Editorial
Vorhang auf, Bühne frei, Auftritt: Der Rheinfall. Das tosende Naturspektakel wurde zwischen Mai 2009 und März 2010 aufwendig neuinszeniert. Denn das Ausflugsziel verzeichnete seit den 1980er-Jahren einen Besucherrückgang von fast 20 %. Der Wasserfall musste also sein verstaubtes Image verlieren. Resultat der Planungen und Arbeiten ist ein neuer Erlebnisrundweg, der die Besucherinnen und Besucher leitet. Das Schlossareal Laufen ist zudem mit gastronomischen und kulturellen Zwischenstationen ausstaffiert worden. Dank diesen Massnahmen sollen die Besucher nicht mehr nur zum Rheinfall kommen, sondern auf dem Weg dahin auch rasten und ruhen und dabei möglichst viel Geld ausgeben.
Das neue Bühnenbild für den Rheinfall ist bis ins Detail geplant. Die Besucher werden auf einen Rundgang geführt, das Landschaftserlebnis wird dadurch mit Kulturereignis und Freizeitaktivität verbunden. Das Stück soll also aus mehreren Akten bestehen. Bevor die BesucherInnen ihr eigentliches Ziel erreichen, können sie sich in einem Imbissrestaurant stärken, ihre Kinder auf dem Spielplatz toben lassen, eine kleine Ausstellung im Schloss besuchen und schliesslich den Weg hinunter zum Rheinfall antreten. Auch dieser ist in das dramaturgische Konzept eingebunden, erlaubt die Bepflanzung doch nur an gewissen Stellen den Blick auf den Wasserfall und versperrt ihn an anderen. Der Zugang zum Unteren Belvedere mit Aussicht auf den Rheinfall ist dank einem Liftturm und einem leicht abfallenden Steg heute hindernisfrei, der Zugang zur SBB-Haltestelle, zum Känzeli, zum Oberen Belvedere und ans Wasser jedoch leider nicht.
Das Naturerlebnis ist das Ergebnis einer kulturellen Inszenierung. Bühnenbildner, Theatermaler, Tapezierer und Dekorateure haben diese Wirkung noch verstärkt: Architekt und Architektin haben die Altbauten sorgfältig restauriert und die Neubauten ins historische Ensemble eingefügt. Der Beton des Liftturms ist ähnlich dem Fels eingefärbt, und die ebenfalls farblich angepassten Ankerköpfe der Felssicherung wurden gar von einem Steinmetz bearbeitet, damit sie ins Bühnenbild passen. Das Postkartenbild vom Rheinfall und dem angrenzenden Schloss Laufen ist nahezu unbeschadet durch die Umbauzeit gekommen, die neuen Elemente fügen sich ruhig in die Szene ein und werden, so ist das Ziel, zu einem grossen Teil zwischen den Bäumen des Schlossfelsens verschwinden. Mit dem Ausbau hat der Rheinfall eine zeitgemässe Bühne im Wert von insgesamt 13.6 Mio. Franken bekommen, die die grandiose Attraktion überhöht. Das Stück, das hier seit eh und je gegeben wird, bleibt aber das gleiche.
Katinka Corts
Inhalt
05 WETTBEWERBE
«Best Practice Award» der usic | «Young Engineers’ Symposium» der IVBH
10 PERSÖNLICH
Urs Tappolet: «Ich habe Respekt vor meiner Arbeit»
12 MAGAZIN
Rapperswiler Tag: Der grosse Wurf | Miniautobahn im Weinland
18 PROMENADE ZUM RHEIN
Hansjörg Gadient
Umbau, Erweiterung, Neuinszenierung: Der Autor nimmt die Lesenden auf einen Spaziergang zum Rheinfall mit.
24 FELSENFEST VERANKERT
T. Eisenlohr, A. Wittel, P. Fischli-Boson
Ein neuer Steg und ein Liftturm ermöglichen auch Gehbehinderten, den Wasserfall zu erreichen. Die geologischen Verhältnisse am Schloss Laufen machten jedoch Planung und Bau zum Kraftakt.
28 AUF ENGEM RAUM
Daniela Dietsche
Steiles Gelände und zu wenig Platz auf dem Schlossareal beeinflussten den Bauablauf von Steg und Turm massgeblich.
33 SIA
SIA 118 – der (un)bekannte Klassiker | Beitritte zum SIA im 1. Quartal 2010 | Kurse SIAForm | A&K-Reise nach Ostdeutschland | Versicherungen für Planungsbüros
39 FIRMEN
45 IMPRESSUM
46 VERANSTALTUNGEN
Promenade zum Rhein
Der Rheinfall ist und bleibt ein grandioses Spektakel. Doch sein Zugang auf Zürcher Seite durch das Schloss Laufen war völlig veraltet. Ein beträchtlicher Besucherrückgang veranlasste den Kanton Zürich, die Anlagen umfassend zu sanieren. Ein Spaziergang zeigt, was gebaut und wie das Naturtheater neu inszeniert wurde.
Am Anfang des Besuchs überrascht ein Gebäude, das zugleich ganz gegenwärtig-aktuell und zeitlos-einfach wirkt: eine schlichte Hausform wie aus einem Märchenbuch mit Techno- Touch (Abb. 3, rechts). Die Architekten Leuppi und Schafroth haben aus einem hässlichen Personalhaus, das seine letzte Erneuerung vor rund sechzig Jahren gesehen hat, eine Schatulle mit nobler Auskleidung gemacht. Dafür haben sie den vorhandenen Altbau um die Hälfte verlängert und in eine Hülle aus wetterfestem Stahl verpackt. Hinter der Idee stand eine Mischung aus Bildern: das Plattnerwerk eines Harnischs, Schweizer Stickereien und die Vorstellung einer warmen, lebendigen Oberflächenfarbigkeit. «Swissness» signalisiert nun das Ornament der Fassade; es sind leicht verfremdete Schweizerkreuze, die aus den Metallplatten geschnitten wurden und Licht und Luft zu den dahinter liegenden Räumen gelangen lassen. Die rostrote Hülle schliesst bündig an die alten Biberschwanzziegel der Dachtraufe an. So entsteht ein Haus von einfacher Form und schönen Proportionen. Das ist gelungen, ist so doch die ganze Biederkeit des Altbaus einem Eindruck von eleganter und doch ländlicher Grosszügigkeit gewichen. Ursprünglich war vorgesehen, die Vordächer aufklappbar auszugestalten, sodass sie im geschlossenen Zustand die Kompaktheit der Form noch unterstrichen hätten. Wie an anderen Orten zwang der Kostenrahmen zu Vereinfachungen. Die Vordächer sind fest montiert; das Visier des Harnischs bleibt offen.
Die vorgesetzte Fassadenschicht führt zu raumhaltigen Aussenwänden, in die Schalter, vitrinenartige Schaufenster oder – im Café – Sitznischen eingelassen sind, eine nicht zu unterschätzende Bereicherung. Innen ist die metallene Schatulle mit einem sorgfältig detaillierten Ausbau in Lärchen- und Eichenholz ausgekleidet. Zusätzlich trägt die Intervention im Dachgeschoss zur Analogie einer feinen Schatulle bei: Der von Zugbändern frei gehaltene Zeltraum ist ganz mit Filz kaschiert (siehe Abb. 6), eine nicht nur akustisch, sondern auch ästhetisch überzeugende Idee. Wer hier eine Veranstaltung besucht, kommt in ihren Genuss. Der Weg führt zurück in den Aussenraum. Auch hier haben die Architekten vereinfachend und klärend eingegriffen, vor allem mit einer Stützmauer aus gestocktem Beton, in den Kalkstein in der Farbe des alten Mauerwerks eingelassen wurde. Die Mauer schwingt sich um die Rückseite des Gebäudes und endet als Sitzgelegenheit neben der Bestuhlung des Cafés. Von hier aus fällt der Blick auf das Schloss und seine Wehranlagen.
Mikado im Wald, Magnolie im Schloss
Ausser der Attraktivitätssteigerung gab es ein zweites Ziel der Sanierung: Die Aufenthaltsdauer der Gäste sollte markant erhöht werden. Und wer drängt zum Gehen, wenn es langweilig wird? Die Kinder. Für sie haben Schmid Landschaftsarchitekten hier an strategisch bester Stelle, zwischen Restaurant und Besucherzentrum, einen grosszügigen Spielplatz angelegt. Im abschüssigen Terrain verbinden sie die Geländestufen mit einem riesigen Mikado aus Baumstämmen, eine thematische Referenz an den nahe liegenden Wald und eine Einladung an die Kinder, ihren Gleichgewichtssinn zu erproben. Einige der Stämme sind beweglich und entpuppen sich als Wippen und schwankende Stege. Eine Drehscheibe und einige Wippteller ergänzen im Wortsinn punktuell die Linien der Stämme. Die Spielgeräte bleiben niedrig, so vermeiden die Landschaftsarchitekten geschickt den Zwang, die hässlichen Fallschutzbeläge anlegen zu müssen, die Sicherheitsvorschriften heute fordern. Und während sich die Kinder auf dem Spielplatz austoben, kann der beschauliche Spaziergang durch das Schloss beginnen.
Schon im ersten Hof stimmen Abbildungen des Rheinfalls aus verschiedenen Epochen auf das Thema der Ausstellung im ehemaligen Wohnhaus ein. Aber zuvor empfängt einen der eigentliche Schlosshof, der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Begehung. Er hat – wie die Bauten selbst – im Laufe der Geschichte viele Umgestaltungen erfahren. Vor der Sanierung machten Asphalt, Rasen und eine heterogene Bepflanzung den Hof zu einer Kreuzung aus Vorfahrt und Garten. Wie die Architekten beim Besucherzentrum klärend wirkten, haben auch die Landschaftsarchitekten die Lösung in der Vereinfachung gefunden. Rasen und Asphalt wurden entfernt und der Rand des Hofes mit einer Fortsetzung der vorhandenen Pflästerungen ergänzt. Einzig die majestätische Magnolie im Zentrum blieb erhalten; als veritabler Solitär steht sie inmitten des entleerten Hofes in einem neuen Beet (Abb. 8). Würde und Ruhe sind wiederhergestellt.
Hier wird eine Entscheidung fällig: gleich hinunter zum Wasserfall? Und wenn ja, per Lift oder zu Fuss? Oder doch zuerst ins Museum, das keines ist? – Wir wollen die Vorfreude auf das Naturereignis verlängern und entscheiden uns für das Museum.
Cataracta Rheni
Es ist kein Museum, wie die Gestalter der Ausstellung, Bellprat Associates, betonen, sondern ein «Historama». Wie andernorts fordert der Zeitgeist nicht nur Information, sondern auch Unterhaltung. Den Autoren ist der Anspruch mit einem Rückgriff auf die Welt der Schausteller gelungen. Ihre Aufarbeitung der Themen sind als Klanginstallationen, als Kulissenräume und als bewegliche Kleintheater gestaltet. Den Rahmen für diese Einbauten haben wiederum die Architekten Leuppi und Schafroth mit einer denkmalpflegerisch sorgfältigen und zurückhaltenden Renovation geschaffen, am besten zu beobachten im Eingangsraum, dem historisierenden Treppenhaus und dem sogenannten Bleulersaal (Abb. 9 und 10). Beide sind auf den historischen Bestand zurückgeführt, die nötigen technischen Einbauten geschickt hinter den Verkleidungen versteckt.
Von Raum zu Raum spielt sich nun eine Folge von publikumswirksamen Inszenierungen einzelner Themen ab. Am Anfang steht das Bild des Rheinfalls. Das Naturschauspiel zieht seit einem halben Jahrtausend Reisende aus Europa und der ganzen Welt an. Viele von ihnen haben ihre Eindrücke in Kohle, Öl und Wasserfarben festgehalten. Die erste bekannte Darstellung des «Cataracta Rheni» erscheint in der «Cosmographia» des Sebastian Münster (1455–1552) und legt den Grundstein für dessen Berühmtheit: «Zehen oder zwoelff clafftern hoch falt er strack oben abher, es ist ein grausam Ding zusehen, es wirt das wasser, so es oben abher schusst, zuo einem gantzen schaum, do mag kein schiff abher kommen, anderst es zerfiel in tausend stuck», schreibt Munster. Ihm folgen viele Berühmtheiten, unter anderem Michel de Montaigne, Kaiserin Sisi und William Turner. Ihnen gemeinsam ist das Interesse am Rheinfall als Naturschauspiel. Sie kommen um der Betrachtung willen. Den Gegenpol dazu bilden diejenigen, die vor allem den technischen Nutzen – oder die Verhinderung desselben durch das Hindernis Rheinfall – gesehen haben. Die ersten waren holländische Kaufleute, die 1609 vorschlugen, den Rheinfall zu sprengen. So liesse sich Holz viel einfacher flössen, als wenn es – wie alle Waren – umständlich oberhalb aus dem Wasser gebracht und unterhalb wieder verladen werden müsste. Sie hatten keinen Erfolg, nicht zuletzt weil die Anwohner von dieser Arbeit lebten und sich entsprechend vehement widersetzten. Rund um den Rheinfall entwickelten sich im Laufe der Zeit die verschiedensten ökonomischen Interessen; die Nutzung der Wasserkraft und der Tourismus sind die wichtigsten. Ein Besuch im neuen Historama klärt vergnüglich und erstaunlich effizient darüber auf. Etwa zwanzig Minuten haben Bellprat Associates dafür vorgesehen, man kann – und sollte – sich aber mehr Zeit nehmen.
Fast am Ende des Rundganges findet sich eine besonders gelungene Synthese von Architektur und Inszenierung. Das von der Feuerwehr beanstandete zweite Treppenhaus musste ersetzt werden. Aus diesem funktional notwendigen Element haben die Architekten eine ausnehmend interessante Raumschöpfung gemacht, in der Treppen und Fluchtkorridore auf der verwinkelten Geometrie der Grundfläche zu einem faszinierenden dreidimensionalen Gefüge geworden sind (Abb. 13). Die Ausstellungsmacher haben einen Teil davon in dunkelgrauer Eisenglimmerfarbe gestrichen, weil hier die Rolle der Eisenbahn für den Rheinfall gezeigt wird. Dieser Anstrich betont die räumlichen Qualitäten, und aus der banalen Notwendigkeit einer Fluchttreppe wird einer der architektonisch interessantesten Räume des Historamas.
Aus dem letzen Raum des Rundganges fällt endlich der Blick fast unbehindert auf das tosende Schauspiel dort draussen. Es ist der frühere Weg, der in Windungen und unterbrochen von Kanzeln und Aussichtspunkten wieder genutzt wird. Erneuert, ergänzt und wo notwendig aufgefrischt führt er durch das steile Gelände. Bellprat Associates und Schmid Landschaftsarchitekten haben mit feinen Eingriffen den Weg selbst und seine Bezüge zum Wasserfall überhöht und damit aufgewertet. André Schmid betonte von bestimmten Stellen des Wegnetzes aus den Ausblick in die Landschaft, andere deckte er mit Gehölzen ab.
So lenkt er den Blick an Wegbiegungen gezielt in die Weite, auf das Becken oberhalb des Falles, auf das Schloss Wörth am gegenüberliegenden Ufer und endlich auf den Fall und seine malerischen Felsen selbst. Andere Partien werden mit jungen Bäumen dicht bepflanzt, und man schreitet durch waldähnliche Partien, bevor sich ein neuer Blick eröffnet. Das ist gestalterisch geschickt und – wenn man bedenkt, wie viele Vorgaben von Naturschutz, Heimatschutz und touristischem Verwertungsinteresse gleichzeitig zu beachten waren – Respekt erheischend (vgl. Kasten S. 22).
Die Stimmen des Rheinfalls
Unversehens trifft man an einer Stelle auf eine Reihe von neun schlanken Rohren, die über das Geländer heraufragen. Die Rohre sind unterschiedlich lang; wer an ihnen lauscht, hört den Rheinfall eine Tonleiter singen. Das ist eine entzückende Idee, zurückhaltend realisiert und auf einer historischen Tatsache beruhend. Denn als es in Europa noch sehr viel ruhiger war als heute, war der Rheinfall auch ein akustisches Phänomen. Man reiste dahin, um dieses ungeheuerliche Tosen zu hören! Und wirklich: Nach der Einstimmung an den Klangröhren ist das Ohr geschärft für den Gesang des Wassers. Man lauscht im Dröhnen den verschiedenen Frequenzen und Melodien, und aus dem Lärm ist Musik geworden. So ist die eigentliche Begegnung mit dem Wasserfall historisch und sinnlich vorbereitet, wenn man zuunterst auf der Kanzel steht, vor sich diesen Berg aus Wasserschaum.
Der Rückweg vom Wasserfall kann über einen neuen Steg angetreten werden, der einen zum Lift und zurück zum Schlosshof führt (Abb. 14 sowie Bilder S. 25–27). Gebaut wurden Steg und Lift allerdings nicht nur zur Entlastung des alten Weges, vielmehr sollte der Zugang zum Wasserfall auch Gehbehinderten, Rollstuhlfahrern und Familien mit Kinderwagen vom Schloss aus möglich sein. Ihnen steht deshalb im Schlosshof der Zugang zum Lift offen, der sie auf den nur flach geneigten Steg führt. Die SBB-Station kann allerdings weiterhin nur über Stufen erreicht werden. Dass der Lift einen nicht unerheblichen Eingriff ins Landschaftsbild bedeutet, hat zu einiger Opposition geführt. Deshalb wurde er an einer möglichst unauffälligen Stelle positioniert und mit schnell wachsenden Weiden umpflanzt. Die Fahrt in einer der voll verglasten Kabinen erlaubt noch einmal einen bewegten und bewegenden Blick zurück auf den grössten Wasserfall Europas. Augen, Ohren und vielleicht sogar das Herz voller Eindrücke, kehrt man in den Schlosshof zurück und lenkt die Schritte zurück zu Spielplatz und Besucherzentrum, wo diese Promenade architecturale endet.TEC21, Fr., 2010.05.14
14. Mai 2010 Hansjörg Gadient
Felsenfest verankert
Dank einem Lift und einem neuen Steg ist das Naturschauspiel des Rheinfalls einfacher zu erreichen. Die Bauingenieure von Ernst Basler Partner fügten die Tragkonstruktionen geschickt in die anspruchsvolle Kulisse ein. Doch weil diese bröckelt, mussten sie in Zusammenarbeit mit dem Geologen der Dr. Heinrich Jäckli AG zuerst den Fels stabilisieren.
Die grössten Eingriffe am Felsen unter dem Schloss Laufen waren der Neubau des Belvederestegs und des Liftturms (vgl. S. 18 ff.). Der gestalterische Entwurf und das Tragwerkskonzept mussten sich stark mit den geologischen und topografischen Gegebenheiten auseinandersetzen. Besonders deutlich wurde dies beim Grundriss und den Fundationen des Steges sowie bei der Platzierung des Turmes.
EIn Standort für den Liftturm
Als Standort für den Turm wurde eine Stelle direkt unterhalb eines Durchlasses in der denkmalgeschützten Schlossmauer gewählt, der bislang zu einem kleinen Aussichtsbalkon führte. Hier fällt der Fels am steilsten ab, sodass der Turm nahe an die natürliche Felswand gebaut werden konnte, sich so besser in die Gesamterscheinung des Berges einfügt und die Verbindungsplattform zwischen Schlosshof und Turm relativ kurz werden konnte. Ein weiterer Vorteil war, dass am Fuss dieser steilen Felswand die Felsobergrenze deutlich flacher wird und nur wenige Meter unter der Terrainoberfläche verläuft. So reduzieren sich die Probleme, die der hier vorhandene Rutschhang verursacht, auf die untere Plattform.
Der Turm ist als eingespannter Kragarm konzipiert. Der Schaft, der die beiden Liftkabinen trägt, ist als schiefwinkliges Trapez ausgebildet, was die vorteilhafte Ausrichtung der Kabinen ermöglicht und statisch einen idealen Querschnitt für den Abtrag der horizontalen Lasten (Wind, Erdbeben) und der asymmetrischen Belastungen aus den beiden Kabinen darstellt. Die Einspannung des Turmes wird über die parallel zum Hang angeordneten Wände der Liftunterfahrten erreicht. Über diese trägerartigen Wandscheiben wird das Einspannmoment in ein Kräftepaar aufgeteilt, das über Mikropfähle in den unverwitterten Fels eingeleitet wird. Die untere Plattform schliesst an der Liftunterfahrt an. Deren talseitig abschliessende Wand wird ebenfalls auf Mikropfählen im Fels gelagert, damit die im Rutschhang entstehenden Bewegungen nicht zu Schäden führen können (Abb. 1). Die obere Plattform, die die Verbindung zum Schlosshof bildet, ist als tragender U-Querschnitt ausgebildet und am Turm eingespannt. An der Schlossmauer ist sie auf einem natürlichen Felsvorsprung horizontal verschieblich aufgelagert, der mit ungespannten Ankern gesichert wurde.
Die Stahlkonstruktion des Steges
Der sensiblen Umgebung und nicht zuletzt der schwierigen Randbedingungen für die Montage des Steges wegen wurde hier eine Stahlkonstruktion gewählt. Das Tragwerk ist grundsätzlich als sechsfeldriger Durchlaufträger konzipiert, der an beiden Enden schwimmend gelagert ist. Stabilisiert wird der Steg durch die Einspannungen an den Stützenköpfen und die geometrische Steifigkeit, die aus dem geknickten Grundriss resultiert. Der Stegquerschnitt besteht in der Regel aus zwei an den Rändern angeordneten Hohlkastenträgern, die durch «radial» angeordnete Träger in den Knicken miteinander verbunden werden. Zum Turm hin ergeben sich zwei relativ grosse Spannweiten, die in der Schwingungsanalyse Frequenzen zeigten, die durch Fussgänger angeregt werden könnten. Hier ist jeweils ein zusätzlicher Träger in der Mitte des Steges angeordnet, der die Steifigkeit der Brücke so beeinflusst, dass nun die Frequenzen ausserhalb des kritischen Bereiches liegen.
Die unterschiedlichen Breiten des Steges sowie die Knicke führen zu Torsionsbeanspruchungen im Stegquerschnitt. Um diese zu minimieren, wurden die Stützen – wo möglich – direkt in den Knicken positioniert. Die aus statischer Sicht zu bevorzugenden vertikalen Stützen können aufgrund des durch tektonische Störzonen und Verwitterungsprozesse stark aufgelockerten Felsverbandes nur an zwei Stellen ausgebildet werden. An den anderen drei Auflagerpunkten werden konsolartige Auflager ausgebildet (Abb. 3). Alle Fundamente sind mit vorgespannten Ankern und zum Teil zusätzlichen Nägeln in den Fels verankert. Diese Anker sichern gleichzeitig den Fels, indem sie durch Störzonen abgetrennte Bereiche mit dem gesunden Fels verbinden. Zum Rheinfall hin endet der Steg an einem weiteren Stützbauwerk, das zwischen bestehenden Wegen in den Hang einschneidet. Es wurde auf dem gut tragfähigen Fels fundiert. Aufgrund der steil abfallenden Felsoberfläche waren dazu talseits bis zu 2.5 m tiefe Betonriegel erforderlich.
Stabilität für die touristische Inszenierung prüfen
Der am Südrand des Rheinfalls exponiert emporragende Felskopf des Belvedere (Oberes Känzeli) wird durch mehrere Störungszonen in einzelne Felspakete durchtrennt. Im Winter 1963/64 ereignete sich an der Felswand unterhalb des Belvederes ein Felsabbruch. In der Folge wurde der Felskopf mit 7 rund 20 m langen Felsankern gesichert. Seit etwa 1986 wird der Felskopf des Belvederes durch periodische Kluftsiegel-Kontrollen und geodätische Messungen überwacht. Dabei wurden bisher keine Anzeichen auf Bewegungen festgestellt. Die zu erwartenden Versagensmechanismen können jedoch sehr spröde erfolgen und müssen sich daher nicht zwingend in Form von Verschiebungen ankündigen. Eine reine Beobachtungsmassnahme bringt deshalb nicht die gewünschte Sicherheit.
Im Rahmen der touristischen Inszenierung wurden die Stabilitätsverhältnisse neu überprüft. Dafür wurde am hängenden Seil eine Felskontrolle und Trennflächenanalyse durchgeführt.
Diese zeigte, dass auch ausserhalb des durch die bestehenden Anker gesicherten Bereiches absturzgefährdete Felspartien vorhanden sind. Da zudem die Anker von 1963/64 nicht mehr den heutigen Anforderungen an permanente Anker genügen, bestand unabhängig vom Erschliessungsprojekt ein zwingender Handlungsbedarf. In einer ersten Phase wurden die möglichen Gefährdungsbilder mit geologischen Modellen ermittelt. Das Modell wurde anhand eines 3-D-Geländemodell entwickelt, die Kluftflächen wurden eingezeichnet, miteinander verschnitten und die gesuchten Bruchkörper so gefunden. Diese Modelle sind naturgemäss keine exakten Abbildungen der Wirklichkeit, die Unsicherheiten der Modellbildungen wurden mittels Sensitivitätsanalyse minimiert. Die Bruchkörperanalyse ist die Grundlage für die statischen Berechnungen, in denen an den einzelnen Bruchkörpern die Gleit- und Kippnachweise geführt und damit die massgebenden Ankerkräfte ermittelt wurden. Aus der Bruchkörperanalyse wurden die nötigen Massnahmen zur Sicherung der Aussichtsplattform abgeleitet. Das gewählte Sicherungskonzept resultiert schliesslich aus mehreren Varianten, die in einem interdisziplinären Projektteam diskutiert wurden.
Kostümierung der Ankerköpfe
Der Rheinfall ist im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) aufgeführt. Daher wurde das Projekt eng von der Eidgenössischen Naturund Heimatschutzkommission (ENHK) begleitet und auf Übereinstimmung mit dem Umweltschutzrecht geprüft und bewilligt. Die Sanierungsmassnahmen beinhalten 31 vorgespannte Anker, die bis zu 20 m in den Fels gebohrt wurden, sowie 53 ungespannte Anker, lokale armierte Spritzbetonplomben und ein Steinschlagnetz. Da der hydrostatische Druck in wasserführenden Klüften eine für die Stabilität massgebende Grösse darstellt, wurden zur Verminderung respektive zur Limitierung des maximalen Wasserdruckes im unteren Bereich der Felswand Drainagebohrungen angeordnet. Damit der Eingriff in die Natur so unsichtbar wie möglich ausfällt, wurden die Ankerköpfe dem anstehenden Fels so gut wie möglich angepasst. Ihre Oberflächen wurden gar durch einen Steinmetz bearbeitet und der Beton mit Pigmenten versehen, damit er farblich dem Fels ähnelt.TEC21, Fr., 2010.05.14
14. Mai 2010 Thomas Eisenlohr, Andrea Wittel, Patric Fischli-Boson