Editorial

Infos per Newsletter

Was jedem Verlag recht ist, ist Hochparterre billig: Im «Hochparterre Newsletter» stellt Urs Honegger, Leiter der Online-Redaktion, jede Woche wichtige Nachrichten und Kommentare zu Planung, Architektur und Design in der Schweiz zusammen und schickt sie auf Ihren Computer. Wer seinen Newsletter abonnieren will, klicke auf www.hochparterre.ch, dort auf «Abonnieren» und schliesslich auf «Newsletter». Und wie es Brauch und Sitte ist im Internet, kommt auch unser Nachrichtenticker gratis und franko zu Ihnen nach Hause. Wer kennt die Groupe8 in Genf? Wir kannten sie nicht, denn wie die meisten wissen wir nicht so recht, was in der Westschweiz läuft. Werner Huber besuchte die fast 40 Architektinnen und Architekten, von denen die meisten unter 40 Jahre alt und auf Bauplätzen in Genf und weit darüber hinaus unterwegs sind. Sein Bericht ist ab Seite 18 zu lesen. Dort steht auch, dass alle leitenden Angestellten Männer sind. Typisch? Und der Eigenart des Berufs und der Branche geschuldet? «Falsch!» — schreibt Markus Bellwald in seinem Essay auf Seite 30 und widerlegt in fünf Thesen die Vorurteile, dass sich Architektur, Teilzeitarbeit und Kindererziehen nicht vereinbaren liessen. Redaktion und Verlag haben die Zukunft des Heftes in Retraiten besprochen und beraten. Hochparterres neues Kleid ist ein Resultat. Ein anderes: Hochparterre wird an kulturpolitischem Gewicht zulegen und sich vielfältig einmischen in Architektur, Design und Planung. Rahel Marti übernimmt ab dem nächsten Heft eine zusätzliche Aufgabe. Sie hat als «leitende Redaktorin» den Auftrag, die Redaktion des Heftes so zu moderieren, dass aus diesem Plan Wirklichkeit wird.

Schliesslich ein weiteres «Personalia». 20 Jahren lang war Christian Hofstetter Hochparterres Buchhalter, Buchprüfer und «Consigliere». Er hat wichtigen Anteil daran, dass unser Verlag betriebswirtschaftlich tipp-topp beieinander ist. Nun verlässt Christian seinen Beruf der Zahlen und Bilanzen und also auch Hochparterre: «Besten Dank, alles Gute und wisse, ohne dich wären wir nicht, was wir sind.»
Köbi Gantenbein

Inhalt

06 Meinungen
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 B-Ausweis

Titelgeschichte
18 Die unbekannten Senkrechtstarter. Group8 - Ein Besuch beim Genfer Architekturbüro eröffnet neue Perspektiven - weit über den Lac Léman hinaus.

30 Architektur: Die motivierten Mütter. Ein Bericht aus der Praxis entschärft fünf Vorurteile.
32 Design: Schatz am Silbersee. Swarovski schmückt sich an der Baselworld mit Aluminium.
36 Wettbewerb: Zuschauen erlaubt. Hautnah dabei an einer öffentlichen Jurierung.
38 Architektur: Über fünf Podeste musst du gehn. Lampugnanis Bau auf dem Novartis Campus in Basel.
44 Landschaft: Vom Güllenlocj zur Schneekanone. Eine Fotoausstellung über die Alpenlandschaft gestern und heute.
46 Design: Wirbeln in der Königsdisziplin. Wie die Maschinengestaltung ins CI der Firma greift.
50 Design: Blinken für China. Die Macher im Hintergrund sorgen für schillernde Fassaden.
54 Architektur: Hochseilakt in Effretikon. Ein Privater zündet die Zentrumsentwicklung. Und die Behörden?

60 Leute

64 Siebensachen

66 Bücher

70 Fin de Chantier

76 Raumtraum

Über fünf Podeste musst du gehn

Vittorio Lampugnani fand den Idealbaustein für den Novartis Campus. Und baute die vollendete Treppe. Ein Aufstieg über fünf Stockwerke.

Schräg gegenüber greift Frank O. Gehrys «Personal Center» um sich. Rechts kühlt Yoshio Taniguchis Bürogebäude glasig grau die Atmosphäre. Dazwischen hat Vittorio Magnago Lampugnani gebaut, der Architekt des Masterplans. Hat seinen Musterbau verwirklicht, spät, aber entschlossen.

Unter der Arkade

18 Meter schmal, 55 Meter lang, 22,46 Meter hoch, Lampugnanis Haus folgt exakt Lampugnanis Baulinien und Traufhöhe. Zur Hauptachse Fabrikstrasse öffnet es sich mit Arkaden, 4 Meter breit, 6 Meter hoch. Rechts gehts ins mit Italianità gesättigte Ristorante Dodici, links ins Bürohaus. Unter den Arkaden empfängt einen ein «heiterer Himmel», wie Lampugnani die mit hellblauem Glasmosaik belegte Decke nennt. Sommers nimmt man hier am Schatten seinen Caffè.

Trotz grosszügiger Befensterung wirkt das Haus kompakt. Steinern eben: Die Fassaden bestehen aus bis 15 Zentimeter dicken, weissen Carrara-Marmorplatten. Sie sind so dick, damit sie sich nicht verziehen, da sie nicht aufgehängt, sondern aufgemauert sind, fest vermörtelt also und befestigt an einer Stahlkonstruktion. Das Haus, schreibt Lampugnani in einem literarisch anmutenden Baubeschrieb, versage sich jede individualistische Allüre, es bekenne sich zur formalen Zurückhaltung und zur urbanen Kontinuität. Kein Zweifel, Lampugnani hat den Idealbaustein seines Masterplans gebaut. Bizarr nur: Der Campus ist ein neues Stück Stadt, urbane Kontinuität geht ihm zwangsläufig ab. Und wie alle Bauten zeigen, ist die individualistische Allüre schwer kontrollierbar in einem Masterplan, der keine Blockränder, sondern Einzelbauten vorsieht.

Auf dem Zwischenpodest

Hinter der Drehtür wartet eine kammerartige Lobby. Man wähnt sich im Fuss eines altehrwürdigen New Yorker Wolkenkratzers. Zwar öffnen sich da zwei Lifttüren. Aber von rechts kommt ein Sog: Verheissungsvoll fällt Licht auf eine scheinbar endlose Treppe. Es zieht einen hinauf. In einen Raum, der schmal und hoch ist wie ein Schacht, den Nussbaum auskleidet, voll und ganz. 19 Stufen bis zum ersten Zwischenpodest und man fragt sich: Wo bin ich nochmal? In New York? Oder, wie das Haus von aussen glauben macht, in Italien des Novecento? Nein, in Basel. Im Voltaquartier, wo der Stadtumbau tobt, auf einem Gelände, wo eben noch die Industrie vorherrschte. Diese beiden Welten, die Stadt aussen, Novartis innen, sind nicht überein zu bringen.

Im Treppenraum 

Weiter hinauf. Stufe um Stufe schwindet das Engegefühl und es wird heller. Eine «weitgehend gleichmässige, vergleichsweise kleinteilige fünfgeschossige Bebauung» sieht Lampugnanis Masterplan vor. Denn solche Bauten seien geeignet, wohlproportionierte Stadträume mit hoher Aufenthaltsqualität zu erzeugen. «Im Innern», schreibt der Architekt und Architekturhistoriker, «lassen sie sich gut und effizient aufteilen, mit einfachen Erschliessungselementen, weil sie noch unterhalb der baurechtlichen Hochhausgrenze liegen.»

Einfache Erschliessungselemente sind in Lampugnanis Sinn Treppen. So konsequent wie seine Baulinien setzt er seine Idee der Treppe als innere Strasse um. Sie soll — wie die Strassen und Gassen der Stadt — kurze Wege und spontane Treffen erlauben, ja herbeiführen. Vom Erdgeschoss führt sie fadengerade bis ins vierte Obergeschoss, über fünf Läufe und fünf Podeste. Nicht von Wänden begrenzt, sondern von Pfeilern und Balken gesäumt. Sie rahmen die weiten Öffnungen, durch die man von der Treppe zu den Arbeitsplätzen und zurückblickt. Auf seiner gesamten Länge und 22 Metern Höhe ist der Treppenraum offen, durchquert nur von kleinen Brücken. Möglich ist dies, weil als Balken ausgebildete Rauchschürzen zum Brandschutz beitragen. Drei Meter breit ist die Treppe, sodass zwei Personen nebeneinander sitzen und eine dritte bequem an ihnen vorbeigehen könnte. Ob sich je eine Mitarbeiterin setzen wird? Aber davon später mehr.

Entlang des Nussbaums

Weiter hinauf, begleitet von der fein wellenden Maserung des Nussbaums. Hier stehend und schmal, dort liegend und breit, betont die Maserung den Rhythmus der Pfeiler und Balken. Nussbaum wirkt immer schwer und immer edel — Holz und Raum scheinen füreinander geschaffen. Obwohl schwierig zu besorgen, wählten Lampugnani und seine Kontaktarchitekten, das Zürcher Büro Joos   Mathys, den europäischen Nussbaum. Er soll sich silbern verfärben und nicht gelblich wie der amerikanische. Zehn Stämme waren nötig, pro Stockwerk stammen die Furniere von je einem Stamm, heisst es. Um die Farbigkeit anzugleichen, liessen sie das gesamte Holz zudem leicht beizen. Die Treppenstufen sind aus Schallgründen zwar betoniert, aber ebenfalls furniert – zudem stärker als andere Elemente, damit man sie gelegentlich abschleifen kann. Soweit beim einmaligen Besuch ersichtlich, ist das Handwerk präzis und lässt keine Wünsche übrig, trotz der hohen Anforderungen.

Zwischen ewig und vorläufig

Ab und zu steigt jemand hoch mit Mantel und Tasche, entschwindet über eins der Podeste in die Büros. Ab und zu tritt jemand in den Treppenraum hinaus, bleibt stehen, wartet auf eine Kollegin, um gemeinsam nach unten zu schreiten. Die Gespräche sind nicht gedämpft, aber ruhig. Vittorio Lampugnani ist ein Meister des Umgangs. Er findet für jede Gelegenheit den passenden Ton. So herrscht hier, nach dem heiteren Himmel unter den Arkaden, arbeitsame Bibliotheksruhe.

Das Haus wirkt, als wolle es seine Nutzer erziehen. In Turnschuhen herumzuschlurfen, fiele einem nicht im Traum ein. Gemacht wirds trotzdem. Leichtes Befremden zum einen: der Idealbaustein des Architekten im Geiste des 19. Jahrhunderts, darin die Forscher von heute, mit Kopfhörer am Computer. Leichtes Befremden zum anderen: der scheinbar für die Ewigkeit gebaute Treppenraum, daneben die Büros, denen man die Vorläufigkeit des Flexiblen anmerkt. Aufgeständerte Böden, flexible Grossräume — alles muss umnutzbar sein auf dem Novartis Campus. Doch achteten die Architekten auf Behaglichkeit mit Vorhängen, Kleiderstangen und Tischlampen und mit Schiebefenstern, die jede Mitarbeiterin jederzeit von Hand öffnen kann. Es gibt zwar Heiz-Kühldecken, aber keine Klimaanlage.

Im gebauten Bild

Zuoberst angelangt, fühlt man sich erhöht. Der Aufstieg über die Kaskadentreppe bietet ein seltenes Erlebnis. Vittorio Lampugnani hat die Gelegenheit für ein räumliches Abenteuer genutzt. Hinter seiner Freundlichkeit steckt ein starker Wille. Radikal verschaffte er der Treppe Raum, rückte sie ins Zentrum. Von oben wirkt der Treppenraum wie ein gebautes Bild. Zwar zeigen Skizzen den Weg: Der Entwurf war erst in Stein gedacht mit Glasbrüstungen. Doch lieber möchte man glauben, Lampugnani habe schon beim Masterplan gewusst, dass er diese Treppe mit diesem Material und dieser Stimmung bauen würde. Ist das Gebäude der Idealbaustein des Masterplans, ist das Treppenhaus sein Idealraum?

Bleibt eine Frage: Wie steht es mit der Angemessenheit? Unruhe kommt auf. Wie viel der Bau gekostet hat, ist natürlich geheim. Die Architekten sagen, es sei der bisher günstigste auf dem Campus. Angemessen? Es gibt nur eine Antwort: Dieser Konzern kann nach eigenen Massstäben funktionieren.

hochparterre, Mo., 2009.05.11

11. Mai 2009 Rahel Marti



verknüpfte Bauwerke
Masterplan Zentrum für Forschung und Entwicklung

Blinken für China

Hinter prominenten Architekturbüros stehen Tüftler, die dafür sorgen, dass das richtige Licht am richtigen Ort leuchtet

Aus der Ferne betrachtet sehen sie aus wie gestapelte Legosteine: die Fracht-Container im Rheinhafen von Kleinhüningen. Jeder ist 2,60 Meter hoch und gut sechs Meter lang. «Hanjin» steht auf einem gelb lackierten, «Hamburg Süd» auf einem in Grün. Dazwischen ein paar rote Container mit der Aufschrift «Shanghai». 8080 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Basel und der chinesischen Hafenstadt.
Der Frachthafen befindet sich am Dreiländereck im Basler Wohnviertel Kleinhüningen. Im Hafen, direkt am Wasser, steht ein rotes Backsteingebäude, seine Adresse: Uferstrasse 90. Hier im 3. Stock in den Büros von Iart Interactive scheint China keine hundert Kilometer mehr entfernt. Die Firma arbeitet an der Fassade für den Schweizer Pavillon der Expo Shanghai. In einem Jahr, am 1. Mai 2010, wird dort die grösste Weltausstellung aller Zeiten eröffnet.

Prototypen und Testläufe

Ein Fassadenausschnitt ist in Basel bereits aufgebaut. Das Muster besteht aus einem Maschendrahtgeflecht, das über einen Metallrahmen gespannt ist. Das Team drängt sich um den Testaufbau der Shanghai-Wand: Szenografen, Physiker, Lichtdesigner und Medienkünstler. Interdisziplinär arbeiten bedeutet hier miteinander diskutieren, Ideen entwickeln und Probleme lösen.
Spezielle «Solutions» waren für den Expo-Pavillon in Shanghai gefragt. Iart entwickelt Konzepte für mediale Inszenierungen — für Museen, Messen und Architekturprojekte. Valentin Spiess hat die Firma 2001 gegründet. Er ist expoerfahren: Sein Medienkonzept mit der sprechenden Taschenlampe für den Schweizer Pavillon in Japan 2005 war aufgefallen. Bei der Expo 2010 kam seine Firma erst ins Spiel, als die Arbeitsgemeinschaft um Buchner Bründler Architekten und Element Design den offenen Wettbewerb von Präsenz Schweiz bereits gewonnen hatte. «Da wir regelmässig mit den Kollegen von Element Ausstellungskonzepte erarbeiten, sind sie auf uns zugekommen», erklärt er.

Daniel Düsentrieb für Designfragen

Der Gründer ist gelernter Elektroingenieur. Zuvor arbeitete er mehrere Jahre im Bereich neue Medien und Elektronikentwicklung. Bereits damals arbeitete Spiess eng mit Gestaltern zusammen und übernahm die technische Leitung bei Festivals und Theaterproduktionen. In diesen Zeiten kamen oft befreundete Künstler mit abstrusen Ideen zu ihm und fragten nach einer Lösung. Meistens hatte der Tüftler eine parat: «Was möglich ist, wird gemacht», verspricht er.

Es gibt immer wieder Fälle, wo Leute mit Projekten an ihn herantreten, die kaum realisierbar erscheinen. Dann ist es seine Aufgabe zu analysieren, worum es im Kern eigentlich geht. Und wie man das Ziel auf unorthodoxen Wegen möglicherweise doch noch erreichen kann. So geschehen im Fall der Projektion für den Schweizer Pavillon im spanischen Zaragoza letzten Sommer: Ursprünglich planten die Ausstellungsmacher für ihre Installation acht Projektoren — diese zu synchronisieren, wäre sehr teuer geworden. Das experimentelle Unternehmen entwickelte einen Projektor, der dasselbe Ergebnis erzielt wie die acht Geräte. Solche Umsetzungen sind keine klassischen Planungsprozesse.

Äussere Einflüsse

Zurück nach Basel zur Musterwand. Am grobmaschigen Drahtseilnetz sind transparente, rote Plastikteller angebracht. An dem riesigen Maschendrahtzaun wird eine intelligente LED-Fassade entwickelt. Tönt eindrücklich, aber was wird daraus? Die roten Plastikscheiben sind in umweltfreundliches Bioresin eingefasste Solarzellen. Dieses Klarharz ist aus Soja gewonnen, ungiftig und kompostierbar. «Im Prinzip könnte man es essen», bemerkt der Entwickler und lacht.

In essbares Harz gepackte Solarzellen — so weit so gut. Doch die wahre Intelligenz steckt anderswo. In der Hülle befinden sich neben der Solarzelle ein Kondensator, eine Leuchtdiode und drei Sensoren. Diese reagieren auf unterschiedliche Umwelteinflüsse wie Licht und Wärme und auf ihre Nachbarzellen. Der gewonnene Strom entlädt sich in den LEDs, die aufleuchten — je nach Aussentemperatur und Lichtstärke unterschiedlich oft und lange: Sie blitzen vereinzelt auf, erhellen die ganze Fassade oder ziehen in Schwärmen über die Fläche. Je nachdem, wie stark der Wind weht oder die Sonne scheint.
Jede Zelle funktioniert autonom. Das Schwarmverhalten erzielt das Test-Team durch einen Mikrocontroller. Er überträgt elektromagnetische Impulse an die Nachbarzellen. Falls alles klappt, reagieren die Zellen auch auf Besucher, die den Pavillon fotografieren. Deren Blitzlicht pflanzt sich dann im Domino-Effekt über die Fassade fort. Wenn alles so läuft wie vorgesehen.

Dem Ingeniör ist nichts zu schwör

Bisher aber läuft nicht alles nach Plan. Die Expofassade erzeugt den Strom mit Hilfe von modernster Solartechnik. Im Entwurf der Architekten sollte sie den gesamten Pavillon mit Energie versorgen. «Diese Idee mussten wir leider verwerfen — der gewonnene Strom hätte nie und nimmer ausgereicht», gibt der Geschäftsführer zu. In solchen Fällen gilt es, aus der Not eine Tugend zu machen. Und so wird Präsenz Schweiz nach der Expo die autarken Zellen an die Besucher verkaufen. Diese blitzen dann als Souvenir zu Hause auf dem Balkon, auch dort abhängig von den aktuellen Wind-, Wärme- und Lichteinflüssen.

Die Lorbeeren ernten andere

Wird der Expo-Pavillon erfolgreich und fasziniert er die Besucherinnen und Besucher mit seinem Blitzlichtgewitter, geht das Lob allerdings an die Architekten — die Medien-planer arbeiten als stille Macher im Hintergrund. «Wir wollen uns nicht mit fremden Federn schmücken», macht Stefan Oehy, Projektleiter von Buchner Bründler Architekten klar. «Es ist die Aufgabe der Publizierenden, die Beteiligten zu nennen», sagt er.

Zu diesem Zeitpunkt steht der Firmenname nirgends, auch nicht auf der Webseite von Präsenz Schweiz. Bis heute kommuniziert der Bauherr nur das Ergebnis des Wettbewerbs — nach der anstehenden Pressekonferenz, die für Ende April geplant ist, könnte sich das ändern. Iart agiert in diesem Projekt einerseits als «Fachplaner» von Element Design im Bereich Medien in der Ausstellung und als «Fachplaner mediale Fassade» unter Buchner Bründler Architekten. Geht die Rolle des anonymen Diensleisters für Valentin Spiess in Ordnung? «Diese Situation ist für uns typisch, wenn auch nicht immer gleich befriedigend. Manchmal würden wir gerne mehr mitgestalten oder entscheiden.»
Dennoch: Es gehört zum Businesskonzept, Aufgaben zu erledigen, die nicht in den Kompetenzbereich ihrer Partner fallen — Iart füllt die Lücken. Der findige Ingenieur blickt zuversichtlich in die Zukunft: «Ich hoffe, die Zeit macht die Spuren unserer Arbeiten lesbar.»

Konkurrenz belebt die Nachfrage

In der Schweiz steht das Experimentier-Team aus Basel mit seiner Fachkompetenz alleine da. Die Konkurrenten sitzen alle in Deutschland. Darunter Meso, ein Designteam aus Frankfurt, das Gestalter, Medienschaffende und Computerspezialisten vereint, oder die beiden Berliner Büros Realities United oder Art   Com. «Unsere Mitbewerber sind fast ausschliesslich auf ein Gebiet spezialisiert: Entweder auf Medienfassaden und -Installationen im Ausstellungsbereich oder auf interaktive Systeme», vergleicht Valentin Spiess. «Zudem zieht man sie im Gestaltungsprozess oft erst sehr spät hinzu.»

Seine Firma hingegen versucht stets, möglichst früh am Prozess beteiligt zu sein und so gemeinsam mit den Architekten, Ausstellungsgestaltern oder Künstlern neue Konzeptideen und innovative technische Lösungen zu entwickeln, ausgehend von den Voraussetzungen des jeweiligen Raums, der Architektur, der Präsentation oder den Exponaten. Sie reden deshalb mit bei der Lichtgestaltung, entscheiden über Materialien und arbeiten an der Akustik — für die Basler Medienplaner sind dies die wichtigsten Elemente eines stimmigen Gesamtkonzepts.

Den richtigen Ton finden

Klingt die Fassade in Shanghai ebenfalls? Die Akustik der Zellen ist der bisher unklarste Punkt — im Konzept ist von einem «optionalen Erklingen eines Tons» die Rede. Die Zellen am Maschendrahtzaun in Basel blieben bisher aber stumm. «Wir experimentieren, um den Ton zu finden.» Und wie steht es um das Aufblitzen der Zellen? Sobald wie möglich ist ein erster realer Testaufbau geplant: Idealerweise direkt auf dem Gelände in Shanghai. So könnten die Umwelteinflüsse getestet werden, denen die Fassade letztlich ausgesetzt sein wird. Dieser Testaufbau soll noch diesen Monat stehen.

Die eigentliche Produktion der Zellen muss spätestens fünfzehn Wochen vor der Montage beginnen. Wo und wer hier zum Zug kommen wird, ist noch nicht entschieden. Je nach Art der erforderlichen Technologien kann sich auch der Produktionsstandort verändern — eines der möglichen Bioharze wird bisher ausschliesslich in Europa verarbeitet. Valentin Spiess blickt aus seinem Atelierfenster auf das Gelb, Rot und Grün der Frachtcontainer. Sind die Zellen einmal hergestellt, werden sie vielleicht damit nach Shanghai verschifft — falls die Fassade am Ende nicht doch in China produziert wird.

Wie steht es um den Pavillon-Bau?

Im April 2009 hat die Arbeitsgemeinschaft Buchner Bründler und Element ihr Konzept bei der Expo-Leitung zur Genehmigung eingereicht. Dieser erste Bewilligungsschritt setzt eine definitive Form voraus, die Raumverteilung ist festgelegt und der Besucherablauf definiert. Das architektonische und inhaltliche Konzept des Wettbewerbs konnten die Konzeptverfasser beibehalten: Die notwendigen statischen Elemente für die Auskragungen, die Fassade wie auch die Sesselbahn haben sie implementiert und das Materialisierungskonzept steht ebenso. Mit dem nächsten Schritt beginnt für die Architekten die Detailarbeit. «Wir hoffen, noch vor der grossen Regenzeit Ende Mai die Fundationsarbeiten abzuschliessen und mit dem Rohbau zu beginnen», sagt Projektleiter Stefan Oehy.

hochparterre, Mo., 2009.05.11

11. Mai 2009 Lilia Glanzmann

Innere Werte

Das Rössli im Kurort Bad Ragaz steht an der Kantonsstrasse, neben Migros, Coop, der Milchzentrale und einer Bar. Keine ruhige Nachbarschaft. Der alte Gasthof ist über vier Generationen immer wieder erneuert worden; jetzt haben die Besitzer daraus ein elegantes Hotel gebaut.

Das Gasthaus soll seine Qualitäten nach innen entwickeln, entschied Architekt Karsten Schmidt-Hoensdorf, als er den Umbau plante. Das erreicht er mit überdurchschnittlich grossen Zimmern, einem heiteren Farbkonzert und zurückhaltender Möblierung. Besonderes Augenmerk widmete er den Grundrissen; mit minimalen Eingriffen in die tragende Struktur legte er Räume zu 17 Zimmern und einer Suite zusammen. Jetzt trennen farbige Schiebewände aus halbtransparentem Glas den Schlafwohnraum vom Bad ab und grossformatige Spiegel überhöhen die Grösse des Raumes.

Schliesslich beschäftigte sich Karsten Schmidt-Hoensdorf mit der Raumstimmung. Auf dem Boden liegen dicke Dielen aus unbehandelter Douglasie. An den Fenstern hängen als Akzente und Schallschlucker dicke, farbige Vorhänge aus Filz. Und wie steht es um das wichtigste Hotelmöbel? Im Rössli stehen durchwegs grosse Betten, eine Reise durch Amerika hat den Architekten dazu inspiriert. Sein günstigstes Stilmittel ist die Farbe: Kräftige Rot-, Gelb-, Violett- und Grüntöne an Vorhängen, Sesseln und Badwänden spielen mit der matten, naturbelassenen Farbe des Holzes, dem weissen Bett und einem graugrünen Anstrich der Wände.
Doris und Ueli Kellenberger sind Gastgeberin und Koch. Wie die meisten Leute bauen sie nur einmal im Leben in grösserem Stil. Sie entschieden sich, begleitet von Köbi Gantenbein, seit Langem Freund des Hauses, der Planung genügend Zeit zu lassen und haben für den Umbau einen Wettbewerb auf Einladung lanciert. Der Zeitpunkt war geschickt gewählt. Die Gastgeberin erklärt: «Im Juni wird die Tamina Therme neu eröffnet. Nichts mehr wird dann sein wie vorher in unserem Ferien- und Kurort.» Vom Haus der Siebzigerjahre ist dennoch etwas geblieben: der Schwartenmagen-Boden und das schmiedeeiserne Geländer im Treppenhaus.

hochparterre, Mo., 2009.05.11

11. Mai 2009 Lilia Glanzmann

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