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31. Dezember 2010Markus Schmid
TEC21

Langsames Wasser

Tiefe Temperaturen verlangsamen den Rhythmus des Lebens auf der Erde. Das trifft insbesondere auch für das Element Wasser zu. In flüssigem Zustand passt es seine Form aufgrund der Erdanziehung augenblicklich der Umgebung an. In gefrorenem Zustand als Eis oder Schnee sind diese Bewegungen nicht aufgehoben, aber extrem verlangsamt. So sehr, dass sich mit diesen Materialien in unseren Breitengraden im Winter stabile Bauwerke erstellen lassen. Die Planung und Herstellung solcher Bauten basiert weitgehend auf Erfahrungswerten von einigen spezialisierten Fachfirmen.

Tiefe Temperaturen verlangsamen den Rhythmus des Lebens auf der Erde. Das trifft insbesondere auch für das Element Wasser zu. In flüssigem Zustand passt es seine Form aufgrund der Erdanziehung augenblicklich der Umgebung an. In gefrorenem Zustand als Eis oder Schnee sind diese Bewegungen nicht aufgehoben, aber extrem verlangsamt. So sehr, dass sich mit diesen Materialien in unseren Breitengraden im Winter stabile Bauwerke erstellen lassen. Die Planung und Herstellung solcher Bauten basiert weitgehend auf Erfahrungswerten von einigen spezialisierten Fachfirmen.

Bauten aus Schnee werden weder in der Architektur noch im Ingenieurwesen wahrgenommen, behandelt oder gar bewirtschaftet. In unserer Region haben solche Objekte, abgesehen von Eiskanälen für Bobrennen oder Sprungschanzen für Skispringer, auch kaum Tradition. Doch seit gut 15 Jahren haben die Wintersportorte das Iglu als Touristenattraktion entdeckt. Pünktlich zu Saisonbeginn erstellen Fachleute jedes Jahr aufs Neue diese traditionell nordischen Inuit-Behausungen. Aus zu Beginn einfachen Schneehöhlen haben sich längst grosse Schneehotels mit Eventcharakter entwickelt. Zum Spannungsfeld zwischen Naturerlebnis, Hüttengaudi und Wellnesstrip gesellen sich vermehrt auch Fragen rund um die Themen Sicherheit, Bauauflagen, Naturschutz und Nachhaltigkeit.

Luft und Wasser

Der klassische Iglubau mit dem Aussägen und Stapeln von Schneeblöcken hat mit der heutigen Art des Schneehotelbauens wenig gemein. Professionelle Unternehmer haben eine Technik mit Ballonen erfunden und patentieren lassen. Das Prinzip ist simpel und effizient zugleich: Speziell geformte Kunststoffballone werden an Ort und Stelle aufgeblasen und platziert. Danach schieben Pistenfahrzeuge den Natur- oder Kunstschnee rings um den Ballonpark zu einem Widerlager zusammen. Wenn dieser Sockel fest steht, wird mit Fräsen weiterer Schnee auf die Ballone befördert. Nach und nach verdichtet sich die Schneedecke auf den spitzen Gewölbeformen. Sind die Gewölbe stark genug, kann das Pistenfahrzeug über das künftige Schneehotel fahren, ohne dass die Struktur einbricht. Anschliessend wird die Luft aus den Ballonen abgelassen, und die Kunststoffhüllen können durch Zugänge und innere Verbindungen herausgezogen werden. Danach werden die Ballone an andere Standorte transportiert oder gleich vor Ort wieder aufgeblasen, um weitere Räume am Schneehotelpark anzubauen.

Die Ballone haben keine Kugelform, sondern ähneln im Querschnitt einem gotischen Spitzbogen. Statisch bieten diese spitzen Kegelformen ideale Voraussetzungen, um mit einem Material zu bauen, das viel Druck, mässig Schub und kaum Zug zulässt. In der kurzen Geschichte der Schneehotels ist es noch nie zu einem Versagen der Gewölbe gekommen – und dies, obwohl keine rechnerischen Analysen der geplanten Tragwerke durchgeführt werden. Alles basiert auf Erfahrungswerten und der Einschätzung der Fachleute. Die fertigen Schneehäuser deformieren sich während ihrer Lebensdauer von November bis April mehr oder weniger stark, je nach Witterung und lokalem Klima. Daher werden die Innenräume permanent kontrolliert und nachbearbeitet. Die Stärken der Schalenstrukturen sind aber zu Beginn so stark, dass nie nachträglich Schnee aufgebracht werden muss, zumal auch der natürliche Schneefall nach und nach für eine zusätzliche Verdickung der Aussenform sorgt.

Luxus und Nachhaltigkeit

Das Erlebnis einer Übernachtung oder die Teilnahme an Events im modernen Igludorf wird heute von jeder grossen Wintersportregion angeboten. Die Nachfrage steigt ständig, und sowohl Einzelpersonen als auch Familien und Firmen schätzen das besondere Erlebnis in der Kälte. Um in diesem Wettbewerb zu bestehen, werden zwangsläufig immer mehr Annehmlichkeiten in die Schneehotels integriert. Das beginnt bei Auflagen aus Dämmplatten auf Möbel und Betten aus Schnee, die mit Fellen abgedeckt werden, und endet bei Saunaräumen und Whirlpools im «Cabrioiglu». An einem abgelegenen Ort hoch in den Alpen in Badekleidern den klaren und eiskalten Winterhimmel zu geniessen, verspricht Genuss pur. Um diesen Luxus mit einem guten «Öko-Gewissen» in Einklang zu bringen, müssen plausible Pro-Argumente gefunden werden. Nachhaltigkeit bietet sich als perfekte Lösung an. Daher existieren bereits Nachhaltigkeitsberichte und -zertifikate der Fachfirmen für Iglubau.[1]

Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass eine Übernachtung im Iglu einen relativ kleinen «Klima-Fussabdruck» hinterlässt, allerdings unter Ausblendung der Frage, wie die Besucher angereist sind und welche Aktivitäten sie rund um das Igludorf ausüben. Reisen im Flugzeug und Aktivitäten mit Motorgeräten wie Skidoos oder Quads machen bekannterweise den Löwenanteil des CO2-Ausstosses aus. Der WWF Deutschland hat zu dieser Problematik einen interessanten Bericht2 verfasst. Auch warme Kleidung und die relativ einfache Kost tragen zur guten Bilanz bei, denn eine Übernachtung im vollbeheizten und beleuchteten Hotelzimmer mit der rund um die Uhr warmen Küche beansprucht mehr Energie. Dazu kommen noch die Verwendung von deklariertem Ökostrom zur Herstellung des Kunstschnees, zum Heizen von Sauna und Whirlpool sowie die Kompensation der Treibhausgasemissionen Scope I und Scope II entsprechend dem GHG-Protokoll (siehe Kasten).

Betrachtet man das Thema mit etwas Distanz, wird wirklich klar, dass Igludörfer in der heutigen Grösse vergleichsweise wenig Anteil am Problem Treibhausgasausstoss haben, egal ob mit oder ohne Ökostrom. Und das liegt wie erwähnt in der Natur der Sache. Somit bleibt nur die Frage: Ist es legitim, in den Alpen temporäre Herbergen aus Schnee zu bauen, um damit Umsatz zu generieren? Betrachtet man die lokale Grösse und die Einbettung eines Igludorfes in Bezug auf das gesamte Skigebiet, so ist die Zusatzbelastung gering, zumal im Frühjahr der Schnee schmilzt und die Bauten restlos verschwinden. Die Wertschöpfung für die Region, die vom Tourismus lebt, ist sicher höher mit solchen Anlagen. Und schliesslich werden dadurch Umweltprojekte in aller Welt finanziell unterstützt (Kompensation CO2-Ausstoss). Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich Igludörfer durchaus vertreten.

Auflagen und Naturschutz

Mit der Zunahme von Anzahl und Grösse der Schneehotels und deren Bettenkapazität haben sich auch die Behörden des Themas angenommen, denn die Auswirkungen auf die umgebende Natur und die Risiken von Personenschäden steigen in gleichem Mass. In Bezug auf Personensicherheit existieren bereits einige Beispiele vom Kanton Bern. Neben den Auflagen zur Bestimmung eines Sicherheitsbeauftragten und zur Herstellung von Fluchtwegen werden auch Handfeuerlöscher vorgeschrieben. Nun möchte man annehmen, dass der Brandschutz in einem Bau aus Schnee und Eis kaum ein ernstzunehmendes Thema sein könnte. Doch vor zwei Jahren hat in einem Berner Igludorf eine Kerze die Reisetasche einer Touristin entzündet; die Qualmbildung forderte sieben Verletzte mit Verdacht auf Rauchvergiftung. Es ist anzunehmen, dass solche Fälle auch andernorts vorkamen, aber durch rechtzeitiges Entdecken niemand zu ernsthaftem Schaden kam. Deshalb werden keine Kerzen mehr in Schlafräumen und Verbindungsgängen zugelassen. Nachhaltigkeitsberichte haben dieses Verbot bereits aufgenommen und den Lichtersatz mit LED als CO2-Reduktion taxiert. Solche Entwicklungen müssen jedoch kritisch hinterfragt werden, denn die Fabrikation und der meist lange Transportweg von LED-Leuchten ist nach Expertenmeinungen nicht ökologisch.

Auch der Wildtier- und Naturschutz hat sich bereits mit dem Bau und dem Betrieb von Schneehotels befasst. Im Wesentlichen werden die Störung von Wildtieren, Lichtsmog und Lärm als Probleme erkannt und beurteilt. So dürfen von der Dämmerung bis zum Morgengrauen keine Outdoorevents rund um die Anlagen durchgeführt werden. Die Aussenbeleuchtung ist auf ein Minimum zu reduzieren, und Schneeschuhwanderungen sind nur nach Absprache mit dem zuständigen Wildhüter möglich. Die Initianten, Erbauer und Betreiber solcher Anlagen haben also einiges an Auflagen zu erfüllen. Aber dieses Gleichgewicht gilt es zu halten, um Naturschutz und Tourismus in Einklang zu bringen. Und die Macher haben den Begriff Naturschutz bereits als Marketinginstrument entdeckt, wie der Nachhaltigkeitsbericht[1] zeigt.

Schnee für Ingenieure und Architekten

Noch hat die Gilde der Former und Planer diese spezielle Art der Hochbauten nicht entdeckt. Doch diese Nische könnte technisch und wirtschaftlich durchaus interessant sein, um das Bauen mit Schnee und Eis weiterzuentwickeln. Denkbar sind etwa detaillierte Untersuchungen am Material, um Kennwerte zu erhalten, statische Analysen der Gewölbetragstrukturen oder die Entwicklung von Mischformen mit Druckelementen aus Schnee mit Schub- und Zugelementen aus anderen Materialien. Auch Studierende könnten das Thema in Semesteroder Abschlussarbeiten aufgreifen. In den Disziplinen Architektur, Bauingenieurwesen oder Bauphysik wären interessante Arbeiten und neue Erkenntnisse garantiert. Ein Aufruf, sich des langsamen Wassers anzunehmen.


Anmerkungen:
[01] Nachhaltigkeitsbericht Saison 2009/2010 der Iglu-Dorf GmbH:
www.iglu-dorf.com/pdf/ID_Nachhaltigkeitsbericht200910_lang_de.pdf
[02] Der touristische Klima-Fussabdruck, WWF Deutschland:
www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/pdf_neu/Der_touristische_Klima-Fussabdruck.pdf

TEC21, Fr., 2010.12.31



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2011|01-02 Baustoff Schnee

04. Juni 2010Markus Schmid
TEC21

Vorteile ausspielen

Auf den ersten Blick verrät der kürzlich fertiggestellte Neubau an der Badenerstrasse 380 in Zürich nichts Besonderes: Perimeter, Bauvorschriften, ökologische und ökonomische Interessen haben das Bauwerk in sein Korsett gezwängt. Der zweite Blick auf die Planungs- und Bauprozesse zeigt jedoch, dass trotzdem viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen zur Verfügung stand und dieses «unsichtbare» Arbeitsfeld konsequent bewirtschaftet wurde.

Auf den ersten Blick verrät der kürzlich fertiggestellte Neubau an der Badenerstrasse 380 in Zürich nichts Besonderes: Perimeter, Bauvorschriften, ökologische und ökonomische Interessen haben das Bauwerk in sein Korsett gezwängt. Der zweite Blick auf die Planungs- und Bauprozesse zeigt jedoch, dass trotzdem viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen zur Verfügung stand und dieses «unsichtbare» Arbeitsfeld konsequent bewirtschaftet wurde.

Zu Beginn war die komplette Tragstruktur als reiner Stahlbeton-/Mauerwerksbau konzipiert. Doch mit dem Wachsen des Anforderungskataloges wurden Reaktionen nötig, um den Belangen Energieeffizienz, ökologische Nachhaltigkeit und kurze Bauzeit Rechnung zu tragen. Deshalb wurde ein grosser Teil des oberen Bauvolumens neu in Holzbauweise geplant. Die zwei Untergeschosse, das Erdgeschoss und die sechs Treppen- und Lifttürme beliess man in der Stahlbeton-Variante: Die Vorteile hinsichtlich Tragfähigkeit, Vorspannung und Brandschutz konnten hier durch andere Baumaterialien nicht wettgemacht werden. Platten, Stützen und Wände der Untergeschosse und des Erdgeschosses sind aus handelsüblichem Beton der Klasse C25/30 XC1 rsp. C30/37 XC4 XF1 bei erdberührten Bauteilen fabriziert. Um die graue Energie zu minimieren, wurden die Treppen- und Lifttürme aus Recyclingbeton des Typs C25/30 XC1 XC2 ausgeführt, weil dies hier wegen der geringeren Beanspruchung gut möglich war.

Der Wechsel zur Holztragstruktur in den Obergeschossen hatte nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe, denn günstiger Wohnraum wird auch dadurch möglich, wenn dieser nach kurzer Bauzeit zur Verfügung steht. Die Genossenschaft kann ihn so früher vermieten und durch diesen wirtschaftlichen Vorteil tiefere Mietzinse ermöglichen. Um möglichst viel Bauzeit zu sparen, wurde der längliche Grundriss quer zur Badenerstrasse in vier Bauetappen unterteilt. Die Stahlbetonarbeiten konzentrierten sich zu Beginn an den zwei Endpartien. Die zwei dazwischenliegenden Etappen wurden sukzessive nachfolgend eingebaut. Dies hatte den Vorteil, dass auf den fertigen Randetappen bereits mit dem Aufrichten des Holzbaus begonnen werden konnte, während die mittleren zwei Etappen noch im Bauprozess standen. Diese zeitliche Überlappung der Arbeitsgattungen brachte denn auch eine beträchtliche Reduktion der Baudauer.

Schnittstelle Erdgeschoss Decke

Die Tragstruktur im Erdgeschoss ist mit ihrer grosszügigen Einteilung in keiner Weise kongruent mit den lastableitenden Wänden der Obergeschosse. Dadurch wurde das kreuzweise Anordnen von vorgespannten Unterzügen in der Erdgeschossdecke notwendig, wobei die sekundären Unterzüge (h=67 cm) in Querrichtung ihre Lasten an die primären Unterzüge (h=77 cm), die parallel zur Badenerstrasse angeordnet sind, abgeben. Solche Abfangträger reduzieren die Menge an Stahlbeton im Vergleich zu durchgehend gleich starken Deckenplatten zwar beträchtlich, beanspruchen aber auch mehr statische Höhe. Um mit den Medienkanälen nicht unter den Unterzügen durchfahren zu müssen und noch mehr an Raumhöhe zu verlieren, sind deshalb zahlreiche Aussparungen vorgesehen. Deren Anordnung richtet sich zwingend auf die Bereiche, wo die Spannkabel unten liegen. Die lichten Querschnitte wiederum sind ein Produkt aus statischer Verträglichkeit und den Anforderungen der Gebäudetechnik. Dass mehr Aussparungen als nötig platziert wurden, geschah in weiser Voraussicht, denn nachträgliches Bohren ist teuer und die Verletzung von relevanter, schlaffer Bewehrung dabei unumgänglich.

Als «Schlussstein» im übertragenen Sinn kann man die letzte Deckenetappe 4 bezeichnen. Da diese aus den genannten Gründen nicht an der Peripherie des Bauvolumens liegt, stellte sich das Problem der durchgängigen Vorspannung: Nach dem Betonieren dieser Schlussetappe musste man die Spannköpfe erreichen und der Spannpresse genug Platz einräumen. Zudem haben sich die Spannkabelenden der Etappen 3 und 4 weit zu überlappen, um eine durchgehende Wirkung zu erzielen. Dazu wurden in der Etappe 3 Hüllrohre mit dem gewünschten Kabelverlauf der Etappe 4 eingelegt und im Bereich der Spannköpfe grosszügige Aussparungen hergestellt. So wurden die Spannkabel der primären Unterzüge in der Etappe 3 per Kupplung an die entsprechenden Kabel der Etappe 1 angeschlossen und nach dem Betonieren und Nachbehandeln an der Kontaktstelle zu Etappe 4 vorgespannt. Nun konnten die Spannkabel der vierten Etappe mit Kupplungen an die Kabel der zweiten Etappe angeschlossen werden und durch die Hüllrohre in die fertige Etappe 3 eingestossen werden. Anschliessend betonierte man die letzte Etappe 4 und spannte die Kabel via die genannten Aussparungen in Etappe 3. Den Abschluss bildete das Auffüllen dieser Spannkopfaussparungen. Diese Abhandlung hört sich isoliert relativ einfach an. Durch das bereits erfolgte Aufrichten der Holzbauelemente auf den Etappen 1 und 2 war jedoch ein grosser logistischer Aufwand nötig, zumal auch die Flächen für Arbeit und Materialumschlag knapp bemessen waren.

Holzbauweise ermöglicht 2000 Watt

Die sechs Wohnkuben auf der Massivbaudecke über dem EG in Holzbauweise statt in der zu Beginn konzipierten Massivbauweise auszuführen, machte das ehrgeizige Ziel «2000-Watt- Gesellschaft» erst erreichbar. Das gewählte Wandprinzip «Top-Wall» wird normalerweise mit Stahlbetondecken kombiniert. Um aber auch hier der ökologischen Nachhaltigkeit und einer Minimierung der grauen Energie zu entsprechen, wurden die Geschossdecken aus Hohlkastenelementen ausgeführt. Damit hatte der Holzbauingenieur einige zusätzliche Aufgaben zu lösen, weil Hohlkasten naturgemäss nur in einer Richtung tragen. Auch die Gebäudetechnik musste sich dieser Bauweise und ihren Konsequenzen unterordnen (vgl. «Low Ex- Zero (E)Mission», S. 33).

Pragmatisch, praktisch, gut

Der Tragwerksplan der mehrgeschossigen Holzbauten ist denkbar einfach: Massive massgehobelte Kanthölzer 100 /195 mm der Festigkeitsklasse C24 bilden im Achsraster von 200 mm aneinandergereiht die 100 mm starken Aussen- und Trennwände. Auf diesen Wänden und an Auflagerschwellen aus Holz, die an den stabilisierenden Betonkernen verankerten wurden, sind die Hohlkastenelemente aufgelegt. Diese Deckenelemente bilden steife, an den Kernen fest verankerte horizontale Scheiben, vergleichbar mit einer einseitig wandverschraubten Tischplatte. Jede Deckenebene ist an ihrer Peripherie mit Einbindern aus 55 mm starken 3-Schicht-Platten umschlossen. Die stumpfen Stösse dieser Einbinder sind mit Nagelblechen kraftschlüssig verbunden. Um Gesamtstabilität und Erdbebensicherheit zu gewährleisten, sind die Geschossdecken der sechs Wohnkuben mit partiellen Schubverbindungen aus Stahl gekoppelt. So kann sich ein einzelner Kubus nicht um seinen Betonkern drehen. Damit sind weder an den Wänden noch an den Decken Verbände notwendig. Auf den ersten Blick eine einfache und unproblematische Bauweise – doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und deren sind nicht wenige vorhanden. Die Planer verstanden es, mit pragmatischen Lösungen zu reagieren:

– Verbindungen: Die Wände wurden nicht als Elemente im Werk vorfabriziert, sondern jedes einzelne Kantholz wurde am Bau gesetzt und mit Buchendübeln Ø 20 mm fixiert. Auf der Decke über EG bilden aufgedübelte Holzschwellen das Fundament für die Holzwände und gleichzeitig die Voraussetzung, durchgängig mit demselben Verbindungsprinzip arbeiten zu können. Je ein Buchendübel an Fuss und Kopf und einer auf halber Wandhöhe zwischen den Kanthölzern genügen, um die notwenigen Freiheitsgrade einzuschränken. Ingesamt wurden rund 4 km dieser Hartholzdübel eingebaut. Die Einbinder am Deckenrand bilden den Umfassungsring und sind Kontaktstelle für diverse Aufgaben wie Durchleiten der Vertikallasten, Aufnahme der Buchendübel und Anschrauben der Hohlkastenelementstirnen.

– Auskragungen: Die Wohnkuben weisen an den Schmalseiten diverse Terrassen und Balkone auf. Teilweise stützenfrei verlangen diese nach Kragträgern, weil die Tragrichtung der Hohlkastenelemente nur eindimensional verläuft. Das Umlegen der Rippen scheint naheliegend, bringt aber meist mehr Komplikationen als Nutzen mit sich. So wurde hier bewusst die Tragrichtung beibehalten und mit aussen angesetzten Brettschichthölzern die Auskragung realisiert.

– Stahlbauteile: Wohl als Obulus an den Konzeptwechsel von Massivbau- zu Holzbauweise in fortgeschrittener Planungsphase mussten einige Deckenauflager und diverse stark beanspruchte Tragelemente aus Baustahl implantiert werden. Ein Konstrukteur versucht immer, den Einsatz solcher «Fremdkörper» zu verhindern, denn das Einflechten von Stahlprofilen in einen Holzbau bringt immer einige technische Probleme mit sich wie Wärmebrücken und Anpassungen an Walzprofilformen. Dennoch kann dies selten gänzlich vermieden werden. – Brandschutz: Die Auflage der Gebäudeversicherung verlangte durchwegs nichtbrennbare Oberflächen im Rohbauzustand. Damit war klar, dass alle Holzbauteile komplett zu verkleiden sind. Innen und in den Steigzonen wurde diese Forderung mit Gipsfaserplatten, aussen mit der sowieso vorhandenen Mineralwolldämmung der hinterlüfteten Fassade erfüllt.

Gelebte Interdisziplinarität

Diverse weitere Details im Massivbau, dem Holzbau, der Gebäudehülle etc. wären der Erwähnung noch wert. Doch bereits jetzt ist offensichtlich, dass ein solches Gebäude nicht ohne das geordnete und zielgerichtete Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen plan- und ausführbar ist. Der Peak «2000-Watt-Gesellschaft» und der damit verbundene Konzeptwechsel in der Bauweise der Obergeschosse hat dem Begriff Interdisziplinarität wahre Bedeutung zugespielt. Investoren und Baufachleute haben hier ein wichtiges Zeichen auf dem Weg zur energiebewussten Gesellschaft gesetzt.

TEC21, Fr., 2010.06.04



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TEC21 2010|23 Badenerstrasse 380

Presseschau 12

31. Dezember 2010Markus Schmid
TEC21

Langsames Wasser

Tiefe Temperaturen verlangsamen den Rhythmus des Lebens auf der Erde. Das trifft insbesondere auch für das Element Wasser zu. In flüssigem Zustand passt es seine Form aufgrund der Erdanziehung augenblicklich der Umgebung an. In gefrorenem Zustand als Eis oder Schnee sind diese Bewegungen nicht aufgehoben, aber extrem verlangsamt. So sehr, dass sich mit diesen Materialien in unseren Breitengraden im Winter stabile Bauwerke erstellen lassen. Die Planung und Herstellung solcher Bauten basiert weitgehend auf Erfahrungswerten von einigen spezialisierten Fachfirmen.

Tiefe Temperaturen verlangsamen den Rhythmus des Lebens auf der Erde. Das trifft insbesondere auch für das Element Wasser zu. In flüssigem Zustand passt es seine Form aufgrund der Erdanziehung augenblicklich der Umgebung an. In gefrorenem Zustand als Eis oder Schnee sind diese Bewegungen nicht aufgehoben, aber extrem verlangsamt. So sehr, dass sich mit diesen Materialien in unseren Breitengraden im Winter stabile Bauwerke erstellen lassen. Die Planung und Herstellung solcher Bauten basiert weitgehend auf Erfahrungswerten von einigen spezialisierten Fachfirmen.

Bauten aus Schnee werden weder in der Architektur noch im Ingenieurwesen wahrgenommen, behandelt oder gar bewirtschaftet. In unserer Region haben solche Objekte, abgesehen von Eiskanälen für Bobrennen oder Sprungschanzen für Skispringer, auch kaum Tradition. Doch seit gut 15 Jahren haben die Wintersportorte das Iglu als Touristenattraktion entdeckt. Pünktlich zu Saisonbeginn erstellen Fachleute jedes Jahr aufs Neue diese traditionell nordischen Inuit-Behausungen. Aus zu Beginn einfachen Schneehöhlen haben sich längst grosse Schneehotels mit Eventcharakter entwickelt. Zum Spannungsfeld zwischen Naturerlebnis, Hüttengaudi und Wellnesstrip gesellen sich vermehrt auch Fragen rund um die Themen Sicherheit, Bauauflagen, Naturschutz und Nachhaltigkeit.

Luft und Wasser

Der klassische Iglubau mit dem Aussägen und Stapeln von Schneeblöcken hat mit der heutigen Art des Schneehotelbauens wenig gemein. Professionelle Unternehmer haben eine Technik mit Ballonen erfunden und patentieren lassen. Das Prinzip ist simpel und effizient zugleich: Speziell geformte Kunststoffballone werden an Ort und Stelle aufgeblasen und platziert. Danach schieben Pistenfahrzeuge den Natur- oder Kunstschnee rings um den Ballonpark zu einem Widerlager zusammen. Wenn dieser Sockel fest steht, wird mit Fräsen weiterer Schnee auf die Ballone befördert. Nach und nach verdichtet sich die Schneedecke auf den spitzen Gewölbeformen. Sind die Gewölbe stark genug, kann das Pistenfahrzeug über das künftige Schneehotel fahren, ohne dass die Struktur einbricht. Anschliessend wird die Luft aus den Ballonen abgelassen, und die Kunststoffhüllen können durch Zugänge und innere Verbindungen herausgezogen werden. Danach werden die Ballone an andere Standorte transportiert oder gleich vor Ort wieder aufgeblasen, um weitere Räume am Schneehotelpark anzubauen.

Die Ballone haben keine Kugelform, sondern ähneln im Querschnitt einem gotischen Spitzbogen. Statisch bieten diese spitzen Kegelformen ideale Voraussetzungen, um mit einem Material zu bauen, das viel Druck, mässig Schub und kaum Zug zulässt. In der kurzen Geschichte der Schneehotels ist es noch nie zu einem Versagen der Gewölbe gekommen – und dies, obwohl keine rechnerischen Analysen der geplanten Tragwerke durchgeführt werden. Alles basiert auf Erfahrungswerten und der Einschätzung der Fachleute. Die fertigen Schneehäuser deformieren sich während ihrer Lebensdauer von November bis April mehr oder weniger stark, je nach Witterung und lokalem Klima. Daher werden die Innenräume permanent kontrolliert und nachbearbeitet. Die Stärken der Schalenstrukturen sind aber zu Beginn so stark, dass nie nachträglich Schnee aufgebracht werden muss, zumal auch der natürliche Schneefall nach und nach für eine zusätzliche Verdickung der Aussenform sorgt.

Luxus und Nachhaltigkeit

Das Erlebnis einer Übernachtung oder die Teilnahme an Events im modernen Igludorf wird heute von jeder grossen Wintersportregion angeboten. Die Nachfrage steigt ständig, und sowohl Einzelpersonen als auch Familien und Firmen schätzen das besondere Erlebnis in der Kälte. Um in diesem Wettbewerb zu bestehen, werden zwangsläufig immer mehr Annehmlichkeiten in die Schneehotels integriert. Das beginnt bei Auflagen aus Dämmplatten auf Möbel und Betten aus Schnee, die mit Fellen abgedeckt werden, und endet bei Saunaräumen und Whirlpools im «Cabrioiglu». An einem abgelegenen Ort hoch in den Alpen in Badekleidern den klaren und eiskalten Winterhimmel zu geniessen, verspricht Genuss pur. Um diesen Luxus mit einem guten «Öko-Gewissen» in Einklang zu bringen, müssen plausible Pro-Argumente gefunden werden. Nachhaltigkeit bietet sich als perfekte Lösung an. Daher existieren bereits Nachhaltigkeitsberichte und -zertifikate der Fachfirmen für Iglubau.[1]

Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass eine Übernachtung im Iglu einen relativ kleinen «Klima-Fussabdruck» hinterlässt, allerdings unter Ausblendung der Frage, wie die Besucher angereist sind und welche Aktivitäten sie rund um das Igludorf ausüben. Reisen im Flugzeug und Aktivitäten mit Motorgeräten wie Skidoos oder Quads machen bekannterweise den Löwenanteil des CO2-Ausstosses aus. Der WWF Deutschland hat zu dieser Problematik einen interessanten Bericht2 verfasst. Auch warme Kleidung und die relativ einfache Kost tragen zur guten Bilanz bei, denn eine Übernachtung im vollbeheizten und beleuchteten Hotelzimmer mit der rund um die Uhr warmen Küche beansprucht mehr Energie. Dazu kommen noch die Verwendung von deklariertem Ökostrom zur Herstellung des Kunstschnees, zum Heizen von Sauna und Whirlpool sowie die Kompensation der Treibhausgasemissionen Scope I und Scope II entsprechend dem GHG-Protokoll (siehe Kasten).

Betrachtet man das Thema mit etwas Distanz, wird wirklich klar, dass Igludörfer in der heutigen Grösse vergleichsweise wenig Anteil am Problem Treibhausgasausstoss haben, egal ob mit oder ohne Ökostrom. Und das liegt wie erwähnt in der Natur der Sache. Somit bleibt nur die Frage: Ist es legitim, in den Alpen temporäre Herbergen aus Schnee zu bauen, um damit Umsatz zu generieren? Betrachtet man die lokale Grösse und die Einbettung eines Igludorfes in Bezug auf das gesamte Skigebiet, so ist die Zusatzbelastung gering, zumal im Frühjahr der Schnee schmilzt und die Bauten restlos verschwinden. Die Wertschöpfung für die Region, die vom Tourismus lebt, ist sicher höher mit solchen Anlagen. Und schliesslich werden dadurch Umweltprojekte in aller Welt finanziell unterstützt (Kompensation CO2-Ausstoss). Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich Igludörfer durchaus vertreten.

Auflagen und Naturschutz

Mit der Zunahme von Anzahl und Grösse der Schneehotels und deren Bettenkapazität haben sich auch die Behörden des Themas angenommen, denn die Auswirkungen auf die umgebende Natur und die Risiken von Personenschäden steigen in gleichem Mass. In Bezug auf Personensicherheit existieren bereits einige Beispiele vom Kanton Bern. Neben den Auflagen zur Bestimmung eines Sicherheitsbeauftragten und zur Herstellung von Fluchtwegen werden auch Handfeuerlöscher vorgeschrieben. Nun möchte man annehmen, dass der Brandschutz in einem Bau aus Schnee und Eis kaum ein ernstzunehmendes Thema sein könnte. Doch vor zwei Jahren hat in einem Berner Igludorf eine Kerze die Reisetasche einer Touristin entzündet; die Qualmbildung forderte sieben Verletzte mit Verdacht auf Rauchvergiftung. Es ist anzunehmen, dass solche Fälle auch andernorts vorkamen, aber durch rechtzeitiges Entdecken niemand zu ernsthaftem Schaden kam. Deshalb werden keine Kerzen mehr in Schlafräumen und Verbindungsgängen zugelassen. Nachhaltigkeitsberichte haben dieses Verbot bereits aufgenommen und den Lichtersatz mit LED als CO2-Reduktion taxiert. Solche Entwicklungen müssen jedoch kritisch hinterfragt werden, denn die Fabrikation und der meist lange Transportweg von LED-Leuchten ist nach Expertenmeinungen nicht ökologisch.

Auch der Wildtier- und Naturschutz hat sich bereits mit dem Bau und dem Betrieb von Schneehotels befasst. Im Wesentlichen werden die Störung von Wildtieren, Lichtsmog und Lärm als Probleme erkannt und beurteilt. So dürfen von der Dämmerung bis zum Morgengrauen keine Outdoorevents rund um die Anlagen durchgeführt werden. Die Aussenbeleuchtung ist auf ein Minimum zu reduzieren, und Schneeschuhwanderungen sind nur nach Absprache mit dem zuständigen Wildhüter möglich. Die Initianten, Erbauer und Betreiber solcher Anlagen haben also einiges an Auflagen zu erfüllen. Aber dieses Gleichgewicht gilt es zu halten, um Naturschutz und Tourismus in Einklang zu bringen. Und die Macher haben den Begriff Naturschutz bereits als Marketinginstrument entdeckt, wie der Nachhaltigkeitsbericht[1] zeigt.

Schnee für Ingenieure und Architekten

Noch hat die Gilde der Former und Planer diese spezielle Art der Hochbauten nicht entdeckt. Doch diese Nische könnte technisch und wirtschaftlich durchaus interessant sein, um das Bauen mit Schnee und Eis weiterzuentwickeln. Denkbar sind etwa detaillierte Untersuchungen am Material, um Kennwerte zu erhalten, statische Analysen der Gewölbetragstrukturen oder die Entwicklung von Mischformen mit Druckelementen aus Schnee mit Schub- und Zugelementen aus anderen Materialien. Auch Studierende könnten das Thema in Semesteroder Abschlussarbeiten aufgreifen. In den Disziplinen Architektur, Bauingenieurwesen oder Bauphysik wären interessante Arbeiten und neue Erkenntnisse garantiert. Ein Aufruf, sich des langsamen Wassers anzunehmen.


Anmerkungen:
[01] Nachhaltigkeitsbericht Saison 2009/2010 der Iglu-Dorf GmbH:
www.iglu-dorf.com/pdf/ID_Nachhaltigkeitsbericht200910_lang_de.pdf
[02] Der touristische Klima-Fussabdruck, WWF Deutschland:
www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/pdf_neu/Der_touristische_Klima-Fussabdruck.pdf

TEC21, Fr., 2010.12.31



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2011|01-02 Baustoff Schnee

04. Juni 2010Markus Schmid
TEC21

Vorteile ausspielen

Auf den ersten Blick verrät der kürzlich fertiggestellte Neubau an der Badenerstrasse 380 in Zürich nichts Besonderes: Perimeter, Bauvorschriften, ökologische und ökonomische Interessen haben das Bauwerk in sein Korsett gezwängt. Der zweite Blick auf die Planungs- und Bauprozesse zeigt jedoch, dass trotzdem viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen zur Verfügung stand und dieses «unsichtbare» Arbeitsfeld konsequent bewirtschaftet wurde.

Auf den ersten Blick verrät der kürzlich fertiggestellte Neubau an der Badenerstrasse 380 in Zürich nichts Besonderes: Perimeter, Bauvorschriften, ökologische und ökonomische Interessen haben das Bauwerk in sein Korsett gezwängt. Der zweite Blick auf die Planungs- und Bauprozesse zeigt jedoch, dass trotzdem viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen zur Verfügung stand und dieses «unsichtbare» Arbeitsfeld konsequent bewirtschaftet wurde.

Zu Beginn war die komplette Tragstruktur als reiner Stahlbeton-/Mauerwerksbau konzipiert. Doch mit dem Wachsen des Anforderungskataloges wurden Reaktionen nötig, um den Belangen Energieeffizienz, ökologische Nachhaltigkeit und kurze Bauzeit Rechnung zu tragen. Deshalb wurde ein grosser Teil des oberen Bauvolumens neu in Holzbauweise geplant. Die zwei Untergeschosse, das Erdgeschoss und die sechs Treppen- und Lifttürme beliess man in der Stahlbeton-Variante: Die Vorteile hinsichtlich Tragfähigkeit, Vorspannung und Brandschutz konnten hier durch andere Baumaterialien nicht wettgemacht werden. Platten, Stützen und Wände der Untergeschosse und des Erdgeschosses sind aus handelsüblichem Beton der Klasse C25/30 XC1 rsp. C30/37 XC4 XF1 bei erdberührten Bauteilen fabriziert. Um die graue Energie zu minimieren, wurden die Treppen- und Lifttürme aus Recyclingbeton des Typs C25/30 XC1 XC2 ausgeführt, weil dies hier wegen der geringeren Beanspruchung gut möglich war.

Der Wechsel zur Holztragstruktur in den Obergeschossen hatte nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe, denn günstiger Wohnraum wird auch dadurch möglich, wenn dieser nach kurzer Bauzeit zur Verfügung steht. Die Genossenschaft kann ihn so früher vermieten und durch diesen wirtschaftlichen Vorteil tiefere Mietzinse ermöglichen. Um möglichst viel Bauzeit zu sparen, wurde der längliche Grundriss quer zur Badenerstrasse in vier Bauetappen unterteilt. Die Stahlbetonarbeiten konzentrierten sich zu Beginn an den zwei Endpartien. Die zwei dazwischenliegenden Etappen wurden sukzessive nachfolgend eingebaut. Dies hatte den Vorteil, dass auf den fertigen Randetappen bereits mit dem Aufrichten des Holzbaus begonnen werden konnte, während die mittleren zwei Etappen noch im Bauprozess standen. Diese zeitliche Überlappung der Arbeitsgattungen brachte denn auch eine beträchtliche Reduktion der Baudauer.

Schnittstelle Erdgeschoss Decke

Die Tragstruktur im Erdgeschoss ist mit ihrer grosszügigen Einteilung in keiner Weise kongruent mit den lastableitenden Wänden der Obergeschosse. Dadurch wurde das kreuzweise Anordnen von vorgespannten Unterzügen in der Erdgeschossdecke notwendig, wobei die sekundären Unterzüge (h=67 cm) in Querrichtung ihre Lasten an die primären Unterzüge (h=77 cm), die parallel zur Badenerstrasse angeordnet sind, abgeben. Solche Abfangträger reduzieren die Menge an Stahlbeton im Vergleich zu durchgehend gleich starken Deckenplatten zwar beträchtlich, beanspruchen aber auch mehr statische Höhe. Um mit den Medienkanälen nicht unter den Unterzügen durchfahren zu müssen und noch mehr an Raumhöhe zu verlieren, sind deshalb zahlreiche Aussparungen vorgesehen. Deren Anordnung richtet sich zwingend auf die Bereiche, wo die Spannkabel unten liegen. Die lichten Querschnitte wiederum sind ein Produkt aus statischer Verträglichkeit und den Anforderungen der Gebäudetechnik. Dass mehr Aussparungen als nötig platziert wurden, geschah in weiser Voraussicht, denn nachträgliches Bohren ist teuer und die Verletzung von relevanter, schlaffer Bewehrung dabei unumgänglich.

Als «Schlussstein» im übertragenen Sinn kann man die letzte Deckenetappe 4 bezeichnen. Da diese aus den genannten Gründen nicht an der Peripherie des Bauvolumens liegt, stellte sich das Problem der durchgängigen Vorspannung: Nach dem Betonieren dieser Schlussetappe musste man die Spannköpfe erreichen und der Spannpresse genug Platz einräumen. Zudem haben sich die Spannkabelenden der Etappen 3 und 4 weit zu überlappen, um eine durchgehende Wirkung zu erzielen. Dazu wurden in der Etappe 3 Hüllrohre mit dem gewünschten Kabelverlauf der Etappe 4 eingelegt und im Bereich der Spannköpfe grosszügige Aussparungen hergestellt. So wurden die Spannkabel der primären Unterzüge in der Etappe 3 per Kupplung an die entsprechenden Kabel der Etappe 1 angeschlossen und nach dem Betonieren und Nachbehandeln an der Kontaktstelle zu Etappe 4 vorgespannt. Nun konnten die Spannkabel der vierten Etappe mit Kupplungen an die Kabel der zweiten Etappe angeschlossen werden und durch die Hüllrohre in die fertige Etappe 3 eingestossen werden. Anschliessend betonierte man die letzte Etappe 4 und spannte die Kabel via die genannten Aussparungen in Etappe 3. Den Abschluss bildete das Auffüllen dieser Spannkopfaussparungen. Diese Abhandlung hört sich isoliert relativ einfach an. Durch das bereits erfolgte Aufrichten der Holzbauelemente auf den Etappen 1 und 2 war jedoch ein grosser logistischer Aufwand nötig, zumal auch die Flächen für Arbeit und Materialumschlag knapp bemessen waren.

Holzbauweise ermöglicht 2000 Watt

Die sechs Wohnkuben auf der Massivbaudecke über dem EG in Holzbauweise statt in der zu Beginn konzipierten Massivbauweise auszuführen, machte das ehrgeizige Ziel «2000-Watt- Gesellschaft» erst erreichbar. Das gewählte Wandprinzip «Top-Wall» wird normalerweise mit Stahlbetondecken kombiniert. Um aber auch hier der ökologischen Nachhaltigkeit und einer Minimierung der grauen Energie zu entsprechen, wurden die Geschossdecken aus Hohlkastenelementen ausgeführt. Damit hatte der Holzbauingenieur einige zusätzliche Aufgaben zu lösen, weil Hohlkasten naturgemäss nur in einer Richtung tragen. Auch die Gebäudetechnik musste sich dieser Bauweise und ihren Konsequenzen unterordnen (vgl. «Low Ex- Zero (E)Mission», S. 33).

Pragmatisch, praktisch, gut

Der Tragwerksplan der mehrgeschossigen Holzbauten ist denkbar einfach: Massive massgehobelte Kanthölzer 100 /195 mm der Festigkeitsklasse C24 bilden im Achsraster von 200 mm aneinandergereiht die 100 mm starken Aussen- und Trennwände. Auf diesen Wänden und an Auflagerschwellen aus Holz, die an den stabilisierenden Betonkernen verankerten wurden, sind die Hohlkastenelemente aufgelegt. Diese Deckenelemente bilden steife, an den Kernen fest verankerte horizontale Scheiben, vergleichbar mit einer einseitig wandverschraubten Tischplatte. Jede Deckenebene ist an ihrer Peripherie mit Einbindern aus 55 mm starken 3-Schicht-Platten umschlossen. Die stumpfen Stösse dieser Einbinder sind mit Nagelblechen kraftschlüssig verbunden. Um Gesamtstabilität und Erdbebensicherheit zu gewährleisten, sind die Geschossdecken der sechs Wohnkuben mit partiellen Schubverbindungen aus Stahl gekoppelt. So kann sich ein einzelner Kubus nicht um seinen Betonkern drehen. Damit sind weder an den Wänden noch an den Decken Verbände notwendig. Auf den ersten Blick eine einfache und unproblematische Bauweise – doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und deren sind nicht wenige vorhanden. Die Planer verstanden es, mit pragmatischen Lösungen zu reagieren:

– Verbindungen: Die Wände wurden nicht als Elemente im Werk vorfabriziert, sondern jedes einzelne Kantholz wurde am Bau gesetzt und mit Buchendübeln Ø 20 mm fixiert. Auf der Decke über EG bilden aufgedübelte Holzschwellen das Fundament für die Holzwände und gleichzeitig die Voraussetzung, durchgängig mit demselben Verbindungsprinzip arbeiten zu können. Je ein Buchendübel an Fuss und Kopf und einer auf halber Wandhöhe zwischen den Kanthölzern genügen, um die notwenigen Freiheitsgrade einzuschränken. Ingesamt wurden rund 4 km dieser Hartholzdübel eingebaut. Die Einbinder am Deckenrand bilden den Umfassungsring und sind Kontaktstelle für diverse Aufgaben wie Durchleiten der Vertikallasten, Aufnahme der Buchendübel und Anschrauben der Hohlkastenelementstirnen.

– Auskragungen: Die Wohnkuben weisen an den Schmalseiten diverse Terrassen und Balkone auf. Teilweise stützenfrei verlangen diese nach Kragträgern, weil die Tragrichtung der Hohlkastenelemente nur eindimensional verläuft. Das Umlegen der Rippen scheint naheliegend, bringt aber meist mehr Komplikationen als Nutzen mit sich. So wurde hier bewusst die Tragrichtung beibehalten und mit aussen angesetzten Brettschichthölzern die Auskragung realisiert.

– Stahlbauteile: Wohl als Obulus an den Konzeptwechsel von Massivbau- zu Holzbauweise in fortgeschrittener Planungsphase mussten einige Deckenauflager und diverse stark beanspruchte Tragelemente aus Baustahl implantiert werden. Ein Konstrukteur versucht immer, den Einsatz solcher «Fremdkörper» zu verhindern, denn das Einflechten von Stahlprofilen in einen Holzbau bringt immer einige technische Probleme mit sich wie Wärmebrücken und Anpassungen an Walzprofilformen. Dennoch kann dies selten gänzlich vermieden werden. – Brandschutz: Die Auflage der Gebäudeversicherung verlangte durchwegs nichtbrennbare Oberflächen im Rohbauzustand. Damit war klar, dass alle Holzbauteile komplett zu verkleiden sind. Innen und in den Steigzonen wurde diese Forderung mit Gipsfaserplatten, aussen mit der sowieso vorhandenen Mineralwolldämmung der hinterlüfteten Fassade erfüllt.

Gelebte Interdisziplinarität

Diverse weitere Details im Massivbau, dem Holzbau, der Gebäudehülle etc. wären der Erwähnung noch wert. Doch bereits jetzt ist offensichtlich, dass ein solches Gebäude nicht ohne das geordnete und zielgerichtete Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen plan- und ausführbar ist. Der Peak «2000-Watt-Gesellschaft» und der damit verbundene Konzeptwechsel in der Bauweise der Obergeschosse hat dem Begriff Interdisziplinarität wahre Bedeutung zugespielt. Investoren und Baufachleute haben hier ein wichtiges Zeichen auf dem Weg zur energiebewussten Gesellschaft gesetzt.

TEC21, Fr., 2010.06.04



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