Editorial
Zum Thema
Dass Holz und Handwerk etwas miteinander zu tun haben, ja eng verbunden sind, ist evident. Jeder erinnert sich daran, ein Stück Holz, einen Stecken mit dem Messer bearbeitet oder etwas zusammengenagelt zu haben. Im Kopf hat man Bilder von Handwerkern, Meistern, die es verstehen zu schnitzen, zu drechseln, zu tischlern, zu bauen, ob kleine Objekte, Musikinstrumente, Möbel oder ganze Häuser. Trotzdem: den Begriff des Handwerks in seinen kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Dimensionen zu erfassen und zu definieren, ist nicht leicht und man ist verleitet, Klischees, Vorurteile, auch nostalgisch Verklärtes zu assoziieren. Denn es stimmt: Wer von Handwerk spricht, der spricht von tradiertem Wissen, von meist kleinen, regionalen Betrieben, von Rahmenbedingungen, die mit der Einheit von Kapital und Produktion zu tun haben, mit der Unmittelbarkeit von Auftrag und Lieferung. Wer von Handwerk spricht, der spricht aber auch von Gegenwart und Zukunft, von einer zeitgemäßen Unternehmensform, die ganz wesentlich beteiligt ist an aktueller Baukultur.
Wir wollen ein modernes Bild vom Handwerk zeichnen – nicht als Gegenentwurf zur industriellen Produktion, sondern als eigenständiges, zukunftsgerichtetes Wirtschaften. Handwerk ist mit der industriellen Revolution nicht ausgestorben, es hat sich weiterentwickelt. Es gibt Modelle und Konzepte, mit den veränderten Markt- und Produktionsbedingungen umzugehen. Die Frage nach der Zukunft des Handwerks hat uns interessiert. Die Vielfalt an Strategien, die Aspekte der Technologie, der Vermarktung, der Ausbildung; auch sein Stellenwert im postindustriellen Zeitalter, wo im Zusammenhang mit dem Begriff der Nachhaltigkeit die Merkmale des Handwerks zusehends an Bedeutung gewinnen.
Ein Handwerks-Experiment ist die Bebilderung dieses Heftes. Der Fotograf Nikolaus Walter hat sich dem Thema auf seine Weise genähert, die Umgebung erkundet, dem Handwerk nachgespürt. Nikolaus Walter erzählt also seine eigene Geschichte und bereichert den Zuschnitt damit auf einer Ebene, die in diesem Fall vielleicht noch mehr kann als die Summe der einzelnen Texte: ein Gespür vermitteln für das vielfältige Wesen modernen Handwerks. Eva Guttmann
Inhalt
Editorial | Eva Guttmann
Essay – Aus Prinzip Handwerk | Christine Ax
Die Handwerkskultur der Familie K. | Gabriele Kaiser
Vom Kopf zur Hand und darüber hinaus | Gespräch mit Dietmar Bischof
Zeit lassen | Christoph Luchsinger
Die Besten für das Handwerk | Gespräch mit Egon Blum zur Ausbildungssituation im Handwerk. Werkstück statt Stückwerk – Zwei Initiativen des werkraum bregenzerwald: »handwerk im unterricht« und »kinderbaustelle« | Gabriele Kaiser
Strategien des Handwerks | Gespräch mit Christine Ax
Handwerk und... eine Auswahl an Kooperationen
Literaturempfehlungen Holzhandwerksberufe
Fotoessay | Fotograf: Nikolaus Walter
Von der Hand in den Kopf und im Blick das Ganze
(SUBTITLE) Die Handwerkskultur der Familie K.
Möglicherweise ist der Bregenzerwald die einzige Region in Österreich, in der Architektur, Handwerk und Industrie in eng aufeinander bezogenen Strukturen sowohl qualitativ als auch in ökonomischer Hinsicht florieren. Viele der hier arbeitenden Architekten haben einen handwerklichen Hintergrund, man weiß nicht nur theoretisch, »wie es geht«, sondern ist auch von früher Jugend an gewöhnt, im elterlichen Betrieb, in der Werkstatt des Onkels oder eines entfernten Verwandten Hand anzulegen. Umgekehrt ist es für viele der hier ansässigen Handwerker selbstverständlich, mit Architekten zusammenzuarbeiten, um traditionelle und avancierte Fertigungstechniken zu erproben oder weiterzutreiben. Nicht zuletzt gibt es eine ebenfalls im handwerklichen Kontext sozialisierte Bauherrenschaft, die auf ein qualitatives Lebensumfeld Wert legt und bereit ist, sich auf Neues bzw. auf unkonventionelle Anverwandlungen traditioneller Bauformen einzulassen. Für diese sehr spezielle Kompetenzverdichtung ist im Bereich des konstruktiven Holzbaus die Familie K. ein exemplarisches Beispiel. Die für die vorliegende Ausgabe des Zuschnitt geführten Gespräche mit vier Mitgliedern dieser weitverzweigten Familie haben gezeigt, dass man im Bregenzerwald mit Recht und ohne Sentimentalität von einer »Kultur des Handwerks« spricht. Natürlich hat auch diese Kultur Stagnations- wie Wachstumsphasen zu verzeichnen, doch scheint sie wegen des intensiven Austauschs zwischen als gleichwertig angesehen Berufssparten und aufgrund eines gesunden »Binnenwettbewerbs« kaum Gefahr zu laufen, in einmal erworbenen Mustern zu verharren.
Mit unkonventionellen, »aus der Zimmermannstechnik weiterentwickelten Holzbaukonzepten« (Otto Kapfinger) hat der Architekt Leopold K. (geb. 1932) schon früh und unabhängig vom damaligen kulturellen Establishment Position bezogen. Die Erweiterung der Pfarrkirche in Brand etwa (gemeinsam mit Helmut Eisentle und Bernhard Haeckel, 1961) zählt zu jenen aus dem Handwerk gedachten Bauleistungen, die von Moden unberührt überdauern. Als erfahrener Konstrukteur erweist er sich auch im Gespräch in seinem Atelier in Dornbirn (in welchem auch sein Sohn Oskar Leo, geb. 1969, ein eigenes Architekturbüro führt), indem er immer wieder zum Bleistift greift, um Gesagtes mit angedeuteten Konstruktionsskizzen – vom Brettelbinder bis zum Strickbau – zu verdeutlichen. Leopold K. ist gelernter Zimmerer, hat an der Technischen Hochschule in Graz Architektur studiert, währenddessen und dazwischen immer im Betrieb seines Onkels Josef K. (geb. 1913) gearbeitet, der 1952 in Reuthe eine Zimmerei samt Hobelwerk gegründet hatte. Dieser Onkel genießt in der Familie K. den Ruf eines visionären Draufgängers, der nicht nur sein Handwerk gut verstanden, sondern sich auch nicht gescheut habe, Risiken einzugehen und Neues auszuprobieren. Zu diesem Schaffensdrang dürfte auch die Gabe gezählt haben, sich zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Leuten an einen Tisch zu setzen. So ist etwa in den 1960er Jahren in einer Zusammenarbeit zwischen dem SOS-Kinderdorf-Gründer, Hermann Gmeiner, dem Architekten Willi Ramersdorfer und dem Zimmerer Josef K. ein ganzes Kinderdorf für Saigon im heimischen Werk vorgefertigt und schließlich in Vietnam aufgestellt worden – welches nach Auskunft des SOS-Kinderdorf Sozialwerks heute noch in Betrieb ist.
Leopold K. hat das Zimmermannshandwerk noch in seiner maschinenlosen Zeit erlernt und ausgeübt, wo vieles von Hand in mühsamer Arbeit auf der Baustelle zugerichtet und zusammengefügt werden musste. Aber er hat auch den Aufschwung erlebt, als die Bandsägen und Kreissägen langsam in den Werkstätten Einzug hielten. Aus der Schilderung der Vorzüge dieser Arbeitserleichterung durch Maschinen und bessere Werkzeuge ist dennoch herauszuhören, dass er von einigen Standards heutiger Holzbearbeitung, etwa dem Abfasen der Kanten, wenig hält. Auch würde die Arbeit des Zimmerers heute bisweilen auf die eines Monteurs beschränkt sein, der fertige Wandelemente zusammenschraubt. Im Rückblick auf die eigenen Realisierungen im konstruktiven Holzbau stelle er sich heute und durchaus selbstkritisch die Frage, worin die Innovationen denn eigentlich wirklich bestünden. »Konstruktiv hat sich nicht so viel verändert«, sagt er. Auf die Frage, was er selbst dem Werkstoff Holz gern entlocken würde, gibt er eine entwaffnende Antwort: »Holz schweißen können.« Dann nimmt er ein Überblickswerk aus dem Regal, schlägt eine Seite auf, auf der ein teilweise diagonal verschaltes Haus von Marcel Breuer in New Canaan aus dem Jahr 1948 abgebildet ist. Er verweist auf die schlüssige konstruktive Lösung, die stimmige Proportion des Gebäudes. Von solchen Beispielen könne man immer noch lernen.
Ob es Leopold K. bewusst ist, dass er von der ihm nachfolgenden Generation selbst als Lehrmeister angesehen wird? Etwa von seinem Neffen Hermann (geb. 1955), der an der TU in Innsbruck (u.a. bei Othmar Barth) Architektur studiert, schließlich an der TU Wien bei Prof. Hiesmayr das Diplom gemacht hat. Im Büro seines Onkels Leopold hat er oft in den Ferien gearbeitet, seine erste Anstellung hatte er bei Ernst Hiesmayr in Wien. 1983 gründete Hermann K. eine Arbeitsgemeinschaft mit Christian Lenz in Schwarzach, heute hat er 16 Mitarbeiter. Die Liste der realisierten Bauten ist inzwischen beachtlich, »wobei sich der Holzbau wie ein roter Faden durch die Bürogeschichte zieht«. Mit einem seiner Brüder – Johannes K. (geb. 1967) – hat er kürzlich eine mehrgeschossige Wohnhausanlagen in Wien-Floridsdorf realisiert, seit 2004 lehrt er als Professor für Holzbau an der Architekturfakultät der TU München. Die handwerklichen Kenntnisse eines Zimmerers sieht er angesichts heutiger Fertigungstechniken nicht schwinden. »Ein Zimmerer muss heute viel mehr wissen als früher«, sagt er, »die Anforderungen an ihn steigen mehr und mehr.« Viele Hilfstätigkeiten können von der Maschine übernommen werden, aber der Blick fürs konstruktive Ganze dürfe dem Handwerker nicht abhanden kommen. Die Komplexität der Konstruktionen, ihre Diversität, die zahlreichen bauphysikalischen Anforderungen – all dies erfordere ein höheres Allgemeinwissen, über das der Zimmerer heute verfügen müsse, um am Puls der Entwicklung zu bleiben. Das Problem bestünde sogar eher darin, dass es in dieser Zunft schon zu viele »Erfinder« gebe. Im Unterschied zum Bereich Brettschichtholz (BSH), wo sich inzwischen überschaubare Standards abzeichnen, ist das Spektrum möglicher Wand- oder Deckenaufbauten im Holzbau heute kaum mehr überblickbar. Allein die Datenbank www.dataholz.com führt derzeit rund 1.500 Konstruktionsdatenblätter an, ergänzt durch unzählige Anschlussdetails und Dämmstoffvarianten, Abdichtungsfolien etc. Ein im Holzbau wenig erfahrener Architekt könne heute Schwierigkeiten haben, sich in der Vielfalt der angebotenen Systeme zurechtzufinden.
Hermanns zweiter Bruder Michael (geb. 1957) ist Zimmerer und führt den mittelständischen Betrieb in Reuthe in der nunmehr dritten Generation. Ihr Vater Ernst hatte einst mit zufällig gleichem Nachnamen in die Familie K. eingeheiratet, und zwar in jene Zimmerei, die Hermann K. Sen. (1899–1966), der ältere Bruder von Josef K. 1932 in Reuthe aufgebaut hatte. Michael K. lebt mit seiner Familie in dem inzwischen renovierten und durchlichteten Wälderhaus, an das die Werkstatt direkt anschließt. 1993 hat er den Zimmermannsbetrieb um eine Tischlerei erweitert, in der, wie er heute sagt, irrigen Annahme, dass sich zwischen den beiden Handwerkszweigen unmittelbare Synergien in der Arbeit ergeben. »Dass sich daraus so etwas wie verfeinerte Zimmerer entwickeln würden.« Tatsächlich laufen die beiden Sparten zwar hervorragend unter einem Dach, aber strikt getrennt, mit unterschiedlichen Werkzeugen, Aufgaben und Anforderungen.
Ein Niedergang des Handwerks habe in den 1960er Jahren stattgefunden, da seien die Zimmerer aufs Aufstellen von Dachsparren beschränkt gewesen, es gab eine gewisse Abwehr gegen das Bregenzerwälderhaus – »das ewige Knarren« –, man habe im Massivbau fast Gegenposition beziehen wollen. Der Wendepunkt sei mit den Pionieren der Vorarlberger Bauschule, endgültig aber Anfang der 1990er Jahre gekommen, als man auf breiter Basis wieder anfing, sich ernsthaft und in zeitgemäßer Formensprache mit dem Thema konstruktiver Holzbau auseinanderzusetzen. Damit seien die Zimmerer wieder aufgewertet worden, »sie sind nun nicht mehr nur für das Dach, sondern wieder für das gesamte Haus zuständig«. Die frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Architekt, Holzstatiker und Handwerker sei im Bregenzerwald ja von jeher die große Stärke jeder qualitätsorientierten Produktentwicklung gewesen.
In der Werkstatt von Michael K. stehen viele Maschinen, aber eine CNC-Fräse wird man vergeblich suchen. Es ist eine bewusste Entscheidung, den Betrieb in überschaubaren Dimensionen zu halten (bei Michael K. arbeiten 16 Zimmerer und fünf Tischler), sich nicht allzu tief in den Bereich der industriellen Fertigung hineinzuarbeiten. Seine Mitarbeiter und Lehrlinge stammen alle aus der Umgebung, bei ihm werden auch Fachleute ausgebildet, die dann später z.B. im Betrieb seines Großcousins Anton K. (geb. 1949) in Vorderreuthe einen Arbeitsplatz finden.
In der Werkstatt von Michael K. wird zwar mit einigem Erfolg die Wohnbox SU-SI produziert, aber um wirtschaftlich lohnenswert zu sein, sei das Produkt nach wie vor zu individuell. »Jedes Mal läuft es wieder auf eine Spezialanfertigung hinaus.« Der Entwurf dafür stammt von Michaels und Hermanns Bruder Johannes sowie von Leopolds Sohn Oskar Leo; Bauherrin des Prototyps war dessen Schwester Susanne, die in der nun 5. Generation das Hotel Post in Bezau betreibt und Mitte der 1990er Jahre ein kostengünstiges »Übergangswohnhaus« in Auftrag gegeben hatte. Das inzwischen 10-jährige, kürzlich nach Hamburg verkaufte Urmodell von Su-Si war zum Zeitpunkt unseres Gesprächs mit Michael K. wieder in dessen Werkstatt gelandet, um den Erfordernissen des künftigen Standorts angepasst zu werden. Erstaunlich wenig Renovierungsarbeiten waren vonnöten, die Box hat das Hochwasser von 2005 schadlos überstanden, nur ein Wasserschaden im Haus selbst hat den Brettern der Bodenplatte zugesetzt. Mit Oskar Leo K. denke man aber über eine Weiterentwicklung des Containerkonzepts nach, das in modularer Form auch schon im Hotelbau Anwendung gefunden hat. Michael K. ist auch Mitglied der »Fixhaus«-Plattform, zu der sich einige Holzbaubetriebe der Region zusammengeschlossen haben, um nach Entwürfen von Vorarlberger Architekten Fertighäuser auf hohem gestalterischem Niveau und zu vertretbaren Preisen anbieten zu können. In der Tischlerei von Michael K. werden zudem in Zusammenarbeit mit dem werkraum bregenzerwald sowie zahlreichen Vorarlberger Architekten hochwertige Möbel und Gebrauchsgegenstände hergestellt, das Repertoire umfasst sogar Holzsandalen, die in Kooperation mit einer Schusterwerkstatt in Bezau erzeugt werden. Da viele Zimmermannsbetriebe des Bregenzerwalds heute – im Unterschied zu früher – eine eigene Abbundhalle neben der Werkstatt stehen haben, tritt bei größeren, die eigenen Kapazitäten übersteigenden Projekten eine Art betriebliche Nachbarschaftshilfe in Kraft und man stützt sich durch temporäre Kooperation. Ein kluger unternehmerischer Ansatz; man kann punktuell im großen Maßstab agieren, das Qualitätsniveau halten und als Unternehmen dennoch flexibel bleiben. Michael K. schätzt die Produktvielfalt in seinem Betrieb, doch in Hinblick auf seinen wirtschaftlichen Kernbereich, den hochwertigen vorgefertigten Holzbau, bezeichnet er wie sein Bruder Hermann die steigende Systemvielfalt als problematisch. »Jedes Mal muss man den Wand- und Deckenaufbau von neuem hinterfragen.« Gleichzeitig wäre eine Vereinheitlichung auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen fatal: »Wenn jeder das Gleiche anbietet, wäre der Preiskampf noch härter.«
Anton K., Geschäftsführer der Firma K. Holzbausysteme, mit selbem Standort wie sein inzwischen mehrheitlich verkaufter holzverarbeitender Betrieb, der größte der gesamten Region, bringt die Normierungsfrage auf den Punkt: »Systematisierung und Normung kommen in erster Linie der Holzindustrie zugute.« Vor dem Hintergrund der mitteleuropäischen Handwerkstradition wären derartige Normungen, wie sie sich etwa in den USA durchgesetzt haben, jedoch ohnehin zum Scheitern verurteilt. »Wer wollte denn hierzulande in Häusern wohnen, wo eines wie das andere aussieht?«
Die gewaltige Dimension des Werks in Vorderreuthe lässt sich auch an der Anzahl und Art der eingesetzten Maschinen ermessen. Vor zehn Jahren wurde die erste, vor kurzem die dritte CNC-Fräse aufgestellt, sodass für einen internationalen Markt präzise Systemkomponenten in großen Stückzahlen produziert werden können. Im Unternehmen von Anton K. arbeiten CNC-geschulte Zimmerer, Absolventen von Fachhochschulen, Maschinenbauer, angelernte Arbeiter. Als Industriekonzern agiert er als reiner Zulieferer, hält den Industrie- und Projektbereich konsequent auseinander. Zum Projektbereich gehört z.B. ein Hochregallager aus Holz, das sich gerade in korrisionsgefährdeten Funktionszusammenhängen (Stichwort Salzlager, mehrgeschossige Bootsgarage) gegen den Stahlbau auch ökonomisch behaupten kann. Und eben diese klar getrennte Koexistenz von industrieller Fertigung europaweit vertriebener Komponenten und dem Projektbereich erweist sich als richtig, wenn es um den vielbeschworenen Blick auf das konstruktive Ganze geht. Denn auf diesen kommt es in einer hochdifferenzierten »Kultur des Handwerks« letztlich an. Nur wenn selbst in der Anonymität der fragmentierten Fertigung das Verständnis für den konstruktiven Gesamtzusammenhang präsent bleibt, kann der CNC-geschulte Zimmerer sein Werkzeug bewusst einsetzen, anstatt es in entfremdeter Perfektion einfach nur zu bedienen.zuschnitt, Sa., 2007.06.16
16. Juni 2007 Gabriele Kaiser
Zeit lassen
Bis heute ist mir nicht ganz klar, wie das Spektrum all jener Beteiligten am Planen und Bauen entstanden ist, mit dem wir uns jeden Tag produktiv auseinandersetzen (oder auch frustriert herumschlagen). Manche sagen, dass ursprünglich alles aus einer Hand kam, dass ein und dieselbe Person Idee und Konzept zu einem Bauvorhaben entwickelte, für die Organisation des Bauplatzes sorgte und den Bau als Unternehmer selbst ausführte. Das ist der Mythos vom Baumeister alter Schule, der kraft der ihm eingeborenen Tradition eigentlich nichts wirklich falsch machen konnte, weder kulturell noch konstruktiv.
Andere sagen, dieser Schöpfungsmythos der Spezialisierung der Bauleute im Laufe der Zeit stimme nicht. Es habe schon immer die Einen gegeben, die eher zum Entwerfen und Planen, und die Anderen, die eher zum Umsetzen neigten. An den Dombauhütten gab es durchaus Auseinandersetzungen zwischen solchen Interessen. Und damit schlichen sich auch Fehler ein, weil der Eine dem Anderen nicht richtig zuhörte oder weil er etwas im Kopf hatte, von dem er dachte, es sei das, was der Andere eben erklärt hatte, und umgekehrt usw.
Das Dilemma, ob der ursprüngliche Baufachmann ein abgespaltener Spezialist des Baumeisters oder ein launischer Besserwisser auf der Dombauhütte war, wird noch verdüstert durch ein weiteres, belastendes Indiz. Der klassische »Architekt« ist seit der Renaissance und bis weit ins 19. Jh. hinein insofern Laie, als er auch noch Künstler, Gelehrter, Philosoph o.ä. in Personalunion war. Architektur war nur eine der vielen Äusserungen, mit denen sich der Homo universalis an die Welt wandte. Und der sollte auch noch verstehen, wie man zwei Balken zusammenzapft oder den Dachrand ausbildet?
Nein, das ging dann schon zu weit, das funktionierte nicht mehr wirklich. Wir kennen ja die Geschichten von den berühmten Meistern, die mir nichts dir nichts ganze Gebäudeflügel abreissen liessen, weil die Profilierungen der Fenster nicht ihrer – nie präzis ausformulierten – Vorstellung entsprachen. Oder die grossflächig den Bau auskleideten, weil der Putz etwas zu stark abgetönt wurde, obwohl nicht einmal die Farbe je besprochen worden war. Wehe, wenn Bernini auf die Baustelle kam! Oder wenn Borromini oder Ledoux den Vorarbeiter zu sich rief, da flogen die Fetzen! Die Meister konnten sich das leisten, sie waren anerkannt am Hof und ohnehin die Meinungsmacher. Aber für den Alltag der modernen Industriegesellschaft taugte das nicht. Also musste ein neuer Beruf her, dessen Mitglieder planen, entwerfen, organisieren, rechnen, zeichnen und kommunizieren konnten und die ihr Wissen über das praktische Bauen akademisch im Trockendock erlernten. Der moderne Architekt war da, geb. ca. 1870, verwaist, keine Vorstrafen, keine speziell vertieften Qualifikationen, ein Allrounder, ein smart guy, der sich überall zurechtfindet.
Während er also eine relativ junge Erscheinung ist, verkörpert der Handwerker Tradition und Althergebrachtes. Ein Sparren ist immer noch ein Sparren, auch wenn er mittlerweile vielleicht schichtverleimt ist, ein Ziegel immer noch ein Ziegel, auch wenn er statt aus Ton aus Beton oder Faserzement ist. Gemauert wird nach wie vor von unten nach oben und der Putz kommt am Schluss auf die Wand bzw. auf die Perimeterdämmung. Die Handgriffe im Handwerk sind weitgehend noch dieselben wie ehedem, vor allem aber zeichnet sich der Handwerker nach wie vor dadurch aus, dass er auf ein Problem zugreift, um es möglichst umgehend konkret zu lösen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie einfach sich manches, das man während Stunden im Büro wälzte, erledigen lässt, wenn man am Bau mit dem Handwerker spricht.
Am Bau besprechen ist dabei allerdings beinahe Conditio sine qua non, und manchmal reicht nicht einmal das aus, insofern als das Ergebnis nicht unbedingt dem entspricht, was man zusammen besprochen hatte. Vergleiche oben, Beispiel Dombauhütte. Und vorgängig, auf dem Plan, geht fast alles, aber oft sind die Konsequenzen nicht überschaubar und plötzlich ist eine Schraube oder eine Fuge da, wo man als Architekt nie und nimmer so ein Ding vermutet hätte. Diese Tendenz, sich nicht vollständig zu verstehen, nimmt zu in einer Zeit, in der die Zeit fehlt, die Dinge auszulegen, aufzuzeichnen, hin- und herzuschicken, zu korrigieren. Als Architekten sind wir ehrlich begeistert, einen Werkstattplan vom Handwerker zu erhalten, aufgrund dessen wir sehen, wie er das wirklich macht. Ganz zu schweigen davon, noch eingreifen und ändern zu können.
Beiden Seiten fehlt also die Zeit (was gleichbedeutend ist mit Geld), dem Architekten, um sich ins neue Thema einzuarbeiten, dem Handwerker, um seine praktische Lösung überhaupt aufzuzeigen. Ich meine, die Verrohung der Details liegt nicht daran, dass dem Handwerk das Know-how entgleitet und der Architekt nur noch grafisch projektiert. Oder dass mit der Verbreitung von Convenient Solutions, Halbfabrikaten und Patentbauteilen industrielle Methoden im Bauen ein- und ausgehen. All das trifft zwar auch zu, ist aber ein anderes Thema. Die Verrohung der Details liegt daran, dass sich die Leute nicht mehr aufeinander einlassen.
Dies wäre aber umso notwendiger, als Handwerker und Architekten wegen ihrer gemeinsamen Wurzel zwar viel voneinander verstehen, aber eben doch zuwenig, um nicht miteinander reden zu müssen. Und dafür – Regel Nr. 1 – muss man sich halt Zeit lassen.zuschnitt, Sa., 2007.06.16
16. Juni 2007 Christoph Luchsinger
Werkstück statt Stückwerk
(SUBTITLE) Zwei Initiativen des werkraum bregenzerwald: »handwerk im unterricht« und »kinderbaustelle«
Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn die Fürsprecher der Dinge die Dinge selbst sind: Das bekanntlich hohe Niveau der Handwerkskultur im Bregenzerwald lässt sich vielleicht auch daran ermessen, dass man sich hier vor allem über qualitative Erzeugnisse und nicht so sehr über ideologische Abgrenzung gegenüber dem Feindbild »anonyme Massenproduktion« definiert. Auf die Gefahr hin, aus »östlicher« Perspektive das kollaborative Produktionsmilieu im Bregenzerwald zu beschönigen: Das Zusammenspiel zwischen Architektur und Handwerk, Konzeption, Konstruktion und Umsetzung scheint in dieser Region (noch oder wieder) auf Basis eines profunden Werk- und Materialverständnisses auf beiden Seiten zu funktionieren. Was anderswo die Ausnahme ist, kann dann als Regelfall gelten: Weder müssen sich Handwerker mit werkstoffwidrigen Phantasien von Architekten oder Designern herumschlagen, noch die Architekten mit schlecht ausgebildeten, schematisch agierenden Handwerkern. Dieser kooperative und zugleich eigenverantwortliche Umgang mit dem herzustellenden Produkt ist Teil einer Handwerkskultur, die es gilt, mit anderen Fertigkeiten der Profession an die nächste Generation weiterzugeben. Die Förderung des Nachwuchses in handwerklichen Lehrberufen zählt daher auch zu den zentralen Anliegen des werkraum bregenzerwald, einer 1999 gegründeten, derzeit rund 80 Mitglieder umfassenden Branchenplattform für das Neue Handwerk, die mit überregional rezipierten Aktivitäten (Ausstellungen, Wettbewerben, Publikationen) auf die Produktivität der Region hinweist. Noch vor wenigen Jahren waren Jugendliche scharenweise ins Rheintal abgewandert, wo die Berufsaussichten günstiger schienen, doch inzwischen können viele Betriebe im Bregenzerwald wieder ein auch für den lernleistungsstarken Nachwuchs interessantes Betätigungsfeld bieten. Auch wenn man angesichts von jährlich sinkenden Lehrstellen eine Krise des Handwerks konstatieren kann (siehe Interview mit Egon Blum), haben sich viele Sparten im Bregenzerwald – allen voran die holzverarbeitenden Betriebe – ein breites Kompetenzspektrum zwischen Low- und Hightech erarbeitet, das ohne hochqualifizierte Fachkräfte nicht zukunftsfähig wäre.
Unter dem Titel »handwerk im unterricht« hat der werkraum bregenzerwald 2004 daher ein Workshopprogramm gestartet, im Zuge dessen Jugendliche der 3. und 4. Klasse Hauptschule in lokalen Handwerksbetrieben eigenhändig Werkstücke (Stifteboxen, Kerzenständer, Weinregale, Sitzsäcke, Klapphocker, Nussknacker, Stelzen, Wanduhren, Holzböcke etc.) herstellen können. Kern dieses Vermittlungsprogramms ist die Güte und Brauchbarkeit der Werkstücke, die kostengünstig und im definierten Zeitrahmen herstellbar sein, aber auch ein hohes gestalterisches und handwerkliches Niveau aufweisen sollen.
Für die konzeptuelle Vorbereitung von »handwerk im unterricht« erweist sich auch hier das vernetzte Know-how von Handwerksbetrieben und Architekten als solide Basis. Schülerinnen und Schüler nehmen das Angebot mit Begeisterung auf: Sie können in einer Art Schnupperlehre praktische Erfahrungen in einem bestimmten Berufszweig sammeln, in die spezifische Atmosphäre eines Betriebs eintauchen, dessen Struktur kennenlernen und eigene Fertigkeiten unter den kundigen Augen eines »Meisters« erproben. Und sie nehmen schließlich einen eigenhändig hergestellten Gebrauchsgegenstand mit nach Hause, mit dem sie sich in hohem Maße identifizieren.
Diese positive Erfahrung kann nicht nur ausschlaggebend sein für die Berufsentscheidung der Jugendlichen, sondern auch von Nutzen für den Handwerksbetrieb, da Lehrlingsausbildner in der direkten Arbeit am Werkstück mit motivierten Talenten Kontakt knüpfen. Dass diese Workshops wichtige Impulse setzen, beweist die hohe Nachfrage – mit rund 60 Veranstaltungen bilanzierte der werkraum bregenzerwald allein im ersten Jahr. Und nicht selten hört man einen Schüler, eine Schülerin am Ende eines Workshops sagen: »Das war super. Da möchte ich die Lehre machen.«
Mit großem Eifer gingen im Frühjahr 2007 auch Schülerinnen der Hauptschule Alberschwende ans Werk, als sie in der Tischlerwerkstatt Raimund Dür in Alberschwende (sowie in drei anderen Betrieben der Region) einen Hocker bzw. Beistelltisch fertigten, unterstützt von ihrer engagierten Lehrerin (die Schnupperlehre fand in diesem Fall im Rahmen des Religionsunterrichts statt), der Architektin Heike Schlauch/raumhochrosen und nicht zuletzt vom werkstückbetreuenden Tischler. Die Grundform des Hockers/Tischchens ist einem Blütenblatt nachempfunden, das als Einzelstück ebenso funktioniert wie als »Blume« im Klassenverband. Art des Holzes und Details der Konstruktion bzw. der Ausschmückung konnten die Mädchen selbst bestimmen, und so nahmen die »artverwandten« Einzelstücke nach und nach Gestalt an. Das Ergebnis kann sich sehen lassen – hier wurde nicht gebastelt, sondern in richtiger Handwerkstechnik gefertigt. Es wurde zugeschnitten, geschliffen, geleimt, geölt. Und in der prüfend über die gehobelte Oberfläche streichenden Hand blitzte hier und dort das Geschick einer werdenden Tischlerin auf.
Für den jüngeren Nachwuchs, für Kinder von fünf bis zwölf Jahren, wo es naturgemäß noch nicht um Hilfestellung bei der Berufsentscheidung, sondern um den spielerischen Umgang mit den Werkstoffen Erde, Holz, Metall, Wasser und Farben geht, bietet der werkraum bregenzerwald zudem die von Heike Schlauch konzipierte »kinderbaustelle« an. Auch diese Element-Werkstätten schöpfen spielend/spielerisch aus der profunden Handwerkskultur des Bregenzerwaldes. Beleg dafür sind nicht zuletzt die soliden, den jeweiligen Werkstätten beigestellten Holzkisten, die sämtliches Werkzeug und die wiederverwendbaren Materialien enthalten. Der Umgang mit dem richtigen Werkzeug am richtigen Material kann schließlich gar nicht früh genug erprobt werden.zuschnitt, Sa., 2007.06.16
16. Juni 2007 Gabriele Kaiser