Editorial

Dieses Heft widmet sich dem kürzlich entschiedenen Wettbewerb für die neue Taminabrücke, die das Taminatal überspannen und die beiden Dörfer Pfäfers und Valens verbinden soll (Projektierungsbeginn ist vom Kantonsratsbeschluss zum 15. Strassenbauprogramm abhängig und frühestens ab 2009 geplant). Das Siegerprojekt stellt eine kraftvolle und elegante Brücke dar, die sich sorgfältig in das Gelände einpasst und das Gebiet der Taminaschlucht bei Bofel als Schongebiet berücksichtigt. Weshalb an dieser Stelle eine Brücke gebaut werden soll, beschreibt Aldo Rota im Beitrag «Mut zur Brücke».

Der Kanton St. Gallen schrieb im Mai 2007 einen einstufigen, anonymen Wettbewerb aus. Ziel war, einen umfassenden Variantenvergleich von Brückentragwerkskonzepten zu erhalten. Mit den 24 im September 2007 eingegangenen, als Vorprojekte ausgearbeiteten Beiträgen wurde dieses Ziel erreicht. Für die Beurteilung zogen die Jurymitglieder in der Ausschreibung festgelegte Kriterien bei, die nach der aufgeführten Reihenfolge gewichtet waren ­ eine klare Gewichtung zum Beispiel in Prozent wurde aber nicht angegeben. Bauingenieur Mathis Grenacher, eines der neun Jurymitglieder, spricht in «Etwas ganz Besonderes» mit Judit Solt über diese Kriterien. Zudem bringt das Gespräch technische und optische Vorzüge des Siegerprojektes «TaminaBogen» von Leonhardt, Andrä und Partner zum Ausdruck. Im Gegensatz zu den anderen Tragwerkskonzepten gelingt es den Verfassern dieser Lösung, mit den radial am Bogen angeordneten Stützen eine vorteilhafte Konstruktion in Bezug auf den Kräftefluss im Tragwerk und auf den geklüfteten Baugrund zu finden.

In «Die Wettbewerbsprojekte» werden alle eingegangenen Beiträge gezeigt und mit Auszügen aus dem Jurybericht vorgestellt. Vor allem die unterschiedlichen (ausführungs) technischen Lösungen ermöglichten der Jury, die Projekte zu ordnen. Daneben wertete sie optische Qualitäten: Gerade der projektprägende optische Ausdruck erscheint dann vorteilhaft, wenn grundsätzlich eine wahre Teamarbeit dahinter steckt. Voraussetzung dafür sind gegenseitiger Respekt unter allen Fachleuten und echtes Interesse für andere, manchmal auch weniger vertraute Fachgebiete. Die Verfasser des Siegerprojektes sehen eine weitere, sich auf Projekte vorteilhaft auswirkende Chance, einzelne Aspekte in ein Ganzes zusammenzuführen. Aus der Sicht des Stuttgarter Büros Leonhardt, Andrä und Partner GmbH nämlich stellt der Brückenbau eine der letzten Domänen dar, in der Ingenieure noch im klassischen Sinn ganzheitlich als Baumeister wirken können: mit ingenieurtechnischem Sachverstand, architektonischer Entwurfsintelligenz und Gestaltungswillen.
Clementine van Rooden

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Tramdepot Bern: Poesie des Zweckbaus

08 MAGAZIN
Prähistorische Siedlung | Raumentwicklung Stadt Luzern | Energie sparen: Fünf Städte als Vorbilder | Interview: «Die Zukunft der Ingenieure ist rosig» | Luzerner Reusswehr wird saniert | Hochhaus auf dem Hardturm-Areal | Geoinformationsgesetz

18 MUT ZUR BRÜCKE
Aldo Rota
In einer Vorstudie wurden die Varianten «Strassensanierung» und «Talüberquerung mit neuer Brücke» untersucht. Die Ergebnisse sprachen für die Brücke.

20 «ETWAS GANZ BESONDERES»
Judit Solt
Jurymitglied Mathis Grenacher spricht über die Vielfalt der eingereichten Wettbewerbsprojekte und erläutert die Kriterien, gemäss denen die Beiträge beurteilt wurden.

23 DIE WETTBEWERBS-PROJEKTE
Clementine van Rooden
Alle für den Wettbewerb abgegebenen Projekte werden in ihren drei Klassen zusammengefasst und vergleichbar vorgestellt.

33 SIA
Delegiertenversammlung | CAS in Signaletik | Kurs zur Büroführung

36 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Mut zur Brücke

Mut hat der Kanton St. Gallen bewiesen, als er sich, anstelle einer konventionellen Strassensanierung im Taminatal, für den Bau einer hohen Brücke über das Tal entschied. Gespart hat er dabei auch, denn die Brücke ist langfristig wirtschaftlicher als die Reparatur der rutschgefährdeten alten Strasse.

Das Taminatal bildet die südliche Spitze des Kantons St. Gallen. Es verläuft ungefähr von Süd nach Nord und mündet beim Kurort Bad Ragaz auf rund 500 m ü. M. ins Tal des Alpenrheins. Im unteren, nördlichen Drittel des Tals fliesst die Tamina durch eine tief eingeschnittene Schlucht, die die an den Talflanken angelegten Siedlungen trennt (Bild 2 im folgenden Beitrag). Bekannt ist die Taminaschlucht wegen der in ihrem engsten Abschnitt entspringenden Thermalquelle. Mit Ausnahme des Talausgangs bei Bad Ragaz gehören das Taminatal und seine Seitentäler zur ca. 1600 Einwohner zählenden politischen Gemeinde Pfäfers. Auf dem fast 130 km2 umfassenden Gemeindegebiet bestehen die Ortschaften Pfäfers, St. Margrethenberg, Vadura, Valens, Vasön und Vättis. Der Hauptort Pfäfers ist auf einer Geländeterrasse am orografisch rechten Hang, ca. 300 m über dem Talgrund, am Talausgang bei Bad Ragaz gelegen. Gegenüber, am linken Talhang, wurde 1970 in Valens eine heute international renommierte Rehabilitationsklinik erstellt.

Erschlossen wird das Taminatal durch je eine oberhalb der Schlucht angelegte Strasse auf jeder Talseite. Beide Strassen gehen vom Ortszentrum von Bad Ragaz aus und gewinnen zunächst mit mehreren Kehren in den bewaldeten steilen Hängen des Tamina- bzw. Rheintals etwa 300 m Höhe über dem Talboden. Die Pfäferser Strasse auf der rechten Talseite weist das höhere Verkehrsaufkommen, den besseren Ausbaustandard und den besseren Zustand auf. Die kürzeste Strassenverbindung zwischen Pfäfers und Valens führt durch den Dorfkern von Bad Ragaz. Die linksseitige Valenserstrasse ist mehrheitlich in einem schlechten baulichen Zustand. Zwischen Bad Ragaz und Valens liegt sie in einem aktiven Rutschgebiet, das seit je immer wieder Probleme verursacht hat, sodass in den letzten Jahrzehnten verschiedene lokale Rutschsanierungen vorgenommen wurden. Aufgrund der geologischen Risiken genügt die Valenserstrasse auf weiten Strecken den heutigen und künftigen Anforderungen nicht mehr. Eine Sanierung der Strassenverbindung zwischen Bad Ragaz und Valens ist unumgänglich. Aufgrund des guten Zustandes der Pfäferser Strasse erscheint auch eine talquerende Brücke zwischen Pfäfers und Valens als valable Alternative. Die Gemeinden Bad Ragaz und Pfäfers haben deshalb im Jahr 2005 je ein Vorprojekt für die Instandsetzung der bestehenden Valenserstrasse und für die Überquerung des Taminatals zwischen den bestehenden Talstrassen durch das Ingenieurbüro Bänziger Partner AG, Buchs, ausarbeiten lassen. Für das Vorprojekt «Instandsetzung» wurden als Varianten eine mittelfristige Lösung mit einem Zeithorizont von 5−10 Jahren und Kosten von 815 000 Fr. (Minimallösung) und eine Standardlösung mit einem Zeithorizont von 20−30 Jahren und Investitionskosten von 15.8 Mio. Fr. vorgelegt.

Das Vorprojekt für eine talquerende Brücke umfasst als 1. Etappe ein Brückenbauwerk von ca. 390 m Gesamtlänge (Bilder 2−5) und den Anschluss Pfäfers mit Kosten von 21.9 Mio. Fr., der in der 2. Ausbauetappe für 8.07 Mio. Fr. zu einer vollwertigen Umfahrung ergänzt werden kann (Bild 1). Gesamthaft betrachtet ist eine neue Talquerung die langfristig wirtschaftlichere Lösung. Sie wird durch den Kanton St. Gallen als Bauherr realisiert. Während der Bauzeit wird der Verkehr noch über die minimal instandgesetzte bestehende Strasse geführt. Im Mai 2007 schrieb der Kanton für das Projekt der Brücke über die Tamina einen öffentlichen Projektwettbewerb für Ingenieurarbeiten im einstufigen Verfahren aus. Über die Kriterien und das Ergebnis des soeben entschiedenen Wettbewerbs informieren die folgenden Beiträge.

TEC21, Mo., 2008.06.16

16. Juni 2008 Aldo Rota

«Etwas ganz Besonderes»

Aufgrund welcher Kriterien wurde beim Tamina-Wettbewerb das Siegerprojekt ermittelt? Wie wurden diese Kriterien gewichtet, und inwiefern haben sie sich – verglichen mit älteren Brückenwettbewerben – im Laufe der Zeit verändert? Mathis Grenacher, Ingenieur und Jurymitglied, spricht über den Beurteilungsprozess und erläutert, warum sich das Siegerprojekt zu einem Wahrzeichen für die Landschaft entwickeln könnte.

Judit Solt: Die landschaftliche, topografische und geologische Situation in der Taminaschlucht lässt verschiedene Tragwerkskonzepte zu. Entsprechend unterschiedlich sind die eingereichten Vorschläge: Bogen-, Sprengwerk-, Rahmen- und Fachwerkkonstruktionen, über der Fahrbahn liegende Tragwerke. Bei allen vier Projekten der engeren Auswahl handelt es sich aber um Bogenbrücken. Zeichnet sich hier eine ‹richtige› Haltung ab?

Mathis Grenacher: Unter den 24 Abgaben waren alle technisch machbaren Lösungen vertreten. Das haben wir nicht erwartet, weil in einem solchen V-Tal zwei Ansätze gewissermassen auf der Hand lagen: der Bogen und das Sprengwerk. Beide gehen mit grossen horizontalen Kräften einher, doch diese sind an den steilen, auf der einen Seite rutschgefährdeten Hängen der Taminaschlucht kein Nachteil, vielmehr tragen sie zur Versteifung bei. Trotzdem waren wir gegenüber allen Ideen offen. Eine nähere Betrachtung hat allerdings gezeigt, dass nur wenige Lösungen wirklich in Frage kamen.
Dass eine Balkenbrücke wegen der riesigen Spannweite in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit und den Bauvorgang ungünstig sein würde, war von vornherein klar. Auch beim Sprengwerk hat sich die Spannweite als Problem erwiesen. Unter den acht Projekten, die im ersten Rundgang ausgewählt wurden, waren immerhin noch zwei Sprengwerkbrücken: Die erste war aus Beton, was der ohnehin gewagten Konstruktion viel Gewicht beschert hätte; die zweite war aus Stahl und daher leichter, doch hier stimmte die Massstäblichkeit nicht. Die Brücke mit annähernd gleich langen Spannweiten konnte keine optische Spannung aufbauen und befriedigte ästhetisch nicht.
Die Nachteile der Hängebrücken waren weniger offensichtlich. Erst in der Diskussion wurden drei wirkliche Probleme deutlich. Erstens vergrössert diese Lösung die Spannweite und damit auch die Kosten, weil man die Pylone – beziehungsweise den einen mindestens nötigen Pylon – wegen der grossen Auflagekräfte nicht in den Steilhang der Schlucht bauen kann, sondern nur weiter draussen in der Ebene. Zweitens gab es technische Schwierigkeiten: Die Kabel, an denen die Brücke hängt, müssen verankert werden; die Verankerung im Untergrund wäre aber aufwendig und teuer gewesen. Es existieren zwar Hängebrücken, die ohne solche Anker auskommen, weil die Kräfte wieder in die Brückenkonstruktion zurückgeführt werden: Diese Selbstverankerung war in diesem Fall aber aus statischen Gründen ausgeschlossen, weil die beiden Enden der Brücke gekrümmt sind. Und drittens sind wir zur Einsicht gelangt, dass eine Hängebrücke an dieser Stelle nicht mit der Forderung nach einer sorgfältigen Einbindung in die Landschaft zu vereinen gewesen wäre. In der engeren Auswahl verblieben schliesslich vier Bogenbrücken – auch das zweitplatzierte Projekt, eine polygonale Bogenbrücke, ist eher einem Bogentragwerk als einem Sprengwerk zuzuordnen.

Was ist unter ‹sorgfältige Einbindung in die Landschaft› zu verstehen? Gemäss kantonalem Richtplan ist das Gebiet der Taminaschlucht bei Bofel als Lebensraum-Schongebiet für Gämsen ausgeschieden. Im Wettbewerbsprogramm wird daher gefordert: ‹Stark in Erscheinung tretende, den Landschaftscharakter verändernde Bauten sollen vermieden werden.› Was bedeutet das konkret? Ist eine Brücke, die den Landschaftscharakter nicht verändert, überhaupt denkbar? Zudem wird dem Siegerprojekt die Chance attestiert, ein Wahrzeichen für die Gegend zu werden – durchaus im positiven Sinn.

Die Taminaschlucht ist eine eindrückliche Landschaft, die in ihrer Wirkung auf keinen Fall durch die Brücke ‹konkurrenziert› werden sollte. An einer solchen Stelle soll kein bauliches Zeichen gesetzt werden! Eine Hängebrücke hätte aber eine eigentliche Landmarke dargestellt, der Pylon wäre schon von weitem unübersehbar gewesen. Auch konzeptionell hätte ein solches Tragwerk Fragen aufgeworfen: Wozu erst 100 Meter in die Höhe bauen, wenn unten eine 200 Meter tiefe Schlucht für das Abtragen der Kräfte zur Verfügung steht? Wir wollten kein auffälliges Bauwerk, sondern eines, das sich möglichst selbstverständlich in die Landschaft einfügt und dabei eine besonders gute Gestaltung aufweist. Das trifft auf das Siegerprojekt zu: Es drängt sich nicht mit spektakulären Gesten in den Vordergrund, aber mit seiner Asymmetrie und seinen radialen Stützen ist es doch etwas ganz Besonderes, für die Schweiz vielleicht sogar Einmaliges. Jeder könnte erkennen: Das ist die Brücke über die Taminaschlucht. Das ist mit Wahrzeichen gemeint. Im Übrigen stösst die Asymmetrie nicht nur auf Gegenliebe. Doch sie ist keine formale Spielerei, sondern hat viel mit der Landschaft zu tun: Das Tal ist asymmetrisch, und die Talflanke auf der Valenser Seite ist ein Rutschhang. Von den vier prämierten Projekten sind drei symmetrisch, und sie sind alle drei mehr oder weniger an der gleichen heiklen Stelle im Hang abgestützt (Bild 1). Die Fundation des Siegerprojekts liegt weiter oben und bedeutet vom Baugrund her das kleinste Risiko.

Gemäss Ausschreibung erfolgte die Beurteilung der Projekte nach folgenden Kriterien: Qualität des Bauwerks in der Nutzungsphase, Wirtschaftlichkeit (Erstellung, Betrieb, Unterhalt), Umweltverträglichkeit, Chancen und Risiken sowie Qualität des Projekts. Unter ‹Qualität› wurden Dauerhaftigkeit, Ästhetik, Funktionstüchtigkeit, konstruktive Ausbildung und Ausführbarkeit subsumiert. Wie wurden diese einzelnen Punkte gewichtet? Welche Minimalanforderungen mussten zwingend erfüllt werden, was galt als ‹nice to have›? Haben diese Anforderungen – im Vergleich mit älteren Brückenwettbewerben – in den letzten Jahrzehnten Veränderungen erfahren?

Die neuen Tragwerksnormen SIA 260–267 (Swisscodes) regeln, was ein Tragwerk zu leisten hat: Es soll bei einer angemessenen Einpassung, Gestaltung und Zuverlässigkeit vor allem wirtschaftlich, robust und dauerhaft sein. Das Kriterium der Robustheit, das 2003 in die SIANorm 260 aufgenommen wurde, ist heute ein wichtiges Thema. Das Risiko, dass das Tragwerk Schaden nimmt oder im Extremfall versagt, soll in einem vertretbaren Verhältnis zur Ursache stehen. Alternative Lastpfade in Tragwerksystemen müssen möglich sein, der sogenannte Dominoeffekt muss verhindert werden. Daneben wird die Dauerhaftigkeit einer Konstruktion speziell beurteilt. Lager und Fahrbahnübergänge zum Beispiel sind mögliche Schwachstellen; sie zu ersetzen ist teuer. Daher werden heute möglichst monolithische Tragwerke angestrebt. Insofern haben sich die Prioritäten etwas verschoben. Ein anderes Beispiel: Wenn wir heute 20, 30 Jahre alte Betonbrücken instandsetzen müssen, sind wir oft mit korrodierten Bewehrungen konfrontiert. Die Überdeckung war nicht ausreichend – doch man darf nicht vergessen, dass damals der gute Ingenieur eine möglichst filigrane Brücke bauen wollte. Heute tendiert man zu dauerhafteren und robusteren Konstruktionen.
Auch die Funktionstüchtigkeit kann unterschiedlich gut gewährleistet sein. Bei einer der Bogenbrücken, die im Wettbewerb vorgeschlagen wurden, ragt der Bogen zwischen den beiden Fahrspuren in die Höhe. Solche Brücken gibt es im Ausland einige, aber die weisen acht bis zwölf Spuren auf. Bei nur einer Spur pro Fahrbahnseite wäre mit Problemen betreffend Fahrsicherheit, Schneeräumung, Unfall- und Pannenversorgung etc. zu rechnen. Hinzu kommt in diesem Fall die starke Beanspruchung durch Chloride beim winterlichen Salzen der Strasse: Tragwerke, die über die Fahrbahn hinausragen, sind dem Spritzwasser ausgesetzt und in Bezug auf die Dauerhaftigkeit besonders gefährdet. So betrachtet sind alle vier in der engeren Auswahl verbliebenen Projekte als sehr gut einzustufen.
Was die Wirtschaftlichkeit betrifft, kann in diesem Projektstadium lediglich die Grössenordnung der Erstellungskosten geschätzt werden – bei einem Vorprojekt sind Abweichungen von bis zu 20 % möglich. Die meisten vorgeschlagenen Brücken kosten zwischen 15 und 20 Millionen. Geringe Mehrkosten wären bei einem Projekt, das allen anderen überlegen ist, wohl kein Hinderungsgrund gewesen, doch alle vier prämierten Projekte lagen im Durchschnitt. Die Betriebs- und Unterhaltskosten waren bei diesen vier sehr ähnlich. Brücken aus wetterfestem Stahl erfordern vergleichbare Unterhaltskosten wie gut konzipierte Betonbrücken. Auch punkto Umweltbelastung waren die Unterschiede minim: Alle Teams haben das Gämsenschongebiet respektiert und auf eine Abstützung auf dem Talgrund verzichtet. Vermutlich war das Schongebiet auch ein Grund dafür, dass sich einige für eine Hängebrücke entschieden haben, die die Talflanken gar nicht tangiert. Aber auch bei den vier prämierten Projekten sind die Eingriffe begrenzt und daher gut vertretbar. In Bezug auf die Risiken gab es geringfügige Unterschiede (vgl. S. 24–27).

Mehrere eingereichte Projekte stammen von gemischten Teams, in denen neben Ingenieurinnen und Ingenieuren auch Architektinnen und Architekten vertreten waren.

Eine solche Zusammenarbeit kann äusserst gewinnbringend sein, und ich freue mich, dass sie heute vermehrt praktiziert wird. Wichtig ist dabei, dass sie in einer möglichst frühen Projektphase beginnt und dass die beteiligten Fachleute ein gewisses Verständnis für das Metier der anderen aufbringen. Das gilt sowohl für den Hochbau, wo die Architekten die Federführung haben, als auch für den Brückenbau, bei dem die Ingenieure die Leitung übernehmen. Ein Ingenieur, der nur gerade die Statik und die Kosten sieht, nützt dem Architekten bei einem Wettbewerb nicht viel: Er sollte bei der Entwicklung des Tragwerkskonzepts in der Lage sein, frühzeitig auf entwurfsrelevante Fragen hinzuweisen, etwa im Bereich der Erdbebensicherung. Umgekehrt sollte bei einem Brückenwettbewerb auch der beteiligte Architekt etwas von Tragwerkslehre verstehen.

Auch in der Jury des Tamina-Wettbewerbs war mit Andrea Deplazes ein Architekt vertreten. Worin bestand sein Beitrag bei der Entscheidungsfindung?

Die Zusammenarbeit mit Andrea Deplazes war sehr wertvoll. Er hat nie aus architektonischen Gründen ein Projekt portiert, das aus Ingenieursicht negativ beurteilt wurde, sondern hat sich immer zuerst mit den Argumenten der Ingenieure vertraut gemacht. Es ist ohnehin so, dass das Gesamtkonzept stimmen muss: Eine Brücke, deren Tragstruktur gut konzipiert ist, ist in der Regel auch ästhetisch nicht ganz misslungen, und ein Gestaltungskonzept, das die Tragwerkslehre ausser Acht lässt, kann nie wirklich befriedigen. Ein weiterer Beitrag, den Architektinnen und Architekten als Jurymitglieder bei Ingenieurwettbewerben leisten können, hat mit ihrer Vermittlerfunktion innerhalb des Gremiums zu tun: Als Baufachleute sind sie den Ingenieuren nahe, und sie können mit den beteiligten Laien – etwa politischen Vertretern – kompetent über ästhetische Kriterien debattieren. Das ist nicht zu unterschätzen.

TEC21, Mo., 2008.06.16

16. Juni 2008 Judit Solt

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