftsräumen hinter den markanten Rundbogenfenstern.
Darüber ist alles neu: Ein betoniertes Treppenhaus mit grosszügigem Gang, rechts und links davon eine eingestellte Holzkonstruktion mit 14 Zimmern bis unters Dach. Da der Pass nur in der Sommerhälfte vom Jahr geöffnet ist und nur in der Zeit gebaut werden konnte, wählten die Architekten eine Konstruktion, die die Zimmerleute vorfertigen konnten. Das Holzständerwerk, dass mit liegenden Bohlen ausgefacht ist, ist ein altes Prinzip, das neben einer schnellen Montage noch einen weiteren Vorteil hat: Gegenüber einem Strickbau schwindet es weniger — das «Innenhaus» darf sich gegenüber der steinernen Hülle nicht verändern. Ein Zimmer nimmt jeweils zwei Felder des Balkenrasters ein. Der Raum spannt sich zwischen Treppenhaus und Aussenwand, zwischen Eingangstür und Fenster, darin eine Kommode mit Sekretär, Sessel und Stehleuchte.
Zwei dicke Stützen und ein tiefer Unterzug trennen die Nische ab, in der das Bett steht. Die metallisch glänzenden Wände des Bades erinnern an die Schimmer-Landschaft vor der Tür. Die unbehandelte Fichte der Zimmerwände, Decken, Böden und Möbel duften nach dem Wald, der draussen nicht steht.
Aus dem Fundus
Ein einfaches Gasthaus hatte sich die Stiftung mit Blick auf die Geschichte des Hauses gewünscht. Aber eines, das gleichzeitig den Komforterwartungen heutiger Gäste Rechnung trägt — eine Aufgabe, der sich Miller & Maranta nicht zum ersten Mal widmen. Die schlichten Fichtenbetten im Alten Hospiz erinnern an diejenigen des Wohnturms der Villa Garbald im Bergell, die beiden Stuben erhellen Stehleuchten, von den Architekten für das Hotel Waldhaus in Sils-Maria entworfen. Ihr Tisch in der kleineren Stube lädt mit Eckbank zum Jassen ein, die grössere heizt ein Specksteinofen wie seit hundert Jahren. Bilder aus dem Fundus des St. Gotthard Museums hängen an den dunklen Kalkputzwänden, tagsüber schmückt sie der Ausblick aus den gedrungenen Fenstern. Es ist die verhaltene Pracht dieser Rundbogenfenster, die nun wieder das Innere des Hauses prägt, eine vom rauen Bergklima in Zaum gehaltene Kultiviertheit. Aussen lassen eine kaum sichtbare Naht im groben Kalkputz und die Fenster der Giebelfassade den letzten «Wuchs» des Hauses erahnen. Über den restaurierten Kastenfenstern der ersten beiden Etagen sitzen zwei Reihen neue, minimal grössere mit Doppelverglasung, aber noch mit Mittelsprosse. Den Abschluss macht eine grosse Öffnung mit nur einem Glasfeld und kündet vom spektakulären Raum dahinter, der sich bis unter den First öffnet. Der gehört zur «Suite», doch passt weder Name noch Nutzung. Für diesen Raum und Ort wünscht man sich ein rechtes Massenlager.
Das Alte Hospiz ist wiederbelebt, seine Zeitschichten zu einem neuen, ebenso stimmungsvollen wie stimmigen Ganzen verschliffen. Das ist den Architekten, der Bauherrschaft und der Denkmalpflege hoch anzurechnen, denn ein solcher Umgang mit dem Vorhandenen ist keineswegs selbstverständlich. Dieser Umgang ist ein Erbe der «Analogen Schule», die ihren Schülern Berührungsmut gegenüber Traditionen, Stimmungen und Atmosphären einimpfte. Nach zwei Jahrzehnten brauchte es aber auch den Mut der Architekten, sich auf ihre eigene Tradition einzulassen. Danke dafür
Kommentar „Weltoffener St. Gotthard“
Eine Passage der Multimediaschau im Passmuseum könnte von Roger Köppel, dem Verleger der Weltwoche, geschrieben sein: «Freiheit und Wohlstand muss man gegen viele Neider verteidigen.» Dieser Spruch, der die kulturelle Lufthoheit über den Mythos Gotthard auf Seiten der Nationalisten halten will, ist eine unzulässige Verdrehung von Tatsachen und Geschichten. Der St. Gotthard ist Ort und Symbol, an dem «Freiheit und Wohlstand» geteilt wurden und werden. Die ruhmreiche Geschichte vom Säumerweg bis zur Autobahn erzählt, wie Wohlstand gemehrt und Freiheiten hergestellt werden — zugunsten unsere hehren Bergler-Ahnen von Tell bis Guisan. Wenn in ein paar Jahren die Neat unter dem Pass hindurchfährt, wird hier nicht mehr das Herz der Schweizer Freiheit schlagen, sondern dasjenige des europäischen Transportwesens. Welch weltoffenes Teilen! Und die Menschen aus Portugal, Osteuropa, Spanien und Italien, die die Wurst-Rösti-Bier-Wirtschaft auf dem Pass gewährleisten, teilen ihre Freiheit mit dem Gotthard, auf dass er gastronomisch überhaupt funktioniert — und den Besitzern Wohlstand bringt. Also sieht es die blaue, frisch vom Bundesamt für Kultur am neuen Alten Hospiz angeschlagene Plakette richtig: «Europäisches Kulturerbe. Stätte mit grenzüberschreitendem oder gesamt europäischem Charakter.» Öffnen, einladen, teilen statt «gegen die Neider verteidigen» — das strahlt die Architektur von Quintus Miller und Paola Maranta aus. Ihr Haus ist ein Begegnungsort, zwar trutzig, aber keine Trutzburg. Die heitere Stimmung im Innern wird Japanerinnen, Griechen und Türken ebenso gefallen wie den Schweizern. Dort kann das geteilt werden, von dem wir so viel haben: Freiheit und Wohlstand. Und die aufgeregten Nationalisten können gut Nachtlager nehmen in der zum Hotel «La Claustra» umgebauten Reduit-Festung von San Carlo oder in der neuen Kaserne von Airolo. [Köbi Gantenbein]hochparterre, Mi., 2010.09.01
01. September 2010 Axel Simon
verknüpfte Bauwerke
Altes Hospiz St. Gotthard
Der Roche-Turm zu Basel
Angelus Eisinger: «Es geht nicht nur um die Silhouette, sondern auch darum, ob ein Hochhaus Brücken zur Stadt schlagen kann.»
Der Roche-Turm wird durch die geplante Höhe von 175 Metern das Stadtbild neu definieren. trotzdem ist in Basel kaum über das Projekt diskutiert worden. Fand in anderen Städten bei vergleichbaren Hochhaus-Projekten eine Diskussion statt?
Bei der Frage nach der Höhe von Hochhäusern handelt es sich um eine alte Debatte, die immer dann losgetreten worden ist, wenn es um die Konfrontation eines Hochhauses mit einer historisch gewachsenen Silhouette geht. Ich denke an die Diskussion rund um den Tour Montparnasse in Paris, an die bereits in der Zwischenkriegszeit verhandelte Frage des Umgangs mit Hochhäusern rund um die St. Paul’s Cathedral in London oder auch an das Hochhausverbot von Zürich in den Achtzigerjahren. Das waren zunächst Expertendebatten, die mit Stichworten wie Identität oder Bewahrung des Bestehenden emotionalisiert zu breiten Debatten wurden. Das Hochhaus wurde da meist ein Platzhalter für eine allgemeine Verunsicherung über den Gang der Dinge.
Wie verunsichert das Hochhaus den Basler Gang der Dinge?
Anlässlich des Roche-Turms wird eine andere, global bedingte Stadtlogik sichtbar, die Basel prägt. Roche ist Teil des globalen Wirtschaftsnetzwerkes, der Konzern kann sich da nicht einfach lokalen Betrachtungsweisen und Bedürfnissen unterwerfen. Solch globale Logiken artikulieren sich dann in einem hohen Gebäude mit 1900 Arbeitsplätzen. Sie sind auf der globalen Ebene stimmig, geraten aber in Konflikt mit den Orten, an denen sie stehen.
Das heisst, die Globalisierung verleiht dem Hochhaus neuen Schwung?
Ja, wir stecken in einer neuen Phase in der Auseinandersetzung mit dieser Bauaufgabe. Einerseits befinden wir uns immer noch in den Ausläufern des modernen Denkmodells, das das Hochhaus zur planerisch strikt kontrollierten Ausnahme erklärt hat. Es prägt die gesamten Planungsregeln in Europa, insbesondere in der Schweiz. Andererseits ist aber mit der internationalen Standortkonkurrenz eine Renaissance des Hochhauses eingeleitet worden, die ihm neue Aufgaben zuteilt: Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit für Unternehmungen auf globaler Ebene, Imagebildung über Architektur.
Kann man also sagen, dass das Hochhaus dem heutigen Planungsreglement Fragen stellt, auf welche dieses keine antworten parat hat?
Auf alle Fälle. Deshalb glaube ich auch, dass man die Frage nach dem Hochhaus viel grundsätzlicher thematisieren sollte. Wir müssen zuerst darüber nachdenken, ob wir das Hochhaus überhaupt wollen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es elementare Beiträge zur Stadtentwicklung leisten kann. Aber wenn wir mit dem bisherigen Planungsreglement weiterfahren, also einem engen Korsett, das dem Hochhaus keine Mehrausnützung ermöglicht, das es einzig als städtebaulichen Akzent versteht oder zur Schaffung von Freiflächen zwingt, werden wir uns nicht mehr lange mit ihm auseinandersetzen müssen.
Wieso?
Weil, sobald alle Industriebrachen mit ihren Mehrausnutzungen überbaut sind, es nur noch dort planungsrechtlichen Spielraum geben wird, wo noch Ausnützungsdifferenzen zwischen dem Gebauten und dem faktisch Möglichen liegen. Diese Differenzen sind aber in den wenigsten Fällen ausreichend, um ein Hochhaus ökonomisch attraktiv zu machen. Wenn man sagt, dass dem Hochhaus eine neue und wichtige Rolle zukommen soll, müssen auch die Spielregeln verändert werden.
Wie könnten solche veränderte Spielregeln aussehen?
Im Auftrag des Amtes für Städtebau Zürich habe ich mir verschiedene Planungsreglemente zu Hochhäusern in europäischen und nordamerikanischen Städten angeschaut. Ich habe festgestellt, dass gerade die Europäer dem Hochhaus gegenüber skeptisch eingestellt sind, aber dass in Städten wie Frankfurt oder Innsbruck, die bereits seit Längerem mit dem Hochhaus konfrontiert sind, ein äusserst produktiver Umgang mit dem Thema herrscht. Es geht hier nämlich um die Stichworte Weiterbauen und Bewirtschaften des Bestandes.
Welche Stadt geht am weitesten?
Innsbruck mit seinem Konzept «Urbanissima»: Die Stadt spricht sich für Hochhäuser aus, aber zu Bedingungen, welche die Stadt stellt. Innsbrucker Hochhäuser müssen eine gemischte Nutzung haben, müssen topografische Bedingungen oder Sichtachsen einhalten, geniessen dafür einen Bonus an Mehrausnützung. Erst mit diesem Instrument wird das Hochhaus für den Investor wie auch die Stadt interessant. Ironischerweise gibt es im Konzept einen Passus, der besagt, dass das Hochhaus nicht gebaut werden kann, wenn jemand innerhalb eines 300-Meter-Radiusses Einsprache erhebt. Das zeigt die tief sitzende Ambivalenz im Umgang mit dem Hochhaus.
Was bringt die private Landmarke Roche-Turm der Stadt?
Zwei Dinge: Auf der einen Seite kann er Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für Basel weltweit generieren. Auf der anderen Seite festigt und intensiviert der Turm wohl die Betriebsabläufe von Roche in Basel. Darüber hinaus sehe ich allerdings keinen unmittelbaren Mehrwert für Basel. Der Mehrwert für eine Stadt ist aber nicht zwingend eine Frage des Hochhauses, denn auch der Novartis-Campus geht wenig Beziehung mit der Stadt ein, obwohl er ein städtebaulich und ästhetisch perfekt inszeniertes Stück Stadt ist.
Bei der Projektpräsentation war von «städtebaulicher Eingliederung» die rede. Kann sich ein 175 Meter hohes Gebäude überhaupt städtebaulich eingliedern? Wieso denn nicht? Wenn wir an die wirklich hohen Gebäude, wie beispielsweise den Eiffelturm denken, merken wir, dass sich unsere Wahrnehmung mit der Zeit komplett verändert hat. Er ist aus der Pariser Stadtsilhouette nicht mehr wegzudenken. Städtebauliche Eingliederung ist eines, architektonische Präsenz das andere. Denn je nach Positionierung, Gestaltung und Ausformulierung des Volumens kann ein Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven ganz anders wirken. Eine Höhenquote auf der anderen Seite kann bestimmte Exzesse verhindern, ob dann aber das Hochhaus stadtverträglich ist, ist eine andere Frage. «Städtebauliche Eingliederung» muss viel breiter gefasst werden: Es geht nicht nur um die Silhouette, sondern auch darum, ob ein Hochhaus funktional Brücken zur Stadt schlagen kann.
[Angelus Eisinger: Der Städtebau- und Planungshistoriker ist Professor für Geschichte und Kultur der Metropole an der HCU in Hamburg und Dekan des Studiengangs Kultur der Metropole. Im Auftrag des Amtes für Städtebau der Stadt Zürich hat er Hochhaus-Planungsreglemente in Europa und Nordamerika untersucht.]hochparterre, Mi., 2010.09.01
01. September 2010 Roderick Hönig
verknüpfte Bauwerke
Roche-Turm, Hauptsitz
Der Sonne verschrieben
(SUBTITLE) Seit zwanzig Jahren lobt und fördert der Solarpreis das Bauen mit und an der Sonne.
Wer durch die Kataloge, Mitteilungen und Stellungnahmen des Solarpreises Schweiz blättert, stellt fest: Die Magie der Zahl prägt diesen Preis. Die ihn tragende Solaragentur Schweiz und ihr Chef, der Umweltpolitiker Gallus Cadonau, erhoben ihn zur Baukultur. Unerbittlich werden Volt und Watt, Kilowattstunden und CO 2-Ausstoss aufgereiht. Das schafft Verbindlichkeit, starke Argumente vor Gericht und Seriosität in der Debatte. Doch Zahlen vernebeln auch, denn das Leben und das Bauen sind bunter, als Ziffern versprechen. Fiel in den ersten Jahren das Auge des Solarpreis auf die am und ums Haus installierte Leistung, kamen bald Kennzahlen dazu, die angeben, ob und wie ein Haus abgedichtet ist. Doch während die technischen Zahlen — als Trumpfkarten freudvoll ausgespielt — komplexer werden, ist der Aufwand zurückhaltend, der betrieben wird, um die Sonnenenergie ins Haus zu bringen.
Der Solarpreis sollte beherzt auch mit kaufmännischen Zahlen fechten. Erst wenn die Immobilienfirmen wissen, was Bau und Betrieb kosten und ihre Renditen mit der Sonnen Energie kalkulieren können, werden auch Siedlungen neben den schmucken Plus-Energie-Einfamilienhäusern stehen. Doch die Kosten der dicken Dächer und der komplexen Fassaden, die keine Wärme mehr hinein- und hinauslassen, können auch kritisch befragt werden: Wenn es stimmt, dass es viel mehr Sonnenenergie in der Schweiz gibt, als wir brauchen — und erst noch gratis —, wäre es dann nicht angebracht, sie künftig zu verwenden und Sonnenfangmaschinen und Erdspeicher zu bauen anstatt teure Dächer und komplexe Fassaden?
Die Integration des Bauteils
Metron-Gebäude in Brugg (Metron Architekten), Bundesamt für Statistik in Neuenburg (Bauart), Forum Chriesbach in Dübendorf (Bob Gysin & Partner), Mövenpick Marché in Kempthal (Beat Kämpfen), Eulachhof Winterthur (Dietrich Schwarz) — schauen wir in das Archiv der zeitgenössischen Schweizer Architektur, so finden wir einige, die ambitioniere Architektur mit Energievernunft verbinden und damit auf der Bühne des Solarpreises gestanden sind. Dazu kommen architektonisch aparte Sanierungen wie die Magnusstrasse in Zürich (Viridén & Partner), das Haus Burri in Uetikon am See (Beat Kämpfen) oder ein Jugendstilhaus in Arlesheim (Daniel Wyss).
Doch der zweite wichtige Beitrag des Solarpreises zu Baukultur und Architektur ist nicht die Auflistung , sondern der Kampf um den Ort der Sonnen-Installationen. Von Anfang an setzten Cadonau und seine Leute sich für die «Integration» der Paneele in Haus und Fassade ein. Für Windanlagen, die nun als Kleinkraftwerke die Landschaften zu bedrohen beginnen, hat sich der Preis nicht stark gemacht, als Förderer frei stehender Sonnenmaschinen wurde er nicht laut — gut so. Als Organisator einer langjährigen baukulturellen Debatte versammelte Cadonau über Jahre Denkmalpfleger, Heimatschützer, Baubehörden, Energiefachleute und -beamte, sodass schliesslich 2005 die Publikation «Integration Solaranlagen» sieben Richtlinien vorschlug, wie Sonnenanlagen in bestehende Gebäude eingefügt und wie neue Sonnenhäuser gebaut werden sollen. Zusammengefasst: Dem Solarhaus soll man seine Technik nicht ansehen. Keine Experimente und formale Erfindungen, kaum Spielraum für entwerferischen Furor. Folgerichtig — und das ist die architekturpolitisch wichtige Tat — ist es den Förderern gelungen, im Raumplanungsgesetz den Artikel 18a einfügen zu lassen, der bis auf wenige Ausnahmen eine «sorgfältig» ins Haus integrierte Solaranlage zu einem Recht macht. Baubeamte und Denkmalpfleger — skeptisch wegen der Häufung matt glänzender Flächen — sitzen seither am kurzen Hebel. Auch ein altes Haus muss unter Umständen seine Würde hergeben, wenn es gilt, die Energiewende herbeizubauen. Der baukünstlerischen Entfaltung setzt die «sorgfältige Integration» einen engen Spielraum. Das ist gut, wenn wir an all die von Designdruck Geplagten denken. Das ist schlecht, wenn wir an die denken, die Baukunst machen und mit neuer Technik neue Erfindung und Form wollen. Und das ist gut, wenn wir dran denken, dass die Energiewende vor allem mit Sanierungen, nicht allein mit Neubauten gewonnen werden wird.
Der politische Raum
Für ihre Ziele ziehen Cadonau und die Seinen seit zwanzig Jahren alle Register der Politik von lustvoller Polemik in Leserbriefspalten, Rechtshändeln bis vor Bundesgericht, Volksabstimmungen, Präsenz in und vor Parlamenten und klugen Essays in Broschüren. Zum politischen Raum gehören auch geschickte Koalitionen mit der wachsenden Sonnenbranche — Hans Ruedi Schweizer von Schweizer Metallbau in Hedingen ist Pionier und als Unternehmer von Anfang an Solarpreis-Mitträger. Zur Politik gehört der Prominentenboulevard.
Schon für die erste Aufführung des Preises lotste man Bundesrat Adolf Ogi nach Brienz-Brinzouls in den Kanton Graubünden und mit ihm Parlamentarier aller Couleur, Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften und Arbeitgeber, allen versichernd, sie täten etwas Gutes, wo doch die Energiepolitik anfangs der Neunzigerjahre vollkommen blockiert war. Seither ist jede Preisverleihung ein grosser Bahnhof mit Bundesrat. Und um auch in der Szene der Architekten an Aufmerksamkeit zu gewinnen, patroniert neu Lord Foster mit seinem Namen den Preis für die Kategorie der Häuser, die mehr Energie herstellen, als sie brauchen. Der Lord ist eine Galionsfigur und ein Könner des energievernünftigen Bauens im grossen Massstab. Doch auch herausragende Architekten predigen Wasser und trinken Wein. Zur Preisfeier wird er wohl mit seinem Privatjet herbeidüsen und wir werden ihn fragen, wie es möglich sei, mit einem Schloss am Genfersee und gut gedämmten Behausungen im Engadin und anderswo auf eine Wohnfläche zu kommen, die mit der persönlichen Nachhaltigkeit verträglich ist? Sagen wir vierzig Quadratmeter pro Person?
Und nun?
Gallus Cadonau fasst den Wandel des Solarpreises in einem Brief an mich so zusammen: «Zuerst, 1991, haben wir jene Familie ausgezeichnet, die am meisten Sonnenkollektoren pro Kopf vorweisen konnte. Daraufhin meinte Jurymitglied Pierre Fornallaz, dass diese Familie mit besseren Fenstern und nur halb so vielen Kollektoren auf dem Dach energetisch besser fahren würde. Und so rückte je länger je mehr zu den erneuerbaren Energien die Energieeffizienz in den Fokus.» Stetig und vif hat der Preis auf Wandel reagiert, neulich als er die Plus-Energie-Bauten als Richtschnur des Bauens aufs Podest hob. Mit 100 000 Franken ist das eine der bestdotierten Auszeichnungen in der Architekturszene.
Blättern wir die Solarpreis-Kataloge durch, fällt ein weiterer Wandel auf. Die ersten Ausgaben feiern Gemeinden und Gemeinschaften, die sich der Sonne verschreiben und städtebauliche Ambitionen haben. In den Neuzigerjahren wird der weite Blick präziser — und also enger. Blieb die politische Perspektive immer bezogen auf die grosse Bühnen der Energiepolitik, definierte der Preis seine Kategorien nun näher am Haus und dem Sonnengerät. Das «Solarpreis-Gericht» setzte Gartenzaun und Grundstück als Grenze fest. Einen Widerspenstigen, der vor dem «Schweizer Solarpreisgericht» Beschwerde gegen ein ausgezeichnetes Zweifamilienhaus führte, weil ein solches die Zersiedelung und damit Energieverschleiss fördere und also nicht gelobt werden dürfe, stellte Jurist Cadonau nach allen Regeln der Juristenkunst samt Verweis auf RPG, ZGB und Bundesverfassung in den Senkel. Diese Ge schichte möge anregen, den Blickwinkel zu öffnen. Denn es gilt auch in städtebaulichen Erwägungen zu gewichten, welchen Beitrag eine haustechnische Musterleistung zu einer guten Siedlung, Stadt, Landschaft und zu nachhaltigen Lebensweisen beiträgt. Die Solarpreis-Ausgabe 2010 lobt die Gemeinde Hessigkofen für die politische, finanzielle und kulturelle Förderung von Sonnen- und erneuerbarer Energie von der Versorgung von Wohnhäusern über Strassenleuchten bis hin zum E-BikeSharing. Und sie zeichnet die Monte Rosa-Hütte des SAC aus, zweifellos eine Verdichtung von Designwillen, technischem Können und grosser Ausstrahlung. Doch kann dieses Edelstück mehr als andere SAC Hütten seit eh und je können? Gewiss, sie gibt viel mehr Gästen viel mehr Komfort, sie bietet mehr WC, mehr Platz pro Kopf, die Schlafräume sind hier oben geheizt statt kalt und sogar warm duschen ist Realität. Doch fördern das hohe Können, der Aufwand, der nicht aus den Übernachtungserlösen wird bezahlt werden können, und exzellente technische Zahlen das richtige Leben? Oder fördert das alles nicht vorab unsere Freizeitgesellschaft, die munter und fröhlich ständig mehr Ressourcen verbraucht? «Glacier paradise», das Restaurant der Zermatt Berg b ahnen auf dem kleinen Matterhorn, 3883 Meter über Meer, erhält eine Auszeichnung. Sonnenkollektoren und integrierte Fotovoltaikanlagen liefern die gesamte Energie. Schnitt Südfassade: Die Solarzellen werden von der kalten Bergluft hinter lüftet und gekühlt. Die so erwärmte Luft wird für die Lüftung gebraucht.hochparterre, Mi., 2010.09.01
01. September 2010 Köbi Gantenbein