Editorial

Editorial

Keinen Schwerpunkt sondern eine Samplerausgabe mit einer großen Bandbreite an Texten geschrieben von sehr prominenten ebenso wie in der Öffentlichkeit völlig unbekannten AutorInnen bietet dérive 33. Das Heft beginnt mit einem Artikel von Reinhard Jakits über Armut und informelle Ökonomien in Quito, der Hauptstadt von Ecuador,. auf den ein Text von Richard Sennett inkl. eines Kommentars von Manfred Russo folgt. Darin beschäftigt sich Sennett mit den Auswirkungen des globalen Kapitalismus auf die Arbeitswelt im Allgemeinen und dem ständig schrumpfenden Zugehörigkeitsgefühl von MitarbeiterInnen von New Economy-Betrieben im Besonderen. Das Thema Arbeit Leben ist auch das Schwerpunktthema der nächsten Ausgabe von dérive, die Ende des Jahres erscheint.

Pamela Bartar hat für dérive Martí Peran, den Leiter des Projekts Post-It City. Occasional urbanities und Kurator einer gleichnamigen Ausstellung in Barcelona, interviewt und ihn um eine Zwischenbilanz der dreijährigen Forschungstätigkeit seines Teams gebeten. Die Soziologin und Kunsthistorikerin Pelin Tan schreibt in ihrem Beitrag über die Vertreibungspolitik von Bauträgern in Kooperation mit der städtischen Verwaltung in unterschiedlichen Istanbuler Vierteln und die Möglichkeiten und Strategien dagegen erfolgreich Widerstand zu leisten. Einem völlig anderen Thema widmet sich Daniel Kalt: Er stellt sich in seinem Beitrag die Frage, wie der Zusammenhang zwischen Pavillons und dem Themenkomplex Kunst im öffentlichen Raum gedacht werden kann und präsentiert zu diesem Zweck einige ausgewählte Beispiele. Den schönen Titel Hochschullehre zwischen Dada, Dérive und Didaktik haben Ulrich Berding und Florian Kluge ihrem Artikel gegeben, der das Thema anhand eines konkreten Beispiels an der RWTH Aachen diskutiert. Hilary Tsui stellt ihr Projekt Urban Imaginary Series: Cities of Desire vor, das zurzeit in der Galerie der IG Bildende Kunst in Wien zu sehen ist. Damit will sie auf Kunstpraxen hinweisen, die sich nicht den inflationären und hegemonialen top-down place-making -Strategien unter- oder einordnen, sondern diese kritisieren. Es folgen drei weitere Projektvorstellungen: Die erste beschäftigt sich mit den Möglichkeiten Stadtteile so zu gestalten, dass ein selbstbestimmtes Altern unterstützt wird. Die zweite zeigt anhand eines Projekts im Rahmen von Stadt 2030 in Pliensauvorstadt (Essen), „welche Probleme, aber auch welche Lösungsmöglichkeiten es in Bezug auf eine gleichberechtigte, öffentliche Partizipation“ geben kann. Die dritte ist schließlich dem in der Brainstormingphase befindlichen Stadtteil Graz Reininghaus gewidmet. Den Abschluss dieses Heftteils schließlich bildet der Vorabdruck eines Auszugs aus der Neuauflage und -übersetzung von J.G. Ballards Roman Liebe und Napalm.

Kritische Reaktionen gab es auf die Besprechung des Buches Besetze deine Stadt in der letzten Ausgabe von dérive. Die Herausgeber sahen sich bestenfalls missinterpretiert, Leser, die das Buch bereits kannten und als Vorbereitung für einen Kopenhagen-Aufenthalt genutzt hatten, fanden im Gegensatz zum Rezensenten nur lobende Worte für den Band. Ich hoffe, dass sich durch die Besprechung in dérive niemand von der Lektüre hat abschrecken lassen und zitiere aus Andreas Rumpfhubers Rezension: „Deshalb gilt wie immer: Selbst lesen.“ Ein paar Exemplare des Buches gibt es noch als Geschenk für LeserInnen, die dérive jetzt für zwei Jahre abonnieren.
Christoph Laimer

Inhalt

Inhalt

Editorial
Christoph Laimer

Schwerpunkt Sampler: Armut und Informalitaet im staedtischen Grossraum von Quito
Reinhard Jakits

Identitaet und Kultur des Neuen Kapitalismus
Richard Sennett (mit einem Kommentar von Manfred Russo)

Stadtplanungen in der Post-It City
Marti Peran, Pamela Bartar

Flatterhafte Experimente: Pavillonprojekte als Hybride zwischen innovativer Architektur und Kunst im oeffentlichen Raum
Daniel Kalt

Der Weg ist das Ziel – Hochschullehre zwischen Dada, Derive und Didaktik
Ulrich Berding, Florian Kluge

Art Interventions as Alternative Place-Making
Hilary Tsui

Im Stadtteil altern
Efa Doringer, Johannes Porsch, Heinrich Hoffer

Pliensauvorstadt revisited
Maren Harnack

Ein Stadtteil in privater Hand
Andre Krammer

Im Keller
Peter Payer

Die Gefahrenzone
James Ballard

Urban Transformation in Istanbul
Pelin Tan

Serie

Geschichte der Urbanität (Teil 24) – Moderne 1
Manfred Russo

Kunstinsert

Father’s Perspective – Monument of Confidence
Guelsuen Karamustafa

Besprechungen

Die Kunst der Unabhaengigkeit
Christa Kamleithner
Pamphlet fuer die lebenswerte Stadt
Christoph Laimer
Das Labor europaeischer Modernefantasien
Elke Krasny
Der Bahnhof und die Hunnen
Iris Meder
Der Beginn von „temporaer“ ist lange her
Peter Schmidt
Subjektpositionen im Kontext kultureller Konfliktzonen
Paul Rajakovics
Moderner Mensch, globale Polis
Iris Meder

Erlesene Architektur

Thomas Ballhausen
Enzyklopaedische Gegend
Iris Meder
Zuerich im froehlichen Ausnahmezustand
Gregor Harbusch
Darstellung, Kommunikation, Motivierung
Susanne Karr
Eine Entdeckungs- und Beobachtungsreise durch Linz
Peter Schmidt

Stadtplanungen in der Post-It City

(SUBTITLE) Von Barcelona bis Valparaiso oder Wien

Die Ausstellung „Post-It City. Occasional urbanities“, die dieses Frühjahr im CCCB in Barcelona zu sehen war, präsentierte nach drei Jahren Forschungsarbeit des weitverzweigten „Post-it City-Netzwerks“ über die temporäre Nutzung von öffentlichem Stadtraum und den Stadtraum als Konfliktraum eine Zwischenbilanz. Pamela Bartar, Teilnehmerin dieses City Networks, führte zur Eröffnung der Ausstellung folgendes Interview mit dem Kurator der Ausstellung und Leiter des Forschungsprojekts Martí Peran.

dérive: Martí Peran, als Kurator entwickelten Sie das Forschungs-, Ausstellungs- und Publikationsprojekt gemeinsam mit TeilnehmerInnen aus Architektur, Stadtentwicklung, Stadtforschung, Geografie, Anthropologie und Kunst in Latein- und Nordamerika, Asien und Europa. Entsprechend diesem heterogenen Profil fanden unterschiedliche Fragen und Subdiskurse einen reflexiven Raum, der nun in der Ausstellung im CCCB in Barcelona präsentiert wird. In der Pressekonferenz fiel der Begriff „Innovation“ – nach meinem Verständnis allerdings in einer anderen Bedeutung und Dimensionierung als zum Beispiel der von Joseph Schumpeter häufig zitierte Begriff.

Martí Peran: Ich beginne mit dem Hintergrund des Projekts Post-it City. Es ging um den Versuch das Phänomen in seinem mehrpoligen Spektrum darzustellen. Post-it kann als Mittel des Subjekts verstanden werden, den städtischen Spielplatz zu nutzen und sich Räume anzueignen. Zusammengefasst fokussierte das Forschungsprojekt auf die temporäre Nutzung von öffentlichem Stadtraum in verschiedenen Kulturzusammenhängen. Das können sexuelle, kommerzielle und Freizeit-Aktivitäten sein. Post-it ist also eine urbane Praxis, die auftaucht, sich bewegen kann und wieder verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen. Das ist die zugrundeliegende Idee, an der alle weiteren Aspekte ansetzen. So betrachtet, bedeutet Innovation die Entstehung neuer Subjektivität.

Der zweite bestimmende Aspekt von Post-it ist die Notwendigkeit einer andauernden Reflexion über den Stadtraum als Konflikt-Raum. Es geht dabei um subjektive Bedürfnisse, Notwendigkeiten, Forderungen im Stadtzusammenhang und soziopolitische Fragen. Der Begriff Nachhaltigkeit ist in der Architektur und Stadtentwicklung schon lange keine abstrakte Formel mehr und ich verstehe Post-it City als einen Beitrag zum notwendigen Diskurs.

dérive: Ihr Partnerkurator Giovanni La Varra sprach in seinem Eingangsstatement über so genannte „poor technologies“, die für die Nachhaltigkeit einer Stadtentwicklung wichtige Inputs liefern können …

Martí Peran: Hier spiegelt sich der vorhin besprochene Innovationsbegriff wider. Poor technologies oder Low-Tech-Erfindungen entstehen – abseits der Stadt westlich-postindustriellen Zuschnitts – zumeist aus der Notwendigkeit, mit geringen Mitteln zu überleben. Do-it-yourself spielt hier selbstverständlich auch eine Rolle. Im Kontext von Post-it City ist die Technologiesicht deutlich vom Feld der Architektur geprägt. Post-it Phänomene werden dann als para-architektonische Artefakte erfassbar. Dazu kommt die Verankerung im Lebens-alltag und seinem sozialen Gefüge.

dérive: Das Thema Temporalität (temporäre Nutzung) erlebt seit einigen Jahren in Architektur und Stadtforschung eine auffällige Konjunktur. Mir fiel zum Beispiel im material center der Ausstellung die 2007 von Florian Haydn und Robert Temel herausgegebene Publikation Temporäre Räume – Konzepte der Stadtnutzung auf. Was ist die Ursache dieses breiten Interesses?

Martí Peran: Für mich ist das absolut klar und auch keine neue Beobachtung. Gegenwärtig tendieren alle Städte in der globalisierten Sphäre dazu, zu einer einheitlichen Szenerie mit homogenen AkteurInnen oder NutzerInnen zu werden. Zumindest aus der Sicht und nach Wunsch mancher Interessensgruppen.

Wenn alle Stadträume als Shopping Zonen, Erholungsviertel oder Treffpunkte mit Konsumpflicht designed oder redesigned werden, bleibt für nicht nutzungskonformes Leben kein Raum übrig. Das „Leben“ benötigt die Stadt hingegen als Spielplatz, um für Subjekte und gemeinsame städtische Erinnerungen hypertextuelle Erfahrungen oder ein Palimpsest von Erfahrungen entwickeln zu können.

dérive: In der Pressekonferenz appellierten Sie an Barcelonas Verantwortliche, Post-it City auch als Denkanstoß für übermäßig regulierte Städte wie Barcelona zu verstehen.

Martí Peran: Barcelona hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr erfolgreich ein bestimmtes Stadtimage beworben. Klimatisch begünstigt, jung, kreativ und urban könnte man dieses „Barcelona Modell“ beschreiben. Gleichzeitig begann der Zwang, dieses Image aufrecht und den öffentlichen Raum exklusiv für den florierenden Tourismus und ein internationales Publikum zu erhalten. Alles andere muss weichen.

Post-it City hinterfragt Stadtstrategien wie die von Barcelona mit ihrer ausgeprägten „calvinistischen Orientierung“. Das meint, die Haftung an Tradition und Geschichte orientiert sich vor allem an der Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum, den privaten Raum als jenen verstehend, in dem StadtbewohnerInnen in ihrem familiären Zirkel Meinungen und Probleme erörtern sollen. Der öffentliche Raum ist in dieser „Idealvorstellung“ absolut neutral, höflich, friedlich und ruhig. Aber die Stadt ist immer auch ein demokratiepolitisches Projekt, in dem Meinungsaustausch, Kritik und Kontroverse möglich sein müssen. Dieses beinhaltet dann auch hörbare bis laute und unvorhersehbare Prozesse.

dérive: Können Sie die bisher genannten Post-it-Dimensionen anhand von Projektbeispielen in der Ausstellung und in der begleitenden Publikation erörtern?

Martí Peran: Das erscheint mir völlig unmöglich. Die Ausstellung und der Katalog umfassen 78 Projekte forschender und künstlerischer Natur, die im City-Network von rund 20 Städten entstanden sind. Die Fragen bewegen sich am Schnittpunkt von dissenten Interventionen im Lebensraum Stadt und von Praxen, die das Überleben von armen und sozial benachteiligten StädterInnen sichern müssen.

Wichtig erscheint mir, den Blick für die Unterschiede hinsichtlich des Konfliktpotenzials in europäischen und in zum Beispiel lateinamerikanischen Städten zu sensibilisieren. In der Gesamtschau werden die unterschiedlichen Konfliktarten und Ursachen offensichtlicher. Was bedeuten zum Beispiel informelle Verkaufsmärkte in Buenos Aires, in Warschau oder in Barcelona und vielleicht in Wien? In den Straßen und Plätzen südamerikanischer Städte zählen zum Beispiel informeller Handel und Geschäftsgebarungen der armen Bevölkerungsschicht zu wichtigen wirtschaftlichen Antriebskräften. Post-it City kann also auch als ein Archiv von Praxen „zivilen Ungehorsams“ in der öffentlichen Sphäre der Stadt gelesen werden.

dérive: Die Projektgeschichte erscheint mir vielschichtig und sehr aufwändig, Sie haben zuvor 78 Beiträge in der Ausstellung und im Katalog und ein City Network erwähnt.

Martí Peran: Ausgangspunkt waren im Jahr 2005 eine Reihe von Seminaren und ein Workshop im Centre d’Art Santa Mònica Barcelona. Danach folgten weitere von uns in Kooperation geladene Veranstaltungen in zum Beispiel Sevilla, Castello, Tel Aviv, Valparaiso, Bogota, São Paolo und einigen Städten mehr. Das Ergebnis ist ein Archiv von Fallbeispielen, die größtenteils originär für Post-it City entwickelt wurden und einen praktischen Zugang und lokales Wissen über die jeweiligen Städte vermitteln, von denen weltweit 20 an unserem Projekt teilnahmen.

Die Profile der TeilnehmerInnen waren sehr unterschiedlich und inkludierten Kunstinstitutionen, selbstständige ForscherInnen, formale Kollektive und Universitätsgruppen, die selbstständig ihren Blick auf das Phänomen entwickelten. Das Archiv umfasst daher eine Vielzahl von Methoden, Zugängen und Teilfragen. Viele der Teams waren aus jungen ForscherInnen zusammengesetzt. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt, der einiges über die Dynamiken der Entstehungs- und Vermittlungsprozesse von Ideen aussagt.

dérive: Was lernt man bei der Betrachtung der Post-it City?

Martí Peran: Wir verstehen die Post-it City als neue Forschungsperspektive und als Stadtplanungstool. Der Effekt von Post-it-Urbanismen ist eine Art informelle Stadtplanung. Giovanni La Varra fasst dies in einem Aufsatz zusammen: Er sieht neben den in Zukunft notwendigen Investitionen in die Forschung eine unbedingte Balance in der Ressourcenverwendung, ob in der Architektur oder im städtischen Leben generell. In einem weiteren Punkt müssen öffentliche Räume in der Stadtentwicklung neu gedacht werden und Raum für Post-it-Urbanismen bieten. Er beschreibt dies als latente urbane Qualität, die „nicht invasive“ Transformation zulässt. Nicht zuletzt fördern Post-it spaces neue Formen von Gesellschaft zu Tage. Jedes Post-it produziert einen unterschiedlichen Jargon mit einem eigenen System von Codes. Unabhängig davon, ob sie exklusiv oder einschließend, offen oder geschlossen wirken, stellen sie den „sozialen Horizont“ einer „wachsende Stadt“.


[Martí Peran ist Lektor für Kunstgeschichte an der Universität Barcelona und verantwortlich für zahlreiche Ausstellungen in und außerhalb Spaniens. Gemeinsam mit dem Architekten und Theoretiker Giovanni La Varra (Politecnico di Milano & Partner des Studios Boeri in Mailand), Filippo Poli (Politecnico di Milano) und Federico Zanfi (Politecnico di Milano) kuratierte Peran das Forschungs- und Ausstellungsprojekt Post-It City, Occassional Urbanities]

[Pamela Bartar nahm für PUBLICwienSPACE.net am City Network teil. Der Wiener Beitrag „SEEKING Sights“ (Projekt 065) basierte auf einer künstlerischen Untersuchung des Wiener Gürtels zu Fragen informeller Nutzungen des öffentlichen Raums und des europäischen Städtetourismus, siehe auch www.ciutatsocasionals.net]

dérive, Fr., 2008.10.10

10. Oktober 2008

Art Interventions as Alternative Place-Making

The creative city has become the buzzword in the agenda of many city governments, economic developers and cultural planners since Charles Landry[1] introduced this idea in his book The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators in 2000. Innovative, inward-looking and coherent as it is intended to be, the creative city rhetoric has been adopted in variation, like a universal formula, sometimes over-simplified, by city administrations. Simply because the label of being a creative city provides competing post-industrial cities with a second chance to reboot and reload their profiles to make them more attractive.

The tag creative city does indeed have positive and forward-looking connotations, it advocates the use of culture for fostering the creativity of cities and regions to revive local economy and to mark places symbolically as different.[2] Following this logic, the creative city rhetoric does seemingly grant arts and culture an authoritative role on the urban development agenda. Although never before have cultural and urban planning been officially teamed up so intimately, the use of culture as a tool for urban and image regeneration is not a wholly new movement.

Since the heightening of economy globalisation, the shift of the urban economy from production to consumption, and the corresponding rise of the leisure and entertainment industry, culture has long been deployed for economic motives in, which sociologist Sharon Zukin described as our symbolic economy. She insightfully analysed that the production of space and symbols are the key parallels inside the symbolic economy.[3] Approaching the 1990s we witnessed what Evans Graeme described as the urban renaissance4 in major and post-industrial cities around the world. We have more flagship museums, cultural landmarks, art biennials, waterfront and city-centre cultural clusters in cities across the globe, not to mention the ever increasing numbers of replica or newly-constructed heritage and cultural sites that make our cities so much more attractive to visit. In Europe, the European Capital of Culture officially supports two cities each year in transforming their culture base and showcasing it to the world.

These cultural strategies for place promotion and urban regeneration, or the so-called cultural-led urban regeneration[5], despit-e their good intents, have intensified the speed of commodification of culture and are further stifling the competition between cities and the festival marketplace phenomenon described by John Hannigan.[6] In our increasingly competitive and interconnected world, the cultural-led urban regeneration and creative city logic have spread across the globe and been picked up by municipal administrations in Singapore, Hong Kong and Taiwan: Singapore’s waterfront Esplanade, a large-scale performing arts landmark, was opened in 2002; Hong Kong has planned an ambitious 40-hectare West Kowloon Cultural Quarter, still pigeonholed after more than a decade of discussions and planning.

Making Places and Identities

Amidst the global competition of increasingly footloose capital investment, tourists and talents, it has become almost inevitable that cities are craving for tried and tested recipes to boost their profiles, their infrastructure and to build up an attractive and unique image. The lucrative tourist industry[7] and economic globalisation have authoritative effects on the construction of our urban landscape – urban redevelopment, gentrification, the displacement of disadvantaged groups, social segregation and the privatisation of public space are only some of the corresponding effects.

Place-making and urban design have become key issues for urban planners and city administrators. The aforementioned cultural places for direct consumption, leisure, experience and entertainment are created from scratch to produce programmed meanings and inscribed identities. With this making of places for quick consumption the city’s complex multi-layered cultures are often reduced to a single entity. This is the background to the urban cultural project Urban Imaginary Series: Cities of Desire, an initiative intended to instigate a critical discourse on the top-down place-making strategies and image representation in city regions worldwide while spotlighting art practices that act as strategies of resistance against the aforementioned hegemonic place-making rhetoric.

The project, including the exhibition, is a critique of the frantic imaging politics and culturalisation of urban space and the neutralisation of political spaces through cultural means, and an exploration of how urban narratives can be reconstructed through artistic interventions. How can urban space be re-appropriated by artists or community initiatives to create inventive experiences? What are the strategies of resistance against the current production of places and identity?

Indeed, being useful resources and elements for place-making, art and culture have been gradually recognised as interim solutions to our urban problems, or, to a certain extent, contemporary life in general. The late advocacy and increasing financial support of public art in many European cities proves the point here. The Drive Thru Gallery project was planned from 2007–2010 in Aschersleben, Saxony-Anhalt, Germany. In this project windows of uninhabited houses and specially erected billboards in the polluted desolate inner city centre function as art display surfaces and provide a visual experience for passing motorists intended to attract attention to this shrinking city before the local government instigates any new measures.

Over the last few years we have witnessed an increasing amount of art exhibitions held in different urban and spatial settings. Some genuinely attempt to engage in a critical urban discourse and enhance the interaction in the public domain, like the former two editions of the Istanbul Biennials, curated respectively by Hou Hanru (2007), and Charles Esche and Vasıf Kortun (2005). Others are more site-specific experiments, including two innovative projects organised by OK Center for Contemporary Art. These were Schaurausch (2007), an urban exhibition spread across the inner city of Linz, where display windows and the interiors of commercial premises were used as display surfaces, and Tiefenrausch (2008), a recent large-scale exhibition in the underground world of Linz. In this project the audience was led into a labyrinth of underground passages where new media and installation work was shown in an extraordinary setting well beyond the white cube.

Interventions as Alternative Place-Making

The project Urban Imaginary Series is looking for alternative cultural strategies in a specific urban context. Accordingly, the project focuses on different forms of urban interventions. Interventionists usually have their own political agenda. They operate of their own free will, without commission (or authorisation, for that matter), moving into the social realm, addressing socio-political issues and speaking to the general public outside the glossy gallery or museu-m space.

There is a fine line between art in public space and urban interventions, the question as to what the cultural practices are that help to create democratic forms of expression in our prescribed urban environment are to be addressed in a roundtable discussion of the place-making politics of competing cities. Representatives from cultural institutions, public art funding bodies, interventionists and community art groups will discuss the problems and perspectives of top-down and community-based place-making strategies.

City Mine(d)[8], one of the speakers at this roundtable discussion, is a production house for urban interventions with its origins in Brussels and affiliated offices in London and Barcelona. As a non-profit organisation it initiates urban art projects that intersect between arts, urban sociology and the exploration of new modes of public governance. Within the ten years since its inception they have completed numerous interventions and research projects that engage the public with the city through art interventions and deal with the issue of public empowerment. Micronomics is a current project by City Mine(d), that envisages new forms of economic and social exchange systems on a micro-level, implemented in Brussels, London and Berlin.

Another supporter for bottom-up initiative is Scott Burnham, he curated Urban Play with Droog Design within the ExperimentaDesign biennial in Lisbon, Portugal (20.09 – 02.11.2008). Burnham is an obvious supporter of open source culture and its physical and social manifestation in urban life and the cityscape. Besides exhibiting illegal interventions – and thereby raising questions regarding the effectiveness of the prevalent city planning in engaging its citizens socially and culturally — new interventions will be created by a group of commissioned designers and architects from across the globe, aiming to engage citizens with their own urban environment, provoke interaction with the city’s system. Conceptually, Urban Play provides an open platform to let citizens discover the prescribed environments they are living in, and above all to remind them of the role they could play in adjusting these predetermined urban conditions to more socially oriented ones – as an innovative response to current generic city development.

Roadsworth[9] is one of the interventionists of Urban Play, a Canadian street artist who has been painting cycle paths on the streets of Montreal since 2001. His work, which often appears as large-scale stencilling on the roads, addresses environmental issues triggered off by international political and economic developments. Despite being caught and the threat of heavy fines, and facing over 50 charges of public mischief, he continues his interventions in public space and has received numerous commissions to work.

Indeed, ever since artists like Barbara Kruger, Hans Haacke and Jenny Holzer began using urban space as their canvas and made political art a genre in the 1980s, and thanks to the sound foundation that the Situationist International has lain for artists working in and on the urban arena, urban art intervention has slowly become a catchword both at international biennials and on the local home front. The question as to whether urban intervention is becoming too fashionable and becoming incorporated into institutional structures, so risking losing its critical voice, will also be addressed.

Vienna and Hong Kong — Differences and Parallels

The exhibition Cities of Desire juxtaposes two antipodean cities, not for the sake of comparison but to highlight differences and possibilities. Both Vienna and Hong Kong are prototypical cities as popular tourist destinations, there are common grounds in their top-down place-making campaigns: Hong Kong has adopted a lopsided imaging and place promotion methodology, the Asian World City title has pushed its capitalistic and profit-oriented urban development even further. Its cityscape and its local culture have been suffering dramatically from the late urban redevelopment campaigns. In a mere decade after the end of colonial rule local citizens have witnessed the demolition of numerous valuable cultural sites (see dérive 29: Demolition of Star Ferry Pier), the exhaustio-n and destruction of the natural landscape and the continuous privatisation of public space. In contrast, Vienna has continuously exhausted its cultural treasures, both classical and contemporary, with a constructed image of an artistic bourgeois European city. However this image largely ignores a significant migrant population from Eastern and Southern Europe while centralised sanitised inner-city development intensifies the segregation of racial groups.
However, the Urban Imaginary Series is not intended to preach but to search for options and new perspectives. The exhibition focuses on displaying cultural practices in both cities that engage in alternativ-e place-making and the empowerment of community-driven initiatives. Re-making places, reclaiming the street, temporarily using public spaces to enhance participation and discussions. Art does not necessary solve problems in our contemporary world, but it should at least retain its role to critique, experiment and make waves.

Urban Imaginary Series: Vienna and Hong Kong is an urban cultural exchange project at the intersection between art, architecture and cultural policy, initiated by Hilary Tsui.

Hilary Tsui arbeitet als unabhängige Kulturschaffende, Kuratorin und Autorin in Wien. Sie ist Gründerin und Programmdirektorin von city transit Asia-Europe (www.city-transit.org).

Exhibition
Cities of Desire
IG bildende Kunst, Gumpendorferstraße 10-12, 1060 Wien
26 September – 31 October 2008

Urban Interventions:
Martin Krenn, Machfeld
More under: www.city-transit.org

[1] Charles Landry is director of COMEDIA, a cultural consultancy, which he founded in 1978, working specifically with cities. www.comedia.org.uk
[2] More under: Landry, Charles (2000): The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators. London: Earthscan
[3] Zukin, Sharon (1996): The Cultures of Cities. Cambridge Mass./Oxford: Blackwell Publishers
[4] More under: Evans, Graeme(2001): Cultural Planning: An urban renaissance? New York/London: Routledge
[5] Many research papers on cultural policy and urban studies have addressed this topic in the last few years. Also: Hilary Tsui, Cultural Strategies for Urban Regeneration — cultural quarters for local cultural development?, IKM, Vienna, 2006
[6] Hannigan, John (1998): Fantasy City. Pleasure and Profit in the Postmodern Metropolis. New York/London: Routledge
[7] According to figures provided by World Tourist Organisation in 2002, the total income from tourism in Europe, Africa, the Americas, Asia Pacific and the Middle East almost doubled across the board between 1990 and 2000.
[8] www.citymined.org
[9] www.roadsworth.com

dérive, Fr., 2008.10.10

10. Oktober 2008

Das Labor europäischer Modernefantasien

„Jede neu eröffnete Baustelle ist ein Bataillon, jedes fertige Gebäude eine gewonnene Schlacht.“ Auf dieses Zitat von Hubert Lyautey, Militärgouverneur und von 28. April 1912 bis 25. August 1925 der erste französische Generalresident in Marokko, stößt man in der Ausstellung In der Wüste der Moderne, die im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gezeigt wird.

„Französisch-Nordafrika“ war ein Labor europäischer Modernisierungsfantasien. Den Strukturen und Wirkungsweisen dieses gebauten und bewohnten Labors geht das unter der künstlerischen Leitung von Marion von Osten realisierte Ausstellungsprojekt nach. Neue Forschungen über Architektur und Stadtplanung der Moderne wurden nicht „zu Hause“ in Europa erprobt, sondern „in der außereuropäischen Fremde“, im kolonialen Nordafrika der 1950er und 1960er Jahre, um dann von dort aus an die europäischen Stadtränder in Form des egalitären Versprechens des Massenwohnbaus zurückzukehren. Ohne den Kolonialismus, so die These der dokumentarischen Ausstellung, wäre die europäische Version der Moderne weder denk- noch umsetzbar gewesen. Und was vielleicht in der Gegenwart als Reflexionsaufgabe noch entscheidender ist: „Wir leben in der kolonialen Moderne. Die Dekolonialisierung hat bei uns nicht stattgefunden“, wie Marion von Osten es formuliert.

Als Forschungs- und Kooperationsnetzwerk wurde ein mehrjähriger Arbeitsprozess initiiert, der in Archiven und Feldforschungen sowie künstlerischen Untersuchungen der Janusgesichtigkeit der Moderne zwischen Emanzipationsversprechen und Kolonialverwaltung nachging. Das interdisziplinäre Forschungsteam – Tom Avermaete, Serhat Karakayali und Marion von Osten arbeiteten gemeinsam mit Wafae Belarbi, Madelaine Bernstorff, Jesko Fezer, Brigitta Kuster, Andreas Müller, Daniel Weiss sowie Studierenden der Akademie der bildenden Kunst Wien, der Architekturfakultät der TU Delft und der Ècole Supérieure d’Architecture de Casablanca – recherchierte Geschichten von Bewohnerinnen und Bewohnern, Architekten, Stadtplanern, Kolonialisten, Anthropologen und Wissenschaftlern, die alle ihren Anteil hatten am Projekt der Modernisierung.

Der Versuch der Rekonstruktion der Geschichte als Beziehungsgeflecht zwischen Europa und Nordafrika, materialisiert in Stadtplanung, Architektur und alltäglicher Nutzung, wird in Architekturmodellen, Flugblättern, historischen Filmdokumenten und zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten von Kader Attia und Hassan Darsi vermittelt. Grafiken und Pläne von Georges Candilis, Michel Écochard, Alison und Peter Smithson oder Malerei von Le Corbusier und Chaibia stellen die modernistischen Utopien vor und kontextualisieren sie in der Aneignung durch die Bewohner wie im zeithistorischen Bezugssystem der Befreiungsbewegungen und der kolonialistischen Propaganda.

Die Massenbauweise, wie wir sie als heu-tige, oft als Problemzonen titulierte Gebiete westlicher Stadtränder kennen, hatte ihren Probelauf in Nordafrika. Die visuelle, in den Architekturkanon eingeschriebene Ikonografie dieser Architekturen der nordafrikanischen Moderne zeichnet ein leuchtend weißes, formenbetontes Bild, das zeitlos monografische Architektenhandschriften als immerwährende Utopie transportiert. Heutige Feldforschungen förderten das tatsächliche Aussehen dieser Bauten, in vielfachen, vielstimmigen Überbauungen, additiven Ergänzungen und eigenwilligen Umnutzungen durch Bewohnerinnen und Bewohner zu Tage. Diese Bilder sind im Kanon der Architekturrezeption Störfaktoren, die verschämt verschwiegen, international ausgeblendet werden. Diese Bilder verkörpern jedoch genau jene Risse und Spannungsverhältnisse des Nachhalls ihrer schon im Entstehungsprozess höchst widersprüchlichen Geschichte zwischen den beanspruchten Planungsgewissheiten eines technokratischen Urbanismus und eines von Befreiungsbewegung, Eigeninitiative und Konflikt geprägten Alltagsurbanismus. Dass die technokratische Moderne nicht die Patentlösung ist, dass die Menschen in der Lage sind, ihre Umwelt selbst zu gestalten und Architekten dafür nur Rahmenbedingungen liefern und dass eine andere Bildproduktion über den gebauten urbanen Raum den Alltag der Nutzung als Potenzial des Individuums hervortreten ließe, gerade das könnte man von diesem Testgelände der Moderne in Nordafrika eben auch lernen. Hier setzt das vom Medienkollektiv Labor k3000 im Kontext des Gesamtprojekts realisierte Internetprojekt an: www.this-was-tomorrow-net versammelt Video- und Filmclips über Massenwohnbauten, aufgenommen aus der Perspektive ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Alle derzeit nach einem topografischen Grid aufzufindenden privaten Kurzfilme und Videoclips stammen aus dem Internet selbst. In Zukunft soll die Sammlung durch den direkten Kontakt zu den ProduzentInnen dieses Filmarchivs erweitert werden und auch mögliche Begegnungen von Wohnhochhaus zu Wohnhochhaus als Zukunftsperspektive in Betracht ziehen.

Der Ausgangspunkt des mehrjährigen Projekts der Auseinandersetzung mit urbanen Formationen als Strategie des Reglementierens und Potenzial individuierter Aneignung durch BenutzerInnen liegt für die exemplarische Fallstudie Casablanca in vielerlei Hinsicht in Europa: gemeinsam mit Studierenden hatte Marion von Osten vor mehreren Jahren einen ungeliebten Massenwohnbau in der Nähe von Zürich beforscht, dessen architektonische Entstehungsgeschichte bereits Richtung Nordafrika wies. Das für die Europäer gebaute Casablanca erlebte in den 1950ern eine Umdrehung der Mehrheitsverhältnisse in der BewohnerInnenstruktur: Als willkommene Arbeitskräfte siedelten sich MarokkanerInnen am Stadtrand an. Sie errichteten ihre spontanen Siedlungen, die so genannten Bidonvilles (Kanisterstädte), die einen Konnex mit den komplexen Strukturen der alten Medina-Viertel aufweisen, welche wiederum Vorbild für den Entwurf der Freien Universität Berlin durch die nordafrikaerfahrenen Architekten Candilis, Josic, Woods und Schiedhelm waren. Rezipiert wurde die heroisch-technologische Seite der FU als Innovation der Moderne, nicht jedoch die Erfahrung der außereuropäischen Fremde als wichtigste Inspirationsquelle. Nicht zuletzt ist es der Ausstellungsort selbst, der das Verhältnis zur Moderne als Aufgabenstellung für das Heute sowie eine Geschichte zwischen Freiheitsversprechen, politischer Symbolkraft des Gebauten und ideologischem Transfer eingeschrieben hat: Die Kongresshalle Berlin, in der sich das Haus der Kulturen der Welt befindet, ist ein prestigeträchtiger, ikonischer Bau der Moderne und wurde anlässlich der internationalen Bauausstellung, der Interbau 1956/1957 von den USA errichtet und dann im Jahr 1958 als Geschenk an die Stadt Berlin übergeben. Diese historische Symbolkraft des Gebäudes nahm der Intendant Bernhard M. Scherer zum Anlass, über eine Neuschreibung der Beziehungen „zwischen Europa und dem Rest der Welt“ als Leitlinie für die zukünftige Programmierung nachzudenken.

Es geht um die Zusammenhänge, Brüche und Konflikte der Beziehungen zwischen Nordafrika und Europa. In einer „Ethnologie unserer Rationalität, unseres Diskurses“ von der Michel Foucault spricht, wird der Versuch unternommen, die widersprüchlichen und zwiespältigen Bewegungen der kolonialen Geschichte und der Dekolonisierung des Alltags nachzuzeichnen. Die heutigen Vorstädte und Trabantenstädte europäischer wie nordafrikanischer Großstädte sind die gebauten Orte wie sozialen Räume transnationaler Bewegungen, Begegnungen, Kontakte und Konflikte. Das durch die RechercheurInnen zu Tage geförderte Material ist prekär, ein vollständiges Bild lässt sich nicht rekonstruieren. Diesen Umstand reflektiert das Ausstellungsdisplay von Jesko Fezer, Andreas Müller und Anna Voswinckel. Für jedes Ausstellungsobjekt wurde ein eigenes kleines Stahlgestell gebaut, das die Raumdramaturgie bestimmt. Alles wurde für die RezipientInnen auf Augenhöhe gebracht. Die Hinterseiten der Stahlgestelle verweisen auf die Lücken in der Rezeptionsgeschichte. Sie sind leer.

Ausstellung
In der Wüste der Moderne
Haus der Kulturen der Welt, Berlin
bis 26.10.2008

Filmreihe Kleine Pfade – Verschränkte Geschichten, Performance Walking Cube von Kanak Attack, Ausstellungsgespräche, Internationale Konferenz

www.hkw.de
www.this-was-tomorrow.net

dérive, Fr., 2008.10.10

10. Oktober 2008 Elke Krasny

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