Editorial
Das Land der zerklüfteten Küsten und der dramatischen Gebirgswelten ist auf dem Gebiet der Architektur bislang wenig aufgefallen – einmal abgesehen von den traditionellen Stabkirchen, vom Pritzker-Preisträger Sverre Fehn oder dem international erfolgreichen Büro Snøhetta. Lange Zeit gehörte Norwegen zu den ärmsten Ländern Europas und die Bevölkerung übte sich, ihrer puritanischen Prägung entsprechend, in Bescheidenheit. Nach der Erschließung der Ölreserven vor der Küste avancierte das Land innerhalb einer Generation zum wohlhabendsten Staat Europas.
Zwischenzeitlich wurde ein ausgezeichnetes Wohlfahrtssystem eingerichtet und die UNO benannte im letzten Herbst in ihrem Bericht über die Entwicklungsstandards ihrer Mitgliedsstaaten Norwegen als das Land mit der höchsten Lebensqualität. Seit einiger Zeit macht nun auch eine junge Architekturszene von sich reden, die mit ihren Entwürfen viel Gespür für Ort und Landschaft beweist und mit klaren räumlichen Aussagen die traditionelle Naturverbundenheit der Norweger zum Ausdruck bringt – vor allem im Rahmen kleinerer Projekte entlang der offiziellen Touristenstraßen. Aber auch in Oslo, wo sich das Großstadtleben mehr und mehr entwickelt, brechen mit dem Ausbau ehemaliger Industrieareale zu neuen Büro- und Wohnvierteln neue Zeiten in der Stadtentwicklung heran. Es entsteht das Bild eines modernen Staates, doch muss man beim Blick hinter die Fassaden erkennen, dass die lokale Bauwirtschaft noch nicht das Niveau der südlichen Nachbarländer erreicht hat, und da man sich – solange das Erdöl sprudelt – über energetische Fragen keine Gedanken machen muss, gewinnt das nachhaltige Bauen in der öffentlichen Wahrnehmung nur langsam an Bedeutung. Statt des üblichen db-Ortstermins werden wir am 20. September in der Königlich Norwegischen Botschaft zu Berlin eine Vortragsveranstaltung über norwegische Architektur anbieten. Über das Programm und die Veranstaltungsdaten werden wir zeitnah informieren. | Achim Geissinger
Lernen im Schmuckkästchen
(SUBTITLE) Ausbildungs- und Konferenzzentrum in Oslo
Die lange, knapp sechsjährige Planungszeit hat sich gelohnt. Das aufgrund seiner dekorativen, v. a. nachts funkelnden Fassade »Schmuckkästchen« genannte Gebäude schlägt in Norwegen hohe Wellen. Zunächst bietet es als Ort des fachlichen wie persönlichen Austauschs eine offene, kommunikative Atmosphäre. Die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro, Stadtbauamt, Denkmalschutzbehörde und etlichen Fachfirmen führte zudem – ausgerechnet im Land des Erdöls – zu einer Niedrigenergie-Lösung, die bereits einige nationale Preise erhalten hat und für weitere nominiert ist.
Auch in der norwegischen Hauptstadt wird Bildung vermehrt groß geschrieben. Einen Beitrag dazu soll das Lærernes Hus – also »Haus der Lehrenden« leisten, das sämtlichen Mitstreitern der Lehre vom Erzieher bis zum Hochschuldozenten zu Ausbildungs- und Konferenzzwecken dient. Die Gewerkschaft für Bildung versteht es als physisches Manifest, um den Zusammenhalt seiner 140 000 Mitglieder zu stärken und in Einklang zu bringen. Im Jahr 2003 erwarb sie ein Baulücken-Grundstück, welches rückwärtig an ihren in der Hausmannsgate, einer der Hauptstraßen Oslos, gelegenen Hauptsitz anschließt. Das Areal liegt knappe zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt in einem belebten, zentrumsnahen Wohnviertel mit kleinen Imbissstuben, Bars und Geschäften. 2004 folgte ein geladener Wettbewerb, in dem sich das junge Büro Element Arkitekter gegen zwei etablierte Konkurrenten durchsetzen konnte.
Die alleinige Nutzung als Konferenzzentrum war in der Umsetzung nicht ganz unproblematisch. Um der Stadtflucht junger Familien entgegenzuwirken, strebt das örtliche Bauamt u. a. durch Vergrößerung und Neuschaffung von Wohnraum eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität im Stadtkern an. Laut Bebauungsplan musste die Bebauung an der ruhigeren Osterhausgate deshalb einen Wohnanteil von mindestens 20 % aufweisen. Nach etlichen Diskussionen wurde ein angrenzendes Gebäude in den Planungsprozess integriert. Nun verschneiden sich beide – wenn auch nur minimal. Im denkmalgeschützten Nachbarhaus plant das Architekturbüro zurzeit neue, große Wohnungen, wie die Seniorpartnerin Cathrine Vigander erläutert. Eine verlockende Folgeakquise, doch der Bestand offenbarte auch große Herausforderungen: Zum einen mussten die hölzernen Fundamente beider anliegenden Bauten während der gesamten Bauphase feucht gehalten werden, zum anderen reichen sie über die jeweilige Hauskubatur hinaus – dieser Raum fehlt dem UG des Neubaus; dessen Sohlplatte lastet deshalb auf einer im Erdboden verankerten Pfahlgründung.
Kunst und Fassade
Für die künstlerische Gestaltung der südwestlichen, von Glasschwertern gehaltenen Straßenfassade zeichnet Jorunn Sannes verantwortlich, die schon verschiedene architektonische Projekte (u . a. in Zusammenarbeit mit Snøhetta) realisiert hat. Buchstaben und Symbole unterschiedlicher Schriftgröße und -art, teilweise gespiegelt und gedreht, überziehen 50 % der 200 m² großen Fläche. Als Sinnbild von Wissen deuten sie die Bestimmung des Gebäudes an und schützen es gleichzeitig vor Überhitzung. Im Innern erzeugen die Zeichen wahrhaft anmutige Licht- und Schattenspiele. Fast scheint es, sie würden sich dem Besucher nähern, um in ihn einzudringen.
Das dekorative Muster wurde per Siebdruck auf die zum Innenraum hin eingebauten Verbundglasscheiben der Doppelverglasung gebrannt. In der äußeren Doppelglasscheibe spiegeln sich Himmel und Nachbarschaft ungebrochen, wodurch das Gebäude jegliche Schwere verliert. Insgesamt fügt sich der moderne Bau unter Einhaltung der Straßenflucht, Trauf- und Geschosshöhe erstaunlich gut in seine Nachbarbebauung aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein. Nachts bringen ihn energiesparende, langlebige LEDs beinahe zum Glühen. Dann nimmt er sich nicht mehr vornehm zurück und das Innenleben der »Schmuckschatulle« leuchtet im Viertel als strahlender Kontrast, während die verzerrten Konturen der Lettern jetzt scheinbar nach außen drängen. In naher Zukunft ist der Einsatz von farbig steuerbaren LEDs für bunte Lichtspiele geplant.
Auch die Rückseite des Neubaus ist annähernd vollständig verglast. Lediglich ein über die Stirnseiten von Wänden und Decken gelegtes Kupferband lässt seine Ansicht wie eine Schnittzeichnung aussehen. Die Drehtüren in beiden Fassaden liegen zusammen mit einer neu gepflanzten Baumreihe im Innenhof auf einer Achse zum Hintereingang des Hauptgebäudes. Das Konferenzzentrum funktioniert demnach zwar autark, aber durchaus auch als Portal zum Altbestand.
Vertikale Lobby, kein Treppenwitz
Ungewöhnlich ist die prominente Lage des zweiseitig verglasten Treppenhauses, das sich oberhalb des Entrées über die volle Fassadenbreite erstreckt. Der wuchtige, parallel zur Stirnseite flach ansteigende, zweiläufige Aufgang versteht sich nicht allein als funktionale Erschließung, sondern vielmehr als vertikale Lobby und Kommunikationszone. Auf jedem Podest steht eine Kaffeebar zur freien Nutzung bereit und sorgt für Entschleunigung beim Umrunden des länglichen Treppenauges und des darin eingeschlossenen Fahrstuhlschachts.
Der Empfangssaal im EG füllt – neben der Durchfahrt zum Hof – die gesamte Etage aus und macht einen überdimensionierten Eindruck; vermutlich wird er die meiste Zeit leer stehen. Selbst dem knallroten Textilrelief der Künstlerin May Bente Aronsen gelingt es kaum, sich gegen die Weite des Raums zu behaupten. Als gestreifte Stoffskulptur vor den glatten, harten Betonwandflächen besteht ihre Aufgabe in der Schallabsorption.
Oberhalb der Halle befindet sich der an zwei Seiten großflächig verglaste Vortragsraum mit nahezu 5,50 m lichter Höhe. Auf rund 400 m² können darin über 250 Personen tagen, für kleinere Gruppen lässt er sich durch eine Faltwand aufteilen. Im 2. Stock bietet ein Café mit anliegender Dachterrasse Raum für Entspannung. Rote Sitzlandschaften aus Polyethylen sind als Inselpunkte auf dem holzbeplankten Fußboden verteilt. Nebenräume wie Garderobe, Toiletten und Technikraum sind im Kellergeschoss, Lager, Küche und Fluchttreppenhaus im hinteren Teil des Nachbargebäudes untergebracht. Trotz des hohen Glas- und Sichtbetonanteils im Innern wirkt das »Haus der Lehrenden« keineswegs unterkühlt. Das helle Zementgrau in Kombination mit Holzeinbauten, der akzentuierte Einsatz von Farbtupfern sowie die Licht- und Schattenspiele haben vielmehr eine beruhigende, beinahe meditative Wirkung auf den Gast.
Wärmespeicher aus Lehm und Stein
Von Anfang an war allen am Bau Beteiligten eine umweltverträgliche und energiesparende Lösung wichtig. Gerade weil Norwegen diesbezüglich den europäischen Standards hinterherhinkt, sollte dieses Prestigeprojekt zeigen, dass auch eine innovative Bauweise ohne den hinlänglich bekannten Wärmedämmstoff-Wahnsinn zum gewünschten Ergebnis führt. Um eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen, entschied man sich für ein Heizungs- und Kühlungskonzept, das Geothermie und thermische Bauteilaktivierung miteinander kombiniert. Der hohe Anteil an Glasflächen erlaubt im Sommer eine beträchtliche solare »Ausbeute«. In einem Netz aus Kunststoffrohren, die im Beton der Geschossdecken und der Haupttreppe (daher ihre Positionierung an der Fassade) eingelassen sind, zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch. Dieses Trägermedium transportiert die gewonnene Wärme zu zehn im Hinterhof befindlichen 150 bis 200 m tiefen Bohrlöchern und speichert sie über Erdwärmesonden im Boden. Im Winter wird die im Erdreich konzentrierte Energie dann zur Beheizung des Bauwerks herangezogen, die Kunststoffrohre wirken dabei wie eine Fußbodenheizung. Der große Vorteil der Betonkernaktivierung gegenüber konventionellen Heizsystemen besteht in der Speicherfähigkeit der massiven Bauteile, die eine gleichmäßige Wärmeabgabe über große Oberflächen ermöglichen. Dank des stetigen Energieaustauschs zwischen Speichermasse und Raumluft kommt es lediglich zu minimalen Schwankungen; Behaglichkeit ist gewährleistet.
Natürlich ist das vorliegende System zunächst eine kostspielige Investition, die sich laut Planern allerdings bereits nach drei bis fünf Jahren amortisiert haben soll. Ihren Angaben zufolge liegt der Energiebedarf des Bauwerks bei 80 KWh/m² im Jahr. Durch den Einsatz des noch leistungsfähigeren Naturkältemittels CO2 als Fluid für die Wärmepumpe ließe sich der Bedarf sogar auf bis zu 50 KWh/m²a drosseln.
Für deutsche Verhältnisse mögen diese Werte nicht unbedingt verblüffen, nach den norwegischen Regularien zählt der Bau aber als Niedrigenergiehaus der Klasse A – die Jahresdurchschnittstemperatur liegt in Oslo gut 4 °C tiefer als beispielsweise in Berlin. Tatsächlich soll sogar überschüssige Wärme in die Heizungsanlage des Haupthauses gespeist werden. Bei soviel positiver Energie sollte den Lehrenden das Lernen doch umso leichter fallen.db, Di., 2010.07.20
20. Juli 2010 Hartmut Möller
Oslo
(SUBTITLE) Endlich Geld für Stadtentwicklung
Die nordische Metropole galt lange Zeit als verschlafen. Seit viele soziale Ziele des Wohlfahrtsstaats in trockenen Tüchern sind, stehen nun auch Gelder für Stadtentwicklungsprojekte zur Verfügung: Industriell geprägte Hafengebiete werden als Erweiterung der Innenstadt erschlossen; ehedem verrufene Arbeiterstadtteile mausern sich zu In-Quartieren, es weht ein neuer Wind. Doch sind dabei auch Fehlentwicklungen zu beklagen: Dem Wohnungsbau fehlt es an Qualität und der Glanz der prominenten Leuchtturmprojekte wird von städtebaulichen Mängeln in ihrem Umfeld getrübt.
Am besten nähert man sich der Stadt vom Wasser her, mit der Fähre aus Kiel oder Dänemark. Schon eine gute halbe Stunde, bevor das Boot am Terminal festmacht, ist die bescheidene Skyline von Deck aus zu sehen und wird erkennbar, wie die Natur Oslos Stadtbild prägt. Die Landschaft ist wie ein Kessel geformt, in dessen Grund das Stadtzentrum liegt. Im Osten steigt der Ekeberg empor und im Westen der Holmenkollen mit der berühmten Skisprungschanze – das aktuelle, im März erst eröffnete Modell hat JDS aus Kopenhagen entworfen. Holmenkollen und Ekeberg gehören zu den teuersten Wohngegenden der Stadt. Moderne Architektur ist hier eher selten, ältere Einfamilienhäuser dominieren das Bild. Beide Berge sind – mit viel Wald und guter Aussicht versehen – gleichzeitig Naherholungsgebiete.
Zwei Gebäude stechen hervor: in Pipervika, der westlichen Hafenbucht, das dunkelrote Rathaus und in der östlichen, Bjørvika, die schneeweiße Oper. Mit seiner monumentalen Architektur und der Schwere, die der dunkle Stein ausstrahlt, steht das von Arnstein Arneberg und Magnus Poulsson 1930 entworfene, aber erst 1950 fertig gestellte Rathaus für das alte Oslo. Die aus Carrara-Marmor gebaute Oper des Büros Snøhetta hingegen liegt wie ein steinerner Eisberg am Ufer des Oslofjords und symbolisiert den Aufbruch in neue architektonische Zeiten.
Lange schien es unmöglich, so viel Geld für Architektur auszugeben. Erst, so hieß es, müsse in dem durch Öl und Gas so reich gewordenen Land noch mehr in den Wohlfahrtsstaat investiert werden. Doch letztlich hatte das lang anhaltende Bohren dicker Bretter der Kulturszene Erfolg. Nachdem klar war, dass nicht nur ein überdurchschnittliches Wohlfahrtsniveau gesichert ist, sondern auch die Peripherie Kulturbauten zugesichert bekommen hat, war Oslo bereit für eine neue, für das pietistisch geprägte Land eigentlich viel zu teure Oper, die im April 2008 eröffnet wurde.
Hafenblüte
Architektonisch geschieht in Oslo derzeit am meisten im Hafengebiet, das vom Containerhafen zum Wohn- und Kulturgebiet umgebaut wird. Die Oper ist das augenfälligste Zeichen dieser Umwidmung, die bereits in den 80er Jahren mit der kombinierten Shopping-, Wohn- Büro- und Vergnügungsmeile Aker Brygge beim Rathaus begann. Doch erst jetzt ist der Umbau so umfassend, dass nicht nur punktuell Bauten entstehen, sondern in weiten Teilen des Hafengebiets. »Was wir momentan in Oslo sehen, sind die größten Veränderungen im Stadtbild seit 1840 die Prachtstraße Karl Johan und das Schloss gebaut wurden«, sagt Ulf Grønvold, Architekt und Kurator am norwegischen Nationalmuseum. Auch sein Arbeitsplatz wird in nicht allzu ferner Zukunft umgesiedelt werden.
Zwischen Rathaus und Aker Brygge soll auf dem Vestbanetomten bis 2017 das neue norwegische Nationalmuseum entstehen. Als Sieger des Architekturwettbewerbs wurde im April 2010 Kleihues + Schuwerk mit Büros in Berlin und Neapel gekürt. Obwohl kantig und durchaus monumental wird das neue Nationalmuseum sich im wahrsten Sinne des Wortes im Hintergrund halten und das in einem alten Bahnhofsgebäude davor untergebrachte Nobel Friedenszentrum nicht in den Schatten stellen. In der Verlängerung von Aker Brygge, also nur ein paar hundert Meter entfernt, entsteht derzeit ein weiterer neuer Stadtteil – Tjuvholmen. Zum dortigen Aushängeschild soll der von Renzo Piano entworfene Neubau des privaten Astrup Fearnley Museums für Moderne Kunst werden.
Ob Aker Brygge oder Tjuvholmen – die Mietpreise sind selbst für Osloer Verhältnisse sehr hoch und die Stadtentwicklung dort stärkt zudem den Westen der norwegischen Hauptstadt, jene Gegend, wo traditionell das wohlhabende Bürgertum lebt. Die im Staate regierende sozialdemokratische Arbeiterpartei hingegen möchte traditionell den Osten der Stadt stärken. Deshalb wurde die neue Oper dort, mehr als einen Kilometer Luftlinie entfernt, platziert. In unmittelbarer Nähe soll in den kommenden Jahren auch das neue Munch Museum entstehen. Um den vom spanischen Büro Herreros geplanten Siegerentwurf gibt es aber Streit. Große Teile der Osloer Kulturszene meinen, das hohe Gebäude würde die Oper in den Schatten stellen. Entsprechende Bedenken gibt es gegen die teilweise schon fertig gestellten sogenannten Barcode-Hochhäuser hinter der Oper. Diese würden den Blick auf die Altstadt verbauen. Die Stadtautobahn E18 versperrt zurzeit den Weg vom Wasser in die Stadt. Die baldige Untertunnelung löst das Problem nicht komplett, weil ein Teil des Verkehrs weiterhin oberirdisch fließen wird. Bis 2020 soll zudem der erst 2001 umgebaute Hauptbahnhof nochmals erheblich erweitert werden. Über die konkreten Pläne wird noch diskutiert.
Problemkind Wohnungsbau
Jan Olav Jensen, Partner im Osloer Büro Jensen & Skodvin und Mitglied im Rat für Stadtarchitektur, einem beratenden Organ, hat an der Neuentwicklung des Hafengebiets wenig auszusetzen. Er klagt aber über die Mängel in der generellen Stadtplanung (unzureichender öffentlicher Nahverkehr, Dominanz des Automobils) und vor allem beim Wohnungsbau.
Oslo ist in den vergangenen Jahrzehnten massiv gewachsen und wie in den anderen nordischen Hauptstädten auch herrscht Wohnungsnot. Im historischen Stadtkern sind in den vergangenen drei Jahrzehnten so gut wie keine neuen Wohnbauten entstanden und was außerhalb gebaut wurde, sind eher Schlafstädte. Beispielhaft nennt Jensen die Umnutzung des Geländes des ehemaligen Flughafens Fornebu, westlich des Zentrums auf einer Halbinsel gelegen. In der Mitte der Wohnbauten dort befindet sich ein Park, von dem fingerartig Wege abgehen, die die einzelnen Häuser verbinden. »Es fehlt aber etwas, das urbanes Leben schafft«, so Jensen. Das Problem kennzeichne die meisten aller größeren Wohnbauprojekte im Hauptstadtgebiet. Auch im Inneren sind die Häuser oft nicht optimal. Die Wohnungsnot gibt den Investoren viel Macht. Sie müssen nicht mittels interessanter Gestaltung um Käufer buhlen, sondern können fast jede »Billigware« verkaufen.
Trotz einiger Positivbeispiele wie einem soeben fertiggestellten Zwölf-Parteien-Haus des Architekten Reiulf Ramstad meint Jensen, »das historische Urteil über das Gros der in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Wohnbauten wird nicht gut ausfallen«.
Ramstads auffälliger Bau mit Fassaden aus dunklem Ziegel und schwarz gerahmten Fenstern liegt im Stadtteil Grünerløkka, einem lebendigen Beweis dafür, dass trotz einiger Fehlplanungen in Norwegens Hauptstadt urbanes Leben entstehen kann. Das Arbeiterviertel war ehemals ein heruntergekommener und entsprechend billiger Stadtteil, der viele Studenten und Künstler anzog. Dann kamen die Cafés und mit ihnen die Kreativen, die mehr Geld zur Verfügung hatten und die Preise nach oben trieben. Doch weil jene, die vor zehn Jahren eine Wohnung kauften, immer noch in Grünerløkka leben, ist eine lebendige Mischung erhalten geblieben. Oft wird der Stadtteil, wenngleich um einiges kleiner, mit dem Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg verglichen. Die norwegische Künstlerin Ane Graff, in Oslo und Berlin ansässig, findet den Vergleich nicht ganz abwegig: »Grünerløkka ist wie ein kleines Dorf, hier gibt es eine zentrale Straße (Thorvald Meyers gate), an der alles angesiedelt ist: Vom lokalen Gemüsehändler und Bäcker bis zum Supermarkt.« In einem allerdings unterscheidet sich der Stadtteil von einem Dorf. Es gibt nicht nur eine Dorfkneipe, sondern jede Menge Bars und Cafés. »Außerdem gibt es erstaunlich viele Frisöre. Das sagt wohl etwas über die Sozialstruktur der Bewohner aus«, so Graff. Nur was die Preise angeht, ist Oslo mehr Weltstadt als Berlin: Der Frisörbesuch ist kaum unter 70 Euro zu haben und eine 40 m² große Zweizimmerwohnung in Grünerløkka kostet schon einmal über 1300 Euro.db, Di., 2010.07.20
20. Juli 2010 Clemens Bomsdorf
Karge Katen in der Kälte
(SUBTITLE) Reihenhäuser in Longyearbyen/Spitzbergen
Ohne den Golfstrom wäre die arktische Inselgruppe Svalbard (»kühle Küste«) nicht bewohnbar. Neben Forschung und Bergbau ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle der nur knapp 3 000 Einwohner. Doch auch diese möchten komfortabel wohnen. Der kargen Landschaft und dem einfachen Lebensstil der Bevölkerung entsprechen die klar gestalteten und dennoch wohnlichen Holz-Reihenhäuser, die den in der streng reglementierten Siedlung vorherrschenden Bautypus neu interpretieren.
Longyearbyen wurde ohne Architekten gebaut. Als mit 2 000 Einwohnern größte Siedlung der Inselgruppe Svalbard ist sie geprägt von ihrer Anlage als »company town« für die Steinkohle-Grubengesellschaft Store Norske Spitsbergen Kullkompani. Sie ist mit der für Industriebauten typischen technokratischen Nüchternheit ausgeführt: Große importierte Fertighäuser stehen an Straßen, die keinen Namen haben – nur Nummern. Ältere Bebauung fehlt völlig, denn während des Zweiten Weltkriegs zerstörten deutsche Soldaten die Stadt, und die übriggebliebenen Gebäude wurden in den 80er Jahren während einer Feuerwehrübung gezielt niedergebrannt. Zwar kamen im vergangenen Jahrzehnt einige bemerkenswerte, öffentlich finanzierte Projekte wie der Kindergarten Kullungen von div.A Arkitekter und der Forschungspark von Jarmund/Vigsnæs hinzu, doch die Wohnarchitektur hat – mit wenigen Ausnahmen – keine anderen Qualitäten als vor Wind und Wetter zu schützen.
Ein Neuzugang im Wohnungsbestand, das rot gestrichene Reihenhaus im Weg 224, lässt vermuten, dass die architektonischen Vorlieben von Store Norske im Wandel begriffen sind. Das Gebäude setzt einen ganz neuen Standard hinsichtlich Qualität und Sinnlichkeit im Longyearbyener Wohnungsbau. Es wurde entworfen von Brendeland & Kristoffersen Arkitekter, einem jungen Architekturbüro, das sich zuvor u. a. mit einem Geschosswohnungsbau und einem Kindergarten aus Massivholz im alternativen Stadtteil Svartlamoen in Trondheim hervorgetan hat, ebenso mit einigen ungewöhnlichen Einfamilien- und Sommerhäusern. Wieder ist es das Massivholz – das charakteristische Material des Büros, dicke, vorgefertigte Tannenholzelemente –, das die Bautechnik sowie die äußeren und inneren Oberflächen definiert.
Das Haus umfasst drei neue Wohneinheiten für Angestellte der Kohlegrube. Die Grundrissstrukturen der Wohnungen sind jeweils gleich, doch verschieden breit (3,40, 5,00, 5,80 m), und daraus ergeben sich Unterschiede in der Größe der Grundflächen und in der räumlichen Qualität. Der Neubau liegt in der Verlängerung einer Reihe identischer Fertighäuser und bezieht seine Typologie, äußere Form und Dimensionen aus der Umgebung: zweigeschossiges Reihenhaus mit Satteldach. Doch die Architekten haben auf intelligente Weise mit dem vorgegebenen Format gespielt, bei dem Dachform und Höhe streng reguliert sind. Während sie das Innere des Hauses im Vergleich zu den Nachbarbauten vollständig umdefinierten, u. a. durch Einführung einer dritten Ebene, brachten sie die äußere Form des Hauses zusätzlich durch eine äußerst reduzierte Fassadendetaillierung zur Geltung. Die Massivholzfassaden haben eine glatte, rot gestrichene Oberfläche mit minimalen, bündigen Fensterdetails bekommen. Diese Wand faltet sich ohne besonders akzentuierten Übergang zum Dach (Dachrinnen sind in Svalbards äußerst trockenem Klima nicht notwendig). So ergibt sich ein der Idealform sehr nahe kommendes Gebäudevolumen mit eindeutiger Silhouette.
Wie eine Ergänzung zum Haupthaus haben die Architekten das freistehende Nebengebäude gestaltet, das den fehlenden Keller ausgleicht. Auf Svalbard gibt es keine Keller, alle Häuser stehen auf Pfählen, die in den allein vom Permafrost zusammengehaltenen Gletscherschutt getrieben werden. Damit der gefrorene Boden nicht durch die Wärmeabstrahlung des Hauses schmilzt und das Haus absinkt, muss der Abstand mindestens 1 m betragen. Brendeland & Kristoffersen wählten als Verkleidung auch für diese weitere Hausfassade dichtes Massivholz – und lösten damit ein häufiges Problem von Leckagen, nämlich das der winzigen trockenen Schneepartikel, die der Wind vor sich hertreibt.
Holz, Holz, Holz
Während das Äußere des Baus straff und effektiv gestaltet ist, wirkt das Innere höchst großzügig. Schon vom Eingangsbereich aus, der sich zusammen mit einer Abstellkammer, dem Bad und einem Schlafzimmer auf der untersten Ebene des Hauses befindet, enthüllen sich einige der architektonischen Attraktionen der Wohnung. Dazu gehören die umsichtige Detaillierung, mit der alle Türen, Geländer, Regale, Kücheninsel usw. für ihren speziellen Ort entworfen wurden, aber auch die Sichtbezüge: vom Eingang aus direkt durch die großen Fenster des Schlafraums hinaus, im schrägen Winkel entlang einer eleganten Treppe in Richtung des hellen Wohnzimmers, oder 8 m direkt nach oben zum sichtbaren First in der Ebene darüber. Das 1. OG ist die hauptsächliche Aufenthaltszone des Hauses und umfasst gegen Norden einen Wohnbereich, der zugleich intim und exponiert ist; der Raum ist hier relativ niedrig, bietet dafür aber vom Boden bis zur Decke ein fantastisches Panorama Richtung Isfjord und Adventdalen. Die Lage dieser Ebene war das erste, was die Architekten im Haus festlegten – das Ziel war, den Ausblick über die tiefer vor dem Haus liegende Bebauung zu heben; es gelang.
Doch der prächtigste Raum des Hauses ist dem Kochen und Essen gewidmet – eine Entscheidung, die die sinnlichen Qualitäten des Gebäudes untermauert und die der langen Saison mit Aktivitäten im Haus entspringt – der Winter dauert neun Monate, fünf davon mit völliger Dunkelheit. Die Kücheninsel und der Essbereich liegen auf der Südseite des Hauses, auf der sich der Raum mit einer fast schon sakralen Geste bis zum Dach aufschwingt. Der exponierte First liegt 6 m über dem Boden, und längs der Wand im Esszimmer führt eine weiß gestrichene, metallene Industrietreppe mit Galerie (das einzige fest eingebaute Element im Haus, das nicht aus Holz besteht) zum zweiten Schlafraum. Dieser Raum bildet die Decke des intimeren Wohnzimmerbereichs und ist von einer dramatisch Richtung First gekippten Wand abgeschlossen.
Auch Innenwände, Boden, Decken, Kücheninsel und Regale bestehen aus Massivholz. Diese kompromisslose Anwendung des Materials ist der Schlüssel zu den ungewöhnlichen emotionalen und räumlichen Qualitäten des Gebäudes. Die Holzelemente haben eine höchst präsente Oberfläche, die zugleich weich und rau ist. Zusammen mit den robusten und grob geschnittenen Räumen, die aus der bausatzartigen Konstruktion geformt sind, erzeugt das Massivholz einen elementaren, nahezu archetypischen Charakter. Man sollte allerdings nicht verschweigen, dass der Innenausbau die negative Seite des Gebrauchs von Massivholz in solch trockenem Klima wie auf Svalbard enthüllte. Obwohl die Holzelemente vom Produzenten im Voraus auf unter 8 % Feuchtigkeit heruntergetrocknet worden waren, sind die Wände an mehreren Stellen gerissen und bekamen dadurch einen raueren Charakter als beabsichtigt.
Doch Massivholz hat auf Svalbard auch einen taktischen Aspekt – durch die Bautechnik kann das Gebäude in kürzester Zeit ausgeführt werden – eine Notwendigkeit in Svalbards kurzer Bausaison, in der die mittlere Temperatur nur während dreier Monate über 0 °C liegt. Auch entsteht vor Ort lediglich ein Minimum an Abfall, eine wichtige Voraussetzung angesichts der empfindlichen Natur auf Spitzbergen. Der einzige Fehler hier, für den man wohl auch nicht den Architekten allein die Schuld geben kann, scheint die Niedrigenergie-Ausführung in Form einer kontrollierten Wohnungslüftung zu sein. Diese Technologie verbraucht verhältnismäßig viel Strom, was wenig zu den Verhältnissen in Svalbard passt: Hier kostet der Strom sehr viel, während Fernwärme äußerst günstig ist. In der Folge fühlt sich keiner der Reihenhausbewohner genötigt, das teure Lüftungssystem zu nutzen.
Dieses Haus eignet sich mit seiner kurzen Bauzeit, einfacher aber cleverer Technologie und auf der Basis der Vorfertigung so gut für die Massenproduktion, dass sich daraus mit Gewinn ein neuer Fertighaustyp entwickeln ließe, nicht nur für Svalbard, sondern (mit einigen kleinen Modifikationen) gut auch für das Festland. Das Projekt wird getragen von einer spielerischen Kompromisslosigkeit – in der minimalen Farbpalette, der Detaillierung, im Bestehen auf Massivholz als einzigem Material –, die eine ganz eigene Großzügigkeit hervorgerufen hat. Eine solche Kombination von formaler Strenge, die oft ans Symmetrische und Banale grenzt, mit überraschendem räumlichen und emotionalen Mehrwert ist eine Qualität, die einem in den Projekten von Brendeland & Kristoffersen immer wieder begegnet.db, Di., 2010.07.20
20. Juli 2010 Martin Braathen
Leuchtende Landmarke
(SUBTITLE) »Arktisk Kultursenter« in Hammerfest
Schon lange reicht das Prädikat »nördlichste Stadt der Welt« zur Imagepflege nicht mehr aus. Hammerfest will sich in seinem Zentrum neu erfinden und setzt auf das weithin sichtbare Kulturhaus als erstes Signal eines ehrgeizigen Stadtentwicklungsprogramms. Mit vielfältigen Angeboten soll es die Aufbruchstimmung in der gesamten Region untermauern; als Stadtsignet leistet es bereits gute Arbeit. Der Maßstabssprung und die für den Ort völlig neue Architektursprache deuten jedoch darauf hin, dass noch viel zu tun ist.
Das Grundstück, auf dem das Kulturzentrum heute steht, umfasst große Teile des Hafens im Stadtzentrum. Früher befand sich darauf die Fabrik des Fischverarbeiters Findus. 2003 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, für den insgesamt 113 Vorschläge eingingen und den das Osloer Architekturbüro a-lab für sich entscheiden konnte. Das »Arktisk kultursenter« liegt zwischen der Hauptstraße der Stadt und der sanierten Hafenpromenade, an der Hammerfest auch Seereisende empfängt. Damit zeigt das Kulturzentrum in aller Deutlichkeit den Wandel in der wirtschaftlichen Ausrichtung Hammerfests: Während früher die Fischindustrie als wichtigster Erwerbszweig angesehen wurde, hofft man nun auf Rettung für die Stadt (oder möglicherweise sogar für die ganze Region) durch die Kultur.
Das Kulturzentrum ist Teil einer größeren Revitalisierung der Hafenkante Hammerfests, die sich vorläufig noch im Planungsstadium befindet. Vorgesehen sind ein Hotel, ein Einkaufszentrum, Wohnungen, Büros und die Verlängerung der Hafenpromenade. Da die Finanzierung für diese Bauten noch nicht steht, wird das deindustrialisierte Gelände als Parkplatz genutzt.
Dadurch hebt sich das Kulturzentrum noch deutlicher von den übrigen Gebäuden in der Stadt ab, die sowohl kleiner als auch nüchterner gestaltet sind. Es wurde aus Steuergeldern finanziert, die in erster Linie von der riesigen Umschlagstation für Flüssigerdgas auf der Insel Melkøya knapp außerhalb der Stadt stammen. Die Kosten beliefen sich auf 257 Mio. norwegische Kronen (rund 30 Mio. Euro).
Zusammen mit den Gasflammen auf Melkøya und den Lichtern der Tankschiffe, die darauf warten, mit Flüssiggas befüllt zu werden, definiert das Arktische Kulturzentrum das Bild eines neuen Hammerfest. Der ausladende und gut sichtbare Baukörper signalisiert Vielfalt in Nutzung und Bedeutung. Inzwischen findet dort der größte Teil der kulturellen Aktivitäten in der kleinen Stadt mit 9 000 Einwohnern statt: Musiker und Tänzer üben hier, in Zukunft wird es auch Unterricht geben, dazu kommen verschiedene Konzerte, Theateraufführungen und Konferenzen – wie etwa die jährliche Barentssee-Konferenz – und tägliche Vorstellungen aktueller Filme.
Diamant am arktischen Acker
Zu den Aufgaben der norwegischen Kulturinitiative im Rahmen der mit Nachdruck betriebenen Regionalpolitik gehören die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Steigerung der Lebensqualität, die Förderung des Tourismus sowie ein Beitrag zur Entwicklung von Kompetenz und Innovation vor Ort.
Das Kulturzentrum erscheint wie eine Landmarke vor und für Hammerfest. Bei der Eröffnung bekam es den Spitznamen »Der blaue Diamant« – das Meer vor der Küste der Finnmark wird häufig als blauer arktischer Acker bezeichnet. Das Gebäude reflektiert außerdem die Veränderlichkeit der nordnorwegischen Landschaft, in der Sommer und Winter, Licht und Dunkelheit die relevanten Größen sind. Das Arktische Kulturzentrum lebt mit den Jahreszeiten, mit den Wechseln im Wetter und im Licht. So wie es in der winterlichen Dunkelheit Hammerfests in kaltem Blau leuchtet, dominieren im sommerlichen Licht seine rot gestrichenen Holzpaneele. Die Beleuchtung imitiert das flackernde und flimmernde Nordlicht durch ein Zusammenspiel von energiesparenden LEDs mit den äußeren Glaspaneelen – einer Haut aus Einscheibensicherheitsglas mit aufgedruckten Schneekristallen, die als Klimapuffer mit 60 cm Abstand vor die Betonhülle gehängt wurde. Die Beleuchtung der Glasfassade spiegelt die Umgebung wider: Die Bewegungen des Meeres, die Farben des Himmels lassen das Gebäude stumpf grau erscheinen, bevor es im nächsten Augenblick wie eine glitzernde Welle tanzt – oder nur still daliegt und blau leuchtet. Der Wettbewerbsentwurf enthielt noch eine Fassade aus perforiertem Stahl, die jedoch nicht genehmigt wurde: Erstens fürchtete man zu laute Geräusche durch den Wind und zweitens, dass sich Seevögel in den »Löchern« niederlassen würden.
Das Kulturhaus knüpft auf einfühlsame und besonnene Weise an das Meer an, wendet sich aber auch bewusst dem Stadtraum Hammerfests zu. Es fügt sich gut in die Umgebung ein und ist formal so eindeutig und für die Einwohner so einladend, wie man es von einem modernen Kulturhaus erwarten kann. Zur Anbindung an den Stadtraum trägt wesentlich ein im Freien gelegener Platz als sozialer Treffpunkt bei, die Arktisk Arena, ein großes offenes Amphitheater zwischen Stadt und Meer. Die weißen Treppenstufen, die wie der größte Teil des Gebäudes aus Ortbeton bestehen, werden vom Seminartrakt überdeckt, dessen Stahlkonstruktion auf dünnen Stützen ruht. Darunter mischt sich inzwischen auch eine Bronzeskulptur, die den Flossenknochen einer Robbe darstellt. Hinter diesem einzigen, aber beeindruckenden künstlerischen Schmuck stehen die in Oslo niedergelassenen Bildhauer Inghild Karlsen und Bo Bisgaard. Innen, in einem üppigen und luftigen Foyer, werden die roten Holzwände von einem anderen Stück Kunst aufgebrochen: Marius Martinussens goldschimmernd gestrichene Strahlen wirken im Zusammenhang geradezu sakral. Dass in mehreren neuen norwegischen Kulturhäusern der Kunst ein wesentlicher Platz eingeräumt wurde, ist bemerkenswert.
Licht und Ausblick spielen auch in diesem lebhaft genutzten Allraum eine wesentliche Rolle. Oberlichter und vollverglaste Flächen geben den Blick frei, von Hammerfests Hauptstraße bis zum Meer und zum Schiffsanleger. Das Café wurde sinnfälligerweise an einer der Glasfassaden platziert und unterstreicht dadurch die Bedeutung von Licht und Panorama. Die Aussicht ist ergreifend. Ausgesprochen umweltfreundlich ist das jedoch nicht unbedingt: Im langen Winter, der hier vorherrschenden Jahreszeit, wird es draußen vor der dünnen Glashaut empfindlich kalt.
Das übersichtliche und gut zugängliche Foyer übernimmt die Verteilerfunktion. Von hier ist der Weg in den multifunktionalen Hauptsaal des Kulturzentrums kurz, ebenso nach unten ins Kino. Die prominent an der Foyerwand entlangführende Treppe erschließt die verschiedenen Studios, Übungsräume und Büros im OG. Von oben ist die Aussicht grandios. Eine Brücke in der Verlängerung der Treppe führt zu einem schmalen Ausstellungsraum mit Oberlicht, ebenso zur Galerie des Hauptsaals.
Die rote Farbe zieht sich durch alle Innenräume, bis hin zu den Bodenfliesen in den Toiletten, doch in den oberen Etagen von blauen Nuancen kontrastiert. Dieser Wechsel zwischen Rot und Blau, nah und fern, warm und kalt prägt das Arktische Kulturzentrum entscheidend.
Verordnete Zuversicht
Die Revitalisierung älterer Uferbereiche, die ehemals Sitz von Industrie- und Transportunternehmen waren, ist Teil eines größeren internationalen Trends. Ein Kulturhaus zu bauen, ist dagegen Teil des neuen norwegischen Engagements für die Kulturwirtschaft – mithilfe spektakulärer Architektur. In Norwegen hat fast jede Stadt und jeder Ort mit Selbstbewusstsein ein eigenes Kulturhaus gebaut; andere sind im Moment dabei, Pläne dafür vorzubereiten. Wie die Versammlungsorte früherer Tage, »Folkets hus« genannt, sollen sie Treffpunkte sein, den wirtschaftlichen Aspekt der Kultur stärken und vielleicht sogar neue Ideen und Ausdrucksweisen fördern.
Während Vielseitigkeit und Mehrzwecknutzung in der Bauaufgabe selbst liegen, hat man dem imagebildenden Effekt der Kulturhäuser erst im Lauf der letzten Jahre mehr Aufmerksamkeit zugewandt und sie zu Prestigebauten umgedeutet, die »Zivilisation« und »Urbanität« signalisieren sollen. Die landesweit tätige Organisation »Norsk KulturhusNettwerk« wurde gebildet, um die Aktivitäten zu koordinieren.
Die »Kulturvergötterung« geht gewöhnlich auch mit einem Engagement für klimafreundliche Architektur und erneuerbare Energien einher. In Hammerfest forscht man gegenwärtig an der Energiegewinnung durch Gezeitenkraftwerke und Windräder. Für Norwegen wäre es wegweisend, wenn das Arktische Kulturzentrum Strom aus einer solchen Quelle bekäme, z. B. aus Wellenkraft. Momentan ist man noch bescheidener: Das Gebäude wird hauptsächlich mit Strom beheizt, dazu kommt ein wenig Öl. Ab 2012 will man auf Gas von der Insel Melkøya umgesteigen.
Nach Jahren des Verlusts von Arbeitsplätzen und Einwohnern besteht Grund zur Hoffnung, dass das Kulturhaus dazu beitragen wird, neue Wirtschaftszweige zu eröffnen und neue Perspektiven und Zuversicht in der kleinen Stadt zu verbreiten, die sich das Exklusivrecht auf die Marke »die nördlichste Stadt der Welt« erarbeitet hat.db, Di., 2010.07.20
20. Juli 2010 Lotte Sandberg