Editorial

«Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt,
 ist es besser, viel besser, als man glaubt. 
[...] Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau,
 du liebst dich ohne Schminke, bist’ne ehrliche Haut,
 [...].
 Du hast ’n Pulsschlag aus Stahl.
 [...]
 Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt,
 du Blume im Revier. Bochum, ich komm’ aus dir,
 Bochum, ich häng’ an dir. Glück auf!
 Bochum.» Herbert Grönemeyers Titelsong des 1984 erschienen Albums «4630 Bochum» avancierte zur inoffiziellen Hymne der Stadt, obwohl das Lied eher ein Schwanengesang auf eine bis ins 13. Jahrhundert zurückreichende Geschichte war. Seit damals wurde im heutigen Ruhrgebiet Steinkohle abgebaut. Der industrielle Bergbau setzte nach 1800 ein, innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden knapp 300 Zechen, das Gebiet wuchs zum grössten industriellen Ballungszentrum Europas an. Die Kohlekrise 1957 führte zu einem anhaltenden Strukturwandel: 2009 gab es im Ruhrgebiet nur noch vier fördernde Bergwerke. Von 1989 bis 1999 begleitete die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) den Wandel im nördlichen Ruhrgebiet; stillgelegte Berg- und Stahlwerke wurden als Industriedenkmäler erhalten. Ein Denkmal hatte sich Bochum indes bereits 1935 gesetzt – mit dem nach Entwürfen von Fritz Schupp und Heinrich Holzapfel errichteten Museum. Die aktuelle Erweiterung durch Benthem Crouwel Architekten trägt der Bedeutung des Hauses auch als renommiertem Forschungsinstitut für Montangeschichte Rechnung («Schwarzer Diamant», S. 24ff.).

Nicht der Bergbau im klassischen Sinn, sondern das Bauen in den Bergen ist ein Thema in den alpinen Regionen Mitteleuropas. Die ersten Unterkünfte, einfache Biwakplätze unter überhängenden Felsen, dienten Hirten als Unterschlupf, Anfang des 19. Jahrhunderts kamen die Basislager der ersten Gletscherforscher hinzu. Das zunehmende Interesse am Alpenraum führte 1863 zur Gründung des Schweizer Alpen-Club und in der Folge zu einer erhöhten Bautätigkeit von Schutzhütten: Die im gleichen Jahr erbaute Grünhornhütte am Tödi war der erste einer Reihe von Bauten, die diesem neuen Bedarf entsprachen. Bei der Wahl des Standorts hatte die Schutzfunktion Priorität: Oft entstanden die Bauten in unmittelbarer Nähe zum Fels, der auch die Funktion einer Aussenwand übernahm. In den letzten Jahren entwickelten sich die kargen Biwaks von einst zunehmend zu Gästehäusern für die Masse – während die Kräfte der Natur unvermindert stark sind. So wurde die 1995 erbaute Anenhütte im Lötschental 2007 von einer Lawine zerstört. Der Wiederaufbau ist formal vom Widerstand gegen die Naturgewalten geprägt und hatte immense technische Herausforderungen zu überwinden. Im Inneren dagegen herrscht fast urbaner Komfort («Würfelquarz», S. 28ff.).
Tina Cieslik, Rahel Hartmann Schweizer

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Flughafen Zürich – The Circle

12 PERSÖNLICH
Pascal Waldner: «Die Fliegerei begeistert mich»

16 MAGAZIN
Industriedenkmal in der Lausitz | Ruhr 2010 | Holz in Hochform | Bücher

24 SCHWARZER DIAMANT
Klaus Englert
Das Ruhrgebiet ist Kulturhauptstadt Europas 2010. Rechtzeitig dazu wurde die Erweiterung des Deutschen Bergbau-Museums eröffnet. Der Bau ist von Gängen und Stollen durchzogen und wirkt wie ein grosses Schnittmodell des Bergbaus.

28 WÜRFELQUARZ
Tina Cieslik
Im März 2007 wurde die Anenhütte im Lötschental von einer Lawine zerstört. Der Wiederaufbau fand unter strengen Auflagen und grossen technischen Schwierigkeiten statt.

37 SIA
Wichtige Änderungen in der VöB | Marketing planerischer Leistungen | 43. ZNO-Sitzung | Veranstaltungen und Sommerschule

42 PRODUKTE

43 FIRMEN

53 IMPRESSUM

54 VERANSTALTUNGEN

Schwarzer Diamant

Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum mit einem Anbau zu erweitern, war eine delikate Aufgabe. Die Dominanz des 1935 von Fritz Schupp errichteten Altbaus schien kaum eine Intervention zu ertragen. Gelöst haben die Amsterdamer Benthem Crouwel Architekten die Situation mit einem – je nach Lesart – an Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat oder in Anlehnung an die Zeit der Kohlenförderung an einen «schwarzen Diamanten» erinnernden Baukörper.

Als im Spätsommer 2009 das Emil Schumacher Museum am neuen Hagener Kunstquartier eröffnet wurde, galt das als Startschuss für den Neubau etlicher Museen im Rahmen von «Ruhr 2010». Der zweite Streich erfolgte bereits im Dezember, als das Deutsche Bergbau-Museum (DBM) in Bochum einen kontrastreichen Annex von Benthem Crouwel Architekten erhielt. Der Altbau des DBM ist ein Baudenkmal des Ruhrgebiets- und Zechenarchitekten Fritz Schupp, der mit seinem Partner Martin Kemmer die legendäre Zeche Zollverein in Essen errichtet hatte. Schupp hatte das 1935 vollendete Bergbau-Museum mit den zeittypischen Würdeformeln versehen – mit grosszügigem Ehrenhof und mächtigem, säulengestütztem Portikus. Auch Materialwahl und Grundrissgestaltung zeugen von einem recht traditionellen Baukörper, handelt es sich doch um ein monumentales, rechtwinklig angeordnetes Ensemble, dessen zwei quadratische Innenhöfe von einem Mitteltrakt getrennt werden, den ein 60 m hoher Förderturm überragt. Das weltweit grösste Bergbaumuseum mit gigantischen Ausmassen von 7000 m² Ausstellungsfläche hat aber noch weit mehr zu bieten. Zu dem Museumscarrée kommt noch ein Anschauungsbergwerk von 2.5 km Länge hinzu.

«Abstrakter Kubus», «konkrete» Gänge, Stollen und Rampen

Für das Team von Benthem Crouwel (Amsterdam / Aachen), das derzeit auch den Anbau des Amsterdamer Stedelijk-Museums fertigstellt, war das majestätische Bergbaumuseum aus der Ära des Industriezeitalters, wie es von Krupp und Haniel geprägt wurde, eine Herausforderung. Als sich die Architekten 2006 an dem Wettbewerb beteiligten, wurde ihnen schnell klar, dass der Altbau nach einem expliziten Gegengewicht verlangt, was sie mit deutlichen Anleihen am Expressionismus und an der Bauhaus-Moderne zu bewerkstelligen suchten. Entstanden ist ein Anbau, der die einen an Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat denken lässt. Andere, insbesondere einheimische Ruhrpottler, erinnern sich vielleicht an die Zeit der Kohlenförderung und assoziieren dabei einen «schwarzen Diamanten». Tatsächlich hat sich mittlerweile in Bochum die Redewendung vom «schwarzen Diamanten» eingebürgert. Benthem Crouwel entschieden sich für einen schwarzen Kubus, der lediglich im ersten Augenblick hermetisch wirkt. Während Farbe und Gestalt das Fördermaterial Kohle evozieren, von dem die gesamte Region seit dem frühen 19. Jahrhundert lebte, taucht gleichzeitig der Querschnitt des Bergwerks mit seinen Gängen, Stollen und Rampen vor dem geistigen Auge auf. Daran gemahnen die beiden «Bandbrücken», die den Freiraum zwischen Alt- und Neubau überspannen und sich dabei dramatisch überkreuzen. Die Architekten sparten gleichwohl nicht mit heiteren Farben, und so behandelten sie sämtliche neuen Erschliessungswege – die beiden Rampen, auf denen man zu den Wechselausstellungen im Anbau gelangt, und das neue Stiegenhaus – mit poppigem Melonengelb, bestehend aus einer Polyurethanbeschichtung des Betons.Benthem Crouwel bevorzugen kräftige Farben: Zu dem Schwarz, das auf die fugenlose raue Putzoberfläche des Museumskubus aufgetragen und mit glitzernden Siliciumcarbid- Splittern vermengt wurde, tritt also das grelle Melonengelb, das sich bestens zum expressionistischen Aspekt des Anbaus gesellt, nämlich den Zickzacklinien des Fensterbandes, die vom Erdgeschoss bis hinauf in die zweite Etage verlaufen. Die schwarze Putzfassade, die vor den tragenden Stahlbetonwänden abgehängt ist, kontrastiert auch mit der Glasfassade des Foyers. Abends, wenn die Beleuchtung angeschaltet ist, kommunizieren die Zickzacklinien mit den schmalen Fensterschlitzen der Verbindungsrampen und sorgen für anregende Farbeffekte. Bei Tageslicht entdecken die Museumsbesucher, dass sich die gezackten Fensterbänder auf dem Dach fortsetzen und den Blick auf den Förderturm freigeben.

«Steife» Box, stützenfreie Räume

Konstruktionstechnisch haben sich Benthem Crouwel von der Idee der «steifen Box» leiten lassen, wobei die Aussen- und die Kernwände die vertikal aussteifenden Tragelemente bilden. Aus der Konstruktion resultiert auch die technische Gebäudeausrüstung – Betonkerntemperierung, die es erlaubt, Wände oder Decken zu heizen oder zu kühlen. Die gewählte Struktur bietet bei Ausstellungen grosse Vorzüge: Weil die Deckenscheiben die horizontale Kopplung der Wände gewährleisten, war es möglich, grosse, stützenfrei überspannte Räume zu gestalten, die bestens für die geplanten Wechselausstellungen im Neubau geeignet sind. Dabei setzten die Architekten darauf, dass die für Sonderausstellungen vorgesehenen Bereiche auf der ersten und der zweiten Ebene möglichst flexibel zu bespielen sind. Beispielsweise möchte man im 6 m hohen ersten Geschoss eine Raumhälfte für Vorträge abtrennen, ohne dabei den Ausstellungsbetrieb zu beeinträchtigen.

Wandelt man das melonengelbe Stiegenhaus hinauf zum obersten, etwas niedrigeren Stockwerk, überrascht nicht nur die freie Sicht auf das Fördergerüst. Ein frei gelassener Deckenausschnitt erlaubt auch den ungehinderten Blick auf die untere Ausstellungsetage, wo Videos über die Bergbauregion zu sehen sind. Wegen dieser spannenden Blickbezüge ist die Raumgestaltung des zweiten Obergeschosses am überzeugendsten gelungen.

Bergbauatmosphäre atmen

Für die Kuratoren stellt sich die Frage, wie man am besten Ausstellungen zwischen den rauen Sichtbetonwänden konzipiert. Offenbar ist die widerständige Materialität der Betonwände bestens geeignet, um die Industriearchäologie des Ruhrgebiets zu zeigen. So sieht man hier nicht nur ein blank geputztes Goggomobil, ein niedliches Wirtschaftswunder auf vier Rädern, sondern auch ein monströses Schaltwerk aus dem Steinkohlenabbau im rheinischen Hückelhoven. Heutzutage bedarf es allerdings einer modernen Projektionsleinwand, um verfolgen zu können, wie das Schaltwerk funktioniert – wie es Kohlenförderung, Pumpen und Belüftung regelt. Die Atmosphäre von Bergbau und Industrialisierung, die für die jüngere Ruhrgebietsgeneration keineswegs mehr eine alltägliche Erfahrung bildet, ist hier sinnlich wahrnehmbar. Im Erdgeschoss, wo der reguläre Parcours endet, befindet sich ein kleinerer Raum für die Dauerausstellung – die St. Barbara-Sammlung des Esseners Rolfroderich Nemitz, der zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute Kunstwerke zusammentrug, die besonders die Freunde des Bergbaus interessieren dürften.

Museumsdirektor Rainer Slotta ist sichtlich stolz über den gelungenen Neubau, der weit über den vorgelagerten Europaplatz hinweg sichtbar ist. Kürzlich weihte man die neuen Räume mit einer Ausstellung über den Steinkohlenbergbau nach 1945 ein, es folgen Präsentationen über den Kupferbergbau der Anden und die Alabastersteinbrüche der Königin von Saba. Slottas letzte Errungenschaft: Auch das «Visitors Center» im Altbau, das über die Aktivitäten von «Ruhr 2010» informiert, ist jetzt fertig gestellt worden.

TEC21, Fr., 2010.03.19

19. März 2010 Klaus Englert



verknüpfte Bauwerke
Deutsches Bergbau-Museum

Würfelquarz

Im März 2007 wurde die 1995 erbaute Anenhütte am Ende des Lötschentals von einer Lawine nahezu vollständig zerstört. Anstelle eines Wiederaufbaus visierte der Eigentümer einen Neubau an. Unter strengen Auflagen: Zum einen musste die Lawinensicherheit des Neubaus garantiert, zum anderen durfte das sensible Umfeld nicht tangiert werden – der Standort der Hütte liegt im Unesco-Weltnaturerbe und ist Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung.

Die alte Anenhütte (2358 m ü. M.) befand sich in einem Gebiet, das beim Bau 1995 als lawinensicher bzw. als schwach lawinengefährdet eingestuft wurde. Daher wurden auch keine konstruktiven Massnahmen gegen eine Lawineneinwirkung unternommen. Nördlich der Hütte befindet sich ein etwa 10–15 m hoher Felsrücken, der in der Regel den vom Jegichnubel (3124 m ü. M.) kommenden Schnee abhält.

Rekonstruktion des Ereignisses und Prognose

Als die Anenhütte am 3. März 2007 von einer Lawine überrollt wurde, gab es keine Augenzeugen. Um das Ereignis zu verstehen und eine Wiederholung zu verhindern, simulierte das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos über 150 Varianten des Ereignisses. Dazu analysierte man neben den damaligen Wetter- und Schneebedingungen auch die Bruchbilder der Stahlbetonbauteile. Das Ergebnis: Nachdem in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2007 etwa 1 m Neuschnee gefallen war, wurde die Hütte von einer Staublawine aus dem Geländekessel südlich des Jegichnubel getroffen, die den natürlichen Schutzgraben spiralförmig übersprungen hatte. Dabei wurde vermutlich zunächst das nicht gegen Lawinendrücke gesicherte Dach abgehoben. Eine haushohe Ecke an der nordöstlichen Fassade, die der Lawine eine optimale Angriffsfläche bot, verstärkte die Wirkung zusätzlich. Die Simulationen ergaben aber, dass der Standort im Schutz einer Felsrippe als sicher vor Kleinereignissen mit einer Wiederkehrdauer von 30 Jahren einzustufen ist.1 Die Hütte befindet sich etwa 200 m westlich der Lawinenhauptstossrichtung, zudem werden abfliessende Lawinen durch die Geländeform mit Moränen, Vertiefungen und Verflachungen nicht kanalisiert, sondern gebremst. Der nördlich der Hütte liegende Graben kann Lawinen aufnehmen, abbremsen oder umlenken. Allerdings besteht eine Lawinengefahr für Ereignisse mit einer Wiederkehrdauer von 300 Jahren. Für diese Ereignisse sind Lawinendruckwerte von 10–25 kN/m2 (je nach Bahn) zu erwarten. Damit liegt der Standort in einer blauen Lawinenzone, was einer seltenen und mässigen Gefährdung entspricht.

Standortbestimmung

Für den Besitzer der Hütte, der Ingenieur und Bergführer ist, stand früh fest, dass die Hütte wieder aufgebaut werden sollte – ein intuitiver Entscheid. Da alternative Standorte im Gebiet deutlich schlechter geeignet waren, konnte durch die Klassifizierung als blaue Lawinenzone ein Neubau der Hütte am gleichen Ort ins Auge gefasst werden. Zunächst ging es aber ans Aufräumen: Die Trümmer der Hütte lagen in einem Umkreis von bis zu 2 km im Tal und auf dem Langgletscher verstreut. Drei Monate lang wurde der Bauschutt nach Materialien getrennt, zerlegt, in helikoptertaugliche Pakete bis maximal 750 kg gepackt und ins Tal abtransportiert. Die zerstörte Hütte wurde bis auf die Grundmauern zurückgebaut. Um den Raumbedürfnissen der neuen Hütte gerecht zu werden, musste zusätzlich Fels gesprengt werden. Parallel zu den Aufräumarbeiten lobte die Bauherrschaft einen Studienauftrag unter fünf Architekturbüros aus. Neben dem architektonischen Ausdruck waren Sicherheitsaspekte ausschlaggebend: Die äussere Form hatte sich primär den Erfordernissen einer optimalen Druckverteilung bei einer Lawine unterzuordnen. Das gewählte Projekt ist kubisch angelegt. Mit der fensterlosen Nordfassade ist die kleinste Wand senkrecht zur Lawinenstossrichtung angeordnet und bietet wenig Angriffsfläche. Der Standort der neuen Hütte ist gegen Norden verschoben, dadurch würde ein Aufprall durch die Platzierung des Baus an einer Felsrippe gemildert (Abb. 12). Die Ostwand ist leicht geneigt, auch dies soll eine aufprallende Lawine ablenken. Der Eingang zur Hütte befindet sich an der lawinenabgewandten Westseite. Es gibt keinerlei Auskragungen oder Dachaufbauten, die Fenster stehen bündig mit der Aussenwand. Letztere waren so zu konstruieren, dass sie an der lawinengefährdeten Ostfassade den Druckkräften einer möglichen Lawine standhalten können, an Süd- und Westfassade den Sogkräften. Dafür wurden Druckkräfte von 20 kN/m2 angenommen. Neben der Verglasung war auch die Rahmenkonstruktion entsprechend auszuführen: Eine reguläre Fensterverglasung mit Glasleisten ist dafür nicht geeignet. Stattdessen wurde eine abgestimmte Rahmenkonstruktion mit 7 cm dickem Panzerglas (an der aufprallgefährdeten Ostfassade) gewählt. Aufgrund der Grösse und des Gewichts der Fenster mussten sie beim Bau von aussen eingesetzt werden. Neben den konstruktiven Auflagen wurde ein Wiederaufbau auch an ein Nutzungsverbot im Hochwinter geknüpft, es gibt auch keinen Winterraum.

Bauen im Weltnaturerbe

Eine besondere Situation ergab sich beim Bau zusätzlich durch die Umzonierung des Gebiets zum Unesco-Weltnaturerbe. Die Region Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn (heute: Jungfrau-Aletsch)2 wurde 2001 zum Weltnaturerbe erklärt. 2007 wurde das Gebiet um über 50 % erweitert und umfasst heute ein 824 km2 grosses Gebiet. Zum erweiterten Perimeter gehört auch das Lötschental mit dem Gebiet um den Anusee und die Anenhütte. Darüber hinaus liegt die Hütte auch im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). Der neue Status zeigte sich beim Neubau der Hütte weniger in Auflagen an Konstruktion und Nutzung, sondern primär in der Durchführung der einzelnen Bauprozesse. Die Unversehrtheit bzw. die korrekte Wiederherstellung der umgebenden Natur musste während der Bauarbeiten durch mehrere Gutachten dokumentiert werden. Im September 2007 wurde eine provisorische Baubewilligung erteilt, und die Wiederaufbauarbeiten konnten beginnen. Für deren Ausführung ebenso wie für das Engineering zeichnete die Bauherrschaft verantwortlich. Die Materialtransporte erfolgten fast ausschliesslich viaHelikopter, lediglich der Spreizbagger war zu schwer und wurde zur Baustelle gefahren – eine Reise von 13 Stunden für eine Strecke von knapp 5 km und 600 Höhenmetern.

Die Tragkonstruktion wurde aus 685 m³ Stahlbeton erstellt, pro Kubikmeter Beton waren vier Rotationen (1 Rotation = Hin- und Rückflug) mit dem Helikopter notwendig. Gewählt wurde ein wasserdichter Beton der Festigkeitsklasse 30/37 und der Expositionsklasse XC4 mit einer hohen Endfestigkeit. Eine der Herausforderungen bestand darin, den Beton über die lange Transportzeit – 1.5 h vom Betonwerk bis zum Helikopterlandeplatz, dann Umfüllen für den Helikopterflug zur Baustelle – verarbeitbar zu erhalten. Zusätzlich erschwert wurde dies durch die tiefen Temperaturen von bis zu –27 º C. Der Beton wurde daher im Betonwerk mit 50 º C heissem Wasser hergestellt, beim Transport hatte er eine Temperatur von etwa 25 º C, die beim Umladen in die Kübel für den Helikopter nochmals um etwa 3–5 º C absank. Um ein Gefrieren des Betons zu verhindern, wurden die Behälter mehrfach gereinigt und mit einem Schalungsöl behandelt. Nach dem Einbau in die Schalung wurden die Flächen sofort mit Heizmatten bekleidet, darüber hinaus wurde dem Beton auch ein Frostschutzmittel beigesetzt. Lange war für die Hütte eine Kompaktfassade aus aufgeklebten Schieferplatten auf einer Foamglasisolation projektiert. Die gewünschte, nahezu fugenlose Verarbeitung liess sich jedoch nicht realisieren, zu hoch waren die Belastungen durch Wind und Witterung auf über 2000 m – die Systemlieferanten konnten keine Garantien übernehmen. Eine hinterlüftete Steinfassade genügte den Ansprüchen an die Lawinensicherheit nicht, insbesondere wegen auftretender Sogkräfte. Zum Einsatz kam schliesslich eine Kompaktfassade mit mehrschichtig verputzter Aussendämmung (Abb. 11). Die oberste Schicht enthält gemahlenes Aluminium, das mit dem Licht der Tageszeiten spielt und die Massivität des Volumens optisch unterstützt. Die beliebig wirkende Platzierung der Fenster in der Fassade entwickelte sich aus den Innenräumen, die genaue Anordnung und die Dimension der Öffnungen wurden situativ auf der Baustelle festgelegt. Dafür wurde die Blickachse der Besucher simuliert, die Öffnungen wurden am Ort mit der schönsten Aussicht fixiert und die entsprechenden Aussparungen in der Schalung vor Ort angepasst.

Reduktion im Inneren

Die noch erhaltenen Kellermauern wurden in den Neubau integriert und zu einem Sockelgeschoss erweitert, das Technik- und Lagerräume, Hüttenwartin- und Helferinnenzimmer, Sanitärräume und einen Wellnessbereich umfasst. Auch die Haupterschliessung erfolgt durch den Sockel in der Westfassade. Von hier gelangt man über eine zentrale Treppe ins 1. Obergeschoss mit Küche, Essraum und Zugang zur Aussenterrasse auf der Südseite. Um die Brandsicherheit zu gewährleisten, wurde das Treppenhaus als separater Brandabschnitt ausgeführt. Hier musste die Feuerresistenz der Stahltreppe und der Wandpaneele über Materialtests nachgewiesen werden, ebenso wie die Funktionstüchtigkeit der integrierten Brandschutztüren (Abb. 17).

Blickfang im Essraum sind die bis zu 6.40 m breiten Langfenster, die – klare Sicht vorausgesetzt – eine Aussicht bis zum Talanfang und auf die 4000er des Unterwallis gewähren. Im Inneren kommen nur wenige Materialien zum Einsatz: Fugenlos zusammengefügte Lärchenholzpaneele bilden eine homogene Oberfläche, der Boden ist mit Schieferplatten aus Norditalien belegt. Nichts stört die Uniformität der Fläche, auch die Leuchten sind als paneelbreite Streifen bündig in die Holzdecke integriert (Abb. 14). Letztere ist zu Akustikzwecken mit einer 1.5 mm-Lochung versehen. Die fugenlose Verarbeitung erforderte einen hohen Grad an Präzision in Produktion und Montage. Der Innenraum im Rohbau wurde per Laser vermessen, bevor die einzelnen Lamellen in Auftrag gegeben wurden. Vom 1. Obergeschoss führt die Treppe zu den beiden Schlafgeschossen. Gesamthaft sind hier 58 Schlafplätze angeordnet, acht davon für das Hüttenpersonal. Das Angebot reicht von Massenlagern mit 10 bis 12 Plätzen über Gruppen- und Familienzimmer mit Doppel- und Einzelbetten bis zu den beiden «Suiten» mit Doppelbett und eigenem Bad. Eine Besonderheit ist das einzige dekorative Element. Durch das ganze Haus sind die Holzoberflächen auf Augenhöhe durch integrierte, paneelbreite Bildleisten unterbrochen. Sie zeigen historische Aufnahmen aus dem Lötschental, die dank Mund-zu-Mund-Propaganda von Bewohnern des Tals zusammengetragen wurden. Mancher Wanderer hat hier schon seine Verwandten und Ahnen «besucht»: ein Bekenntnis der Hütte zum Tal und seinen Bewohnern und Bewohnerinnen.

Effiziente Versorgung, einfache Entsorgung

Zur Stromversorgung wurde nördlich der Hütte ein Wasserkraftwerk gebaut, bestehend aus Wasserfassung und Sandfang. Eine 850 m lange Druckleitung führt über eine Höhendifferenz von 165 m zum Turbinenhaus, wo eine zweistrahlige Peltonturbine mit Generator den Strom erzeugt. Die dafür notwendigen Rohre wurden im Tal zusammengeschweisst und in über 80 m langen Teilstücken von Helikoptern auf den Berg transportiert. Der durch Wasserkraft erzeugte Strom deckt den gesamten Energiebedarf der Hütte, wobei die Turbine immer nur so viel Strom erzeugt, wie gerade gebraucht wird (Abb.10 und Kasten). Werden allerdings mehrere Geräte mit hohem Verbrauch gleichzeitig eingeschaltet, kommt es zu einer Verzögerung von 2 Sekunden, bis sich die Turbine auf den neuen Bedarf eingestellt hat – ein Umstand, auf den nach der ersten vollständig betriebenen Saison 2009 reagiert wurde. Der Generator produziert jetzt mindestens konstant 50 kW; ein Wert, mit dem auch Leistungsspitzen abgefedert werden können. Das zu viel produzierte warme Wasser wird in zwei Speicher eingespeist. Dort steht es für Geräte wie Kaffee- oder Geschirrspülmaschine bereit und hilft, die dort nötige Energie zur Erwärmung zu reduzieren. Durch diesen Kunstgriff wird nicht nur das gesamte System stabiler, die einzelnen Geräte sind auch weniger schadenanfällig. Die Versorgung mit Brauch- und Trinkwasser erfolgt über die zahlreichen Quellen im Umkreis der Hütte – die Quelle für das Trinkwasser weist sogar Mineralwasserqualität auf. Eine mehrstufige Kläranlage unterhalb der Hütte reinigt das Abwasser und lässt es in der zerklüfteten Felszone unterhalb der Hütte versickern. Um das Funktionieren der abgestimmten Systeme auch im Winter, wenn die Hütte geschlossen ist, zu gewährleisten, wurden Sensoren angebracht, die es ermöglichen, Innentemperatur, Luftfeuchtigkeit und die Werte der Kraftwerkseinrichtungen extern zu überwachen und bei Bedarf regulierend einzugreifen.

Nachhaltigkeit und Kommerz

Neben der spektakulären Entstehungsgeschichte ist auch das Angebot der Anenhütte aussergewöhnlich. Durch den einfachen Zustieg wird die Hütte im Sommer primär von Tagestouristen und Wanderern besucht. Bergsteiger sind selten, sie nutzen die Hütte allenfalls als Zwischenstation zur Hollandia- oder zur Konkordiahütte. Von März bis Juni fahren zahlreiche Skitourenfahrer nach der Überschreitung der Lötschenlücke zur Fafleralp oder nach Blatten hinunter.

Die Hütte reagiert auf diese Situation mit einem an die Nutzer angepassten Angebot: Ein Wellnessbereich mit Sauna bietet Entspannung, es gibt Doppelzimmer mit Individualbadezimmern, alle Schlafplätze sind mit Duvets ausgestattet, im Keller lagert der Wein unter optimalen Bedingungen – fliessend (warmes) Wasser und Toiletten mit Wasserspülung sind da praktisch eine Selbstverständlichkeit. Der Eigentümer sieht sich denn auch oft der Kritik der Berggänger alter Schule ausgesetzt, die sich an der modernen Erscheinung und dem De-luxe-Angebot der Hütte stören. Eine Klage, die er mit dem Hinweis auf die Geschichte der Berghütten zurückweist: Schon immer bestand der Hüttenbau im state-of-the-art, der zeitgemässen Konstruktion und Verwendung von Materialien (vgl. TEC 21, 41/2009, Monte- Rosa-Hütte). Im aktuellen Wellness-Zeitalter gehört für ihn dazu eben auch eine Sauna.


Weiterführende Literatur zum Bauen in den Bergen:
– Roland Flückiger-Seiler: «150 Jahre Hüttenbau in den Alpen», in: Die Alpen, 7/2009 und 8/2009
– Jakob Eschenmoser: Vom Bergsteigen und Hüttenbauen. Orell Füssli, 1973
– Christoph Mayr Fingerle (Hrsg.): Neues Bauen in den Alpen. Birkhäuser, 2008
– Diego Giovanoli: Alpschermen und Maiensässe in Graubünden. Haupt Verlag, 2004

TEC21, Fr., 2010.03.19

19. März 2010 Tina Cieslik

4 | 3 | 2 | 1