Editorial

Editorial

„Es ist undenkbar, dass sich der Film ohne Stadt entwickeln hätte können.“ schreiben Thomas Ballhausen, Julia Fischer und Günter Krenn in der Einleitung zum Schwerpunkt Cinematic Cities – Stadt im Film, den sie konzeptioniert und redaktionell betreut haben. Genauso undenkbar ist es in einer Zeitschrift, die sich der Stadtforschung verschrieben hat, Film unbelichtet zu lassen. In den allerersten Konzepten für dérive war deswegen bereits geplant regelmäßig über Film zu schreiben, ein Vorhaben, das wir bisher nur teilweise im Rahmen von Besprechungen und Interviews umsetzen konnten. Umso schöner, dass der Schwerpunkt der 30. Ausgabe ganz dem Thema Film und Stadt gewidmet ist, und dabei wird es nicht bleiben. Eine Fortsetzung ist bereits in Planung. Der Schwerpunkt umfasst diesmal nicht nur die Artikel, die im Heft abgedruckt sind, sondern findet auf der Website www.derive.at eine Erweiterung in Form einer umfassenden Bibliographie. Alles weitere zu Cinematic Cities – Stadt im Film entnehmen Sie bitte dem einleitenden Text der SchwerpunktredakteurInnen.

Den Magazinteil eröffnet diesmal André Krammer mit einem Beitrag über den Wandel der chinesischen Stadtplanung, der aus einem einleitenden Artikel und einem Interview mit dem Architekten Rainer Pirker, Gewinner eines internationalen und prominent besetzten Städtebauwettbewerbs im chinesischen Shenzen, und seiner Mitarbeiterin Chen C besteht. „Nach einer Periode, in der amerikanische Modelle einer autogerechten Stadt dominierten und auch umgesetzt wurden – was nicht zuletzt zu einem massiven Umweltproblem führte –, steigt heute das Interesse an europäischen Stadtmodellen und europäischen ArchitektInnen, von denen man sich mehr Sensibilität bezüglich Ökologie und die Schaffung identitätsstiftenden öffentlichen Raumes erwartet.“

Den zweiten Beitrag im Magazinteil hat diesmal Alena Pfoser verfasst. Thema ist der Umbau des „Allrussischen Ausstellungszentrums“ in Moskau und die damit zusammenhängende Mythologisierung der Vergangenheit. „Die Entwicklung von Moskau zu einer global city ist eine grundlegende Intention der Moskauer Administration; entsprechende städtebauliche und architektonische Planungen sollen dazu beitragen.“

Manfred Russos Serie über die Geschichte der Urbanität widmet sich erneut der Utopie, diesmal geht es um Die Natur als Quelle der Utopie. Der Besprechungsteil ist diesmal besonders umfassend ausgefallen und umfasst Symposien, Ausstellungen, Theaterstücke, Websites und natürlich Bücher.
Ein kurzer Rückblick auf das vergangene Jahr 2007 fällt für dérive äußerst positiv aus. Die Zahl der Abonnements ist ebenso gestiegen wie die Zahl der im Buchhandel verkauften Hefte. Auch Anzeigen konnten wir dieses Jahr mehr verkaufen als die Jahre zuvor, was unser Budget insgesamt ein wenig verbessert hat. Das ändert nichts daran, dass dérive nicht existieren könnte, wenn nicht alle AutorInnen schreiben würden, ohne ein Honorar bezahlt zu bekommen; auch sämtliche andere Arbeiten, die für die Produktion der Zeitschrift notwendig sind, können nur sehr gering entlohnt werden.

Ein großes Dankeschön an alle die für dérive schreiben und bei dérive mitarbeiten und es ermöglichen mit sehr geringen Mitteln eine Zeitschrift zu produzieren, die „immer den neusten und kleversten Scheiß für den politisch-planerischen Diskurs um das Städtische am Start“ hat, wie es Jesko Fezer (An Architekur, Pro qm und ifau) jüngst so herzergreifend formuliert hat. Ja, und falls uns wer dabei unterstützen will, doch zu mehr Geld zu kommen, sagen wir natürlich auch nicht nein. Das nächste Heft hat den Schwerpunkt Gouvernementalität (Redaktion Christa Kamleithner) und erscheint Anfang April.
Christoph Laimer

Inhalt

Inhalt
Schwerpunkt: Cinematic Cities – Stadt im Film
Cinematic Cities – Stadt im Film | Thomas Ballhausen, Julia Fischer und Günter Krenn
Ein urbaner Mythos: Frühes Kino, Modernisierung und Urbanisierung in Deutschland, 1895-1914 | Annemone Ligensa
Die Städte der Kinematographie – Filmfabrikanlagen und ihre Darstellung | Paolo Caneppele
Hollywood, Celluloid City. Der Topos Stadt in Hollywoods Selbstdarstellung | Julia Fischer
Gefahrenpool Wien. Eine Momentaufnahme im Film der Nachkriegsära | Karin Moser
Nordrand – Die Stadt als peripherer Ort | Bernadette Krejs und Christoph Hammerer
Jenseits von Eden – Berlins filmische Bezirke | Kathrin Kuna

Kunstinsert
„The Making of“ von Isa Rosenberger

Magazin

Chinesische Stadtplanung im Wandel | André Krammer
Ein großer Sprung nach vorn | André Krammer im Gespräch mit Rainer Pirker und C. Chen
Die Vergangenheit als Mythos. Der Umbau des „Allrussischen Ausstellungszentrums“ in Moskau | Alena Pfoser

Serie: Geschichte der Urbanität – Teil 22
Utopie IV. Die Natur als Quelle der Utopie | Manfred Russo

Besprechungen
Faszination an der Faszination. Theme Parks und urbane Inszenierungen | Anke Hagemann über das Symposium Economy of Fascination. Themed Urban Landscapes of Postmodernity
Repräsentation der Repräsentation | André Krammer über die Ausstellung Chinaproduction im Architekturzentrum Wien
Hinter Singapurs glänzender Fassade | Michael Grisko über Rolf Jordans Buch Singapur – Globale Stadt und autoritärer Staat
Der Kunst ihre Forschung in der ihr eigenen Zeit | Elke Krasny über die Ausstellung und Publikation A Portrait of the Artist as a Researcher
Die Stadtparks der Monarchie Christian Hlavac über den von Géza Hajós herausgegebenen Band Stadtparks in der österreichischen Monarchie 1765-1918
Street Art und doch nicht Kunst im öffentlichen Raum…? | Daniel Kalt über Julia Reineckes Buch Street-Art
Politische Rhetorik als Waffe | Susanne Karr über Coriolan, eine Produktion des theatercombinats
Flachdach und Heraldik | Iris Meder über Antje Senarclens de Grancys Buch Keine Würfelwelt.
Kulisse und Wirklichkeit | Heidi Schatzl über den von Karin Harrasser und Roland Innerhofer herausgegebenen Band Bauformen der Imagination
Symptom Parkhaus | Benjamin Steininger über Jürgen Hasses Buch Übersehene Räume. Zur Kulturgeschichte und Heterotopologie des Parkhauses
Web & Landschaft | Erik Meinharter über next.land eine Sammlung von Projekten österreichischer LandschaftsarchitektInnen
Der süße Schmerz der Herbstzeitlose | Ruby Sircar über die Ausstellung Die Blaue Blume im Grazer Kunstverein
Albtraum Selbstbestimmung | Bernd Hüttner über Jakob Schrenks Buch Die Kunst der Selbstausbeutung. Wie wir vor lauter Arbeit unser Leben verpassen

Cinematic Cities – Stadt im Film

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein Schnellporträt von Manhattan, musikalisch untermalt mit einer von Amerikas berühmtesten Identifikationshymnen, der Rhapsody in blue. Im Anfangsmonolog zu Manhattan heißt es: „To him... no matter what the season was, this was still a town that existed in black and white and pulsated to the great tunes of George Gershwin.“ Auch diese Szenen repräsentieren US-amerikanische Kinohistorie: In schmuckloser Farbfotografie zeichnet Martin Scorseses Kameramann Michael Chapman die Millieustudie des Taxichauffeurs Travis Bickle, subtil viragiert von Bernard Herrmanns spannungsgeladener Musik. In Taxi Driver hat auch Robert De Niros Voiceover nichts zu verklären: „Thank God for the rain which has helped wash the garbage and trash off the sidewalks ... All the animals come out at night: whores, skunk pussies, buggers, queens, fairies, dopers, junkies, sick, venal... Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets.“
Die selbe Stadt und doch ein anderes Universum, in dem die Sprache zumeist vor dem Wesentlichen versagt. Die Sprachlosigkeit führt in Filmen jedoch nicht ins Schweigen, sondern in eine gelungene Symbiose aus Bildern und Musik. Worüber man bei Städten nicht sprechen kann, darüber kann man Filme drehen. Die Analyse dokumentiert dabei nicht unbedingt die urbane Namenspatronin, sondern den sie scheinbar Analysiernden. Woody Allen zeichnet New York wie er ist. Federico Fellini decouvriert Rom in Fellinis Roma. Allen spricht bei „seiner“ Stadt über sich, hätte Fellini einen solchen Film gedreht, hätte der, trotz aller Hommage für Fellinis Geburtsstadt Rimini in Amarcord, korrekterweise wohl Cinecitta heißen müssen.

Cinecitta – Kino-Stadt, in diesem Wort manifestiert sich die symbiotische Beziehung zwischen Film und Stadt. Viele Filme tragen Städtenamen im Titel, haben reale oder fiktive Städte als Schauplätze, die von Metropolis bis hin zu Coruscent in Star Wars reichen. Das Konzept der Stadt ist zentral für Filme unterschiedlichster Art und Herkunft. Nahezu jede Themenvariation kann dort angesiedelt werden. In den Kinotiteln, die während der 1920er Jahre in Wien liefen, wurde der Begriff „Großstadt“ kombiniert mit „-Elend, -Gift, -Hyänen, -Kavaliere, -Liebe, -Mädels, -Pflanzen, -Schmetterling, -Spatzen, -Verlockungen“ sowie „- Deutschen Geistes.“ Urbanisation, die mit der Expansion des industriellen Kapitalismus einherging, war ein Ausdruck des historischen Übergangs zu einer spezifisch modernen sozialen Lebensweise und formte zugleich diese Lebensweise mit. Es waren nicht zuletzt die Filme, die ihren RezipientInnen halfen, mit der neuen gesellschaftlichen Realität des Großstadtlebens umzugehen, ihnen buchstäblich „Anschauungs-Unterricht“ gaben.

Es ist undenkbar, dass sich der Film ohne Stadt entwickeln hätte können. Schon Walter Benjamin und Jean Baudrillard haben die Affinität zwischen den beiden Begriffen dokumentiert. Die komplexe Beziehung zwischen Kino und Realität manifestiert sich in Baudrillards Formulierung, dass das Kino sich auf vielfache Weise aus seinem Kontext heraus begibt und ausbreitet, dabei seine eigene Realität erzeugt. Dies ist in der Stadt am deutlichsten wahrnehmbar. Kino bleibt hier nicht auf die Leinwand reduziert, der urbane Betrachter hat auch außerhalb des Kinos oft das Gefühl, als bewege er sich in einer Filmkulisse. Stadt ist Bewegung. „Kinematographie“ ist die „Aufzeichnung von Bewegung.“ In seinem Buch The Cinematic City demonstriert David B. Clarke zahlreiche Beispiele für eine „kinematische Stadt.“ In der Einleitung weist er darauf hin, dass man sowohl in europäischen als auch in amerikanischen Städten das Gefühl habe, was man sieht, wäre soeben der Leinwand entsprungen. Mit dem Unterschied, dass die Leinwand in Europa die eines Gemäldes ist, während es sich in Amerika um eine Filmleinwand handele. Dass die Ereignisse des 11. September zunächst an die Ausschnitte eines Hollywood-Katastrophenfilms erinnerten, also die Wirklichkeit den Film kopierte, ist noch in Erinnerung. Der Prozess, in dem Hollywood bestrebt sein muss, diese historische Realität durch technische Ästhetik an „Realistik“ zu übertreffen, hat längst begonnen.

„Touch (the) screen, touch the city“ – diesem Motto ist das vorliegende Schwerpunktheft deshalb auch verpflichtet. Zwischen den Bildschirm- und Leinwandlandschaften changierend wird in den Beiträgen nicht nur den verorteten, sondern immer auch den inneren Städten nachgespürt. Abseits der ausgetretenen Pfade und der vielbehandelten Werke wird anhand ungewöhnlicher Perspektiven und neuerer Beispiele die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Stadt und Film“ um wesentliche Facetten erweitert. Das Schauen dauert an.

[ Thomas Ballhausen (Filmarchiv Austria), Julia Fischer (Universität Wien), Günter Krenn (Filmarchiv Austria) ]

dérive, Mo., 2008.01.07

07. Januar 2008 Thomas Ballhausen, Julia Fischer, Günter Krenn

Gefahrenpool Wien

(SUBTITLE) Eine Momentaufnahme im Film der Nachkriegsära

Ruinensilhouetten, Schuttberge, Menschen auf der Suche nach einem Zuhause, eine ganze Stadt hält Ausschau nach der verlorenen Identität. Wien nach dem Zweiten Weltkrieg ließ wenig von der einst glänzenden Metropole der k.u.k. Monarchie erkennen, die Walzermelodien passten nicht in das reale zeitgenössische Trümmerbild. Schon 1918 entsprach Wien nicht mehr jenem Mythos, der in österreichischen, aber auch in Hollywood-Film-Produktionen immer wieder heraufbeschworen wurde. Versehrte k.u.k. Soldaten ohne Arbeit, ohne Aussicht auf eine Zukunft kehrten heim. Respektable Frauen des Bürgertums und der Aristokratie waren plötzlich mittellos, nicht selten war der einzige Weg zu überleben jener in die Prostitution. Hunger und Armut prägten das Straßenbild, Spekulanten machten ihre Geschäfte, der Antisemitismus war allgegenwärtig.[1] Die Realität der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zeichnete G.W. Pabst in Die freudlose Gasse (D 1925) nach. Ein ungewohntes, ungeschöntes und seltenes Spielfilm-Porträt der Stadt Wien. Die hehre Vergangenheit war für den Film jedoch reizvoller als die unliebsame Gegenwart, und so lebte die Musik- und Kaiserstadt vorerst weiter.

Während nach dem Ersten Weltkrieg die Bevölkerung zwar verarmt war und die althergebrachte Gesellschaft am Abgrund stand, blieben die Kulissen der Stadt, die Prunkbauten, die Sehenswürdigkeiten nahezu unbeschädigt. Die dekorative Ausstattung war erhalten, das filmische Klischee konnte weiter bedient werden. Anders nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Bombardierung der Stadt hatte sichtbare Spuren hinterlassen. Wichtige Ikonen – der Stephansdom, das Riesenrad, die Oper – waren ausgebrannt, zerstört. Die Filmproduktion musste in den ersten Nachkriegsjahren also entweder auf andere österreichische Landschaften ausweichen oder Geschichten erzählen, die versehrte Fassaden und gebrochene Menschen zueinander führten. Die Opfer des Krieges waren schnell gefunden – die aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten, die zurück gelassenen Frauen und Kinder. Auf die anderen Opfer wurde schon damals gerne vergessen. Die vom NS-Regime rassisch und politisch Verfolgten befanden sich außerhalb der „In-Group“, sie passten nicht zu jener Selbstwahrnehmung, wonach sich Österreich als erstes Opfer des Hitlerschen Aggression verstand. Wenn Österreich insgesamt Opfer war, so konnte eine Teilgruppe schwerlich „mehr Opfer“ sein.

Die „Heimkehrerfilme“ der Jahre 1946-1948 transportieren wunschgerecht den Opfer-Mythos: Geläuterte Soldaten kehren zurück, sie sind von einem sinnlosen Krieg, den sie nie wollten, gebrochen. Es fehlt ihnen an Halt und Zuversicht. Eine Frau, ein Kind, die Familie können letztlich den Heimgekehrten Glaube und Hoffnung wieder geben.[2] Am Ende sind sie bereit für den Wiederaufbau der Gesellschaft und der Stadt.[3]

Geteilte Stadt – Angst vor dem Fremden

Die internationalen Wien-Filme bringen nicht nur das von Harmonie und Optimismus getragene Bild der österreichischen Produktionen ins Schwanken, sie eröffnen den Blick auf eine weitere Konfliktzone – die geteilte Stadt wird zu einem Schauplatz des Kalten Krieges. In den Filmen Die Vier im Jeep (CH 1951), The Red Danube (USA 1949) und peripher in The Third Man (GB 1949) findet ein Showdown, ein Kräftemessen der alliierten Mächte (Russen, Amerikaner, Briten, Franzosen) statt. Die Rollen sind tendenziell immer gleich verteilt – der „gute Westen“ als Vertreter ehrenvoller, humanitärer Ideale steht einem unbarmherzigen sowjetischen Apparat gegenüber.

Wie weit der ansässigen Bevölkerung eine Rolle im Machtspiel zugebilligt wird, lässt sich schon an der Präsentation der Stadt erahnen. „Vienna after World War II“ wird in The Red Danube als Kulisse über die Bilder Reichsbrücke, Mexikoplatz und Stephansdom (mit ausgebranntem Dach) definiert. Es handelt sich um fremde, wahrscheinlich dokumentarische Filmquellen, die zur Illustration dienen. Die Aufnahmen fanden im MGM-Studio statt. [4] Die BewohnerInnen der Stadt werden nicht fassbar. Eine katholische Ordensfrau, ein kleine Ballettgruppe und ein verwahrlostes Mädchen haben eher dekorativen Charakter. Das Flair der Stadt, das Lebensgefühl der Menschen sind für den Plot nicht von Bedeutung. Die Geschichte könnte in jeder anderen Metropole ihren Lauf nehmen. Tatsächlich startet der Film in Rom. Wien scheint nur eine Durchlaufstation des britischen Militärs zu sein. Einzig das Faktum der geteilten Stadt lässt mehr Raum für Spannungselemente und spricht somit für den Schauplatz Wien.[5]

Während The Red Danube sich als reine Hollywood-Produktion deklariert, lässt der Schweizer Film Die Vier im Jeep die Handschrift eines Wieners erkennen. Der Künstler Leopold Lindtberg floh 1938 aus Wien in das neutrale Nachbarland und avancierte dort zu einem der populärsten Regisseure des legendären Exilensembles am Zürcher Schauspielhaus. Ab 1935 arbeitete Lindtberg auch als Filmregisseur.[6] In Die Vier im Jeep orientiert sich sein Blick über die Stadt am traditionellen „Wien-Film-Blick“, um dann doch den Weg zu einer adaptierten, zeitgemäßeren Variante zu finden: Dem Fokus auf die Votivkirche folgt ein Schwenk über Häuserfassaden zum Burgtheater (im Hintergrund der Steffl). Rathaus und Parlament schließen als historische Gebäude der politischen Repräsentation den Bogen ab.[7] Die sonst so geläufige Parade von Sehenswürdigkeiten konzentriert sich hier weder auf monarchische Denkmäler und Residenzen noch auf massentaugliche Vergnügungsstätten. Katholische Tradition, „Hochkultur“ und demokratische Vergangenheit stehen im Zentrum. Wie persönlich sein Blick auf die Stadt ist, verrät der Kommentar zum Bilderreigen:

„Die Stadt hat viel Unglück und Elend gesehen. Wohl blieben viele von den Wohnhäusern, den alten Kirchen und den Pracht­bauten an der Ringstraße verschont, andere tragen auch heute noch die Spuren der Kämpfe. Die alte Stadt beginnt aufzuleben. Doch Österreich ist noch ein besetztes Land.“

Lindtberg zeigt uns ein Wien aus der Perspektive der Einheimischen. Leid, Verlust und Angst prägen dieses Bild. „Alltagstragödien, die für die damalige Zeit so bezeichnend waren“, wollte Lindtberg zeigen.[8] Er fühlt mit. Er, ein Vertriebener, ein Wiener jüdischer Abstammung, der sein Zuhause verlassen und in das Schweizer Exil gehen musste. Und doch lassen ihn Stadt und Menschen nicht los. Er stimmt ein in den Opferchor, trotz allem. In Die Vier im Jeep wird der Konflikt zwischen Ost und West an einem Wiener Schicksal erzählt. Das Ehepaar Idinger ist durch den Krieg seit vielen Jahren getrennt. Karl Idinger kann den Alltag im russischen Kriegsgefangenenlager nicht mehr ertragen und ergreift die Flucht. Seine ahnungslose Frau wird daraufhin vom sowjetischen Geheimdienst verhört und observiert. Ein US-Soldat bietet ihr Hilfe an und ermöglicht ihr, im französischen Sektor Unterschlupf zu finden. Damit wird eine politische Affäre in Gang gesetzt, denn die Sowjets vermuten nun hinter dem Verschwinden der Idingers einen Spionagefall. Angst beherrscht die Szenerie. Ein ursprünglich privater Konflikt zwischen einem amerikanischen und einem russischen Soldaten entwickelt sich zu einem Kräftemessen auf höchster Ebene, ausgetragen auf dem Rücken der Bevölkerung. Tendenziell fühlen sich die Einheimischen stärker von den Sowjets bedroht, doch letztlich werden die Alliierten gesamt als ein bedrohlicher Fremdkörper wahrgenommen. Sie sind keine Befreier, sie sind Machthaber, die über das Schicksal der Österreicher frei verfügen können. „Dass s´ die Leut´ net in Ruh lassen können“, meint ein Nachbar der Idingers und gibt damit eine Grundstimmung wieder. Die Österreicher wollen unter sich bleiben, ihren Frieden haben und von der „Willkür der Befreier“ endlich erlöst werden. Wieder ist Österreich Opfer, wieder fühlt man sich ungerecht behandelt; warum Österreich unter Kontrolle steht, bleibt im Verborgenen. Der nächtliche Zweikampf zwischen Ost und West, der verständlich macht, dass auch der Russe nur ein Mensch ist, der einem diktatorischen System unterworfen ist, endet gerade noch glücklich. Dem Ehepaar Idinger gelingt die Flucht.

Die zeitgenössische Kritik zeigte sich über Die Vier im Jeep begeistert.[9] Man sprach von einem „Triumph der Menschlichkeit“ und lobte die realistische Darstellung Wiens und seiner BewohnerInnen in der Nachkriegszeit.[10] Im gleichen Atemzug ließ so mancher Journalist es sich nicht nehmen, Die Vier im Jeep als positives Gegenstück zu The Third Man zu etablieren. Schon im Jahr zuvor hatten heimische Zeitungen gegen den heutigen Klassiker des internationalen Kinos gewettert. Ein „Zerrbild Wiens“ wäre zu sehen, „eine Galerie negativer Typen“ werde präsentiert und der Film beleidige die „nationalen Gefühle der Österreicher“.[11] The Third Man bietet keinen Platz für österreichisches Selbstmitleid oder wehmütige Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Der Film hat eine andere Wiener Geschichte aus der Nachkriegsära zu erzählen, und wie so oft ist das Fremdbild schärfer und gnadenloser als das Selbstbild. In der Eingangssequenz lassen schnelle Schnitte auf den Stephansdom, das Strauß- und das Goethe-Denkmal nur eine kurze Reminiszenz auf „The Old Vienna“ zu. Bilder vom blühenden Schwarz­markt, von einem in der Donau treibenden leblosen Körper, begleitet vom enervierenden Ton der Zither, ändern sofort den Blickwinkel auf die Stadt. Alte Symbole werden umgedeutet. Der Dom und der Prater sind von Zerstörung gebrandmarkt, statt des Wienerwalds besuchen wir den Wiener Zentralfriedhof. Es ist Herbst oder Winter, nass, kalt, Wien wirkt unwirtlich. Sowohl von blühenden Bäumen als auch vom goldenen Wienerherz fehlt jede Spur. Wien ist eine Geisterstadt, die Straßen sind meist menschenleer, die zerbombte Ruinenlandschaft bietet den Hintergrund zur Handlung. Eine perfekte Kulisse für einen Kriminal- und Spionagefilm rund um den skrupellosen Schmuggel mit Penicillin. Das Unbehagen ist allgegenwärtig. Schiefe Kameraperspektiven, der geringe, aber dafür gezielte Einsatz von Licht sowie übergroße Schlagschatten an den nächtlichen Fassaden stellen The Third Man in die Tradition des deutschen Expressionismus. Zwielichtige Gestalten, konkurrierende Besatzungsmächte, sprachliches Unvermögen und eine Verfolgungsjagd durch das Wiener Kanalnetz ergänzen den Suspense auf der Ebene des Plots. Die Wiener Bevölkerung wird über Nebenfiguren greifbar: ein polizeischeuer und xenophober Hausmeister, eine verstaubte und keifende Zimmervermieterin, Spekulanten und Schmuggler sowie ein heranwachsen­des denunzierendes Kriegskind.[12] Die Wiener Nachkriegscharaktere sind verschlagen, kämpfen um das Überleben, meiden die offiziellen Stellen, sind deformiert und in eine zukunftsträchtigere Gesellschaft kaum integrierbar. Nicht nur die zerstörte Kulisse weist Spuren des Krieges auf, den österreichischen Randfiguren ist die NS-Vergangenheit geradezu eingeschrieben.[13] Nur wenige österreichische KritikerInnen erkannten, welche Möglichkeiten für den Wiener Film, für eine neue Präsentation der Stadt sich durch dieses cineastische Meisterwerk offenbarten:

„[Mit dem Dritten Mann] wird ein Götzenbild zerschlagen. Und an seine Stelle tritt eine nüchterne, furchtbare Wirklichkeit und Wahrheit, heilsam aber und furchtbar. Denn es gibt Ruinen, die erst gesprengt werden müssen, ehe ein neues Haus daraus wachsen kann. Eine solche Ruine war der feuchtfröhliche Film der letzten dreißig Jahre. Graham Greenes Der Dritte Mann ist der Sprengstoff, der sie in die Luft jagt. Für immer.“[14]

Der zitierte Rezensent der Furche war je­­doch zu optimistisch. Der Zündstoff reichte wohl nicht aus, um das rückwärtsgewandte Wien-Bild ein für allemal zu zerstören. Nur wenige Produktionen folgten vorerst dem Weg des „Dritten Mannes“. Die österreichisch-amerikanische Koproduktion Abenteuer in Wien/Stolen Identity (1952) ist eine der wenigen Ausnahmen. Der Film noir österreichischer Provenienz bedient sich wie zuvor The Third Man der Kehrseite der Großstadt. Schutthalden, düstere und schäbige Durchhäuser werden nun allerdings mit der ebenso wenig vertrauenswürdigen Moderne konfrontiert. Der betriebsame Verkehr und die Bauarbeiten vor dem in diffusem Licht erscheinen­den sterilen Westbahnhof ermöglichen einen lautlosen Tod: In einem Taxi, direkt vor der kalten, modernen Fassade, wird ein Mord verübt.

Abenteuer in Wien ist ein Film, der die Suche nach Identität zu einem zentralen Motiv macht. Ein durch den Krieg entwurzelter Taxifahrer lebt ohne Papiere und unter der ständigen Furcht vor der Abschiebung in Wien. Er trifft auf eine schwermütige Ehefrau, die von ihrem krankhaft eifersüchtigen Mann gequält, entmündigt und somit gefangen gehalten wird. Die Verloren­heit der Figuren, ihre Leere und Desillusioniertheit spiegeln sich im äußeren Verfall der Stadt wider. Über auffällige Diagonalen und Vertikalen, extreme Auf- und Untersicht und den Einsatz von genretypischen low-key-Elementen zeichnet die Kamera das Porträt einer Stadt. Modern, hart, dokumentarisch erscheint der Blick des Kameramanns Helmuth Ashley.[15] In Abenteuer in Wien wird die Widersprüchlichkeit im Stadtbild greifbar. Den architektonischen Trümmern steht die Moderne gegenüber, die Stadt befindet sich im Umbruch, in einem Zustand der Ruhelosigkeit und Unsicherheit. Wie die Figuren, so ist auch die Stadt auf der Suche nach ihrer Identität.[16]

„Halbstark“ – die Gefahr von innen

Kinopaläste, Espresso-Bars, Jugendclubs und eine zunehmende Zahl an Kaufhäusern waren Ausdruck jener modernen Rastlosigkeit, die das neue Stadtbild nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend prägte. Plätze der Konsum-, Medien- und Freizeitkultur signalisierten moderne Gefahrenzonen der Großstadt. Während die wiedererstarkende Elterngeneration auf die Aufrechterhaltung „guter Sitten“ und „alter Werte“ pochte, rebellierte die nonkonformistische Jugend. Das Phänomen der „Halb­­starken“ wurde wiederbelebt. Schon um 1900 hatte sich der Begriff als Synonym für die kriminelle, „degenerierte“, proletarische Großstadtjugend eingebürgert.[17] Fünfzig Jahre später wurde die Gefahr aus Amerika importiert. Die Teenager-Revolte, wie sie die Hollywood-Produktionen The Wild One (1954) oder Rebel without a cause (1955) propagierten, fand im deutsch­sprachigen Raum Widerhall. Über Kleidung, Musik, Statussymbole, Tanz- und Sprachformen kreierte die Jugend ihre eigene Gegenkultur. Besonders nachhaltig ließ sich die Imitation im Kino nachvollziehen. Die Halbstarken-Filme der 1950er Jahre, ausgehend von Die Halbstarken (D 1956), prägten einen Mythos, den es im vorgeführ­ten Ausmaß tatsächlich nie gab.18 Angelehnt an filmische Reportagen wurde mit einer gewissen Sensationsgier und Schaulust spekuliert. Einzelne Problemfälle sollten, in pseudodokumentarischer Manier vorgeführt, den potenziell Gefährdeten als Warnung dienen. Die Geschichten ähneln einander. Schnelle Motorräder, heiße Rhyth­men, der Wunsch nach dem großen Geld verleiten die männliche Jugend meist zu kriminellen Delikten. Bei den Mädchen ist es der Wunsch nach teurer Kleidung, der sie dazu ermutigt, als Mannequin zu arbeiten. Eine Arbeit, die in der zeitgenössischen Wahrnehmung als erster Schritt in die Prostitution gewertet wurde. Hat die junge Frau einen „Halbstarken“ zum Freund, so animiert sie ihn nicht selten dazu, einen Diebstahl zu begehen. In Unter 18 (A 1957) ist Elfi ein in diesem Sinne gefallenes Mädchen. Eine Fürsorgerin nimmt sich des Problemfalls an, versucht Elfi eine anständige Arbeit zu verschaffen und sie wieder auf den richtigen Weg zurück zu bringen.

Die jugendlichen DelinquentInnen vermitteln permanente innere Unruhe. Sie fürchten, vom Leben nicht genug zu bekommen, ja womöglich einmal so zu enden wie die eigenen Eltern, die sich nur abrackern, verhärmt und unglücklich sind. Es krankt somit an der Kriegsgeneration, deren marodes Erscheinungsbild Report-Genre-Filme wie Unter 18 und Asphalt (A 1951) offenbaren. Tatsächlich lassen sich die letztgenannten Filme als ein Plädoyer für jene Kinder und Jugendlichen lesen, die unmittelbar unter dem Unvermögen der Eltern leiden, denen es an „ordentlichen“ Vorbildern fehlt. Nicht selten sind die Eltern aktiv an den Tragödien der Kinder beteiligt. In Unter 18 erklärt sich Elfis „Fehlverhalten“ aus einer durch den Krieg zerrütteten Ehe. Die Mutter ist von Berlin nach Wien gezogen, lebt hier mir Elfi und ihrem neuen Mann in beengten Wohnverhältnissen. Der Mangel an Raum führt zu einem Mangel an Distanz – wie es der Film erklären möchte. Der Stiefvater hat die hübsche Elfi offensichtlich bedrängt, die Mutter beschuldigt ihre Tochter. Elfi flieht aus dem elterlichen Heim.

Im Episodenfilm Asphalt droht die siebzehnjährige Kriegswaise Erika, die als Tänzerin in einem Nachtlokal arbeitet, in die Prostitution abzugleiten. Sie wird zur Leidtragenden einer kalten und in sich erstarr­ten Nachkriegsgesellschaft, die sich der Verantwortung entzieht. Und selbst das gutbürgerliche Milieu bleibt nicht verschont. Der Fall Gabriele (Asphalt) zeigt eine allzu behütete Studentin, die ungewollt schwanger wird und den Zorn der strengen, lieblosen Eltern fürchtet. Während in Unter 18 für Elfi ein Happy End in Aussicht steht, weiß man nicht, ob es für Erika noch Hoffnung gibt. Bei Gabriele hat es sich bereits entschieden – sie wählt aus Angst und Scham den Freitod. Die Elterngeneration wird angeklagt und auch andere Autoritätspersonen, etwa ÄrztInnen und Polizisten, erwecken wenig Vertrauen. Untersuchungen und Verhörtechniken lassen Erinnerungen an die Gestapo aufkommen – mit Härte und Zucht soll der Jugend begegnet werden.

Letztlich ist die reaktionäre Wiederaufbaumentalität doch stärker als die sich anbahnende alternative Jugendkultur und Amerikanisierung. Die „Rebellen“ suchen, wie schon die Generationen zuvor, nach dem kleinbürgerlichen Familienglück, vor allem die männliche Jugend hält durchwegs an patriarchalischen Strukturen fest.19 Die Gefahr scheint vorerst gebannt. Die Jugend wird in ihre Grenzen verwiesen. Unangenehme Fragen an die Kriegsgeneration werden erst einmal ad acta gelegt. Nur wenige Filme greifen retrospektiv die unliebsame NS-Vergangenheit auf.20 Diese machen jedoch unmissverständlich klar – der Nationalsozialismus ist tot, seine Repräsentanten haben den Krieg nicht überlebt.

Vergeben wird die Chance, neue Stadtbilder zu schaffen, Film-noir-Elemente einzusetzen und aktuelle Fragestellungen, etwa unter dem Einsatz neorealistischer Mittel, aufzugreifen. Die Stadt ist ab den 1950er Jahren wieder präsentierbar. Man ist stolz, die Trümmer von den Straßen beseitigt zu haben. Modernität und Realismus müssen der restaurativen Harmonie weichen.21 Es werden wieder in althergebrachter Weise „Wien-Filme“ gedreht. Die Operetten- und Kaiserfilme lassen die „gute alte Zeit“ vor den Kriegen wieder aufleben. Und gelten gegenwartsbezogene „Wien-Filme“ als zu gefährlich, wird auf das idyllische Heimatfilmgenre zurückgegriffen. Die Stadt wird gemieden oder als krankhafter Gefahrenpool der ländlichen Beschaulichkeit entgegen gestellt. Die allzu trügerischen, auf Tradition, Landschaft, Kirche und Familie aufbauenden Bilder vermitteln über einzelne Auswüchse der heimatlichen Hinterlist, der Neidkultur und des Denunziantentums (wovon der Plot des Heimatfilms auch lebt) eine innere Unruhe, ein Konfliktpotenzial, das es zu verbergen gilt. Es ist dies die verinnerlichte Angst, dass hinter der dargebotenen Idylle vielleicht doch noch ein Zuviel an Blut- und Bodenästhetik offenbart werden könnte. Für den Moment wurde der Aufstand in seinem Keim erstickt. Es brauchte eine weitere (Film-)Generation, um jenen Sprengstoff zu zünden, der die verstaubten, harmoniesüchtigen Ruinen der Verdrängung ein für allemal in die Luft jagte, so wie es der Dritte Mann einst angekündigt hatte.

Karin Moser, Studium der Geschichte und der russischen Sprache an der Universität Wien. Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Filmarchiv Austria; Forschungsschwerpunkte: Österreichbild im Film, Besatzungszeit und Kalter Krieg, Gender Studies.

dérive, Mo., 2008.01.07

[1] Siehe die Erinnerungen der Familie Korda an das Wien des Jahres 1919 in: Korda, Michael (1979): Charmed Lives. A Family Romance, New York: Random House, S. 71-72.
[2] Beispiele dafür wären u.a. Der weite Weg (A 1946), Gottes Engel sind überall (A 1948).
[3] Wien steht in diesen Filmen sinnbildlich für ganz Österreich.
[4] Der Film wurde 1951 in der Kategorie „Art Direction-Set Decoration, Black-and-White“ für den Oscar nominiert. Die Auszeichnung ging in diesem Bewerb an Sunset Blvd (USA 1950).
[5] Die internationale Zone (Erster Bezirk), die unter der Kontrolle aller vier Mächte stand, machte eine gewisse Kooperation zwischen den Alliierten unabdingbar. Wien erschien als Handlungsort
gegenüber dem ebenfalls geteilten Berlin, wo es an dieser Regelung fehlte, für den Plot offensichtlich ergiebiger.
[6] Dumont, Hervé (1981): Leopold Lindtberg und der Schweizer Film 1935-1953. Ulm: Günther Knorr 1981. Hochholdinger-Reiterer, Beate
(1999): „Die Befreiung hab´ ich mir ganz anders vorgestellt“. Österreich in Filmen der Nachkriegszeit. In: Modern Austrian Literature. Journal of the International Arthur Schnitzler Research
Association, Volume 32, Nr. 3, S. 297.
[7] Tatsächlich wurden nur die Eingangssequenz sowie einige wenige Einstellungen in Wien gedreht. Der Großteil des Films wurde in Graz aufgenommen. Vgl.: Lindtberg, Leopold (1972): Reden und Aufsätze. Zürich/Freiburg: Atlantis, S. 140f.
[8] Leopold Lindtberg (1972), S. 140.
[9] Einzig die kommunistischen Blätter erkannten in dem Film nicht ohne Grund ein westlich orientiertes Werk, das v.a. gegen die
Sowjetunion Sti mmung machen sollte. Vgl. etwa:
Das Kleine Volksblatt, 14.10.1951, Österreichische
Zeitung, 1]1.10.1951. [10 Das Kleine Volksblatt, 14.10.1951, Arbeiter-Zeitung, 10.10.1951, Wiener Kurier, 11.10.1951.
[11] Österreichische Volksstimme, 14.3.1950, Österreichische Zeitung, 15.3.1950, Der Abend, 10.3.1950.
[12] Gespielt werden die genannten österreichischen Charaktere von Paul Hörbiger, Hedwig Bleibtreu, Ernst Deutsch, Erich Ponto und Herbert Halbik.
[13] Hochholdinger-Reiterer, S. 296.
[14] Die Furche, 18.3.1950.
[15] Helmuth Ashley hatte sich in den 1940er

07. Januar 2008 Karin Moser

Faszination an der Faszination

(SUBTITLE) Theme Parks und urbane Inszenierungen

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft zunehmend beherrscht durch Landmarks, Leuchtturmprojekte und Signature Architecture, durch Unterhaltungsindustrie, gethemete Konsumwelten und festivalisierte Kulturproduktion, durch Simulation, Exzess und Größenwahn, mit denen die Standorte international um Aufmerksamkeit konkurrieren. Dies war These und Ausgangspunkt des Symposiums Economy of Fascination. Themed Urban Landscapes of Postmodernity am Geographischen Institut der Uni Heidelberg, das seinerseits um Aufmerksamkeit warb, indem es mit Michael Sorkin, Neil Smith oder Michael Dear große Namen der US-amerikanischen kritischen Stadtforschung versammelte.

Mit welcher Theorie und welchem Vokabular können die inszenierten Urbanitäten beschrieben werden? Welche politischen oder ökonomischen Strategien stehen hinter dem „urbanen Zirkus“? In welchem Verhältnis stehen Erscheinungsform und „Realität“? Und kann die neue Stadtlandschaft eigentlich noch als postmodern aufgefasst werden? Über zwei Tage wurden diese und viele weitere Fragen diskutiert, wobei sich der erste Tag den Grundlagen und Lesarten von Faszination und Spektakel widmete, während der zweite Tag vorwiegend Fallstudien zusammentrug.

Als mögliche theoretische Basis für die Ökonomie der Faszination wurden zunächst die Auffassungen und Bedingungen von postmoderner Urbanität verhandelt. Zur Einführung lieferte Michael Dear einen synoptischen Blick auf die weitgehend „pathologischen“ und wenig progressiven Erscheinungsformen postmoderner Stadtentwicklung, wie Zersiedelung, soziale Fragmentierung und fortschreitende Privatisierung, während Jacques Levy dazu aufrief, die Komplexität, Heterogenität und Faszinationen des Urbanen als produktive und selbstheilende Kraft zu erkennen. Für Ludger Basten (der zwischen Postmodernism als Ideologie und Postmodernity als Epoche unterscheidet) ist die sich verselbständigende Peripherie, die Zwischenstadt, zum Inbegriff einer widersprüchlich-pluralistischen postmodernen Stadtlandschaft geworden, während Mark Gottdiener (der den Postmoderne-Begriff eng an die fundierten Theorien von Jameson, Soja und Harvey geknüpft wissen möchte) noch immer Las Vegas mit seinen freigesetzten Zeichensystemen als ultimatives Beispiel für Postmodernität begreift. Implizit und auch explizit wurde durch dieses diffuse Spektrum das Bedürfnis nach präziseren Termini und einer differenzierenden Betrachtung aktueller Phänomene deutlich.

Ähnlich heterogen waren die Auffassungen von Faszination und Spektakel sowie die Theorien und Methoden ihrer Beschreibung: Für Dear sind die urbanen Spektakel, wie Theme Parks oder Signature Architectures, „irresistable narcotics“ und ein ästhetisches Werkzeug, um in den gleichförmigen Landschaften des Sprawl neue Identitäten zu kreieren. Entsprechend schaffen sie laut Basten Distinktion und Vermarktungsgrundlage in der „Zwischenstadt“. Beide riefen zu einer verstärkten Einbeziehung der Alltagsperspektive und der Ebene persönlicher Erfahrung auf, blieben aber genauere Ausführungen schuldig. Neil Smith ging in seinem Beitrag den Strategien von Kosmetik, Imitation und Fetischisierung nach, mit denen die raumproduzierenden Machtstrukturen überdeckt werden. Nachdem bereits Michael Sorkin in seinem Einführungsvortrag darauf hingewiesen hatte, dass auch urbane Katastrophen wie 9/11 einen Bestandteil der Faszinationsökonomie bilden, beschrieb Neil Smith, wie die offensichtliche Faszination an den neuen Militär- und Sicherheitstechnologien in der jüngeren kritischen Stadttheorie zur reinen Skandalisierung der urbanen Kriegsführung führe und damit eine genaue Analyse der Hintergründe deutlich erschwere. Auch Michael Dear hatte davor gewarnt, dass selbst die Stadtforscher der Aufmerksamkeitsökonomie erliegen und sich von dem „Bling“ blenden lassen. Mark Gottdiener näherte sich dem Phänomen des Theming dagegen aus der Perspektive der Semiotik und entlang der Begriffe der Entfremdung (Marx/Lefebvre), Entäußerung (Hegel) und Simulation (Baudrillard). Die vielfältigen Zeichensysteme von Las Vegas stellte er der Eindimensionalität von Dubai („do-buy“) gegenüber, das mit den sich immer wiederholenden Chiffren nur eins zum Ausdruck bringen möchte: Konsum, Luxus, Exzess.
Die zahlreichen Fallstudien lieferten weitere Auslegungen der Economy of Fascination, so z.B. Paradebeispiele für die Festivalisierung und Kulturalisierung der Stadtpolitik – sei es zum Imagewandel nordenglischer Industriestädte (Gerald Wood) oder zum Branding des Ruhrgebiets als neuem Stadtkonstrukt (Achim Prossek). Die seit Bilbao ungebrochene Begeisterung am Einsatz von Flagship Museums als „magischem“, doch häufig scheiterndem Instrument zur Revitalisierung von Stadtzentren illustrierte Noam Shoval, und die geschickte mediale Selbstdarstellung Hamburgs in Imagefilmen und TV-Produktionen wurde von Anke Strüver und Sybille Bauriedl untersucht.

Als unerreichte Referenzen in Sachen Simulation und Größenwahn standen aber immer wieder Dubai und China im Zentrum des Interesses. Dieter Hassenpflug schilderte das Scheitern deutscher Architekten, die versucht hatten, in den New Towns von Shanghai ihr europäisch geprägtes Ideal einer funktionsdurchmischten Stadt gegen die herrschende Dualität von gated community und gethemetem Kommerzraum durchzusetzen. Tim Simpson zeigte eine detailreiche Innensicht aus Macau, der ehemaligen portugiesischen Kolonie und Casino-Insel, die einige Triadenkriege hinter sich hat und heute als boomendes Glücksspielparadies den ChinesIn­nen zur kontrollierten Einübung von Tourismus und Konsum dient. Dagegen blieb die Darstellung von Dubai sehr schematisch: Weder eine genaue Analyse der Zeichen- und Referenzwelten, noch der oft beschworene kritische Blick hinter die Kulissen wurde geleistet; die Aufzählung der totalitären Politik, der repressiven Arbeitsbedingungen und des exzessiven Ressourcenverbrauchs lieferte keine neuen Einsichten.

An Methoden wurde dagegen einiges aufgeboten: Semiotik und Linguistik, Diskurs­analyse und Performanz, kulturwissenschaftliche und anthropologische Zugänge. Oft schien es weniger darum zu gehen, für die beobachteten Zustände konstruktive Erklärungsmuster zu finden, als vielmehr darum, komplexe Theoriegebäude an der noch komplexeren städtischen Realität zu verifizieren. Für eine Architektin wirkt es befremdlich, dass vor der konkret-räumlichen Analyse von Architektur und Stadt halt gemacht wird und dass der Raumbegriff der Geographie damit abstrakt bleibt. So fehlten nicht nur die Brücken zwischen Theorie und Empirie, sondern auch zwischen den räumlichen Disziplinen – zwischen akademischem Diskurs und praktischem Handeln in Politik und Planung.

www.geog.uni-heidelberg.de/fascination/fascination.htm
Eine Publikation ist geplant.

dérive, Mo., 2008.01.07

07. Januar 2008 Anke Hagemann

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