Editorial

Pool Architekten aus Zürich haben mit dem Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse 380 den ersten Zürcher Bau fertig gestellt, der dem SIA-Energieeffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft folgt (vgl. TEC21-Dossier vom März 2010, «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft», S. 44 ff.). Mutig ist die städtebauliche Figur im Blockrandkontext, die die bauliche Dichte zur Strasse verringert und die Wohnungen gezielt verdichtet. Davon profitieren sowohl der Stadt- als auch der Innenraum. Dabei nimmt das Gebäude durchaus Bezug auf ältere Bauten an der Badenerstrasse: Die Hausnummern 330–334 etwa kombinieren eine der zahlreichen, für die Badenerstrasse typischen Garagen im Erdgeschoss mit Wohnetagen, die bis auf zwei Eckrisalite von der Strasse zurückgesetzt sind – dazwischen liegt eine grosse Dachterrasse.

Auch das Haus Nummer 75 zeigt diesen Typus, allerdings noch etwas früher und mit einer ornamental geschmückten Fassade. Überzeugend ist ausserdem die Organisation der lang gestreckten Wohnungsgrundrisse, die trotz – oder gerade durch – ihre einfache Struktur grosse innenräumliche Qualitäten erzeugen.

Die Kritik fokussiert auf die Fassadengestaltung. Die bewegte Abwicklung und die grauen Fassadenelemente strömen einen industriellen Chic aus, der sich hart an der Grenze zum Trashigen bewegt und bei mittleren Jahrgängen ungute Erinnerungen an die 1970er-Jahre wecken dürfte. Dabei ist der Bauablauf geradezu ein Gegenentwurf zu Industrialisierungs- und Automatisierungsbestrebungen in der Bauindustrie. Da die Bauherrschaft aus zahlreichen kleineren Baufirmen besteht, wurde der Bauablauf auf deren Kapazität abgestimmt. Zu diesem Zweck wurde auch der Holzbau ganz pragmatisch eingesetzt. Das kleinteilige System ist einfach, mit geringem Maschineneinsatz zu errichten und dient der Grauenergiereduzierung sowie der CO2-Speicherung. Im fertigen Gebäude ist von der Holzstruktur nichts mehr zu sehen. Sichtbares Holz ist kein zwingendes Attribut für einen ökologischen Vorzeigebau. Innen sorgen Gipsvorsatzschalen für ein weisses Ambiente, und aussen prägt eine Hülle aus Glasfaserbetonelementen das Bild. Der gewisse «Seventies-Retro-Look» zieht viele junge Interessenten an: Für die 54 Wohnungen gab es zu viele ernsthafte Mietinteressenten, sodass schnell alle Einheiten vermietet waren.

Die Frage, wieweit energetische Vorgaben den Entwurf und die Gestaltung eines Gebäudes beeinflussen (dürfen), stellt sich den Planenden vehement, und Antworten können wie beim Prototyp an der Badenerstrasse nur interdisziplinär gefunden werden. Sicher steht das Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft noch am Anfang, und wir werden in Zukunft Lösungen sehen, die sich heute noch kaum jemand vorstellt.
Alexander Felix

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Neubau Kapelle Samstagern | Den Raum ver-x-facht | Erdbebensicheres Bauen

12 MAGAZIN
Das erste Passivhaus in Japan | Bücher | Zug: Gartenanlagen dokumentiert | Kühlende Dächer

17 PERSÖNLICH
Ämter und Ehren

22 ZÄHNE ZEIGEN
Alexander Felix
Architektur: Pool Architekten und die Baugenossenschaft Zurlinden realisierten an der Badenerstrasse in Zürich den Prototyp eines Gebäudes nach dem SIA--Effizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.

28 VORTEILE AUSSPIELEN
Markus Schmid
Bauingenieurwesen: Die Planungs- und Bauprozesse liessen viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen. Ein «unsichtbares» Arbeitsfeld, das konsequent bewirtschaftet wurde.

33 LOW EX-ZERO (E)MISSION
Adrian Altenburger
Haustechnik: Nebst der Realisierung eines 2000-Watt-kompatiblen Neubaus wurde zusätzlich der hochwertige Anteil der Energie, die Exergie zur Deckung des Bedarfs, reduziert und mit einem CO2-freien Betrieb sichergestellt.

39 SIA
Delegiertenversammlung 1/2010 | Offenes Diskussionsforum | Merkblatt SIA-Effizienzpfad Energie | Merkblatt Mobilität | Exkursion: Neue Wohnmodelle Zürich

44 FIRMEN

45 MESSE
Vom 15. bis 17. Juni 2010 findet erstmals die «Blue&Green» statt, eine lösungsorientierte Fachmesse für die Bereiche Energie und Umwelt.

53 IMPRESSUM

54 VERANSTALTUNGEN

Zähne zeigen

Der Energieverschwendung, dem Strassenlärm und dem langweiligen Wohnungsbau die Zähne zeigen – zu diesem Zweck haben sich die innovationsfreudige Baugenossenschaft Zurlinden und Pool Architekten zusammengetan. In einem anspruchsvollen städtischen Umfeld erbaute dieses Team das erste Zürcher Gebäude nach dem SIA-E ffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.[1] Entstanden ist ein überzeugender Prototyp.

In der Computerwelt spricht man von «Open Source» – im übertragenen und besten Sinne handelt es sich auch bei dem Projekt «Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse 380, Zürich» um einen offenen Prototyp. An dessen Entwicklung sind neben den Architekten zahlreiche Handwerksunternehmen der Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ) beteiligt. Ausgangspunkt der Entwicklung ist eine janusköpfige, rund 2700 m² grosse Parzelle in Zürich. Im Süden wird sie von der stark befahrenen Badenerstrasse begrenzt, während im Norden der neue Stadtpark Hardau entstehen soll. Seit den 1970er-Jahren wird die Fläche zwischen der kommunalen Wohnsiedlung Hardau II und der Badenerstrasse als informeller Park- und Spielplatz genutzt. Etwa ebenso lang steht auf dem Areal ein Migros-Provisorium. Im Zuge der Erneuerung der Siedlung Hardau und der Aufwertung des gesamten Quartiers sollte der eingeschossige Pavillon einem Neubau weichen.

Basis Wettbewerb

Wie in Zürich üblich, lobte das Hochbauamt der Stadt im Auftrag der BGZ zusammen mit der Genossenschaft Migros Zürich einen Studienauftrag für das Bauvorhaben aus (vgl. «Zürich – Paris», TEC21 3-4/2007). Das Erdgeschoss sollte künftig die Migros-Filiale beherbergen, darüber sollten 50 Wohnungen für Singles, Zwei-Personen-Haushalte und Kleinfamilien entstehen. Die Parzelle selbst hat eine Tiefe, die den fünf eingeladenen Architektenteams die Aufgabe nicht einfach machte.

In einer ersten Runde konnte kein Projekt allen Anforderungen – besonders der Einhaltung der Kosten – restlos gerecht werden. Der Austausch in der Zwischenbesprechung zeigte die Komplexität der Aufgabe, Kosten, Lärm, Nutzungsdurchmischung, Dichte und Gebrauchswert der Wohnungen unter einen Hut zu bringen. In der Überarbeitungsrunde, in der es vor allem um die Wirtschaftlichkeit ging, konnten sich pool Architekten gegen das Projekt von Harder Haas Partner durchsetzen. Das laut Jurybericht «eigenwillige Projekt» ist dicht und in der Vertikalen stark gegliedert. Lange Raumfolgen spannen von der Strassen- bis zur Parkseite, was sowohl eine optimale Besonnung von Süden wie auch einen direkten Blick zum geplanten Stadtpark Hardau ermöglicht. Der Bezug sämtlicher Wohnungen zum Park stellt einen entscheidenden Vermietungsfaktor dar. Überraschend für die Jury war, dass mit der Optimierung der Kosten grosszügigere Wohnungen entstanden seien.[2]

Forscherfirmen Ein weiterer Baustein des Projekts ist in der Struktur der Baugenossenschaft Zurlinden selbst zu finden, mit der die Architekten bereits bei der Wohnüberbauung Leimbachstrasse in Zürich zusammengearbeitet haben. Sie wurde 1923 gegründet, und ihre rund 50 Genossenschaftsmitglieder sind vorwiegend KMU aus der Baubranche. Die BGZ besitzt heute 1255 Wohnungen in Zürich und Umgebung. Sie ist der Gemeinnützigkeit verpflichtet und daher in der Lage, Wohnungen zu langfristig günstigen Mietzinsen anzubieten. Die BGZ versteht sich als Schrittmacherin im zukunftsorientierten Wohnungsbau. Mit prägnanter Architektur und mit mutigen Pionierprojekten setzt sie Zeichen für eine nachhaltige Entwicklung. Da verwundert es wenig, dass die Bauherrschaft künftige Projekte konsequent nach dem Legislaturziel der Stadt Zürich «2000-Watt-Gesellschaft» gemäss dem SIA-Effizienzpfad Energie plant.3 Nicht ganz uneigennützig setzt die BGZ bei ihren Neubauten auf eine innovative, nachhaltige Bauweise und arbeitet dabei eng mit qualifizierten Fachleuten zusammen, sind doch gelungene Projekte die beste Werbung für die Innovations- und Leistungsfähigkeit der Genossenschafter.

Beim Projekt an der Badenerstrasse kommt daher die neu entwickelte Bauweise «Top Wall» zum ersten Einsatz. Die Wände bestehen aus senkrechten Massivholz-Ständern (vgl. «Vorteile ausspielen», S. 28 ff.), um den Grauenergiegehalt der Konstruktion zu reduzieren und so dem 2000-Watt-Ziel näherzukommen.

Dem Stadtlärm Trotzen

Die Architekten entschieden sich bei ihrem Entwurf, die gesamte Parzellentiefe mit dem Baukörper zu besetzen. Auf ein überhohes Sockelgeschoss mit der Migros-Filiale sind die Wohngeschosse wie auf einen Tisch gestellt. Dabei definiert das Gebäude mit seinen zwei Längsfassaden sowohl den Strassen- als auch den Parkraum. Von der lauten Strassenseite zieht sich der Baukörper in den Obergeschossen etwas zurück. Die starke vertikale Fassadengliederung nimmt hier den Duktus der Nachbargebäude mit ihren Erkern auf und verstärkt ihn durch markante Attikarücksprünge. Auf die ruhige Parkseite ausgerichtet sind die Balkone, die das Volumen auflösen und zum Grün hin öffnen.

Um den Parkplatz im Hinterhof zugunsten des Stadtparks auflösen zu können, wurde in den Untergeschossen neben den Migros-Kundenparkplätzen eine grosse öffentliche Einstellhalle geschaffen. Allerdings ist die Organisation noch nicht geklärt: Statt der ursprünglich vorgesehenen Übernahme durch die Stadt betreibt zurzeit die Genossenschaft die Tiefgarage. Die Wohngeschosse sind eine Holzkonstruktion, die auf der weitgespannten Stahlbetondecke des ebenerdigen Ladengeschäfts steht. Lediglich die Fluchttreppenhäuser mussten aus Brandschutzgründen betoniert werden. Entgegen der ursprünglichen Planung, auch die Geschossdecken aus Stahlbeton herzustellen, wurden vorgefertigte grossformatige Hohlkastenelemente aus Holz eingebaut.

Der Aufbau selbst besteht aus sechs Häusern, die sägezahnartig gegeneinander verschoben angeordnet sind. Die einzelnen Volumen mit Breiten von 10.40 m bzw. 13.90 m sind längs in zwei Hälften geteilt, sodass durchgesteckte, schmale, knapp 20 m tiefe Wohnungsgrundrisse entstehen. Alle Wohnungen partizipieren so an den Vor- und Nachteilen beider Seiten. Durch den Versatz der Häuser sind fast alle Wohnungen von drei Seiten belichtet, was den Grundriss licht und grosszügig wirken lässt. Dank den starken Rücksprüngen in der Strassenfassade ist an diesem lärmbelasteten Ort Wohnen überhaupt möglich. Um die Lärmschutzvorschriften einhalten zu können, darf der Grenzwert bei geöffneten Fenstern nicht überschritten werden – auch wenn eine mechanische Lüftung vorhanden ist. In den Einzügen ist der Schall geringer, sodass hier die Fenster geöffnet werden können. Gleichzeitig erzeugen sie aber auch – bei aller gewünschten Dichte – schwierige Ecksituationen mit teilweise guter Sicht in die Nachbarwohnungen. Die im Wettbewerbsentwurf gelobten energetisch begründeten, tiefen Fensterlaibungen erweisen sich leider nicht als ausreichende Schutzmassnahme gegen schräge Blicke.

Man betritt die sechs Wohnhäuser über separate lichte Treppenhäuser, die längs der Sockelfassade an der Badenerstrasse bzw. zum Park angelegt sind. Nach zwei Treppenläufen gelangt man in ein innen liegendes Treppenhaus. Diese Engführung bildet einen Kontrast zur Raumwirkung der Wohnungen – verstärkt durch die braun gestrichenen Wände, die auf die benachbarten Hardau-Türme anzuspielen scheinen. Die einzelnen Häuser sind Zweispänner. Nur im 1. Obergeschoss, in dem drei 5.5-Zimmer-Wohnungen die strenge Struktur überspringen und zwei Zimmer in das benachbarte Volumen hinüberstrecken, ist nebenan eine 3.5-Zimmer-Wohnung erschlossen. In den drei Stockwerken darüber liegen pro Haus jeweils sechs 2.5-Zimmer-Wohnungen. Die obersten beiden Stockwerke in den strassenseitigen Volumen nehmen neben drei kleinen 2.5-Zimmer-Appartements sechs Maisonettewohnungen mit 4.5 Zimmern auf.

Efizienz und Freiheit

Das Gebäude folgt dem SIA-Effizienzpfad zur Erreichnung der 2000-Watt-Gesellschaft. Die Vorteile dabei liegen auf der Hand: Anders als bei dem vergleichsweise sturen Minergie-Standard lässt der Effizienzpfad grössere Gestaltungsfreiheiten. Laut den Energieingenieuren wäre die komplexe Baustruktur für eine Minergie-Zertifizierung kaum fassbar. Die gewählte Holzbauweise wirkt sich direkt auch auf die Raumgestaltung aus: Um die Wände nicht zu schlitzen, werden alle Kabel in umlaufenden Bodenkanälen entlang der Wände geführt. Anders als bei Minergie-Bauten üblich, wird die Lüftung nicht über ein zentrales Klimagerät gesteuert, sondern über Lüftungselemente seitlich neben den Fenstern. Nach innen zeigen sie sich durch schmale, hohe Holzlamellenpaneele neben den Fensterrahmen. Der Verzicht auf eine aufwendige horizontale Kanalführung kommt direkt der Raumhöhe zugute.

Der Supermarkt und die Wohnungen stehen in einer weiteren engen symbiotischen Beziehung: Die Wohnungen profitieren von der grossen Abwärme des Supermarkts (vgl. «Low Ex- Zero (E)Mission», S. 33 ff.), die zusammen mit einer grundwassergespeisten Wärmepumpe den Warm- und Heizwasserbedarf deckt.

Auf den ersten Blick wirken die Fassaden etwas fremd in ihrem Umfeld – schliesslich sind sie aus einer eigenen technischen Logik entwickelt: Um die Unterkonstruktion aus energieintensiven Aluminiumprofilen zu minimieren, wurden Fertigteile in Form eines Strangpressprofils aus streichelglattem Faserbeton entwickelt. Die Kantungen und Fugen erzeugen ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel auf den Fassaden und funktionieren wie eine zeitgenössische Weiterentwicklung eines klassischen Bossenwerks. Nicht zuletzt soll die robuste Konstruktion im fordernden urbanen Umfeld eine deutlich längere Lebensdauer aufweisen als herkömmliche Wärmedämmverbundsysteme, sodass die Nachhaltigkeitsrechnung aufgehen dürfte.


Anmerkungen:
[01] TEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft», S. 44 ff.
[02] TEC21 3-4/2007, S. 13
[03] www.bgzurlinden.ch

TEC21, Fr., 2010.06.04

04. Juni 2010 Alexander Felix

Vorteile ausspielen

Auf den ersten Blick verrät der kürzlich fertiggestellte Neubau an der Badenerstrasse 380 in Zürich nichts Besonderes: Perimeter, Bauvorschriften, ökologische und ökonomische Interessen haben das Bauwerk in sein Korsett gezwängt. Der zweite Blick auf die Planungs- und Bauprozesse zeigt jedoch, dass trotzdem viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen zur Verfügung stand und dieses «unsichtbare» Arbeitsfeld konsequent bewirtschaftet wurde.

Zu Beginn war die komplette Tragstruktur als reiner Stahlbeton-/Mauerwerksbau konzipiert. Doch mit dem Wachsen des Anforderungskataloges wurden Reaktionen nötig, um den Belangen Energieeffizienz, ökologische Nachhaltigkeit und kurze Bauzeit Rechnung zu tragen. Deshalb wurde ein grosser Teil des oberen Bauvolumens neu in Holzbauweise geplant. Die zwei Untergeschosse, das Erdgeschoss und die sechs Treppen- und Lifttürme beliess man in der Stahlbeton-Variante: Die Vorteile hinsichtlich Tragfähigkeit, Vorspannung und Brandschutz konnten hier durch andere Baumaterialien nicht wettgemacht werden. Platten, Stützen und Wände der Untergeschosse und des Erdgeschosses sind aus handelsüblichem Beton der Klasse C25/30 XC1 rsp. C30/37 XC4 XF1 bei erdberührten Bauteilen fabriziert. Um die graue Energie zu minimieren, wurden die Treppen- und Lifttürme aus Recyclingbeton des Typs C25/30 XC1 XC2 ausgeführt, weil dies hier wegen der geringeren Beanspruchung gut möglich war.

Der Wechsel zur Holztragstruktur in den Obergeschossen hatte nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe, denn günstiger Wohnraum wird auch dadurch möglich, wenn dieser nach kurzer Bauzeit zur Verfügung steht. Die Genossenschaft kann ihn so früher vermieten und durch diesen wirtschaftlichen Vorteil tiefere Mietzinse ermöglichen. Um möglichst viel Bauzeit zu sparen, wurde der längliche Grundriss quer zur Badenerstrasse in vier Bauetappen unterteilt. Die Stahlbetonarbeiten konzentrierten sich zu Beginn an den zwei Endpartien. Die zwei dazwischenliegenden Etappen wurden sukzessive nachfolgend eingebaut. Dies hatte den Vorteil, dass auf den fertigen Randetappen bereits mit dem Aufrichten des Holzbaus begonnen werden konnte, während die mittleren zwei Etappen noch im Bauprozess standen. Diese zeitliche Überlappung der Arbeitsgattungen brachte denn auch eine beträchtliche Reduktion der Baudauer.

Schnittstelle Erdgeschoss Decke

Die Tragstruktur im Erdgeschoss ist mit ihrer grosszügigen Einteilung in keiner Weise kongruent mit den lastableitenden Wänden der Obergeschosse. Dadurch wurde das kreuzweise Anordnen von vorgespannten Unterzügen in der Erdgeschossdecke notwendig, wobei die sekundären Unterzüge (h=67 cm) in Querrichtung ihre Lasten an die primären Unterzüge (h=77 cm), die parallel zur Badenerstrasse angeordnet sind, abgeben. Solche Abfangträger reduzieren die Menge an Stahlbeton im Vergleich zu durchgehend gleich starken Deckenplatten zwar beträchtlich, beanspruchen aber auch mehr statische Höhe. Um mit den Medienkanälen nicht unter den Unterzügen durchfahren zu müssen und noch mehr an Raumhöhe zu verlieren, sind deshalb zahlreiche Aussparungen vorgesehen. Deren Anordnung richtet sich zwingend auf die Bereiche, wo die Spannkabel unten liegen. Die lichten Querschnitte wiederum sind ein Produkt aus statischer Verträglichkeit und den Anforderungen der Gebäudetechnik. Dass mehr Aussparungen als nötig platziert wurden, geschah in weiser Voraussicht, denn nachträgliches Bohren ist teuer und die Verletzung von relevanter, schlaffer Bewehrung dabei unumgänglich.

Als «Schlussstein» im übertragenen Sinn kann man die letzte Deckenetappe 4 bezeichnen. Da diese aus den genannten Gründen nicht an der Peripherie des Bauvolumens liegt, stellte sich das Problem der durchgängigen Vorspannung: Nach dem Betonieren dieser Schlussetappe musste man die Spannköpfe erreichen und der Spannpresse genug Platz einräumen. Zudem haben sich die Spannkabelenden der Etappen 3 und 4 weit zu überlappen, um eine durchgehende Wirkung zu erzielen. Dazu wurden in der Etappe 3 Hüllrohre mit dem gewünschten Kabelverlauf der Etappe 4 eingelegt und im Bereich der Spannköpfe grosszügige Aussparungen hergestellt. So wurden die Spannkabel der primären Unterzüge in der Etappe 3 per Kupplung an die entsprechenden Kabel der Etappe 1 angeschlossen und nach dem Betonieren und Nachbehandeln an der Kontaktstelle zu Etappe 4 vorgespannt. Nun konnten die Spannkabel der vierten Etappe mit Kupplungen an die Kabel der zweiten Etappe angeschlossen werden und durch die Hüllrohre in die fertige Etappe 3 eingestossen werden. Anschliessend betonierte man die letzte Etappe 4 und spannte die Kabel via die genannten Aussparungen in Etappe 3. Den Abschluss bildete das Auffüllen dieser Spannkopfaussparungen. Diese Abhandlung hört sich isoliert relativ einfach an. Durch das bereits erfolgte Aufrichten der Holzbauelemente auf den Etappen 1 und 2 war jedoch ein grosser logistischer Aufwand nötig, zumal auch die Flächen für Arbeit und Materialumschlag knapp bemessen waren.

Holzbauweise ermöglicht 2000 Watt

Die sechs Wohnkuben auf der Massivbaudecke über dem EG in Holzbauweise statt in der zu Beginn konzipierten Massivbauweise auszuführen, machte das ehrgeizige Ziel «2000-Watt- Gesellschaft» erst erreichbar. Das gewählte Wandprinzip «Top-Wall» wird normalerweise mit Stahlbetondecken kombiniert. Um aber auch hier der ökologischen Nachhaltigkeit und einer Minimierung der grauen Energie zu entsprechen, wurden die Geschossdecken aus Hohlkastenelementen ausgeführt. Damit hatte der Holzbauingenieur einige zusätzliche Aufgaben zu lösen, weil Hohlkasten naturgemäss nur in einer Richtung tragen. Auch die Gebäudetechnik musste sich dieser Bauweise und ihren Konsequenzen unterordnen (vgl. «Low Ex- Zero (E)Mission», S. 33).

Pragmatisch, praktisch, gut

Der Tragwerksplan der mehrgeschossigen Holzbauten ist denkbar einfach: Massive massgehobelte Kanthölzer 100 /195 mm der Festigkeitsklasse C24 bilden im Achsraster von 200 mm aneinandergereiht die 100 mm starken Aussen- und Trennwände. Auf diesen Wänden und an Auflagerschwellen aus Holz, die an den stabilisierenden Betonkernen verankerten wurden, sind die Hohlkastenelemente aufgelegt. Diese Deckenelemente bilden steife, an den Kernen fest verankerte horizontale Scheiben, vergleichbar mit einer einseitig wandverschraubten Tischplatte. Jede Deckenebene ist an ihrer Peripherie mit Einbindern aus 55 mm starken 3-Schicht-Platten umschlossen. Die stumpfen Stösse dieser Einbinder sind mit Nagelblechen kraftschlüssig verbunden. Um Gesamtstabilität und Erdbebensicherheit zu gewährleisten, sind die Geschossdecken der sechs Wohnkuben mit partiellen Schubverbindungen aus Stahl gekoppelt. So kann sich ein einzelner Kubus nicht um seinen Betonkern drehen. Damit sind weder an den Wänden noch an den Decken Verbände notwendig. Auf den ersten Blick eine einfache und unproblematische Bauweise – doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und deren sind nicht wenige vorhanden. Die Planer verstanden es, mit pragmatischen Lösungen zu reagieren:

– Verbindungen: Die Wände wurden nicht als Elemente im Werk vorfabriziert, sondern jedes einzelne Kantholz wurde am Bau gesetzt und mit Buchendübeln Ø 20 mm fixiert. Auf der Decke über EG bilden aufgedübelte Holzschwellen das Fundament für die Holzwände und gleichzeitig die Voraussetzung, durchgängig mit demselben Verbindungsprinzip arbeiten zu können. Je ein Buchendübel an Fuss und Kopf und einer auf halber Wandhöhe zwischen den Kanthölzern genügen, um die notwenigen Freiheitsgrade einzuschränken. Ingesamt wurden rund 4 km dieser Hartholzdübel eingebaut. Die Einbinder am Deckenrand bilden den Umfassungsring und sind Kontaktstelle für diverse Aufgaben wie Durchleiten der Vertikallasten, Aufnahme der Buchendübel und Anschrauben der Hohlkastenelementstirnen.

– Auskragungen: Die Wohnkuben weisen an den Schmalseiten diverse Terrassen und Balkone auf. Teilweise stützenfrei verlangen diese nach Kragträgern, weil die Tragrichtung der Hohlkastenelemente nur eindimensional verläuft. Das Umlegen der Rippen scheint naheliegend, bringt aber meist mehr Komplikationen als Nutzen mit sich. So wurde hier bewusst die Tragrichtung beibehalten und mit aussen angesetzten Brettschichthölzern die Auskragung realisiert.

– Stahlbauteile: Wohl als Obulus an den Konzeptwechsel von Massivbau- zu Holzbauweise in fortgeschrittener Planungsphase mussten einige Deckenauflager und diverse stark beanspruchte Tragelemente aus Baustahl implantiert werden. Ein Konstrukteur versucht immer, den Einsatz solcher «Fremdkörper» zu verhindern, denn das Einflechten von Stahlprofilen in einen Holzbau bringt immer einige technische Probleme mit sich wie Wärmebrücken und Anpassungen an Walzprofilformen. Dennoch kann dies selten gänzlich vermieden werden. – Brandschutz: Die Auflage der Gebäudeversicherung verlangte durchwegs nichtbrennbare Oberflächen im Rohbauzustand. Damit war klar, dass alle Holzbauteile komplett zu verkleiden sind. Innen und in den Steigzonen wurde diese Forderung mit Gipsfaserplatten, aussen mit der sowieso vorhandenen Mineralwolldämmung der hinterlüfteten Fassade erfüllt.

Gelebte Interdisziplinarität

Diverse weitere Details im Massivbau, dem Holzbau, der Gebäudehülle etc. wären der Erwähnung noch wert. Doch bereits jetzt ist offensichtlich, dass ein solches Gebäude nicht ohne das geordnete und zielgerichtete Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen plan- und ausführbar ist. Der Peak «2000-Watt-Gesellschaft» und der damit verbundene Konzeptwechsel in der Bauweise der Obergeschosse hat dem Begriff Interdisziplinarität wahre Bedeutung zugespielt. Investoren und Baufachleute haben hier ein wichtiges Zeichen auf dem Weg zur energiebewussten Gesellschaft gesetzt.

TEC21, Fr., 2010.06.04

04. Juni 2010 Markus Schmid

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