Editorial
Der Verlag spricht
Die Wolkenkratzer in Dubai spriessen, das Vogelnest in Peking hat an den Olympischen Spielen brilliert, die Krieger in Moskau brauchen Türme von Norman Foster. Architekten sind nicht nur Realisierer, sondern auch Zeichengeber. Sie tragen dafür moralische Verantwortung, auch wenn sie das nicht interessiert. Der Ethiker Markus Huppenbauer erläutert dem Architekten Philip Loskant die Grundsätze des moralischen Urteils. Und im Netz auf www.schweizblog.hochparterre.ch führt der Autor die Debatte weiter: «Was darf der Architekt?»
Wolkenkratzer waren im September auch Fernsehstars in der TV-Sendung NZZ Format und kurz darauf Thema während eines Tages im ‹Hörpunkt› von DRS 2. Hochparterre komplettierte das Trio mit Titelgeschichte und Leporello zur Geschichte des Hochhauses. Für alle, die nicht dabei waren, gibt es jetzt ein Medienpäckli:
--› DVD mit der Fernsehsendung von NZZ Format über Hochhäuser und Türme vom 31. August
--› Auszüge aus dem ‹Hörpunkt› von DRS 2 vom 2. September
--› Leporello mit 70 Türmen weltweit
--› Preis: CHF 39.–
--› Bestellen: 044 258 14 88 oder www.nzz-format-shop.ch
Mit dem Hochhaus schicksalhaft verbunden ist ein Gerät: Kein Wolkenkratzer ohne Lift! Ein Lift ist nicht allein ein Aufzug in den fünfzigsten Stock, sondern oft auch ein dem Haus in Technik und Design angemessenes Gerät. Wer Hochparterre abonniert hat, findet dazu ein Sonderheft, alle andern rufen die Nummer 044 444 28 88 an.
Seit Mai 2002 hat Hochparterre dieselbe Manier und dasselbe Design. Nun haben Redaktion und Verlag ihr Oberstübchen neu vermessen. Das Ergebnis: Am 17. November erscheint ein neu gestaltetes Heft. Es ist ein Geschenk der Hochparterris an sich selbst und alle: Wir feiern an diesem Tag unseren 20. Geburtstag.
Köbi Gantenbein
Inhalt
06 Funde
09 Stadtwanderer: Uns kann nichts passieren
11 Jakobsnotizen: Eine Bilanz
13 Stadt und Spiele: Vorhang zu, Licht aus
14 Impressum
Titelgeschichte
18 Gestalten um einen Gedanken
Brennpunkte
30 Learning Center EPFL: Ein Wellenboden für den Geist
34 Implenia-Werkzeug: Grün für nachhaltiges Bauen
40 Interview mit Ethikprofessor: Die Moral des Architekten
42 Designers’ Saturday: Firmenleuchten um die Wette
48 Architektur vermarkten: Neue Wege zum Kunden
50 Wettbewerb: Ein Architekt für 1000 Räume
54 Buol & Zünd in Binningen: Das Hotel in sechs Szenen
58 Métro Lausanne: Durch den Untergrund zum Höhenflug
62 Value Lab ETH: Brainstorming in Daten und Pixel
66 Meili, Peter-Buch von Czech: Ungefähre Hauptrichtung
Leute
70 Werkausstellung bei Tossa in Steg
Bücher
72 Designfilme, Giacometti, die Bahn und Gustav Ammann
Siebensachen
74 Erdöltropfen, Sahnebläser und Zeitmesser
Fin de Chantier
78 Konferenzzentrum und Bahnstation, Hospiz und Kirche, Hightech und Umbau
An der Barkante
87 Mit Peter Ess im Restaurant Bü’s in Zürich
Ein Wellenboden für den Geist
Auf dem Campus der EPFL (Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne) wird 2010 das Learning Center seine Türen öffnen. Doch vor den Türen liegt im Moment noch eine riesige Armierungseisen- und Betonlandschaft. Ein Augenschein in die Planung und auf die Baustelle.
Das Learning Center soll die Bibliothek der Zukunft werden. Der Bau basiert auf einer hügelartigen Fläche, in der Wissen und Informationen möglichst ungehindert und frei ausgetauscht und zugänglich gemacht werden sollen. Das rechteckige Gebäude ist 160 Meter lang und 120 Meter breit. Es besteht aus einem Untergeschoss mit Parkplätzen und einem Hauptgeschoss mit Arbeitsplätzen, Café, Lese- und Hörsälen. Rund 30 blasenförmige, verglaste Raumzonen unterteilen die eingeschossige Betonlandschaft und bieten Rückzugsmöglichkeiten. Elf Patios durchlöchern das ‹Raumsandwich› wie einen Käse. 700 Arbeitsplätze wird das Learning Center bieten, sie sollen rund um die Uhr zugänglich sein und so die Bibliothek nicht nur zum Bücherherz, sondern auch zum sozialen Mittelpunkt des Campus machen.
Die Geschichte des ‹Making of› ist gebogen und hügelig – wie die Betonlandschaft selbst. Als 2004 das Wettbewerbsprojekt der japanischen Architekten Sanaa / Sejima Nishizawa gekürt wurde, haben als erste einige Ingenieure ihre Stimme erhoben: So eine in zwei Richtungen frei gebogene Schale liesse sich nur auf Stützen stellen. Die von den Architekten entworfenen stützenfreien Gewölbe unter dem Hauptgeschoss – sie ermöglichen den ebenerdigen Zugang und spannen bis zu 90 Meter – widersprächen der wirtschaftlichen Vernunft, so der Tenor. Das tun sie noch heute, doch wenigstens haben die Bauingenieure Bollinger Grohmann aus Frankfurt zusammen mit Walther Mory Maier aus Basel eine Lösung gefunden, die das architektonische Konzept des freien Raumflusses überhaupt erst möglich macht. Dabei hat der Beton nur noch Symbolwert: Die Hügellandschaft des Learning Centers ist eine Stahlkonstruktion im Zement-Negligée.
Mehr Eisen als Beton
Das Misch-Tragsystem, welches das Bauingenieur-Team entwickelt hat, ist in die sichtbare Schalenstruktur integriert. Es besteht aus Stahlbeton-Bögen mit Zugbändern aus Spannkabeln, die sich in der Decke über dem Tiefgaragengeschoss befinden. Die sich zwischen den Bögen spannenden Stahlbeton-Elemente haben eine kombinierte Schalen- und Plattenwirkung. Kein Aufwand wird gescheut: Insgesamt 11 dieser Bögen sind in die Schalen eingelassen, 4 in der kleineren, 7 in der grösseren Schale. Die Schalenränder sind in die vorgespannte Stahlbeton-Decke über dem Tiefgaragengeschoss eingespannt. In den Schalen sind gewaltige Mengen an Armierungseisen eingelegt: 850 Tonnen Rundstahl mit einem Durchmesser von 5 Zentimetern und einer Länge von 21 Metern sichern die Stabilität und Tragfähigkeit. Das sind rund 450 Kilogramm Stahl pro Kubikmeter – mindesten vier- bis fünfmal so viel, wie für eine konventionelle Stahlbeton-Konstruktion verwendet wird. Da das statische System nicht viel räumlichen Spielraum liess, mussten die Architekten ihren Grundriss und die Raumgrössen anpassen: Einige Patios wurden kleiner und mussten in die Restflächen zwischen den Armierungsbögen geschoben werden, einige Hügel wurden steiler oder flacher, das heisst, rückten näher an die ideale Bogenform. Das System garantiert zwar die Tragfähigkeit und Stabilität, sagt aber noch nicht viel darüber aus, wie die doppelt gekrümmten Flächen auf der Baustelle umzusetzen sind. Dafür waren Denkarbeit und rund 1500 verschiedene Schalungstische aus Holz-Grobspanplatten (OSB) nötig. Die Ansprüche an die Ausführung der Schalung waren hoch, denn die höhlenartigen Räume unter den Hügeln sind Teil der Aussenfassade und des Eingangs und somit für jedermann zugänglich.
Die Schalungstische bilden exakt die im CAD-Plan der Architekten definierte Hügelform nach. Toleranz: plus / minus 5 Millimeter. Sie setzen sich aus rund 10 000 verschiedenen, 18 Millimeter dicken Einzelteilen zusammen. Immer 7 vertikale Konsolen bilden ein Gerüst, auf welche die Schaltafeln geschraubt sind. Sie werde plan angeliefert, ihre doppelte Krümmung entsteht bei der fixen Verschraubung mit den unterschiedlich hohen und schrägen Konsolen. Die Dimensionen der Tische (Quadrate von 2,50 auf 2,50 Meter) basieren in erster Linie auf der Tragfähigkeit der Gerüsttürme, welche mit maximal 20 Tonnen belastbar sind. Sie sind aber auch so bemessen, dass möglichst wenig Verschnitt aus den 2,50 auf 3 Meter grossen Ausgangsplatten entsteht.
Vom Plan auf die Fräse
Hätte man die Werkzeichnungen für die Schalungstische von Hand gezeichnet, wären dafür 10 000 Detailpläne nötig gewesen. Das ETH-Spin-off Designtoproduction hat den Fertigungsprozess abgekürzt, indem es die digitale Kette zwischen CAD-Plan und CNC-Fräse geschlossen hat. Die kleine Firma mit Sitz in Zürich und Stuttgart hat in einer ersten Phase die Detailgeometrien der Tische berechnet und in einer zweiten Phase diese in Fertigungsdaten umgewandelt, mit welchen die CNCFräse direkt angesteuert werden konnte. Aufgrund der Maschinendatensätze hat die auf Holzwerkstoffe spezialisierte Firma Kronoply aus Heiligengrabe in Deutschland die Einzelteile geschnitten und sie dann zu Rauh nach Uetendorf bei Thun transportieren lassen.
In der Werkstatt des Spezialisten für Betonschalungen haben die Arbeiter daraus die 1500 Schalungstische gebaut. Um den Transport von der Werkstatt auf die Baustelle möglichst effizient über die Bühne gehen zu lassen, baute Rauh ein spezielles Gestell auf die Ladefläche seines Lastwagens: So konnten 15 Tische pro Fahrt transportiert werden. 110 Arbeiter haben auf dem Campus der EPFL rund 30 Tische pro Tag aufgebaut. Nachdem sie die Tische, welche bereits werkseitig mit einer dünnen Kunststoffschicht überzogen wurden, zur grossen, weich gewellten Fläche zusammengesetzt hatten, gossen die Arbeiter die rund 5 Millimeter grosse Fuge zwischen den Tischen mit Silikon aus. Dann begannen die Eisenleger, die unzähligen Armierungseisen darauf zu verteilen. Die zwei Schalen wurden in zwei Etappen betoniert. Resultat langwieriger Tests war auch die Betonmischung: Sie durfte nicht zu flüssig sein, sodass der Beton nicht die ‹Hügel› hinunter fliesst. Sie durfte aber auch nicht zu zäh sein, weil der Beton teilweise 200 Meter gepumpt werden musste.
Und das Resultat? Der Wunsch der Architekten nach einer glatten, glänzenden Betonuntersicht wurde grundsätzlich erfüllt: Die 7500 Quadratmeter grossen Hügel kommen wie aus einem Guss daher und schlagen weiche und stufenlose Bögen. Anspruchslos ist die Ausführung der Oberseite, denn sie wird mit einem Hohlboden verdeckt werden. Wichtig ist jedoch die Untersicht. Hier ist aber nicht nur der Fugenraster sichtbar, sondern auch die Abdrücke der Löcher, welche die Schrauben auf den Holzplatten hinterliessen. Und wer genauer hinschaut, merkt auch, dass die Silikonfugen nicht so dicht waren, wie sie hätten sein sollen: Es drang Wasser ein und liess die Kanten der Schalungstafeln leicht aufquillen. Die Folge: Die mäulchenförmigen Einrisse hinterliessen kleine Rümpfe entlang der Fugenlinie.
http://learningcenter.epfl.chhochparterre, Mo., 2008.10.13
13. Oktober 2008 Roderick Hönig
In Alt bau neu
(SUBTITLE) Umbau Doppeleinfamilienhaus
Das Doppeleinfamilienhaus stammt von 1911 und besass die für jene Zeit typische kleinräumige Struktur. Um grosszügige Räume zu schaffen und die heutigen bauphysikalischen Anforderungen zu erfüllen, wäre ein Neubau der einen Haushälfte möglich gewesen, denn geschützt war sie nicht. Doch die Sicherung der anderen Hälfte wäre aufwendig gewesen, der gestalterische Anschluss schwierig. Also entschied man sich zum Neubau in der alten Hülle. Diese neue Füllung ist ein von der alten Fassade unabhängiger Massivbau mit durchlaufenden Decken ohne tragende Zwischenwände. Ein Lift verbindet die vier Geschosse miteinander, steift das Gebäude aus und zoniert die Flächen. Zwei gegen die Strasse und den Garten gerichtete grosse Erker transformieren das neue Innere nach aussen und sie kompensieren die Fläche, die durch die verdoppelten Aussenwände verloren ging. Im Erdgeschoss liegt der Wohn- und Essraum mit der Küche, im ersten Stock die Schlafzimmer und das Bad und der zweite Stock ist für Gäste eingerichtet. Im Untergeschoss gibt es einen Wellnessbereich. Wände und Decken sind durchgehend mit einem glatten, weissen Putz überzogen, der den nach wie vor nicht allzu grossen Räumen mehr Weite gibt. Am Boden liegt ein dunkler Basaltino.hochparterre, Mo., 2008.10.13
13. Oktober 2008 Werner Huber
Kirchenschiff, hellrot
(SUBTITLE) Umbau und Erweiterung Neuapostolische Kirche
Mit ihrem Bau in Zuchwil SO bewies die Neuapostolische Kirche Schweiz Mut zur Architektur (HP 12/05). Nun folgt ein Kleinod in Glarus. Für ihre einzige Kirche im Kanton wünschte die Gemeinschaft zwanzig zusätzliche Plätze, eine Teeküche, Sitzungszimmer und Nebenräume. Zudem sollte der spröde Typenbau von 1966 als Kirche erkennbar werden. Der Clou der jungen Architekten Andreas Hinder und Hansruedi Marti war es, die neuen Plätze auf eine Empore zu verlegen. Zum einen sind die Bänke dort, bleiben sie einmal leer, für die Anwesenden nicht sichtbar. Zum anderen nähert die Empore den Bau dem Typus Kirche an, denn sie bedingte einen zweigeschossigen Anbau, der nun zur Halle steht wie ein Turm zum Schiff. Darin sind die übrigen neuen Räume gruppiert. Der Eingang ist in die neue Frontseite eingeschnitten; die schrägen Mauern geleiten die Besucher ins Innere. Das Foyer verjüngt sich in der Breite und, unter der Empore liegend, auch in der Höhe auf den Kirchenraum zu. Aus grobem Klinkersichtstein aufgemauert, wirkt der Anbau auch im Innern turmartig. Weiss und schlicht ist der Kirchenraum selbst, bis auf eine Raffinesse: Ein poppiges Hellrot leuchtet aus den Kastenfenstern in den Raum.hochparterre, Mo., 2008.10.13
13. Oktober 2008 Rahel Marti