Editorial

Vor Kurzem konnte man in der Zeitung die Schlagzeile «Auf Frühenglisch folgt nun Frühfranzösisch» lesen - bei einem solchen Programm bleibt Kindern kaum Zeit für freie Beschäftigungen wie «Velöle»: Einfach mit dem Velo durch die Gegend fahren, Spass haben und gleichzeitig Sicherheit im Umgang mit dem Fahrzeug bekommen. Eine bedenkliche Tatsache ist, dass immer weniger Kinder und Jugendliche mit dem Velo unterwegs sind. Dabei ist Velofahren eine gesunde und umweltfreundliche Mobilitätsform, und jeder neue Velofahrer entlastet den öffentlichen und den Individualverkehr. Im Hinblick auf bestehende Verkehrsprobleme ein lohnender Gedanke.

Ein gutes Verkehrsangebot hilft, schneller und sicherer ans Ziel zu kommen, und animiert auch Personen, die dem Velofahren noch reserviert gegenüberstehen, das Velo vermehrt für die täglich zurückzulegenden Wege zu benutzen. Viele Städte und Gemeinden haben in den letzten Jahren den Veloverkehr in die Planung ihrer Vorhaben einbezogen. Werden weitere Schwachstellen beseitigt, können die Massnahmen ihre Wirkung voll entfalten und das Velo als Nahverkehrsmittel eine Renaissance erleben. In den Agglomerationsprogrammen der Kantone sind viele solcher Massnahmen geplant und werden vom Bund unterstützt.

Um das Velofahren interessant zu machen und mehr Menschen für den Gebrauch im Alltag zu begeistern, braucht es aber mehr als nur infrastrukturelle Massnahmen. Der Ausbau der Verkehrswege und die Parkierungsmöglichkeiten können noch so durchdacht sein, es werden sich immer verschiedene Verkehrsmittel den zur Verfügung stehenden Raum teilen müssen. Ein störungsfreies und sicheres Miteinander wird erreicht, wenn viele Verkehrsteilnehmer alle Verkehrsformen nutzen und so das gegenseitige Verständnis geschult wird. Verhältnisse wie im Comic «Georgettes Traum» (S.20) werden immer ein Traum bleiben, dennoch ist die Förderung des Veloverkehrs notwendig und sinnvoll.
Daniela Dietsche

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Passagen – Sanierung Anfos-Haus, Basel

13 MAGAZIN
Wechsel in der Verlagsleitung

18 AUFBRUCH IM VELOVERKEHR?
Ruedi Weidmannn
Das grosse Potenzial und die Schwachstellen sind bekannt, die Handbücher und Vollzugshilfen verfasst; dennoch wird die Förderung des Veloverkehr noch stiefmütterlich behandelt.

20 GEORGETTES TRAUM
Anna Röthlisberger
Hindernisfrei durch die Stadt, genügend Veloabstellplätze – ein
Traum?

23 SINNVOLL VERKNÜPFEN
Alexander Felix
Die Vorteile von Velo und öffentlichem Verkehr können durch eine
sinnvolle Verknüpfung und passende Massnahmen gefördert werden.

28 UNGELIEBTES HUCKEPACK
Nora Kempkens
In der Schweiz scheint die Meinung vorzuherrschen, dass die Velomitnahme in den öffentlichen Verkehrsmitteln die sinnvollste Förderung sei: ein Gegenbeispiel aus den Niederlanden.

30 BERGAUF
Daniela Dietsche
Ein Lösungsansatz wird immer wieder diskutiert: Der Velolift in Trondheim läuft seit gut 15 Jahren unfallfrei. Dennoch gibt es weltweit keinen zweiten.

34 SIA
Studierfähigkeit sichern durch Dialog | Sofia, europäische Hauptstadt – A&K-Reise | Zwei Register | Kurse SIA-Form

39 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Aufbruch im Veloverkehr?

Seit 30 Jahren fördern Schweizer Gemeinden das Velofahren – mit insgesamt mässigem Erfolg. Doch nun könnte das Velo definitiv entdeckt werden, denn in den Agglomerationen stossen die Verkehrssysteme an Kapazitätsgrenzen. Der Bund hat das grosse Entlastungspotenzial im Veloverkehr erkannt: Seine Agglomerations- und Klimapolitik, die Rezession und steigende Energiepreise könnten Kantone und Gemeinden dazu bringen, die an sich bekannten Velofördermassnahmen ernsthaft umzusetzen. Wie sähe eine Förderung aus, die konsequent die Vorteile des Velos nutzt und seine Nachteile mildert?

Velofahren braucht fünf Mal weniger Energie als Gehen und rund 100 Mal weniger als Autofahren. Trotz dieser technischen Genialität und weiteren Vorteilen haben Kantone und Gemeinden, mit wenigen Ausnahmen, das Velo als Nahverkehrsmittel bisher kaum ernst genommen. Sie haben auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) gesetzt. Doch nun beginnt dieser am eigenen Erfolg zu leiden. Zum Stau auf den Strassen kommen immer häufiger überfüllte Züge, S-Bahnen, Trams und Busse hinzu – und der Verkehr soll weiter zunehmen. Etwa die Hälfte der Wege, die in den Agglomerationen mit ÖV oder Auto zurückgelegt werden, würden mit dem Velo weniger als zwanzig Minuten dauern. Ein konsequent geförderter Veloverkehr könnte den motorisierten Individualverkehr (MIV) und den ÖV im Alltag wie in der Freizeit entlasten. Investitionen in den Veloverkehr sind volkswirtschaftlich deutlich effizienter als beim MIV und beim ÖV:[1] Velofahren braucht 10 bis 20 Mal weniger Verkehrsfl äche als der MIV, schont die Umwelt und trägt dank der Bewegung zur Gesundheit bei. Im Zeichen von Rezession, Klimaerwärmung, mittelfristig steigenden Energiepreisen und zunehmender Überlastung des ÖV dürften diese Vorteile an Bedeutung gewinnen. Umso mehr, wenn der Bund wie angekündigt weitere externe Kosten des MIV über eine CO2-Abgabe und eine höhere Mineralölsteuer internalisieren und zusätzliche ÖV-Infrastruktur über höhere Billettpreise finanzieren wird.

Potenzial und reale Trends

Eine Studie des Nationalen Forschungsprogramms 412 schätzt, dass der Langsamverkehr bis zu 50 % aller MIV-Fahrten in städtischen Gebieten ersetzen könnte (Velofahrten 100 %, Etappen zu Fuss 40 %, ÖV-Fahrten 30 %, MIV – 50 %). Grossstädte in Holland und Nordrhein- Westfalen haben solche Zahlen erreicht und den Veloanteil an allen innerstädtischen Fahrten auf 30 bis 40 % gesteigert. In der Schweiz erreicht Winterthur immerhin 25 %. Eine andere Schätzung sieht ein Verlagerungspotenzial für 6–15 % aller landesweiten MIV-Fahrten.3 Zum realen Veloverkehr ist die statistische Datenbasis dünn – hierzulande ein Indiz dafür, dass ein Gebiet von der Politik nicht ernst genommen wird. Zahlen gibt es nur aus einigen Städten. Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat ein Konzept für den Aufbau einer schweizerischen Langsamverkehrsstatistik erarbeiten lassen, die den Langsamverkehr in einer mit dem MIV und dem ÖV vergleichbaren Weise erfassen würde.[4] Der Veloverkehr hat in den letzten Jahrzehnten langsam zugenommen, doch es gibt Anzeichen dafür, dass der Veloanteil am Langsamverkehr nun stagniert.[5] Vor allem die Zahl velofahrender Kinder und Jugendlicher hat in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen.[6] Für den Veloverkehr ist das verheerend, denn wer nicht als Kind Velo fahren lernt, wird später kaum noch damit beginnen.

Neue Bundespolitik

Der Bund hat die Bedeutung des Veloverkehrs erkannt. Er will ihn zusammen mit dem Fussverkehr im Interesse einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur als gleichwertige dritte Säule des Personenverkehrs neben MIV und ÖV etablieren.[7] Seine Unterstützung von Verkehrsinfrastrukturprojekten der Agglomerationen bis 2018 mit 6 Mrd. Franken aus der Mineralölsteuer gewährt er aufgrund von Agglomerationsprogrammen, die unter anderem konkrete Ziele und Fördermassnahmen für den Fuss- und Veloverkehr enthalten müssen.[8] Die Neuausrichtung der Bundespolitik dürfte Signalwirkung auf Kantone und Gemeinden haben. Studiert man die 30 vom Bund unterstützten Agglomerationsprogramme aus Sicht des Langsamverkehrs, zeigt sich ein insgesamt zufriedenstellendes Bild. 2011–18 sollen 618 Mio. Franken in Massnahmen zur Förderung des Langsamverkehrs investiert werden, ein guter Teil davon kommt dem Veloverkehr zugute, meist einer Vielzahl von einzelnen kleinen Verbesserungen. Hinzu kommen Veloparkings bei Bahnhöfen für über 50 Mio. Franken.[9] Die Gelder für 2011–14 sollen im Herbst 2009 freigegeben werden.

Lücken und Uneinheitlichkeit

Manche Gemeinde hat schon bisher viel Geld in Velowege gesteckt. Zürich beispielsweise richtet seit über 30 Jahren Velostreifen ein, wo es rasch und einfach möglich ist.[10] Es konnte so den Veloanteil zunächst verdreifachen, doch heute stagniert er bei tiefen 6 % der Wege.[11] Nun zeigt sich die Krux dieser pragmatischen Strategie: Lücken im Veloverkehrsnetz wirken überproportional abschreckend. Der Arbeits- oder Schulweg ist eben nur so sicher wie seine gefährlichste Stelle. Die pragmatische Strategie ist ausgeschöpft und muss von einer konsequenten Veloförderung abgelöst werden, die alle Lücken, Gefahrenstellen und Umwege im Veloroutennetz beseitigt.[12] Ist dies erreicht, wird ein Quantensprung im Modalsplit möglich; dann werden alle bisher investierten Gelder fruchtbar werden.

Ein Problem ist die Uneinheitlichkeit der Infrastruktur. Die Unterschiede zwischen den Kantonen und Gemeinden sind nicht nur gross, was die bisherige Veloförderung betrifft, sondern auch bei der Gestaltung im Detail. Eine Velotour durch die Schweiz entpuppt sich als abwechslungsreiches Kennenlernen von Dutzenden von möglichen Verkehrslösungen. Das Patchwork setzt sich im Ortsinnern fort. So beklagt etwa die IG Velo Zürich, dass auf der 1.6 km langen Fahrt zwischen Helvetiaplatz und Zentralbibliothek in Zürich das Verkehrsregime für Velos 13 Mal wechsle.[13] Neben einzelnen VSS-Normen besteht keine kohärente Sammlung von Vollzugshilfen zu Planung, Bau und Betrieb von Infrastrukturanlagen des Veloverkehrs. Veloverkehrsnetze mit Lücken bleiben Flickwerke, die weder Auto- noch potenzielle Velofahrende als Verkehrssystem erkennen können. Hier braucht es einheitliche Definitionen und eine nationale Normierung. Die Velokonferenz Schweiz und das Astra wollen deshalb gemeinsam eine Sammlung von Vollzugshilfen erarbeiten.[14] Noch fehlende VSS-Normen zu Knoten und Querungen müssen zügig erstellt werden.

Bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen ist der Kanton Bern Vorbild: Er schreibt im Richtplan Veloverkehr vor, dass bei Strassenprojekten 10–20 % der Mittel für den Langsamverkehr eingesetzt werden müssen, und unterstützt die Gemeinden bei den Kosten.[15]

Stärken fördern

Konsequente Velopolitik muss die Stärken des Velos fördern und seine Schwächen mildern: – Innerorts und im Flachen hat das Velo eine höhere Tür-zu-Tür-Geschwindigkeit als MIV und ÖV. Dieser Vorteil im Alltagsverkehr muss einerseits durch ein Netz von direkten, lückenlosen, schnellen und sicheren Velorouten gestärkt werden, bestehend aus Velostreifen auf allen Hauptachsen, die an Knoten nicht unterbrochen werden und keine Konfliktstellen mit Fussgängern aufweisen.[16] Andererseits braucht es genügend Kurzzeit- und gedeckte Langzeit-Abstellplätze möglichst nah am Eingang aller öffentlichen und privaten Gebäude und ÖV-Stationen. Die kantonalen Baugesetze müssten für alle Wohn- und Geschäftshäuser genügend Veloabstellplätze – oder noch besser: Veloräume im Erdgeschoss – festschreiben. 17 Auch in diesem Punkt liegt der Kanton Bern mit seiner Bauverordnung vorne. Gemeinsame Veloräume mit Aufenthaltsqualität als Werkstatt und Garderobe wären eine sinnvolle Nutzung für das Erdgeschoss städtischer Wohnhäuser.

– Der Velo-Freizeitverkehr hat ebenfalls noch Potenzial und kann neue Tourismusimpulse setzen. Er braucht ein zweites, interkommunales Netz, das vor allem sicher sein muss.– Die maximale individuelle Bewegungsfreiheit im Siedlungsgefüge ist eine grosse Stärke des Velos. Sie wird durch flächendeckende Velotauglichkeit aller Strassen und Wege gestützt. Hier bewegen sich auch langsamere, mehr auf Sicherheit bedachte Velofahrende. – Die Kosten liegen, inklusive regen- und wintertauglicher Kleidung, bei wenigen hundert Franken pro Jahr. Sie sinken noch, wenn gedeckte Abstellplätze das Velo vor der Witterung schützen. Die Vorteile des Velofahrens geniesst eher, wer sich ein Velo von hoher Qualität leistet. – Die physische Bewegung des Systems Mensch–Velo kann Freude vermitteln. Voraussetzung dazu ist gutes Beherrschen des Geräts. Kurse könnten die Fahrtechnik verbessern, den Spass fördern und die Hemmschwelle für Umsteigewillige senken.

...und Schwächen mildern

Die Schwächen des Velos müssen mit spezifischen Massnahmen gemildert werden: – Velofahren ist gefährlicher als Zufussgehen. Nach den Regeln des Astra eingerichtete Velowegnetze würden hier aber bereits einen beträchtlichen Fortschritt bringen. – Auf langen Strecken und bergauf ist das Velo langsam. Kommunale Behörden versprechen seit 30 Jahren Lösungen durch den intermodalen Kombiverkehr. Doch je voller Trams und Busse werden, umso unwahrscheinlicher wird dieser Weg (vgl. Artikel S. 28). Er funktioniert nur, wo ÖV-Kapazitäten unternutzt sind. In den Agglomerationen ist deshalb die Lösung für Strecken über 10 km Länge eher im Aufbau der «Bike & Rail»-Kultur zu suchen (vgl. Artikel S. 23). Hilfe am Berg verspricht hingegen der Velolift (vgl. Artikel S. 30). – Velofahrende sind dem Wetter ausgesetzt. Durch Fortschritte der Outdoor-Bekleidungsindustrie sind die Unannehmlichkeiten heute fast passé. Es gibt kein schlechtes Velowetter mit Ausnahme von Glatteis. Schneeräumung auf Velostreifen sollte allerdings Pflicht werden. – Das Velo ist kein Statussymbol wie das Auto. Das ist ein veritabler Knackpunkt und eine interessante PR-Aufgabe. Massnahmen, die das Velofahren umständlich machen oder die Hemmschwelle für potenzielle Umsteiger zusätzlich erhöhen, wie die vom Bundesrat in Betracht gezogene Helmtragpflicht, sind hinderlich.

– Velos können relativ leicht gestohlen werden. Mit einem Zusatz zur Hausratversicherung für Diebstahl auswärts lässt sich das Velo für eine einstellige Frankensumme pro Jahr zum Neuwert versichern. Es wäre einmal zu prüfen, ob dieser Zusatz in die obligatorische Velo- Haftpflichtversicherung integriert werden könnte, was die Kosten auf einige Rappen senken und diese Sorge aus der Welt schaffen dürfte.

Daneben existieren hartnäckige Vorurteile: Dass Velofahren anstrengend sei oder dass man im Winter friere. Dabei empfindet der Körper täglich erbrachte Leistungen nicht als anstrengend, und frieren tut, wer sich nicht bewegt, also ÖV-Benutzer beim Warten.

Veloförderung als Querschnittaufgabe

So wichtig bauliche Massnahmen auch weiterhin sein werden, sie reichen allein nicht mehr aus. Veloförderung darf nicht mehr die Aufgabe von isolierten und im Vergleich mit MIV und ÖV massiv unterdotierten Fachstellen sein, sondern muss zu einer Querschnittaufgabe werden, die in allen Ämtern, die mit Mobilität zu tun haben, den gleichen Stellenwert hat. Es braucht auch mehr Massnahmen in den Bereichen Evaluation und Monitoring, Politiksteuerung, Ausbildung, Öffentlichkeitsarbeit, Imageförderung und Akzeptanzsteigerung.

Investitionen in die Zukunft

Am wirksamsten ist Veloförderung bei den Kindern. Damit möglichst viele Velo fahren lernen, sind Tempo-30- und Begegnungszonen vor der Haustür nötig. Die Schule sollte Velofahren auf dem Schulweg ab dem Kindergartenalter aktiv fördern[19] und als Schulsport anbieten. Schliesslich ist die geniale Erfindung selber noch verbesserungsfähig. Mit vergleichsweise wenig Forschungsförderung wären spürbare Verbesserungen bei Gewicht, Mechanik, Unterhaltsbedarf, Licht, Zulademöglichkeit und nicht zuletzt beim Design zu erzielen.


Anmerkungen
[1] Astra (Bundesamt für Strassen): Effizienz von öffentlichen Investitionen in den Langsamverkehr. Bern 2003
[2] Netzwerk Langsamverkehr: Die Zukunft gehört dem Fussgänger- und Veloverkehr. Bericht A9 NFP 41, Bern 1999
[3] Astra: CO2-Potenzial des Langsamverkehrs. Bern 2005
[4] Astra: Konzept Langsamverkehrsstatistik. Bern 2005
[5] Macht der Veloboom Pause? Tiefbauamt der Stadt Zürich, Infoblätter Verkehrsplanung 1/2008
[6] Astra: Mobilität von Kindern und Jugendlichen. Materialien Langsamverkehr Nr. 115, Bern 2008
[7] Astra: Leitbild Langsamverkehr, Entwurf
[8] Astra: Der Langsamverkehr in den Agglomerationsprogrammen. Materialien Langsamverkehr Nr. 112
[9] ARE (Bundesamt für Raumentwicklung): Prüfberichte des Bundes zu den Agglomerationsprogrammen. Bern 2008
[10] Pete M. nssen: 30 Jahre Veloförderung in der Stadt Zürich, 1975 bis 2005. Hg. Stadt Zürich, Tiefbau- und Entsorgungsdepartement, Zürich 2006; Tiefbauamt der Stadt Zürich: Mobilitätsstrategien der Stadt Zürich, Teilstrategie Veloverkehr. Zürich 2004
[11] Tiefbauamt der Stadt Zürich: Mobilitätsstrategie der Stadt Zürich, Teilstrategie Veloverkehr, Standbericht 2007; Tiefbauamt der Stadt Zürich: Macht der Veloboom Pause? Infoblätter Verkehrsplanung 1/2008
[12] Tiefbauamt der Stadt Zürich: BYPAD, Audit der Velopolitik der Stadt Zürich, Audit-Bericht und Qualitätsplan. Zürich 2008
[13] IG Velo Zürich, Positionspapier Innenstadt
[14] Christof Bähler: Handbuch «Infrastruktur Veloverkehr» – Werkstattbericht, Vortrag (PDF unter www.velokonferenz.ch/referate)
15 Tiefbauamt des Kantons Bern: Kantonaler Richtplan Veloverkehr
16] Astra: Der Langsamverkehr in den Agglomerationsprogrammen, Materialien Langsamverkehr Nr. 112; Christof Bähler: «Veloführung» in: TEC21 19/2007, S. 19–22; Astra, Stadt Langenthal: Problemstellenkataster Langsamverkehr, Erfahrungsbericht am Beispiel Langenthal, Bern 2005; Schweizerische Velo-Konferenz, Schweizerischer Verkehrssicherheitsrat: Velos auf Trottoirs, Zürich und Bern 2005
[17] Astra: Veloparkierung: Empfehlungen zu Planung, Realisierung und Betrieb, Handbuch, Vollzugshilfe Langsamverkehr Nr. 7, Bern 2008
18] Astra: Planung von Velorouten, Handbuch, Vollzugshilfe Langsamverkehr Nr. 5
[19] Tiefbauamt der Stadt Zürich: BYPAD, Audit der Velopolitik der Stadt Zürich, Audit-Bericht und Qualitätsplan, Zürich 2008

TEC21, Do., 2009.02.12

12. Februar 2009 Ruedi Weidmann

Sinnvoll verknüpfen

Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs. Die Beispiele eines bewährten Velo-Vermietkonzepts und architektonisch anspruchsvoll gestaltete Velostationen an zwei Bahnhöfen mit unterschiedlichen Zielrichtungen zeigen, dass die Bausteine für eine sinnvolle Kombination der vorhandenen Verkehrsmittel bereits vorhanden sind. Das Netz muss geknüpft werden, um die jeweiligen Vorteile wirkungsvoll zu stärken. Das Velo zeigt auf langen Strecken Schwächen, der öffentliche Verkehr hingegen bei der Feinverteilung, bzw. ein feines Streckennetz ist sehr teuer. Beide haben allerdings das Potenzial, sich optimal zu ergänzen – vorausgesetzt die Schnittstellen sind gut. Velostationen, die je nach Bedarf für Weg- und Zupendler geeignet sowie der Grösse der ÖV-Station und der Struktur ihrer Umgebung angepasst sind, ermöglichen einen optimalen Übergang. Sinnvoll sind abgestufte Kategorien mit unterschiedlich umfangreichen Angeboten für den Landbahnhof, die mittlere Ortschaft, das dichte Zentrum und die Velotourismusdestination.

Drahtesel für jedes Dorf

Mitte der 1990er-Jahre entwickelte der damalige Münchner Informatikstudent Christian Hogl ein viel versprechendes innovatives Mietvelokonzept als Lösung für Zupendler. Mit seiner Call-a-bike AG begann er, mit einem eigens patentierten «Bordcomputer» als Zahlenschloss sowie einem telefonzellen- und handybasierten Mietkonzept das bisherige, mit Mängeln behaftete Mietveloprinzip zu revolutionieren. Im Frühjahr 2000 stellte die kleine Aktien gesellschaft in München 2000 Call-a-bikes an verschiedenen Plätzen und Strassenkreuzungen zur Benutzung bereit. Trotz 27 000 Kunden innerhalb von sechs Monaten, viel öffentlichem Lob und grossem Medienecho endete das Start-up bereits im November 2000 in der Insolvenz, da Zeit- und Kostenplanung ausser Kontrolle geraten waren. Im gleichen Jahr gründete die Deutsche Bahn ihr Tochterunternehmen DB Rent GmbH, um mit ergänzenden Vermietdienstleistungen das Kerngeschäft der Bahn zu erweitern. Die Bahntochter übernahm das Call-a-bike-Konzept mitsamt dem Inventar als einen willkommenen Baustein in ihrem Mobilitätsangebot. Im Oktober 2001 waren 1000 Call-a-bike-Velos wieder auf den Münchner Strassen. In den folgenden Jahren baute die Bahn die Idee kontinuierlich aus, sodass die Räder heute auch in Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart und Karlsruhe genutzt werden können. Call-a-bike hat sich in allen Städten binnen kurzer Zeit als flexibler Service, als Ergänzung zum eigenen Rad sowie zu Bussen und Bahnen etabliert. 2007 nutzen 75 000 Kunden (Einheimische und Touristen) die über 5000 Velos für etwa eine halbe Million Fahrten.

Für viele Menschen gehört es heute zum Lebensstil, flexibel mobil zu sein. Die Marktforschung zeigt, dass es drei Hauptgruppen von Call-a-bike-Nutzenden gibt. Während die «Umweltorientierten» das Angebot selbstverständlich nutzen, befriedigen der weitere Ausbau und die technische Integration von verschiedenen Mobilitätsdiensten eine jüngere, pragmatische Zielgruppe. Das grösste Wachstumspotenzial liegt jedoch in der Gruppe der «Autoaffinen». Die heutige Fixierung auf individuelle Automobilität verdeutlicht zugleich die Chancen für die Angebotsentwicklung des intermodalen Verkehrs. Wenn es gelingt, die Angebote so zu gestalten, dass alltägliche Fahrten statt mit dem eigenen Auto mit der ÖV-Velo-Kombination zurückgelegt werden, ist auch das Wachstum der Mietveloanbieter gesichert.[1]

In der Schweiz ist das Mietvelosystem bislang hauptsächlich auf eine touristische Nutzung ausgelegt. Dementsprechend sind Vermiet- und Rückgabestationen eher in Freizeitgebieten angesiedelt und sprechen die Alltagsnutzer nicht an. Mit der Mobility-Struktur für Mietautos steht allerdings bereits ein landesweites Netz zur Verfügung, das in Richtung nichtmotorisierter Verkehr geöffnet werden könnte. Eine angemessene Anzahl Mietvelos, die an jedem Bahnhof für Zupendler bereitstehen, erweitert den Bewegungsradius für Bahnreisende beträchtlich. Etliche Autofahrten können damit entfallen, auch wenn das Ziel etwas abseits der öffentlichen Anbindung liegt.

Ständer am Gleis 1

Die Erfolgsgeschichte der Veloparkierungen für Wegpendler am Bahnhof ist schon deutlich länger. Gedeckte, unbewachte Veloparkierungen in unmittelbarer Nähe zum Zug gehören seit Langem zum guten Bild der SBB-Bahnhöfe. 1994/95 sind in der Schweiz die ersten bewachten Abstellanlagen für Velos hinzugekommen. Da vielerorts die ehemaligen Güterschuppen der Bahn leer standen, wurden diese Räume in Aarau, Langenthal und Uster für eine witterungsgeschützte und diebstahlsichere Veloverwahrung umgenutzt.

Inzwischen hat das Kind bei den SBB den Namen «B Rail» bekommen und wird mit einem standardisierten Bausystem konsequent erweitert. 2005 wurde der Bedarf bei den 620 Regio nalbahnhöfen konstatiert, die bis 2016 modernisiert werden sollen. Er entspricht einem Angebot von gedeckten Abstellplätzen für rund 20 000 Velos. Auch in 60 Fernbahnhöfen besteht Handlungsbedarf, vornehmlich um bestehende Anlagen zu entlasten.[2] Das Veloparkhaus in Glattbrugg (Bilder 3–5) ist ein aktuelles Beispiel für das B Rail-Konzept.

Die Station Glattbrugg im Norden Zürichs wurde als Knotenpunkt zwischen der neuen Glatttal-Bahn und der S-Bahn ausgebaut. In direkter Verlängerung des Aufnahmegebäudes von Max Vogt (Baujahr 1976) haben die Architekten der asa Arbeitsgruppe für Siedlungsplanung und Architektur, Rapperswil, einen neuen Parkhaustrakt errichtet. Eine Überdachung verbindet beide Bauteile und schafft einen neuen Vorplatz, den ein integrierter Kiosk zusätzlich belebt. Mit einer abgerundeten Glasfassade schliesst der lang gestreckte Neubaukörper nach Süden ab und bildet einen glatten Gegenpol zum markant kubischen Vogt-Bau.

Das zweigeschossige Veloparkhaus bietet Abstellplätze und lässt sich bei wachsendem Bedarf auf die doppelte Kapazität erweitern. Über den gedeckten Vorplatz erreichen die Pendlerinnen und Pendler ihren Zug. Die Konstruktion basiert auf dem Baukastensystem der RV05-Stationen der SBB (TEC21 13 und 18/2003). Stützen und Träger aus HEB-Profilen bilden das Tragwerk, Dach und Zwischendecks bestehen aus Hohlkastenelementen. Die Aussteifung erfolgt über Windverbände und den massiven Ortbetonkern des Kiosks. Eine einfache Profilglas-Fassade bietet Witterungsschutz. Der Zugang erfolgt über ein Kartensystem – jeder Nutzer muss sich anmelden und bekommt gegen ein Depot eine Karte, die ihm den Zutritt rund um die Uhr ermöglicht.

Diese monofunktionale Lösung ist mittlerweile ein anerkannter Baustein in der Möbilitätswirklichkeit. Sie könnte nun vermehrt auch Ausgangspunkt für weiter gehende Konzepte werden, die einen umfassenderen Mobilitätsservice anstreben.

Velo-Power-Tower

Das «mobile» in Freiburg im Breisgau geht weit über das gewöhnliche Veloparkhaus hinaus und richtet sich mit seinen Angeboten nicht nur an die täglichen Zu- und Wegpendler, sondern auch an den Freizeit-Veloverkehr (Bilder 6–9). Die Stadt gehörte zu den ersten in Deutschland, die Velofahrenden in Bahnhofsnähe bewachte Abstellplätze boten. Hinzu kam 1999 das Modellprojekt «mobile» der ortsansässigen hotz architekten, eine in dieser Konzeption einmalige Mobilitätszentrale zur Stärkung des umweltverträglichen Verkehrs. Ziel der Einrichtung ist die Vernetzung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs mit anderen Mobilitätsformen wie Velofahren, Car-Sharing und Taxi als Einstieg in ein zukunftsfähiges Verkehrssystem.

Der auffällige Rundbau am Freiburger Bahnhof beherbergt neben Velostellplätzen einen Reparaturservice, ein Informationsbüro und ein Café und macht durch seine Präsenz im Stadtbild Werbung für alternative Verkehrsformen. Die Gestalt unterstreicht dabei die Funktion der Station als «Drehscheibe»: Die Plattformen sind von allen Seiten erreichbar – die Hauptzufahrt liegt auf Strassenniveau, eine zweite Zufahrt ist über eine Rampe von der Stadtbahnbrücke her möglich, die über die Bahngleise führt.

Der aufgeständerte, im Grundriss ringförmige Baukörper verfügt über zwei Ebenen, die als Stahlbetonkonstruktion errichtet wurden und einen offenen Innenhof umschliessen. Die Fassade besteht aus Holzelementen, Edelstahl- und durchsichtigen Polycarbonatbändern. Unter dem Gebäude befinden sich die Parkplätze der Car-Sharing-Autos. In der Ebene 1 liegt das Parkdeck für 1000 Velos. Zusätzlich können dort Fahrräder, auch mit Kindersitz oder Anhänger, Tandems oder Fahrradtransporttaschen und andere nützliche Dinge gemietet werden. In der oberen Etage des Gebäudes bieten mehrere Mieter verschiedene Dienstleistungen im Bereich Mobilität an. So hält das Büro des Regiotourismus Angebote für Touristen bereit, die das Dreiländereck Deutschland–Frankreich–Schweiz per Velo kennen lernen wollen. Von Plan- und Informationsmaterial für Erkundungen auf eigene Faust bis hin zu geführten Radtouren reicht das Angebot. Ein Velogeschäft, das auf Stadt-, Reise- und Falträder spezialisiert ist, versorgt Alltags- und Freizeitradler mit allem, was für ihre jeweiligen Zwecke notwendig ist. Die angegliederte Werkstatt verfügt über vier Reparaturplätze. Auf dieser Ebene befindet sich auch ein Gemeinschaftsraum, der angemietet werden kann. Ein Café bietet Rastenden Speisen und Getränke aus der Region. Während eilige Reisende am Kiosk einen schnellen Imbiss kaufen können, lädt die grosse Terrasse zum Verweilen ein und bietet einen schönen Blick über die Gleisanlagen auf die Stadt und den Freiburger Hausberg Schauinsland. Seit August 2007 ist der Verein Car-Sharing Südbaden-Freiburg Gesellschafter und Betreiber des «mobile». Seine Erfahrungen sind gut.

Das Konzept würde auch in die Schweiz passen. Solche multifunktionalen Velodrehscheiben könnten in den Agglomerationskernen die dichten ÖV-Netze mit dem Veloverkehr verbinden und in Orten, die sich als Zentren für Velotourismus etablieren wollen, als Ausgangsbasis für Touren dienen. Sie liessen sich kommerziell betreiben und könnten je nach Standort mit zusätzlichen Angeboten erweitert werden. Bewachte Velostationen brauchen lange Präsenzzeiten vom ersten bis zum letzten Zug und damit viel Personal.

Es drängt sich daher auf, nach neuen Synergien zu suchen: In den Niederlanden werden bereits Billett- und Gepäckschalter in Veloparkhäuser verlagert. In den Schweizer Bahnhöfen Burgdorf, Langnau i.E. und Trubschachen bietet der Betreiber der Velostationen, die Pro Velo Emmental, in Zusammenarbeit mit der Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle einen Hauslieferdienst an. Monatlich werden etwa 2500 Einkäufe von rund 50 angeschlossenen Geschäften per Velo zu den Kunden nach Hause geliefert.3 So könnten Velostationen am Ende retten, was an den Bahnhöfen in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Die multifunktionale Velostation steht unmittelbar am Bahnhof und ist mit einer eigenständigen Gestaltung und gutem Wiedererkennungswert ein Statement der Gemeinde für den nachhaltigen Veloverkehr.


Anmerkungen
[1] Andreas Stolberg, Christian Hoff mann: Forschungsbericht «Call a Bike», im Auftrag von Wissenschaft szentrum Berlin für Sozialforschung gGmbh (WZB) und DB-Rent GmbH, Marburg/ Berlin 2005, www.wzb.eu/callabike/
[2] Markus Dössegger: Nationale Fachtagung Veloparkierung, Bern 2005
[3] Boom bei den Velostationen, Verkehrs-Informationen, Ausgabe 10 vom 30.12.2008, Informationsdienst für den öff entlichen Verkehr, Bern

TEC21, Do., 2009.02.12

12. Februar 2009 Alexander Felix

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