Editorial

«The ghost story is indeed virtually the architectural genre par excellence, wedded as it is to rooms and buildings ineradicably stained with the memory of gruesome events, material structures in which the past literally ‹weighs like a nightmare on the brain of the living›. [...] urban renewal seems everywhere in the process of sanitizing the ancient corridors and bedrooms to which alone a ghost might cling.»[1]

Wenn Kosmologen von Geistern reden, meinen sie Weltmodelle, die physikalisch absurde Dinge prognostizieren. Doch gäbe es ohne die Wissenschaften keine Science-Fiction.[2] Umgekehrt schliesst sich der Kreis zur Fiktion, zur Zeitmaschine von H.G. Wells, wenn Virtual-Reality-Technologie künftige Bauprozesse virtuell vorwegnehmen, sie abbilden, kontrollieren und optimieren kann («Virtuelle Welten»). Rückkoppelung ist auch das Thema der Medientechniker, die in der Oper «Der Jude von Malta» die Vision eines Cyberstaates «verwirklichten», indem sie den Protagonisten mittels Interaktivität zu einem «wandelnden Knoten»[3] machten («Von Geisterhand bewegt»).

1984 erweiterte Philip Johnson sein «gebautes Tagebuch», das 1949 mit dem Glass House seinen Anfang genommen hatte, um das «Ghost House» – einen Maschendrahtverhau über einem Lilienbeet. Das Stahlgerüst evozierte die Urhütte, Frank Gehry widmete Johnson die Maschendrahthülle, und das Lilienbeet mag man als Anspielung auf ein Grab deuten. Die Geister der Menschen, die einst ein vernachlässigtes Viertel in San Francisco bewohnten, beschwor die Performance «Ghost Architecture» herauf, indem ihre zerstörten Wohnungen «nachgebildet» wurden («Geister beschwört»).

2007 gewannen InsiteEnvironments den Wettbewerb für die Aufwertung eines ehemaligen Industrieareals in Sheffield, das von zwei Kühltürmen geprägt wird, die abgerissen werden sollen. InsiteEnvironments möchten die hyperbolischen Konturen der Türme mit einer Stahlgitternetzskulptur nachzeichnen, um das industrielle Erbe Sheffields zu versinnbildlichen. Auf ähnliche Weise wollen Anne Niemann und Johannes Ingrisch eine Kirche, die in der Nordsee versank, verkörperlichen («Versunkene Kirche»).
«The ghost story is indeed virtually the architectural genre par excellence.» Isn’t it?
Rahel Hartmann Schweizer

Anmerkungen
[1] Frederic Jameson, The Brick and the Balloon, S. 187, in: ders., The Cultural Turn – Selected Writing on the Postmodern, 1983–1998. Verso, London/New York, 1998
[2] Michio Kaku: Die Physik des Unmöglichen: Beamer, Phaser, Zeitmaschinen. Rowohlt, 2008, S. 11
[3] Ders., Zukunft svisionen. Wie die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts unser Leben revolutionieren wird. Knaur, München, 1998. Kaku beschreibt die Vision von Menschen als wandelnden Knoten in einem weltweiten und allgemein zugänglichen Internet.

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Grossratssaal Basel

13 MAGAZIN
Bogen über dem Canale Grande

18 VERSUNKENE KIRCHE
Clementine van Rooden
Die vor gut 200 Jahren im Meer versunkene Kirche in Walton (GB) soll wiederaufgebaut werden – als symbolisches Kunstwerk aus 41 Edelstahlrohren.

22 VIRTUELLE WELTEN
Doris Agotai
Von «Raumschiff Orion» bis zu «Matrix»: Science-Fiction-Szenarios waren stets Projektionsfläche wilder Allmachtsfantasien. Heute steht der Begriff «Virtual Reality» auch für eine Technologie, die zukünftige Bauprozesse virtuell vorwegnehmen
kann.

26 GEISTER BESCHWÖRT
Rahel Hartmann Schweizer
Das Zaccho Dance Theatre in San Francisco hat in der Performance «Ghost Architecture» mit einer Assemblage aus Architekturelementen die Räume evoziert, die einst Biografien bargen, die über 1000 Jahre umfassten.

30 VON GEISTERHAND BEWEGT
Rahel Hartmann Schweizer
Für die Oper «Der Jude von Malta» schufen die Medientechniker mit Infrarotkameras, Leinwänden und Projektoren eine virtuelle Bühnenarchitektur und vernetzten den Protagonisten so mit ihr, dass er sie dirigieren konnte.

34 SIA
Geschäftslage im 3. Quartal 2008 | Präsidentenkonferenz | «L’architecture du cinéma»

39 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Versunkene Kirche

Die East of England Development Agency[1] schrieb 2003 den internationalen Ideenwettbewerb «Landmark East» aus. Neue Sehenswürdigkeiten sollten auf sich und die Region aufmerksam machen und die Attraktivität von Ostengland als Touristenregion steigern. Anne Niemann und Johannes Ingrisch wollen eine versunkene Kirche wiederaufbauen. Das Schweizer Bauingenieurbüro Staubli, Kurath & Partner unterstützt das deutsche Architektenteam dabei. Die Küste von Ostengland ist stark von Erosion betroffen. Jedes Jahr geht ein bis zu 3 m breiter Küstenstreifen aus sandigen Klippen und Stränden an die Nordsee verloren – mit ihm auch ganze Dörfer. So ist die mittelalterliche Stadt Walton-on-the-Naze an der Küste der Grafschaft Essex – wie zum Beispiel auch die alte Königsstadt Dunwich, Easton Bavents oder Old Felixstowe – über die Jahrhunderte teilweise im Meer versunken. 1789 versank die All-Saints-Kirche von Walton, und werden keine schützenden Massnahmen gegen die Küstenerosion getroffen, wird in den nächsten 50 Jahren auch der 1720 erbaute, unter Denkmalschutz stehende Leuchtturm Naze Tower ins Meer stürzen.

Attraktives Symbol für notwendigen Küstenschutz

Mit ihrem attraktiven Vorschlag «Lost Town» – eines der vier Siegerprojekte, die nun realisiert werden sollen – wollen die deutschen Architekten Anne Niemann und Johannes Ingrisch an die versunkenen Städte Ostenglands erinnern und auf den notwendigen Küstenschutz auf - merksam machen. Als symbolisches Kunstwerk, das zeigt, was Naturgewalt bewirken kann, soll die All-Saints-Kirche in Originalgrösse am ursprünglichen Standort wiederaufgebaut werden. 800 m von der Küste entfernt (Bild 1) sollen 41 vertikal aus dem Meer ragende Rohre die Kirche formen. Die Aussenhaut der Stelen wollen die Architekten in poliertem Edelstahl ausführen; darin würden Licht und Farben an den Oberflächen reflektiert. Gemäss den Architekten soll die Skulptur so je nach Lichtstimmung ihr Erscheinungsbild verändern, und Sonne, Himmel und Meer sollen Teil des Kunstwerks werden (Bild 3). Die Bauingenieure des Schweizer Ingenieurbüros Staubli, Kurath & Partner planen grundsätzlich die Stelen als edelstahlummantelte Betonsäulen. Mit ihrem runden Querschnitt böten sie geringe Angriffsfläche für Meerwasser und Wellen; in Edelstahl mit entsprechender Qualität geliefert, wären sie korrosionsbeständig und hielten der salzhaltigen Umgebung stand. Das Variantenstudium für die tragenden Säulen ergab zwei Konstruktionen, die die aussergewöhnlichen Einwirkungen[2] am besten aufnähmen und wesentlich günstiger wären als Volledelstahlrohre, wie sie im Wettbewerb vorgesehen waren: armierte Ortbetonsäulen mit GFK-Hülle als Schalung für den Stahlbetonpfahl und als Korrosionsschutz (Bild 6) oder vorfabrizierte, stahl- oder kohlefaserarmierte Spannbetonmasten (Bild 7). Welche Variante realisiert würde, hängt vom ausführenden Unternehmen ab, da die Ausführungsweise für Konstruktionsdetails bei Wasserbauten sehr entscheidend ist; sie werden entsprechend erst bei Vergabe konkretisiert.

Die Edelstahlummantelung muss von der Stahlarmierung getrennt werden. In der ersten Variante erfolgt dies bei der Säule mit einer GFK-Hülle, die auch bei gerissenem Beton Kriechströme zwischen Armierung und Edelstahlhülle verhindert. Für die zweite Variante setzen die Ingenieure Kohlefaserarmierung ein. Der Zwischenraum soll mit Fliessmörtel ausinjiziert werden. Da dadurch aber unkontrollierte Hohlräume entstehen können und allenfalls Salzwasser in das Fundament eindringen kann, wird auch diese Ausführung erst nach Ausführungsvergabe definitiv festgelegt. Die Trennung des in das Fundament eingebundenen Edelstahlrohrs von der Fundamentarmierung erfolgt mit einer ausreichenden Überdeckung beziehungsweise Distanzhalterung (bis 20 cm notwendig).

Gesiterhaftes wird konkret

Die Stahlrohrskulptur soll in einer Schiffswerft an der Küste hergestellt werden. Gründe für die Vorfabrikation liegen in der erhöhten Genauigkeit, der verbesserten Kontrollierbarkeit und den geringeren Kosten. Aus 1.20 m hohen Blechträgern wollen die Ingenieure einen Trägerrost von etwa 8.5 × 24.5 m und einem Raster von 2.7 m konstruieren (Bild 4). Auf jedem Knoten sehen sie jeweils ein aufgeschweisstes Rohr vor. Die als grosse «Stahlbürste» erscheinende Konstruktion würde nach der mehrwöchigen Montage bei ruhiger See an ihren vorgesehenen Standort geschifft. Dazu sind Pontons oder Krane notwendig, die, je nach Stelenkonstruktion und allfälliger Trennung der Gesamtkonstruktion in Teilstücke, 300 bis maximal 1000 t Tragkraft aufbringen müssten.

Wegschwimmen verhindern

Parallel zu den Arbeiten in der Werft soll das Fundament der Kirche vorbereitet werden. Um es in dieser aussergewöhnlichen Lage erstellen zu können, müsste vorerst der Arbeitsbereich im Meer eingespundet werden. Geplant ist eine 31 × 14.5 m grosse Baugrube, gebildet aus eingerammten Spundwänden (PU18). (Bilder 4 und 5) Ausgesteift mit Longarinen (HEB 500), würden diese im Inneren für eine ruhige Wasseroberfläche sorgen und damit die Arbeit erheblich erleichtern, denn sämtliche Arbeiten vor Ort müssten unter Wasser ausgeführt werden. In einer zweiten Phase sollen von einem Kranschiff aus 20 provisorische Holzpfähle (Durchmesser 40 cm) in den Seegrund gerammt werden. Die Einbindetiefe wird durch Messen des Eindringwiderstandes oder anhand von Proberammungen definiert. Anschliessend soll der Seegrund mit einem Saugbagger einen Meter tief ausgebaggert werden. Auf den danach etwa 40 cm über den Seegrund ragenden Holzpfahlspitzen würde die angeschiffte «Stahlbürste» versetzt und ausgerichtet. Der gesamte Trägerrost – der Fuss der Kirchenskulptur – soll dann unter Wasser einbetoniert werden, wobei die Spundwände in dieser Phase als verlorene Stirnschalungen dienen. Abschliessend würden sie über Oberkante Fundamentplatte abgetrennt – sie dienen dann als Abrasionsschutz und als Schutz vor Unterkolkung.

«Lost Town» soll bis 2012 erstellt werden – die Planer wollen Englands Medienpräsenz infolge der Olympischen Spiele nutzen. Die Finanzierung ist jedoch noch nicht gesichert. Da die regionale Entwicklungsbehörde (EEDA1) nur die Hälfte der Gesamtkosten von etwa 3.2 Mio. Pfund (6.4 Mio. CHF) übernimmt, muss das Projektteam die restlichen Gelder selber auftreiben – erste Gespräche mit möglichen Sponsoren und die Bewerbung um öffentliche[3] und EU-Gelder erfolgten bereits. Sobald diese bewilligt sind – voraussichtlich im Januar 2009 –, wird als nächster Schritt die Baugenehmigung beantragt. Dafür sind Umweltstudien und zusätzliche statische Berechnungen notwendig.

Anmerkungen
[1] EEDA ist die verantwortliche Behörde für regionale Entwicklung von Ostengland (Befordshire, Cambridgeshire, Essex, Hertfordshire, Norfolk und Suffolk).
[2] Wellenhöhen bis über 5 m mit Wasserströmungen mindestens kurzfristig, aber laufend wiederkehrend von 5 m/s bis 15 m/s; Hochwasser in Schweizer Flüssen erzeugen Strömungen von 3 m/s bis max. ca. 5 m/s.
[3]In diesem Fall das Förderprogramm «sea change», das Kunst in Küstenorten fördert

TEC21, Mo., 2008.11.17

17. November 2008 Clementine Hegner-van Rooden

Virtuelle Welten

Von «Raumschiff Orion» bis zu «Matrix»: Science-Fiction-Szenarios waren stets Projektionsfläche wilder Allmachtsfantasien in computergesteuerten Parallelwelten. Heute steht der Begriff «Virtual Reality» auch für eine Technologie, die der Architektur neuartige Erfahrungsräume eröff net – bis sich der Kreis zur Fiktion schliesst: Die virtuelle Vorwegnahme zukünft iger Bauprozesse wird zumindest einen Teil des Wunsches einlösen, Reisen in der vierten Dimension, in die Zukunft , zu unternehmen.

Um Verwechslungen vorzubeugen: Die Technologie «Virtual Reality», auch VR genannt, unterscheidet sich von der Vorstellung einer virtuellen Realität, die sich auf Cyberspaces, digitale Plattformen wie «Second Life» oder das Internet schlechthin bezieht. Der Wandel zur telematischen Gesellschaft geht auch hier – wie bei vielen Veränderungen – mit existenziellen Ängsten einher und wird in der Theorie kontrovers diskutiert[1]: In «Das perfekte Verbrechen» verheisst der französische Philosoph Jean Baudrillard das spurlose Verschwinden der Realität.[2] Bei seinem Kollegen Paul Virilio weicht der gebaute Raum im Zuge der digitalen Entwicklung einer raum-zeitlichen Topologie und führt zur Auflösung des Raums.[3] Etwas nüchterner betrachtet die Professorin für Philosophie am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin Sybille Krämer diesen Wandel und fragt vielmehr, welche Veränderungen die Virtualisierung auf die Bildung neuer Wirklichkeitsvorstellungen hat. Sie stellt dar, wie computergestützte Medien zu neuartigen Phänomenen führen und unsere Modalitäten des Denkens, Wahrnehmens, Erfahrens, Erinnerns und Kommunizierens prägen.

Illusion und Immersion

Während sich in der computertechnologischen Entwicklung die Arbeitssituation von Bildschirm, Tastatur und Maus etabliert hat, läuft seit den 1950er-Jahren die Forschung an anderen Interfaces und Interaktionsformen. Die Multi-Touch-Oberfläche des iPhone ist ein Resultat davon, ebenso biometrische Kontrollmedien, Ubiquitous Computing (Allgegenwärtigkeit rechnergestützter Informationsverarbeitung) oder eben VR. Ivan Sutherland war der erste, der mit der Entwicklung eines «Head Mounted Display» (1968) immersive[4] Erfahrungsräume durch dreidimensionale Computerdaten schuf.

Die Möglichkeit, sich durch virtuelle Räume bewegen zu können, steht ideengeschichtlich in der Tradition der Illusionsmedien. So kann VR nicht unabhängig als neues Medium betrachtet werden, sondern steht im Kontext ästhetischer Entgrenzungsstrategien wie perspektivisch überhöhter Fresken in der Renaissance oder Deckenpanoramen in Barockkirchen, des Panoramas und der Erfindung des Stereoskops im 19. Jahrhundert oder des 3-D-Kinos (Bilder 2, 3, 6). Idee dieser Konzepte war dabei immer die spielerisch-bewusste Hingabe an eine Scheinwelt, der Genuss einer Illusion, das Verwischen der Betrachtergrenze zum Bildraum bis hin zur Domestizierung der Sinne und zur Überwältigung der Realitätswahrnehmung. [5] Daraus ergibt sich unweigerlich die Frage, welchen Stellenwert VR als Entwurfs- und Darstellungstechnik für die Architektur einnehmen kann, zumal die Verlockung gross ist, Raumideen virtuell durchschreiten zu können.

Krisen- und Innovationsphasen der VR-Technologie

Für die Gestaltung oder Präsentation von Architektur bietet die VR-Technologie eine intuitive und emotional eindrückliche Alternative gegenüber Computeranimationen am Bildschirm – im Gegensatz zur zweidimensionalen Raumdarstellung und der Navigation mit Tastatur und Maus lässt VR den Betrachter in den dreidimensionalen Raum eintauchen: Die stereoskopische Bildtechnik simuliert eine tiefenräumliche Erfahrung (Bild 7). Die Interaktion erfolgt über die Eigenbewegung des Betrachters. Je nachdem, wie man den Kopf wendet und sich im virtuellen Raum umblickt, wird in Echtzeit die entsprechende Perspektive errechnet und gerendert. Der Betrachter wähnt sich statt in einem virtuellen in einem realen Raum – bis hin zur Höhenangst. Über zusätzliche Eingabegeräte kann die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit gesteuert oder nach virtuellen Objekten gegriffen werden.[6] Verlief die Interaktion in den Anfängen der VR-Technologie zunächst über Datenhelme und -handschuhe, wurden in den 1990er-Jahren vermehrt Projektionsräume konzipiert, die dem Betrachter mehr Freiheit liessen. Intuitiv, das heisst wie in der echten Welt, konnte sich der Betrachter nun durch simulierte Räume bewegen. Der zentrale Gedanke dieser Erfindungen war, dass sich nicht der Mensch den Gegebenheiten von Maschinen anpasst, sondern die Technologie Simulationsmodelle zur Verfügung stellt, welche auf die Wahrnehmungsdisposition des Menschen eingehen und die äussere Welt spiegeln. Führten VR-Studios mit gewölbten Grossbildleinwänden oder CAVEs[7] in den 1990er-Jahren zu einem eigentlichen Hype, schlitterte die Technologie in den darauffolgenden Jahren in eine Krise: Die damals gebauten vollimmersiven Umgebungen schotteten den Nutzer zu stark von seiner realen Umgebung ab, erfüllten von der Rechnerleistung her nicht die Ansprüche an eine fotorealistische Bildqualität und schränkten durch die hohen Einstiegskosten das Anwendungsspektrum stark ein.[8]

Perspektiven: Simulation und ERkenntnisgewinn

Mittlerweile haben sich VR-Anwendungen in der Automobilindustrie, in der Medizinaltechnik oder bei Flugsimulatoren längst etabliert. Die Prozessoren sind schneller und günstiger geworden – Entwicklungen aus der Game-Industrie wie die Nintendo-Wii-Konsole, die VRKomponenten integriert, kündigen eine neue Innovationsphase an.

Es ist eine Frage der Zeit, bis sich virtuelle Umgebungen auch in der Architektur und im Baubereich festigen werden. So wird die mediale Aufbereitung von Bau- und Planungsprojekten für Investoren, in Informationspavillons oder in der Immobilienbranche selbst Laien einen Raumeindruck vermitteln und Planungsideen besser kommunizieren können.[9] Das Medium eignet sich damit zur Visualisierung und Simulationstechnik (Bilder 4, 5). Zu den Möglichkeiten der Darstellungstechnik treten jedoch vermehrt Fragen zum Erkenntnisgewinn und zur Prognostik[10] – etwa wie das Medium zur Erkennung von vergleichbaren Strukturen oder Verhaltensmustern eingesetzt und so für die Bauprozessgestaltung genutzt werden kann (Bild 8).[11] Hier schliesst sich der Kreis zur Fiktion, zur Zeitmaschine von H.G. Wells: Die Abbildung und damit Kontrolle, Fehlererkennung und Optimierung zukünftiger Bauprozesse kann virtuell vorweggenommen werden – und löst zumindest einen Teil des Wunsches ein, Reisen in der vierten Dimension, in die Zukunft, zu unternehmen.

Anmerkungen/Literatur
[1] Vgl. Döring, Jörg und Thielemann, Tristan (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008; Krämer, Sybille (Hg.): Medien – Computer – Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt a.M. 1990; Maresch, Rudolf und Werber, Niels (Hg.): Raum – Wissen – Macht. Frankfurt a.M., 2002; Wiesing, Lambert: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt a.M., 2005
[2] Baudrillard, Jean: Das perfekte Verbrechen. München, 1996, S.11–21
[3] Virilio, Paul (1984), Die Auflösung des Stadtbilds, in: Dünne, Jörg (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M., 2006, S.261–273
[4] Der Begriff der filmischen Immersion meint das Eintauchen in eine künstliche Welt durch Auflösung der räumlichen Grenzen, die noch Theater und Oper bestimmten; er geht auf einen Text von Béla Balázs aus dem Jahr 1938 zurück und bezeichnete dort den Eingang, also die Tür in einen anderen Raum. Im Gegensatz dazu steht die Metapher des Fensters in den anderen Bildmedien; durch das Fenster kann man zwar in einen anderen Raum hineinschauen, ihn jedoch nicht betreten. Béla Balázs, Zur Kunstphilosophie des Films (1938); in: Albersmeier, F.-J. (Hg.): Theorie des Films. Reclam, Stuttgart, 1995, 204–226, hier S.215
[5] Vgl. Grau, Oliver: Virtual Art. From Illusion to Immersion: Cambridge Mass., 2003
[6] Vgl. Craig, Allan und Sherman, William: Understanding Virtual Reality. Interface, Application and Design. San Francisco (California), 2003; Burdea, Grigore und Coiffet, Philippe: Virtual Reality Technology. Hoboken (New Jersey), 2003
[7] «CAVE’s» (Cave Automatic Virtual Environments) sind geschlossene Illusionsräume, die meist aus sechs Projektionswänden bestehen
[8] Vgl. Hellige, Hans Dieter (Hg.): Mensch-Computer-Interface. Zur Geschichte und Zukunft der Computerbedienung. Bielefeld, 2008, S.59–62
[9] Doulis, Mario; Agotai, Doris; Wyss, Hans Peter (2008), Spatial Interface. Wahrnehmungsfelder und Gestaltungsansätze im virtuellen Raum, in: Virtuelle Welten als Basistechnologie für Kunst und Kultur, in Vorbereitung
[10] Vgl. Gleiniger, Andrea und Vrachliotis, Georg (Hg.): Simulation. Präsentationstechnik und Erkenntnisinstrument, Basel, 2008; Egloff , Rainer, Folkers, Gerd und Michel, Matthias (Hg.): Archäologie der Zukunft . Zürich, 2007
[11] Am Institut für 4-D-Technologien der FHNW werden mit Unterstützung von VR-Technologien Bauprozessoptimierungen für den Aus- und Umbau von Stationsbauten der SBB entwickelt. In einer virtuellen Umgebung kann dabei der gesamte Bauprozess entlang der zeitlichen Entwicklung simuliert und modifi ziert werden. Vgl. dazu: Doulis, Mario u.a. (2007), 4DIVE – A 4D Interface for the Visualization of Construction Processes in a Virtual Environment. Proceedings of CONVR 2007, University Park PA, S.28–39

TEC21, Mo., 2008.11.17

17. November 2008 Doris Agotai

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