Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Erfolgreiches Scheitern. Unrealisierte Projekte von Alvar Aalto | Bettina Maria Brosowsky
03 Tagung zu architekturgebundener Glasmalerei | Günter Kowa
04 David-Gilly-Retrospektive | Oliver Hell
04 Die Dauer der Welt | Ulrich Brinkmann

BETRIFFT
08 Streitfall Ara Pacis | Giorgio Muratore

WETTBEWERBE
10 5. Internationaler Bauhaus Award 2008 | Friederike Meyer
12 Entscheidungen
13 Auslobungen

THEMA
14 Die Tramlinie 1 in Nizza | Sebastian Redecke
17 Werkstatt und Depot Comte de Falicon | Sebastian Redecke
26 Kein neues Rathaus | Sebastian Redecke
28 Place Masséna | Sebastian Redecke
32 Kulturzentrum „Bon Voyage“ | Sebastian Redecke

REZENSIONEN
37 Stadtmachen.eu | Brigitte Schultz
37 Stadttechnik im Städtebau Berlins | Jan Gympel
38 Verkehrsdenkmale in Berlin | Jan Gympel

RUBRIKEN
06 Leserbriefe
06 wer wo was wann
36 Kalender
39 Anzeigen

Streitfall Ara Pacis

Die Diskussionen um den Ausstellungsbau von Richard Meier für die Ara Pacis in Rom gehen weiter. Der neue Bürgermeister Gianni Alemanno kann sich gut vorstellen, dass er wieder abgerissen wird. Frühere Kritiker des Neubaus sind indes dagegen.

Die Ende April abgehaltenen Kommunalwahlen bescherten der italienischen Hauptstadt einen rechten Senat, dazu mit Gianni Alemanno einen Bürgermeister, dessen Sympathien mit dem faschistischen Lager durchaus nicht unausgesprochen bleiben. Die Ursachen für ein solches Ergebnis sind eng verknüpft mit der politischen Lage, nicht zuletzt mit der erneuten Rechtsregierung unter Silvio Berlusconi. Der massive Ruck einer stark destabilisierten Linken in Richtung Mitte unter der selbstzerstörerischen Führung des ehemaligen römischen Bürgermeisters Walter Veltroni, der gegen Berlusconi kandidiert hatte, bewirkte auf nationaler wie auf lokaler Ebene eine radikale Wendung der Politikszene in Italien, die – wenn auch nicht wie im Fall der Hauptstadt unter extrem rechten Vorzeichen – alle Tendenzen einer gravierenden konservativen Prägung aufweist.

04. Juli 2008 Giorgio Muratore

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verknüpfte Bauwerke
Augustus-Museum

Die Tramlinie 1 in Nizza

Von der Autobahn im Norden zur Altstadt im Süden oder entlang der Bucht? Die Diskussionen im Stadtrat zur ersten Tramlinie sind vorbei; seit kurzem ist die Strecke eingeweiht. Für das Depot war im felsigen Hang zwischen Wohnblocks und Umspannstation noch Platz.

Der Neuanfang ist gemacht und bereits heute für die Stadt ein Erfolg. Am 24. November 2007 eröffnete die Tramlinie 1 auf ei­ner Länge von 8,7 Kilometern mit 21 Haltestellen. Sie wird von den Bewohnern mehr angenommen als erwartet, fährt zu Stoßzeiten alle vier Minuten und gehört wie selbstverständlich zum Stadtbild von Nizza, der fünftgrößten Stadt Frankreichs mit rund 350.000 Einwohnern, einschließlich der Vororte sind es über eine halbe Million. Das Projekt ist in einem engen Zusammenhang zu sehen mit dem teilweise schon über fünfzehn Jahre laufenden Straßenbahnprogramm zahlreicher Städte des Landes, zum Beispiel in Nantes (Heft 39.2000), Orléans, Straßburg, Lyon, Bordeaux, Grenoble, Montpellier und sogar in einer kleineren Stadt wie Le Mans.

In Nizza gab es eine Vorgeschichte, denn schon am 13. Januar 1900 fuhr die erste Straßenbahn auf den Gleisen des „Réseau des Tramways de Nice et du Littoral (T.N.L.)“. Innerhalb von zwanzig Jahren wuchs das Netz auf 11 Linien an. Wie in anderen Städten wollte man die Tram dann nicht mehr, da sie – damals noch deutlich langsamer unterwegs – den Straßenverkehr zu sehr „blockierte“. Die letzte Fahrt der Linie 7 fand am 10. Januar 1953 statt. Damit war die Geschichte der Tram zu Ende. Die Strecken wurden durch Busse ersetzt.

Die vom Meer zurückgesetzten Stadtteile von Nizza liegen meist an Hängen. Die Linie 1 mit den silbernen Niederflur­bahnen der „Communauté d’Agglomération Nice Côte d’Azur“ führt von Norden einen Hügel hinunter in das Zentrum, erreicht hier westlich des alten Hafens fast die Promenade des Anglais und verläuft dann am Boulevard Jean Jaurès entlang des gedeckelten Flusses Paillon, macht einen Schwenk nach Osten zur Universität an der Rue Maréchal Vauban und führt dann wieder ein Stück nach Norden (Seite 27). Die Endhaltestelle Pont Michel liegt im Stadtgebiet „Bon Voyage“; von hier bietet sich ein imposanter Blick hinauf zum Mont-Gros, auf dem sich die 1880–92 erbaute Sternwarte des Pariser Opern-Architekten Charles Garnier erhebt, mit einer Kuppel von Gustave Eiffel. Eine Verlängerung der Linie bis zum Krankenhaus Pasteur und später den Fluss Paillon entlang in die nordöstlich gelegenen Vororte ist vorgesehen. Eine zweite und dritte Linie werden folgen; die Linie 2 soll „in zweiter Reihe“ entlang der Bucht durch die Stadt verlaufen und im Westen bis zum Flughafen und weiter nach Cagnes-sur-Mer führen. Die deutlich kürzere Linie 3 ganz im Westen von Nizza wird das Stadtentwicklungsgebiet in der Ebene längs des Flusses Var erschließen. Die Planungen gehen davon aus, dass schon 2020 das komplette Netz auf 36 Kilometer Länge fertig sein wird, doch gibt es bereits jetzt erhebliche Verzögerungen beim Projekt der Linie 2, da die Kosten stetig steigen und es nun auch noch Überlegungen gibt, die Strecke direkt entlang der Promenade des Anglais zu führen, um dieser damit wieder eine größere Bedeutung zu schenken. Außerdem sorgen einige Geschäftsleute der Stadt, die angesichts der zu erwartenden gro­ßen Baustellen um Einbußen fürchten, dafür, dass sich die Entscheidungen hinziehen.

Ein Faktor, der im Rahmen des Straßenbahn-Projekts von Seiten der Stadt immer wieder genannt wird, ist – neben der Reduzierung des Autoverkehrs – die Belebung von Teilen der Innenstadt. In diesem Zusammenhang ist auch das erklärte politische Ziel von Relevanz, alle wichtigen städtischen Einrichtungen im Zentrum zu belassen.

03. Juli 2008 Sebastian Redecke

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verknüpfte Bauwerke
Depot- und Werkstattgebäude Comte de Falicon

5. Internationaler Bauhaus Award 2008

Das Bauhaus Dessau fragte nach Ideen zur Behebung der aktuellen Wohnungsnot in den Städten. Die Einsendungen aus 25 Ländern reichten von platzsparend konzipierten Häusern in Skandinavien über Stadtführer für Berliner Obdachlose bis hin zu Infrastrukturkernen für den Selbstausbau in Südamerika. Was fangen wir jetzt damit an? Eine Abschlussdiskussion steht noch aus.

Unter dem Titel „Wohnungsnöte. Wohnung für das Existenzminimum von heute“ fragte die Ausschreibung des 5. Internationalen Bauhaus Award nach „Ideen zur Behebung der aktuellen Wohnungsnot in den Städten“. Ein vielschichtiges Thema für einen einzigen Wettbewerb. Vor 79 Jahren hatte sich der CIAM Kongress in Frankfurt am Main schon einmal damit beschäftigt. Für Bauhaus-Direktor Omar Akbar passt dieser Bezug offenbar gut in seine Zukunftsstrategie, die er „Aktualisierung der Moderne“ nennt. Denn die Verhältnisse haben sich geändert. Fünfzig Prozent der Weltbevölkerung leben in Städten, zehn Prozent unter gravierenden Wohnungsnöten. Das ist bekannt. Auch gibt es weitgehend Konsens darüber, welche Gruppen potentiell am Existenzminimum le­ben: Obdachlose, Bewohner von Heimen, Asylen und Notunterkünften, Aussiedler, Migranten und Illegale, Leichtlohngruppen und kinderreiche Familien. Dann aber wird es unübersichtlich: Die Auslober schreiben, alle diese Gruppen hätten Probleme, eine bezahlbare Wohnung in der Stadt zu finden, „seien es kreative Mittelschichtler in Berlin-Mitte oder Favelabewohner am Rand von São Paulo“. Fragen drängen sich auf: Was ist eigentlich Existenzminimum? Was heißt Woh­nungsnot in Europa, was in Asien oder Südamerika? Mit welchem Maß sollen wir messen? Wo fängt Luxus an? Liegt er nicht für viele gerade im Minimalen? Eine präzise Ausschreibung und Kategorien für die Preisvergabe hätten hier geholfen zu differenzieren.

Die aus über einhundert Einsendungen nominierten und auf der Bauhauswebseite veröffentlichten Projekte zeigen denn auch, wie verschieden die aufgerufenen Gestalter, Künstler und Wissenschaftler Wohnungsnot interpretieren bzw. sie beheben wollen. Da gibt es einen Stadtführer für Obdachlose in Berlin oder die Analyse einer Stuttgarter Studentengruppe zum spontanen Bauen in Mexiko-Stadt. Da gibt es ein bis auf den letzten Zentimeter ausgetüfteltes Haus mit vier Räumen auf 19 m² in Oslo, eine aus Europaletten gezimmerte Hütte für das Trondheimer Künstlerdorf oder die in Gent mit einem Minibud­get zu Lofts ausgebaute Baumwollfabrik – also eher trendige Unterkünfte für Menschen mit vielleicht bescheidenen Mitteln, aber hohen Ansprüchen. Neue Gedanken stecken da nur in wenigen Projekten: so in dem Dokumentarfilm „Startankstelle“, der Jugend-liche mit Migrationshintergrund im Auto an der Tankstelle beobachtet und auf ihre mangelnden Rückzugsmöglichkeiten hinweist, wie auch in dem Vorschlag, städ­tische Freibäder im Winter als Notunterkünfte zu nutzen, der am Beispiel des Berliner Monbijou-Bades aber unverständlicherweise als Neubauentwurf dar-gestellt war. Beide blieben ohne Preis. Stattdessen hat die Jury eine Rangfolge festgelegt, der man unterstellen könnte, mehr auf eindrückliche Bilder und bekannte Problemzonen denn auf neue Sichtweisen ausgerichtet zu sein.

Das in der chilenischen Stadt Temuco derzeit im Bau befindliche Projekt des Rotterdamer Büros pasel.künzel architects kam auf Platz eins. Mit ihren dreigeschossigen Infrastruktureinheiten zum Selbstausbau wollen die Architekten das Favela-System (erst entstehen Häuser, oft viel zu spät Infrastrukturen) umkehren und zugleich die ungeordnete Flächen­ausbreitung informeller Siedlungen eindämmen. Den zweiten Preis erhielt die Sanierung eines 70er-Jahre-Wohnhauses in Tokio, bei dem der Architekt Jo Nagasaka lediglich die Einbauten entfernen ließ und so mit geringstem Budget einen „bezahlbaren“ Wohnraum schuf. Es bleibt unverständlich, warum dies dann aber u.a. durch ein mit Designermöbeln eingerichtetes Apartment bebildert ist. Die Dokumentation von Unterkünften auf den Dächern der Hochhäuser in Hongkong kam auf Platz drei.

Wenn dem Bauhaus wirklich an einer Lösung der Wohnprobleme der Zukunft gelegen ist, sollte ­es, wie bereits im Vorfeld des Wettbewerbs geschehen, auch hinterher ein Kolloquium veranstalten, alle eingereichten Projekte in Gänze veröffentlichen und zur Diskussion stellen. Andernfalls könnte der Eindruck entstehen, dass es hier nur um eine brisante Schlagzeile geht, um eine möglichst hohe Zahl an Einsendungen und schöne Bilder für die Pressemitteilung.

03. Juli 2008 Friederike Meyer

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verknüpfte Akteure
pasel.kuenzel architects

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