Editorial
Ironie und Ernst
Die Ironie ist eine lustvolle und diffizile Angelegenheit, auch in der Gestaltung. «Schwieriger als ein Bildwitz», resümieren die Innenarchitekten Jérôme Gessaga und Christof Hindermann. Sie spielen in ihren Räumen mit ironischen Wendungen. Meret Ernst hat sie und ihre Orte besucht und daraus für die Titelgeschichte ein feinsinniges Porträtgespräch gestrickt.
Weniger humorvoll verliefen unsere Erkundigungen dazu, wie Basler Architektinnen und Architekten über das neue Hochhausprojekt für Roche von Herzog & de Meuron denken. Zu hören bekommt man alles bis hin zu schärfster Kritik, aber öffentlich dazu stehen will niemand. Wir fühlten uns ans Novemberheft von 2003 erinnert: Darin beschrieb Roderick Hönig die Basler Architekturszene treffend mit «Im Schatten der Grossen». Zwei Mutige fanden wir trotzdem: Lesen Sie die Meinungen von Meinrad Morger und Ingemar Vollenweider zum 175-Meter-Turm und seiner Wirkung auf Basel.
Kunst-und-Bau: Mit Leidenschaft und Geld erschaffen, dann nur noch verwaltet? Brita Polzer, Redaktorin des Kunstbulletins, fand solche Beispiele auf ihrem Streifzug durch Schulhäuser, Amtshäuser und über öffentliche Plätze in Zürich und Basel. Ihre «Collage von Meinungen» ist zwar nicht repräsentativ, die aufgeworfenen Fragen aber sind bedenklich: Sind sich Städte und Gemeinden im Klaren darüber, was sie mit öffentlicher Kunst erreichen wollen? Warum setzen sie ihre gut ausgestatteten Budgets nicht reflektierter und mutiger ein? Brita Polzers Beitrag wird zu reden geben. Zum Schluss eine Nachricht aus dem Hause: Benedikt Loderer wird im März pensioniert und verlässt die Redaktion. Gebührend gewürdigt wird er im Aprilheft und mit einer Ausstellung an der ETH. Auf der Hochparterre-Redaktion begrüssen wir herzlich Axel Simon, Architekt und vielfach bekannter Journalist und Kritiker, und freuen uns auf seine überraschenden und kritischen Beiträge.
Rahel Marti
Inhalt
06 Meinungen
07 Lautsprecher
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 Massarbeit
Titelgeschichte
18 Erst wenn der Raum stimmt, kommt das Augenzwinkern. Die Innenarchitekten Jérôme Gessaga und Christof Hindermann erzählen im Interview von Gestaltung und Ironie.
28 Wettbewerb: Gipsmodell statt Zonenplan. Zuerst das Projekt, dann wird eingezont. Meggen machts vor.
30 Kunst-und-bau: «Wir sind kein Museum, wir sind die Polizei.» Ein kritischer Streifzug zu öffentlicher Kunst in Zürich und Basel.
36 Architektur: Solitär mit grosser Wirkung. Nestlé erweitert gekonnt den Tschumi-Hauptsitz in Vevey.
40 Design: Vom Steilhang zur Trottoirkante. Designer Paolo Fancelli bringt dem neuen Aebi-Fahrzeug Kultur bei.
44 Architektur: Im Nachhaltigkeitsdschungel. Ein Interview über den Bau des ersten 2000-Watt-Gebäudes.
48 Architektur: Sohn, Vater und Haus. Eine Ausstellung über die Architektur Rudolf und Valerio Olgiatis.
50 Landschaft: Der neue Parksalat. Nationalpark, Naturpark, Naturerlebnispark: Natur oder Kommerz?
54 Leute
56 Siebensachen
58 Bücher
62 Fin de Chantier
68 Raumtraum
Solitär mit grosser Wirkung
Der Zylinder mit dem neuen Personalrestaurant für Nestlé zeigt, wie man eine Architekturikone erweitern kann.
Wie ein Reissverschluss reihen sich die Tabletts auf den Abräumbändern des Personalrestaurants am Nestlé-Hauptsitz in Vevey hintereinander ein. Vier Bänder fliessen zunächst paarweise zusammen, um sich schliesslich zu einem einzigen zu vereinigen und in der Abwäscherei zu verschwinden. Sensoren sorgen dafür, dass die Tabletts nicht kollidieren. Das Herz jedes Modelleisenbahners schlägt hier wohl höher. Fällt ein Band aus, laufen die verbleibenden etwas schneller, damit am Ende die Geschwindigkeit stimmt, wo flinke Hände das Geschirr im Gleichschritt des grünen Bandes in die Abwaschmaschine räumen. 1400 Mittagessen gibt das Restaurant täglich aus, da ist Effizienz auch im letzten Glied der Kette das oberste Gebot. Effizient organisiert ist auch die übrige Infrastruktur des Restaurants: Von der Anlieferung führt ein Korridor der Fassade entlang direkt zu den Lagern, den Küchen, den Liften und Treppen.
Architektur ist auch Logistik
Die Angestellten, die aus den Büros des Hauptsitzes und aus den übrigen Nestlé-Gebäuden in Vevey zur Mittagszeit in den «WellNes Centre» genannten Neubau strömen, kriegen davon nichts mit. Wer Gäste hat, nimmt im bedienten Restaurant «Le Léman » Platz, wo man gediegen tafeln kann. Die meisten jedoch schreiten die elegante Wendeltreppe empor ins Selbstbedienungsrestaurant «La Coupole». Die Treppe ist ein architektonisches Ereignis, zweifellos. Aber auch ein logistisches Element, denn sie bringt die hungrigen Nestlé-Leute mitten ins Herz des Restaurants: zum Selbstbedienungsbuffet — das gar nicht wie ein Selbstbedienungsbuffet aussieht. In einem hohen, mit einer umgestülpten Kuppel gedeckten und von einem Oblichtring belichteten Raum sind Menu- und Getränkeausgaben und Salatbuffets so grosszügig dimensioniert, dass der Ort als wirklicher «Free Flow» funktioniert.
Wer schliesslich mit beladenem Tablett die Kasse passiert, hat die Qual der Platzwahl: direkt am Fenster? Und wenn ja: mit Blick zum Park oder zum See? Oder lieber etwas erhöht mit guter Übersicht? Oder doch besser auf die Schnelle, an einem der hohen Tische? Schlechte Plätze gibt es keine; auf 270 Grad bietet die Glasfront Panoramasicht. Der Beton der kraftvollen Konstruktion, der Holzboden, die dunklen Holzeinbauten, die weisse Decke und weisse Möbel erzeugen eine lichte, angenehme Atmosphäre. Selbst an einem Januartag kommt Ferienstimmung auf, wenn die Sonne weit in den Raum hineinscheint. Die Logistiker waren besorgt, dass den Gästen der Raum so gut gefällt, dass sie zu lange sitzen bleiben. Das wäre für den Betrieb aber fatal: Es käme zum Stau, werden die Plätze pro Mittag doch bis zu dreimal belegt. Darum gibt es den Kaffee nicht hier, sondern im «Le Café» im Erdgeschoss. Dorthin gelangt man nicht über die Wendeltreppe (sie ist den hungrigen Gästen vorbehalten), sondern zwei gerade Treppenläufe führen nach unten. Diese sind — der Logistiker lässt grüssen — von je zwei Abräumbändern flankiert. So finden nicht nur die Angestellten den Weg zum Café, sondern ihre Tabletts auch den Weg in die Abwäscherei.
Der übermächtige Nachbar
Als die Architekten Richter et Dahl Rocha sich an die Arbeit machten, war zunächst der Umbau des bestehenden Restaurants geplant. Dieses lag im Erdgeschoss des «Bâtiment B», das Burckhardt Partner Architekten in den Siebzigerjahren dem Nestlé-Hauptsitz von Jean Tschumi zur Seite gestellt hatten. Doch die hohen Kosten für ein Provisorium während der Umbauzeit unterstützten den Entscheid, einen Neubau zu erstellen und das alte Restaurant in Konferenzräume umzubauen. Als Bauplatz stand das Areal zur Verfügung, auf dem einst Gustave Eiffels Villa gestanden hatte und dessen Hafen noch erhalten ist. Das leicht abfallende Terrain erlaubte es, mit wenig Aufwand die Parkplätze, die bisher fast die ganze Fläche belegten, auf zwei Geschossen zu versorgen. Damit war Platz geschaffen, um den Park am See zu erweitern und darin das Restaurant zu platzieren. Das Raumprogramm ergänzte man um ein Fitnesscenter für Angestellte und ihre Angehörigen, um einige Sitzungszimmer und eine kleine Praxis des Betriebsarztes. Die Lage am See ist prächtig, der Nachbar jedoch übermächtig: Jean Tschumis Nestlé-Hauptsitz von 1960 ist eine Ikone der Schweizer Architektur. Seine drei Gebäudearme greifen in den Raum, an deren Schnittpunkt verbindet die Doppelhelix der Wendeltreppe — benannt nach der berühmten «Escalier Chambord» im gleichnamigen Schloss in Frankreich — die Geschosse. Wie kann man Tschumis Meisterwerk erweitern? Vor 35 Jahren standen schon Burckhardt Partner Architekten vor dieser Frage. Sie setzten an das Ende des langen Y-Armes zwei weitere Gebäudeflügel. Damit wollten sie den offenen, parkartigen Hof schliessen. Das war gut gemeint, aber falsch gedacht, denn die drei Gebäudearme müssen ungehindert in die Landschaft ausgreifen können. Wie also das Ypsilon erweitern? Die Antwort ist einfach: gar nicht. Doch man kann ihm einen Solitärbau zur Seite stellen. Das hatte Tschumi selbst mit einem Hochhaus einst skizziert. So machten es auch Richter et Dahl Rocha Architectes mit ihrem Neubau: Sein Grundriss ist ein Kreis mit 50 Metern Durchmesser — solitärer geht es nicht.
Doch ganz so richtungslos, wie der Baukörper auf den ersten Blick erscheint, ist er nicht. Schliesslich hat das Grundstück unterschiedliche Qualitäten und darum kragen das Dach und die umlaufende Terrasse nicht rundherum gleich weit aus: Gegen Norden, wo die Küchen und Vorbereitungsräume liegen und die Sonne nicht scheint, ist die Auskragung klein. Gegen Süden jedoch, wo die Fensterfront im Sommer vor der warmen Sonne geschützt werden will, sind Dachvorsprung und Terrasse breiter. Geschickt haben die Architekten diese Differenz in den Stützen aufgenommen: Hinten stehen sie senkrecht, vorne sind sie nach aussen gekippt.
Das Gleichgewicht gefunden
Richter et Dahl Rocha Architectes hatten zwischen 1996 und 2000 bereits Jean Tschumis Architekturikone gründlich saniert. Dabei setzten sie sich ausführlich mit den Eigenheiten seiner Architektur auseinander. Der Geist Tschumis sollte bewahrt, wiederhergestellt oder weitergestrickt werden. Das Ergebnis ist gelungen, Tschumis Geist (wieder) spürbar — und die «Escalier Chambord» samt Linoleumbelag ist gar integral erhalten. Beim Neubau des Restaurants haben die Architekten drei Elemente bei Tschumi entlehnt: die markanten Betonstützen, die den äusseren Dachring und die inverse Kuppel tragen, das auskragende Blechdach und — als Zitat, nicht als Kopie — die Wendeltreppe, diesmal jedoch nicht als Doppelhelix. Doch Projektleiter Kenneth Ross betont: «Unser Ziel war nicht, ein Zeichen zu setzen, sondern wir wollten fortschreiben, integrieren und ergänzen. Das «WellNes Centre» ist nicht der kleine Bruder von Tschumis Gebäude, sondern ein Cousin.»
Eine luftige gläserne Passage stellt die funktionale Verbindung zu Jean Tschumis Gebäude her. Ein Wandbild, das Hans Erni 1960 für die damalige Kantine geschaffen hatte, hängt jetzt im Foyer des Neubaus und erinnert an das längst verschwundene Restaurant, das einst im Attikageschoss eingerichtet war. Der zeitgenössische Kunstbeitrag stammt von Daniel Schläpfer. In den Raum des Restaurants «La Coupole» hat er grosse Kugelkalotten gehängt, die das Nest im Nestlé-Logo symbolisieren und als indirekt beleuchtete Lampenschirme wirken. Bei der Sanierung vor zehn Jahren war der grösste Eingriff der Verbindungsbau zwischen Tschumis «Bâtiment A» und Burckhardts «Bâtiment B». Wo einst ein Schacht mit Treppen und Rampen die beiden Gebäude mit ihren unterschiedlichen Geschosshöhen aneinanderkoppelte, setzten Richter et Dahl Rocha eine lichtdurchflutete Halle mit aufgefächerten Rampen und schönem Blick auf das Hauptgebäude. Die Rampen sind auch nötig, weil bei Nestlé noch immer zweimal täglich Damen mit Chariots durch die Gänge fahren, um Kaffee und Tee zu servieren. Mit dieser neuen attraktiven Verbindung setzten die Architekten einen Gegenpol zur Wendeltreppe.
Allerdings rutschte damit das Schwergewicht des Ensembles definitiv weg von der Doppelhelix-Treppe — umso mehr, als im Erdgeschoss des «Bâtiment B» noch das Personalrestaurant untergebracht war. Das «WellNes Centre» hat die Pole erneut verschoben. Nun hat das ganze Ensemble sein Gleichgewicht gefunden. Das zeigt sich allein daran, dass die «Escalier Chambord», Jean Tschumis Prunkstück, wieder fleissig begangen wird.hochparterre, Di., 2010.03.02
02. März 2010 Werner Huber
Im Nachhaltigkeitsdschungel
Die 2000-Watt-Richtlinien lassen der Architektur genug Spielraum, sagt Mathias Heinz der Pool Architekten und erklärt ihr neustes Projekt.
An der Badenerstrasse 380 in Zürich entsteht der erste Neubau nach den Richtlinien der 2000-Watt-Gesellschaft. Bauherrin ist die Baugenossenschaft Zurlinden, geplant wurde der Bau von Pool Architekten. Mathias Heinz von Pool Architekten über die neuen Richtlinien.
Was zeichnet das Gebäude an der Badenerstrasse in Bezug auf die 2000-Watt-Anforderungen aus?
Das interessante ist, dass die Nachhaltigkeit nicht explizit thematisiert wurde und wir so ein Gebäude mit einer eigenen Architektursprache realisieren konnten. Das Gebäude soll nicht ausstrahlen: Ich bin ein Ökohaus. Auch ist es nicht ein superkompaktes Haus, wie man es von einem energiesparenden Gebäude erwartet. Hier konnten wir beweisen, dass es möglich ist, ein energetisch sehr gutes Haus zu erstellen, das nicht als massiver Klotz in Erscheinung tritt.
Wie entstand die Gebäudeform?
Primär hat die Gebäudeform architektonische Gründe. Wir haben versucht, an dieser Lage ein Gebäude zu entwerfen, das zweiseitig orientiert ist, einerseits zur Badenerstrasse, andererseits zum neuen Stadtpark. Das Gebäude hat zwei vollwertige Schaufassaden statt einer Strassenfassade und einer Hoffassade. Das führte zu den sechs Baukörpern, die ab dem 1. Obergeschoss zueinander verschoben sind. Sekundär haben wir damit die Lärmproblematik gelöst. Ohne Speziallösung hätten die Räume zur Badenerstrasse hin wegen des Lärms nicht natürlich belüftet werden dürfen. Diese Vorschrift steht in direktem Widerspruch zu kompakten Baukörpern, wie dies für energetisch nachhaltige Gebäude ideal wäre. So entstand die prägnante Form. Klar, das Verhältnis der Fassadenfläche zum Volumen ist schlecht, diesen Nachteil konnten wir aber problemlos wettmachen, indem wir in anderen Bereichen besser gebaut haben.
Es ist demnach ein Vorurteil, dass Energiesparhäuser architektonisch nicht attraktiv sind?
Für Architekten ist es eine kulturelle Herausforderung, mit den veränderten Anforderungen gute Architektur zu entwickeln. Jedes Amt und jede Bausparte hat eigene Normen entwickelt, die für den Entwurf oft sehr prägend sind. Jetzt gilt es, diese Normen zusammen- und umzusetzen — unter der Berücksichtigung der Architektur. Es kann nicht sein, dass man einfach eine energiesparende Box baut, ohne die kulturelle Nachhaltigkeit der Architektur mit zu berücksichtigen. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, bleibt auch das energetisch beste Haus nicht nachhaltig. Es gehört dazu, dass es in den städtebaulichen Kontext eingepasst ist und von den Bewohnern getragen wird. Die Richtlinien der 2000-Watt-Gesellschaft setzen hier an der richtigen Stelle an: Sie basieren auf einem Gesamtwert, betrachten das gesamte Gebäude und bearbeiten nicht Einzeldisziplinen. Die Grenzwerte beim Minergie-Standard sind zwar gut gemeinte Ansätze, aber als Ganzes passen sie nicht zusammen.
Braucht es andere Ansätze als Minergie?
Minergie ist ein Label und beruht auf einer Berechnung mit klaren rechnerischen Grenzwerten, was nur wenige Kommastellen darüber liegt, ist ungenügend. Und obwohl auch ein solches Gebäude sehr gut ist, erhält es kein Label. Von diesem «Label-Denken» sollte man Abstand nehmen. Jeder kennt die Kurve zwischen Ertrag und Aufwand. Lieber ein energetisch sinnvolles Gebäude mehr, statt Bauherren mit unflexiblen Grenzwerten abzuschrecken, weil der Aufwand für die letzten fünf Prozent eine überproportionale Investition erfordert. Die 2000-Watt-Gesellschaft ermöglicht eine andere Betrachtungsweise. Die Richtlinie ist offener; man verwaltet ein Energiebudget. Wie man dieses innerhalb des Bauprozesses erreicht, ist dem Planer überlassen. Man kann an einer Stelle mehr investieren und dies kompensieren, wo es weniger schmerzt.
Zum Beispiel?
Bei der Fassadenverkleidung: Die Wahl der Glasfaserbeton-Profile hat sich als sehr vorteilhaft erwiesen. Sie schneiden punkto Nachhaltigkeit sehr gut ab. Das Werk liegt in der Nähe, womit kurze Transportwege gegeben sind, die Produktion ist relativ energiearm, da das Material in eine Form gegossen wird und an der Luft austrocknet. Die Entsorgung am Ende des Lebenszyklus ist auch unproblematisch, da das Material rein mineralisch ist. Zudem braucht unser eigens gestaltetes Profil weniger Aluminium- Unterkonstruktion, das spart Kosten und vermindert Wärmebrücken. Wir konnten also mehr in die sichtbare Verkleidung investieren. Es ist spannend, wie manchmal Ökologie und Ökonomie parallel verlaufen.
Das Gebäude ist ein kompletter Holzbau, wie sind Sie auf diese Bauweise gekommen?
Wir haben die einzelnen Bauteile so nachhaltig wie möglich ausgewählt mit Berücksichtigung der grauen Energie, um so den Energiekennwert A der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen. Die Wahl der Holzbauweise beruht auf einer engen Zusammenarbeit zwischen Bauherrschaft und Planern. Interview: Sue Lüthi, Fotos: Henzi & Micchiché Für ein anderes Objekt hatte die Bauherrschaft das «Top-Wall-System» entwickelt und uns gebeten, dieses zu prüfen. Wir sind dann einen Schritt weitergegangen und haben ein komplettes Holzhaus vorgeschlagen. Die Schottenstruktur mit Spannweiten unter sechs Meter eignete sich vorzüglich. Die Erkenntnis ist, dass Holz gegenüber Backstein und Beton für den Rohbau ein gleichwertiger Baustoff ist. Jedes Material sollte künftig so eingesetzt werden, dass seine konstruktiven Eigenschaften optimal genutzt werden, immer unter der Berücksichtigung der Nachhaltigkeit.
Spielt die Wahl der Unternehmer eine Rolle?
Die Bauherrrin, die Baugenossenschaft Zurlinden, ist eine Unternehmergenossenschaft, die schon seit ein paar Jahren nach den Prinzipien der 2000-Watt baut. Damit waren die Bauunternehmer am Werk, die bereit waren, den richtigen Weg einzuschlagen. Aber egal, mit welchem Unternehmer man baut, man muss bei der Planung die Vorgaben als Bedingung setzen, damit man das gewünschte Produkt erhält.
Ist der Planungsaufwand beim Holzbau höher?
Nach unserer Erfahrung bleibt der Planungsaufwand beim vorgefertigten Elementbau derselbe wie beim Massivbau, nur ist er zeitlich verlagert. Der Grossteil der Planung muss in einer frühen Phase des Baus definitiv bestimmt werden. Das ist auch für die Bauherrschaft interessant, da weniger Überraschungen auftreten. Das bringt auch eine grössere Kostensicherheit.
Hat sich die Bauweise auf die Bauzeit und die Arbeitsabläufe ausgewirkt?
Absolut. Der Elementbau ist unwahrscheinlich schnell, der Zimmermann hat pro Tag ein Stockwerk (pro Haus) aufgerichtet. Somit spart man Bauzeit und Geld, womit die Mehrkosten des Rohbaus ausgeglichen werden. Noch ein Vorteil ist, dass Elemente wie Fenster und Installationswände bereits während des Baus ins richtige Geschoss geliefert werden konnten, was den Bauablauf ebenfalls effizienter gestaltet. Allerdings müssen die Unternehmer auch enger zusammenarbeiten, es ist mehr Kommunikation verlangt, damit der Bau reibungslos abläuft. Dies erspart der Bauleitung aber auch Konfliktlösungen, die oft durch mangelnde Kommunikation verursacht werden.
Wie bewährt sich der Effizienzpfad Energie des SIA in der Praxis?
Wir wurden durch das Architekturbüro Hansruedi Preisig begleitet. Preisig ist Mitautor des Effizienzpfads Energie. Eine Begleitung während des ganzen Bauablaufs von der Zielsetzung bis zur Bauausführung ist übrigens jeder Bauherrschaft zu empfehlen, denn das Gebiet ist sehr komplex. Es ist schwierig, sich in dem Nachhaltigkeitsdschungel zurecht zu finden. Alles ist im Fluss, es gibt laufend neue Erkenntnisse. Daher ist es sehr hilfreich, wenn eine Fachperson bei allen Baukommissions- und Fachplanersitzungen dabei ist und immer wieder den Finger auf die wunden Punkte hält.
Braucht es mehr Richtlinien oder Gesetze fürs nachhaltige Bauen?
Nein, die Ziele des Effizienzpfads Energie zu erreichen, ist schon eine grosse Herausforderung. Und die Energiewerte, zum Beispiel der Badenerstrasse, sind nun so gut, dass eine zusätzliche Verbesserung ein Riesenaufwand bedeuten würde. Aber man sollte andere Faktoren betrachten, den Standort und das Verhalten zum Beispiel. Es bringt nichts, wenn ich ein Haus mit Minergiezertifikat habe oder ein Haus nach 2000-Watt-Richtlinien baue und jeden Tag eine Stunde mit dem Auto zum Arbeitsplatz fahre. Das ist der falsche Weg.
Ist nachhaltiges Bauen teurer als konventionelles?
Das ist so, aber der Mieter erhält auch mehr. Die Bauherrschaft an der Badenerstrasse investierte bewusst mehr in die Konstruktion, kann dafür auch leicht höhere Mieten verlangen, da die Nebenkosten so gering sind, dass unter dem Strich die Mieten günstiger sind als bei Vergleichsobjekten. Dies wird sich noch stärker auswirken, wenn die Energiepreise ansteigen. Wir wissen zum Beispiel schon jetzt, dass für die Mieter an der Badenerstrasse mehr Nebenkosten für das Brauchwasser als fürs Heizen anfallen werden. Da das Wasser die nächste knappe Ressource sein wird, erhielt jede Wohnung einen separaten Wasserzähler.
Können die Mieter ihre Nebenkosten durch das Wohnverhalten beeinflussen?
Ja, auf jeden Fall, und zwar wie sie lüften und wie sie heizen. Das bestkonstruierte Haus nützt nichts, wenn kein Bewusstsein für diese Themen vorhanden ist. Wenn man die Wohnungen im Winter etwas weniger heizen und vielleicht einen Pullover anziehen würde, statt nur ein T-Shirt. Oder wenn man die Schlafräume weniger heizen würde, könnten massiv Energiekosten eingespart werden.
Wie schwierig war der Bau des ersten 2000-Watt-Hauses, gemessen an einer Bergtour?
Ein Wanderweg mit einer rechten Steigung, aber nie gefährlich und wir waren in guter Begleitung.hochparterre, Di., 2010.03.02
02. März 2010 Sue Lüthi
Der Blockäamander
Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus einem Wettbewerb hervorgegangen, sieht das städtebauliche Konzept des Architekturbüros Ernst Niklaus Fausch vor, die Ränder mit Gewerbe, Dienstleistung und vor allem Wohnen zu bebauen, in der Mitte aber einen Park auszubreiten, der an den Erholungsraum Lange Erlen anknüpft. Blickfang des städtebaulichen Plans ist eine Figur am breiten, der Stadt zugewandten Eingang zum Areal: Eine eigentümliche Mischform aus Blockrand und Mäander sitzt selbstbewusst in der Mittelachse. Auf dem Plan wirkt sie künstlich und wenig nachvollziehbar.
Morger Dettli Architekten aus Basel gewannen den Architekturwettbewerb für die hier vorgesehene Wohnüberbauung und nahmen sich das Gebilde zur sportlichen Herausforderung. Mit Akribie entwickelten sie sechzig Wohnungstypen, die zahlreichen Kopfenden für grosszügige Flächen nutzend, die Wohnungen gekonnt um die vielen Ecken knickend, oft über zwei Geschosse führend oder zwei Fassaden verschränkend.
Jeder Wohnung gehört eine Loggia, mit mindestens 13 Quadratmetern haben alle Zimmer komfortable Grössen. Wohn- und Essbereiche sind vielfach ungewöhnlich geschnitten und da und dort knifflig zu möblieren. Linol- und Parkettböden unterstreichen die Wohnungscharaktere: vom loftartigen Zweizimmerreich bis zur Fünfzimmermaisonette. Bei der Ausführung mit dem Generalunternehmen bewiesen die Architekten Beharrlichkeit, was dem «Erlentor» zu passabler Bauqualität verhalf; nur die knappen Treppenhäuser künden von den harten Bedingungen.
Fraglich ist Morger Dettlis Entscheid, den niederen Zwischenarm am Park zu schliessen. Das städtebauliche Konzept sah ein offenes Erdgeschoss vor, das Innenhof und Park verbinden soll. Nun ist der Innenhof geschlossen und wirkt für eine rege Nutzung allzu intim. Sonst aber überzeugt der gebaute «Blockmäander»: Zur Stadt hin öffnet sich ein gut proportionierter Eingangshof, am Park schliesst er eine markante und klare Front und die unterschiedlichen Höhen bewegen die Silhouette.hochparterre, Di., 2010.03.02
02. März 2010 Rahel Marti