Editorial
Wenn es eng wird im Bestand, weil neue Nutzungen eine Erweiterung erfordern, gilt es jedes Mal aufs Neue, eine klare Haltung gegenüber dem Vorgefundenen einzunehmen. Nachdem man bis vor einigen Jahren den Übergang gerne mit Fugen, Materialkontrasten und anderen »Tricks« inszenierte und dabei das Alte oft bedeutsamer erscheinen ließ als es je war, zeichnet sich eine neue, eine entspanntere Haltung ab: ein ruhiges, selbstbewusstes Weiterbauen in eigener Handschrift, mit angemessenem Respekt vor dem Bestand, das diesen und das Neue gleichermaßen aufwertet. ge
Inhalt
Diskurs
03 Kommentar
Staatsoper-Hickhack | Nikolaus Bernau
06 Magazin
12 On European Architecture
Turin: Stuck in Idle | Aaron Betsky
14 Im Blickpunkt
UIA-Kongress in Turin: Architektur für alle! | Manuel Cuadra
Schwerpunkt
16 Weiterbauen
18 Erweiterungen der Hamburger Gymnasien »Johanneum« und »Klosterschule«, Studio Andreas Heller, Thüs Farnschläder Architekten | Ralf Lange
26 Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, Kister Scheithauer Gross | Claas Gefroi
32 Tonmeisterstudio der Hochschule für Musik in Detmold, h.s.d. architekten | Klaus Dieter Weiss
38 Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Schrölkamp Architektur | Christian Holl
44 Cargo Center, Messe Frankfurt, Kölling Architekten | Sebastian Tokarz
50 ... in die Jahre gekommen
Neue Pinakothek in München, Alexander von Branca | Ira Mazzoni
Empfehlungen
56 Kalender
Ausstellungen:
Gion A. Caminada (Augsburg) | Roland Pawlitschko
Architektenstreit (Düsseldorf) | Rainer Schützeichel
58 Neu in …
...Fellbach | Cordula Gerhardt
...Kochel am See | Klaus F. Linscheid
...Wildau | Claus Käpplinger
60 Bücher
Trends
Energie
62 Bürogebäude in Ludwigsburg, Freivogel-Architekten | Rüdiger Krisch
Technik aktuell
68 Kunststoffe als Multifunktionale (Bau-)Werkstoffe | Susanne Rexroth
E-Technik
72 Lichttechnik im Umbruch | rm
Produkte
74 Möbelmesse Mailand | uk
78 Wettbewerb »Gecko: Think Forward«
80 Produktberichte: SolarTechnik, Heizungs- und Lüftungstechnik | rm
84 Schaufenster
Fassaden | rm
Software
86 3D-Modelling-Symposium | Tim Dressler
Anhang
90 Planer / Autoren
92 Vorschau / Impressum
Detailbogen
93 Detmold: Tonmeisterstudio der Hochschule für Musik
96 Karlsruhe: Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts
In illustrer Runde
(SUBTITLE) Cargo Center der Messe Frankfurt
Die Messe Frankfurt ist die einzige deutsche Messegesellschaft, die an ihre Gesellschafter Gewinne ausschüttet. Sie wächst auf allen Ebenen – seit einiger Zeit auch auf das Areal des ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs hinaus. Um den Service für Aussteller und deren Spediteure zu verbessern, wurden Logistik, Lagerung und Verteilung der Waren erstmals an einem zentralen Ort zusammengeführt und mit dem neuen Cargo Center das Ensemble aus Messe- und Kongresshallen um ein weiteres qualitätvolles Gebäude ergänzt.
Die Messe Frankfurt hat frühzeitig erkannt, dass Aussteller und Besucher zunehmend Wert auf ein hochwertiges Umfeld legen. Bereits seit den achtziger Jahren planen namhafte Architekten Gebäude, die nicht nur die Identität des Messestandorts stärken, sondern auch das Bild der Main-Metropole prägen. So avancierte der 256 Meter hohe Messeturm (1991) von Helmut Jahn mit seiner pyramidenförmigen Turmspitze als das seinerzeit höchste Bürohochhaus Europas zum Wahrzeichen der Stadt und zum Sinnbild der Finanzmetropole Frankfurt. Untrennbar mit dem Erscheinungsbild der Messe verbunden sind auch der mächtige Kuppelbau der Festhalle von Friedrich von Thiersch (1909) und das 117 Meter hohe Torhaus mit seiner typischen quadratischen Rasterung von O.M. Ungers (1984) als »Tor zur Welt«. Auf dem ehemaligen Gelände des Frankfurter Güterbahnhofs wurde darüber hinaus im Jahr 2001 nach den Plänen von Nicholas Grimshaw Partner eine weitere prägnante Messehalle realisiert, die sich durch ihre Dimensionen (220 x 140 Meter) sowie durch ihre charakteristische, wellenförmige Dachstruktur schnell zu einem Erkennungszeichen der Messe entwickelte.
In diesem prominenten Umfeld nimmt das im Jahr 2007 fertiggestellte Cargo Center von Kölling Architekten eine besondere Stellung ein, sollte doch die Nutzung als Logistikzentrum inmitten der Ausstellungshallen auch für Messebesucher deutlich ablesbar sein. Dem Masterplan des Frankfurter Architektur- und Stadtplanerbüros Albert Speer und Partner (AS&P) folgend, bildet das Cargo Center den Auftakt für den jüngsten Bauabschnitt auf dem Areal im Südwesten des Messegeländes. Die Halle, die sich mit ihrer Hauptfront zur Ausstellungsfläche orientiert, schafft auf der Ostseite zum Bahnkörper hin einen vom Freigelände aus nicht einsehbaren Vorbereich, der als Rangier- und Ladehof genutzt wird. Als Antwort auf die Heterogenität der benachbarten Bauten entwickelten Kölling Architekten eine 130 x 42 Meter große Halle, die die Maßstäblichkeit der benachbarten Messehallen aufgreift, sich durch die Gestaltung der Fassade aber deutlich von ihnen unterscheidet.
Das abstrakte Bild des Innenlebens
Die Architekten erarbeiteten das Farbkonzept in Abstimmung mit der Corporate-Design-Abteilung der Messe konkret am Modell. Zahlreiche Varianten wurden getestet, bis sich die Beteiligten auf die nun realisierte Lösung verständigt hatten. Die Auswahl der Farben orientiert sich einerseits an den Rot- und Brauntönen der Natursteinfassaden der umliegenden Messehallen sowie am Corporate-Design, in dessen »Korallenrot« unter anderem auch wichtige funktionale Einrichtungen sowie das Leitsystem gehalten sind. Die verwendete Farbpalette aus verschiedenen Grau-Braun- sowie frischen Rot-Orange-Tönen kommt durch die Kombination mit einem neutralen Farbton in ihrer Intensität und Farbigkeit erst richtig zur Geltung. Daher wurde als Fassadengrundton sowie für das Halleninnere ein helles Grauweiß gewählt.
Das Bild übereinander- und nebeneinandergestapelter Container, das Thema des Stapelns und Schichtens der Waren im Inneren der Lagerhalle, wurde durch das Wechselspiel der verschiedenen Farben und verschieden breiten Fassadenprofile in drei übereinanderliegenden Bändern auf die Fassade übertragen. Es signalisiert dem Messebesucher die besondere Funktion des Gebäudes als Lager- und Logistikzentrum. Geschickt spielen die Architekten zudem mit der Maßstäblichkeit der Halle. Durch das Container-Motiv sowie durch die optisch vergrößerten Tore erscheint das Cargo Center kleiner als es tatsächlich ist. Das weiträumige Gelände der Messe und die benachbarten Bauvolumen der Messehallen verstärken diesen Eindruck noch. Insbesondere die knapp elf Meter hohe und 130 Meter lange Hauptfassade, die wie ein überdimensionales, von der Minimal Art oder der abstrakten Malerei inspiriertes Bild erscheint, verliert dadurch an Monumentalität. Der Wechsel von grauen und farbigen Profilen suggeriert überdies Plastizität und räumliche Tiefe. Großformatige Fensterflächen, die sich in das Fassadenbild einfügen, gewähren an den Stirnseiten Einblick in die Halle und entsprechen so dem Wunsch der Bauherren nach einer »transparenten Logistik«. Ein robuster Betonfertigteil-Sockel bildet die ein Meter hohe Basis für die farbigen Blechpaneele und dient zugleich als Anprallschutz.
Die anthrazitfarbene, glatt geschliffene Putzfassade des auf der Ostseite der Halle angefügten Verwaltungstraktes hebt sich klar ab. Sie greift zwar das Anthrazit der Fassadenprofile und Tore sowie in den Fensterlaibungen das Material Blech wieder auf. Doch die Höhenstaffelung der Lochfassade scheint nicht mit der Halle zu korrespondieren. Insbesondere die Fensterbrüstungen nehmen keine erkennbaren Bezüge zur vertikalen Gliederung der Lagerhalle auf. Unter funktionalen Gesichtspunkten hingegen sind Halle und Verwaltungstrakt sehr gut aufeinander bezogen. Die Architekten setzen hier das Konzept der kurzen Wege bei geringem Flächenverbrauch konsequent um. Der viergeschossige Bürotrakt spannt sich als Torhaus über den abgesenkten Ladehof und schafft auf diese Weise einen geschützten Vorbereich für die Anlieferung. Die Waren werden hier entweder zwischengelagert oder direkt über die Tore auf der gegenüberliegenden Seite auf dem Messegelände verteilt.
Bei einer Fassadenfläche von rund 4000 Quadratmetern waren für die Wahl der Materialen auch die Kosten entscheidend. Die Beschränkung auf Standardprofile in den Breiten zwanzig und dreißig Zentimeter half, die Ausgaben zu senken.
Eine wichtige Anforderung an das Cargo Center vonseiten der Aussteller ist eine temperierte Situation von 18 Grad für die Fracht. Die hoch gedämmte Außenhülle sowie die eingebauten Schnelllauftore tragen dazu bei, Wärmeverluste zu minimieren. Die Vorgabe der Energieeinsparverordnung (EnEV) wird sogar um ca. 67 Prozent unterschritten.
Halle und Verwaltungsgebäude wurden als Betonfertigteilkonstruktion ausgeführt. Für das Hallentragwerk entwickelten die Architekten jedoch eine Konstruktion aus Holz, die das Gewicht des Daches möglichst gering hält und somit schlanke Betonstützen ermöglicht. Die 21 Meter weit spannenden und zwei Meter hohen Brettschichtleimbinder mit Holzpfetten stehen zudem in einem spannungsvollen Kontrast zum spröden Charme der Betonoberflächen, die im weiträumigen Halleninnenraum vorherrschen. Mit dieser Konstruktion überzeugten die Architekten ihren Auftraggeber, den engen Zeit- und Kostenrahmen einhalten zu können, was ihnen neben dem Entwurfsauftrag auch die Übertragung aller weiteren Leistungsphasen einbrachte.
Das neue Gebäude erfüllt nicht nur die hohen Erwartungen an die Qualität von Architektur und Ausführung. Die Architekten haben zusammen mit den Bauherren eine Lösung gefunden, die einerseits den Flächenverbrauch auf dem kompakten Messegelände minimiert und darüber hinaus reibungslose Abläufe in Bezug auf die Logistik sicherstellt.
Das neue Cargo Center setzt die Tradition der Messe Frankfurt fort, durch Architektur von hoher Qualität die Identität des Messestandortes zu stärken und somit einen Mehrwert für Aussteller, Messebesucher, die Stadt Frankfurt und nicht zuletzt für sich selbst zu schaffen. Das Gesicht der Messe war bislang mit Bauten von Oswald Matthias Ungers, Helmut Jahn und Nicholas Grimshaw alles andere als blass, doch das Cargo Center von Kölling Architekten zeigt, wie glücklich sich ein starkes Farbspiel in dieses kraftvolle Architekturensemble einfügen kann.db, Mi., 2008.08.06
06. August 2008 Sebastian Tokarz
verknüpfte Bauwerke
Speditions- und Logistikgebäude Frankfurter Messe
Koloss mit Feingefühl
(SUBTITLE) Institut für Tropenmedizin in Hamburg
Die vielerlei verfahrens- wie sicherheitstechnisch hochsensiblen Räume, die das Bernhard-Nocht-Institut zukünftig zusätzlich benötigt, konnten nur in einem Neubau sinnvoll untergebracht werden. Obwohl sie sich gegenüber dem Schumacher-Bau von 1914 einer völlig andersartigen Formensprache bedienen, gelang den Architekten mit subtilen Mitteln die organische Fortführung der städtebaulichen Struktur, die der Bestand vorgibt.
»Eure Hoheit, ich vergesse, dass ich in Europa bin. Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie hier.« Selbst einen erfahrenen und weit gereisten Mediziner wie Robert Koch schockierten die Zustände, die er in den Hamburger Gängevierteln, den Armenquartieren der Stadt, antraf. Bereits mehrmals waren große Epidemien ausgebrochen, ohne dass die Stadt viel unternommen hätte, als sich 1892 über das ungefilterte Trinkwasser die asiatische Cholera verbreitete. Die sich schnell in der Stadt ausbreitende Seuche forderte 9000 Menschenleben. Nach der Katastrophe änderten sich endlich die Verhältnisse: Die Trinkwasserfilterung wurde eingeführt, die Gängeviertel abgerissen und das »Institut für Schiff- und Tropenkrankheiten« gegründet, das der tropenmedizinischen Forschung und der Ausbildung von Schiffs- und Kolonialärzten diente.
Das nach seinem ersten Direktor benannte Bernhard-Nocht-Institut wurde zunächst provisorisch in den Räumen des Seemannshauses untergebracht und erhielt 1914 einen Neubau nach Plänen des Hamburger Baudirektors und Leiters der Hochbauabteilung Fritz Schumacher. Schon er hatte Schwierigkeiten mit dem Grundstück auf St. Paulis Geestkante: Zwar ist der Blick über Elbe und Hafen einzigartig, doch der Baugrund ist lang, schmal und von einer beachtlichen Höhendifferenz gekennzeichnet, die Nicht-Hamburger in der vermeintlich platten Hansestadt nicht erwarten würden. Schumacher entwickelte eine Anlage aus drei nebeneinander liegenden Bauten – von Ost nach West – ein Krankenhaus für Tropenkranke, das Institutsgebäude sowie das Tierhaus.
Heute ist das Institut mit rund 400 Mitarbeitern die größte tropenmedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. In seinen High-Tech-Laboren wird an so unheimlichen Erregern wie dem Ebola- oder dem Marburg-Virus geforscht; man stuft die eigenen Forschungsleistungen als »von gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischen Interesse« ein. Doch der altehrwürdige Institutsbau wurde zu klein, ein Neubau mit rund 3000 Quadratmetern Nutzfläche nötig. Die im Wettbewerb siegreichen Architekten Kister Scheithauer Gross nutzten die lang gestreckte spitzwinklige Fläche mit einem dreieckigen Baukörper mit gekappter Spitze bis an die Grenzen aus. Und sie gingen das Wagnis ein, Schumachers Backsteinachse mit dem gleichen Material in moderner Form fortzuführen. Modern heißt vor allem: der Verzicht auf jeglichen Bauschmuck oder (Ziegel-)Ornamente. Stattdessen stellen die Architekten den reich gegliederten und geschmückten Altbauten einen nackten, rohen Koloss zur Seite, dessen Schroffheit an ein Felsengebirge denken lässt. Kister Scheithauer Gross begründen den Solitärbau so: »Der vorhandene Schumacher-Bau bildet für die Baukörpergruppe … bereits seinen eigenen baulichen Abschluss und verlangte nicht nach Ergänzung des in sich geschlossenen Ensembles.« Damit macht man es sich etwas zu leicht, denn mit einem neuen Gebäude auf dem Standort des zuvor abgerissenen Tierhauses wird automatisch die alte Struktur mit drei Bauwerken wiederhergestellt – der Neubau muss sich, egal wie, dem historischen Kontext stellen.
Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest: Es gibt Anknüpfungspunkte. Sofort fällt der gläserne zweistöckige Übergang vom Alt- in den Neubau ins Auge, der eine Erschließungsachse des Schumacher-Baus fortführt. Und bemerkenswert ist auch, dass die höchste Dachkante des gestaffelten Neubaus unter der Firstkante des Institutsgebäudes bleibt und den Blick auf dessen Turm nicht verstellt. Die dem Altbau zugewandte Schmalseite inszeniert am Treppenhaus den Blick aufs bauliche Erbe mit einem mehrere Geschosse umfassenden, »Stadtloggia« genannten Fenster. Die übrigen Seiten nehmen mit der Dreiteilung in Sockel, Hauptgeschosse und breitem Dachsims die Fassadeneinteilung von Schumacher subtil auf, ohne sie zu imitieren. Die komplexe Form des Erweiterungsgebäudes ist dagegen betont eigenständig: Das Haus erscheint mit seinen zwei gegenläufig geneigten Dachflächen und den schiefwinkligen Außenwänden und -kanten wie eine Großskulptur, die ihren eigenen Gesetzen folgt – eine Idee, die konsequent umgesetzt wurde. So ist das Dach als fünfte Fassade ebenfalls mit dem homogenen Klinkerkleid bedeckt, technisch gelöst durch Betonfertigteile, in die die Steine eingefügt wurden. Die wenigen Fenster sind zweigeteilt: ein größeres für Ausblicke des Personals und ein schmaleres darüber als zusätzliche »Lichtleiste«. Sie sitzen allesamt in tiefen Laibungen, wodurch der Eindruck martialischer Schießscharten erweckt wird.
Der abweisende Baukörper zeigt klar an, dass seine Nutzung einen Hochsicherheitstrakt erfordert. Im Inneren werden Labore und Tierhaltung konsequent in der Vertikalen voneinander getrennt. In den beiden Kellergeschossen wurde die Tierzucht und -haltung untergebracht, in den oberen Etagen die Laborräume für Virologie und Parasitologie, darunter solche der höchsten Sicherheitsstufe 4 sowie Büros und ein Insektarium. Selbst die beiden Aufzüge verkehren aus hygienischen Gründen nur jeweils zwischen den oberirdischen oder unterirdischen Stockwerken. Die Verteilerebene des Erdgeschosses ist aus Sicherheitsgründen nicht von der Straße, sondern nur über die Glasbrücke zwischen Alt- und Neubau zu betreten. Die Innenausstattung ist bei einem solchen Zweckbau nüchtern und funktional. Doch es gelingt den Architekten, an der einen oder anderen Stelle doch aus dem starren Korsett auszubrechen: So sind einige Fenster um Gebäudeecken herumgezogen, um den Ausblick weiter zu fassen, und in der stumpfen Spitze gibt es einen neun Meter hohen, quasi zweckfreien Raum, das Reflektorium, das dem Zwiegespräch und Nachdenken dient.
Felsen, Burg, Bunker: Die durch das neue Tropenhaus geweckten Assoziationen gefallen nicht jedem, doch sie passen zu Ort und Nutzung des Gebäudes. Und die Architekten knüpfen an die Hamburger Baugeschichte (nach Schumacher) an. So ist die gestalterische Nähe zu Werner Kallmorgens schnörkellosem monolithischen Kaispeicher A, der derzeit zur Elbphilharmonie umgebaut wird, überhaupt nicht zu übersehen. Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet Kölner Architekten reihen sich mit einem äußerst sperrigem, aber kraftvollen Bauwerk in die Traditionslinie Hamburger Backsteinarchitektur ein und führen sie in die Zukunft fort. Der kleine rote Stein ist noch lange nicht tot.db, Mi., 2008.08.06
06. August 2008 Claas Gefroi
verknüpfte Bauwerke
Institut für Tropenmedizin
Nah am Vorbild – nah am Bürger
(SUBTITLE) Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Seit seiner Gründung im Jahr 19951 hat das Bundesverfassungsgericht seinen Sitz in Karlsruhe. Zunächst im Prinz-Max-Palais untergebracht, bezog es 1969 sein heutiges, von Paul Baumgarten entworfenes Gebäude in unmittelbarer Nähe des Schlosses. Baumgarten hatte dies bewusst nicht als Justizpalast, sondern als Baukörperensemble geplant, das den Eindruck demokratischer Transparenz vermitteln sollte. Raumnot machte die Erweiterung um einen Bürobau notwendig. Das spannungsreiche, denkmalgeschützte Ensemble »weiterzubauen«, gelang den Architekten, indem sie sich am Bestand orientierten, ohne ihn nachzuahmen.
So recht mag man die Aufregung um die Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe im Nachhinein nicht verstehen. In dessen Gebäuden, zwischen Schlossplatz und Botanischem Garten am westlichen Rand des vom Karlsruher Schloss aufgespannten Fächers gelegen, war es eng geworden, da seit der Wiedervereinigung die Anzahl der hier verhandelten Verfahren gestiegen ist. Bereits 1995 war das ursprünglich öffentliche Casino im südwestlichsten Baukörper in Büros umgewandelt worden. Eine Aufstockung oder Nachverdichtung des von Paul Baumgarten (1900–84) von 1965–69 errichteten Ensembles aus fünf Pavillons, mit denen er der Idee einer modernen, demokratischen Rechtsprechung ein sehr eigenständiges Gesicht gab, kam aus denkmalpflegerischen Gründen nicht infrage. So entschied man sich, am südwestlichen Ende der Anlage, auf einem kleinen Teilstück des Botanischen Gartens, einen Neubau für vierzig Büros zu errichten. Das Land Baden-Württemberg hatte dem Bund dieses Teilgrundstück angeboten und verkauft. 2002 wurde ein Wettbewerb in einem zweistufigen Verfahren durchgeführt und nach einer Überarbeitungsphase das Berliner Büro Schrölkamp Architektur mit dem Bau beauftragt; nicht zuletzt, weil die Architekten in ihrem Entwurf sensibel Rücksicht auf den Botanischen Garten genommen hatten. Denn der Eingriff in dessen Bestand, wie ihn der vor der Überarbeitung Erstplatzierte Michael Auerbacher vorgeschlagen hatte, der einen aufgeständerten Riegel in die Grünfläche schieben wollte, war auf starke Kritik gestoßen. Eine Bürgerinitiative wollte verhindern, dass Flächen des Botanischen Gartens in Anspruch genommen werden, so wurden die vier Preisträgerentwürfe zur Überarbeitung ausgewählt – die Stadt hatte den Bund, um den Konflikt nicht eskalieren zu lassen, darum gebeten. Doch trotz Überarbeitung und intensiver Gespräche erhielt die Bürgerinitiative ihren Widerstand aufrecht, letztlich jedoch ohne Erfolg. Dabei hatten Schrölkamp Architektur sich intensiv mit der Kritik auseinandergesetzt und ihren ursprünglichen Entwurf in der Überarbeitung deutlich zurückhaltender gestaltet. Überzeugender als die anderen hatte er Rücksicht auf den Botanischen Garten und den denkmalgeschützten Bestand des Bundesverfassungsgerichts genommen, so dass dieser Entwurf nun auch von der Stadt Karlsruhe mitgetragen werden konnte.
Bekenntnis zur Bürgernähe
Dass der 2007 bezogene Neubau inzwischen nicht mehr als Störung empfunden wird, beruht im Wesentlichen darauf, dass er die gleiche Haltung zur Öffentlichkeit ausdrückt, wie sie schon in den älteren Bauten repräsentiert wird. Anders als die Bauten der Bundesstaatsanwaltschaft (Oswald Mathias Ungers, 1998), die als Hochsicherheitstrakte vom Misstrauen gegenüber der Öffentlichkeit sprechen, wird hier die Nähe zum Bürger gesucht. Paul Baumgartens Ensemble, in fünf leichte und elegante, durch Brücken miteinander verbundene Baukörper aufgelöst, verzichtet auf jede Demonstration von Macht. Das höchste Gebäude beherbergt den Sitzungssaal, die inzwischen unterirdisch erweitere Bibliothek schließt sich nordwestlich an, im nordöstlich davon liegenden Gebäude mit Atrium sind die beiden Senate untergebracht. Ähnlich den Bauten Eiermanns für die Expo in Brüssel, wurde auch hier durch eine offene, in die Landschaft eingebettete Struktur, durch eine helle, transparente Architektur ein Zeichen für den Willen gesetzt, sich der Demokratie zu verpflichten. Der dreigeschossige Neubau nimmt Sprache und Struktur des Bestands auf, setzt sich aber in Anmutung und Materialwahl deutlich von ihm ab. Die strukturalistische Idee Baumgartens wird in dem Einzelbaukörper fortgeführt, der wie die bestehenden durch eine verglaste Brücke mit seinem Nachbarn verbunden ist; die offene Struktur des Ensembles, das die angrenzenden Freiräume durchlässig miteinander verbindet, findet hier ihre Fortsetzung. Die Außenkanten des »Neulings« führen die Fluchten der Bestandsbauten fort. Das Erdgeschoss ist gegenüber dem gleichen Geschoss des Bestands um 1,10 Meter abgesenkt, da die Höhe des Gebäudes limitiert worden war; denn zum einen sollte das Neue sich dem Bestand anpassen, zum anderen der Turm der Stadtkirche vom Botanischen Garten aus sichtbar bleiben. Über eine Brücke wird auf Halbgeschossniveau direkt die Treppe erreicht, sie gleicht den Höhenversatz aus, der durch das abgesenkte Erdgeschoss entstand.
Fassaden und Raumschichten
Der Entwurfsidee liegt der Gedanke parallel angeordneter Raumschichten zugrunde; vom Altbau her beginnend mit einen Senkgarten zwischen Neubau und Bestand – ausgelegt mit hellem, das Licht reflektierendem Kies –, darauf folgen der erste Bürobund, der Mittelflur und der zweite Bürobund und schließlich die Pergola, die wiederum gegliedert ist in einen Bedienungsgang, Pflanztröge und freiem Raum vor dem Abschluss der Stahlkonstruktion. Mit dreierlei Fassaden reagieren die Architekten auf die Umgebung. Zum schmalen Raum zwischen Neubau und Bestand, nach Südosten, zeigt sich eine unprätentiöse Pfostenriegelfassade aus anthrazitfarben beschichtetem Aluminium und raumhoher Verglasung, ergänzt durch Elemente aus emailliertem Glas. Die Stirnfassaden sind mit gedämmten Paneelen aus brüniertem Messing verkleidet, das sich den Farben der Umgebung anpasst. Nach Nordwesten, zum Botanischen Garten hin, wird mit einer vorgesetzten, anthrazitfarben beschichteten Stahlstruktur, einer Pergola mit eingesetzten Pflanztrögen aus Glasfaserbeton, zweierlei erreicht. Zum einen bilden die Pflanzen – Bambus, Weißdorn, kleinwüchsige Kiefer und Grüner Schlitzahorn – die Fortführung des Botanischen Gartens in der Vertikalen. Zum anderen stellen sie zusammen mit der vor der Pergola ansteigenden Böschung die gewünschte Distanz zum öffentlichen Raum des Botanischen Gartens her. Denn die Bürgernähe sollte nicht so weit gehen, dass Richter und Mitarbeiter bei der Arbeit gestört werden.
Schatulle für ein wertvolles Organ
Es ist ein einfaches Strukturprinzip: ein Bürobau in Stahlbetonskelettbauweise mit vorgesetzter Aluminiumfassade, der noch um eine Küche im Erdgeschoss, von der aus ein Speisesaal für 48 Personen im ersten Obergeschoss beliefert werden kann, ergänzt wurde. Denn exaltiert sollte der Neubau nicht werden, sich nicht gegenüber Baumgartens Bauten-Ensemble aufspielen, denn letztlich finden sich in ihm nur normale, natürlich belichtete und dem Stand der Technik entsprechend ausgestattete Zellenbüros – ohne aufwendige und experimentelle Technik, ohne Klimaanlage. Über französische Fenster sind die Bürozellen natürlich zu belüften. Angemessen blieben mit 2,9 Mio. Euro auch die Baukosten. Baumgarten hatte über den Untergeschossen aus einer massiven Stahlbetonkonstruktion Stahlskelettbauten errichtet. Mit großen Glasflächen, Holzelementen aus Oregonkiefer und Brüstungen aus edel wirkenden Aluminiumgussplatten hatte er den Gebäuden die ihrer Funktion angemessene Würde und zurückhaltende Eleganz verliehen. Der Neubau nun präsentiert sich als wertvolle Schatulle, erreicht diesen Eindruck durch die einfache Geometrie, das matt glänzende Messing und die anthrazitfarbene Beschichtung der Fassaden und der Pergola. Das Büro Schrölkamp Architektur hat einen Weg gefunden, den Erweiterungsbau dem Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts entsprechen zu lassen. Dabei wurden die Erwartungen an Bürgernähe und Repräsentanz erfüllt und die Achtung vor dem Ensemble Baumgartens gewahrt.db, Mi., 2008.08.06
06. August 2008 Christian Holl
verknüpfte Bauwerke
Bundesverfassungsgericht - Erweiterung