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«Gesellschaftlicher Relevanz eine Form geben»

Die Architekten Marco Graber und Thomas Pulver erläutern ihre Strategie beim Entwurf der Energiezentrale Forsthaus Bern. Warum erhielt dieser Infrastrukturbau einen monumentalen Ausdruck? Welche Aspekte bestimmten die Form, die Materialisierung und die Konstruktion? Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern und den Verfahrensingenieuren?

Die Architekten Marco Graber und Thomas Pulver erläutern ihre Strategie beim Entwurf der Energiezentrale Forsthaus Bern. Warum erhielt dieser Infrastrukturbau einen monumentalen Ausdruck? Welche Aspekte bestimmten die Form, die Materialisierung und die Konstruktion? Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern und den Verfahrensingenieuren?

TEC21: Dass ein Architekturwettbewerb für eine Kehrichtverwertungsanlage (KVA) veranstaltet wird, ist ungewöhnlich. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Marco Graber (M.G.): Selbst in der Schweiz, einem Land mit hochstehender Baukultur, werden die wenigsten Infrastrukturbauten einem architektonischen Anspruch gerecht. Das ist bedauerlich, denn sie prägen durch ihre Anzahl und Grösse unsere gebaute Umwelt und stehen für Themen wie Umweltschutz oder Energieproduktion. Wir sind überzeugt, dass bei der Planung solcher Bauten die Kompetenz der Architekturschaffenden stärker ins Spiel kommen sollte. Beim Wettbewerb haben uns die ungewöhnliche, sehr technische Aufgabe und der spezielle Ort interessiert: Der Bauplatz liegt in einem Waldstück – einem Heiligtum in der Schweiz! – am Stadtrand von Bern, der Stadt, in der wir beide aufgewachsen sind. Sicher war die Lage im Wald auch der Grund für das gewählte Vergabeverfahren.

Thomas Pulver (T.P.): Es gehört zu unserem Selbstverständnis als Architekten, der gesellschaftlichen Relevanz einer Aufgabe eine angemessene Form zu verleihen. Der Bauplatz im Wald war aussergewöhnlich – man hatte die Freiheit, Grösse und Form der Parzelle nach Bedarf festzulegen und zu roden, eine komplette Umkehr üblicher Vorgaben. Zudem bildet der Wald eine Art Scharnier zwischen Stadt und Autobahn. Bereits der Umfang des Programms und die Dimensionen einzelner Räume liessen die energetische Leistung des Kraftwerks erahnen. Uns wurde rasch klar, dass es ein grosses Objekt geben würde, das wir der Bedeutung entsprechend monumentalisieren und zur Landmarke erhöhen wollten. Der Bau hat mit 300 m Länge etwas Endloses. Aber seine extremen Proportionen haben mit dem Ort zu tun, der schmalen Parzelle und der Massstäblichkeit der Autobahn. Es war den Wettbewerbsteilnehmern freigestellt, den Waldrand zu «ritzen». Wir beschlossen jedoch, ihn bestehen zu lassen und mit den zwei unterschiedlichen Seiten des langen Gebäudes und der Art, wie sie hinter den Bäumen aufscheinen sollten, zu spielen.

M.G.: Über diese Energiezentrale dringt das komplexe und weitläufige System von unterir dischen Werkleitungen überhaupt an die Oberfläche. Der Massstab unseres Gebäudes verweist auf die Dimension dieses Systems, das die urbane Landschaft von Bern durchzieht.

TEC21: Es gibt wenige Bauten, die den Themen Entsorgung und Energieproduktion durch Kehrichtverbrennung einen repräsentativen und architektonisch wirksamen Ausdruck ver leihen. Auf ein bestehendes Formenvokabular konnten Sie nicht zurückgreifen, auch wenn einzelne Elemente wie der monumentale Kamin vertraut wirken. Wie sind Sie vorgegangen?

T.P.: Wir dachten an alle diese prägnanten Infrastrukturbauten in der Landschaft, kräftige Zeichen von hoher Autonomie und grossartiger ikonografischer Wirkung. Insbesondere dachten wir an Kraftwerksbauten wie Birsfelden, Landmarken wie den Spredaturm in Burgdorf oder an die Wucht der berühmten Getreidespeicher am Chicago River (Abb. 07–09). Jedes dieser Beispiele hat einen hohen Repräsentationsanspruch und stellt für sich einen Typus dar. Eine KVA war allerdings nicht darunter – die bekannten Beispiele überzeugten uns nicht. Wir suchten nach einer Strategie, die Grösse des Gebäudes zu vermitteln. Wie kann ein 300 m langes Haus aussehen? Rafael Moneo hat sein ähnlich langes Kaufhausprojekt an der Avinguda Diagonal in Barcelona mit einem abgelegten Rockefeller Centre verglichen. Auch wenn wir sein Bild nicht direkt verwenden konnten, wollten wir wie er den Baukörper staffeln und gliedern, ohne ihm die Kraft zu nehmen. Daraus hat sich ein Prozess der Formfindung entwickelt. Das Bild des Frachtschiffs hat uns geholfen, die Fragen der Massstäblichkeit zu klären, ein Gefühl für die Dimensionen zu bekommen.

M.G.: Wir entwerfen nicht analog. Referenzen sind für uns ein Hilfsmittel, um gewisse Vorstellungen zu konkretisieren, zu übersetzen und präzise auszuformulieren. Grundsätzlich versuchen wir, aus den spezifischen kontextuellen und programmatischen Rahmenbedingungen eigene, signifikante Räume zu entwickeln und den Gebäuden einen synthetisierenden Gestus zu verleihen, der all das zum Ausdruck bringt, was das Projekt enthält. Diese Qualitäten versuchen wir jeweils zu verstärken und zu radikalisieren.

TEC21: Die vertikalen Rippen und der aufragende Kamin erinnern auch an eine Kathedrale.

M.G.: In Italo Calvinos «Unsichtbaren Städten» wird eine Stadt beschrieben, die von der einen Seite anders aussieht als von der anderen. Vom Meer her gesehen gleicht sie zwei Kamelbuckeln, von der Wüste her einem Schiff, das vor Anker liegt. Uns gefällt die Vorstellung, dass unsere Energiezentrale von der Stadt aus betrachtet ein Schiff evoziert und von der Autobahn aus eine Kathedrale.

T.P.: Früher waren es die Kirchtürme, die als Zeichen der Kirche und der Obrigkeit den Reisenden die Stadt weitherum ankündigten und die urbanen Merkpunkte einer spärlich besiedelten Landschaft bildeten. Heute sind es die Infrastruktur bauten, die als bauliche Artikulationen verborgener technischer Netzwerke Zeichen in unsere verstädterte Landschaft setzen. In einem Grössenvergleich überlagerten wir die EZF mit dem Berner Münster, das man von der EZF aus sieht (Abb. 06).

TEC21: Beim Wettbewerb war nur ein grobes Raumprogramm bekannt, das bis in die Bauphase hinein verändert wurde. Wie sind Sie damit umgegangen?

T.P.: Wir haben mit einem klassischen Re-engineering begonnen und verschiedene bestehende Anlagen «analytisch zerlegt»: Welche Raumgruppen gehören zwingend zusammen, welche sind frei positionierbar? Bei gewöhnlichen KVA werden Prozessgebäude (Verbrennung) und Fernwärmezentrale parallel nebeneinander gestellt; im Gegensatz dazu haben wir uns für eine lineare Anordnung entschieden, was nahezu ohne energetische Verluste möglich ist. Gebaut wurden zwei parallele Linien: zum einen die Kehrichtverbrennung, zum anderen – ebenfalls hintereinander – ein Holzheiz- und ein Gas-und-Dampf-Kraftwerk. Das verdoppelte nicht nur die Gebäudelänge, auch in Bezug auf eine spätere Erweiterung bietet es Vorteile: Man könnte problemlos eine dritte Verbrennungslinie parallel dazu schalten.

M.G.: Ein weiterer Vorteil dieses linearen Konzepts ist, dass wir im Planungsprozess äusserst flexibel auf Programmveränderungen reagieren konnten. Das Bild des Frachtschiffs hat uns auch hier inspiriert: Das Sockelgeschoss aus Ortbeton greift ins Erdreich ein und bildet gleichsam den Rumpf, auf den die technischen Anlagen wie Container gestapelt werden können. Die wuchtige Aufwerfung des Bunkergebäudes mit der Steuerzentrale, die ähnlich einer Kommandobrücke den Blick freigibt auf die Zu- und Wegfahrt beim Waaghaus, und die filigrane Passerelle, die 30 m weit ausgreift und zum Eingang hochführt, bilden jeweils skulptural modulierte Abschlüsse dieser gegossenen Sockelstruktur. Dazwischen stapeln sich die Hallen, deren Fassaden aus kleinteiligeren, abmontierbaren, vorfabrizierten Betonelementen zusammengesetzt sind. Dieses modulare Fassadenprinzip hat sich bereits in der Entwurfsphase als sehr flexibel erwiesen: Vom Wettbewerb zur Ausführung hat sich der Bau von 260 auf 308 m verlängert, dies entspricht zwölf 4-m-Modulen. Bei einer kompakten Anordnung mit Abhängigkeiten zwischen Länge, Höhe und Breite wären wir wohl weniger flexibel gewesen. Beim fertigen Bau erlaubt die modulare Fassade die wichtige Zugänglichkeit zum Innern. Alles muss durch Fahrzeuge und Kräne von aussen erreichbar sein, der Ein- und Ausbau der technischen Anlagen erfolgt seitlich. Auch diesbezüglich ist die Linearität mit der grossen Abwicklung vorteilhaft, weil alle Anlagen nahe an der Fassade liegen.

T.P.: Von uns stammte das Grundkonzept, also die Linearität als Abbild der inneren Pro zesse, das plastisch-volumetrische Zusammenspiel von vertikalen und horizontalen Elementen und letztlich die entwerferische Strategie im Umgang mit der Grossmassstäblichkeit der Aufgabe. Die konkrete Formfindung, das Ausreizen der technischen Möglichkeiten des Betons, die konstruktive Umsetzung in Ortbeton und vorfabrizierten, modularen Elementen geschah dann im intensiven und fruchtbaren Dialog zwischen den Disziplinen – so, wie es bei so komplexen Bauten immer der Fall sein sollte. Exemplarisch für dieses Vorgehen war die zusammen mit Carlo Galmarini getroffene Materialwahl. Der Entscheid für den Baustoff Beton kam aus unserer gemeinsamen Affinität für alle Arten von Infrastrukturbauten, Brücken und Staudämmen, die ihre Kraft aus dem Material entwickeln. Die Schweiz ist ein Betonland, die Grundbestandteile sind hier vorhanden und Betonbauten haben Tradition. Zwingend für Beton sprach zudem der Umstand, dass der Kehrichtbunker im Grundwasser zu liegen kam. Wir mussten also eine dichte Wanne bauen, um Verschmutzungen zu vermeiden. Im Wettbewerb hatten wir zunächst eine reine Ortbetonstruktur. Bei der Über arbeitung wurde uns bewusst, dass diese mit der Vorgabe, jederzeit überall in den Innenraum gelangen zu können, nicht vereinbar war. Nachträgliche Öffnungen hätten unserer Vorstellung von Präzision und der angestrebten hohen Ökonomie der Konstruktion widersprochen. Im Gespräch mit den Verfahrensingenieuren schliesslich definierten wir den Übergang zwischen dem fugenlos gegossenen Sockel und dem darüber liegenden, modularen Aufbau.

M.G.: Die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauingenieur war intensiv und von gegenseitigem Interesse geprägt. Dies hat sich nicht nur bei der Gebäudehülle manifestiert, sondern bei sämtlichen strukturellen Elementen, zumal bei diesem Projekt das Tragwerk ja nicht gedämmt und eingepackt werden musste. Das beharrliche Bestreben von Carlo Galmarini, die Strukturen ökonomisch und effizient zu dimensionieren, deckte sich mit unserem Interesse, das Material Beton sehr differenziert auszuformulieren und ihm sogar Leichtigkeit zu verleihen. Einzelne Platten wie beispielsweise beim Dach der Abladehalle konnten extrem ausgedünnt werden, ohne dabei ihre aussteifende Wirkung im Verbund innerhalb des Faltwerks zu verlieren. Wir wollten eine dramatische Wirkung erzielen. Durch den Massstab der Anlage entsteht eine Verschiebung in der Wahrnehmung: Wandscheiben mit einer normalen Dicke von 20 oder 30 cm wirken dünn und leicht wie Karton, doch aus diesen dünnen Scheiben entstehen massiv wirkende Volumen, die ihrerseits wiederum über dem Boden zu schweben scheinen. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung von Leichtigkeit und Schwere konnten wir erst dank dem Massstab der Anlage zu einem wichtigen Thema entwickeln.

TEC21: Wie bei vielen Ihrer Projekte ist die Wegführung ein zentrales Entwurfsthema.

T.P.: Uns wurde bereits früh im Wettbewerb klar, dass die Öffentlichkeit ein hohes Interesse an der Anlage haben würde und einen angemessenen Zugang dazu bräuchte, auch wenn diesem Aspekt im Programm keine Bedeutung zugemessen war. Die KVA Thun zählte 2005 bereits 3500 Besucher pro Jahr – für uns Indiz genug, die Wegführung von Personal und Besuchern zu einem tragenden Entwurfsthema zu machen. Neben den Funktionen der technischen Räume stand deshalb die Frage nach den Erschliessungsräumen im Vordergrund, die für uns immer auch Raumerschliessung sind: Sie machen den Raum durch Bewegung erlebbar. Die Wegführung ist identitätsbildend. Die Fassade zur Autobahn ist ja primär konzeptuell definiert: Prägend ist der weithin sichtbare Kamin, alle anderen Bauteile liegen sozusagen im Wald verborgen und könnten nach Bedarf geändert werden, bis hin zum Hinzufügen einer weiteren Verbrennungslinie. Anders die Stadtfassade und die dahinter verborgene Raumfolge, die sorgfältig inszeniert sind: Der Aufgang auf die Passerelle, der Eingang unter dem kreisrunden Oberlicht, der 300 m lange, verglaste Korridor mit den Bullaugen in die Anlage – die in einem Art Stationenweg sämtlichen Schritten des Prozesses folgen –, danach der Übergang in die Treppenanlage mit dem dramatischen Aufstieg unter zenitalem Licht und die Treppe in die Steuerzentrale. Den krönenden Abschluss bildet die Liftfahrt auf die Besucherplattform auf dem Kamin. Dies sind zentrale Elemente des Entwurfs. Der Korridor zeichnet sich nachts deutlich ab, je nach Lichtsituation als gelbes Band oder als Reihe leuchtender Bullaugen. Er bildet die Schnittstelle zwischen innen und aussen, einen surrealen Raum zwischen Technik und Wald.

TEC21: Dieser Besuchergang hält wie ein Geschenkband das pragmatisch gestapelte Paket der industriellen Funktionen zusammen. Als schmale Linie betont er die Dimensionen des Gebäudes und seine Horizontalität im Gegensatz zu den Baumstämmen.

M.G.: Die Perspektive der Besucherinnen und Besucher hat schon in der frühesten Konzeptphase im Wettbewerb den Entwurf geprägt. So entstand die Idee des öffentlichen Korridors, dessen Linearität ein Abbild der inneren Abläufe ist. Umgekehrt hat der Anspruch, die Abläufe für Laien verständlich zu machen, das Konzept der linearen Anordnung der Funk tionen gestärkt und zur logischen Abfolge von Anlieferung, Kehrichtbunker, Verbrennung, Reinigung der Rauchgase und Energieproduktion geführt. Szenografische Überlegungen haben die Formfindung ebenso bestimmt wie die technischen und funktionalen Anforderungen. Der didaktische Aufbau ist eine gebaute Einladung an die Öffentlichkeit. Die Bauherrschaft war von Anfang an von dieser Haltung eingenommen; sie hat das Konzept mitgetragen und weiterentwickelt. Mit dem Besucherzentrum hat sie ein Element ins Programm aufgenommen, das die Öffentlichkeitswirkung noch zusätzlich auflädt.

TEC21, Fr., 2013.03.22



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|13-14 Energiezentrale Bern

25. Januar 2013Alexander Felix
TEC21

«Eine sanfte Renovation»

Die Norm SI A 118 hatte seit mehr als 30 Jahren fast unverändert Bestand, bis sie nun überarbeitet wurde. Roland Hürlimann, Bauanwalt und juristischer Berater der Revisionskommission, erläutert deren Vorgehen und Absichten. Um die bestehende Ausgewogenheit der Norm zu erhalten, führte das Gremium nur notwendige und zweckmässige Anpassungen aus. Entscheidende Änderungen zum Nachteil der Planer sieht der Jurist nicht.

Die Norm SI A 118 hatte seit mehr als 30 Jahren fast unverändert Bestand, bis sie nun überarbeitet wurde. Roland Hürlimann, Bauanwalt und juristischer Berater der Revisionskommission, erläutert deren Vorgehen und Absichten. Um die bestehende Ausgewogenheit der Norm zu erhalten, führte das Gremium nur notwendige und zweckmässige Anpassungen aus. Entscheidende Änderungen zum Nachteil der Planer sieht der Jurist nicht.

TEC21: Warum war die Revision der Norm SIA 118 nötig?

Roland Hürlimann: Bei der Norm SIA 118 handelt es sich um «Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten», die von den Baubeteiligten seit 1977 praktisch unverändert auf Bauwerkverträge angewendet werden. Die Kommission wollte die Norm heutigen Gegebenheiten anpassen, und zwar unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen von Gesetzen und Normen und der neuen Gerichtspraxis. Dies bedingte einige inhaltliche und terminlogische Änderungen. Der SIA hat nicht eine umfassende Revision der Norm, sondern eine sanfte Renovation als Ziel vorgegeben. Dabei sollte die Ausgewogenheit der geltenden Norm – also das Gleichgewicht zwischen Bauherren- und Unternehmerinteressen – beibehalten bleiben. Die über 20-köpfige Revisionskommission bestand daher aus Vertretern aller Interessengruppen und drei juristischen Beratern.

TEC21: Welches sind die wichtigsten inhaltlichen Änderungen?

R. H.: Es gibt Punkte, die von der Kommission neu aufgenommen wurden. Zum Beispiel haben wir uns dem Qualitätsmanagement gewidmet. Das Thema war in der Norm bisher ansatzweise geregelt mit den Bestimmungen über die Zwischenprüfungen und die Gewährleistung. Allerdings lag ein Defizit darin, dass das Qualitätsmanagement im Wesentlichen erst nach der Bauvollendung und der anschliessenden Abnahme einsetzte – also erst, nachdem man sah, ob das fertige Bauwerk mangelfrei oder mangelhaft ist. Bei der steigenden Zahl von komplexen Bauvorhaben und wegen des mittlerweile recht engen Geflechts aus Gesetzen und Normen haben Bauherrschaften und Unternehmer jedoch ein Interesse daran, dass das Qualitätsmanagement schon während der Bauausführung – und damit vor der Abnahme – greifen kann. Um durch eine periodische Kontrolle möglichst effizient ein mangelfreies Ergebnis zu erzielen, gibt die Norm nun vor, dass bereits die Ausschreibung Bestimmungen zu den speziellen Anforderungen an die Qualität, an die Organisation und an die Arbeitsabläufe im Sinn eines projektbegleitenden Qualitätsmanagements enthalten soll. Eine neu eingefügte Bestimmung stellt zugleich klar, dass Prüfungen, Belastungsproben oder irgendwelche sonstigen Massnahmen, die während der Ausführung ergriffen werden, nur als Zwischenprüfungen gelten und keine Abnahmewirkungen auslösen. Das wird jetzt explizit erwähnt, damit die Anwender – die im Allgemeinen keine Juristen sind, sondern Bauunternehmer, Planer oder Bauherrschaften – nach Art eines Kochbuchs wissen, was zu tun ist und was die Bedeutung und die Tragweite der einzelnen Vorgänge sind.

Das ist nur ein Beispiel, das illustrieren soll, dass sehr viele Bestimmungen äusserst praxisnah sind, auch wenn es selbstverständlich juristische Regeln braucht. Darüber hinaus haben wir versucht, einzelne Bestimmungen leicht zu modifizieren oder zu ergänzen, deren Formulierungen nicht ganz klar waren, die aber in der Baupraxis seit Längerem in einem gewissen Sinn verstanden wurden. Beispielsweise umfasst der Begriff Baugrund auch die bestehende Bausubstanz (Artikel 5, 25, 58 Abs. 2). Eine solche Interpretation liess sich zwar aus den bisherigen Bestimmungen ableiten; dennoch war sich die Kommission einig, dass eine Klarstellung eingefügt werden soll. Ein weiteres Beispiel sinddie Kosten für Schutz- und Fürsorgemassnahmen für Personen, die der Unternehmer nach dem bisherigen Artikel 103 in die Position «Baustelleneinrichtung» einrechnen musste, was nicht immer geschah. Die ergänzten Bestimmungen von Artikel 103 und Artikel 9 halten neu fest, dass das Leistungsverzeichnis der Ausschreibung eine separate Position für

«baustellenspezifische Schutzmassnahmen» aufzuführen hat. Das soll sicherstellen, dass der Unternehmer diese Massnahmen kalkulatorisch erfasst und in seinem Angebotspreis berücksichtigt.

Die Kommission hat auch Bestimmungen angepasst, die im wirtschaftlichen Umfeld des Jahres 1977 vernünftig waren, heute aber – nicht zuletzt wegen der Inflation – nicht mehr in jedem Fall adäquat sind. Zum Beispiel räumt die Norm der Bauherrschaft in Artikel 150 das Recht ein, bei jeder Abschlagszahlung einen bestimmten Prozentsatz (10 % bei Leistungswerten bis 300 000 Franken, 5 % bei höheren Leistungswerten) als Sicherheit für die Vertragserfüllung zurückzubehalten. Dieser Rückbehalt wird erst mit der Abnahme bzw. noch später fällig. Die Prozentsätze wurden nun nach oben angepasst (z. B. neu 10 % bis 500 000 Franken, 5 % bei höheren Leistungswerten). Zudem wird der Maximalbetrag des Rückbehalts von 1 auf 2 Mio. Franken angehoben, sofern nichts anderes vereinbart wird.

TEC21: Die Revision ist einerseits eine Anpassung an die Realität und greift andererseits neue Themen und Bedürfnisse auf. Aber das Prinzip und die Form – die Mischung aus juristischen Vorgaben und Handlungsanleitungen – wurde beibehalten.

R. H.: Wir haben die Artikel beibehalten, aber einzelne Termini angepasst. So verwendet die Norm neu das Wort Rückbau; vor dreissig Jahren hat man Abbruch gesagt. Während man früher von Vertragspartner gesprochen hat, spricht die neue Norm von Vertragsparteien und so weiter. Zum Teil sind das kleine Änderungen, sie führen aber zu einer gewissen Vereinheitlichung, auch mit den übrigen SIA-Normen. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Teuerungsabrechnung. Bislang war in der SIANorm 118 geregelt, dass es bei überjährigen Verträgen, wenn also die Realisierung eines Projekts länger als ein Jahr dauert, einen Ausgleich für die Teuerung bei Personal- und Materialkosten sowie allenfalls auch auf die gesamte Bauinstallation gibt. Auf dieser Basis werden in der Schweizer Bauwirtschaft für die Teuerung jährlich bis zu 500 Mio. Franken ausgezahlt. Diese Summe wird in den bisherigen Bestimmungen nach einem relativ komplexen Mengennachweisverfahren berechnet. Allerdings hat sich die Baupraxis, zumindest bei einzelnen Gewerken, etwas anders entwickelt. Dort wird heute nach einem Indexverfahren oder einer Gleitpreisklausel abgerechnet. Eine Arbeitsgruppe der Kommission hat daher die Teuerungsbestimmungen an die heutige Praxis angepasst. Die Bestimmungen wurden aus der Norm herausgenommen und die verschiedenen möglichen Berechnungsverfahren in vier SIA-Normen1 separat geregelt. Falls die Vertragsparteien keine vertragliche Regelung getroffen haben, regelt Artikel 65 in einem Auffangtatbestand, wie die Teuerung im Bauhauptgewerbe und wie sie im Bereich der Zulieferung abgerechnet werden soll.

TEC21: Welche Misverständnisse wurden ausgeräumt?

R. H.: Wie schon erwähnt, hat man an den Bestimmungen der SIA-Norm 118 seit 1977 eigentlich nichts geändert. Interessant sind jedoch zwei sogenannte Sternbemerkungen, die 1991 zur Erläuterung des Textes eingefügt wurden. Zum einen wurde der Begriff Garantiefrist nicht immer als Rügefrist richtig ausgelegt. Zuweilen wurde er als Verjährungsfrist missverstanden. Neu bezeichnet die Norm den Zeitraum, in dem der Besteller das Werk prüfen und allfällige Mängel rügen muss, durchwegs als «Rügefrist». Damit soll eine allfällige Verwechslung mit der Verjährungsfrist vermieden werden, die den Zeitraum meint, in dem der Besteller seine Rechtsbehelfe (Nachbesserung, Minderung oder den Folgeschaden) aus dem gerügten Mangel durch Klage beim Gericht geltend machen muss. Die zweite Sternbemerkung betraf die Bürgschaft, also die vom Unternehmer beizubringende Sicherheitsleistung nach der Abnahme zur Sicherstellung für seine Haftung wegen Mängeln.

Diese Sicherheit wird häufig mit einem Garantieschein einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft bestellt. Auch diese Sternbemerkung wurde eliminiert und der bisherige Text von Artikel 181 neu formuliert.

Nicht zu vergessen sind auch Gesetzesänderungen, die in der Norm aktualisiert werden mussten – etwa, dass sich seit 1977 das öffentliche Vergaberecht oder die Zivilprozessordnung geändert haben. Zum Beispiel haben wir die bisherige Bestimmung mit ihrer standardisierten Gerichtsstandsklausel leicht angepasst (Artikel 37). Ausserdem kannte man vor 30 Jahren kein eigentliches Beschaffungsrecht; man behalf sich mit der SIA-Norm 117.

In den revidierten Bestimmungen gibt es jetzt einen klaren Verweis darauf, dass beim Bauen mit der öffentlichen Hand das öffentliche Vergaberecht vorbehalten bleibt. Zu präzisieren waren auch die Bestimmungen über die gesetzlichen Abgaben – 1977 hatten wir ja noch die Warenumsatzsteuer (Wust). Um Missverständnisse zu vermeiden, wird in der Norm neu festgehalten, dass bei den offerierten Preisen, wenn vertraglich nichts anderes festgelegt ist, die Mehrwertsteuer als nicht eingerechnet gilt. Allerdings muss jetzt der einfache Anwender, der einmal im Leben baut, daran erinnert werden, dass zum Festpreis, der im Regelfall als Pauschal- oder Globalpreis oder als Einheitspreis pro Menge ausgestaltet ist, die Mehrwertsteuer hinzukommt. Dieselbe Präzisierung wurde beim Aufwandpreis – also den Regieansätzen – eingefügt.

TEC21: Es sind also eher Übersetzungshilfen, das zu sagen, was ursprünglich gemeint war.

R. H.: So könnte man es sehen. Es gibt aber durchaus Kritiker, die einzelne Punkte des geänderten Normtextes bemängeln, und zwar speziell diese in den Normtext integrierten Sternbemerkungen. Sie monierten etwa, dass die gewünschte Klarstellung nicht erreicht sei. Kritisiert wird namentlich die Regelung der Solidarbürgschaft, weil nach wie vor nicht klar sei, ob die Bürgschaft für zwei oder für fünf Jahre nach Abnahme gestellt werden müsse. Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht ferner darin, dass die Norm, die ja eine Branchenbedingung sei, die Mehrwertsteuer nicht inkludiere. Das sei eine überraschende und konsumentenfeindliche Klausel. Mit einer solchen Bestimmung müsse eine Bauherrschaft, die nureinmal im Leben baue, nicht rechnen, zumal im täglichen Leben die Preise inklusive Mehrwertsteuer angegeben werden müssen. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass Artikel 83, der auf Regeln des Bauhandwerkerpfandrechts im Zivilgesetzbuch verweist, nicht mehr aktuell sei, weil seit Anfang 2012 eine Gesetzesanpassung in Kraft ist (TEC21 45/2011, S. 42).

Da die Arbeit der Revisionskommission bereits 2010 abgeschlossen war, konnte sie diese Anpassung nicht vorwegnehmen. Allerdings ist die Formulierung von Artikel 83 mittlerweile noch angepasst worden. Manche Kritiker fordern auch eine Gesamtrevision, die Juristen in einer wissenschaftlichen Herangehensweise hätten machen sollen – einen grossen Wurf.

TEC21: Hätte man damit nicht den Praxisbezug verlassen?

R. H.: Das möchte ich nicht unterstellen. Auch eine umfassende Revision hätte Rücksicht auf die Praxis nehmen müssen. Aber bis in der Schweiz ein grosser Wurf gelandet werden kann, geht in der Regel viel Zeit ins Land. Es stellt sich auch die Frage, ob man ein solches Revisionsvorhaben in einem vernünftigen Zeitraum bewältigen kann. Die Aufgabe der Redaktionskommission war durch den SIA klar vorgegeben: Man hat uns Zeit und Kompetenz für eine sanfte Renovation eingeräumt, unter Beibehaltung der Gleichgewichte, und genau das haben wir auch gemacht. Die entscheidende Maxime für die Kommissionsarbeit war, jene Anpassungen in Angriff zu nehmen, bei denen Aussicht bestand, in vernünftiger Frist zu einer Einigung zu kommen, die das bestehende Gleichgewicht wahrt. Ohne diese Vorgaben hätte durchaus ein Dammbruch passieren können. Es galt zu vermeiden, dass entweder die Bauherren- oder die Unternehmerseite ihre Interessen durchsetzt oder die Revision insgesamt scheitert. Unsere Messlatte war, das Notwendige und Zweckmässige zu machen, aber nicht mehr.

TEC21: Auf welche Punkte müssen die Planer jetzt genau schauen?

R. H.: Es gibt keine entscheidenden Änderungen zu ihrem Nachteil. Aber es gibt natürlich Punkte, die für sie schon immer wichtig waren und es auch weiterhin sind: Zum Beispiel korrespondieren die Regelungen über das Vertretungsverhältnis des Planers zur Bauherrschaft in der SIA-Norm 118 nicht mit den Vertretungsregeln der SIA-Ordnungen 102, 103, 108 und 112.2 Das ist – wie bisher auch schon – ein Knackpunkt, der häufig zu Diskussionen und Streitigkeiten Anlass gibt. Des Weiteren ist der Planer der Vertreter der Bauherrschaft, er ist also verpflichtet, alles zu tun, um die Interessen seiner Bauherrschaft zu wahren. Wenn als Folge der neuen Bestimmungen nun noch vermehrt auf Qualitätsmanagement geachtet wird, hat er jetzt mehr Werkzeuge in der Hand, um das Bauwerk von seiner Entstehung bis zur Abnahme zu überwachen und zu kontrollieren. Insofern ist jeder Planer gut beraten, wenn er sorgfältig studiert, was die Anpassungen für ihn bedeuten und welche Konsequenzen damit verbunden sein könnten.

TEC21: Übernehmen die Planer damit auch zusätzliche Verantwortung?

R. H.: Die Rechtsprechung wird zeigen, ob aus den angepassten Bestimmungen zum QM eine zusätzliche Verantwortung folgen könnte. Letztlich kommt es darauf an, welche Aufgaben der Planer in seinem Vertrag mit dem Auftraggeber übernimmt und ob er sich an dieses Pflichtenheft hält. Abgesehen davon war es bisher schon so, dass der Planer periodische Kontrollen vor Ort durchführen musste und immer dann besonders gefordert war, wenn kritische Bauvorgänge ausgeführt wurden. Ich glaube daher nicht, dass die Bestimmungen zum Qualitätsmanagement eine Ausdehnung der Haftung zur Folge haben werden. Diese Regelung wird durch die Revision höchstens allen Beteiligten ein wenig bewusster.

TEC21: Wie ist die SIA-Norm 118 im europäischen Vergleich einzuordnen?

R. H.: Im europäischen Vergleich sind wir mit der SIA-Norm 118 verwöhnt. Sie ist eine gute, ausgewogene und praxisnahe Norm – das war selbstverständlich schon vor der Revision so – und hat eine breite Akzeptanz in der Schweiz. Bei grösseren Bauvorhaben wird sie zu mehr als 90 % angewendet, obwohl es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen ohne jeglichen gesetzesähnlichen Charakter handelt. Sie ergänzt die recht rudimentären Regelungen des gesetzlichen Werkvertragsrechts, also die Artikel 363 bis 379 des Obligationenrechts, in den meisten Fällen passend und praxisbezogen. Und das nicht nur für den Baumeister, sondern auch für viele weitere Gewerke und – mit gewissen Anpassungen – auch für General- oder Totalunternehmer.

Die deutsche Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) hat im Teil B ein sehr ähnliches Gerippe wie die SIA-Norm 118. Auch die entsprechende ÖNorm B2110 in Österreich ist ähnlich aufgebaut, und beide haben auf viele Fragen vergleichbare Lösungen gefunden. Im internationalen Vergleich zu erwähnen sind noch die Bestimmungen der International Federation of Consulting Engineers (FIDIC), die eher auf dem angelsächsichen Common Law basieren und besonders bei Werkverträgen für grössere Bauvorhaben Berücksichtigung finden (vgl. «‹Wir hätten die SIA 118 erfinden müssen›», S. 23).

Schwächer an der Schweizer Lösung ist, dass es keine wirksame gesetzliche Inhaltskontrolle für Branchenbedingungen gibt, wonach ein Gericht zu einseitige, für eine Partei nachteilige Vertragsklauseln als unwirksam erklären könnte. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Schweiz mit der SIA-Norm 118 faire und ausgewogene Baubedingungen haben. Leider wird die Norm nicht immer im Sinn der reinen Lehre verwendet. Sowohl die private Bauherrschaft als auch die öffentliche Hand nehmen sie häufig als Grundlage, erklären aber zusätzliche Bedingungen für anwendbar, in denen sie mit einseitigen Klauseln versuchen, die Risikoverteilung nach Gesetz und der Norm zum Nachteil der Unternehmer zu verändern. Es gibt aber auch Generalunternehmer, die ihre Subunternehmer, also eigentlich ihre Berufskollegen, durch unvorteilhafte Vertragsklauseln «drücken». Die SIA-Norm 118 ist zuweilen dem Spiel der Kräfte ausgeliefert: Die wirtschaftlich oder politisch mächtigere Vertragspartei obsiegt und schafft es, die Norm mit ihren einseitigen Bestimmungen zu überlagern. In Deutschland hingegen schreibt das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgewogene standardisierte Vertragsbestimmungen vor; Vertragsverfasser riskieren, dass ein Gericht zu einseitige Bestimmungen für unwirksam erklärt.

TEC21: Nimmt die Tendenz zur Abweichung von der Norm SIA 118 zu?

R. H.: Ja. Wir haben zwar eine gute Norm, aber heute ist leider eine Tendenz zu erkennen, die ausgewogenen Bestimmungen der Norm einseitig abzuändern und durch Vertragsklauseln zu überlagern, die eine Partei übermässig benachteiligen. Es gibt aber auch gegenläufige Bemühungen und Entwicklungen. Beispielsweise hat der Bund mit der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherrschaft (KBOB) zusammen mit Bauen Schweiz und weiteren Verbänden die KBOB-Musterverträge aufgestellt.

Diese basieren ebenfalls auf dem System der SIA-Normen und -Ordnungen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Baubeteiligten zumindest an die dort verhandelten Vorgaben halten, um den heutigen Wildwuchs der unzähligen Branchenbedingungen wieder etwas einzudämmen. Allerdings ist die öffentliche Hand heute relativ stark und baut nach den Vergabegesetzen – die Unternehmer haben nur die Möglichkeit, die Bestimmungen der Ausschreibung (inklusive den Werkvertragsbedingungen) in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren, falls sie nicht riskieren wollen, mit ihrem Angebot von der Submission ausgeschlossen zu werden. Dieses Thema wird übrigens bei der 20. Schweizerischen Baurechtstagung Ende Januar 2013 an der Universität Freiburg angesprochen.

TEC21: Gehen die Planer aus Ihrer Sicht professionell mit der Norm SIA 118 um?

R. H.: Ich finde ihren Umgang mit den Normen generell sehr professionell. Die SIA-Norm 118 regelt zwar das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Unternehmer, aber häufig übernimmt ja der Planer für die Bauherrschaft die Vertragsgestaltung. Und auch die Planer empfehlen regelmässig die Übernahme der SIA-Norm 118.

TEC21, Fr., 2013.01.25



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|05-06 Revision Norm Sia 118

15. Juni 2012Alexander Felix
TEC21

Den Hinterhof aufmöbeln

2013 wird die Internationale Bauausstellung (IBA) im Hamburger Stadtviertel Wilhelmsburg dem Publikum präsentiert. Mit insgesamt 60 Projekten soll der bisher vernachlässigte «Hinterhof» auf der Elbinsel entwickelt ­werden. Wie bei keiner IBA zuvor versucht man in Hamburg das Planungs­instrument IBA mit sozialer und energetischer Nachhaltigkeit zu verbinden. Insgesamt werden 1200 neue Wohnungen geschaffen. Wie viele eingesessene Bewohner auf den neuen Weg mitgenommen werden, wird sich weisen.

2013 wird die Internationale Bauausstellung (IBA) im Hamburger Stadtviertel Wilhelmsburg dem Publikum präsentiert. Mit insgesamt 60 Projekten soll der bisher vernachlässigte «Hinterhof» auf der Elbinsel entwickelt ­werden. Wie bei keiner IBA zuvor versucht man in Hamburg das Planungs­instrument IBA mit sozialer und energetischer Nachhaltigkeit zu verbinden. Insgesamt werden 1200 neue Wohnungen geschaffen. Wie viele eingesessene Bewohner auf den neuen Weg mitgenommen werden, wird sich weisen.

Wäre Hamburg 2003 mit seiner Olympia-Bewerbung nicht schon an der innerdeutschen Konkurrenz gescheitert, würden die Olympischen Spiele am 27. Juli 2012 wohl in einem neuen Leichtathletikstadion im Stadtteil Wilhelmsburg gegenüber der Elbphilharmonie eröffnet werden. Stattdessen planten die Verantwortlichen der Stadt, 2013 in Wilhelmsburg eine Internationale Gartenschau (igs) zu veranstalten.

Da aber Bedenken darüber bestanden, ob diese Veranstaltung alleine genügen würde, um die Probleme des lange Jahre als «Hinterhof» vernachlässigten Stadtviertels in den Griff zu bekommen, entschied der Senat der Hanse­stadt 2005, zusätzlich eine Internationale Bauausstellung (IBA) zu veranstalten
(vgl. Kasten S. 20). Der Stadtteil Wilhelmsburg ist der flächenmässig grösste Hamburgs und liegt südlich der Innenstadt auf der grössten Flussinsel Europas zwischen zwei Elbarmen – der Norder- und der Süderelbe (Abb. 1). Auf etwa 35 km2 befinden sich neben weitläufigen ­Arealen des Hamburger Hafens grosse Industriegebiete.

Ausserdem wohnen rund 55 000 Menschen auf der Insel mitten im Grossraum Hamburg. Über weite Flächen hat sich Wilhelmsburg aber einen eher dörflichen Charakter bewahrt.

Entwicklung der Elbinseln

Ursprünglich bestand die Insel aus einem Archipel von gut zwei Dutzend Inselchen, von denen nur eine – das heutige Quartier Kirchdorf – ganzjährig bewohnt war. Durch Eindeichungen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts haben Generationen von Marschbauern die heutige Insel geschaffen. An die ursprüngliche, von Ebbe und Flut geprägte Tide-Auen-Landschaft erinnert heute nur das Naturschutzgebiet Heuckenlock im Südosten.

Durch die Nähe zum Stückguthafen war das Gebiet über lange Zeit eine bevorzugte Wohngegend für einfache Hafenarbeiter. Bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts setzte nach Ankunft eines Bananenfrachters eine kleine Völkerwanderung Richtung Hafen ein, da zur Entladung viele Hände gebraucht wurden.

Bei der Sturmflut von 1962 war Wilhelmsburg das am stärksten betroffene Gebiet. Deiche im Norden der Insel brachen, sodass weite bebaute Gebiete überschwemmt und die Menschen in ihren Häusern eingeschlossen wurden. 200 der 315 Toten in Hamburg wurden in Wilhelms­burg gezählt. In der Folge verstärkte sich eine Diskussion, die seit den 1920er-Jahren geführt wurde: Der westliche Inselteil sollte dem Hafen zugeschlagen und für den Wohnungsbau ganz aufgegeben werden. 1967 beschloss der Hamburger Senat, die Bewohner in neu zu bauende Grosssiedlungen weiter östlich auf der Insel zu übersiedeln. Der Plan wurde ­allerdings nur ansatzweise umgesetzt. Eine Folge der geplanten Aufgabe war ein verstärkter Wegzug des Mittelstandes. Hinzu kam der Strukturwandel im Hafen: Durch die Entwicklung hin zum Containerverkehr wurden immer weniger Arbeiter benötigt, sodass in Wilhelmsburg eine Abwärtsspirale aus Arbeitslosigkeit und Armut entstand.

Sprung über die Elbe

Im Gegensatz zur Konversion der Hafenanlagen auf dem gegenüberliegenden Elbufer zur HafenCity verfolgen die Verantwortlichen der IBA eine Stadtumbaustrategie: Bei der Entwicklung des verhältnismässig kleinen Gebiets der HafenCity wurden ehemalige Industrieflächen komplett umgewandelt, alte Nutzungen entfernt oder verlagert und die freigeräumte Fläche zur Bebauung an Investoren verkauft. Ziel der Strategie in Wilhelmsburg hingegen ist laut Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA Hamburg (vgl. Kasten), ein behutsamer Stadtumbau, der die vorhandenen Infrastrukturen und Menschen berücksichtigt. Dabei geht es um eine nachhaltige Innenentwicklung Hamburgs, die an zentralen, aber unterentwickelten Orten, den sogenannten inneren Peripherien, ansetzt und so die wenigen noch vorhandenen innerstädtischen Entwicklungspotenziale nutzt.

Anstelle von akupunkturartigen Stadtverbesserungsmassnahmen wie jenen der IBA in Berlin 1984 oder der Separationsstrategie der Moderne setzt die IBA Hamburg auf eine integrierte Planung der Nutzungsmischung und eine enge Verwebung verschiedener Massnahmen. Ein punktuelles Vorgehen könne, laut Hellweg, die Probleme heute nicht mehr lösen, sondern es seien wie in der klassischen Moderne grossflächige, strategische Planungen nötig. Allerdings nicht mehr als Erweiterung vor der Stadt, die neue suburbane Peripherien schaffe, sondern als Entwicklung einer ökologischen Moderne – wie es Hellweg formuliert –, die grossmassstäblich innerhalb der bestehenden Stadt Probleme löse.

Zu Beginn der IBA-Planungen wurden diese Ansätze zu drei Leitthemen verdichtet, die im Mittelpunkt der Planungen, Prozesse und Dialoge stehen:
– Kosmopolis: Auf soziokultureller Ebene soll die IBA zeigen, welchen Gewinn eine inter­nationale Stadtbevölkerung für eine Metropole bedeuten kann, wenn nach neuen Wegen des Zusammenlebens gesucht wird.
– Metrozonen: Auf der Ebene des Städtebaus soll die IBA demonstrieren, wie «innere Peripherien» (Infrastrukturen und Industrieareale) zu mehrschichtig attraktiven Orten entwickelt werden können.
– Stadt im Klimawandel: Hier soll vorgeführt werden, wie eine Stadt wachsen kann und die Umwelt und das Klima dennoch möglichst wenig belastet werden. Ausserdem soll die IBA zeigen, wie eine Stadt am Wasser den Folgen des Klimawandels begegnen kann (vgl. S. 27).

Die Umsetzung der Leitthemen erfolgt von der kleineren Elbinsel Veddel im Norden über ganz Wilhelmsburg verteilt bis in den Harburger Binnenhafen im Süden. Dieser Beitrag
fokussiert auf die zwei unterschiedlichen Schwerpunkte Reiherstiegviertel und neue Mitte Wilhelmsburg (Abb. 2).

Umbau im Reiherstiegviertel

Das Reiherstiegviertel (Abb. 3) westlich der Reichsstrasse – und damit nach 1962 zur Aufgabe vorgesehen – ist ein Quartier, dessen Bevölkerung einen sehr hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund aufweist: durchschnittlich 55 %, unter Jugendlichen sogar über 70 %. Im Quartier wohnen Menschen aus über 70 Ländern, und das Strassenbild bietet eine bunte Mischung – vom türkischen Bäcker über afrikanische Läden bis zum portugiesischen Fischlokal. Aus den Zuwanderern von gestern sind die Ladenbesitzer von heute geworden – und die Pensionierten von morgen. Hier setzt das Projekt Veringeck an: Die Altenpflegeeinrichtung hat sich auf die Bedürfnisse von türkischstämmigen Wilhelmsburgern spezialisiert und bietet eine ambulante Tagespflege, seniorengerechte Wohnungen und eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft für demenzkranke türkische Senioren an. Im Erdgeschoss befinden sich ein öffentliches Café und ein türkisches Dampfbad (Abb. 4).

Weiter südlich, auf der Vering- und der Weimarer Strasse, gelangt man in das sogenannte Weltquartier, eine ehemalige Arbeitersiedlung aus den 1930er-Jahren, die sich wie etliche Siedlungen in Wilhelmsburg im Besitz der gemeinnützigen städtischen Siedlungs-Aktiengesellschaft SAGA GWG befindet. Zusätzlich zu einer energetischen Sanierung wurden die Wohnungsgrössen und -grundrisse an heutige Bedürfnisse angepasst. Die für das Hamburger ­Strassenbild charakteristischen Backsteinfassaden erhielten nach langen Diskussionen eine Aussendämmung, die mit roten Klinkerriemchen verkleidet wurde. Zur Erweiterung der Wohnflächen wurde eine Balkonzone an die Häuser angebaut, deren Verkleidung – aus ­Kosten- und Unterhaltsgründen – aus Schichtpressstoffplatten mit Holzoptik besteht. Auf dem neu gestalteten Weimarer Platz mitten in der Siedlung wurde ein Pavillon errichtet, der flexibel nutzbare Räume für verschiedene Nachbarschaftsaktivitäten bietet (Abb. 5 – 6).

Von den 820 Wohnungen der Siedlung sind 753 Teil des IBA-Sanierungskonzepts. Insgesamt werden 67 Wohnungen modernisiert, 402 umgebaut und 284 Wohnungen im Passivhaus­standard neu gebaut. Der Primärenergiebedarf im Quartier soll dadurch von 300 auf 71 kWh/m2 im Jahr sinken. Entsprechend der IBA-Qualitätsvereinbarung und gemäss Aus­sage der SAGA sollen nach dem Umbau alle Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren können. Laut aktuellen Zahlen der IBA wohnen in den bislang rund 150 fertiggestellten ­Wohnungen 38 % Rückkehrer (d.h. Mieter, die weggezogen und wieder zurückgezogen sind) und 60 % Mieter, die aus anderen Bauabschnitten des Weltquartiers in die fertiggestellten Wohnungen umgezogen sind. Die autonomen Gentrifizierungsgegner vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU), die sich sehr kritisch mit der IBA auseinandersetzen, befürchten in ­ihrem Blog[1] hingegen, dass bis zu 80 % der Menschen nicht mehr zurückkehren werden, da sie sich die Mieten der grösseren, modernisierten Wohnungen nicht leisten können. Zudem kritisiert der AKU die von der IBA durchgeführten Bewohnerbeteiligungen als «oberflächlich».

Aus immobilienwirtschaftlicher Sicht weist der Wohnungsbestand im Reiherstiegviertel im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt einen deutlichen qualitativen Rückstand auf. Daher ist das Umbauprinzip, das im Rahmen der IBA verwirklicht wird, hier deutlich zu sehen. Dennoch tritt die IBA mit dem Slogan «Wohnen heisst bleiben» an. Um dieses Ziel zu kontrollieren, setzt die IBA auf ein eigenes Monitoring. Zudem verfügt die Stadt Hamburg mit einer Erhaltungssatzung über ein Instrument, Modernisierungsverdrängung zu verhindern.

Gezielt neue Bewohnerschichten ins Quartier locken soll hingegen der idyllisch am Nordrand des Quartiers gelegene Wohnungsneubau «Open House». Der im Grundriss Y-förmige ­Baukörper mit 44 Wohnungen wurde von einem Investor, einer Genossenschaft und einer Baugemeinschaft gemeinsam errichtet. Entsprechend beherbergt jeder Gebäudeflügel unterschiedliche Wohnungstypen – von öffentlich geförderten Mietwohnungen bis zu frei finanzierten Stadthäusern. Um die Einbindung ins Quartier zu fördern, befindet sich im Zentrum ein Gemeinschaftsraum, der von den Bewohnern und Nachbarn aus dem Quartier für verschiedene Aktivitäten gemietet werden kann (Abb. 8 – 9).

Am angrenzenden Rotenhäuser Feld entsteht ein Sprach- und Bewegungszentrum, um speziell die Integration von Zuwanderern und ihren Kindern zu verbessern. Bewohner aller Altersgruppen können dort Deutsch und andere Sprachen in Kombination mit Bewegung lernen. Eine grosse Sporthalle, Bewegungs- und Seminarräume sowie ein Café sollen dieses Haus zu einem Ort der Vernetzung machen (Abb. 7).

Neubauschwerpunkt Wilhelmsburg Mitte

Als weiterer Bildungsschwerpunkt entsteht in Wilhelmsburg Mitte das Schulzentrum «Tor zur Welt» (Abb. 10). Es vereint drei Schulen und verschiedene weitere Bildungs- und Beratungseinrichtungen an einem zentralen Ort. Das Herz der Anlage bildet ein Multifunktionszentrum. Hier finden Erwachsenenbildung, Familienförderung, Jugendhilfe und Schulberatung statt. Ein Elterncafé soll als informeller Treffpunkt dienen. Daneben verköstigt künftig eine Kantine die etwa 1400 Schüler, Lehrer, Mitarbeiter und Gäste. Neben Kunst- und Musikräumen ­entsteht zudem ein grosser Veranstaltungsraum mit Bühne, mit dem das «Tor zur Welt» zugleich auch ein Begegnungsort für das Quartier wird.

Westlich des Bahntrassees und vom modernisierten S-Bahnhof Wilhelmsburg aus über eine Fussgängerbrücke (Abb. 11) angebunden befindet sich das neue Dienstleistungs- und ­Verwaltungsgebäude der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) von Sauerbruch Hutton Architekten und den Gebäudetechnikern Reuter Rührgartner (Abb. 23). Der Neubau ist das grösste Hochbauprojekt im Rahmen der IBA: Der Bau besteht aus einem gut 45 m ­hohen Turm mit zwölf Etagen und zwei fünf- bzw. sechsgeschossigen Flügelbauten. Auf einer Bruttogeschossfläche von etwa 61 000 m² entstehen über 1000 Arbeitsplätze. Das Verwaltungsgebäude mit seinen farbenfrohen Fassaden erreicht durch die Verknüpfung von aktiven und passiven Massnahmen einen Primärenergieverbrauch von 70 kWh/m2 (DNGB-Zertifizierung «Gold» für die Entwurfsphase). Ein weiträumiges öffentliches Foyer empfängt die Besucher und dient künftig zur Präsentation des über 100 m² grossen Hamburger Stadtmodells.

Im Bereich des Zugangs zur Internationalen Gartenschau (igs) 2013 stellt die IBA auf vier Themenfeldern Modelle für den Wohnungsbau im 21. Jahrhundert vor. Diese «Bauausstellung in der Bauausstellung» soll mit realisierten Fallstudien Anschauungs- und Diskussionsobjekte liefern und idealerweise eine neue Bautypologie begründen, wie die zunächst hoch umstrittenen «case study houses» im Nachkriegsamerika.

Die Bauausstellung widmet sich vier Themenbereichen, für die mehrstufige, an Investoren, Planer und Materialhersteller gerich­tete Auswahlverfahren durchgeführt wurden, mit dem Ziel einer Teambildung für die Umsetzung. Obwohl bislang fast nur Baustellen zu sehen sind, sollen die Häuser rechtzeitig zum IBA-Jahr 2013 fertiggestellt sein. Insgesamt bildet die Bebauung dieser Sonderausstellung ein lockeres Schachbrettmuster, das als urbaner Park das grüne Erbe von Wilhelmsburg bewahren will. Drei «Smart Material Houses» zeigen neuartige Materialien in der Anwendung. Die Fassaden sind bei einem Wohnhaus mit Bioreaktoren bestückt – plattenförmigen Glas­elementen an Südwest- und Südostfassade, in denen Mikroalgen zur Biomasseproduktion wachsen. Bei einem weiteren Projekt dienen begrünte Fassadenelemente als sommerlicher Hitzeschutz, die im Gebäudeinneren durch Latentwärmespeicher (PCM) unterstützt werden. Blickfang eines dritten Prototyps sind flexible Fotovoltaikelemente (Abb. 12 – 14). Mit vier «Smart Price Houses» führt die IBA Lösungen für kostengünstiges innerstädtisches Bauen vor. Bis auf einen Bau setzten alle Beispiele auf vorgefertigte Holzkonstruktionen mit familien­freundlichen Grundrissen. Das radikalste Konzept setzt auf den Selbstausbau: Es werden nur das Betontragwerk sowie die Kerne zur Verfügung gestellt, und die künftigen Bewohner bauen sich ihre Einheit samt Fassade selbst aus (Abb. 15 – 18).

Wie Wohnen und Arbeiten von morgen aussehen können, zeigen drei «Hybrid Houses», die an wechselnde Bedürfnisse der Benutzer angepasst werden können: Ein Projekt erzeugt die Flexibilität durch verschieden ausgerichtete Einheiten, die nach Bedarf kombiniert werden können, während das andere Konzept auf einer doppelten Erschliessung basiert und so das Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten in einem Haus ermöglicht. Ein weiteres Hybrid House wurde bereits im Herbst 2011 fertiggestellt und dient der igs als Ausstellungs- und Verwaltungszentrum. Nach dem Ausstellungsjahr kann es als Büro- oder Wohnhaus weiter genutzt werden (Abb. 19 – 21).

Die «Water Houses» präsentieren ein Konzept für das Bauen mit Wasser. Leider überzeugt das Konzept ökologisch nur teilweise: In einem neu geschaffenen Regenwasserbecken entsteht ein Gebäudeensemble aus vier Kuben mit jeweils drei dreigeschossigen Wohnungen und einem neungeschossigen Turm mit 22 Wohnungen, die allerdings nur so aussehen, als ob sie im Wasser schwimmen würden (Abb. 22). Die Wassernähe ist hauptsächlich ein attraktives gestalterisches Element, während die Beschäftigung mit Bauen in hochwasser­gefährdeten Gebieten bzw. Überflutungsflächen nach der Verlegung der Reichsstrasse bei den Klimahäusern Haulander Weg im Wilhelmsburger Süden zum Thema wird (vgl. S. 31).

Komplettiert wird Wilhelmsburg Mitte durch den Wohn-, Dienstleistungs- und Hallenkomplex am Eingang der Gartenschau mit insgesamt 35 000 m² Bruttogeschossfläche. Neben einem neuen Schwimmbad entstehen eine Sporthalle, das Wälderhaus, das Haus der Inselaka­de­mie, zwei weitere Wohngebäude, ein Seniorenzentrum und ein Ärztehaus (Abb. 11).

Ein Strassenraum wird freigespielt

Wie ein Nebenprodukt der IBA wird in Wilhelmsburg mit der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstrasse auch ein grosses Infrastrukturprojekt realisiert (Abb. 11): Der Stadtteil wird heute in Nord-Süd-Richtung von der Wilhelmsburger Reichsstras­se (knapp 60 000 Fahrzeuge pro Tag) und einem stark befahrenen Bahntrassee durchschnitten, die nur rund 400 m voneinander entfernt liegen, und weiter im Osten von einer Autobahn (ca. 130 000 Fahrzeuge pro Tag). Schon vor einigen Jahren äusserten Bewohner den Wunsch, die Strasse zum Bahn­trassee hin zu verlegen. Den Stein ins Rollen brachte der Instandsetzungsbedarf der Reichsstrasse, vor allem aufgrund des schlechten Zustandes einiger Brücken. Im Rahmen der Instandsetzung für 60 Mio. Euro hätte man die Reichsstrasse gleichzeitig den heute geltenden Standards anpassen, von derzeit 14 auf 26 m verbreitern und mit Lärmschutzeinrichtungen ausrüsten müssen. Ausserdem wäre die bereits teilweise erhöht auf einem Damm verlau­fende Strasse zu einer noch massiveren städtebaulichen Barriere geworden. Wie Uli Hellweg erläutert, habe die IBA daher den Vorschlag einer Verlegung der Reichsstrasse wieder in die Diskussion eingebracht und den Hamburger Senat davon überzeugen können, dass das Geld so besser investiert sei.

Die Strasse soll nun – der alten Bewohneridee entsprechend – an die westliche Seite des Bahntrassees verlegt werden, da dieses nicht mehr in voller Breite benötigt wird. Damit auch für die Anwohner der Bahnlinie keine Verschlechterung eintritt, werde die Stadt Hamburg ergänzend zu den vom Bund finanzierten Lärmschutzmassnahmen ­entlang der Strasse zusätzliche Lärmschutzmassnahmen entlang der Bahnlinie ergreifen, erläutert Hellweg. Dies soll die Lebensqualität von rund 7000 Menschen verbessern. Trotzdem sind einige Anwohner skeptisch und befürchten – unter Berufung auf eine Stellungnahme der Verkehrspolizei – eine mögliche Zunahme des Verkehrs allgemein und eine zusätzliche Belastung einiger Wohnstrassen im nördlichen Anschlussbereich.

Nach der Verlegung 2015/16 kann der südliche Abschnitt der alten Wilhelmsburger Reichsstrasse rückgebaut werden, sodass ein zusammenhängender Stadtpark entsteht, wie etliche Landschaftsarchitekten im Wettbewerb für das Gartenschaugelände vorgeschlagen hatten. Im nördlichen Teil wird die Strasse als ebenerdig verlaufende Erschliessungsstrasse zurückgebaut. Mit diesen Massnahmen wird ein fast 124 ha grosses Gebiet freigespielt, in dem sich die Lebensqualität der Anwohner verbessern wird und wo neuer Wohnraum entstehen kann.

Bedenken trotz sanfter Tour

Um Wilhelmsburg zu entwickeln, hat die Stadt Hamburg mit der IBA eines der stärksten Werkzeuge gewählt, das die deutsche Baukultur kennt. Obwohl die Bürgerbeteiligung dabei mehr Raum erhielt als bei vorangegangenen Bauausstellungen, regt sich auch Widerstand.

Etliche Bewohner nehmen die IBA als Mittel zur Gentrifizierung ihres Stadtteils wahr. Tatsächlich ist wohl unvermeidbar, dass die durch die IBA angestossenen Massnahmen die Attraktivität des «Hinterhofs» erhöhen und so zumindest mittel- und langfristig deutliche Auswirkungen auf den dortigen Immobilienmarkt haben. Die Inszenierung der IBA wird zudem die Aufmerksamkeit – nicht nur vieler Hamburger – auf Wilhelmsburg lenken und so für weiteren Zuzug sorgen. Deshalb weisen IBA-Kritiker auf andere Hamburger Planungsinstrumente wie das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) hin, das weniger öffentlichkeitswirksam funktioniert. Es ist hinsichtlich Analyse und Konzepten durch ähnlich komplexe Handlungsansätze geprägt wie eine IBA und bündelt die Anstrengungen der Fachbehörden und Bezirksämter gebietsbezogen.

Die sozialen Veränderungen sind trotz IBA-Monitoring der Immobilienentwicklung und mög­licher Erhaltungssatzungen seitens der Stadt nicht aufzuhalten und wohl auch erwünscht. Dabei wird sich die IBA daran messen lassen müssen, inwiefern sie ihr eigenes Motto ­«Wohnen heisst bleiben» auf längere Sicht einlöst und die eingesessenen Bewohner auf den eingeschlagenen Weg mitnehmen kann.

Für erstaunlich leise Kritik sorgt auch die Tatsache, dass im Rahmen der IBA keine längerfristigen Verdichtungsperspektiven entwickelt wurden, die sinnvoll mit der ÖV-Erschliessung verknüpft sind, sondern dass man darauf setzt, noch vorhandene Freiflächen im Süden mit relativ lockeren Baustrukturen zu besetzen.

Allerdings ist nicht auszudenken, wie eine Olympiade über Wilhelmsburg hereingebrochen wäre. Die Umstrukturierung wäre vielleicht – ähnlich wie in London – radikaler erfolgt und die Entwicklung für das Quartier weniger flächendeckend und nachhaltig ausgefallen.


Anmerkung:
[01] http://aku-wilhelmsburg.blog.de/

TEC21, Fr., 2012.06.15



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TEC21 2012|25 IBA Hamburg

28. Oktober 2011Alexander Felix
TEC21

Insel in der Vorstadt

Mit der Siedlung «Klee» haben die Zürcher Architekten Knapkiewicz Fickert den letzten Baustein im Stadterweiterungsgebiet «Ruggächer» in Affoltern gesetzt. Ihr Hoftyp für zwei Baugenossenschaften versucht, eine urbane Insel in der vorstädtischen Nachbarschaft auszubilden. Die gekonnte Organisation der Wohnungstypen zeugt von der intensiven Beschäftigung mit zeitgemässem Wohnen.

Mit der Siedlung «Klee» haben die Zürcher Architekten Knapkiewicz Fickert den letzten Baustein im Stadterweiterungsgebiet «Ruggächer» in Affoltern gesetzt. Ihr Hoftyp für zwei Baugenossenschaften versucht, eine urbane Insel in der vorstädtischen Nachbarschaft auszubilden. Die gekonnte Organisation der Wohnungstypen zeugt von der intensiven Beschäftigung mit zeitgemässem Wohnen.

Mit der Entwicklung des Gebiets «Ruggächer» konnten sich die Architekten Kaschka Knapkiewicz und Axel Fickert nicht anfreunden, als sie sich mit dem Entwurf der Siedlung «Klee» als letztem Baustein im Quartier befassten. Sie fanden verschiedene Punkt- und Riegelbauten unterschiedlicher Qualität vor, wie sie typisch sind für «Aggloarchitektur» – Einzelobjekte, die beziehungslos nebeneinanderstehen und keinen städtischen Raum schaffen. Um in dieser Vorstadt am Rand von Zürich urbanen Raum zu installieren, entwarfen die Architekten 2006 im Projektwettbewerb, an dem zwölf eingeladene Teams teilnahmen, eine zusammenhängende Grossform, die aus dem üblichen Bebauungsmuster im Gebiet

«Ruggächer» heraussticht. Von oben betrachtet erinnert Knapkiewicz Fickerts Entwurf aus drei verschnittenen Rechtecken an ein stilisiertes dreiblättriges Kleeblatt. Ein verhältnismässig dünner sieben- bis achtgeschossiger Häuserrand fasst einen Hof, der die Vereinigungsmenge der unregelmässigen Rechtecke bildet. Diese Variation des Blockrandthemas soll das neue, schnell gewachsene und gestalterisch heterogene Quartier «Ruggächer» zentrieren und städtische Aussenräume schaffen.

Grossform mit Aussen- und Binnenwirkung

Die Baugenossenschaft Hagenbrünneli aus Zürich und die Gemeinnützige Bau- und Mietergenossenschaft Zürich teilen sich die Bauherrschaft für die Siedlung. Entsprechend komplex ist das Wohnungsprogramm, das die Architekten – ihrer Setzung entsprechend – in einem Haus zu organisieren hatten. Insgesamt 340 Wohneinheiten beherbergt der «Klee», zwei Gemeinschaftsräume, eine Kinderkrippe, ein Fussballplatz mit Klubhaus und mehrere Ateliers und Gewerberäume runden das Angebot an öffentlichen Räumen im Erdgeschoss ab.

Die Siedlung besetzt die ganze Parzelle, allerdings sind drei Ecken nach innen gewinkelt. Ausserhalb des Blockrands weitet sich durch diese Einschnürungen der Strassenraum zu drei Plätzen. Von dort aus gelangt man über diagonal durch das Haus geführte Durchgänge in den Hof. An diesen mit einem Stützenwald aus skulptural geformten Betonstützen begleiteten Zugängen liegen Gemeinschaftsräume und zweigeschossige Sonderwohnungen. Zugleich entstehen im Inneren der Anlage drei Hofräume, die ineinander übergehen. Statt eine riesige freie Fläche zu schaffen bildet der Innenhof das Herz der Siedlung, er erschliesst alle Wohnungen und ist – idyllisch begrünt mit niederstämmigen Baumgruppen – gemeinsamer Park mit Spielplätzen und Sitzgruppen.

Wohnungen

Die Wohnungen sind durchdacht organisiert, nicht zu gross und für Zürcher Verhältnisse recht günstig: So kostet eine 4.5-Zimmer-Wohnung mit 108 m² im Monat etwa 2100 Franken (GBMZ) bzw. 2300 Franken (BGH). Die Siedlung «Klee» beherbergt 256 3.5- und 4.5- Zimmer-Wohnungen – hinzu kommen noch 51 2.5- sowie 33 5.5-Zimmer-Wohnungen. Die Einheiten teilen sich die zwei Genossenschaften etwa hälftig. Da die eine auf Familien, die andere auf Singles und Paare ausgerichtet ist, setzen sie ihrem Profil entsprechend etwas unterschiedliche Verteilungen um und haben verschiedene Anforderungen an die Grösse und den Standard der Wohnungen. Die Wohnungen sind – bis auf jene in den Gebäudeecken – zweiseitig orientiert und nehmen so am Leben auf der Hof- und auf der Quartiersseite teil. Die Grundrisse sind diagonal durch die Gebäudetiefe organisiert und folgen weitgehend bewährten Grundrissfiguren.

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Layouts: Entweder sind die Wohn-Ess-Räume als fliessende Allräume mit offenen Küchen angelegt, oder in den Wohnungen sind Essküche und Wohnzimmer getrennt ausgebildet. Jeweils zwei übereinander liegende Wohnungen bilden dabei eine Einheit: Die untere Wohnung hat eine grosszügige zweigeschossige Loggia, die obere verfügt über einen weit auskragenden Balkon. Entweder öffnet sich der zentrale Wohnraum auf eine zweigeschossige Loggia oder die Küche auf einen Balkon. In letzterem Fall erfolgt die Belichtung über eine transluzente Eckverglasung des Wohnraums, ohne dass man auf den Freisitz des unteren Nachbarn blicken kann. So dienen die übergrossen Loggien beiden Parteien: der einen als – für eine Geschosswohnung – sehr grosszügiger Aussenraum und der anderen als zusätzliche Tageslichtöffnung.

Eine weitere Besonderheit findet sich auf dem Dach: Entgegen dem üblichen Standard befinden sich ganz oben keine luxuriösen Dachwohnungen, sondern eine Neuinterpretation der alten Zürcher Zinnen. In pavillonartigen, hölzernen Dachaufbauten sind die gemeinschaftlichen Waschküchen untergebracht. Vorgelagerte Terrassen und ein weiterer Gemeinschaftsraum sorgen dafür, dass das Dachgeschoss der Gemeinschaft dient. Lediglich bei der BGH sind die Dachräume einigen Wohnungen zugeschlagen. Der ursprünglich geplante Rundgang über das gesamte Dach wurde aus Kostengründen bislang nicht realisiert.

Kolossale Fassade

Am spannendsten am Projekt «Klee» war für die Architekten dessen Grösse und die damit verbundene Beherrschung des Massstabs im Grossen wie im Kleinen. Der Schwerpunkt bei der Suche nach dem angemessenen architektonischen Ausdruck der ganzen Anlage lag auf der Gliederung und Proportionierung der Fassade gegen den Hof und das Quartier. Als Inspiration wirkten sowohl Beispiele von jemenitischen Lehmfassaden als auch klassische Fassadengliederungen (z. B. von Giovanni Muzio), die durch Zusammenfassung von mehreren Geschossen die Gebäudehöhe kaschieren. An Ersteren interessierte die Architekten die netzartige Bemalung, die an textile Muster oder klassische Lisenen erinnert und dadurch die darunterliegenden, ohne erkennbare Ordnung angelegten Fassaden strafft und gliedert. Die gewählte Farbigkeit lässt dabei an Le Corbusier denken oder weckt leise Erinnerungen an die 1970er-Jahre. Ausserdem erscheint die Fassadengestaltung wie eine Weiterentwicklung des Motivs der Wohnüberbauung «Lokomotive» in Winterthur, übertragen auf ein Wärmedämmverbundsystem.

Wie bei der inneren Organisation sind auch bei der Fassadengestaltung jeweils zwei Stockwerke zusammengefasst. Die zweigeschossigen Loggien fassen im Zusammenspiel mit graugrünen, zum Teil kannelierten Putzflächen auf hellem Grund jeweils zwei Etagen zusammen. Die Farbe gliedert die Höhe des Blocks, sie gibt ihm einen Sockel und einen oberen Abschluss. Auf den ersten Blick erscheint das Muster seriell – auf den zweiten Blick bemerkt man, dass das Grundraster in vielen Spielarten variiert wird: Mal sieht man eingeschossige Loggien, dann wieder sind einzelne Fenster anders gesetzt oder die farbigen Putzflächen gegeneinander verschoben.

Die Siedlung «Klee» ist eine gut gestaltete und organisierte Wohninsel in der Vorstadtumgebung. Wie im übrigen «Ruggächer» auch fehlt zur Stadt jedoch eine grössere Nutzungsvielfalt – Kindergärten in den Erdgeschossen können lebendige Ladenzeilen einfach nicht ersetzen. So bleibt trotz «Klee» und seiner Ausstrahlung auf die Nachbarschaft bislang noch der Eindruck von Vorstadt an Zürichs Nordküste.

TEC21, Fr., 2011.10.28



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TEC21 2011|44 Zürcher Nordküste

14. Januar 2011Alexander Felix
TEC21

Stabile Traditionen finden

Technisches Wissen auf Ingenieurniveau allein garantiert noch kein erdbebensicheres Bauen. Das Wissen muss in der richtigen Form zu den richtigen Leuten gelangen – vor allem in Ländern mit einem Grossteil Selbstbauten. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) war beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Pakistan dabei und ist zurzeit in Haiti aktiv. Rückgriffe auf traditionelle regionale Bauweisen können dabei helfen, Neubauten technisch und kulturell angepasster und erdbebensicherer zu machen.

Technisches Wissen auf Ingenieurniveau allein garantiert noch kein erdbebensicheres Bauen. Das Wissen muss in der richtigen Form zu den richtigen Leuten gelangen – vor allem in Ländern mit einem Grossteil Selbstbauten. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) war beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Pakistan dabei und ist zurzeit in Haiti aktiv. Rückgriffe auf traditionelle regionale Bauweisen können dabei helfen, Neubauten technisch und kulturell angepasster und erdbebensicherer zu machen.

Vor einem Jahr, am 2.1.2010, erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7.0 etwa 35 Sekunden lang die Region um Port-au-Prince auf Haiti. Mindestens 180 000 Menschen wurden dabei getötet, und etwa 2.5 Millionen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem Gebiet, in dem laut Mercalli-Skala deutliche bis massive Gebäudeschäden auftreten. Hinzu kommt, dass in dem seit Jahrzehnten politisch zerrütteten armen Karibikstaat zahlreiche – auch moderne – Bauten aufgrund ihrer schlechten Bauausführung besonders instabil waren. Seit Juli 2010 ist die Deza mit einem «Centre de Compétence pour la Reconstruction» (CRR) vor Ort, um mit Partnern zusammen über die akute Nothilfe hinaus einen langfristigen Wiederaufbau zu initiieren. Dem Architekten Tom Schacher kommt dabei die Erfahrung zugute, die er bei seinen früheren Einsätzen in Erdbebengebieten sammeln konnte. Besonders der Wiederaufbau in Pakistan nach dem Erdbeben in Kaschmir vom 8.10.2005 zeigt exemplarisch, wie wichtig eine angepasste Kommunikation ist.

Theorie und Wirklichkeit

Die meisten Bauten in armen Ländern werden mit einfachsten und billigsten Mitteln von kleinen Bauunternehmungen oder von den Bauherren selbst ausgeführt – Ingenieure sind in den seltensten Fällen beteiligt. Oft werden dabei moderne westliche Bauformen mit Fortschritt gleichgesetzt, obwohl viele dieser Gebäude hinsichtlich der Erdbebensicherheit bei mangelhafter Ausführung besonders gefährlich sind. Das führt zu der absurden weltweiten Situation, dass erdbebensicheres Bauen heute zwar so gut erforscht ist wie nie zuvor, die Verwundbarkeit aber grösser ist denn je. Abgesehen von der Akuthilfe ist es daher notwendig, Kommunikationsmittel und -kanäle zu entwickeln, um das Wissen zu den Akteuren vor Ort zu bringen. Auch müssen traditionelle Bauformen besser erforscht werden, die an die lokalen Möglichkeiten angepasst sind und frühere Erdbeben gut überstanden haben, um bei Behörden, Ingenieuren, Baufirmen und Bauherren das Interesse daran (wieder) zu wecken. Nachdem die Nothilfemassnahmen gegriffen hatten, rief die pakistanische Regierung einen Wiederaufbau mit dem Ziel «Build back better» aus. Hierzu gründete sie die Earthquake Rehabilitation and Reconstruction Authority ERRA, die für einen schnellen, kostengünstigen Wiederaufbau sorgen soll. Dazu wurde ein Programm formuliert, das Bauherren, die beim Wiederaufbau erdbebensichere Konstruktionen einsetzen, finanzielle Unterstützung verspricht.

Inspektionsteams der Armee sollen die Abnahmen durchführen. Ergänzend kam ein Ausbildungprogramm für erdbebensicheres Bauen hinzu. Die Regierung wollte in ihrem Programm moderne Bauweisen fördern, die nach bekannten ingenieursmässigen Methoden berechen- und prüfbar sind. Die Wirklichkeit zeigte aber schnell, dass der Einsatz von Beton und Stahl nur in wenigen städtischen Regionen überhaupt möglich war, der Transport von Maschinen und Werkstoffen in die ländlichen Regionen jedoch nahezu unmöglich, sicher aber viel zu teuer ist. Ausserdem zeigten nur wenige der am Wiederaufbau beteiligten Nichtregierungsorganisationen Interesse an der Ausbildung in einem der elf Housing Reconstruction Centers. Um den Wiederaufbau dennoch so rasch wie möglich starten zu können, mussten schnell praktikable Lösungen gefunden werden.

Traditionell und erdbebensicher

In einem ersten Schritt untersuchte die Deza zusammen mit dem UN-Programm für Siedlungsbau (UN Habitat) in der nordwestlichen Grenzprovinz die traditionellen Bauweisen, die das Beben gut überstanden hatten. Die Dhajji-Methode ist eine alte Konstruktionsart, die in Kaschmir auch heute noch verbreitet ist (Abb. 2– 4). Viele Häuser in dieser Bauweise widerstanden den Erschütterungen aufgrund ihrer hohen Duktilität weitgehend unbeschadet, obwohl sie direkt auf der tektonischen Störungszone errichtet waren. Der Name ist einer Textiltechnik entlehnt: Ähnlich wie ein Patchworkstoff besteht das Tragwerk aus einer kleinteiligen Holzstruktur. Die Leerräume zwischen den schlanken Konstruktionshölzern werden mit kantigen Steinen und Lehm oder Kalkmörtel gefüllt. Die offensichtlichen Qualitäten der Bauweise ermöglichten es, dass die Behörden sie innerhalb von nur sechs Monaten als erdbebensicher und förderungsfähig anerkannten. Da die Bauherren mit staatlicher Förderung rechnen konnten, wurden innert dreier Jahre etwa 120 000 neue Dhajji-Häuser errichtet. Um das erarbeitete Wissen lokal zu verankern und international bekannt zu machen, wurde mit finanzieller Unterstützung der Rektorenkonferenz der Schweizer Fachhochschulen ein multidisziplinäres Forschungsprojekt realisiert. Dabei führte die technische Universität von Peshawar Labortests durch, das Londoner Ingenieurbüro ARUP die numerischen Simulationen, die Fachhochschule Tessin (SUPSI) kümmerte sich um die grafische Kommunikation, und UN Habitat in Islamabad trug ihre Felderfahrung bei. Für diese Arbeit erhielt die Deza eine Anerkennung beim Holcim Award 2008.

Schwieriger gestaltete sich der Einsatz einer anderen vielversprechenden Konstruktionsart, der Bhatar-Bauweise (Abb. 5 – 7). Als Vorbild dient hier das «Besham Fort», das um 1750 errichtet wurde. In seine dicken Wände sind horizontale Hölzer eingebettet, die wie Ringanker funktionieren. Allerdings waren die Behörden zunächst nicht gewillt, massive Steinwände mit «ein bisschen» Holzbewehrung als erdbebensicher einzustufen – zumal die genaue Funktionsweise rechnerisch nicht nachgewiesen war. Genauere Untersuchungen ergaben dann, dass in 45 cm dicke Mauerwände aus Naturstein alle 30 – 60 cm leiterartige Holzträger eingelegt werden müssen, die möglichst schubfest miteinander verbunden sind (Abb. 7). Eine wichtige Rolle spielt die Dachkonstruktion: Während traditionelle Flachdächer aufgrund ihres hohen Gewichts die Wände standfester machen, müssen bei Schrägdächern mit unterhaltsfreundlicher, leichter Wellblechdeckung die oberen zwei Bewehrungslagen in den Mauern mit Vertikalhölzern zu einer Art Ringanker verbunden werden, um eine belastbare und scherfeste Verbindung zwischen Dach und Wand sicherzustellen.

Im nächsten Schritt mussten die Behörden überzeugt werden, dass auf diese althergebrachte Weise erdbebensichere Häuser errichtet werden können, sodass künftige Bauherren in den Genuss der staatlichen Fördergelder kommen konnten. Die oft im Westen ausgebildeten Regierungs- und Behördenvertreter für diesen angepassten Wiederaufbauweg zu gewinnen, erwies sich als grosse Herausforderung. Überraschenderweise wurde die pakistanische Armee zu einem einflussreichen Fürsprecher, da sie durch ihre Erfahrungen in den Bergregionen schneller begriff, dass die nötigen raschen Erfolge nur durch einen Wiederaufbau im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten erreicht werden konnten. Sie wurde dann auch ausgebildet, um im Wiederaufbauprogramm die Einhaltung der Bauvorgaben überprüfen zu können. Hierzu wurden spezielle Kurse für die Soldaten der Ingenieurkorps entwickelt. Während die Kommandanten über eine technische Ausbildung verfügen, mussten die einfachen Soldaten erst in die Lage versetzt werden, die richtige Ausführung der Bauten beurteilen zu können, um dann die Zahlungen an die Bauherren freizugeben.

Situativ und angepasst

Die Situation in Haiti ist ganz anders als in Pakistan, da das Erdbeben hauptsächlich ein urbanes Umfeld ohne seismische Kultur traf. Zementsteinhäuser und Betonrahmenkonstruktionen sind die vorherrschenden Bauweisen. Die historischen «Gingerbread»-Fachwerkhäuser, die das Erdbeben gut verkraftet haben, werden seit langem nicht mehr gebaut. In diesem Kontext gilt es, eine seismische Kultur im Einklang mit den lokalen Materialien aufzubauen. Die Deza fokussiert ihre Arbeit darauf, die «confined masonry» einzuführen, eine in Lateinamerika verbreitete Mauerwerksart, die eine sehr gute Erdbebensicherheit aufweist. Die Gebäude werden nach dem Aufmauern der Wände in den Ecken durch bewehrte Betonstützen und durch horizontal betonierte Ringanker verstärkt. Durch die Umkehrung des Bauablaufs gegenüber dem Betonskelettbau wird eine gute Verzahnung gewährleistet, sodass sich die Bauteile gegenseitig aussteifen. Noch bevor die Deza ihre Arbeit in Haiti aufnahm, hatte die Regierung das von der Deza für Pakistan ausgearbeitete Material für ein eigenes Handbuch übernommen.

In ländlichen Gebieten Haitis gibt es hingegen eine erdbebengerechte Bauweise: Hütten mit Flechtwerkwänden könnten ein nützliches Vorbild für Notbehausungen sein. Leider bemühen sich aber nur wenige NGO, das Umfeld und das vorhandene Wissen kennenzulernen, bevor sie «Lösungen» vorschlagen. So wird häufig an den Leuten und ihren Bedürfnissen vorbeigebaut mit der Entschuldigung, dass es schnell gehen musste und keine Zeit für «soziologische Studien» war. Die Deza richtet auch in Haiti ihr Augenmerk vor allem auf die Information der Öffentlichkeit und die Ausbildung von Arbeitern, um eine lokale seismische Kultur zu etablieren.

Forschung und Kommunikati on

Für künftige Anwendungen sollen mehrstufige Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen: eine wissenschaftliche Dokumentation, die es Bauingenieuren erlaubt, mit den traditionellen Methoden zu arbeiten. Ausserdem soll eine reich bebilderte Kurzfassung Handwerkern und Selbstbauern ermöglichen, ihre Bauten fehlerfrei zu errichten.

Hierbei ist auch der weitere Einsatz der Hochschulen gefragt – nicht nur um Fakten zu ermitteln, sondern auch um das geeignete Informationsmaterial zu erarbeiten, damit das Wissen erfolgreich an die unterschiedlichen Adressaten weitergegeben werden kann. So können nicht nur künftige Bauten sicherer gemacht werden, es entwickelt sich auch eine interdisziplinäre Kommunikationskultur. Ausserdem stehen die fundiert ausgearbeiteten Materialien bei einer neuen Katastrophe schneller zur Verfügung, da sie bei Bedarf nur noch z. B. sprachlich angepasst werden müssen. Ein weiterer Nebeneffekt: Durch eine breite Verankerung bei Ingenieuren und Bevölkerung werden funktionstüchtige, gut angepasste, historische Bauweisen erhalten und weiterentwickelt, die anderenfalls immer mehr in Vergessenheit geraten würden.

TEC21, Fr., 2011.01.14



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04. Juni 2010Alexander Felix
TEC21

Zähne zeigen

Der Energieverschwendung, dem Strassenlärm und dem langweiligen Wohnungsbau die Zähne zeigen – zu diesem Zweck haben sich die innovationsfreudige Baugenossenschaft Zurlinden und Pool Architekten zusammengetan. In einem anspruchsvollen städtischen Umfeld erbaute dieses Team das erste Zürcher Gebäude nach dem SIA-E ffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.[1] Entstanden ist ein überzeugender Prototyp.

Der Energieverschwendung, dem Strassenlärm und dem langweiligen Wohnungsbau die Zähne zeigen – zu diesem Zweck haben sich die innovationsfreudige Baugenossenschaft Zurlinden und Pool Architekten zusammengetan. In einem anspruchsvollen städtischen Umfeld erbaute dieses Team das erste Zürcher Gebäude nach dem SIA-E ffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.[1] Entstanden ist ein überzeugender Prototyp.

In der Computerwelt spricht man von «Open Source» – im übertragenen und besten Sinne handelt es sich auch bei dem Projekt «Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse 380, Zürich» um einen offenen Prototyp. An dessen Entwicklung sind neben den Architekten zahlreiche Handwerksunternehmen der Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ) beteiligt. Ausgangspunkt der Entwicklung ist eine janusköpfige, rund 2700 m² grosse Parzelle in Zürich. Im Süden wird sie von der stark befahrenen Badenerstrasse begrenzt, während im Norden der neue Stadtpark Hardau entstehen soll. Seit den 1970er-Jahren wird die Fläche zwischen der kommunalen Wohnsiedlung Hardau II und der Badenerstrasse als informeller Park- und Spielplatz genutzt. Etwa ebenso lang steht auf dem Areal ein Migros-Provisorium. Im Zuge der Erneuerung der Siedlung Hardau und der Aufwertung des gesamten Quartiers sollte der eingeschossige Pavillon einem Neubau weichen.

Basis Wettbewerb

Wie in Zürich üblich, lobte das Hochbauamt der Stadt im Auftrag der BGZ zusammen mit der Genossenschaft Migros Zürich einen Studienauftrag für das Bauvorhaben aus (vgl. «Zürich – Paris», TEC21 3-4/2007). Das Erdgeschoss sollte künftig die Migros-Filiale beherbergen, darüber sollten 50 Wohnungen für Singles, Zwei-Personen-Haushalte und Kleinfamilien entstehen. Die Parzelle selbst hat eine Tiefe, die den fünf eingeladenen Architektenteams die Aufgabe nicht einfach machte.

In einer ersten Runde konnte kein Projekt allen Anforderungen – besonders der Einhaltung der Kosten – restlos gerecht werden. Der Austausch in der Zwischenbesprechung zeigte die Komplexität der Aufgabe, Kosten, Lärm, Nutzungsdurchmischung, Dichte und Gebrauchswert der Wohnungen unter einen Hut zu bringen. In der Überarbeitungsrunde, in der es vor allem um die Wirtschaftlichkeit ging, konnten sich pool Architekten gegen das Projekt von Harder Haas Partner durchsetzen. Das laut Jurybericht «eigenwillige Projekt» ist dicht und in der Vertikalen stark gegliedert. Lange Raumfolgen spannen von der Strassen- bis zur Parkseite, was sowohl eine optimale Besonnung von Süden wie auch einen direkten Blick zum geplanten Stadtpark Hardau ermöglicht. Der Bezug sämtlicher Wohnungen zum Park stellt einen entscheidenden Vermietungsfaktor dar. Überraschend für die Jury war, dass mit der Optimierung der Kosten grosszügigere Wohnungen entstanden seien.[2]

Forscherfirmen Ein weiterer Baustein des Projekts ist in der Struktur der Baugenossenschaft Zurlinden selbst zu finden, mit der die Architekten bereits bei der Wohnüberbauung Leimbachstrasse in Zürich zusammengearbeitet haben. Sie wurde 1923 gegründet, und ihre rund 50 Genossenschaftsmitglieder sind vorwiegend KMU aus der Baubranche. Die BGZ besitzt heute 1255 Wohnungen in Zürich und Umgebung. Sie ist der Gemeinnützigkeit verpflichtet und daher in der Lage, Wohnungen zu langfristig günstigen Mietzinsen anzubieten. Die BGZ versteht sich als Schrittmacherin im zukunftsorientierten Wohnungsbau. Mit prägnanter Architektur und mit mutigen Pionierprojekten setzt sie Zeichen für eine nachhaltige Entwicklung. Da verwundert es wenig, dass die Bauherrschaft künftige Projekte konsequent nach dem Legislaturziel der Stadt Zürich «2000-Watt-Gesellschaft» gemäss dem SIA-Effizienzpfad Energie plant.3 Nicht ganz uneigennützig setzt die BGZ bei ihren Neubauten auf eine innovative, nachhaltige Bauweise und arbeitet dabei eng mit qualifizierten Fachleuten zusammen, sind doch gelungene Projekte die beste Werbung für die Innovations- und Leistungsfähigkeit der Genossenschafter.

Beim Projekt an der Badenerstrasse kommt daher die neu entwickelte Bauweise «Top Wall» zum ersten Einsatz. Die Wände bestehen aus senkrechten Massivholz-Ständern (vgl. «Vorteile ausspielen», S. 28 ff.), um den Grauenergiegehalt der Konstruktion zu reduzieren und so dem 2000-Watt-Ziel näherzukommen.

Dem Stadtlärm Trotzen

Die Architekten entschieden sich bei ihrem Entwurf, die gesamte Parzellentiefe mit dem Baukörper zu besetzen. Auf ein überhohes Sockelgeschoss mit der Migros-Filiale sind die Wohngeschosse wie auf einen Tisch gestellt. Dabei definiert das Gebäude mit seinen zwei Längsfassaden sowohl den Strassen- als auch den Parkraum. Von der lauten Strassenseite zieht sich der Baukörper in den Obergeschossen etwas zurück. Die starke vertikale Fassadengliederung nimmt hier den Duktus der Nachbargebäude mit ihren Erkern auf und verstärkt ihn durch markante Attikarücksprünge. Auf die ruhige Parkseite ausgerichtet sind die Balkone, die das Volumen auflösen und zum Grün hin öffnen.

Um den Parkplatz im Hinterhof zugunsten des Stadtparks auflösen zu können, wurde in den Untergeschossen neben den Migros-Kundenparkplätzen eine grosse öffentliche Einstellhalle geschaffen. Allerdings ist die Organisation noch nicht geklärt: Statt der ursprünglich vorgesehenen Übernahme durch die Stadt betreibt zurzeit die Genossenschaft die Tiefgarage. Die Wohngeschosse sind eine Holzkonstruktion, die auf der weitgespannten Stahlbetondecke des ebenerdigen Ladengeschäfts steht. Lediglich die Fluchttreppenhäuser mussten aus Brandschutzgründen betoniert werden. Entgegen der ursprünglichen Planung, auch die Geschossdecken aus Stahlbeton herzustellen, wurden vorgefertigte grossformatige Hohlkastenelemente aus Holz eingebaut.

Der Aufbau selbst besteht aus sechs Häusern, die sägezahnartig gegeneinander verschoben angeordnet sind. Die einzelnen Volumen mit Breiten von 10.40 m bzw. 13.90 m sind längs in zwei Hälften geteilt, sodass durchgesteckte, schmale, knapp 20 m tiefe Wohnungsgrundrisse entstehen. Alle Wohnungen partizipieren so an den Vor- und Nachteilen beider Seiten. Durch den Versatz der Häuser sind fast alle Wohnungen von drei Seiten belichtet, was den Grundriss licht und grosszügig wirken lässt. Dank den starken Rücksprüngen in der Strassenfassade ist an diesem lärmbelasteten Ort Wohnen überhaupt möglich. Um die Lärmschutzvorschriften einhalten zu können, darf der Grenzwert bei geöffneten Fenstern nicht überschritten werden – auch wenn eine mechanische Lüftung vorhanden ist. In den Einzügen ist der Schall geringer, sodass hier die Fenster geöffnet werden können. Gleichzeitig erzeugen sie aber auch – bei aller gewünschten Dichte – schwierige Ecksituationen mit teilweise guter Sicht in die Nachbarwohnungen. Die im Wettbewerbsentwurf gelobten energetisch begründeten, tiefen Fensterlaibungen erweisen sich leider nicht als ausreichende Schutzmassnahme gegen schräge Blicke.

Man betritt die sechs Wohnhäuser über separate lichte Treppenhäuser, die längs der Sockelfassade an der Badenerstrasse bzw. zum Park angelegt sind. Nach zwei Treppenläufen gelangt man in ein innen liegendes Treppenhaus. Diese Engführung bildet einen Kontrast zur Raumwirkung der Wohnungen – verstärkt durch die braun gestrichenen Wände, die auf die benachbarten Hardau-Türme anzuspielen scheinen. Die einzelnen Häuser sind Zweispänner. Nur im 1. Obergeschoss, in dem drei 5.5-Zimmer-Wohnungen die strenge Struktur überspringen und zwei Zimmer in das benachbarte Volumen hinüberstrecken, ist nebenan eine 3.5-Zimmer-Wohnung erschlossen. In den drei Stockwerken darüber liegen pro Haus jeweils sechs 2.5-Zimmer-Wohnungen. Die obersten beiden Stockwerke in den strassenseitigen Volumen nehmen neben drei kleinen 2.5-Zimmer-Appartements sechs Maisonettewohnungen mit 4.5 Zimmern auf.

Efizienz und Freiheit

Das Gebäude folgt dem SIA-Effizienzpfad zur Erreichnung der 2000-Watt-Gesellschaft. Die Vorteile dabei liegen auf der Hand: Anders als bei dem vergleichsweise sturen Minergie-Standard lässt der Effizienzpfad grössere Gestaltungsfreiheiten. Laut den Energieingenieuren wäre die komplexe Baustruktur für eine Minergie-Zertifizierung kaum fassbar. Die gewählte Holzbauweise wirkt sich direkt auch auf die Raumgestaltung aus: Um die Wände nicht zu schlitzen, werden alle Kabel in umlaufenden Bodenkanälen entlang der Wände geführt. Anders als bei Minergie-Bauten üblich, wird die Lüftung nicht über ein zentrales Klimagerät gesteuert, sondern über Lüftungselemente seitlich neben den Fenstern. Nach innen zeigen sie sich durch schmale, hohe Holzlamellenpaneele neben den Fensterrahmen. Der Verzicht auf eine aufwendige horizontale Kanalführung kommt direkt der Raumhöhe zugute.

Der Supermarkt und die Wohnungen stehen in einer weiteren engen symbiotischen Beziehung: Die Wohnungen profitieren von der grossen Abwärme des Supermarkts (vgl. «Low Ex- Zero (E)Mission», S. 33 ff.), die zusammen mit einer grundwassergespeisten Wärmepumpe den Warm- und Heizwasserbedarf deckt.

Auf den ersten Blick wirken die Fassaden etwas fremd in ihrem Umfeld – schliesslich sind sie aus einer eigenen technischen Logik entwickelt: Um die Unterkonstruktion aus energieintensiven Aluminiumprofilen zu minimieren, wurden Fertigteile in Form eines Strangpressprofils aus streichelglattem Faserbeton entwickelt. Die Kantungen und Fugen erzeugen ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel auf den Fassaden und funktionieren wie eine zeitgenössische Weiterentwicklung eines klassischen Bossenwerks. Nicht zuletzt soll die robuste Konstruktion im fordernden urbanen Umfeld eine deutlich längere Lebensdauer aufweisen als herkömmliche Wärmedämmverbundsysteme, sodass die Nachhaltigkeitsrechnung aufgehen dürfte.


Anmerkungen:
[01] TEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft», S. 44 ff.
[02] TEC21 3-4/2007, S. 13
[03] www.bgzurlinden.ch

TEC21, Fr., 2010.06.04



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09. Oktober 2009Alexander Felix
TEC21

Zukunfsthütte?

An exponierter Lage auf 2883 m ü. M., inmitten einer spektakulären Landschaft, eingebettet zwischen Gorner-, Grenz- und Monte-Rosa-Gletscher, setzt die Neue Monte-Rosa-Hütte einen architektonischen und technischen Meilenstein im hochalpinen Bauen.

An exponierter Lage auf 2883 m ü. M., inmitten einer spektakulären Landschaft, eingebettet zwischen Gorner-, Grenz- und Monte-Rosa-Gletscher, setzt die Neue Monte-Rosa-Hütte einen architektonischen und technischen Meilenstein im hochalpinen Bauen.

Die Idee zur Planung und Ausführung des Prestigeprojekts Neue Monte-Rosa-Hütte wurde anlässlich des Jubiläums «150 Jahre ETH Zürich» an der Hochschule entwickelt. Ab dem Wintersemester 2003/2004 arbeiteten 33 Studierende am eigens hierfür gegründeten «Studio Monte Rosa» unter Leitung von Andrea Deplazes an der Entwicklung von Konzepten für eine zeitgemässe Berghütte. Nach intensiver, viersemestriger Entwurfsarbeit konnte sich das Projekt «Glänzling» durchsetzen. Da die viel besuchte bestehende Monte-Rosa- Hütte in marodem Zustand ist und heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht, gelangten die Hochschule und der Schweizer Alpen-Club (SAC) zum Schluss, dass ein Neubau den ebenfalls diskutierten Umbauprojekten vorzuziehen sei. In den letzten sechs Jahren sammelte die Hochschule Sponsorengelder, um den 6.5 Mio. Franken teuren Bau realisieren zu können. Gleichzeitig wurde das Projekt in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Experten des SAC und der Industrie weiterentwickelt. In dieser Planungsphase wurden passive Low- Tech-Konzepte und aktive High-Tech-Lösungen abgewogen, da die Neue Monte-Rosa-Hütte als Leuchtturmprojekt der ETH Zürich auch die technische Kompetenz der Hochschule beweisen soll.

In einer sehr frühen Planungsphase wurde Holz wegen guter Vorfabrikations- und Transporteigenschaften als Baustoff gewählt. Bei der Überarbeitung des Entwurfs halfen computergestützte, parametrische Gebäudemodelle die komplexe Geometrie hinsichtlich Bettenanzahl, Tragwerk, Konstruktion, kompaktes Gebäudevolumen, passive und aktive Sonnenenergienutzung etc. zu optimieren. Ausserdem wurde die Suche nach einer möglichst kleinen Hüllfläche von einer intensiven Formfindung begleitet. Die polygonale Gebäudehülle wurde gegenüber dem ursprünglichen Entwurf geometrisch geklärt, gleichzeitig erfüllt sie nun eine Reihe weiterer Anforderungen: So bestimmt das ideale Quadrat der nach Süden gerichteten Fotovoltaikfassade die Ausrichtung und die Gestaltung der Hülle. Die Fläche wurde um 66.2 ° geneigt, sodass die Zellen optimal zur Sonne ausgerichtet sind. Die nach Norden abfallende Dachfläche stellt sicher, dass Schnee abrutschen kann, um die Schneelast zu reduzieren. Die übrigen Fassadenflächen sind unregelmässig geknickt, brechen die Grösse des Baukörpers und provozieren lebhafte Reflexionen auf der Aluminiumhülle: Die in den oberen Geschossen kleiner werdenden Räume erlaubten, das Volumen nach oben hin zu verjüngen.

Innere Reibung Der Grundriss zeigt ein unregelmässiges Achteck und ist durch Wandscheiben in zehn gleiche Segmente mit je 36 ° Öffnungswinkel geteilt. In den Stockwerken sind die Holzkonstruktionen unterschiedlich ausgeformt (siehe «Holzkristall», S. 23). Im Inneren reiben sich die unterschiedlichen Geometrien von Hüll- und Innenkonstruktion an verschiedenen Punkten. Diese Situationen sind von den Architekten durchaus gewollt und dank computergestützter Planung und Fertigung des Holztragwerks auch gut beherrschbar. Ob man das Ergebnis als «ungelöste Details» oder Reverenz an die Bricolage so manch alter Hütte liest, bleibt den Betrachtern überlassen. Vielleicht gelingt gerade so der Abbau von Berührungsängsten mit der ungewohnten architektonischen Hüttenform. Jedenfalls liess sich durch die digitale Planungs- und Herstellungskette eine präzise und schnelle Fertigung erreichen. Optisch wirkt die fünfstöckige Hütte wie aus dem Fels gewachsen. Doch nur die Aluminiumverblechung ist bis auf den Fels heruntergezogen. Unter diesem «Tischtuch» ruht der Bau über dem abfallenden Erdboden auf einem horizontalen, spinnennetzförmigen Stahltisch, der auf zehn Punktfundamenten und einer Zentralnocke lagert. Durch die punktuellen Auflager soll eine unerwünschte Aufheizung des empfindlichen Permafrostbodens verhindert werden.

Der Haupteingang zur Hütte liegt im ersten Untergeschoss, das – obwohl oberhalb des Erdreichs gelegen – als robuste Kellerwelt gestaltet ist. Die Enfilade beginnt mit den Ski-, Schuh- und Trockenraumsegmenten, die als Winterlager mit zwölf Schlafplätzen zugänglich bleiben, wenn die übrige Hütte geschlossen ist. Die Restsektoren sind mit der umfangreichen Haustechnik und Lagerräumen belegt. Die Erschliessung folgt in einer Spiralbewegung der Aussenwand und führt über eine breite Kaskadentreppe hinauf in den Essraum im Erdgeschoss mit 120 Sitzplätzen. Um den beeindruckenden Rundumblick in die Bergwelt zu ermöglichen und einen grosszügigen Raumeindruck zu erhalten, sind die Schotten hier als Fachwerk aufgelöst. Die computergesteuerte Fertigung ermöglichte es, die sichtbaren Holzoberflächen der Streben mit einem grossflächigen Muster zu versehen, das bei der maschinellen Bearbeitung direkt mitgefräst wurde. Es erinnert an traditionelle Holzschnitzereien in alten Stuben, konstrastiert aber die übrige reduzierte Gestaltung. Die Küche ist in einem eigenen Segment untergebracht und über Durchreichen in der Kernzone mit dem Essraum verbunden. Nach Süden vorgelagert ist ein grosses Holzdeck als Sonnenterrasse mit 60 Sitzplätzen.

In den oberen drei Geschossen befinden sich 18 Gäste- und Bergführerzimmer mit drei bis acht Betten. Je Stockwerk macht die Kaskadentreppe eine Vierteldrehung entlang des Fensterbandes. Als Erschliessung öffnet sich ein Segment zur Kernzone, die jeweils so geschnitten ist, dass die notwendige Anzahl Zimmertüren Platz findet. Auch die Zuschnitte der Zimmer folgen pragmatisch der Anordnung möglichst vieler Stockbetten, ausserdem entstehen in der Pufferzone zur Fassade polygonal geformte Liegeflächen, sodass keine zwei Räume im Haus identisch sind. Im ersten Obergeschoss befindet sich neben einem Waschraum und Toiletten die kleine Wohnung des Hüttenwarts. Eine schmale Wendeltreppe dient als interner Bypass in die unteren Etagen. Durch die schrägen Aussenwände nimmt die Grundfläche nach oben hin ab, dafür sind die Räume unter dem Dach deutlich höher und zum Teil von oben belichtet.

Energetischer Organismus Fern ab jeglicher Infrastruktur stand ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad im Mittelpunkt aller Planungen. Der Neubau wurde auf der sogenannten «Plattje» 88 m oberhalb der alten Hütte errichtet. Dieses südwestgerichtete Granitplateau verfügt über ein begünstigtes Mikroklima, der Schnee taut hier früher als in der Umgebung, und im Sommer entwickelt sich spärlicher Pflanzenbewuchs zwischen den Gletschern. Das Gesamtsystem besteht neben der eigentlichen Schutzhütte aus weiteren Einzelbausteinen, die durch ein ausgeklügeltes Steuerungssystem verbunden sind: Einige Meter oberhalb der Hütte – um ausreichenden Wasserdruck aufzubauen – wurde eine Felskaverne als Frischwasserspeicher in den Fels gesprengt. Unterhalb der neuen Hütte ist ein 60 m² grosser, südgerichteter thermischer Solarkollektor mittels einer Gerüstkonstruktion auf dem Fels befestigt. Er bildet zusammmen mit der Fotovoltaikanlage das Kraftwerk der Hütte, ergänzt durch ein kleines Blockheizkraftwerk, das bei Bedarf mit Rapsöl betrieben wird. Ebenfalls zum System gehört ein Mast mit meteorologischen Messinstrumenten und Kommunikationseinrichtungen. Um die Bergwelt nicht mit Abfällen zu belasten, wurde unter der Hütte eine mikrobiologische Abwasserreinigungsanlage eingebaut (vgl. «Höhentraining», S. 27). Nebenbei ermöglichten diese ökologische Überlegungen Komfortgewinne wie Toiletten mit Wasserspülung und Duschen, die manchem Alpinisten als unnötiger Luxus erscheinen mögen. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich aber auch bei anderen Hüttenneubauten wie dem 2005 fertiggestellten Schiestelhaus, der ersten Passivhaus-Schutzhütte im Alpenraum (pos architekten, Wien)[2] und der letztes Jahr eröffneten Olpererhütte (Hermann Kaufmann Architekten, Bregenz)[3]. Alle Bemühungen um umweltverträgliches Bauen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Neue Monte-Rosa-Hütte allein aufgrund ihrer Lage kein leicht erreichbares Ausflugsziel für breite Touristenströme ist.


Anmerkungen:
[01] Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Bd. 1, (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Voralberg ). Residenz Verlag, Salzburg/Wien, 1980, Seite 243 ff .
[02] «Schutzhütte in der Steiermark», Detail, 6/2007, S. 624–627
[03] Ulrich Dangel: Nachhaltige Architektur in Vorarlberg – Vom Entwurf bis zum Energiekonzept. Birkhäuser Verlag, Basel, 2009

www.neuemonterosahuette.ch
www.section-monte-rosa.ch

TEC21, Fr., 2009.10.09



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12. Februar 2009Alexander Felix
TEC21

Sinnvoll verknüpfen

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs....

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs....

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs. Die Beispiele eines bewährten Velo-Vermietkonzepts und architektonisch anspruchsvoll gestaltete Velostationen an zwei Bahnhöfen mit unterschiedlichen Zielrichtungen zeigen, dass die Bausteine für eine sinnvolle Kombination der vorhandenen Verkehrsmittel bereits vorhanden sind. Das Netz muss geknüpft werden, um die jeweiligen Vorteile wirkungsvoll zu stärken. Das Velo zeigt auf langen Strecken Schwächen, der öffentliche Verkehr hingegen bei der Feinverteilung, bzw. ein feines Streckennetz ist sehr teuer. Beide haben allerdings das Potenzial, sich optimal zu ergänzen – vorausgesetzt die Schnittstellen sind gut. Velostationen, die je nach Bedarf für Weg- und Zupendler geeignet sowie der Grösse der ÖV-Station und der Struktur ihrer Umgebung angepasst sind, ermöglichen einen optimalen Übergang. Sinnvoll sind abgestufte Kategorien mit unterschiedlich umfangreichen Angeboten für den Landbahnhof, die mittlere Ortschaft, das dichte Zentrum und die Velotourismusdestination.

Drahtesel für jedes Dorf

Mitte der 1990er-Jahre entwickelte der damalige Münchner Informatikstudent Christian Hogl ein viel versprechendes innovatives Mietvelokonzept als Lösung für Zupendler. Mit seiner Call-a-bike AG begann er, mit einem eigens patentierten «Bordcomputer» als Zahlenschloss sowie einem telefonzellen- und handybasierten Mietkonzept das bisherige, mit Mängeln behaftete Mietveloprinzip zu revolutionieren. Im Frühjahr 2000 stellte die kleine Aktien gesellschaft in München 2000 Call-a-bikes an verschiedenen Plätzen und Strassenkreuzungen zur Benutzung bereit. Trotz 27 000 Kunden innerhalb von sechs Monaten, viel öffentlichem Lob und grossem Medienecho endete das Start-up bereits im November 2000 in der Insolvenz, da Zeit- und Kostenplanung ausser Kontrolle geraten waren. Im gleichen Jahr gründete die Deutsche Bahn ihr Tochterunternehmen DB Rent GmbH, um mit ergänzenden Vermietdienstleistungen das Kerngeschäft der Bahn zu erweitern. Die Bahntochter übernahm das Call-a-bike-Konzept mitsamt dem Inventar als einen willkommenen Baustein in ihrem Mobilitätsangebot. Im Oktober 2001 waren 1000 Call-a-bike-Velos wieder auf den Münchner Strassen. In den folgenden Jahren baute die Bahn die Idee kontinuierlich aus, sodass die Räder heute auch in Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart und Karlsruhe genutzt werden können. Call-a-bike hat sich in allen Städten binnen kurzer Zeit als flexibler Service, als Ergänzung zum eigenen Rad sowie zu Bussen und Bahnen etabliert. 2007 nutzen 75 000 Kunden (Einheimische und Touristen) die über 5000 Velos für etwa eine halbe Million Fahrten.

Für viele Menschen gehört es heute zum Lebensstil, flexibel mobil zu sein. Die Marktforschung zeigt, dass es drei Hauptgruppen von Call-a-bike-Nutzenden gibt. Während die «Umweltorientierten» das Angebot selbstverständlich nutzen, befriedigen der weitere Ausbau und die technische Integration von verschiedenen Mobilitätsdiensten eine jüngere, pragmatische Zielgruppe. Das grösste Wachstumspotenzial liegt jedoch in der Gruppe der «Autoaffinen». Die heutige Fixierung auf individuelle Automobilität verdeutlicht zugleich die Chancen für die Angebotsentwicklung des intermodalen Verkehrs. Wenn es gelingt, die Angebote so zu gestalten, dass alltägliche Fahrten statt mit dem eigenen Auto mit der ÖV-Velo-Kombination zurückgelegt werden, ist auch das Wachstum der Mietveloanbieter gesichert.[1]

In der Schweiz ist das Mietvelosystem bislang hauptsächlich auf eine touristische Nutzung ausgelegt. Dementsprechend sind Vermiet- und Rückgabestationen eher in Freizeitgebieten angesiedelt und sprechen die Alltagsnutzer nicht an. Mit der Mobility-Struktur für Mietautos steht allerdings bereits ein landesweites Netz zur Verfügung, das in Richtung nichtmotorisierter Verkehr geöffnet werden könnte. Eine angemessene Anzahl Mietvelos, die an jedem Bahnhof für Zupendler bereitstehen, erweitert den Bewegungsradius für Bahnreisende beträchtlich. Etliche Autofahrten können damit entfallen, auch wenn das Ziel etwas abseits der öffentlichen Anbindung liegt.

Ständer am Gleis 1

Die Erfolgsgeschichte der Veloparkierungen für Wegpendler am Bahnhof ist schon deutlich länger. Gedeckte, unbewachte Veloparkierungen in unmittelbarer Nähe zum Zug gehören seit Langem zum guten Bild der SBB-Bahnhöfe. 1994/95 sind in der Schweiz die ersten bewachten Abstellanlagen für Velos hinzugekommen. Da vielerorts die ehemaligen Güterschuppen der Bahn leer standen, wurden diese Räume in Aarau, Langenthal und Uster für eine witterungsgeschützte und diebstahlsichere Veloverwahrung umgenutzt.

Inzwischen hat das Kind bei den SBB den Namen «B Rail» bekommen und wird mit einem standardisierten Bausystem konsequent erweitert. 2005 wurde der Bedarf bei den 620 Regio nalbahnhöfen konstatiert, die bis 2016 modernisiert werden sollen. Er entspricht einem Angebot von gedeckten Abstellplätzen für rund 20 000 Velos. Auch in 60 Fernbahnhöfen besteht Handlungsbedarf, vornehmlich um bestehende Anlagen zu entlasten.[2] Das Veloparkhaus in Glattbrugg (Bilder 3–5) ist ein aktuelles Beispiel für das B Rail-Konzept.

Die Station Glattbrugg im Norden Zürichs wurde als Knotenpunkt zwischen der neuen Glatttal-Bahn und der S-Bahn ausgebaut. In direkter Verlängerung des Aufnahmegebäudes von Max Vogt (Baujahr 1976) haben die Architekten der asa Arbeitsgruppe für Siedlungsplanung und Architektur, Rapperswil, einen neuen Parkhaustrakt errichtet. Eine Überdachung verbindet beide Bauteile und schafft einen neuen Vorplatz, den ein integrierter Kiosk zusätzlich belebt. Mit einer abgerundeten Glasfassade schliesst der lang gestreckte Neubaukörper nach Süden ab und bildet einen glatten Gegenpol zum markant kubischen Vogt-Bau.

Das zweigeschossige Veloparkhaus bietet Abstellplätze und lässt sich bei wachsendem Bedarf auf die doppelte Kapazität erweitern. Über den gedeckten Vorplatz erreichen die Pendlerinnen und Pendler ihren Zug. Die Konstruktion basiert auf dem Baukastensystem der RV05-Stationen der SBB (TEC21 13 und 18/2003). Stützen und Träger aus HEB-Profilen bilden das Tragwerk, Dach und Zwischendecks bestehen aus Hohlkastenelementen. Die Aussteifung erfolgt über Windverbände und den massiven Ortbetonkern des Kiosks. Eine einfache Profilglas-Fassade bietet Witterungsschutz. Der Zugang erfolgt über ein Kartensystem – jeder Nutzer muss sich anmelden und bekommt gegen ein Depot eine Karte, die ihm den Zutritt rund um die Uhr ermöglicht.

Diese monofunktionale Lösung ist mittlerweile ein anerkannter Baustein in der Möbilitätswirklichkeit. Sie könnte nun vermehrt auch Ausgangspunkt für weiter gehende Konzepte werden, die einen umfassenderen Mobilitätsservice anstreben.

Velo-Power-Tower

Das «mobile» in Freiburg im Breisgau geht weit über das gewöhnliche Veloparkhaus hinaus und richtet sich mit seinen Angeboten nicht nur an die täglichen Zu- und Wegpendler, sondern auch an den Freizeit-Veloverkehr (Bilder 6–9). Die Stadt gehörte zu den ersten in Deutschland, die Velofahrenden in Bahnhofsnähe bewachte Abstellplätze boten. Hinzu kam 1999 das Modellprojekt «mobile» der ortsansässigen hotz architekten, eine in dieser Konzeption einmalige Mobilitätszentrale zur Stärkung des umweltverträglichen Verkehrs. Ziel der Einrichtung ist die Vernetzung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs mit anderen Mobilitätsformen wie Velofahren, Car-Sharing und Taxi als Einstieg in ein zukunftsfähiges Verkehrssystem.

Der auffällige Rundbau am Freiburger Bahnhof beherbergt neben Velostellplätzen einen Reparaturservice, ein Informationsbüro und ein Café und macht durch seine Präsenz im Stadtbild Werbung für alternative Verkehrsformen. Die Gestalt unterstreicht dabei die Funktion der Station als «Drehscheibe»: Die Plattformen sind von allen Seiten erreichbar – die Hauptzufahrt liegt auf Strassenniveau, eine zweite Zufahrt ist über eine Rampe von der Stadtbahnbrücke her möglich, die über die Bahngleise führt.

Der aufgeständerte, im Grundriss ringförmige Baukörper verfügt über zwei Ebenen, die als Stahlbetonkonstruktion errichtet wurden und einen offenen Innenhof umschliessen. Die Fassade besteht aus Holzelementen, Edelstahl- und durchsichtigen Polycarbonatbändern. Unter dem Gebäude befinden sich die Parkplätze der Car-Sharing-Autos. In der Ebene 1 liegt das Parkdeck für 1000 Velos. Zusätzlich können dort Fahrräder, auch mit Kindersitz oder Anhänger, Tandems oder Fahrradtransporttaschen und andere nützliche Dinge gemietet werden. In der oberen Etage des Gebäudes bieten mehrere Mieter verschiedene Dienstleistungen im Bereich Mobilität an. So hält das Büro des Regiotourismus Angebote für Touristen bereit, die das Dreiländereck Deutschland–Frankreich–Schweiz per Velo kennen lernen wollen. Von Plan- und Informationsmaterial für Erkundungen auf eigene Faust bis hin zu geführten Radtouren reicht das Angebot. Ein Velogeschäft, das auf Stadt-, Reise- und Falträder spezialisiert ist, versorgt Alltags- und Freizeitradler mit allem, was für ihre jeweiligen Zwecke notwendig ist. Die angegliederte Werkstatt verfügt über vier Reparaturplätze. Auf dieser Ebene befindet sich auch ein Gemeinschaftsraum, der angemietet werden kann. Ein Café bietet Rastenden Speisen und Getränke aus der Region. Während eilige Reisende am Kiosk einen schnellen Imbiss kaufen können, lädt die grosse Terrasse zum Verweilen ein und bietet einen schönen Blick über die Gleisanlagen auf die Stadt und den Freiburger Hausberg Schauinsland. Seit August 2007 ist der Verein Car-Sharing Südbaden-Freiburg Gesellschafter und Betreiber des «mobile». Seine Erfahrungen sind gut.

Das Konzept würde auch in die Schweiz passen. Solche multifunktionalen Velodrehscheiben könnten in den Agglomerationskernen die dichten ÖV-Netze mit dem Veloverkehr verbinden und in Orten, die sich als Zentren für Velotourismus etablieren wollen, als Ausgangsbasis für Touren dienen. Sie liessen sich kommerziell betreiben und könnten je nach Standort mit zusätzlichen Angeboten erweitert werden. Bewachte Velostationen brauchen lange Präsenzzeiten vom ersten bis zum letzten Zug und damit viel Personal.

Es drängt sich daher auf, nach neuen Synergien zu suchen: In den Niederlanden werden bereits Billett- und Gepäckschalter in Veloparkhäuser verlagert. In den Schweizer Bahnhöfen Burgdorf, Langnau i.E. und Trubschachen bietet der Betreiber der Velostationen, die Pro Velo Emmental, in Zusammenarbeit mit der Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle einen Hauslieferdienst an. Monatlich werden etwa 2500 Einkäufe von rund 50 angeschlossenen Geschäften per Velo zu den Kunden nach Hause geliefert.3 So könnten Velostationen am Ende retten, was an den Bahnhöfen in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Die multifunktionale Velostation steht unmittelbar am Bahnhof und ist mit einer eigenständigen Gestaltung und gutem Wiedererkennungswert ein Statement der Gemeinde für den nachhaltigen Veloverkehr.


Anmerkungen
[1] Andreas Stolberg, Christian Hoff mann: Forschungsbericht «Call a Bike», im Auftrag von Wissenschaft szentrum Berlin für Sozialforschung gGmbh (WZB) und DB-Rent GmbH, Marburg/ Berlin 2005, www.wzb.eu/callabike/
[2] Markus Dössegger: Nationale Fachtagung Veloparkierung, Bern 2005
[3] Boom bei den Velostationen, Verkehrs-Informationen, Ausgabe 10 vom 30.12.2008, Informationsdienst für den öff entlichen Verkehr, Bern

TEC21, Do., 2009.02.12



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tec21 2009|06 Veloverkehr fördern

Presseschau 12

«Gesellschaftlicher Relevanz eine Form geben»

Die Architekten Marco Graber und Thomas Pulver erläutern ihre Strategie beim Entwurf der Energiezentrale Forsthaus Bern. Warum erhielt dieser Infrastrukturbau einen monumentalen Ausdruck? Welche Aspekte bestimmten die Form, die Materialisierung und die Konstruktion? Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern und den Verfahrensingenieuren?

Die Architekten Marco Graber und Thomas Pulver erläutern ihre Strategie beim Entwurf der Energiezentrale Forsthaus Bern. Warum erhielt dieser Infrastrukturbau einen monumentalen Ausdruck? Welche Aspekte bestimmten die Form, die Materialisierung und die Konstruktion? Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern und den Verfahrensingenieuren?

TEC21: Dass ein Architekturwettbewerb für eine Kehrichtverwertungsanlage (KVA) veranstaltet wird, ist ungewöhnlich. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Marco Graber (M.G.): Selbst in der Schweiz, einem Land mit hochstehender Baukultur, werden die wenigsten Infrastrukturbauten einem architektonischen Anspruch gerecht. Das ist bedauerlich, denn sie prägen durch ihre Anzahl und Grösse unsere gebaute Umwelt und stehen für Themen wie Umweltschutz oder Energieproduktion. Wir sind überzeugt, dass bei der Planung solcher Bauten die Kompetenz der Architekturschaffenden stärker ins Spiel kommen sollte. Beim Wettbewerb haben uns die ungewöhnliche, sehr technische Aufgabe und der spezielle Ort interessiert: Der Bauplatz liegt in einem Waldstück – einem Heiligtum in der Schweiz! – am Stadtrand von Bern, der Stadt, in der wir beide aufgewachsen sind. Sicher war die Lage im Wald auch der Grund für das gewählte Vergabeverfahren.

Thomas Pulver (T.P.): Es gehört zu unserem Selbstverständnis als Architekten, der gesellschaftlichen Relevanz einer Aufgabe eine angemessene Form zu verleihen. Der Bauplatz im Wald war aussergewöhnlich – man hatte die Freiheit, Grösse und Form der Parzelle nach Bedarf festzulegen und zu roden, eine komplette Umkehr üblicher Vorgaben. Zudem bildet der Wald eine Art Scharnier zwischen Stadt und Autobahn. Bereits der Umfang des Programms und die Dimensionen einzelner Räume liessen die energetische Leistung des Kraftwerks erahnen. Uns wurde rasch klar, dass es ein grosses Objekt geben würde, das wir der Bedeutung entsprechend monumentalisieren und zur Landmarke erhöhen wollten. Der Bau hat mit 300 m Länge etwas Endloses. Aber seine extremen Proportionen haben mit dem Ort zu tun, der schmalen Parzelle und der Massstäblichkeit der Autobahn. Es war den Wettbewerbsteilnehmern freigestellt, den Waldrand zu «ritzen». Wir beschlossen jedoch, ihn bestehen zu lassen und mit den zwei unterschiedlichen Seiten des langen Gebäudes und der Art, wie sie hinter den Bäumen aufscheinen sollten, zu spielen.

M.G.: Über diese Energiezentrale dringt das komplexe und weitläufige System von unterir dischen Werkleitungen überhaupt an die Oberfläche. Der Massstab unseres Gebäudes verweist auf die Dimension dieses Systems, das die urbane Landschaft von Bern durchzieht.

TEC21: Es gibt wenige Bauten, die den Themen Entsorgung und Energieproduktion durch Kehrichtverbrennung einen repräsentativen und architektonisch wirksamen Ausdruck ver leihen. Auf ein bestehendes Formenvokabular konnten Sie nicht zurückgreifen, auch wenn einzelne Elemente wie der monumentale Kamin vertraut wirken. Wie sind Sie vorgegangen?

T.P.: Wir dachten an alle diese prägnanten Infrastrukturbauten in der Landschaft, kräftige Zeichen von hoher Autonomie und grossartiger ikonografischer Wirkung. Insbesondere dachten wir an Kraftwerksbauten wie Birsfelden, Landmarken wie den Spredaturm in Burgdorf oder an die Wucht der berühmten Getreidespeicher am Chicago River (Abb. 07–09). Jedes dieser Beispiele hat einen hohen Repräsentationsanspruch und stellt für sich einen Typus dar. Eine KVA war allerdings nicht darunter – die bekannten Beispiele überzeugten uns nicht. Wir suchten nach einer Strategie, die Grösse des Gebäudes zu vermitteln. Wie kann ein 300 m langes Haus aussehen? Rafael Moneo hat sein ähnlich langes Kaufhausprojekt an der Avinguda Diagonal in Barcelona mit einem abgelegten Rockefeller Centre verglichen. Auch wenn wir sein Bild nicht direkt verwenden konnten, wollten wir wie er den Baukörper staffeln und gliedern, ohne ihm die Kraft zu nehmen. Daraus hat sich ein Prozess der Formfindung entwickelt. Das Bild des Frachtschiffs hat uns geholfen, die Fragen der Massstäblichkeit zu klären, ein Gefühl für die Dimensionen zu bekommen.

M.G.: Wir entwerfen nicht analog. Referenzen sind für uns ein Hilfsmittel, um gewisse Vorstellungen zu konkretisieren, zu übersetzen und präzise auszuformulieren. Grundsätzlich versuchen wir, aus den spezifischen kontextuellen und programmatischen Rahmenbedingungen eigene, signifikante Räume zu entwickeln und den Gebäuden einen synthetisierenden Gestus zu verleihen, der all das zum Ausdruck bringt, was das Projekt enthält. Diese Qualitäten versuchen wir jeweils zu verstärken und zu radikalisieren.

TEC21: Die vertikalen Rippen und der aufragende Kamin erinnern auch an eine Kathedrale.

M.G.: In Italo Calvinos «Unsichtbaren Städten» wird eine Stadt beschrieben, die von der einen Seite anders aussieht als von der anderen. Vom Meer her gesehen gleicht sie zwei Kamelbuckeln, von der Wüste her einem Schiff, das vor Anker liegt. Uns gefällt die Vorstellung, dass unsere Energiezentrale von der Stadt aus betrachtet ein Schiff evoziert und von der Autobahn aus eine Kathedrale.

T.P.: Früher waren es die Kirchtürme, die als Zeichen der Kirche und der Obrigkeit den Reisenden die Stadt weitherum ankündigten und die urbanen Merkpunkte einer spärlich besiedelten Landschaft bildeten. Heute sind es die Infrastruktur bauten, die als bauliche Artikulationen verborgener technischer Netzwerke Zeichen in unsere verstädterte Landschaft setzen. In einem Grössenvergleich überlagerten wir die EZF mit dem Berner Münster, das man von der EZF aus sieht (Abb. 06).

TEC21: Beim Wettbewerb war nur ein grobes Raumprogramm bekannt, das bis in die Bauphase hinein verändert wurde. Wie sind Sie damit umgegangen?

T.P.: Wir haben mit einem klassischen Re-engineering begonnen und verschiedene bestehende Anlagen «analytisch zerlegt»: Welche Raumgruppen gehören zwingend zusammen, welche sind frei positionierbar? Bei gewöhnlichen KVA werden Prozessgebäude (Verbrennung) und Fernwärmezentrale parallel nebeneinander gestellt; im Gegensatz dazu haben wir uns für eine lineare Anordnung entschieden, was nahezu ohne energetische Verluste möglich ist. Gebaut wurden zwei parallele Linien: zum einen die Kehrichtverbrennung, zum anderen – ebenfalls hintereinander – ein Holzheiz- und ein Gas-und-Dampf-Kraftwerk. Das verdoppelte nicht nur die Gebäudelänge, auch in Bezug auf eine spätere Erweiterung bietet es Vorteile: Man könnte problemlos eine dritte Verbrennungslinie parallel dazu schalten.

M.G.: Ein weiterer Vorteil dieses linearen Konzepts ist, dass wir im Planungsprozess äusserst flexibel auf Programmveränderungen reagieren konnten. Das Bild des Frachtschiffs hat uns auch hier inspiriert: Das Sockelgeschoss aus Ortbeton greift ins Erdreich ein und bildet gleichsam den Rumpf, auf den die technischen Anlagen wie Container gestapelt werden können. Die wuchtige Aufwerfung des Bunkergebäudes mit der Steuerzentrale, die ähnlich einer Kommandobrücke den Blick freigibt auf die Zu- und Wegfahrt beim Waaghaus, und die filigrane Passerelle, die 30 m weit ausgreift und zum Eingang hochführt, bilden jeweils skulptural modulierte Abschlüsse dieser gegossenen Sockelstruktur. Dazwischen stapeln sich die Hallen, deren Fassaden aus kleinteiligeren, abmontierbaren, vorfabrizierten Betonelementen zusammengesetzt sind. Dieses modulare Fassadenprinzip hat sich bereits in der Entwurfsphase als sehr flexibel erwiesen: Vom Wettbewerb zur Ausführung hat sich der Bau von 260 auf 308 m verlängert, dies entspricht zwölf 4-m-Modulen. Bei einer kompakten Anordnung mit Abhängigkeiten zwischen Länge, Höhe und Breite wären wir wohl weniger flexibel gewesen. Beim fertigen Bau erlaubt die modulare Fassade die wichtige Zugänglichkeit zum Innern. Alles muss durch Fahrzeuge und Kräne von aussen erreichbar sein, der Ein- und Ausbau der technischen Anlagen erfolgt seitlich. Auch diesbezüglich ist die Linearität mit der grossen Abwicklung vorteilhaft, weil alle Anlagen nahe an der Fassade liegen.

T.P.: Von uns stammte das Grundkonzept, also die Linearität als Abbild der inneren Pro zesse, das plastisch-volumetrische Zusammenspiel von vertikalen und horizontalen Elementen und letztlich die entwerferische Strategie im Umgang mit der Grossmassstäblichkeit der Aufgabe. Die konkrete Formfindung, das Ausreizen der technischen Möglichkeiten des Betons, die konstruktive Umsetzung in Ortbeton und vorfabrizierten, modularen Elementen geschah dann im intensiven und fruchtbaren Dialog zwischen den Disziplinen – so, wie es bei so komplexen Bauten immer der Fall sein sollte. Exemplarisch für dieses Vorgehen war die zusammen mit Carlo Galmarini getroffene Materialwahl. Der Entscheid für den Baustoff Beton kam aus unserer gemeinsamen Affinität für alle Arten von Infrastrukturbauten, Brücken und Staudämmen, die ihre Kraft aus dem Material entwickeln. Die Schweiz ist ein Betonland, die Grundbestandteile sind hier vorhanden und Betonbauten haben Tradition. Zwingend für Beton sprach zudem der Umstand, dass der Kehrichtbunker im Grundwasser zu liegen kam. Wir mussten also eine dichte Wanne bauen, um Verschmutzungen zu vermeiden. Im Wettbewerb hatten wir zunächst eine reine Ortbetonstruktur. Bei der Über arbeitung wurde uns bewusst, dass diese mit der Vorgabe, jederzeit überall in den Innenraum gelangen zu können, nicht vereinbar war. Nachträgliche Öffnungen hätten unserer Vorstellung von Präzision und der angestrebten hohen Ökonomie der Konstruktion widersprochen. Im Gespräch mit den Verfahrensingenieuren schliesslich definierten wir den Übergang zwischen dem fugenlos gegossenen Sockel und dem darüber liegenden, modularen Aufbau.

M.G.: Die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauingenieur war intensiv und von gegenseitigem Interesse geprägt. Dies hat sich nicht nur bei der Gebäudehülle manifestiert, sondern bei sämtlichen strukturellen Elementen, zumal bei diesem Projekt das Tragwerk ja nicht gedämmt und eingepackt werden musste. Das beharrliche Bestreben von Carlo Galmarini, die Strukturen ökonomisch und effizient zu dimensionieren, deckte sich mit unserem Interesse, das Material Beton sehr differenziert auszuformulieren und ihm sogar Leichtigkeit zu verleihen. Einzelne Platten wie beispielsweise beim Dach der Abladehalle konnten extrem ausgedünnt werden, ohne dabei ihre aussteifende Wirkung im Verbund innerhalb des Faltwerks zu verlieren. Wir wollten eine dramatische Wirkung erzielen. Durch den Massstab der Anlage entsteht eine Verschiebung in der Wahrnehmung: Wandscheiben mit einer normalen Dicke von 20 oder 30 cm wirken dünn und leicht wie Karton, doch aus diesen dünnen Scheiben entstehen massiv wirkende Volumen, die ihrerseits wiederum über dem Boden zu schweben scheinen. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung von Leichtigkeit und Schwere konnten wir erst dank dem Massstab der Anlage zu einem wichtigen Thema entwickeln.

TEC21: Wie bei vielen Ihrer Projekte ist die Wegführung ein zentrales Entwurfsthema.

T.P.: Uns wurde bereits früh im Wettbewerb klar, dass die Öffentlichkeit ein hohes Interesse an der Anlage haben würde und einen angemessenen Zugang dazu bräuchte, auch wenn diesem Aspekt im Programm keine Bedeutung zugemessen war. Die KVA Thun zählte 2005 bereits 3500 Besucher pro Jahr – für uns Indiz genug, die Wegführung von Personal und Besuchern zu einem tragenden Entwurfsthema zu machen. Neben den Funktionen der technischen Räume stand deshalb die Frage nach den Erschliessungsräumen im Vordergrund, die für uns immer auch Raumerschliessung sind: Sie machen den Raum durch Bewegung erlebbar. Die Wegführung ist identitätsbildend. Die Fassade zur Autobahn ist ja primär konzeptuell definiert: Prägend ist der weithin sichtbare Kamin, alle anderen Bauteile liegen sozusagen im Wald verborgen und könnten nach Bedarf geändert werden, bis hin zum Hinzufügen einer weiteren Verbrennungslinie. Anders die Stadtfassade und die dahinter verborgene Raumfolge, die sorgfältig inszeniert sind: Der Aufgang auf die Passerelle, der Eingang unter dem kreisrunden Oberlicht, der 300 m lange, verglaste Korridor mit den Bullaugen in die Anlage – die in einem Art Stationenweg sämtlichen Schritten des Prozesses folgen –, danach der Übergang in die Treppenanlage mit dem dramatischen Aufstieg unter zenitalem Licht und die Treppe in die Steuerzentrale. Den krönenden Abschluss bildet die Liftfahrt auf die Besucherplattform auf dem Kamin. Dies sind zentrale Elemente des Entwurfs. Der Korridor zeichnet sich nachts deutlich ab, je nach Lichtsituation als gelbes Band oder als Reihe leuchtender Bullaugen. Er bildet die Schnittstelle zwischen innen und aussen, einen surrealen Raum zwischen Technik und Wald.

TEC21: Dieser Besuchergang hält wie ein Geschenkband das pragmatisch gestapelte Paket der industriellen Funktionen zusammen. Als schmale Linie betont er die Dimensionen des Gebäudes und seine Horizontalität im Gegensatz zu den Baumstämmen.

M.G.: Die Perspektive der Besucherinnen und Besucher hat schon in der frühesten Konzeptphase im Wettbewerb den Entwurf geprägt. So entstand die Idee des öffentlichen Korridors, dessen Linearität ein Abbild der inneren Abläufe ist. Umgekehrt hat der Anspruch, die Abläufe für Laien verständlich zu machen, das Konzept der linearen Anordnung der Funk tionen gestärkt und zur logischen Abfolge von Anlieferung, Kehrichtbunker, Verbrennung, Reinigung der Rauchgase und Energieproduktion geführt. Szenografische Überlegungen haben die Formfindung ebenso bestimmt wie die technischen und funktionalen Anforderungen. Der didaktische Aufbau ist eine gebaute Einladung an die Öffentlichkeit. Die Bauherrschaft war von Anfang an von dieser Haltung eingenommen; sie hat das Konzept mitgetragen und weiterentwickelt. Mit dem Besucherzentrum hat sie ein Element ins Programm aufgenommen, das die Öffentlichkeitswirkung noch zusätzlich auflädt.

TEC21, Fr., 2013.03.22



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TEC21 2013|13-14 Energiezentrale Bern

25. Januar 2013Alexander Felix
TEC21

«Eine sanfte Renovation»

Die Norm SI A 118 hatte seit mehr als 30 Jahren fast unverändert Bestand, bis sie nun überarbeitet wurde. Roland Hürlimann, Bauanwalt und juristischer Berater der Revisionskommission, erläutert deren Vorgehen und Absichten. Um die bestehende Ausgewogenheit der Norm zu erhalten, führte das Gremium nur notwendige und zweckmässige Anpassungen aus. Entscheidende Änderungen zum Nachteil der Planer sieht der Jurist nicht.

Die Norm SI A 118 hatte seit mehr als 30 Jahren fast unverändert Bestand, bis sie nun überarbeitet wurde. Roland Hürlimann, Bauanwalt und juristischer Berater der Revisionskommission, erläutert deren Vorgehen und Absichten. Um die bestehende Ausgewogenheit der Norm zu erhalten, führte das Gremium nur notwendige und zweckmässige Anpassungen aus. Entscheidende Änderungen zum Nachteil der Planer sieht der Jurist nicht.

TEC21: Warum war die Revision der Norm SIA 118 nötig?

Roland Hürlimann: Bei der Norm SIA 118 handelt es sich um «Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten», die von den Baubeteiligten seit 1977 praktisch unverändert auf Bauwerkverträge angewendet werden. Die Kommission wollte die Norm heutigen Gegebenheiten anpassen, und zwar unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen von Gesetzen und Normen und der neuen Gerichtspraxis. Dies bedingte einige inhaltliche und terminlogische Änderungen. Der SIA hat nicht eine umfassende Revision der Norm, sondern eine sanfte Renovation als Ziel vorgegeben. Dabei sollte die Ausgewogenheit der geltenden Norm – also das Gleichgewicht zwischen Bauherren- und Unternehmerinteressen – beibehalten bleiben. Die über 20-köpfige Revisionskommission bestand daher aus Vertretern aller Interessengruppen und drei juristischen Beratern.

TEC21: Welches sind die wichtigsten inhaltlichen Änderungen?

R. H.: Es gibt Punkte, die von der Kommission neu aufgenommen wurden. Zum Beispiel haben wir uns dem Qualitätsmanagement gewidmet. Das Thema war in der Norm bisher ansatzweise geregelt mit den Bestimmungen über die Zwischenprüfungen und die Gewährleistung. Allerdings lag ein Defizit darin, dass das Qualitätsmanagement im Wesentlichen erst nach der Bauvollendung und der anschliessenden Abnahme einsetzte – also erst, nachdem man sah, ob das fertige Bauwerk mangelfrei oder mangelhaft ist. Bei der steigenden Zahl von komplexen Bauvorhaben und wegen des mittlerweile recht engen Geflechts aus Gesetzen und Normen haben Bauherrschaften und Unternehmer jedoch ein Interesse daran, dass das Qualitätsmanagement schon während der Bauausführung – und damit vor der Abnahme – greifen kann. Um durch eine periodische Kontrolle möglichst effizient ein mangelfreies Ergebnis zu erzielen, gibt die Norm nun vor, dass bereits die Ausschreibung Bestimmungen zu den speziellen Anforderungen an die Qualität, an die Organisation und an die Arbeitsabläufe im Sinn eines projektbegleitenden Qualitätsmanagements enthalten soll. Eine neu eingefügte Bestimmung stellt zugleich klar, dass Prüfungen, Belastungsproben oder irgendwelche sonstigen Massnahmen, die während der Ausführung ergriffen werden, nur als Zwischenprüfungen gelten und keine Abnahmewirkungen auslösen. Das wird jetzt explizit erwähnt, damit die Anwender – die im Allgemeinen keine Juristen sind, sondern Bauunternehmer, Planer oder Bauherrschaften – nach Art eines Kochbuchs wissen, was zu tun ist und was die Bedeutung und die Tragweite der einzelnen Vorgänge sind.

Das ist nur ein Beispiel, das illustrieren soll, dass sehr viele Bestimmungen äusserst praxisnah sind, auch wenn es selbstverständlich juristische Regeln braucht. Darüber hinaus haben wir versucht, einzelne Bestimmungen leicht zu modifizieren oder zu ergänzen, deren Formulierungen nicht ganz klar waren, die aber in der Baupraxis seit Längerem in einem gewissen Sinn verstanden wurden. Beispielsweise umfasst der Begriff Baugrund auch die bestehende Bausubstanz (Artikel 5, 25, 58 Abs. 2). Eine solche Interpretation liess sich zwar aus den bisherigen Bestimmungen ableiten; dennoch war sich die Kommission einig, dass eine Klarstellung eingefügt werden soll. Ein weiteres Beispiel sinddie Kosten für Schutz- und Fürsorgemassnahmen für Personen, die der Unternehmer nach dem bisherigen Artikel 103 in die Position «Baustelleneinrichtung» einrechnen musste, was nicht immer geschah. Die ergänzten Bestimmungen von Artikel 103 und Artikel 9 halten neu fest, dass das Leistungsverzeichnis der Ausschreibung eine separate Position für

«baustellenspezifische Schutzmassnahmen» aufzuführen hat. Das soll sicherstellen, dass der Unternehmer diese Massnahmen kalkulatorisch erfasst und in seinem Angebotspreis berücksichtigt.

Die Kommission hat auch Bestimmungen angepasst, die im wirtschaftlichen Umfeld des Jahres 1977 vernünftig waren, heute aber – nicht zuletzt wegen der Inflation – nicht mehr in jedem Fall adäquat sind. Zum Beispiel räumt die Norm der Bauherrschaft in Artikel 150 das Recht ein, bei jeder Abschlagszahlung einen bestimmten Prozentsatz (10 % bei Leistungswerten bis 300 000 Franken, 5 % bei höheren Leistungswerten) als Sicherheit für die Vertragserfüllung zurückzubehalten. Dieser Rückbehalt wird erst mit der Abnahme bzw. noch später fällig. Die Prozentsätze wurden nun nach oben angepasst (z. B. neu 10 % bis 500 000 Franken, 5 % bei höheren Leistungswerten). Zudem wird der Maximalbetrag des Rückbehalts von 1 auf 2 Mio. Franken angehoben, sofern nichts anderes vereinbart wird.

TEC21: Die Revision ist einerseits eine Anpassung an die Realität und greift andererseits neue Themen und Bedürfnisse auf. Aber das Prinzip und die Form – die Mischung aus juristischen Vorgaben und Handlungsanleitungen – wurde beibehalten.

R. H.: Wir haben die Artikel beibehalten, aber einzelne Termini angepasst. So verwendet die Norm neu das Wort Rückbau; vor dreissig Jahren hat man Abbruch gesagt. Während man früher von Vertragspartner gesprochen hat, spricht die neue Norm von Vertragsparteien und so weiter. Zum Teil sind das kleine Änderungen, sie führen aber zu einer gewissen Vereinheitlichung, auch mit den übrigen SIA-Normen. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Teuerungsabrechnung. Bislang war in der SIANorm 118 geregelt, dass es bei überjährigen Verträgen, wenn also die Realisierung eines Projekts länger als ein Jahr dauert, einen Ausgleich für die Teuerung bei Personal- und Materialkosten sowie allenfalls auch auf die gesamte Bauinstallation gibt. Auf dieser Basis werden in der Schweizer Bauwirtschaft für die Teuerung jährlich bis zu 500 Mio. Franken ausgezahlt. Diese Summe wird in den bisherigen Bestimmungen nach einem relativ komplexen Mengennachweisverfahren berechnet. Allerdings hat sich die Baupraxis, zumindest bei einzelnen Gewerken, etwas anders entwickelt. Dort wird heute nach einem Indexverfahren oder einer Gleitpreisklausel abgerechnet. Eine Arbeitsgruppe der Kommission hat daher die Teuerungsbestimmungen an die heutige Praxis angepasst. Die Bestimmungen wurden aus der Norm herausgenommen und die verschiedenen möglichen Berechnungsverfahren in vier SIA-Normen1 separat geregelt. Falls die Vertragsparteien keine vertragliche Regelung getroffen haben, regelt Artikel 65 in einem Auffangtatbestand, wie die Teuerung im Bauhauptgewerbe und wie sie im Bereich der Zulieferung abgerechnet werden soll.

TEC21: Welche Misverständnisse wurden ausgeräumt?

R. H.: Wie schon erwähnt, hat man an den Bestimmungen der SIA-Norm 118 seit 1977 eigentlich nichts geändert. Interessant sind jedoch zwei sogenannte Sternbemerkungen, die 1991 zur Erläuterung des Textes eingefügt wurden. Zum einen wurde der Begriff Garantiefrist nicht immer als Rügefrist richtig ausgelegt. Zuweilen wurde er als Verjährungsfrist missverstanden. Neu bezeichnet die Norm den Zeitraum, in dem der Besteller das Werk prüfen und allfällige Mängel rügen muss, durchwegs als «Rügefrist». Damit soll eine allfällige Verwechslung mit der Verjährungsfrist vermieden werden, die den Zeitraum meint, in dem der Besteller seine Rechtsbehelfe (Nachbesserung, Minderung oder den Folgeschaden) aus dem gerügten Mangel durch Klage beim Gericht geltend machen muss. Die zweite Sternbemerkung betraf die Bürgschaft, also die vom Unternehmer beizubringende Sicherheitsleistung nach der Abnahme zur Sicherstellung für seine Haftung wegen Mängeln.

Diese Sicherheit wird häufig mit einem Garantieschein einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft bestellt. Auch diese Sternbemerkung wurde eliminiert und der bisherige Text von Artikel 181 neu formuliert.

Nicht zu vergessen sind auch Gesetzesänderungen, die in der Norm aktualisiert werden mussten – etwa, dass sich seit 1977 das öffentliche Vergaberecht oder die Zivilprozessordnung geändert haben. Zum Beispiel haben wir die bisherige Bestimmung mit ihrer standardisierten Gerichtsstandsklausel leicht angepasst (Artikel 37). Ausserdem kannte man vor 30 Jahren kein eigentliches Beschaffungsrecht; man behalf sich mit der SIA-Norm 117.

In den revidierten Bestimmungen gibt es jetzt einen klaren Verweis darauf, dass beim Bauen mit der öffentlichen Hand das öffentliche Vergaberecht vorbehalten bleibt. Zu präzisieren waren auch die Bestimmungen über die gesetzlichen Abgaben – 1977 hatten wir ja noch die Warenumsatzsteuer (Wust). Um Missverständnisse zu vermeiden, wird in der Norm neu festgehalten, dass bei den offerierten Preisen, wenn vertraglich nichts anderes festgelegt ist, die Mehrwertsteuer als nicht eingerechnet gilt. Allerdings muss jetzt der einfache Anwender, der einmal im Leben baut, daran erinnert werden, dass zum Festpreis, der im Regelfall als Pauschal- oder Globalpreis oder als Einheitspreis pro Menge ausgestaltet ist, die Mehrwertsteuer hinzukommt. Dieselbe Präzisierung wurde beim Aufwandpreis – also den Regieansätzen – eingefügt.

TEC21: Es sind also eher Übersetzungshilfen, das zu sagen, was ursprünglich gemeint war.

R. H.: So könnte man es sehen. Es gibt aber durchaus Kritiker, die einzelne Punkte des geänderten Normtextes bemängeln, und zwar speziell diese in den Normtext integrierten Sternbemerkungen. Sie monierten etwa, dass die gewünschte Klarstellung nicht erreicht sei. Kritisiert wird namentlich die Regelung der Solidarbürgschaft, weil nach wie vor nicht klar sei, ob die Bürgschaft für zwei oder für fünf Jahre nach Abnahme gestellt werden müsse. Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht ferner darin, dass die Norm, die ja eine Branchenbedingung sei, die Mehrwertsteuer nicht inkludiere. Das sei eine überraschende und konsumentenfeindliche Klausel. Mit einer solchen Bestimmung müsse eine Bauherrschaft, die nureinmal im Leben baue, nicht rechnen, zumal im täglichen Leben die Preise inklusive Mehrwertsteuer angegeben werden müssen. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass Artikel 83, der auf Regeln des Bauhandwerkerpfandrechts im Zivilgesetzbuch verweist, nicht mehr aktuell sei, weil seit Anfang 2012 eine Gesetzesanpassung in Kraft ist (TEC21 45/2011, S. 42).

Da die Arbeit der Revisionskommission bereits 2010 abgeschlossen war, konnte sie diese Anpassung nicht vorwegnehmen. Allerdings ist die Formulierung von Artikel 83 mittlerweile noch angepasst worden. Manche Kritiker fordern auch eine Gesamtrevision, die Juristen in einer wissenschaftlichen Herangehensweise hätten machen sollen – einen grossen Wurf.

TEC21: Hätte man damit nicht den Praxisbezug verlassen?

R. H.: Das möchte ich nicht unterstellen. Auch eine umfassende Revision hätte Rücksicht auf die Praxis nehmen müssen. Aber bis in der Schweiz ein grosser Wurf gelandet werden kann, geht in der Regel viel Zeit ins Land. Es stellt sich auch die Frage, ob man ein solches Revisionsvorhaben in einem vernünftigen Zeitraum bewältigen kann. Die Aufgabe der Redaktionskommission war durch den SIA klar vorgegeben: Man hat uns Zeit und Kompetenz für eine sanfte Renovation eingeräumt, unter Beibehaltung der Gleichgewichte, und genau das haben wir auch gemacht. Die entscheidende Maxime für die Kommissionsarbeit war, jene Anpassungen in Angriff zu nehmen, bei denen Aussicht bestand, in vernünftiger Frist zu einer Einigung zu kommen, die das bestehende Gleichgewicht wahrt. Ohne diese Vorgaben hätte durchaus ein Dammbruch passieren können. Es galt zu vermeiden, dass entweder die Bauherren- oder die Unternehmerseite ihre Interessen durchsetzt oder die Revision insgesamt scheitert. Unsere Messlatte war, das Notwendige und Zweckmässige zu machen, aber nicht mehr.

TEC21: Auf welche Punkte müssen die Planer jetzt genau schauen?

R. H.: Es gibt keine entscheidenden Änderungen zu ihrem Nachteil. Aber es gibt natürlich Punkte, die für sie schon immer wichtig waren und es auch weiterhin sind: Zum Beispiel korrespondieren die Regelungen über das Vertretungsverhältnis des Planers zur Bauherrschaft in der SIA-Norm 118 nicht mit den Vertretungsregeln der SIA-Ordnungen 102, 103, 108 und 112.2 Das ist – wie bisher auch schon – ein Knackpunkt, der häufig zu Diskussionen und Streitigkeiten Anlass gibt. Des Weiteren ist der Planer der Vertreter der Bauherrschaft, er ist also verpflichtet, alles zu tun, um die Interessen seiner Bauherrschaft zu wahren. Wenn als Folge der neuen Bestimmungen nun noch vermehrt auf Qualitätsmanagement geachtet wird, hat er jetzt mehr Werkzeuge in der Hand, um das Bauwerk von seiner Entstehung bis zur Abnahme zu überwachen und zu kontrollieren. Insofern ist jeder Planer gut beraten, wenn er sorgfältig studiert, was die Anpassungen für ihn bedeuten und welche Konsequenzen damit verbunden sein könnten.

TEC21: Übernehmen die Planer damit auch zusätzliche Verantwortung?

R. H.: Die Rechtsprechung wird zeigen, ob aus den angepassten Bestimmungen zum QM eine zusätzliche Verantwortung folgen könnte. Letztlich kommt es darauf an, welche Aufgaben der Planer in seinem Vertrag mit dem Auftraggeber übernimmt und ob er sich an dieses Pflichtenheft hält. Abgesehen davon war es bisher schon so, dass der Planer periodische Kontrollen vor Ort durchführen musste und immer dann besonders gefordert war, wenn kritische Bauvorgänge ausgeführt wurden. Ich glaube daher nicht, dass die Bestimmungen zum Qualitätsmanagement eine Ausdehnung der Haftung zur Folge haben werden. Diese Regelung wird durch die Revision höchstens allen Beteiligten ein wenig bewusster.

TEC21: Wie ist die SIA-Norm 118 im europäischen Vergleich einzuordnen?

R. H.: Im europäischen Vergleich sind wir mit der SIA-Norm 118 verwöhnt. Sie ist eine gute, ausgewogene und praxisnahe Norm – das war selbstverständlich schon vor der Revision so – und hat eine breite Akzeptanz in der Schweiz. Bei grösseren Bauvorhaben wird sie zu mehr als 90 % angewendet, obwohl es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen ohne jeglichen gesetzesähnlichen Charakter handelt. Sie ergänzt die recht rudimentären Regelungen des gesetzlichen Werkvertragsrechts, also die Artikel 363 bis 379 des Obligationenrechts, in den meisten Fällen passend und praxisbezogen. Und das nicht nur für den Baumeister, sondern auch für viele weitere Gewerke und – mit gewissen Anpassungen – auch für General- oder Totalunternehmer.

Die deutsche Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) hat im Teil B ein sehr ähnliches Gerippe wie die SIA-Norm 118. Auch die entsprechende ÖNorm B2110 in Österreich ist ähnlich aufgebaut, und beide haben auf viele Fragen vergleichbare Lösungen gefunden. Im internationalen Vergleich zu erwähnen sind noch die Bestimmungen der International Federation of Consulting Engineers (FIDIC), die eher auf dem angelsächsichen Common Law basieren und besonders bei Werkverträgen für grössere Bauvorhaben Berücksichtigung finden (vgl. «‹Wir hätten die SIA 118 erfinden müssen›», S. 23).

Schwächer an der Schweizer Lösung ist, dass es keine wirksame gesetzliche Inhaltskontrolle für Branchenbedingungen gibt, wonach ein Gericht zu einseitige, für eine Partei nachteilige Vertragsklauseln als unwirksam erklären könnte. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Schweiz mit der SIA-Norm 118 faire und ausgewogene Baubedingungen haben. Leider wird die Norm nicht immer im Sinn der reinen Lehre verwendet. Sowohl die private Bauherrschaft als auch die öffentliche Hand nehmen sie häufig als Grundlage, erklären aber zusätzliche Bedingungen für anwendbar, in denen sie mit einseitigen Klauseln versuchen, die Risikoverteilung nach Gesetz und der Norm zum Nachteil der Unternehmer zu verändern. Es gibt aber auch Generalunternehmer, die ihre Subunternehmer, also eigentlich ihre Berufskollegen, durch unvorteilhafte Vertragsklauseln «drücken». Die SIA-Norm 118 ist zuweilen dem Spiel der Kräfte ausgeliefert: Die wirtschaftlich oder politisch mächtigere Vertragspartei obsiegt und schafft es, die Norm mit ihren einseitigen Bestimmungen zu überlagern. In Deutschland hingegen schreibt das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgewogene standardisierte Vertragsbestimmungen vor; Vertragsverfasser riskieren, dass ein Gericht zu einseitige Bestimmungen für unwirksam erklärt.

TEC21: Nimmt die Tendenz zur Abweichung von der Norm SIA 118 zu?

R. H.: Ja. Wir haben zwar eine gute Norm, aber heute ist leider eine Tendenz zu erkennen, die ausgewogenen Bestimmungen der Norm einseitig abzuändern und durch Vertragsklauseln zu überlagern, die eine Partei übermässig benachteiligen. Es gibt aber auch gegenläufige Bemühungen und Entwicklungen. Beispielsweise hat der Bund mit der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherrschaft (KBOB) zusammen mit Bauen Schweiz und weiteren Verbänden die KBOB-Musterverträge aufgestellt.

Diese basieren ebenfalls auf dem System der SIA-Normen und -Ordnungen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Baubeteiligten zumindest an die dort verhandelten Vorgaben halten, um den heutigen Wildwuchs der unzähligen Branchenbedingungen wieder etwas einzudämmen. Allerdings ist die öffentliche Hand heute relativ stark und baut nach den Vergabegesetzen – die Unternehmer haben nur die Möglichkeit, die Bestimmungen der Ausschreibung (inklusive den Werkvertragsbedingungen) in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren, falls sie nicht riskieren wollen, mit ihrem Angebot von der Submission ausgeschlossen zu werden. Dieses Thema wird übrigens bei der 20. Schweizerischen Baurechtstagung Ende Januar 2013 an der Universität Freiburg angesprochen.

TEC21: Gehen die Planer aus Ihrer Sicht professionell mit der Norm SIA 118 um?

R. H.: Ich finde ihren Umgang mit den Normen generell sehr professionell. Die SIA-Norm 118 regelt zwar das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Unternehmer, aber häufig übernimmt ja der Planer für die Bauherrschaft die Vertragsgestaltung. Und auch die Planer empfehlen regelmässig die Übernahme der SIA-Norm 118.

TEC21, Fr., 2013.01.25



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|05-06 Revision Norm Sia 118

15. Juni 2012Alexander Felix
TEC21

Den Hinterhof aufmöbeln

2013 wird die Internationale Bauausstellung (IBA) im Hamburger Stadtviertel Wilhelmsburg dem Publikum präsentiert. Mit insgesamt 60 Projekten soll der bisher vernachlässigte «Hinterhof» auf der Elbinsel entwickelt ­werden. Wie bei keiner IBA zuvor versucht man in Hamburg das Planungs­instrument IBA mit sozialer und energetischer Nachhaltigkeit zu verbinden. Insgesamt werden 1200 neue Wohnungen geschaffen. Wie viele eingesessene Bewohner auf den neuen Weg mitgenommen werden, wird sich weisen.

2013 wird die Internationale Bauausstellung (IBA) im Hamburger Stadtviertel Wilhelmsburg dem Publikum präsentiert. Mit insgesamt 60 Projekten soll der bisher vernachlässigte «Hinterhof» auf der Elbinsel entwickelt ­werden. Wie bei keiner IBA zuvor versucht man in Hamburg das Planungs­instrument IBA mit sozialer und energetischer Nachhaltigkeit zu verbinden. Insgesamt werden 1200 neue Wohnungen geschaffen. Wie viele eingesessene Bewohner auf den neuen Weg mitgenommen werden, wird sich weisen.

Wäre Hamburg 2003 mit seiner Olympia-Bewerbung nicht schon an der innerdeutschen Konkurrenz gescheitert, würden die Olympischen Spiele am 27. Juli 2012 wohl in einem neuen Leichtathletikstadion im Stadtteil Wilhelmsburg gegenüber der Elbphilharmonie eröffnet werden. Stattdessen planten die Verantwortlichen der Stadt, 2013 in Wilhelmsburg eine Internationale Gartenschau (igs) zu veranstalten.

Da aber Bedenken darüber bestanden, ob diese Veranstaltung alleine genügen würde, um die Probleme des lange Jahre als «Hinterhof» vernachlässigten Stadtviertels in den Griff zu bekommen, entschied der Senat der Hanse­stadt 2005, zusätzlich eine Internationale Bauausstellung (IBA) zu veranstalten
(vgl. Kasten S. 20). Der Stadtteil Wilhelmsburg ist der flächenmässig grösste Hamburgs und liegt südlich der Innenstadt auf der grössten Flussinsel Europas zwischen zwei Elbarmen – der Norder- und der Süderelbe (Abb. 1). Auf etwa 35 km2 befinden sich neben weitläufigen ­Arealen des Hamburger Hafens grosse Industriegebiete.

Ausserdem wohnen rund 55 000 Menschen auf der Insel mitten im Grossraum Hamburg. Über weite Flächen hat sich Wilhelmsburg aber einen eher dörflichen Charakter bewahrt.

Entwicklung der Elbinseln

Ursprünglich bestand die Insel aus einem Archipel von gut zwei Dutzend Inselchen, von denen nur eine – das heutige Quartier Kirchdorf – ganzjährig bewohnt war. Durch Eindeichungen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts haben Generationen von Marschbauern die heutige Insel geschaffen. An die ursprüngliche, von Ebbe und Flut geprägte Tide-Auen-Landschaft erinnert heute nur das Naturschutzgebiet Heuckenlock im Südosten.

Durch die Nähe zum Stückguthafen war das Gebiet über lange Zeit eine bevorzugte Wohngegend für einfache Hafenarbeiter. Bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts setzte nach Ankunft eines Bananenfrachters eine kleine Völkerwanderung Richtung Hafen ein, da zur Entladung viele Hände gebraucht wurden.

Bei der Sturmflut von 1962 war Wilhelmsburg das am stärksten betroffene Gebiet. Deiche im Norden der Insel brachen, sodass weite bebaute Gebiete überschwemmt und die Menschen in ihren Häusern eingeschlossen wurden. 200 der 315 Toten in Hamburg wurden in Wilhelms­burg gezählt. In der Folge verstärkte sich eine Diskussion, die seit den 1920er-Jahren geführt wurde: Der westliche Inselteil sollte dem Hafen zugeschlagen und für den Wohnungsbau ganz aufgegeben werden. 1967 beschloss der Hamburger Senat, die Bewohner in neu zu bauende Grosssiedlungen weiter östlich auf der Insel zu übersiedeln. Der Plan wurde ­allerdings nur ansatzweise umgesetzt. Eine Folge der geplanten Aufgabe war ein verstärkter Wegzug des Mittelstandes. Hinzu kam der Strukturwandel im Hafen: Durch die Entwicklung hin zum Containerverkehr wurden immer weniger Arbeiter benötigt, sodass in Wilhelmsburg eine Abwärtsspirale aus Arbeitslosigkeit und Armut entstand.

Sprung über die Elbe

Im Gegensatz zur Konversion der Hafenanlagen auf dem gegenüberliegenden Elbufer zur HafenCity verfolgen die Verantwortlichen der IBA eine Stadtumbaustrategie: Bei der Entwicklung des verhältnismässig kleinen Gebiets der HafenCity wurden ehemalige Industrieflächen komplett umgewandelt, alte Nutzungen entfernt oder verlagert und die freigeräumte Fläche zur Bebauung an Investoren verkauft. Ziel der Strategie in Wilhelmsburg hingegen ist laut Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA Hamburg (vgl. Kasten), ein behutsamer Stadtumbau, der die vorhandenen Infrastrukturen und Menschen berücksichtigt. Dabei geht es um eine nachhaltige Innenentwicklung Hamburgs, die an zentralen, aber unterentwickelten Orten, den sogenannten inneren Peripherien, ansetzt und so die wenigen noch vorhandenen innerstädtischen Entwicklungspotenziale nutzt.

Anstelle von akupunkturartigen Stadtverbesserungsmassnahmen wie jenen der IBA in Berlin 1984 oder der Separationsstrategie der Moderne setzt die IBA Hamburg auf eine integrierte Planung der Nutzungsmischung und eine enge Verwebung verschiedener Massnahmen. Ein punktuelles Vorgehen könne, laut Hellweg, die Probleme heute nicht mehr lösen, sondern es seien wie in der klassischen Moderne grossflächige, strategische Planungen nötig. Allerdings nicht mehr als Erweiterung vor der Stadt, die neue suburbane Peripherien schaffe, sondern als Entwicklung einer ökologischen Moderne – wie es Hellweg formuliert –, die grossmassstäblich innerhalb der bestehenden Stadt Probleme löse.

Zu Beginn der IBA-Planungen wurden diese Ansätze zu drei Leitthemen verdichtet, die im Mittelpunkt der Planungen, Prozesse und Dialoge stehen:
– Kosmopolis: Auf soziokultureller Ebene soll die IBA zeigen, welchen Gewinn eine inter­nationale Stadtbevölkerung für eine Metropole bedeuten kann, wenn nach neuen Wegen des Zusammenlebens gesucht wird.
– Metrozonen: Auf der Ebene des Städtebaus soll die IBA demonstrieren, wie «innere Peripherien» (Infrastrukturen und Industrieareale) zu mehrschichtig attraktiven Orten entwickelt werden können.
– Stadt im Klimawandel: Hier soll vorgeführt werden, wie eine Stadt wachsen kann und die Umwelt und das Klima dennoch möglichst wenig belastet werden. Ausserdem soll die IBA zeigen, wie eine Stadt am Wasser den Folgen des Klimawandels begegnen kann (vgl. S. 27).

Die Umsetzung der Leitthemen erfolgt von der kleineren Elbinsel Veddel im Norden über ganz Wilhelmsburg verteilt bis in den Harburger Binnenhafen im Süden. Dieser Beitrag
fokussiert auf die zwei unterschiedlichen Schwerpunkte Reiherstiegviertel und neue Mitte Wilhelmsburg (Abb. 2).

Umbau im Reiherstiegviertel

Das Reiherstiegviertel (Abb. 3) westlich der Reichsstrasse – und damit nach 1962 zur Aufgabe vorgesehen – ist ein Quartier, dessen Bevölkerung einen sehr hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund aufweist: durchschnittlich 55 %, unter Jugendlichen sogar über 70 %. Im Quartier wohnen Menschen aus über 70 Ländern, und das Strassenbild bietet eine bunte Mischung – vom türkischen Bäcker über afrikanische Läden bis zum portugiesischen Fischlokal. Aus den Zuwanderern von gestern sind die Ladenbesitzer von heute geworden – und die Pensionierten von morgen. Hier setzt das Projekt Veringeck an: Die Altenpflegeeinrichtung hat sich auf die Bedürfnisse von türkischstämmigen Wilhelmsburgern spezialisiert und bietet eine ambulante Tagespflege, seniorengerechte Wohnungen und eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft für demenzkranke türkische Senioren an. Im Erdgeschoss befinden sich ein öffentliches Café und ein türkisches Dampfbad (Abb. 4).

Weiter südlich, auf der Vering- und der Weimarer Strasse, gelangt man in das sogenannte Weltquartier, eine ehemalige Arbeitersiedlung aus den 1930er-Jahren, die sich wie etliche Siedlungen in Wilhelmsburg im Besitz der gemeinnützigen städtischen Siedlungs-Aktiengesellschaft SAGA GWG befindet. Zusätzlich zu einer energetischen Sanierung wurden die Wohnungsgrössen und -grundrisse an heutige Bedürfnisse angepasst. Die für das Hamburger ­Strassenbild charakteristischen Backsteinfassaden erhielten nach langen Diskussionen eine Aussendämmung, die mit roten Klinkerriemchen verkleidet wurde. Zur Erweiterung der Wohnflächen wurde eine Balkonzone an die Häuser angebaut, deren Verkleidung – aus ­Kosten- und Unterhaltsgründen – aus Schichtpressstoffplatten mit Holzoptik besteht. Auf dem neu gestalteten Weimarer Platz mitten in der Siedlung wurde ein Pavillon errichtet, der flexibel nutzbare Räume für verschiedene Nachbarschaftsaktivitäten bietet (Abb. 5 – 6).

Von den 820 Wohnungen der Siedlung sind 753 Teil des IBA-Sanierungskonzepts. Insgesamt werden 67 Wohnungen modernisiert, 402 umgebaut und 284 Wohnungen im Passivhaus­standard neu gebaut. Der Primärenergiebedarf im Quartier soll dadurch von 300 auf 71 kWh/m2 im Jahr sinken. Entsprechend der IBA-Qualitätsvereinbarung und gemäss Aus­sage der SAGA sollen nach dem Umbau alle Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren können. Laut aktuellen Zahlen der IBA wohnen in den bislang rund 150 fertiggestellten ­Wohnungen 38 % Rückkehrer (d.h. Mieter, die weggezogen und wieder zurückgezogen sind) und 60 % Mieter, die aus anderen Bauabschnitten des Weltquartiers in die fertiggestellten Wohnungen umgezogen sind. Die autonomen Gentrifizierungsgegner vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU), die sich sehr kritisch mit der IBA auseinandersetzen, befürchten in ­ihrem Blog[1] hingegen, dass bis zu 80 % der Menschen nicht mehr zurückkehren werden, da sie sich die Mieten der grösseren, modernisierten Wohnungen nicht leisten können. Zudem kritisiert der AKU die von der IBA durchgeführten Bewohnerbeteiligungen als «oberflächlich».

Aus immobilienwirtschaftlicher Sicht weist der Wohnungsbestand im Reiherstiegviertel im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt einen deutlichen qualitativen Rückstand auf. Daher ist das Umbauprinzip, das im Rahmen der IBA verwirklicht wird, hier deutlich zu sehen. Dennoch tritt die IBA mit dem Slogan «Wohnen heisst bleiben» an. Um dieses Ziel zu kontrollieren, setzt die IBA auf ein eigenes Monitoring. Zudem verfügt die Stadt Hamburg mit einer Erhaltungssatzung über ein Instrument, Modernisierungsverdrängung zu verhindern.

Gezielt neue Bewohnerschichten ins Quartier locken soll hingegen der idyllisch am Nordrand des Quartiers gelegene Wohnungsneubau «Open House». Der im Grundriss Y-förmige ­Baukörper mit 44 Wohnungen wurde von einem Investor, einer Genossenschaft und einer Baugemeinschaft gemeinsam errichtet. Entsprechend beherbergt jeder Gebäudeflügel unterschiedliche Wohnungstypen – von öffentlich geförderten Mietwohnungen bis zu frei finanzierten Stadthäusern. Um die Einbindung ins Quartier zu fördern, befindet sich im Zentrum ein Gemeinschaftsraum, der von den Bewohnern und Nachbarn aus dem Quartier für verschiedene Aktivitäten gemietet werden kann (Abb. 8 – 9).

Am angrenzenden Rotenhäuser Feld entsteht ein Sprach- und Bewegungszentrum, um speziell die Integration von Zuwanderern und ihren Kindern zu verbessern. Bewohner aller Altersgruppen können dort Deutsch und andere Sprachen in Kombination mit Bewegung lernen. Eine grosse Sporthalle, Bewegungs- und Seminarräume sowie ein Café sollen dieses Haus zu einem Ort der Vernetzung machen (Abb. 7).

Neubauschwerpunkt Wilhelmsburg Mitte

Als weiterer Bildungsschwerpunkt entsteht in Wilhelmsburg Mitte das Schulzentrum «Tor zur Welt» (Abb. 10). Es vereint drei Schulen und verschiedene weitere Bildungs- und Beratungseinrichtungen an einem zentralen Ort. Das Herz der Anlage bildet ein Multifunktionszentrum. Hier finden Erwachsenenbildung, Familienförderung, Jugendhilfe und Schulberatung statt. Ein Elterncafé soll als informeller Treffpunkt dienen. Daneben verköstigt künftig eine Kantine die etwa 1400 Schüler, Lehrer, Mitarbeiter und Gäste. Neben Kunst- und Musikräumen ­entsteht zudem ein grosser Veranstaltungsraum mit Bühne, mit dem das «Tor zur Welt» zugleich auch ein Begegnungsort für das Quartier wird.

Westlich des Bahntrassees und vom modernisierten S-Bahnhof Wilhelmsburg aus über eine Fussgängerbrücke (Abb. 11) angebunden befindet sich das neue Dienstleistungs- und ­Verwaltungsgebäude der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) von Sauerbruch Hutton Architekten und den Gebäudetechnikern Reuter Rührgartner (Abb. 23). Der Neubau ist das grösste Hochbauprojekt im Rahmen der IBA: Der Bau besteht aus einem gut 45 m ­hohen Turm mit zwölf Etagen und zwei fünf- bzw. sechsgeschossigen Flügelbauten. Auf einer Bruttogeschossfläche von etwa 61 000 m² entstehen über 1000 Arbeitsplätze. Das Verwaltungsgebäude mit seinen farbenfrohen Fassaden erreicht durch die Verknüpfung von aktiven und passiven Massnahmen einen Primärenergieverbrauch von 70 kWh/m2 (DNGB-Zertifizierung «Gold» für die Entwurfsphase). Ein weiträumiges öffentliches Foyer empfängt die Besucher und dient künftig zur Präsentation des über 100 m² grossen Hamburger Stadtmodells.

Im Bereich des Zugangs zur Internationalen Gartenschau (igs) 2013 stellt die IBA auf vier Themenfeldern Modelle für den Wohnungsbau im 21. Jahrhundert vor. Diese «Bauausstellung in der Bauausstellung» soll mit realisierten Fallstudien Anschauungs- und Diskussionsobjekte liefern und idealerweise eine neue Bautypologie begründen, wie die zunächst hoch umstrittenen «case study houses» im Nachkriegsamerika.

Die Bauausstellung widmet sich vier Themenbereichen, für die mehrstufige, an Investoren, Planer und Materialhersteller gerich­tete Auswahlverfahren durchgeführt wurden, mit dem Ziel einer Teambildung für die Umsetzung. Obwohl bislang fast nur Baustellen zu sehen sind, sollen die Häuser rechtzeitig zum IBA-Jahr 2013 fertiggestellt sein. Insgesamt bildet die Bebauung dieser Sonderausstellung ein lockeres Schachbrettmuster, das als urbaner Park das grüne Erbe von Wilhelmsburg bewahren will. Drei «Smart Material Houses» zeigen neuartige Materialien in der Anwendung. Die Fassaden sind bei einem Wohnhaus mit Bioreaktoren bestückt – plattenförmigen Glas­elementen an Südwest- und Südostfassade, in denen Mikroalgen zur Biomasseproduktion wachsen. Bei einem weiteren Projekt dienen begrünte Fassadenelemente als sommerlicher Hitzeschutz, die im Gebäudeinneren durch Latentwärmespeicher (PCM) unterstützt werden. Blickfang eines dritten Prototyps sind flexible Fotovoltaikelemente (Abb. 12 – 14). Mit vier «Smart Price Houses» führt die IBA Lösungen für kostengünstiges innerstädtisches Bauen vor. Bis auf einen Bau setzten alle Beispiele auf vorgefertigte Holzkonstruktionen mit familien­freundlichen Grundrissen. Das radikalste Konzept setzt auf den Selbstausbau: Es werden nur das Betontragwerk sowie die Kerne zur Verfügung gestellt, und die künftigen Bewohner bauen sich ihre Einheit samt Fassade selbst aus (Abb. 15 – 18).

Wie Wohnen und Arbeiten von morgen aussehen können, zeigen drei «Hybrid Houses», die an wechselnde Bedürfnisse der Benutzer angepasst werden können: Ein Projekt erzeugt die Flexibilität durch verschieden ausgerichtete Einheiten, die nach Bedarf kombiniert werden können, während das andere Konzept auf einer doppelten Erschliessung basiert und so das Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten in einem Haus ermöglicht. Ein weiteres Hybrid House wurde bereits im Herbst 2011 fertiggestellt und dient der igs als Ausstellungs- und Verwaltungszentrum. Nach dem Ausstellungsjahr kann es als Büro- oder Wohnhaus weiter genutzt werden (Abb. 19 – 21).

Die «Water Houses» präsentieren ein Konzept für das Bauen mit Wasser. Leider überzeugt das Konzept ökologisch nur teilweise: In einem neu geschaffenen Regenwasserbecken entsteht ein Gebäudeensemble aus vier Kuben mit jeweils drei dreigeschossigen Wohnungen und einem neungeschossigen Turm mit 22 Wohnungen, die allerdings nur so aussehen, als ob sie im Wasser schwimmen würden (Abb. 22). Die Wassernähe ist hauptsächlich ein attraktives gestalterisches Element, während die Beschäftigung mit Bauen in hochwasser­gefährdeten Gebieten bzw. Überflutungsflächen nach der Verlegung der Reichsstrasse bei den Klimahäusern Haulander Weg im Wilhelmsburger Süden zum Thema wird (vgl. S. 31).

Komplettiert wird Wilhelmsburg Mitte durch den Wohn-, Dienstleistungs- und Hallenkomplex am Eingang der Gartenschau mit insgesamt 35 000 m² Bruttogeschossfläche. Neben einem neuen Schwimmbad entstehen eine Sporthalle, das Wälderhaus, das Haus der Inselaka­de­mie, zwei weitere Wohngebäude, ein Seniorenzentrum und ein Ärztehaus (Abb. 11).

Ein Strassenraum wird freigespielt

Wie ein Nebenprodukt der IBA wird in Wilhelmsburg mit der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstrasse auch ein grosses Infrastrukturprojekt realisiert (Abb. 11): Der Stadtteil wird heute in Nord-Süd-Richtung von der Wilhelmsburger Reichsstras­se (knapp 60 000 Fahrzeuge pro Tag) und einem stark befahrenen Bahntrassee durchschnitten, die nur rund 400 m voneinander entfernt liegen, und weiter im Osten von einer Autobahn (ca. 130 000 Fahrzeuge pro Tag). Schon vor einigen Jahren äusserten Bewohner den Wunsch, die Strasse zum Bahn­trassee hin zu verlegen. Den Stein ins Rollen brachte der Instandsetzungsbedarf der Reichsstrasse, vor allem aufgrund des schlechten Zustandes einiger Brücken. Im Rahmen der Instandsetzung für 60 Mio. Euro hätte man die Reichsstrasse gleichzeitig den heute geltenden Standards anpassen, von derzeit 14 auf 26 m verbreitern und mit Lärmschutzeinrichtungen ausrüsten müssen. Ausserdem wäre die bereits teilweise erhöht auf einem Damm verlau­fende Strasse zu einer noch massiveren städtebaulichen Barriere geworden. Wie Uli Hellweg erläutert, habe die IBA daher den Vorschlag einer Verlegung der Reichsstrasse wieder in die Diskussion eingebracht und den Hamburger Senat davon überzeugen können, dass das Geld so besser investiert sei.

Die Strasse soll nun – der alten Bewohneridee entsprechend – an die westliche Seite des Bahntrassees verlegt werden, da dieses nicht mehr in voller Breite benötigt wird. Damit auch für die Anwohner der Bahnlinie keine Verschlechterung eintritt, werde die Stadt Hamburg ergänzend zu den vom Bund finanzierten Lärmschutzmassnahmen ­entlang der Strasse zusätzliche Lärmschutzmassnahmen entlang der Bahnlinie ergreifen, erläutert Hellweg. Dies soll die Lebensqualität von rund 7000 Menschen verbessern. Trotzdem sind einige Anwohner skeptisch und befürchten – unter Berufung auf eine Stellungnahme der Verkehrspolizei – eine mögliche Zunahme des Verkehrs allgemein und eine zusätzliche Belastung einiger Wohnstrassen im nördlichen Anschlussbereich.

Nach der Verlegung 2015/16 kann der südliche Abschnitt der alten Wilhelmsburger Reichsstrasse rückgebaut werden, sodass ein zusammenhängender Stadtpark entsteht, wie etliche Landschaftsarchitekten im Wettbewerb für das Gartenschaugelände vorgeschlagen hatten. Im nördlichen Teil wird die Strasse als ebenerdig verlaufende Erschliessungsstrasse zurückgebaut. Mit diesen Massnahmen wird ein fast 124 ha grosses Gebiet freigespielt, in dem sich die Lebensqualität der Anwohner verbessern wird und wo neuer Wohnraum entstehen kann.

Bedenken trotz sanfter Tour

Um Wilhelmsburg zu entwickeln, hat die Stadt Hamburg mit der IBA eines der stärksten Werkzeuge gewählt, das die deutsche Baukultur kennt. Obwohl die Bürgerbeteiligung dabei mehr Raum erhielt als bei vorangegangenen Bauausstellungen, regt sich auch Widerstand.

Etliche Bewohner nehmen die IBA als Mittel zur Gentrifizierung ihres Stadtteils wahr. Tatsächlich ist wohl unvermeidbar, dass die durch die IBA angestossenen Massnahmen die Attraktivität des «Hinterhofs» erhöhen und so zumindest mittel- und langfristig deutliche Auswirkungen auf den dortigen Immobilienmarkt haben. Die Inszenierung der IBA wird zudem die Aufmerksamkeit – nicht nur vieler Hamburger – auf Wilhelmsburg lenken und so für weiteren Zuzug sorgen. Deshalb weisen IBA-Kritiker auf andere Hamburger Planungsinstrumente wie das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) hin, das weniger öffentlichkeitswirksam funktioniert. Es ist hinsichtlich Analyse und Konzepten durch ähnlich komplexe Handlungsansätze geprägt wie eine IBA und bündelt die Anstrengungen der Fachbehörden und Bezirksämter gebietsbezogen.

Die sozialen Veränderungen sind trotz IBA-Monitoring der Immobilienentwicklung und mög­licher Erhaltungssatzungen seitens der Stadt nicht aufzuhalten und wohl auch erwünscht. Dabei wird sich die IBA daran messen lassen müssen, inwiefern sie ihr eigenes Motto ­«Wohnen heisst bleiben» auf längere Sicht einlöst und die eingesessenen Bewohner auf den eingeschlagenen Weg mitnehmen kann.

Für erstaunlich leise Kritik sorgt auch die Tatsache, dass im Rahmen der IBA keine längerfristigen Verdichtungsperspektiven entwickelt wurden, die sinnvoll mit der ÖV-Erschliessung verknüpft sind, sondern dass man darauf setzt, noch vorhandene Freiflächen im Süden mit relativ lockeren Baustrukturen zu besetzen.

Allerdings ist nicht auszudenken, wie eine Olympiade über Wilhelmsburg hereingebrochen wäre. Die Umstrukturierung wäre vielleicht – ähnlich wie in London – radikaler erfolgt und die Entwicklung für das Quartier weniger flächendeckend und nachhaltig ausgefallen.


Anmerkung:
[01] http://aku-wilhelmsburg.blog.de/

TEC21, Fr., 2012.06.15



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2012|25 IBA Hamburg

28. Oktober 2011Alexander Felix
TEC21

Insel in der Vorstadt

Mit der Siedlung «Klee» haben die Zürcher Architekten Knapkiewicz Fickert den letzten Baustein im Stadterweiterungsgebiet «Ruggächer» in Affoltern gesetzt. Ihr Hoftyp für zwei Baugenossenschaften versucht, eine urbane Insel in der vorstädtischen Nachbarschaft auszubilden. Die gekonnte Organisation der Wohnungstypen zeugt von der intensiven Beschäftigung mit zeitgemässem Wohnen.

Mit der Siedlung «Klee» haben die Zürcher Architekten Knapkiewicz Fickert den letzten Baustein im Stadterweiterungsgebiet «Ruggächer» in Affoltern gesetzt. Ihr Hoftyp für zwei Baugenossenschaften versucht, eine urbane Insel in der vorstädtischen Nachbarschaft auszubilden. Die gekonnte Organisation der Wohnungstypen zeugt von der intensiven Beschäftigung mit zeitgemässem Wohnen.

Mit der Entwicklung des Gebiets «Ruggächer» konnten sich die Architekten Kaschka Knapkiewicz und Axel Fickert nicht anfreunden, als sie sich mit dem Entwurf der Siedlung «Klee» als letztem Baustein im Quartier befassten. Sie fanden verschiedene Punkt- und Riegelbauten unterschiedlicher Qualität vor, wie sie typisch sind für «Aggloarchitektur» – Einzelobjekte, die beziehungslos nebeneinanderstehen und keinen städtischen Raum schaffen. Um in dieser Vorstadt am Rand von Zürich urbanen Raum zu installieren, entwarfen die Architekten 2006 im Projektwettbewerb, an dem zwölf eingeladene Teams teilnahmen, eine zusammenhängende Grossform, die aus dem üblichen Bebauungsmuster im Gebiet

«Ruggächer» heraussticht. Von oben betrachtet erinnert Knapkiewicz Fickerts Entwurf aus drei verschnittenen Rechtecken an ein stilisiertes dreiblättriges Kleeblatt. Ein verhältnismässig dünner sieben- bis achtgeschossiger Häuserrand fasst einen Hof, der die Vereinigungsmenge der unregelmässigen Rechtecke bildet. Diese Variation des Blockrandthemas soll das neue, schnell gewachsene und gestalterisch heterogene Quartier «Ruggächer» zentrieren und städtische Aussenräume schaffen.

Grossform mit Aussen- und Binnenwirkung

Die Baugenossenschaft Hagenbrünneli aus Zürich und die Gemeinnützige Bau- und Mietergenossenschaft Zürich teilen sich die Bauherrschaft für die Siedlung. Entsprechend komplex ist das Wohnungsprogramm, das die Architekten – ihrer Setzung entsprechend – in einem Haus zu organisieren hatten. Insgesamt 340 Wohneinheiten beherbergt der «Klee», zwei Gemeinschaftsräume, eine Kinderkrippe, ein Fussballplatz mit Klubhaus und mehrere Ateliers und Gewerberäume runden das Angebot an öffentlichen Räumen im Erdgeschoss ab.

Die Siedlung besetzt die ganze Parzelle, allerdings sind drei Ecken nach innen gewinkelt. Ausserhalb des Blockrands weitet sich durch diese Einschnürungen der Strassenraum zu drei Plätzen. Von dort aus gelangt man über diagonal durch das Haus geführte Durchgänge in den Hof. An diesen mit einem Stützenwald aus skulptural geformten Betonstützen begleiteten Zugängen liegen Gemeinschaftsräume und zweigeschossige Sonderwohnungen. Zugleich entstehen im Inneren der Anlage drei Hofräume, die ineinander übergehen. Statt eine riesige freie Fläche zu schaffen bildet der Innenhof das Herz der Siedlung, er erschliesst alle Wohnungen und ist – idyllisch begrünt mit niederstämmigen Baumgruppen – gemeinsamer Park mit Spielplätzen und Sitzgruppen.

Wohnungen

Die Wohnungen sind durchdacht organisiert, nicht zu gross und für Zürcher Verhältnisse recht günstig: So kostet eine 4.5-Zimmer-Wohnung mit 108 m² im Monat etwa 2100 Franken (GBMZ) bzw. 2300 Franken (BGH). Die Siedlung «Klee» beherbergt 256 3.5- und 4.5- Zimmer-Wohnungen – hinzu kommen noch 51 2.5- sowie 33 5.5-Zimmer-Wohnungen. Die Einheiten teilen sich die zwei Genossenschaften etwa hälftig. Da die eine auf Familien, die andere auf Singles und Paare ausgerichtet ist, setzen sie ihrem Profil entsprechend etwas unterschiedliche Verteilungen um und haben verschiedene Anforderungen an die Grösse und den Standard der Wohnungen. Die Wohnungen sind – bis auf jene in den Gebäudeecken – zweiseitig orientiert und nehmen so am Leben auf der Hof- und auf der Quartiersseite teil. Die Grundrisse sind diagonal durch die Gebäudetiefe organisiert und folgen weitgehend bewährten Grundrissfiguren.

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Layouts: Entweder sind die Wohn-Ess-Räume als fliessende Allräume mit offenen Küchen angelegt, oder in den Wohnungen sind Essküche und Wohnzimmer getrennt ausgebildet. Jeweils zwei übereinander liegende Wohnungen bilden dabei eine Einheit: Die untere Wohnung hat eine grosszügige zweigeschossige Loggia, die obere verfügt über einen weit auskragenden Balkon. Entweder öffnet sich der zentrale Wohnraum auf eine zweigeschossige Loggia oder die Küche auf einen Balkon. In letzterem Fall erfolgt die Belichtung über eine transluzente Eckverglasung des Wohnraums, ohne dass man auf den Freisitz des unteren Nachbarn blicken kann. So dienen die übergrossen Loggien beiden Parteien: der einen als – für eine Geschosswohnung – sehr grosszügiger Aussenraum und der anderen als zusätzliche Tageslichtöffnung.

Eine weitere Besonderheit findet sich auf dem Dach: Entgegen dem üblichen Standard befinden sich ganz oben keine luxuriösen Dachwohnungen, sondern eine Neuinterpretation der alten Zürcher Zinnen. In pavillonartigen, hölzernen Dachaufbauten sind die gemeinschaftlichen Waschküchen untergebracht. Vorgelagerte Terrassen und ein weiterer Gemeinschaftsraum sorgen dafür, dass das Dachgeschoss der Gemeinschaft dient. Lediglich bei der BGH sind die Dachräume einigen Wohnungen zugeschlagen. Der ursprünglich geplante Rundgang über das gesamte Dach wurde aus Kostengründen bislang nicht realisiert.

Kolossale Fassade

Am spannendsten am Projekt «Klee» war für die Architekten dessen Grösse und die damit verbundene Beherrschung des Massstabs im Grossen wie im Kleinen. Der Schwerpunkt bei der Suche nach dem angemessenen architektonischen Ausdruck der ganzen Anlage lag auf der Gliederung und Proportionierung der Fassade gegen den Hof und das Quartier. Als Inspiration wirkten sowohl Beispiele von jemenitischen Lehmfassaden als auch klassische Fassadengliederungen (z. B. von Giovanni Muzio), die durch Zusammenfassung von mehreren Geschossen die Gebäudehöhe kaschieren. An Ersteren interessierte die Architekten die netzartige Bemalung, die an textile Muster oder klassische Lisenen erinnert und dadurch die darunterliegenden, ohne erkennbare Ordnung angelegten Fassaden strafft und gliedert. Die gewählte Farbigkeit lässt dabei an Le Corbusier denken oder weckt leise Erinnerungen an die 1970er-Jahre. Ausserdem erscheint die Fassadengestaltung wie eine Weiterentwicklung des Motivs der Wohnüberbauung «Lokomotive» in Winterthur, übertragen auf ein Wärmedämmverbundsystem.

Wie bei der inneren Organisation sind auch bei der Fassadengestaltung jeweils zwei Stockwerke zusammengefasst. Die zweigeschossigen Loggien fassen im Zusammenspiel mit graugrünen, zum Teil kannelierten Putzflächen auf hellem Grund jeweils zwei Etagen zusammen. Die Farbe gliedert die Höhe des Blocks, sie gibt ihm einen Sockel und einen oberen Abschluss. Auf den ersten Blick erscheint das Muster seriell – auf den zweiten Blick bemerkt man, dass das Grundraster in vielen Spielarten variiert wird: Mal sieht man eingeschossige Loggien, dann wieder sind einzelne Fenster anders gesetzt oder die farbigen Putzflächen gegeneinander verschoben.

Die Siedlung «Klee» ist eine gut gestaltete und organisierte Wohninsel in der Vorstadtumgebung. Wie im übrigen «Ruggächer» auch fehlt zur Stadt jedoch eine grössere Nutzungsvielfalt – Kindergärten in den Erdgeschossen können lebendige Ladenzeilen einfach nicht ersetzen. So bleibt trotz «Klee» und seiner Ausstrahlung auf die Nachbarschaft bislang noch der Eindruck von Vorstadt an Zürichs Nordküste.

TEC21, Fr., 2011.10.28



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TEC21 2011|44 Zürcher Nordküste

14. Januar 2011Alexander Felix
TEC21

Stabile Traditionen finden

Technisches Wissen auf Ingenieurniveau allein garantiert noch kein erdbebensicheres Bauen. Das Wissen muss in der richtigen Form zu den richtigen Leuten gelangen – vor allem in Ländern mit einem Grossteil Selbstbauten. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) war beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Pakistan dabei und ist zurzeit in Haiti aktiv. Rückgriffe auf traditionelle regionale Bauweisen können dabei helfen, Neubauten technisch und kulturell angepasster und erdbebensicherer zu machen.

Technisches Wissen auf Ingenieurniveau allein garantiert noch kein erdbebensicheres Bauen. Das Wissen muss in der richtigen Form zu den richtigen Leuten gelangen – vor allem in Ländern mit einem Grossteil Selbstbauten. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) war beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Pakistan dabei und ist zurzeit in Haiti aktiv. Rückgriffe auf traditionelle regionale Bauweisen können dabei helfen, Neubauten technisch und kulturell angepasster und erdbebensicherer zu machen.

Vor einem Jahr, am 2.1.2010, erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7.0 etwa 35 Sekunden lang die Region um Port-au-Prince auf Haiti. Mindestens 180 000 Menschen wurden dabei getötet, und etwa 2.5 Millionen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem Gebiet, in dem laut Mercalli-Skala deutliche bis massive Gebäudeschäden auftreten. Hinzu kommt, dass in dem seit Jahrzehnten politisch zerrütteten armen Karibikstaat zahlreiche – auch moderne – Bauten aufgrund ihrer schlechten Bauausführung besonders instabil waren. Seit Juli 2010 ist die Deza mit einem «Centre de Compétence pour la Reconstruction» (CRR) vor Ort, um mit Partnern zusammen über die akute Nothilfe hinaus einen langfristigen Wiederaufbau zu initiieren. Dem Architekten Tom Schacher kommt dabei die Erfahrung zugute, die er bei seinen früheren Einsätzen in Erdbebengebieten sammeln konnte. Besonders der Wiederaufbau in Pakistan nach dem Erdbeben in Kaschmir vom 8.10.2005 zeigt exemplarisch, wie wichtig eine angepasste Kommunikation ist.

Theorie und Wirklichkeit

Die meisten Bauten in armen Ländern werden mit einfachsten und billigsten Mitteln von kleinen Bauunternehmungen oder von den Bauherren selbst ausgeführt – Ingenieure sind in den seltensten Fällen beteiligt. Oft werden dabei moderne westliche Bauformen mit Fortschritt gleichgesetzt, obwohl viele dieser Gebäude hinsichtlich der Erdbebensicherheit bei mangelhafter Ausführung besonders gefährlich sind. Das führt zu der absurden weltweiten Situation, dass erdbebensicheres Bauen heute zwar so gut erforscht ist wie nie zuvor, die Verwundbarkeit aber grösser ist denn je. Abgesehen von der Akuthilfe ist es daher notwendig, Kommunikationsmittel und -kanäle zu entwickeln, um das Wissen zu den Akteuren vor Ort zu bringen. Auch müssen traditionelle Bauformen besser erforscht werden, die an die lokalen Möglichkeiten angepasst sind und frühere Erdbeben gut überstanden haben, um bei Behörden, Ingenieuren, Baufirmen und Bauherren das Interesse daran (wieder) zu wecken. Nachdem die Nothilfemassnahmen gegriffen hatten, rief die pakistanische Regierung einen Wiederaufbau mit dem Ziel «Build back better» aus. Hierzu gründete sie die Earthquake Rehabilitation and Reconstruction Authority ERRA, die für einen schnellen, kostengünstigen Wiederaufbau sorgen soll. Dazu wurde ein Programm formuliert, das Bauherren, die beim Wiederaufbau erdbebensichere Konstruktionen einsetzen, finanzielle Unterstützung verspricht.

Inspektionsteams der Armee sollen die Abnahmen durchführen. Ergänzend kam ein Ausbildungprogramm für erdbebensicheres Bauen hinzu. Die Regierung wollte in ihrem Programm moderne Bauweisen fördern, die nach bekannten ingenieursmässigen Methoden berechen- und prüfbar sind. Die Wirklichkeit zeigte aber schnell, dass der Einsatz von Beton und Stahl nur in wenigen städtischen Regionen überhaupt möglich war, der Transport von Maschinen und Werkstoffen in die ländlichen Regionen jedoch nahezu unmöglich, sicher aber viel zu teuer ist. Ausserdem zeigten nur wenige der am Wiederaufbau beteiligten Nichtregierungsorganisationen Interesse an der Ausbildung in einem der elf Housing Reconstruction Centers. Um den Wiederaufbau dennoch so rasch wie möglich starten zu können, mussten schnell praktikable Lösungen gefunden werden.

Traditionell und erdbebensicher

In einem ersten Schritt untersuchte die Deza zusammen mit dem UN-Programm für Siedlungsbau (UN Habitat) in der nordwestlichen Grenzprovinz die traditionellen Bauweisen, die das Beben gut überstanden hatten. Die Dhajji-Methode ist eine alte Konstruktionsart, die in Kaschmir auch heute noch verbreitet ist (Abb. 2– 4). Viele Häuser in dieser Bauweise widerstanden den Erschütterungen aufgrund ihrer hohen Duktilität weitgehend unbeschadet, obwohl sie direkt auf der tektonischen Störungszone errichtet waren. Der Name ist einer Textiltechnik entlehnt: Ähnlich wie ein Patchworkstoff besteht das Tragwerk aus einer kleinteiligen Holzstruktur. Die Leerräume zwischen den schlanken Konstruktionshölzern werden mit kantigen Steinen und Lehm oder Kalkmörtel gefüllt. Die offensichtlichen Qualitäten der Bauweise ermöglichten es, dass die Behörden sie innerhalb von nur sechs Monaten als erdbebensicher und förderungsfähig anerkannten. Da die Bauherren mit staatlicher Förderung rechnen konnten, wurden innert dreier Jahre etwa 120 000 neue Dhajji-Häuser errichtet. Um das erarbeitete Wissen lokal zu verankern und international bekannt zu machen, wurde mit finanzieller Unterstützung der Rektorenkonferenz der Schweizer Fachhochschulen ein multidisziplinäres Forschungsprojekt realisiert. Dabei führte die technische Universität von Peshawar Labortests durch, das Londoner Ingenieurbüro ARUP die numerischen Simulationen, die Fachhochschule Tessin (SUPSI) kümmerte sich um die grafische Kommunikation, und UN Habitat in Islamabad trug ihre Felderfahrung bei. Für diese Arbeit erhielt die Deza eine Anerkennung beim Holcim Award 2008.

Schwieriger gestaltete sich der Einsatz einer anderen vielversprechenden Konstruktionsart, der Bhatar-Bauweise (Abb. 5 – 7). Als Vorbild dient hier das «Besham Fort», das um 1750 errichtet wurde. In seine dicken Wände sind horizontale Hölzer eingebettet, die wie Ringanker funktionieren. Allerdings waren die Behörden zunächst nicht gewillt, massive Steinwände mit «ein bisschen» Holzbewehrung als erdbebensicher einzustufen – zumal die genaue Funktionsweise rechnerisch nicht nachgewiesen war. Genauere Untersuchungen ergaben dann, dass in 45 cm dicke Mauerwände aus Naturstein alle 30 – 60 cm leiterartige Holzträger eingelegt werden müssen, die möglichst schubfest miteinander verbunden sind (Abb. 7). Eine wichtige Rolle spielt die Dachkonstruktion: Während traditionelle Flachdächer aufgrund ihres hohen Gewichts die Wände standfester machen, müssen bei Schrägdächern mit unterhaltsfreundlicher, leichter Wellblechdeckung die oberen zwei Bewehrungslagen in den Mauern mit Vertikalhölzern zu einer Art Ringanker verbunden werden, um eine belastbare und scherfeste Verbindung zwischen Dach und Wand sicherzustellen.

Im nächsten Schritt mussten die Behörden überzeugt werden, dass auf diese althergebrachte Weise erdbebensichere Häuser errichtet werden können, sodass künftige Bauherren in den Genuss der staatlichen Fördergelder kommen konnten. Die oft im Westen ausgebildeten Regierungs- und Behördenvertreter für diesen angepassten Wiederaufbauweg zu gewinnen, erwies sich als grosse Herausforderung. Überraschenderweise wurde die pakistanische Armee zu einem einflussreichen Fürsprecher, da sie durch ihre Erfahrungen in den Bergregionen schneller begriff, dass die nötigen raschen Erfolge nur durch einen Wiederaufbau im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten erreicht werden konnten. Sie wurde dann auch ausgebildet, um im Wiederaufbauprogramm die Einhaltung der Bauvorgaben überprüfen zu können. Hierzu wurden spezielle Kurse für die Soldaten der Ingenieurkorps entwickelt. Während die Kommandanten über eine technische Ausbildung verfügen, mussten die einfachen Soldaten erst in die Lage versetzt werden, die richtige Ausführung der Bauten beurteilen zu können, um dann die Zahlungen an die Bauherren freizugeben.

Situativ und angepasst

Die Situation in Haiti ist ganz anders als in Pakistan, da das Erdbeben hauptsächlich ein urbanes Umfeld ohne seismische Kultur traf. Zementsteinhäuser und Betonrahmenkonstruktionen sind die vorherrschenden Bauweisen. Die historischen «Gingerbread»-Fachwerkhäuser, die das Erdbeben gut verkraftet haben, werden seit langem nicht mehr gebaut. In diesem Kontext gilt es, eine seismische Kultur im Einklang mit den lokalen Materialien aufzubauen. Die Deza fokussiert ihre Arbeit darauf, die «confined masonry» einzuführen, eine in Lateinamerika verbreitete Mauerwerksart, die eine sehr gute Erdbebensicherheit aufweist. Die Gebäude werden nach dem Aufmauern der Wände in den Ecken durch bewehrte Betonstützen und durch horizontal betonierte Ringanker verstärkt. Durch die Umkehrung des Bauablaufs gegenüber dem Betonskelettbau wird eine gute Verzahnung gewährleistet, sodass sich die Bauteile gegenseitig aussteifen. Noch bevor die Deza ihre Arbeit in Haiti aufnahm, hatte die Regierung das von der Deza für Pakistan ausgearbeitete Material für ein eigenes Handbuch übernommen.

In ländlichen Gebieten Haitis gibt es hingegen eine erdbebengerechte Bauweise: Hütten mit Flechtwerkwänden könnten ein nützliches Vorbild für Notbehausungen sein. Leider bemühen sich aber nur wenige NGO, das Umfeld und das vorhandene Wissen kennenzulernen, bevor sie «Lösungen» vorschlagen. So wird häufig an den Leuten und ihren Bedürfnissen vorbeigebaut mit der Entschuldigung, dass es schnell gehen musste und keine Zeit für «soziologische Studien» war. Die Deza richtet auch in Haiti ihr Augenmerk vor allem auf die Information der Öffentlichkeit und die Ausbildung von Arbeitern, um eine lokale seismische Kultur zu etablieren.

Forschung und Kommunikati on

Für künftige Anwendungen sollen mehrstufige Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen: eine wissenschaftliche Dokumentation, die es Bauingenieuren erlaubt, mit den traditionellen Methoden zu arbeiten. Ausserdem soll eine reich bebilderte Kurzfassung Handwerkern und Selbstbauern ermöglichen, ihre Bauten fehlerfrei zu errichten.

Hierbei ist auch der weitere Einsatz der Hochschulen gefragt – nicht nur um Fakten zu ermitteln, sondern auch um das geeignete Informationsmaterial zu erarbeiten, damit das Wissen erfolgreich an die unterschiedlichen Adressaten weitergegeben werden kann. So können nicht nur künftige Bauten sicherer gemacht werden, es entwickelt sich auch eine interdisziplinäre Kommunikationskultur. Ausserdem stehen die fundiert ausgearbeiteten Materialien bei einer neuen Katastrophe schneller zur Verfügung, da sie bei Bedarf nur noch z. B. sprachlich angepasst werden müssen. Ein weiterer Nebeneffekt: Durch eine breite Verankerung bei Ingenieuren und Bevölkerung werden funktionstüchtige, gut angepasste, historische Bauweisen erhalten und weiterentwickelt, die anderenfalls immer mehr in Vergessenheit geraten würden.

TEC21, Fr., 2011.01.14



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04. Juni 2010Alexander Felix
TEC21

Zähne zeigen

Der Energieverschwendung, dem Strassenlärm und dem langweiligen Wohnungsbau die Zähne zeigen – zu diesem Zweck haben sich die innovationsfreudige Baugenossenschaft Zurlinden und Pool Architekten zusammengetan. In einem anspruchsvollen städtischen Umfeld erbaute dieses Team das erste Zürcher Gebäude nach dem SIA-E ffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.[1] Entstanden ist ein überzeugender Prototyp.

Der Energieverschwendung, dem Strassenlärm und dem langweiligen Wohnungsbau die Zähne zeigen – zu diesem Zweck haben sich die innovationsfreudige Baugenossenschaft Zurlinden und Pool Architekten zusammengetan. In einem anspruchsvollen städtischen Umfeld erbaute dieses Team das erste Zürcher Gebäude nach dem SIA-E ffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.[1] Entstanden ist ein überzeugender Prototyp.

In der Computerwelt spricht man von «Open Source» – im übertragenen und besten Sinne handelt es sich auch bei dem Projekt «Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse 380, Zürich» um einen offenen Prototyp. An dessen Entwicklung sind neben den Architekten zahlreiche Handwerksunternehmen der Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ) beteiligt. Ausgangspunkt der Entwicklung ist eine janusköpfige, rund 2700 m² grosse Parzelle in Zürich. Im Süden wird sie von der stark befahrenen Badenerstrasse begrenzt, während im Norden der neue Stadtpark Hardau entstehen soll. Seit den 1970er-Jahren wird die Fläche zwischen der kommunalen Wohnsiedlung Hardau II und der Badenerstrasse als informeller Park- und Spielplatz genutzt. Etwa ebenso lang steht auf dem Areal ein Migros-Provisorium. Im Zuge der Erneuerung der Siedlung Hardau und der Aufwertung des gesamten Quartiers sollte der eingeschossige Pavillon einem Neubau weichen.

Basis Wettbewerb

Wie in Zürich üblich, lobte das Hochbauamt der Stadt im Auftrag der BGZ zusammen mit der Genossenschaft Migros Zürich einen Studienauftrag für das Bauvorhaben aus (vgl. «Zürich – Paris», TEC21 3-4/2007). Das Erdgeschoss sollte künftig die Migros-Filiale beherbergen, darüber sollten 50 Wohnungen für Singles, Zwei-Personen-Haushalte und Kleinfamilien entstehen. Die Parzelle selbst hat eine Tiefe, die den fünf eingeladenen Architektenteams die Aufgabe nicht einfach machte.

In einer ersten Runde konnte kein Projekt allen Anforderungen – besonders der Einhaltung der Kosten – restlos gerecht werden. Der Austausch in der Zwischenbesprechung zeigte die Komplexität der Aufgabe, Kosten, Lärm, Nutzungsdurchmischung, Dichte und Gebrauchswert der Wohnungen unter einen Hut zu bringen. In der Überarbeitungsrunde, in der es vor allem um die Wirtschaftlichkeit ging, konnten sich pool Architekten gegen das Projekt von Harder Haas Partner durchsetzen. Das laut Jurybericht «eigenwillige Projekt» ist dicht und in der Vertikalen stark gegliedert. Lange Raumfolgen spannen von der Strassen- bis zur Parkseite, was sowohl eine optimale Besonnung von Süden wie auch einen direkten Blick zum geplanten Stadtpark Hardau ermöglicht. Der Bezug sämtlicher Wohnungen zum Park stellt einen entscheidenden Vermietungsfaktor dar. Überraschend für die Jury war, dass mit der Optimierung der Kosten grosszügigere Wohnungen entstanden seien.[2]

Forscherfirmen Ein weiterer Baustein des Projekts ist in der Struktur der Baugenossenschaft Zurlinden selbst zu finden, mit der die Architekten bereits bei der Wohnüberbauung Leimbachstrasse in Zürich zusammengearbeitet haben. Sie wurde 1923 gegründet, und ihre rund 50 Genossenschaftsmitglieder sind vorwiegend KMU aus der Baubranche. Die BGZ besitzt heute 1255 Wohnungen in Zürich und Umgebung. Sie ist der Gemeinnützigkeit verpflichtet und daher in der Lage, Wohnungen zu langfristig günstigen Mietzinsen anzubieten. Die BGZ versteht sich als Schrittmacherin im zukunftsorientierten Wohnungsbau. Mit prägnanter Architektur und mit mutigen Pionierprojekten setzt sie Zeichen für eine nachhaltige Entwicklung. Da verwundert es wenig, dass die Bauherrschaft künftige Projekte konsequent nach dem Legislaturziel der Stadt Zürich «2000-Watt-Gesellschaft» gemäss dem SIA-Effizienzpfad Energie plant.3 Nicht ganz uneigennützig setzt die BGZ bei ihren Neubauten auf eine innovative, nachhaltige Bauweise und arbeitet dabei eng mit qualifizierten Fachleuten zusammen, sind doch gelungene Projekte die beste Werbung für die Innovations- und Leistungsfähigkeit der Genossenschafter.

Beim Projekt an der Badenerstrasse kommt daher die neu entwickelte Bauweise «Top Wall» zum ersten Einsatz. Die Wände bestehen aus senkrechten Massivholz-Ständern (vgl. «Vorteile ausspielen», S. 28 ff.), um den Grauenergiegehalt der Konstruktion zu reduzieren und so dem 2000-Watt-Ziel näherzukommen.

Dem Stadtlärm Trotzen

Die Architekten entschieden sich bei ihrem Entwurf, die gesamte Parzellentiefe mit dem Baukörper zu besetzen. Auf ein überhohes Sockelgeschoss mit der Migros-Filiale sind die Wohngeschosse wie auf einen Tisch gestellt. Dabei definiert das Gebäude mit seinen zwei Längsfassaden sowohl den Strassen- als auch den Parkraum. Von der lauten Strassenseite zieht sich der Baukörper in den Obergeschossen etwas zurück. Die starke vertikale Fassadengliederung nimmt hier den Duktus der Nachbargebäude mit ihren Erkern auf und verstärkt ihn durch markante Attikarücksprünge. Auf die ruhige Parkseite ausgerichtet sind die Balkone, die das Volumen auflösen und zum Grün hin öffnen.

Um den Parkplatz im Hinterhof zugunsten des Stadtparks auflösen zu können, wurde in den Untergeschossen neben den Migros-Kundenparkplätzen eine grosse öffentliche Einstellhalle geschaffen. Allerdings ist die Organisation noch nicht geklärt: Statt der ursprünglich vorgesehenen Übernahme durch die Stadt betreibt zurzeit die Genossenschaft die Tiefgarage. Die Wohngeschosse sind eine Holzkonstruktion, die auf der weitgespannten Stahlbetondecke des ebenerdigen Ladengeschäfts steht. Lediglich die Fluchttreppenhäuser mussten aus Brandschutzgründen betoniert werden. Entgegen der ursprünglichen Planung, auch die Geschossdecken aus Stahlbeton herzustellen, wurden vorgefertigte grossformatige Hohlkastenelemente aus Holz eingebaut.

Der Aufbau selbst besteht aus sechs Häusern, die sägezahnartig gegeneinander verschoben angeordnet sind. Die einzelnen Volumen mit Breiten von 10.40 m bzw. 13.90 m sind längs in zwei Hälften geteilt, sodass durchgesteckte, schmale, knapp 20 m tiefe Wohnungsgrundrisse entstehen. Alle Wohnungen partizipieren so an den Vor- und Nachteilen beider Seiten. Durch den Versatz der Häuser sind fast alle Wohnungen von drei Seiten belichtet, was den Grundriss licht und grosszügig wirken lässt. Dank den starken Rücksprüngen in der Strassenfassade ist an diesem lärmbelasteten Ort Wohnen überhaupt möglich. Um die Lärmschutzvorschriften einhalten zu können, darf der Grenzwert bei geöffneten Fenstern nicht überschritten werden – auch wenn eine mechanische Lüftung vorhanden ist. In den Einzügen ist der Schall geringer, sodass hier die Fenster geöffnet werden können. Gleichzeitig erzeugen sie aber auch – bei aller gewünschten Dichte – schwierige Ecksituationen mit teilweise guter Sicht in die Nachbarwohnungen. Die im Wettbewerbsentwurf gelobten energetisch begründeten, tiefen Fensterlaibungen erweisen sich leider nicht als ausreichende Schutzmassnahme gegen schräge Blicke.

Man betritt die sechs Wohnhäuser über separate lichte Treppenhäuser, die längs der Sockelfassade an der Badenerstrasse bzw. zum Park angelegt sind. Nach zwei Treppenläufen gelangt man in ein innen liegendes Treppenhaus. Diese Engführung bildet einen Kontrast zur Raumwirkung der Wohnungen – verstärkt durch die braun gestrichenen Wände, die auf die benachbarten Hardau-Türme anzuspielen scheinen. Die einzelnen Häuser sind Zweispänner. Nur im 1. Obergeschoss, in dem drei 5.5-Zimmer-Wohnungen die strenge Struktur überspringen und zwei Zimmer in das benachbarte Volumen hinüberstrecken, ist nebenan eine 3.5-Zimmer-Wohnung erschlossen. In den drei Stockwerken darüber liegen pro Haus jeweils sechs 2.5-Zimmer-Wohnungen. Die obersten beiden Stockwerke in den strassenseitigen Volumen nehmen neben drei kleinen 2.5-Zimmer-Appartements sechs Maisonettewohnungen mit 4.5 Zimmern auf.

Efizienz und Freiheit

Das Gebäude folgt dem SIA-Effizienzpfad zur Erreichnung der 2000-Watt-Gesellschaft. Die Vorteile dabei liegen auf der Hand: Anders als bei dem vergleichsweise sturen Minergie-Standard lässt der Effizienzpfad grössere Gestaltungsfreiheiten. Laut den Energieingenieuren wäre die komplexe Baustruktur für eine Minergie-Zertifizierung kaum fassbar. Die gewählte Holzbauweise wirkt sich direkt auch auf die Raumgestaltung aus: Um die Wände nicht zu schlitzen, werden alle Kabel in umlaufenden Bodenkanälen entlang der Wände geführt. Anders als bei Minergie-Bauten üblich, wird die Lüftung nicht über ein zentrales Klimagerät gesteuert, sondern über Lüftungselemente seitlich neben den Fenstern. Nach innen zeigen sie sich durch schmale, hohe Holzlamellenpaneele neben den Fensterrahmen. Der Verzicht auf eine aufwendige horizontale Kanalführung kommt direkt der Raumhöhe zugute.

Der Supermarkt und die Wohnungen stehen in einer weiteren engen symbiotischen Beziehung: Die Wohnungen profitieren von der grossen Abwärme des Supermarkts (vgl. «Low Ex- Zero (E)Mission», S. 33 ff.), die zusammen mit einer grundwassergespeisten Wärmepumpe den Warm- und Heizwasserbedarf deckt.

Auf den ersten Blick wirken die Fassaden etwas fremd in ihrem Umfeld – schliesslich sind sie aus einer eigenen technischen Logik entwickelt: Um die Unterkonstruktion aus energieintensiven Aluminiumprofilen zu minimieren, wurden Fertigteile in Form eines Strangpressprofils aus streichelglattem Faserbeton entwickelt. Die Kantungen und Fugen erzeugen ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel auf den Fassaden und funktionieren wie eine zeitgenössische Weiterentwicklung eines klassischen Bossenwerks. Nicht zuletzt soll die robuste Konstruktion im fordernden urbanen Umfeld eine deutlich längere Lebensdauer aufweisen als herkömmliche Wärmedämmverbundsysteme, sodass die Nachhaltigkeitsrechnung aufgehen dürfte.


Anmerkungen:
[01] TEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft», S. 44 ff.
[02] TEC21 3-4/2007, S. 13
[03] www.bgzurlinden.ch

TEC21, Fr., 2010.06.04



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TEC21 2010|23 Badenerstrasse 380

09. Oktober 2009Alexander Felix
TEC21

Zukunfsthütte?

An exponierter Lage auf 2883 m ü. M., inmitten einer spektakulären Landschaft, eingebettet zwischen Gorner-, Grenz- und Monte-Rosa-Gletscher, setzt die Neue Monte-Rosa-Hütte einen architektonischen und technischen Meilenstein im hochalpinen Bauen.

An exponierter Lage auf 2883 m ü. M., inmitten einer spektakulären Landschaft, eingebettet zwischen Gorner-, Grenz- und Monte-Rosa-Gletscher, setzt die Neue Monte-Rosa-Hütte einen architektonischen und technischen Meilenstein im hochalpinen Bauen.

Die Idee zur Planung und Ausführung des Prestigeprojekts Neue Monte-Rosa-Hütte wurde anlässlich des Jubiläums «150 Jahre ETH Zürich» an der Hochschule entwickelt. Ab dem Wintersemester 2003/2004 arbeiteten 33 Studierende am eigens hierfür gegründeten «Studio Monte Rosa» unter Leitung von Andrea Deplazes an der Entwicklung von Konzepten für eine zeitgemässe Berghütte. Nach intensiver, viersemestriger Entwurfsarbeit konnte sich das Projekt «Glänzling» durchsetzen. Da die viel besuchte bestehende Monte-Rosa- Hütte in marodem Zustand ist und heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht, gelangten die Hochschule und der Schweizer Alpen-Club (SAC) zum Schluss, dass ein Neubau den ebenfalls diskutierten Umbauprojekten vorzuziehen sei. In den letzten sechs Jahren sammelte die Hochschule Sponsorengelder, um den 6.5 Mio. Franken teuren Bau realisieren zu können. Gleichzeitig wurde das Projekt in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Experten des SAC und der Industrie weiterentwickelt. In dieser Planungsphase wurden passive Low- Tech-Konzepte und aktive High-Tech-Lösungen abgewogen, da die Neue Monte-Rosa-Hütte als Leuchtturmprojekt der ETH Zürich auch die technische Kompetenz der Hochschule beweisen soll.

In einer sehr frühen Planungsphase wurde Holz wegen guter Vorfabrikations- und Transporteigenschaften als Baustoff gewählt. Bei der Überarbeitung des Entwurfs halfen computergestützte, parametrische Gebäudemodelle die komplexe Geometrie hinsichtlich Bettenanzahl, Tragwerk, Konstruktion, kompaktes Gebäudevolumen, passive und aktive Sonnenenergienutzung etc. zu optimieren. Ausserdem wurde die Suche nach einer möglichst kleinen Hüllfläche von einer intensiven Formfindung begleitet. Die polygonale Gebäudehülle wurde gegenüber dem ursprünglichen Entwurf geometrisch geklärt, gleichzeitig erfüllt sie nun eine Reihe weiterer Anforderungen: So bestimmt das ideale Quadrat der nach Süden gerichteten Fotovoltaikfassade die Ausrichtung und die Gestaltung der Hülle. Die Fläche wurde um 66.2 ° geneigt, sodass die Zellen optimal zur Sonne ausgerichtet sind. Die nach Norden abfallende Dachfläche stellt sicher, dass Schnee abrutschen kann, um die Schneelast zu reduzieren. Die übrigen Fassadenflächen sind unregelmässig geknickt, brechen die Grösse des Baukörpers und provozieren lebhafte Reflexionen auf der Aluminiumhülle: Die in den oberen Geschossen kleiner werdenden Räume erlaubten, das Volumen nach oben hin zu verjüngen.

Innere Reibung Der Grundriss zeigt ein unregelmässiges Achteck und ist durch Wandscheiben in zehn gleiche Segmente mit je 36 ° Öffnungswinkel geteilt. In den Stockwerken sind die Holzkonstruktionen unterschiedlich ausgeformt (siehe «Holzkristall», S. 23). Im Inneren reiben sich die unterschiedlichen Geometrien von Hüll- und Innenkonstruktion an verschiedenen Punkten. Diese Situationen sind von den Architekten durchaus gewollt und dank computergestützter Planung und Fertigung des Holztragwerks auch gut beherrschbar. Ob man das Ergebnis als «ungelöste Details» oder Reverenz an die Bricolage so manch alter Hütte liest, bleibt den Betrachtern überlassen. Vielleicht gelingt gerade so der Abbau von Berührungsängsten mit der ungewohnten architektonischen Hüttenform. Jedenfalls liess sich durch die digitale Planungs- und Herstellungskette eine präzise und schnelle Fertigung erreichen. Optisch wirkt die fünfstöckige Hütte wie aus dem Fels gewachsen. Doch nur die Aluminiumverblechung ist bis auf den Fels heruntergezogen. Unter diesem «Tischtuch» ruht der Bau über dem abfallenden Erdboden auf einem horizontalen, spinnennetzförmigen Stahltisch, der auf zehn Punktfundamenten und einer Zentralnocke lagert. Durch die punktuellen Auflager soll eine unerwünschte Aufheizung des empfindlichen Permafrostbodens verhindert werden.

Der Haupteingang zur Hütte liegt im ersten Untergeschoss, das – obwohl oberhalb des Erdreichs gelegen – als robuste Kellerwelt gestaltet ist. Die Enfilade beginnt mit den Ski-, Schuh- und Trockenraumsegmenten, die als Winterlager mit zwölf Schlafplätzen zugänglich bleiben, wenn die übrige Hütte geschlossen ist. Die Restsektoren sind mit der umfangreichen Haustechnik und Lagerräumen belegt. Die Erschliessung folgt in einer Spiralbewegung der Aussenwand und führt über eine breite Kaskadentreppe hinauf in den Essraum im Erdgeschoss mit 120 Sitzplätzen. Um den beeindruckenden Rundumblick in die Bergwelt zu ermöglichen und einen grosszügigen Raumeindruck zu erhalten, sind die Schotten hier als Fachwerk aufgelöst. Die computergesteuerte Fertigung ermöglichte es, die sichtbaren Holzoberflächen der Streben mit einem grossflächigen Muster zu versehen, das bei der maschinellen Bearbeitung direkt mitgefräst wurde. Es erinnert an traditionelle Holzschnitzereien in alten Stuben, konstrastiert aber die übrige reduzierte Gestaltung. Die Küche ist in einem eigenen Segment untergebracht und über Durchreichen in der Kernzone mit dem Essraum verbunden. Nach Süden vorgelagert ist ein grosses Holzdeck als Sonnenterrasse mit 60 Sitzplätzen.

In den oberen drei Geschossen befinden sich 18 Gäste- und Bergführerzimmer mit drei bis acht Betten. Je Stockwerk macht die Kaskadentreppe eine Vierteldrehung entlang des Fensterbandes. Als Erschliessung öffnet sich ein Segment zur Kernzone, die jeweils so geschnitten ist, dass die notwendige Anzahl Zimmertüren Platz findet. Auch die Zuschnitte der Zimmer folgen pragmatisch der Anordnung möglichst vieler Stockbetten, ausserdem entstehen in der Pufferzone zur Fassade polygonal geformte Liegeflächen, sodass keine zwei Räume im Haus identisch sind. Im ersten Obergeschoss befindet sich neben einem Waschraum und Toiletten die kleine Wohnung des Hüttenwarts. Eine schmale Wendeltreppe dient als interner Bypass in die unteren Etagen. Durch die schrägen Aussenwände nimmt die Grundfläche nach oben hin ab, dafür sind die Räume unter dem Dach deutlich höher und zum Teil von oben belichtet.

Energetischer Organismus Fern ab jeglicher Infrastruktur stand ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad im Mittelpunkt aller Planungen. Der Neubau wurde auf der sogenannten «Plattje» 88 m oberhalb der alten Hütte errichtet. Dieses südwestgerichtete Granitplateau verfügt über ein begünstigtes Mikroklima, der Schnee taut hier früher als in der Umgebung, und im Sommer entwickelt sich spärlicher Pflanzenbewuchs zwischen den Gletschern. Das Gesamtsystem besteht neben der eigentlichen Schutzhütte aus weiteren Einzelbausteinen, die durch ein ausgeklügeltes Steuerungssystem verbunden sind: Einige Meter oberhalb der Hütte – um ausreichenden Wasserdruck aufzubauen – wurde eine Felskaverne als Frischwasserspeicher in den Fels gesprengt. Unterhalb der neuen Hütte ist ein 60 m² grosser, südgerichteter thermischer Solarkollektor mittels einer Gerüstkonstruktion auf dem Fels befestigt. Er bildet zusammmen mit der Fotovoltaikanlage das Kraftwerk der Hütte, ergänzt durch ein kleines Blockheizkraftwerk, das bei Bedarf mit Rapsöl betrieben wird. Ebenfalls zum System gehört ein Mast mit meteorologischen Messinstrumenten und Kommunikationseinrichtungen. Um die Bergwelt nicht mit Abfällen zu belasten, wurde unter der Hütte eine mikrobiologische Abwasserreinigungsanlage eingebaut (vgl. «Höhentraining», S. 27). Nebenbei ermöglichten diese ökologische Überlegungen Komfortgewinne wie Toiletten mit Wasserspülung und Duschen, die manchem Alpinisten als unnötiger Luxus erscheinen mögen. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich aber auch bei anderen Hüttenneubauten wie dem 2005 fertiggestellten Schiestelhaus, der ersten Passivhaus-Schutzhütte im Alpenraum (pos architekten, Wien)[2] und der letztes Jahr eröffneten Olpererhütte (Hermann Kaufmann Architekten, Bregenz)[3]. Alle Bemühungen um umweltverträgliches Bauen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Neue Monte-Rosa-Hütte allein aufgrund ihrer Lage kein leicht erreichbares Ausflugsziel für breite Touristenströme ist.


Anmerkungen:
[01] Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Bd. 1, (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Voralberg ). Residenz Verlag, Salzburg/Wien, 1980, Seite 243 ff .
[02] «Schutzhütte in der Steiermark», Detail, 6/2007, S. 624–627
[03] Ulrich Dangel: Nachhaltige Architektur in Vorarlberg – Vom Entwurf bis zum Energiekonzept. Birkhäuser Verlag, Basel, 2009

www.neuemonterosahuette.ch
www.section-monte-rosa.ch

TEC21, Fr., 2009.10.09



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12. Februar 2009Alexander Felix
TEC21

Sinnvoll verknüpfen

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs....

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs....

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs. Die Beispiele eines bewährten Velo-Vermietkonzepts und architektonisch anspruchsvoll gestaltete Velostationen an zwei Bahnhöfen mit unterschiedlichen Zielrichtungen zeigen, dass die Bausteine für eine sinnvolle Kombination der vorhandenen Verkehrsmittel bereits vorhanden sind. Das Netz muss geknüpft werden, um die jeweiligen Vorteile wirkungsvoll zu stärken. Das Velo zeigt auf langen Strecken Schwächen, der öffentliche Verkehr hingegen bei der Feinverteilung, bzw. ein feines Streckennetz ist sehr teuer. Beide haben allerdings das Potenzial, sich optimal zu ergänzen – vorausgesetzt die Schnittstellen sind gut. Velostationen, die je nach Bedarf für Weg- und Zupendler geeignet sowie der Grösse der ÖV-Station und der Struktur ihrer Umgebung angepasst sind, ermöglichen einen optimalen Übergang. Sinnvoll sind abgestufte Kategorien mit unterschiedlich umfangreichen Angeboten für den Landbahnhof, die mittlere Ortschaft, das dichte Zentrum und die Velotourismusdestination.

Drahtesel für jedes Dorf

Mitte der 1990er-Jahre entwickelte der damalige Münchner Informatikstudent Christian Hogl ein viel versprechendes innovatives Mietvelokonzept als Lösung für Zupendler. Mit seiner Call-a-bike AG begann er, mit einem eigens patentierten «Bordcomputer» als Zahlenschloss sowie einem telefonzellen- und handybasierten Mietkonzept das bisherige, mit Mängeln behaftete Mietveloprinzip zu revolutionieren. Im Frühjahr 2000 stellte die kleine Aktien gesellschaft in München 2000 Call-a-bikes an verschiedenen Plätzen und Strassenkreuzungen zur Benutzung bereit. Trotz 27 000 Kunden innerhalb von sechs Monaten, viel öffentlichem Lob und grossem Medienecho endete das Start-up bereits im November 2000 in der Insolvenz, da Zeit- und Kostenplanung ausser Kontrolle geraten waren. Im gleichen Jahr gründete die Deutsche Bahn ihr Tochterunternehmen DB Rent GmbH, um mit ergänzenden Vermietdienstleistungen das Kerngeschäft der Bahn zu erweitern. Die Bahntochter übernahm das Call-a-bike-Konzept mitsamt dem Inventar als einen willkommenen Baustein in ihrem Mobilitätsangebot. Im Oktober 2001 waren 1000 Call-a-bike-Velos wieder auf den Münchner Strassen. In den folgenden Jahren baute die Bahn die Idee kontinuierlich aus, sodass die Räder heute auch in Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart und Karlsruhe genutzt werden können. Call-a-bike hat sich in allen Städten binnen kurzer Zeit als flexibler Service, als Ergänzung zum eigenen Rad sowie zu Bussen und Bahnen etabliert. 2007 nutzen 75 000 Kunden (Einheimische und Touristen) die über 5000 Velos für etwa eine halbe Million Fahrten.

Für viele Menschen gehört es heute zum Lebensstil, flexibel mobil zu sein. Die Marktforschung zeigt, dass es drei Hauptgruppen von Call-a-bike-Nutzenden gibt. Während die «Umweltorientierten» das Angebot selbstverständlich nutzen, befriedigen der weitere Ausbau und die technische Integration von verschiedenen Mobilitätsdiensten eine jüngere, pragmatische Zielgruppe. Das grösste Wachstumspotenzial liegt jedoch in der Gruppe der «Autoaffinen». Die heutige Fixierung auf individuelle Automobilität verdeutlicht zugleich die Chancen für die Angebotsentwicklung des intermodalen Verkehrs. Wenn es gelingt, die Angebote so zu gestalten, dass alltägliche Fahrten statt mit dem eigenen Auto mit der ÖV-Velo-Kombination zurückgelegt werden, ist auch das Wachstum der Mietveloanbieter gesichert.[1]

In der Schweiz ist das Mietvelosystem bislang hauptsächlich auf eine touristische Nutzung ausgelegt. Dementsprechend sind Vermiet- und Rückgabestationen eher in Freizeitgebieten angesiedelt und sprechen die Alltagsnutzer nicht an. Mit der Mobility-Struktur für Mietautos steht allerdings bereits ein landesweites Netz zur Verfügung, das in Richtung nichtmotorisierter Verkehr geöffnet werden könnte. Eine angemessene Anzahl Mietvelos, die an jedem Bahnhof für Zupendler bereitstehen, erweitert den Bewegungsradius für Bahnreisende beträchtlich. Etliche Autofahrten können damit entfallen, auch wenn das Ziel etwas abseits der öffentlichen Anbindung liegt.

Ständer am Gleis 1

Die Erfolgsgeschichte der Veloparkierungen für Wegpendler am Bahnhof ist schon deutlich länger. Gedeckte, unbewachte Veloparkierungen in unmittelbarer Nähe zum Zug gehören seit Langem zum guten Bild der SBB-Bahnhöfe. 1994/95 sind in der Schweiz die ersten bewachten Abstellanlagen für Velos hinzugekommen. Da vielerorts die ehemaligen Güterschuppen der Bahn leer standen, wurden diese Räume in Aarau, Langenthal und Uster für eine witterungsgeschützte und diebstahlsichere Veloverwahrung umgenutzt.

Inzwischen hat das Kind bei den SBB den Namen «B Rail» bekommen und wird mit einem standardisierten Bausystem konsequent erweitert. 2005 wurde der Bedarf bei den 620 Regio nalbahnhöfen konstatiert, die bis 2016 modernisiert werden sollen. Er entspricht einem Angebot von gedeckten Abstellplätzen für rund 20 000 Velos. Auch in 60 Fernbahnhöfen besteht Handlungsbedarf, vornehmlich um bestehende Anlagen zu entlasten.[2] Das Veloparkhaus in Glattbrugg (Bilder 3–5) ist ein aktuelles Beispiel für das B Rail-Konzept.

Die Station Glattbrugg im Norden Zürichs wurde als Knotenpunkt zwischen der neuen Glatttal-Bahn und der S-Bahn ausgebaut. In direkter Verlängerung des Aufnahmegebäudes von Max Vogt (Baujahr 1976) haben die Architekten der asa Arbeitsgruppe für Siedlungsplanung und Architektur, Rapperswil, einen neuen Parkhaustrakt errichtet. Eine Überdachung verbindet beide Bauteile und schafft einen neuen Vorplatz, den ein integrierter Kiosk zusätzlich belebt. Mit einer abgerundeten Glasfassade schliesst der lang gestreckte Neubaukörper nach Süden ab und bildet einen glatten Gegenpol zum markant kubischen Vogt-Bau.

Das zweigeschossige Veloparkhaus bietet Abstellplätze und lässt sich bei wachsendem Bedarf auf die doppelte Kapazität erweitern. Über den gedeckten Vorplatz erreichen die Pendlerinnen und Pendler ihren Zug. Die Konstruktion basiert auf dem Baukastensystem der RV05-Stationen der SBB (TEC21 13 und 18/2003). Stützen und Träger aus HEB-Profilen bilden das Tragwerk, Dach und Zwischendecks bestehen aus Hohlkastenelementen. Die Aussteifung erfolgt über Windverbände und den massiven Ortbetonkern des Kiosks. Eine einfache Profilglas-Fassade bietet Witterungsschutz. Der Zugang erfolgt über ein Kartensystem – jeder Nutzer muss sich anmelden und bekommt gegen ein Depot eine Karte, die ihm den Zutritt rund um die Uhr ermöglicht.

Diese monofunktionale Lösung ist mittlerweile ein anerkannter Baustein in der Möbilitätswirklichkeit. Sie könnte nun vermehrt auch Ausgangspunkt für weiter gehende Konzepte werden, die einen umfassenderen Mobilitätsservice anstreben.

Velo-Power-Tower

Das «mobile» in Freiburg im Breisgau geht weit über das gewöhnliche Veloparkhaus hinaus und richtet sich mit seinen Angeboten nicht nur an die täglichen Zu- und Wegpendler, sondern auch an den Freizeit-Veloverkehr (Bilder 6–9). Die Stadt gehörte zu den ersten in Deutschland, die Velofahrenden in Bahnhofsnähe bewachte Abstellplätze boten. Hinzu kam 1999 das Modellprojekt «mobile» der ortsansässigen hotz architekten, eine in dieser Konzeption einmalige Mobilitätszentrale zur Stärkung des umweltverträglichen Verkehrs. Ziel der Einrichtung ist die Vernetzung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs mit anderen Mobilitätsformen wie Velofahren, Car-Sharing und Taxi als Einstieg in ein zukunftsfähiges Verkehrssystem.

Der auffällige Rundbau am Freiburger Bahnhof beherbergt neben Velostellplätzen einen Reparaturservice, ein Informationsbüro und ein Café und macht durch seine Präsenz im Stadtbild Werbung für alternative Verkehrsformen. Die Gestalt unterstreicht dabei die Funktion der Station als «Drehscheibe»: Die Plattformen sind von allen Seiten erreichbar – die Hauptzufahrt liegt auf Strassenniveau, eine zweite Zufahrt ist über eine Rampe von der Stadtbahnbrücke her möglich, die über die Bahngleise führt.

Der aufgeständerte, im Grundriss ringförmige Baukörper verfügt über zwei Ebenen, die als Stahlbetonkonstruktion errichtet wurden und einen offenen Innenhof umschliessen. Die Fassade besteht aus Holzelementen, Edelstahl- und durchsichtigen Polycarbonatbändern. Unter dem Gebäude befinden sich die Parkplätze der Car-Sharing-Autos. In der Ebene 1 liegt das Parkdeck für 1000 Velos. Zusätzlich können dort Fahrräder, auch mit Kindersitz oder Anhänger, Tandems oder Fahrradtransporttaschen und andere nützliche Dinge gemietet werden. In der oberen Etage des Gebäudes bieten mehrere Mieter verschiedene Dienstleistungen im Bereich Mobilität an. So hält das Büro des Regiotourismus Angebote für Touristen bereit, die das Dreiländereck Deutschland–Frankreich–Schweiz per Velo kennen lernen wollen. Von Plan- und Informationsmaterial für Erkundungen auf eigene Faust bis hin zu geführten Radtouren reicht das Angebot. Ein Velogeschäft, das auf Stadt-, Reise- und Falträder spezialisiert ist, versorgt Alltags- und Freizeitradler mit allem, was für ihre jeweiligen Zwecke notwendig ist. Die angegliederte Werkstatt verfügt über vier Reparaturplätze. Auf dieser Ebene befindet sich auch ein Gemeinschaftsraum, der angemietet werden kann. Ein Café bietet Rastenden Speisen und Getränke aus der Region. Während eilige Reisende am Kiosk einen schnellen Imbiss kaufen können, lädt die grosse Terrasse zum Verweilen ein und bietet einen schönen Blick über die Gleisanlagen auf die Stadt und den Freiburger Hausberg Schauinsland. Seit August 2007 ist der Verein Car-Sharing Südbaden-Freiburg Gesellschafter und Betreiber des «mobile». Seine Erfahrungen sind gut.

Das Konzept würde auch in die Schweiz passen. Solche multifunktionalen Velodrehscheiben könnten in den Agglomerationskernen die dichten ÖV-Netze mit dem Veloverkehr verbinden und in Orten, die sich als Zentren für Velotourismus etablieren wollen, als Ausgangsbasis für Touren dienen. Sie liessen sich kommerziell betreiben und könnten je nach Standort mit zusätzlichen Angeboten erweitert werden. Bewachte Velostationen brauchen lange Präsenzzeiten vom ersten bis zum letzten Zug und damit viel Personal.

Es drängt sich daher auf, nach neuen Synergien zu suchen: In den Niederlanden werden bereits Billett- und Gepäckschalter in Veloparkhäuser verlagert. In den Schweizer Bahnhöfen Burgdorf, Langnau i.E. und Trubschachen bietet der Betreiber der Velostationen, die Pro Velo Emmental, in Zusammenarbeit mit der Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle einen Hauslieferdienst an. Monatlich werden etwa 2500 Einkäufe von rund 50 angeschlossenen Geschäften per Velo zu den Kunden nach Hause geliefert.3 So könnten Velostationen am Ende retten, was an den Bahnhöfen in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Die multifunktionale Velostation steht unmittelbar am Bahnhof und ist mit einer eigenständigen Gestaltung und gutem Wiedererkennungswert ein Statement der Gemeinde für den nachhaltigen Veloverkehr.


Anmerkungen
[1] Andreas Stolberg, Christian Hoff mann: Forschungsbericht «Call a Bike», im Auftrag von Wissenschaft szentrum Berlin für Sozialforschung gGmbh (WZB) und DB-Rent GmbH, Marburg/ Berlin 2005, www.wzb.eu/callabike/
[2] Markus Dössegger: Nationale Fachtagung Veloparkierung, Bern 2005
[3] Boom bei den Velostationen, Verkehrs-Informationen, Ausgabe 10 vom 30.12.2008, Informationsdienst für den öff entlichen Verkehr, Bern

TEC21, Do., 2009.02.12



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