Editorial
Ordonnanzmesser, Armbanduhr, Schwingerhose – das ist Design von Weltruf aus der Schweiz. Aber auch die Schrift ‹Univers›. Adrian Frutiger, ihr Gestalter, wird in diesem Monat achtzig Jahre alt. Hochparterre gibt zum Geburtstag ein Buch heraus: ‹Read me – mit Adrian Frutiger durch die Welt der Buchstaben›. Anja Bodmer und Jürg Brühlmannn fassen den Lebensfaden dieses ausserordentlichen Designers zusammen. Am 22. Mai um 19 Uhr ist Vernissage im Laden Hochparterre Bücher an der Gasometerstrasse 28: Wir singen dem Jubilar ein Ständchen. Wer nicht kommen kann, aber das kleine Buch haben möchte, bestelle es auf www.hochparterre.ch. Im Übrigen siehe Seite 30.
Im Hochparterre vom April berichtete Rahel Marti, wie es der Landschafts- und Raumplanung im neu werdenden Kanton Glarus mit nur noch drei Gemeinden ergeht. 29 Fotografien von Fridolin Walcher begleiteten ihre Worte:
--› Das Postkartenbüchlein zeigt die 29 Gemeindehäuser von Elm bis Niederurnen
--› Es erscheint rechtzeitig zur Glarner Landsgemeinde Anfang Mai 2008
--› Wer sich für den leicht melancholischen Abgesang auf ein Stück Staatsarchitektur interessiert, wähle www.hochparterre.ch
Neulich haben wir beschlossen, unsere Präsenz im Internet zu verbessern. Und dafür Urs Honegger mit Geld, Vertrauen und Zuspruch ausgestattet. Er bleibt der Designredaktion verbunden, ist aber neu vor allem der Direktor von Hochparterre im Netz. Anlässlich des ‹Kreislauf 4 5› vom 17. und 18. Mai in Zürich, ein Wochenende der offenen Türen, wird er seine erste von vier neuen Publikationen im Netz vorstellen: der Kommentar-, Nachrichten- und Videodienst www.schweizblog.hochparterre.ch. Statt seiner wird Lilia Glanzmann, Textil Designerin von der HGK Luzern und junge Journalistin, in der Designredaktion wirken. Ich begrüsse sie herzlich.
Köbi Gantenbein
Inhalt
06 Funde
09 Stadtwanderer: Die weisse Stadt
11 Jakobsnotizen: Quartier verbessern
13 Stadt und Spiele: Das Arbeiterstadion
14 Impressum
Titelgeschichte
18 Weniger Post braucht weniger Platz
Brennpunkte
30 Schriftenentwerfer Adrian Frutiger: Mr. Univers
34 Autobahn Biel: Lieber gar keinen Westast
38 Euro 08: Absperrgitter und Zäune
44 Hotel Dolder: The Dollar Grand
48 Architektinnen: Mit Kind und mit Arbeit
52 Design für Nachtschwärmer: Zürich clubbt
60 Kongresshaus: Kein Dubai am See
62 Minergie: Ein Schweizer Label will ins Ausland
66 Designausbildung: In der Krise
Leute
72 An der 3. Ski- und Snowboardmeisterschaft in Davos
Bücher
74 von Alain de Botton und über Handwerk, Wörter und Klima
Siebensachen
76 Ein konkreter Teppich und metallene Hocker
Fin de Chantier
80 Festsaal in Amriswil, Schule in Basel, auffällige Atelier-Wohnhäuser, Altersheim im Aargau, künstlerische Hofgestaltung, Minergie-eco-Haus und ein Wartehäuschen
An der Barkante
87 Mit Lisa Ehrensperger im ‹Italia› in Zürich
The Dollar Grand
Fürst Schwarzenbach lässt bauen. In diesem Satz ist alles enthalten. The Dolder Grand, das Fünfsternehotel am Zürichberg, leuchtet. Der Rest ist Hofberichterstattung, wovon in letzter Zeit genügend zu lesen war. Was unumgänglich ist, denn um eine fürstliche Residenz geht es ja.
Wie wohnt der Geldadel, wenn er nicht zu Hause ist, fragen sich die Subjekte des Kapitals. Und an drei Besuchstagen konnten sie das Schloss besichtigen. Staunend streunten sie durch die Räume und ihr Schauen galt ‹dem Echten›. Für einmal sind sie nicht in den Ferien und besichtigen geschichtsvergessen die vergangene fürstliche Pracht. Diesmal ist alles wahr, weil es Betrieb ist. Der Adel, der hier wohnt, herrscht, ist nicht vergangen. Am Zürichberg haben die Majestäten noch nicht abgedankt und hinterliessen bloss ihren einstigen Glanz. Die Aura des unbeschränkten Geldes weht durch das Hotel, kein Subjekt kann sich dem entziehen. Es ist nicht der Futterneid, der die Subjekte staunen macht, es ist die Neugier. Sie starren auf die allgemeine Gediegenheit und können sich kaum vorstellen, warum das alles so teuer ist. Doch dass es so viel kostet, das ist der Kern des Dolder Grand. Weil es so teuer ist, ist es ‹grand›.
Vom ‹Curhaus› zur Residenz von 1899 bis 2008, in diesem gut gefüllten Jahrhundert hat das Dolder eine ansehliche Karriere gemacht: von der Sommerfrische zu einem der ‹Leading Hotels of the World›. Es war «der Weg zurück in die Zukunft», wie zu hören war. Alle Bauten, die nach 1899 angefügt wurden, sind abgerissen worden, geblieben ist die ausgekernte Fassade des Kurhauses und darin, wie Überbleibsel, sechs Zimmer, die wie neu ausgestattete Schatzkästlein an Ort und Stelle erhalten blieben. Dazu kommen die rekonstruierte Eingangshalle und die wieder entdeckten Deckenmalereien im oberen Restaurant und in der Lobby. Zusammenfassend: Das Dolder Grand ist ein Neubau. Doch niemand von den Subjekten sieht das und keiner vom Geldadel will es wissen. Alle sehen sie das erweiterte und erneuerte Märchenschloss und alle wollen sie an die Geschichte von der ungebrochenen Tradition glauben. Sie allein ist es, die The Dolder Grand von den noch feudaleren Hotelpalästen in allen Dubais der Welt unterscheidet. ‹History sells›, doch wahre Echtheit muss nicht deklariert werden. Das ist auch nicht nötig, denn was wirkt, wird wahr. Weil das Dolder Grand so traditionell ist, ist es ‹grand›.
Das Teure ist gesichtslos
Das Märchenschloss, das, bevor es geadelt wurde, ein gigantisches Chalet war, beherrscht die Anlage, obwohl es weit kleiner ist als der Doppelbogen der Neubauten, die es von hinten umarmen. Warum? Weil der Architekt Norman Foster die Symmetrie fortsetzt. Er übernimmt das Bildungsgesetz, das Jacques Gros 1899 aufgestellt hatte. Die zentrale Achse wird bergseitig, wie früher mit dem Speisesaal, nun mit dem neuen Ballsaal abgeschlossen. Die beiden Zimmerflügel wiederholen die Grundfigur, die Gros schon vorgegeben hatte. Der Eingang ist wieder vorne, wo ihn die Symmetrie haben will. Damit wird das Märchenschloss neu gerahmt und betont. Es steht im Vordergrund und spielt die Hauptrolle. Sein Turm bleibt der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen, er verkörpert pars pro toto das Dolder Grand. Die Turmspitze wird zur erinnerbaren Abkürzung des Hotels. Weil das Dolder Grand einen Geschichten erzählenden Turm hat, ist es ‹grand›.
Doch das Märchenschloss ist eine gigantische Dienstleistungsmaschine, die vor allem unterirdisch funktioniert. Die atemberaubenden Bilder der Baugrube sind schon vergessen. Wer erinnert sich noch an den riesigen Krater, in dem in der Mitte auf Unterfangungsmauern das ausgeweidete Kurhaus wie eine Hochzeitstorte stand? (HP 6/7 06). Trotzdem: Die Bauingenieure sind die ungenannten Helden dieser Baustelle. Im von ihnen geschaffenen Kellerbauch steckt alles, was die Maschine am Laufen hält. Es gibt zwei Hotelerzählungen, die sich ergänzen: die am Licht und die künstlich beleuchtete. Die aseptisch-korrekten Traditionsräume erzählen die offizielle, die neon-beleuchteten Gänge die Wirkungsgeschichte des Hotels. Weil das Dolder Grand einen so riesigen Bauch hat, ist es ‹grand›.
«Wie wars?», werden die Subjekte nach dem Besuch gefragt. Sie beschreiben Einzelheiten: die historischen Armaturen, Aladins Wunderlampen im Ballsaal, die ruppigen Kalksteinwände im Badeland sind aufgefallen. Warum keine Zusammenhänge? Weil alles so gedämpft, zurückgenommen, ununterscheidbar ist. Man hat das Gefühl, das Haus wolle nicht erkannt werden. Hier herrscht der anonyme Stil. Nur nicht zu laut, war der leise Befehl an die Ausstatter. Es ist das Genie der Lieferanten, das hier am Werk ist. Diese Leute wissen, was der Gast will, vom Hoteldirektor bis zum Interior Designer. Er will Exklusivität. Warum aber endet diese im anonymen Stil, in jener Unverbindlichkeit, die das Exklusive zum Allerweltsluxus macht? Das Teure ist hier gesichtslos. Der Geldadel schätzt eine konfliktfreie Moderne, alles ist edel-schlicht, nichts ist erinnerbar. Es ist der Geschmack, den man einkauft. Der Gast will es so, ihm zu dienen, ist des Hotels erste Pflicht. Ein ebenso überzeugender Grund, wie wenn die Fernsehdirektorin sagt: Der Zuschauer will es so. Weil das Dolder Grand von anonymem Stil ist, ist es ‹grand›.
Die Spielregeln der Preisliste
Immerhin, dort wo die Konvention noch ungefestigt ist, sind Überraschungen möglich. Im Badeland, pardon, Spa, gibt es den Canyon. Der sich verengende Schlitz zwischen Alt- und Neubau wird als Oberlicht in Szene gesetzt. Das allein wäre bloss praktisch, doch die Bewegung wird in einer Spirale weitergeführt, die im Meditationsraum und in den innersten Tiefen des Gebäudes endet. In der Gegenrichtung öffnet sich ein Trichter zum Schwimmbad und zur Landschaft. Aus dem Vorwärtsschreiten wird ein Fliegen. Leider ist diese Schnecke die einzige räumliche Erfindung im ganzen Komplex. Der Ballsaal ist zwar mit Gold dekoriert, wirkt aber trotzdem seltsam klein, die Kuppel allein hat etwas Herrschaftliches. Doch hier kann der Fürst keinen Hofball geben, Fund Raising Dinners aber wohl. Bei dieser Überlegung angekommen wird klar: Fürst Schwarzenbach residiert nicht hier und auch der Geldadel ist nur auf der Durchreise. Die Aura platzt. Die Subjekte des Kapitals staunen ins Leere. Da ist nichts Heiliges, da strahlt keine Dynastie. Ernüchterung auf den Gesichtern, alles funktioniert wie gewohnt, die Spielregeln gehorchen der Preisliste. Das Hotel ist leider kein Kraftort, sondern ein gehobenes Dienstleistungsunternehmen. Weil das Dolder Grand so kapitalistisch ist, ist es ‹grand›.
Entschädigt, nein belohnt, werden die Gäste und die Subjekte mit der Aussicht auf See und Alpen. Das Hotel steht auf einem Balkon und ist selbst einer. Mit oder ohne Aussicht, das ist das Plus und Minus dieses Hotels. Dieser Rechnung gehorchte schon Jacques Gros, Foster hat kräftig und geschickt dazu addiert. Auf jeden Fall gilt: Weil das Dolder Grand diese Aussicht hat, ist es ‹grand›.hochparterre, Mo., 2008.05.19
19. Mai 2008 Benedikt Loderer
verknüpfte Bauwerke
Um- und Neubau The Dolder Grand
Festzelt
Wie haben sie das nur gemacht? Pascal Müller und Peter Sigrist stellen in Amriswil eine neue Festhütte hin, die nicht so recht zum Thurgauer Strassendorf passen will: Unregelmässige Gebäudeform, Hülle aus Blech und farbenfrohe Innenverkleidung stehen auffällig da. Doch Amriswil steht zu seiner Grösse mit 11 500 Einwohnerinnen und Einwohnern und nennt sich seit 2005 selbstbewusst ‹Stadt›. Zwar beteuern die Architekten, dass die 100-jährige Festhütte das Vorbild war. Sie stand am selben Ort. Wer in der Region feiern wollte, kam früher hierher. Doch die Infrastruktur genügte nicht mehr. «Das Fest selbst sollte im Zentrum stehen, es brauchte also nur einen Raum, der das Fest vor Witterung schützt», so die Architekten. Doch mit der Hütte von einst hat der Neubau nur noch gedanklich etwas zu tun. Immerhin haben sich die Architekten inspirieren lassen, wie sie sagen.
Stimmungsvoll sollte die Hülle werden, die Feiernden würden den Raum schon selbst füllen. Von «Analogien zu einem Festzelt» reden die Architekten. Die fünfeckige Form erinnert mit der Giebelspitze tatsächlich an ein Zelt. Zur Eröffnung änderte der Stadtrat von Amriswil aber den Namen ‹Festhütte› in ‹Pentorama›. Das Fünfeck dient der Vermarktung besser und schliesslich will man ja nicht nur feiern. Konzernchefs sind inzwischen genauso aufgetreten wie Mundart-Rocker oder das Militärspiel der Panzerbrigade 11. Wichtig war aber die Amriswiler Weihnachts- und Adventsausstellung (awa). Wegen dieser Messe musste der Bau im Oktober 2007 bezugsbereit sein, was 17 Monate Bauzeit bedeutete. Immerhin half die polygonale Form den Architekten, das Raumprogramm äusserst funktional zu füllen. Was von aussen zugänglich sein musste, ist es auch heute. Die Bühne, Künstlergarderobe, Gastroküche, Zuschauergalerie und die Technikräume sind zwiebelförmig um den Hauptraum angeordnet.
Im Zentrum steht der Festraum. In diesem Saal verschlägts einem die Sprache, aber hoffentlich nicht das Feiern. Zehn nicht sichtbare Stahlträger überspannen bis zu 35 Meter. Die fünfzig Tonnen schwere Stahlkonstruktion liegt nur punktuell auf Stahlbetonwänden. Verdeckt wird sie vom Boden bis zur Saalspitze durch die eigens für Amriswil entworfenen Akustikplatten, die sogar die Empa prüfte. Stimmung kommt jedenfalls auf, in der Halle mit den gelben und grünen Akustikstreifen. Wem dieses farbenfrohe Vierfruchtmuster zu modern ist, kann immer noch den Blick durch das grosse Aussichtsfenster in den von Lorenz Eugster gestalteten Park schweifen lassen. Oder sich ins Foyer zurückziehen und die Schnittmuster von Monica Germann und Daniel Lorenzi verfolgen, die ihre Linien bis auf den Vorplatz ziehen. Der grosse Vorplatz war übrigens mit ein Grund, warum die Architekten den offenen Wettbewerb mit 145 teilnehmenden Büros gewonnen haben. Aus dem Zelt von damals ist ein Bau geworden, mit dem sich die Stadt Amriswil zurecht brüstet.hochparterre, Mo., 2008.05.19
19. Mai 2008 Ivo Bösch
verknüpfte Bauwerke
Festhütte Pentorama
Künstlerischer Grundbruch
Der Architekt Hans Zwimpfer hat ein Flair für Kunst. Das hat er mit den Auftragsarbeiten an Roni Horn, Beat Zoderer oder François Morellet anlässlich seiner Peter-Merian- und Jacob-Burckhardt-Bürohäuser am Bahnhof Basel bewiesen. Kunst-und-Bau spielt auch bei der ersten PileUp-Überbauung eine Rolle, die in Rheinfelden entstanden ist. Dort hat Katja Schenker (HP 12/05) den Innenhof gestaltet. Die Künstlerin hat Zwimpfers Stapel-Idee ernst genommen und von einer Geologin berechnen lassen, wie viele Wohnungen man übereinander stapeln müsste, bis es zum Grundbruch käme. Es sind 1589. Die Erdverwerfungen eines solchen Grundbruchs hat sie nun mit diesem ‹Garten› nachgebaut. Nach einem Lehmmodell hat sie die flachen ‹Hügelzüge› entlang der parallelen Hoffassaden mit Misapor-Blähglasschotter geformt und mit einem farbigen Moosteppich überzogen. Zwischen den beiden ‹Moränen› hat die Künstlerin in Handarbeit aus 8000 farbig lasierten Keramikplatten eine Fläche entstehen lassen, die vom Balkon aus einem Satellitenbild einer Landschaft gleicht und ebenerdig als Gehweg zum Rheinufer funktioniert.hochparterre, Mo., 2008.05.19
19. Mai 2008 Roderick Hönig
verknüpfte Bauwerke
Innenhofgestaltung