Editorial

Die Stadt Zürich und die Zürcher Wohnbaugenossenschaften feiern unter dem Motto «Mehr als wohnen» den 100. Geburtstag des gemeinnützigen Wohnungsbaus. 1907 beschlossen die Stimmbürger den Bau der ersten städtischen Wohnsiedlung, ab 1910 unterstützte die Stadt Genossenschaften mit Bauland und Hypotheken zu günstigen Konditionen. Seither sind in Zürich 50000 Wohnungen im gemeinnützigen Wohnungsbau entstanden, 38000 gehören Genossenschaften, 10000 der Stadt oder städtischen Stiftungen. Das ist ein Viertel aller Wohnungen in Zürich, ein Drittel der Stadtbevölkerung wohnt darin. Die Miete beträgt dank Kostenmiete im Schnitt zwei Drittel der Miete von vergleichbaren Wohnungen in Privatbesitz. Als Gegenleistung für die städtische Unterstützung bieten die Siedlungen soziale Einrichtungen und in Wettbewerben entwickelte, überdurchschnittliche Architektur und Aussenraumgestaltung.

Davon profi tieren auch die umliegenden Quartiere. Das jährliche Investitionsvolumen beträgt 350 Millionen Franken. Dieses Heft nimmt das Jubiläum zum Anlass für einen Ausblick auf die mögliche Zukunft des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Dessen historische Aufgabe war es, bürgerliche Lebensstandards breiten städtischen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sorgte er dann dafür, dass in der immer teureren Bankenstadt Wohnen für alle erschwinglich blieb. Heute genügen viele Siedlungen den gewandelten Ansprüchen nicht mehr und müssen erneuert werden. Darin liegt erneut die Chance, eine historische Aufgabe zu übernehmen: die Pionierrolle bei der Suche nach einer grundsätzlich nachhaltigeren Siedlungsweise, welche die räumliche Trennung von Wohnen und Arbeiten sowie der Generationen überwindet.

Dafür sind zeitgemässe Formen von Gemeinschaftlichkeit nötig. Der Artikel ab Seite 22 erzählt die Geschichte von gemeinschaftlichen Wohnexperimenten in Zürich und stellt die Frage nach zeitgemässen Formen von Gemeinschaftlichkeit. Er bildete die Grundlage für das Gespräch ab Seite 29: Architekturschaffende mit Erfahrung im Siedlungsbau diskutieren Grenzen und Möglichkeiten der Siedlungsplanung im heutigen und künftigen Zürich. Ein Gedanke aus dem Gespräch: Die Baugenossenschaften besitzen in manchen Zürcher Quartieren die Hälfte der Wohnungen – auf Arealen mit beträchtlichen Verdichtungsreserven; ihre Kassen sind gefüllt, und das Einvernehmen mit der Stadt, die den Aufbruch in die 2000-Watt-Gesellschaft zum Legislaturziel erklärt hat, ist gut. Wenn sich die Genossenschaften dem gesellschaftlichen Wandel und den ökologischen Problemen konsequenter als bisher stellen würden und die Erneuerung ganzer Quartiere gemeinsam an die Hand nähmen, könnten sie schon bald viel mehr als Wohnen bieten! Ein zweites Diskussionsresultat: Gefordert sind auch die Architekturschaffenden, sie dürfen dieses Feld nicht den Ökonomen überlassen!
Ruedi Weidmann

Literatur, Zahlen und Fakten zum gemeinnützigen Wohnungsbau in Zürich: www.mehr-als-wohnen.ch, www.svw-zh.ch > Dokumente

Inhalt

WETTBEWERBE
Solothurner Holzpreis 07

MAGAZIN
«Hochparterre Bücher» – neue Architekturbuchhandlung | Kulturwege Schweiz: Graubünden

GEMEINSCHAFTSHÄUSER IN ZÜRICH
Ruedi Weidmann
Zürich hat eine Geschichte experimentellen Wohnbaus. Der künftige Siedlungsbau wird sich im Dreieck von Individualisierung, Rationalisierung und Gemeinschaft neu positionieren müssen.

DICHTE STATT ZWANG
Andreas Hofer
Die Zürcher Baugenossenschaften müssen ihre Bestände erneuern. Dabei könnten sie grundsätzlich nachhaltigere Siedlungsformen suchen. Was kann die Architektur dazu beitragen? Ein Gespräch.

SIA
Urheberrecht | Kooperationsvertrag mit der Bayerischen Architektenkammer | Neue Norm zu thermischer Energie | Register Dichtungsbahnen | Neuer Lohnausweis

PRODUKTE

IMPRESSUM

VERANSTALTUNGEN

Gemeinschaftshäuser in Zürich

Der gemeinnützige Wohnungsbau in Zürich feierte dieses Jahr seinen
100. Geburtstag. Er half im 20. Jahrhundert, das bürgerliche Projekt der individuellen Emanzipation bis in die städtischen Unterschichten zu tragen. Der Weg führte über die Trennung von Arbeiten und Wohnen und von öffentlicher und privater Sphäre. Doch diese Trennung ist ökologisch und sozial nicht nachhaltig und muss nun ihrerseits überwunden werden. Nachhaltigere Lebensformen zu suchen könnte die neue Aufgabe des gemeinnützigen Wohnungsbaus werden.

Die Entwicklung des Wohnens in den westlichen Industrieländern im 20. Jahrhundert lässt sich als Teil eines Emanzipationsprozesses beschreiben, als schrittweise Befreiung der Einzelnen aus ökonomischen und sozialen Zwangsgemeinschaften: aus dörflichen Sozialstrukturen und Klientelismus, aus der gewerblichen oder bäuerlichen Grossfamilie, aus patriarchal geführten Industrieunternehmen.1 Das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft – das unabhängige, freie, selbstständige Individuum als Subjekt der Demokratie – wurde für immer breitere Schichten erreichbar. Lohnarbeit und Privatsphäre wurden dabei rechtlich, aber auch geografisch immer klarer voneinander getrennt. Bei diesem städtebaulichen Prozess half der gemeinnützige Wohnungsbau mit, und er machte bürgerliche Lebensstandards für Arbeiterschichten zugänglich.

Dieser Emanzipationsprozess verlief in der Schweiz erfolgreich. Doch hat er bis heute nicht alle gleichermassen erfasst. Vor allem die Frauen profitieren bis heute ungenügend; nach wie vor leisten sie viel mehr unbezahlte Arbeit in einer sozialen Abhängigkeitsstruktur, der Familie. Auch baulich ist der Prozess keineswegs abgeschlossen: Die Individualisierung schreitet fort. Mittlerweile besteht über die Hälfte der Haushalte in Zürich aus einer Person. Die Wohnung wird immer grösser; was man zum Leben braucht – Waren, praktische Dienstleistungen, Vergnügen, körperliche Erleichterung und emotionale Hilfe –, kann man auf dem freien Markt kaufen. Doch nicht alle haben das nötige Geld für diesen Lebensstil. Ein Teil der Alleinlebenden sind beruflich und sozial desintegrierte Menschen mit überdurchschnittlichem Sterblichkeitsrisiko – Individualismus wird irgendwann exklusiv.
Der Soziologe François Höpflinger warnt allerdings davor, Einpersonenhaushalte mit Vereinsamung und sozialer Isolation gleichzusetzen. Ein Merkmal vieler Alleinlebender sei
gerade ihre hohe und vielfältige soziale Integration. Im Jahr 2000 beurteilten 59% der Schweizer StimmbürgerInnen Alleinleben als positiv. Der individuelle, emanzipierte Lebensstil ist eine kulturelle Leistung, eine Errungenschaft unserer kapitalistisch-demokratischen Kultur. Er wurde im 20. Jahrhundert möglich dank einer erhöhten Produktivität, wachsendem Wohlstand – und auf der Basis eines massiv gesteigerten Ressourcenverbrauchs pro Kopf.
Die Auftrennung des Lebens in unterschiedliche Sphären und die Professionalisierung und Ökonomisierung (finanzielle Abgeltung) von immer mehr Tätigkeiten war effizient im Hinblick auf Produktivität und Bruttosozialprodukt, nicht aber im ökologischen Sinn. Die Idee, Funktionen wie Arbeiten und Wohnen räumlich zu trennen und die einzelnen Orte für ihren Zweck zu optimieren, schuf «monokulturelle» Stadtteile, Schlafstädte, Büro-Einöden, Altersheime, Shoppingcenter. Das Pendeln dazwischen verbraucht Geld, Zeit, Boden und Energie und verursacht Umweltschäden. Die Trennung der Generationen hat hohe soziale Folgekosten, etwa die Gesundheitskosten, die entstehen, weil die Pflege früher einsetzen muss, wenn Alte und Junge nicht mehr zusammenleben. Anderseits bleiben die Arbeitskraft und Kreativität der Alten ungenutzt. Vielen Kindern fehlen die Grosseltern und vielen älteren Menschen die Enkel, wie die Zürcher Sozialamtsvorsteherin Monika Stocker neulich betonte. Sind die Alleinlebenden glücklich? Oder werden vereinsamende Singles in ineffi­zienten Einpersonenhaushalten zu einem Problem unserer Gesellschaft?

Den Preis für unsere Freiheit kann sich die Welt nicht mehr leisten, weil die Ressourcen schwinden. Vor allem, wenn die Befreiung des Individuums weltweit stattfinden soll, kann unser Modell nicht wegweisend sein. Gesucht ist eine effizientere, ökologischere und sozial nachhaltigere Siedlungsweise. Sie müsste Wohnen, bezahlte und gemeinnützige Arbeit, Konsum und Freizeit sinnvoll organisieren und so einige der grossen Trennungen des 20. Jahrhunderts rückgängig machen, ohne die gewonnene individuelle Freiheit einzuschränken. Wie könnten Siedlungen von morgen aussehen, die den Bedürfnissen nach individueller Unabhängigkeit, nach weiterer Rationalisierung der Haushaltführung und nach Integration und emotionalem Rückhalt in der Gemeinschaft gerecht werden?

Bürgerliche Standards

Vor 100 Jahren ging es im gemeinnützigen Wohnungsbau um solidarische Selbsthilfe und um die Integration der ArbeiterInnen in die bürgerliche Gesellschaft. Die hygienischen und sozialen Standards, aber ebenso das Pflichtbewusstsein des bürgerlichen Lebens sollten auch die breiten Schichten erfassen. Das bedingte eine Disziplinierung der Lebensformen. Wer das Gleiche wollte, musste sich auch an die gleichen Regeln halten. Die Art, wie das Gemeinschaftsleben organisiert wurde, ist deshalb aus heutiger Sicht mit viel Konformitätsdruck verbunden. Die Hausordnungen waren rigid, die sozialen Hierarchien in Genossenschaft und Siedlung deutlich, auch wenn Gleichheit und Solidarität grossgeschrieben wurden. Es herrschten autoritäre Umgangsformen und Gesinnungskontrolle.

Koloniekommissionen und Siedlungsvereine organisierten das soziale Leben. Dazu gehörten gemeinsames Vorlesen und Radiohören im Kolonielokal (in linken Genossenschaften auch politische Schulung), Feste, gemeinsame Ausflüge und jährliche Arbeiten wie Fensterläden waschen. Gemeinschaftsgefühl entstand auch durch die Gleichberechtigung (das Wahl- und Stimmrecht in der Generalversammlung) und die soziale und ideologische Nähe der BewohnerInnenschaft, die das Zusammenleben und nachbarschaftliche Hilfe erleichterte. Fast alle hatten Kinder, die den Kontakt zwischen den Familien schufen. Doch kollektive Wohnformen, etwa gemeinsames Essen, gab es keine. Es war ja neben der Bekämpfung der Wohnungsnot gerade das Ziel des gemeinnützigen Wohnungsbaus, dass die Kleinfamilie als wichtigste Institution der bürgerlichen Gesellschaft in der eigenen Wohnung leben und die Wohngemeinschaft mit Kostgängern und Untermietern hinter sich lassen konnte. Die Förderbestimmungen für den gemeinnützigen Wohnungsbau liessen nur Familienwohnungen zu. Die Architektur und die städtebauliche Anlage der Siedlungen waren – ob Blockrandbebauung oder Reihenhäuser – meist sehr uniform. Sie demonstrierten die Ideen der Gleichheit und der Disziplinierung.

Historische Wohnexperimente

Experimente mit mehr gemeinschaftlichem Leben gab es, doch es waren wenige. 1916 baute eine Handwerkergenossenschaft auf Initiative eines gewissen Oskar Schwank das «Amerikanerhaus» an der Idastrasse. In der Tradition des Wohnbauprojekts «Familistère» des Frühsozialisten Godin in Frankreich plante Schwank ein Einküchenhaus ohne Küchen in den Wohnungen. Die Leute sollten zusammen im Speisesaal im Erdgeschoss essen. Die Wohnungen waren sehr klein, dafür waren die Laubengänge rund um den Innenhof breit genug für Tische. Doch Schwanks Kompagnons scheuten das Experiment, befreiten sich vom Gründer, bauten Küchen ein und verpachteten Saal und «Centralküche» als Restaurant («Ämtlerhalle», heute «Pizzeria Michelangelo»). Trotzdem gab es im Amerikanerhaus mehr gemeinschaftliches Leben als anderswo. Viele Familien trafen sich abends in der «Ämtlerhalle» oder tafelten und musizierten nicht selten auf den Laubengängen.
1927 bauten drei Frauen-Baugenossenschaften mit der Architektin Lux Guyer für alleinstehende berufstätige Frauen, die auf dem freien Markt keine Wohnung fanden, die Siedlung Lettenhof in Wipkingen: vier Häuser mit rund 50 Wohnungen, Gemeinschaftsbad, Gemeinschaftsküche und einem alkoholfreien Restaurant. Eine Hauswartin erledigte allerlei Aufträge für die Mieterinnen. 1928 und 1950 entstanden weitere Häuser. Der Lettenhof existiert bis heute, allerdings ohne Restaurant. In bürgerlichen Stadtteilen entstanden
einige Apartmenthäuser, so 1929 das «Bellerive» am Utoquai mit Hotel, Autogarage und Tennishallen, oder 1934 gegenüber das «Frascati» mit Restaurant und Dienstbotenzimmern. Hier ging es jedoch nicht um Gemeinschaft, sondern um die Entlastung gut verdienender Singles durch Auslagerung von Hausarbeit und deren Ökonomisierung als bezahlte Dienstleistung.

Lockerungen nach dem Krieg

In den 1930er-Jahren entdeckte die Schweiz in Abgrenzung zum totalitären Nationalsozialismus die Vielfalt als das typisch Schweizerische. Nach dem Krieg drehten sich die theoretischen Diskussionen im Städtebau um die Frage, wo der schweizerische Mittelweg liege zwischen dem sowjetischen «Kollektivismus» und dem als zu wenig solidarisch empfundenen «American Way of Life». Die strengen Häuserzeilen lockerten sich allmählich auf; die Stadt Zürich förderte die «gemischte Bauweise». Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner baute 1950–55 die Siedlung «Heiligfeld III» mit den ersten Wohnhochhäusern. Sie war für eine vielfältigere Gesellschaft gedacht als die strenge Architektur der Zwischenkriegszeit.
Intellektuelle Vorreiter – mit dem nötigen Portemonnaie – waren schon weiter: Max Frisch baute ein Ferienhaus im Tessin, mietete eine Wohnung im neuen Hochhaus Lochergut (1966) und dann eine in New York. Schon 1953 hatte er in seinem Hörspiel «Cum grano salis» verkündet, er brauche die Nachbarschaft nicht mehr, er lese seine Freunde lieber selber aus. «... der Mieter-Nachbar ist eine zufällig-erzwungene Nachbarschaft, oft eine sehr flüchtige Nachbarschaft, und meistens wäre es kein menschlicher Verlust, wenn ich diesem Nachbarn nicht in die Küche oder die Loggia sähe. Die Nachbarschaften, die ich brauche, sind die geistig-menschlichen, nicht die Wohn-Nachbarschaften.» «... eine Schnellbahn, die ich von meinem Hochhaus in wenigen Minuten erreiche, wäre mir wichtiger ...»

Revival der Nachbarschaft

Ein Teil der Generation, die in den Siedlungen aufgewachsen war, floh nun aus deren so­zialer Enge. Der Lebensstandard war selbstverständlich geworden, sein Preis, die rigide soziale Kontrolle, wurde als kleinbürgerlich und spiessig empfunden. In den 1970er- und 1980er-Jahren kam es zu einer Gegenbewegung vom Stadtrand zurück in die Kernstadt. Kleine und grosse Wohngemeinschaften erprobten in Abbruchliegenschaften und besetzten Häusern kollektive Wohnformen als Gegenmodelle zum individualisierten, in der Agglomeration verstreuten Familienglück. Die Szene prägte gewisse Quartiere, organisierte Strassenfeste, erkämpfte Wohnstrassen und läutete eine Revival der Wohn-Nachbarschaft ein – urbaner, freier, mit weniger Konformitätsdruck. Aus Hausbesetzungen entstanden neue Einhaus-Genossenschaften, einige schlossen sich ab 1981 in der «Wogeno», einer Genossenschaft selbstverwalteter Hausvereine, zusammen. Sie entwickelten auch neue Architekturen für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Der Neubau der «Wogeno» an der Helmutstrasse (aber auch der Brahmshof des evangelischen Frauenbundes) mischten 1991 Wohnen und Arbeiten (Büros, soziale Dienste, Café), und sie durchbrachen mit halböffentlichen Räumen zum ersten Mal wieder die Trennung von öffentlich und privat: Die Laubengänge zu den Wohnungen sind zugleich Terrassen, die man mit den Nachbarn teilen kann. Die grösste Neugründung, die Genossenschaft Dreieck, rang der Stadt 1995 einen ganzen Häuserblock ab und entwickelte ihn zu einem durchmischten Quartierteil (vgl. Tec21 Nr. 6/2006). Das wirkte auf die Genossenschaftsbewegung in der Stadt als Verjüngungskur. Die traditionellen Genossenschaften, die den Gemeinschaftsgedanken schon fast vergessen und seit den 1960er-Jahren keine Gemeinschaftsräume mehr gebaut hatten, nehmen heute, da sie ihre Liegenschaften erneuern müssen, Impulse der jungen auf.

Junge Genossenschaften experimentieren

Einige Pioniere suchen derweil weiter nach der «guten Mischung» aus Unabhängigkeit und Gemeinschaft. In der Genossenschaft «Karthago» leben seit zehn Jahren über 50 Leute in einem Grosshaushalt in einem ehemaligen Bürohaus an der Zentralstrasse, ein Drittel davon sind Kinder. Ein angestellter Koch kocht in der Gemeinschaftsküche fünf Mal pro Woche das Abendessen für alle. Die Warteliste interessierter Mieter ist lang, das Angebot ist attraktiv für alleinerziehende Eltern, für ausländische SpezialistInnen, meist aus dem Finanzdienstleistungssektor, die für ein Projekt nach Zürich kommen, und für Leute in Umbruchsituationen, die sich in der Gemeinschaft neu orientieren können.
Das 2001 bezogene «Kraftwerk1» bietet Wohnraum für rund 240 BewohnerInnen und 90 Arbeitsplätze, Restaurant, Laden, Coiffeur, Krippe, Kindergarten, Waschsalon, Gästezimmer, Werkstatt, Bar und Gemeinschaftsraum auf der Dachterrasse. Gemeinschaft wird in einigen Gross-WG gelebt, in verschiedenen Kommissionen, an der Generalversammlung und in einem Lebensmittelladen, der ungeplant entstand und seit Jahren funktioniert, obwohl er auf Gratisarbeit basiert. Im «Kraftwerk1» kann man ohne weiteres einen zwanglosen Lebensstil führen, das Mass an gemeinschaftlichem Engagement ist frei wählbar.
2007 wurde das kommerzielle Projekt «James» in Altstetten eröffnet. Es enthält 1½- bis 6½-Zimmer-Wohnungen. In der Portierloge sitzt «James» (eine Firma) und bietet Dienstleistungen an. Klassische Conciergedienste wie Post- und E-Shopping-Lieferungen empfangen sind im Mietpreis inbegriffen; individuelle Aufträge wie Auto waschen, Kleider reinigen oder Katze füttern müssen bezahlt werden. Die BewohnerInnen können untereinander über ein Intranet gratis kommunizieren. Ob dies gemeinschaftliche Aktivitäten fördert und der Portier mehr ist als eine Werbeaktion, wird sich zeigen. Eingezogen sind fast nur junge Singles und Paare ohne Kinder.

Ineffizienz

Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und individueller Lebensgestaltung ist seit Frischs Statement noch einmal enorm gewachsen. Die Kultivierung des Privaten geht weiter. Heute dient die Wohnung als Refugium und stabile Basis der eigenen Identität. Sie wird immer teurer und aufwändiger im Unterhalt. Dass pro Person eine Waschmaschine, Geschirrwaschmaschine, Espressomaschine usw. nötig sind, ist höchst ineffizient. Und allein Kochen, Putzen, Waschen, Kinder organisieren, Essen, Kranksein und alle Bedürfnisse nach Kontakt, Hilfe und emotionalem Rückhalt ausser Haus abdecken zu müssen, ist anstrengend. Wächst das Bedürfnis nach kollektiven Wohnformen? Welche Art Kontakt und welchen Grad an Verbindlichkeit wünschen sich und ertragen die Leute heute?

Alterswohnen als Trendsetter

Was gemeinschaftliche Wohnformen anbelangt, tut sich im Bereich Alterswohnen im Moment am meisten – wohl weil hier die Nachteile des Alleinwohnens offensichtlicher sind und weil die Leute, die heute alt werden, sich nicht mehr vorstellen können, in ein konventionelles Altersheim zu ziehen. Zahlreiche Stiftungen und Vereine fördern Wohnprojekte für Alte, und es mehren sich Alters-WG oder -hausgemeinschaften. Ehepaare ziehen nach dem Ausfliegen der Kinder aus dem Einfamilienhaus zurück in die Stadt, wo Läden, Verkehr, Kultur, Dienstleistungen und jüngere Leute in der Nähe sind. Auch kommunale Altersheime und private Seniorenresidenzen werden heute an zentralen Plätzen gebaut und bieten im Erdgeschoss Restaurants, Cafés, Coiffeur und Pflegedienste an. In Zürich Affoltern wird die städtische Stiftung für Alterswohnungen 2009–11 eine Siedlung bauen, die 93 Alterswohnungen mit einer Kinderkrippe und einem Eltern-Kind-Zentrum kombiniert. Die Mischung hat sich auch andernorts schon bewährt (vgl. Tec21 17–18/2006).
Andere Initiativen setzen darauf, die Hilfe zu Hause auszubauen und mit Quartier-Servicezentren zu ergänzen, damit alte Leute möglichst lange in der eigenen Wohnung bleiben können. Das geht leichter in durchmischten Siedlungen. In Zürich verfolgt die Familienheim-Genossenschaft (FGZ) in ihren Siedlungen am Friesenberg konsequent diesen Ansatz. Die Altersbetreuung der FGZ (3.4 Stellen bei ca. 2200 Wohnungen) hilft beim Einkaufen und bei kleineren Problemen im Haushalt. 2001 wurde ein Alterstreffpunkt eingerichtet, der Waschsalon und Beratungsstelle in einem ist. Daneben unterstützt die FGZ eine Krankenstation, Mittagstische, Krippen, Gemeinwesenarbeit im Quartier, und 150 ihrer Mitglieder betreuen gemeinsam elf Kompostanlagen. Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) baut in der Siedlung Ruggächer ein Gemeinschaftshaus für Einzelpersonen und Paare ab 55 mit altersgerechten Wohnungen und Fitnessraum, Pflegebad, Spitex-Zimmer und öffentlichem Café.

Schwung für alle nutzen

Peter Schmid, Präsident der ABZ und der Zürcher Sektion des Verbands für Wohnungs­wesen, will nun diesen Schwung über das Wohnen im Alter hinaustragen und für alle Generationen nutzen. Im Hinblick auf die Erneuerung eines grossen Teils ihrer Häuser hat die ABZ eine intensive Zielgruppendiskussion geführt. Nun setzt sie sich soziale Nachhaltigkeit durch mehr gemeinschaftliche Wohnformen in allen Lebensphasen zum Ziel. Als eines der nächsten Projekte wünscht sich Schmid ein Haus, in das Leute aller Lebensalter und Berufe einziehen, die sich verpflichten, zum Gemeinschaftsleben beizutragen. Den Renova­tionsbedarf vieler Siedlungen sieht Schmid als Chance zur Erneuerung der Genossenschaftsidee: Mit der Förderung von gemeinschaftlichem Leben und der Stärkung der Nachbarschaften könne sie soziales Kapital schaffen und damit zu einer nachhaltigeren Gesellschaft beitragen. Vieles deutet darauf hin, dass in nächster Zeit der sozialen Nachhaltigkeit mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden wird – denn der Weg zur ökologischen könnte über sie führen. Gesucht sind zeitgemässe gemeinschaftliche Lebensformen – und die architektonischen Formen dafür. Der gemeinnützige Wohnungsbau eignet sich dank seiner baulichen und politischen Struktur als Labor für diese Suche, und er könnte darin seine neue historische Aufgabe finden.

TEC21, Mo., 2007.11.12

12. November 2007 Ruedi Weidmann

Dichte statt Zwang

Was kann Architektur bei der Suche nach einer grundsätzlich nachhaltigeren Siedlungsform helfen? Andreas Hofer diskutierte die Frage mit Architekturschaffenden, die Erfahrungen mit unkonventionellen Siedlungsprojekten gemacht haben. Basis für das Gespräch bildete der Artikel «Gemeinschaftshäuser in Zürich» in diesem Heft.

Andreas Hofer: In Zürich feiern die Wohnbaugenossenschaften das 100-Jahr-Jubiläum des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Sie sind auch sonst in Bewegung geraten, denn ein grosser Teil ihrer Bestände muss heute erneuert werden. Das böte die Chance, nach einer grundsätzlich nachhaltigeren Siedlungsweise zu suchen. Das hiesse wohl, die Trennung von Wohnen und und Arbeiten rückgängig zu machen, die soziale Durchmischung zu fördern und zeitgemässe Formen von Gemeinschaftlichkeit zu finden, die den heutigen Bedürfnissen nach persönlicher Unabhängigkeit, Haushaltrationalisierung und sozialen Kontakten gerecht würde.
Andreas Zimmermann, Sie scheinen gern alte Wohnutopien auszugraben: Ihr Bauprojekt für die Wogeno an der Grüngasse1 radikalisiert die Idee flexibler Grundrisse aus den 1980er-Jahren. Und im Wettbewerb der Genossenschaft Sonnengarten im Triemli schlugen Sie grosse Blöcke nach Art von Godins «Familistère» im 19. Jahrhundert vor, in denen die Wohnungen auf teilweise gedeckte Innenhöfe orientiert gewesen wären.2 Wie passen die alten Typologien in die heutige Welt?
Andreas Zimmermann: Für die Genossenschaftssiedlung im Triemli versuchten wir, grosse Gemeinschaftsbereiche zu schaffen, um das Kollektiv zu fördern. An zentralen Innenhöfen und Hallen sahen wir Funktionen wie die Waschküche oder zumietbare Zimmer für Büros respektive durchgesteckte Wohnungen vor. Die Erschliessung aller Wohnungen führte über den Gemeinschaftsbereich. Doch diese architektonisch-soziale Vorstellung löste bei der Genossenschaft die Angst aus, dass ihre Mieter das gar nicht suchen und so die Höfe ungenutzt und öde bleiben könnten.
Das kleine Wogeno-Projekt an der Grüngasse entsteht auf einem zentralen, sehr engen Grundstück. Wir fragten uns einerseits, ob die üblichen Wohnungsstandards hier wirklich das Richtige wären. Zum anderen finden wir, dass die bekannten Grundrisse von, zum Beispiel, ADP oder Michael Alder mit weglassbaren Trennwänden, aber eindeutigen Tages- und Nachtbereichen, nicht flexibel genug sind für die heutigen dispersen Vorstellungen über Wohn- und Lebensformen. An der Grüngasse sind nun die Wohnungshälften (Hof- und Strassenseite, Morgen- und Abendsonne) absolut gleichwertig. Räumliche Unterteilungen werden durch verschiebbare Schrankelemente realisiert. So sind unterschiedlichste Wohnformen denkbar – ohne hohe Kosten für individuelle, massgeschneiderte Grundrisse.
Andreas Hofer: Könnte man also sagen, das Gemeinschaftliche hat seinen Ort entweder in der Grossform oder dann im Quartier, während auf der Ebene der Wohnung eine extreme Individualisierung und Flexibilisierung stattfindet?
Andreas Zimmermann: Ja, das ist möglich. Die Wohnungen im Triemli haben wir in der Tat stark definiert. Dort wäre Identität durch die spezifische Wohnung und die Teilnahme am Kollektiv entstanden. An der Grüngasse entsteht das Gemeinschaftliche anders: In der Wogeno bilden die Bewohner Hausvereine und verwalten ihre Häuser zusammen. Identität entsteht hier durch die individuelle Anpassung und Nutzung einer sehr unspezifischen Wohnung.
Andreas Hofer: Urs Primas, Sie haben mit dem «Ringling»3 mit Franziska Schneider und Jens Studer eine Grossform in Planung: einen übergrossen Wohnhof mit vielfältiger EG-Nutzung im Quartier Rütihof am Stadtrand von Zürich. Waren Überlegungen zu gemeinschaftlichen Bedürfnissen prägend?
Urs Primas: Es gibt im Ringling mehrere Ebenen von Gemeinschaftlichkeit. Es sind drei Bauträger. Wir schlugen jedoch ein einziges grosses Haus vor, um deren Zusammenarbeit zum Ausdruck zu bringen und um das Potenzial dieser koordinierten Initiative ganz auszuschöpfen. Das Quartier Rütihof ist im Lauf von 30 Jahren gewachsen und hat dabei unterschiedliche Gebäudeformen, Aussenräume und Arten von Gemeinschaftlichkeit entwickelt. Wir wollen dem eine neue Ebene hinzufügen. Unsere Grossform stellt deshalb dem dichter werdenden Quartier den Park im Innenraum zur Verfügung.
Andreas Hofer: Priska Ammann, Ihr Büro war an der Entwicklung der Genossenschaft Dreieck4 in Aussersihl beteiligt. Charakteristisch ist hier die Weiterentwicklung einer bestehenden Gebäudestruktur. Hängen die gemeinschaftlichen Wohn- und Lebensformen im Dreieck damit zusammen?
Priska Ammann: Ja, sehr stark. Denn die Ausgangslage zur Gründung und Entwicklung der Genossenschaft war nicht primär eine Wohnideologie, die Leute wollten einfach dort bleiben. Deshalb gibt es im Dreieck eine soziale Durchmischung, die neue Siedlungen nur mit Mühe erreichen: Ausländer, Junge und Alte, Intellektuelle und Arbeiter waren schon da. Es gelang, die Leute zu halten. Aus ihrer Verwurzelung im Quartier und ihrer gemeinschaftlichen Erfahrung kommt auch die Ausstrahlung des Dreiecks: Es expandiert über die Strasse, und jetzt entsteht mit der Genossenschaft Kalkbreite5 gerade eine Art Ableger ein paar hundert Meter weiter entfernt.
Die Häuser aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Ladenlokalen und neutralen Zimmern eignen sich gut für heutiges Wohnen, wir mussten nur Bäder einbauen. Die beiden Neubauten erweitern den Wohnungsspiegel, der eine mit Gross-, der andere mit Kleinwohnungen. Zur Förderung von sozialen Kontakten ist unser Neubau über Laubengänge am gemeinsam genutzten Hof erschlossen. Das kann allerdings heikel sein! Wenn alle Leute über einen Gemeinschaftshof gehen müssen, wie in Andreas Zimmermanns «Familistère», kann das auch zu viel sein. Es sollte keinen Zwang zu Gemeinschaft geben. In unserem Neubau kann man auch ungesehen den Lift nehmen.
Andreas Hofer: Stephan Gantenbein, Sie haben vor zehn Jahren ein Bürohaus in der Nähe des Albisriederplatzes in den Grosshaushalt «Karthago»6 mit über 50 Leuten und Gemeinschaftsküche umgebaut. Ist hier der Architekt der Handwerker eines sozialen Experiments?
Stephan Gantenbein: Das finde ich schön gesagt. Ja, wir waren Handwerker für Auftrag­geber, von denen einige aus der Hausbesetzerszene am Stauffacher kamen. Sie hatten eine unheimlich starke Vision von einem gemeinschaftlichen Wohnen in Bolo’ Bolos7, Hausgevierten in der Stadt mit begrünten Dächern, eigener Energieerzeugung und Beziehungen zu biologischem Landbau ausserhalb der Stadt. Annette Spiro und ich mussten uns da einarbeiten, eine sehr schöne Erfahrung. Das Gebäude war dann ein sehr normales Bürohaus mit Warenlift und Rasterfassade. Es liegt aber in einem attraktiven Quartier. Das ist wichtig! Bei Projekten, die etwas Neues versuchen, hilft eine Lage in der funktional dichten Kernstadt.
Ein zweites Thema begann mich damals zu interessieren: Nach dem Hauskauf war das Umbauprojekt noch nicht bereit und das Geld knapp. Deshalb wurde für ein Jahr eine Zwischennutzung eingerichtet. Es entwickelte sich ein buntes Leben im Haus, mit Kultur­betrieben, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach. Für uns Architekten war es schwierig, als sich dann bei der Projektierung herausstellte, dass hinter jedem Fenster ein vermietbares Zimmer liegen musste, damit es finanziell aufging. Während der Zwischennutzung war dank den billigen Mieten mehr Vielfalt möglich. Seither frage ich mich: Könnte man nicht generell Liegenschaften gegen Ende ihrer Lebenserwartung für zehn Jahre einer Zwischennutzung überlassen? Die Miete ist günstig, man kann selber umbauen; das macht Experimente möglich, bevor das Baugesetz, Umwelt- und feuerpolizeiliche Auflagen hohe Investitionen und Mieten verursachen.
Barbara Buser: Das frage ich mich oft. In einem Provisorium finden alle unkonventionelle Lösungen toll – die Füsschen-Badewanne mit Kerzenbeleuchtung in altem Gemäuer! Doch sobald die Leute Eigentümer werden oder das Haus eine definitive Trägerschaft erhält, steigen die Ansprüche, und man muss eine 08/15-Renovation machen mit den üblichen Bädern, Küchen usw. Wieso?
Stephan Gantenbein: Im Karthago wurde immerhin der Grosshaushalt verwirklicht. Ein Wohngemeinschaftenhaus für heute 55 BewohnerInnen mit einer gemeinsamen Gross­küche, ein Unikat für Zürich. Es sind gescheite Leute, die wissen, dass so ein Experiment auch über den Magen funktioniert, und sie achten sehr darauf, gute KöchInnen anzustellen.
Andreas Zimmermann: Und in den Wohnungen gibt es keine Küchen?
Andreas Hofer: Doch.
Andreas Zimmermann: Das ist ein wichtiger Punkt: Wenn das Kollektiv ein Zwang ist, wird es offenbar schwierig. Dass ein Koch angestellt ist und man nicht selber im Turnus kochen muss, hilft sicher. Aber manchmal möchte man vielleicht allein oder im privaten Rahmen essen. Es geht also um das Verhältnis von kollektiv und privat, Zwang und Freiwilligkeit.
Stephan Gantenbein: Ich weiss nicht mehr, wer entschied, einen Steigstrang und Tee­küchen einzubauen. Einige der Wohngruppen haben ihre Küche mittlerweile ausgebaut, vor allem für das Wochenende, wenn der Koch frei hat.

Andreas Hofer: Stephan Gantenbein betont, wie wesentlich eine starke tragende Utopie und die zentrale städtische Lage für den Erfolg von «Karthago» waren. Nun gibt es aber in jüngster Zeit Beispiele von professionellen Immobilienfirmen, die ein Projekt an einem schwierigen Standort mit Dienstleistungen und einer Art synthetischer Ideologie aufzuwerten versuchen, was durchaus Wurzeln in wohnutopischen Bewegungen hat. Das bekannteste ist «James»8, eine von Immobilienfonds der UBS finanzierte Wohnsiedlung in Zürich Albisrieden mit 180 Wohnungen. In der Portierloge bietet eine Firma als «James» Dienstleistungen für die Mieter an. Michael Geschwentner, Sie waren Projektleiter von «James» im Büro Patrick Gmür. Hat sich dieses Konzept auf die Architektur ausgewirkt?
Michael Geschwentner: Das «James»-Konzept kam erst nach dem Architekturwettbewerb hinzu. Es stammt aus einem zweiten Wettbewerb für die Vermarktungsstrategie. Es war interessant zu sehen, was die Marketingfirmen in ihrem Wettbewerb in unser Projekt hineinlasen. Wir hatten im Hochhaus eine Portierloge eingezeichnet, als Sinnbild für ein urbanes Wohnen im Geiste bekannter Vorbilder, etwa in London, wo der Portier kein Luxus, sondern eine wichtige soziale Institution ist. Wir hatten gemerkt, dass das Wohnhochhaus Bilder von Anonymisierung und Vereinsamung auslöste. Ein Portier wirkt da natürlich dagegen. Wir strebten auch bewusst eine Klientel an, die keine Angst vor Vereinsamung hat: moderne urbane Nomaden. Das «James»-Konzept stiess dann auf enormes Interesse. Wir haben dafür das EG angepasst; sonst bildet die Architektur das Konzept nicht speziell ab.
Andreas Hofer: Konsumieren denn die Mieter lediglich den angebotenen Service, oder lösst «James» auch soziale Interaktionen aus?
Michael Geschwentner: Ich wohne selber im «James». Es ist schon ein Pioniergeist spürbar. Ich bin nicht sicher, ob die Portierloge ein Treffpunkt wird, es ist keine Hotel-Lobby,
sicher aber ein Ort für informelle Begegnungen. Aber es gibt noch das Intranet mit einem ­Tablet-PC in jeder Wohnung zur Kommunikation mit den anderen Mietern. Einige haben damit bereits das ganze Hochhaus zum Apéro eingeladen, und etwa ein Drittel ist gekommen.
Andreas Zimmermann: Das könnte ein grosses Potenzial haben: ein breit akzeptiertes Medium, das niederschwellig und relativ unverbindlich die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme bietet – aber eben freiwillig und nicht als Zwang.
Stephan Gantenbein: «James» ist ja irgendwo vergleichbar mit «Kraftwerk1»9, sicher vom Volumen her. Andreas Hofer, Sie kennen «Kraftwerk1» ja gut. Wo sehen Sie den Unterschied?
Andreas Hofer: Man könnte sagen, «James» ist das «Kraftwerk1» der UBS. Was bei «Kraftwerk1» mit viel Engagement und Freiwilligenarbeit passiert, ist bei «James» ein kommer­zielles Vermietungskonzept mit Abrechnung und Löhnen. Hier zeigt sich, wie ehemals verrückte Wohnutopien normal geworden sind: Zu «Karthago» musste sich 1993 ganz Zürich in einer Volksabstimmung äussern, weil gegen einen städtischen Baurechtsvertrag ein Referendum ergriffen wurde, heute erschrecken diese Ideen niemanden mehr, im Gegenteil.
Priska Ammann: Wesentlich finde ich die Frage, ob solche Modelle mit der Zeit auf ihre Umgebung ausstrahlen oder ob sie isoliert bleiben.
Michael Geschwentner: So viel ich weiss, gibt es Überlegungen, die Dienste von «James» auch für andere Siedlungen im Quartier anzubieten.
Stephan Gantenbein: Einen Gewinn sehe ich darin, wenn Projekte wie «James» Leute in die Stadt ziehen und damit die Zersiedelung der Landschaft bremsen. Erhöhte Attraktivität städtischer Angebote scheint mir hier der einzige Erfolg versprechende Weg.

Dieter Bachmann: Die UBS und eine junge Genossenschaft stossen also in eine ähnliche Richtung. Hingegen dünkt mich, dass sich die traditionellen Genossenschaften sehr schwer tun mit Neuerungen. Sie merken zwar, dass sie alte Gewohnheiten ablegen sollten, aber es fehlt ihnen der Mut, wirklich Stellung zu gesellschaftlichen Neuerungen zu nehmen. Am Ende bauen sie einfach etwas bessere Wohnungen, als sie schon haben.
Andreas Zimmermann: Das ist doch der Punkt, wo die grossen alten Baugenossenschaften ihre Stärken ausspielen könnten! In ihrer Grösse und ihren finanziellen Möglichkeiten liegt ein riesiges Potenzial. Als sie ihre Siedlungen bauten, galt es primär, im Kampf gegen die Wohnungsnot viele einfache und günstige Wohnungen zu erstellen. Dieser Gedanke ist noch zu fest verankert. Wenn die Genossenschaften in einem Quartier stärker zusammenarbeiten würden, so wie es Mischa Badertscher Architekten im Wettbewerb «100 Jahre mehr als Wohnen» vorschlagen10, könnten sie gemeinsam Dienstleistungen und Gelegenheiten zu sozialer Interaktion anbieten, die ohne Zwang funktionieren – ganz einfach, weil die Nachfrage im Quartier gross genug ist. So wie der «James»-Service jetzt eine Ausdehnung auf das Quartier in Betracht zieht, aber auch weiter gehend . . .
Dieter Bachmann: . . . mit Implantaten. Soziale Funktionen, beispielsweise Turnhallen, in Quartiere mit sozialen Defiziten zu implantieren und so Treffpunkte zu schaffen ist ein Trick mit phantastischen Möglichkeiten.
Micheal Geschwentner: Ich finde den Ansatz gut, mehr über Nutzungen zu reden . . .
Urs Primas: . . . und über Dichte. Genossenschaften wollten einst eine Alternative zur dichten, steinernen Stadt bieten und halten noch heute an tiefer Dichte als Qualität fest. Doch tiefe und mittlere Dichten erzeugen in einem Quartier nicht genug Nachfrage, um Servicefunktionen wirtschaftlich betreiben zu können. Die ganz niedere Dichte wird für das Wohnen immer attraktiv sein, aber auch hohe Dichten könnten mit Modellen wie «James» eine Chance für Nutzungsüberlagerungen bieten und so Quartiere beleben. Beim Wettbewerb für die städtische Wohnsiedlung Werdwies stellten unsere Kollegen vom Büro Undend die vorgegebene mittlere Schweizer Ausnützung von vielleicht 1.3 mit einer hongkongesken architektonischen Gestalt in Frage. Wir schlugen dort mit dem Beitrag «Boba Fett»11 vor, die Baumasse der ganzen Siedlung in einem einzigen Baukörper zu konzentrieren, nicht zuletzt, um die für ein öffentliches Erdgeschoss notwendige kritische Masse zu erreichen.

Andreas Hofer: Dass aus einer hohen Dichte heraus eine neue Lebensqualität entstehen kann, diese Erfahrung machen wir auch im «Kraftwerk 1». Ein anderes Tabu aus der Geschichte der Genossenschaftsbewegung ist, dass sich Genossenschaften bisher nicht mit der Nutzungsmischung beschäftigt haben und mit dem Verhältnis von Wohnen und Arbeiten, das sich stark verändert. Barbara Buser, Sie entwickeln in Basel mit Ihrer Firma Kantensprung auf Industriebrachen Kultur- und Gewerbezentren wie das Gundeldinger Feld12. Welche Wege habt ihr dafür gefunden? Fördergelder gibt es dafür ja nicht. Und weshalb baut ihr kaum Wohnungen?
Barbara Buser: Das Gundeldinger Quartier ist sehr dicht bewohnt, es gab kaum öffentliche Räume und Treffpunkte. Auf dem Gundeldinger Feld konnten wir für das Quartier eine alte Fabrik in ein Gewerbe- und Kulturzentrum ausbauen. Ich würde noch so gerne dort wohnen! Aber damit das finanzierbar wäre (die Bodenpreise entsprechen der zentralen Lage), müssten wir eine einstöckige Halle durch einen vierstöckigen Wohnbau ersetzen. Nun zeigt aber die Erfahrung in Basel, dass sich Wohnen und Kultur wegen des extremen Ruhebedürfnisses der Bewohner schlicht nicht vertragen. In allen gemischten Umnutzungsprojekten in Basel hat das Wohnen die Kultur verdrängt. Deshalb haben wir entschieden, auf dem Gundeldinger Feld keine Wohnungen zu bauen. Wir verschenken damit 4500 m² Nutzfläche zugunsten des Quartiers: Heute wird das Gundeldinger Feld täglich von 1000 Leuten besucht. Wir haben das ohne Subventionen zustande gebracht. Das
Finanzierungsmodell funktioniert so: Die Investorengemeinschaft besteht aus drei Privaten und drei Pensionskassen und ist keineswegs gemeinnützig. Sie hat das Gelände gekauft und erwartet die übliche Rendite von 5 %. Hingegen verzichten wir als Baurechtnehmer auf einen Gewinn. Dadurch können wir zahlbare Mieten verlangen und schrittweise die heutigen Energievorschriften umzusetzen. Wenn man eine Form findet, mit der man auf ein paar Prozent Gewinn verzichten kann, ist Vieles plötzlich möglich.
Andreas Hofer: Sie garantieren also einem Investor eine Rendite, entwickeln die Idee zur Umnutzung und übernehmen als Architekturbüro den Umbau. Ist dieser Weg, Kapital der Pensionskassen für alternative Stadtentwicklungsprojekte zu mobilisieren, ein generell anwendbares Modell, wenn man versuchen möchte, den Siedlungsbau nicht mehr nur vom Wohnen, sondern von der Quartierentwicklung und einer stärkeren Durchmischung der Funktionen her zu denken?
Barbara Buser: Davon bin ich überzeugt. Auch langfristig. Denn es geht auch darum, das Grundeigentum zu neutralisieren, um sinnvolle oder gemeinnützige Funktionen langfristig zu sichern. In Arlesheim hat die Stiftung Edith Maryon die ehemaligen Produktionsgebäude der Weleda gekauft, und wir haben sie umgenutzt13. Jetzt zahlen dort 20 Mieter eine recht hohe Miete, denn Arlesheim ist sehr beliebt, da steuergünstig. Ein Drittel der Miete wird in einen Fonds eingezahlt, der dazu dient, den Boden abzuschreiben. In 30 Jahren sollte er abbezahlt sein – dann halbieren sich die Mieten, und die jetzige Baurechtnehmerin, die benachbarte gemeinnützige Ita Wegman Klinik, wird sehr günstig ihre Tätigkeit ausweiten können. Die jetzigen Mieter helfen also, den Bodenpreis zu amortisieren, den Grundbesitz zu neutralisieren. Dieser Weg ist aber nur auf sehr günstigen Arealen möglich, meist grossen, die schnell verkauft werden müssen oder heruntergekommen sind, auf denen aber über eine Zwischennutzung sofort eine Miete realisiert werden kann, ohne dass zuerst Planungskosten, Leerstände und Investitionen anfallen.

Andreas Hofer: Sie sind als Architektin Unternehmerin geworden. Muss man wählen zwischen Architektur und Unternehmertum? Oder eröffnet die unternehmerische Projekt­entwicklung auch Architekturbüros neue Möglichkeiten?
Barbara Buser: Die enge Zusammenarbeit von Development und Architektur ist ganz zentral. Denn all diese Projekte brauchen eine feinfühlige und bescheidene bauliche Umsetzung unter weitgehender Wiederverwendung des Bestehenden. Wir haben gemerkt, dass wir diese Arbeit eigentlich nicht vergeben können, weil andere Büros einfach zu teuer planen. Unterdessen sind wir 18 Leute im Architekturbüro. Wir wollen eigentlich nicht weiterwachsen, aber fast jede Woche kommt ein weiteres Projekt hinzu. Wir haben eine zweite Firma gegründet, die sich vor allem mit Konzeptarbeit und Projektfinanzierung beschäftigt. Aber nach unserer Erfahrung müssen Konzeptarbeit und Architektur möglichst eng gekoppelt sein, um Schnittstellen zu vermeiden, die Kosten verursachen.
Andreas Hofer: Ist unser Berufsstand fit für solche Rollenverschiebungen und unternehmerische Herausforderungen?
Dieter Bachmann: Nein, ich glaube nicht.
Barbara Buser: Ich würde sagen, überhaupt nicht! Das ist auch ein Imageproblem unseres Berufs. Die Bauherren haben Angst vor Architekten, Angst, dass sie Kosten verur­sachen, und setzen dir einen Kostenmanager vor die Nase. Aber die Architekten haben sich das selber eingebrockt, weil sie nicht gesamtheitlich denken und die Life Cicle Costs der Gebäude nicht berücksichtigen.
Priska Ammann: Aber Architektur und die wirtschaftlichen Aspekte des Immobilien-Developments – das sind doch tatsächlich verschiedene Jobs! Sie können das nun verbinden, und das schafft natürlich ganz neue Synergien und ist bewundernswert, aber es ist wohl so selten, weil es sehr schwierig ist. Machen Sie denn selber noch Achitektur?
Urs Primas: Man muss ja Architektur nicht so eng definieren. Wir stellen ja alle auch Überlegungen zu Kosten und Vermietbarkeit an. Kunden trauen uns nur oft nicht zu, dass wir auch gute Ideen zur Immobilienentwicklung haben könnten. Aber es ist ja auch klar, dass wir nicht in Aspruch nehmen dürfen, alles selber zu können.
Barbara Buser: Das muss man ja auch nicht. Aber ich meine, es bräuchte mehr Architekten, die sich in die Immobilienentwicklung einschalten. Auch wenn unsere Ausbildung an der ETH nicht alles bietet, was man dazu braucht.
Urs Primas: Ich sehe schon Anlass zur Selbstkritik: Viele von uns funktionieren über die Wettbewerbe, wo wir vorgegebene Bedingungen akzeptieren und innerhalb dieses Rahmens dann etwas verkrampft Kreativität entwickeln. Diese Beispiele aus Basel zeigen aber, dass auf der Developer-Ebene ein grosses Potenzial für Kreativität liegt.
Michael Geschwentner: Also aktiv werden, statt auf Gelegenheiten warten.
Barbara Buser: Ja, denn als Architekt sollte man das Potenzial von bestehenden Gebäuden und Arealen doch erkennen. Dieses Feld dürfen wir nicht den Ökonomen überlassen!
Dieter Bachmann: Es ist ähnlich wie beim Städtebau. Auch da haben die Architekten eines ihrer ursprünglichen Kerngebiete immer mehr abgegeben und müssen es sich jetzt zurückerobern. Einst haben Architekten sich doch viel mehr um die ganze Stadt gekümmert. Heute hält man sich am Wettbewerbsperimeter fest und lässt sich so beschneiden. Das ist eigentlich falsch.

Andreas Hofer: Wir reden aus gegebenem Anlass über die Stadt, unsere Projekte stehen meist in der Stadt, und es wurde gesagt, ein zentraler Standort sei wichtig für neue Ideen. Nun hat aber die Schweiz mit der ungebremsten Zersiedelung und dem daraus resultierenden Verkehr ein Nachhaltigkeitsproblem. Haben wir auch Ideen für ausserhalb der Stadt?
Urs Primas: Ich erwarte, dass die Mobilität weiter zunimmt und nur über neue Verkehrsmittel nachhaltiger gestaltet werden kann. Denn die Entwicklung des Individualismus, die Ruedi Weidmann in seinem Artikel sehr schön beschrieben hat, wird weitergehen und weitere Länder einbeziehen; die Mobilität gehört dazu. Ich glaube deshalb nicht – und das wäre eine Kritik an diesem Text –, dass verdichtete und multifunktionale Siedlungen in der Stadt wesentlich zur Verkehrsverminderung beitragen können. Sie sind aber in anderen Bereichen nachhaltig.
Barbara Buser: «James» versucht doch, die Dienstleistungen einer Kernstadtumgebung auch weiter draussen anzubieten. Das finde ich richtig. «Kraftwerk1» geht auch in diese Richtung, nur basierend auf viel freiwilliger Arbeit. Für diese Orte oder noch weiter draussen, wo das Leben heute nur mit dem Auto funktioniert, muss man etwas erfinden.
Andreas Hofer: Priska Ammann, Ihr Büro baut in München Riem an einem neuen Quartier14 in einer Vorstadtsituation mit. Versucht man dort, urbane Qualitäten zu erreichen?
Priska Ammann: Wir haben das in der Stadtplanung und in einem Bauprojekt versucht. In der Stadtplanung hat unser Team ein differenziertes System von öffentlichen Plätzen, halböffentlichen Höfen und grünen Ruheräumen geschaffen. Die Wohnungseingänge liegen an der Strasse oder in halböffentlichen Höfen. U-Bahn-Ausgänge, Läden und öffentliche Bauten sind strategisch positioniert, um den öffentlichen Raum zu aktivieren. Das Baurecht schliesst an Strassenkreuzungen im Erdgeschoss Wohnungen aus. Im Quartier entstehen nun Läden, Cafés und publikumsorientierte Büros. Wir glauben, dass wir damit eine Basis für ein lebendiges Quartier gelegt haben.
Beim Bauprojekt, das wir dort bearbeiten, handelt es sich um Häuser von Einzelbauherrschaften, die sich in eine Baugemeinschaft zusammengetan haben, um eine Wohnüberbauung im Gemeinschaftseigentum zu erstellen (eine Alternative zum Stockwerkeigentum und zur Genossenschaft). So entsteht schon während der Planung eine Bewohnerschaft mit sozialem Zusammenhalt. In diesem Projekt ist es allerdings nicht gelungen, Läden ins Erdgeschoss zu bringen, weil sie nicht verkauft werden können. Stattdessen entsteht nun ein Gemeinschaftsraum, der so gebaut wird, dass er als Laden eingerichtet werden kann.

Andreas Hofer: Bauen für die Menschen von heute heisst also: möglichst wenig Zwang, dafür möglichst viele Möglichkeiten. An peripheren Langen könnte ein neues Gebäude die dazu nötige Dichte sowie Dienstleistungen selber mitbringen. Und im dichten städtischen Kontext? Muss sich hier die Architektur gar nicht unbedingt um Gemeinschaftlichkeit kümmern, hingegen mit einem vielfältigen Wohnungs- und Nutzungsmix dazu beitragen, dass sozial nachhaltiges Leben auf der Quartierebene stattfinden kann?
Stephan Gantenbein: Die Ebenen Haus und Stadt hängen unmittelbar zusammen. In Neu-Oerlikon etwa sind teilweise Überbauungen entstanden, die sich zu stark an den Siedlungsformen der früheren Stadterweiterungen orientieren, mit ausschliesslich Wohnungen auf dem Erdgeschoss, was natürlich wenig zu einer belebten Strasse beiträgt.
Dieter Bachmann: Wir erleben jetzt gerade, dass im Neubauquartier Aspholz / Ruggächer15 in Zürich Affoltern der gleiche Fehler wieder gemacht wird. Bei den privaten In­vestoren fehlt das Bewusstsein für diese Fragen. Sie wollen Wohnnutzung bis ins Erdgeschoss und mögen Alternativen nicht einmal prüfen. Das ist enttäuschend.
Ich sehe, dass es zwar einzelne Visionen gibt wie «James» oder «Kraftwerk1», aber in übergeordneten stadtplanerischen Überlegungen werden solche Anstösse kaum aufgenommen. Fragen wie «Wie sind die Funktionen verteilt und vernetzt?», «Wo sollen öffentliche Plätze und Funktionen sein?» werden kaum gestellt. Hier besteht enormer Nachholbedarf.
Urs Primas: Es ist ja begreiflich, dass niemand eine Pizzeria eröffnen will in einem Quartier, in dem noch kaum Leute wohnen. Aber müsste man nicht für eine längere Perspektive planen? Brauchte es nicht strukturelle, architektonische und Vermietungskonzepte, die sich der Entwicklung der Stadt anpassen könnten?
Dieter Bachmann: Ja genau. Beispielsweise baut man heute Schulen, die ein pädagogisches Konzept wunderbar umsetzen. Aber was macht man damit, wenn sie zu gross werden? Man könnte ja auch nutzungsneutrale Gebäude entwerfen, die als Schul- oder Wohn- oder Geschäftshaus funktionieren. Solche Überlegungen sollten für die Stadtplanung selbstverständlich werden. Sie könnte etwa festlegen, dass in einem Quartier alle Erd­geschosse drei Meter hoch sein müssen, dann wird man sie immer für alles brauchen können. Solche Gedanken und Visionen fehlen mir.

[ Aufzeichnung: Ruedi Weidmann, weidmann@tec21.ch ]

TEC21, Mo., 2007.11.12

Gesprächspartner:

Andreas Hofer (Gesprächsleitung), Arch.ETH
im Vorstand der Sektion Zürich des Schweizerischen Verbands für Wohnungswesen, Projektleiter 100 Jahre gemeinnütziger Wohnungsbau in Zürich, Mitgründer der Genossenschaft Kraftwerk1, Zürich

Priska Ammann, Arch. ETH/SIA
Partnerin des Architekturbüros Ammann Albers StadtWerke, Zürich

Dieter Bachmann, Arch. HTL / BSA
Partner von pool Architekten, Zürich

Barbara Buser, Arch. ETH
Verwaltungsratspräsidentin Kantensprung AG, Basel

Stephan Gantenbein, Arch. ETH/SIA,
Partner des Architekturbüros Spiro + Gantenbein, Zürich

Michael Geschwentner, Arch. ETH,
Partner im Büro Patrick Gmür, Zürich

Urs Primas, Arch. ET H/SIA, Zürich

Andreas Zimmermann, Arch. ETH, Zürich


Anmerkungen:
1 Tec21 Nr. 22/2007, S. 6–7.
2 Tec21 Nr. 37/2006, S. 22–23.
3 www.bg-sonnengarten.ch/pdfs/ProjektdokumentationGruenwald.pdf | Tec21 Nr. 20/2005, S.22.
4 www.dasdreieck.ch | Tec21 Nr. 6/2006, S. 11–14.
5 www.kalkbreite.net.
6 www.karthago.ch.
7 P.M.: Bolo‘bolo, Paranoya City Verlag, Zürich 1995.
8 www.patrickgmuer.ch | www.james.ch.
9 www.kraftwerk1.ch | Tec21 Nr. 42/2001.
10 www.mehr-als-wohnen.ch | www.mbarchitekten.ch | Tec21 Nr. 33-34/2007, S. 10.
11 www.urbjects.net/pdf/2_buildings/boba_fett.pdf.
12 www.gundeldingerfeld.ch | Tec21 Nr. 3-4/2005.
13 www.stiftung-edith-maryon.ch/de/projekte/c5_arealweleda.html.
14 www.stadtwerke.ch | www.messestadt-riem.com.
15 www.poolarch.ch/site/php/projDetail.php?id=10.

12. November 2007 Andreas Hofer

4 | 3 | 2 | 1