Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Die „neue linie“. Das Bauhaus am Kiosk | Christoph Tempel
03 Architektonische Nachhut. Ausstellung von Ralf-Meyer in Hamburg | Heinrich Wähning
04 Werner-Issel-Ausstellung in Berlin | Ulrich Brinkmann
04 20. Transmediale | Matthias Böttger

BETRIFFT
06 Das größte Zelt der Welt | Johanna Schlaack

WETTBEWERBE
10 Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Warschau | Friederike Meyer
12 Entscheidungen
13 Auslobungen

THEMA
14 Die Kaaba | Ilija Trojanow
18 Jabal Khandama Makkah Al-Mukaramah | Brigitte Schultz
24 Auf dem „Urbanen Podest“ | Yves Lion Architectes Urbanistes
30 Der Wettbewerb als Exportgut | Benjamin Hossbach, Christian Lehmhaus

REZENSIONEN
36 [phase eins]. Die Architektur von Wettbewerben | Michael Kasiske
36 Wasserlandschaften | Annette Taubert
37 Vom Expressionismus bis heute | Hailo Ochs
37 Das Reclam Buch der Architektur | Jürgen Tietz
38 Berlin über und unter der Erde. Alfred Grenander | Jan Gympel
38 DenkMal! Schleswig-Holstein | Jürgen Tietz

RUBRIKEN
05 wer wo was wann
34 Kalender
39 Anzeigen

Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Warschau

Warschau will am Fuß seines Wahrzeichens, des 230 Meter hohen Kulturpalastes aus der Stalinzeit, ein Kunstmuseum bauen. Es geht um die Aufwertung des Stadtzentrums durch herausragende Architektur. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an das Ergebnis des internationalen Wettbewerbs. Dass die Jury den zurückhaltenden Entwurf des Züricher Archi­tekten Christian Kerez zum Sieger gekürt hat, sorgt in der Bevölkerung für Diskussion, geschürt durch das Protestschreiben eines Jurymitglieds.

Mitten in Warschaus zugigem Zentrum soll ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst entstehen. Damit folgt die polnische Hauptstadt einem Stadtmarketingtrend, der in den letzten Jahren einen weltweiten Museumsbauboom ausgelöst hat. EU-Fördermittel für das auf 60 Millionen Euro Baukosten geschätzte Haus stehen in Aussicht, die Sammlung soll sukzessive aufgebaut werden. Die Stadt hat ein prominentes Grundstück zur Verfügung gestellt. Früher hielt die sozialistische Partei- und Staatsführung hier ihre Kundgebungen ab. Seit der Wende wird über die städtebauliche Leere um den Prachtbau aus der Stalinzeit diskutiert. Im Jahr 1992 hatte eine Jury unter Vorsitz von Leon Krier einen Masterplan gekürt, der nicht zuletzt aufgrund seiner problematischen städ­te­baulichen Form eines kreisrunden Boulevards unverwirklicht in den Schubladen der Stadtverwaltung ver­schwand. Mittlerweile hat das Planungsamt un­ter der Leitung des Chefarchitekten Michał Borowski ei­nen neuen Masterplan erarbeitet. Er weist auf dem seit Jahren als Markt- und Parkplatz genutzten „Plac Defilad“ zwei L-förmige Grundstücke aus, die den Hauptzugang zum Kulturpalast neu fassen sollen. Auf ei­ner Seite, angrenzend an den Świętokrzyski Park soll der Kunstbau entstehen, auf der anderen sind ein Kaufhaus und ein Musicaltheater angedacht.

Der Wettbewerb war international ausgeschrieben. Von 180 Bewerbern wurden 109 zugelassen. Um deren Arbeiten zu beurteilen, nahm sich die 13-köpfige, je zur Hälfte polnisch und international besetzte Jury unter Vorsitz von Michał Borowski drei Tage Zeit. Im Gremium saßen polnische und zwei Londoner Museumsdirektoren sowie Adam Szymczyk, Leiter der Kunsthalle Basel, Daniel Libeskind und Christine Binswanger vom Büro Herzog und de Meuron. Aus einer Vielzahl von verschlungenen, gefalteten oder in Teile zerstückelten Vorschlägen, die sich weit über das vorgegebene Grundstück ausbreiten, wählte die Jury am 18. Februar drei Projekte aus, die sich formal streng an die Wettbewerbsvorgaben halten.

Der erstplatzierte Architekt Christian Kerez, bekannt geworden durch ein kompromissloses Beton-Glas-Mehrfamilienhaus in Zürich, hat gar nicht erst versucht, mit dem „Zuckerbäcker-Märchenschloss“ nebenan zu konkurrieren, und die Qualitäten seines Entwurfs hinter einer „schwebenden“ Betonblende versteckt. Das Dach besteht aus einer mehrfach gewölbten Lichtdecke, wenige tragende Stützen sol­len größtmögliche Flexibilität auf allen drei Ebenen erlauben. Der Platz davor ist durch gemus­terte Bodenplatten strukturiert.
Den 2. Preis erhielt das Warschauer Büro Szaroszyk & Rycerski mit einem L-förmigen Baukörper, der durch eine farben- und materialfrohe Kolonnade und ein begrüntes Dach Abwechslung in die Umgebung zu tragen versucht und im Inneren an eine Shop­ping-Mall-Passage erinnert. Ein weiteres Schweizer Büro landete auf Platz drei: Das Zürcher Atelier WW antwortet auf die vertikale Dominanz des Kulturpalastes mit einem ruhigen, horizontal ausgerichteten Baukörper.

Der erste Preis dürfte, so er realisiert wird, ein herausragender Bau im Warschauer Stadtzentrum wer­den. Doch dem bläst Wind entgegen. Kaum war die Entscheidung gefallen, entbrannte in Warschau eine öffentliche Diskussion, angekurbelt von Tadeusz Ziel­niewicz, dem für die Organisation des Wettbewerbs Verantwortlichen. In einer Stellungnahme, die er auf die Webseite des Wettbewerbs www.museumcompe­tition.pl stellen ließ, erklärt er seinen Rücktritt, distanziert sich von der Entscheidung der Jury, die er als ihr Mitglied unterzeichnet hat, und versucht, den mit einer Besonderen Erwähnung versehenen Ent­wurf von ALA Oy, Helsinki, und Grupa 5, Warschau, ins Blickfeld der Entscheider im Kulturministerium zu he­ben: ein schillernder Blob mit Projektionsrückwand, ein Vorschlag, der auf den ersten Blick Strahlkraft sug­geriert, jedoch viele Fragen hinsichtlich seiner Umsetzung offenlässt.

Vielen Warschauern spricht er ganz offensichtlich aus dem Herzen, wie die polnische Tagespresse widerspiegelt. Höchste Erwartungen hatten sie an diesen Wettbewerb gerichtet, dessen Ergebnis allen Frust über das existierende Stadtbild aufwerten sollte. Denn ihre Sehnsucht nach einem architektoni­schen Bilbao-Spektakel gründet sich auf dem Vorhan­denen, das die Vorstellung von Beton und Struktur für sie zum Alptraum hat werden lassen. Der Sozialis­mus hinterließ immer gleiche Zeilen und Blöcke zwischen den breiten Straßen, die Nachwendezeit ver­dichtete um globale Büro- und Hoteltürme und Shopping-Center.

Handelt es sich aber wirklich nur um ein kulturelles Missverständnis, das entsteht, wenn Schweizer Strukturalismus auf überzogene Erwartungen und polnische Vergangenheitsbewältigung trifft? Es geht hier auch um das alte Pro­blem der Beurteilung anhand von Bildern. Was die Jury erkannt und völlig zu Recht als beste Arbeit aus­gezeichnet hat, steckt in den Zeichnungen und bleibt architektonischen Laien oftmals verborgen, ebenso wie die Tatsache, dass es bei Architektur in erster Linie um Räume geht. Die Warschauer Oberbürgermeis­terin hat unterdessen an­gekündigt, die Entscheidung der Jury zu akzeptieren und den Siegerentwurf umsetzen zu wollen – ein gu­tes Signal für die noch junge polnische Wettbewerbs­kultur, die unter den neuen EU-Mitgliedsstaaten durch viele offene internationale Wettbewerbe bisher beispielhaft in Erscheinung getreten ist.

Bauwelt, Fr., 2007.03.09

09. März 2007 Friederike Meyer

Jabal Khandama, Makkah Al-Mukaramah

Zur Geschichte der Stadt Mekka und des städtebaulichen Wettbewerbs

Makkah Al-Mukaramah kennt man im Westen unter dem Namen Mekka. Aber was weiß man ansonsten über die Stadt? Sicher, dass sie für circa ein Fünftel der Erdbevölkerung einen heiligen Ort darstellt, in dessen Richtung die Gäubigen ihre Gebete orientieren und zu dem zumindest einmal im Leben zu pilgern ihnen ihre Religion gebietet. Man kennt das Foto des schwarzen Würfels der Kaaba im Hof der Moschee Al Haram al-Sharif, umkreist von Scharen weiß gekleideter Pilger. Dieses Bild allerdings scheint losgelöst von der Stadt im luftleeren Raum zu existieren. Sollten Vermutungen über das umgebende Stadtgebiet angestellt werden, so wird man wohl am ehesten einen „heiligen Bezirk“ oder eine verwinkelte Altstadt mit kleinen Gässchen, belebten Plätzen und Märkten erwarten.

Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Gründung Mekkas, die der Überlieferung nach im 19. Jahrhundert v. Chr. durch den Propheten Abraham erfolgte, ist die Stadt zwischen Küsten-ebene und arabischem Hochland auf 1,4 Millionen ständige Einwohner angewachsen. In den zentralen Wochen der Pilgerschaft, des Hadsch, erhöht sich diese Zahl jedes Jahr um weitere zwei Millionen. Über ein Drittel der Bevölkerung konzentriert sich dabei innerhalb der in etwa sechs Quadratkilometer großen Innenstadt, in deren Zentrum die Moschee sowie die sie umgebenden Gebetsplattformen liegen. Die extrem hohe Dichte erklärt sich nur teilweise aus der topografischen Lage der Stadt im Talkessel, die jede weitere flächenmäßige Ausdehnung zu einer logistischen und finanziellen Herausforderung macht. Weit größere Auswirkungen hat die enorme religiöse Anziehungskraft der Moschee. Da selbst der Blick auf die Kaaba als Akt der Anbetung gilt, ist die gesamte Innenstadt, vergleichbar einem gigantischen urbanen Stadion, um diesen Fokus herum organisiert. Jedes Grundstück wird im Hinblick auf eine optimale Ausnutzung dieser Sichtbeziehung bebaut, wobei von den verschiedenen Projektentwicklern im Normalfall keine Rücksicht auf benachbarte Grundstücke genommen wird oder werden muss, da sie in dem monar­chi­schen System nicht an baurechtliche Vorschriften, sondern an individuelle Absprachen mit dem Herrscher gebunden sind.

Die Stadt lebt, auch wirtschaftlich gesehen, von der Pilgerschaft, die jährlich zunimmt. Deutlich sichtbare Zeichen hierfür sind die kontinuierliche Erweiterung der Gebetsplattformen, der die jeweils der Moschee am nächsten stehenden Gebäude weichen müssen, und die Häufung von Hotelhochhäusern, die das Bild auch der unmittelbaren Umgebung der Al Haram bestimmen.

Das größte Kapital der Stadt ist zugleich auch ihr größtes Problem. Die Verkehrsströme, die fünfmal täglich zum Gebet in Richtung Al Haram, aber auch zu den heiligen Stätten Mina und Arafat außerhalb Mekkas pendeln, stellen äußerst komplexe Anforderungen an die Infrastruktur, die in ihrer jetzigen Form – ohne ein umfassendes öffentliches Verkehrssystem – diese Erfordernisse kaum erfüllt. Gleichzeitig müssen bei der Versorgung der Pilger immer mehr Menschen auf im­mer geringerer Fläche untergebracht werden. Die Versuche der Stadtverwaltung, die auch durch den Ölboom beförderte rasante Entwicklung Mekkas in geordnete Bahnen zu lenken, führten bisher zu drei Masterplänen. Der erste Plan aus dem Jahr 1973 zielte vor allem auf eine Dezentralisierung der Stadt zur Entlastung der Innenstadt; der zweite von 1986 betonte erstmals auch die Relevanz der älteren Bezirke in der Innenstadt sowie der sie umgebenden, damals noch weitgehend unbebauten Hügelketten für die Identität der Stadt.

Der aktuelle Masterplan ist für die kommenden 50 Jahre ausgelegt und hat, wie seine zwei Vorgänger, eher den Charakter einer Empfehlung. Er schlägt u.a. die Festlegung zu entwickelnder Gebiete sowohl in der bereits bebauten Innenstadt als auch in der Peripherie vor. Eine Verbesserung der Verkehrssituation soll durch die Fertigstellung des fünfteiligen Ringstraßensystems, die Trennung von Fußgänger- und Fahrverkehr sowie die Einrichtung eines öffentlichen Nahverkehrs erreicht werden. Obwohl das Dokument in Bezug auf internationale Beispiele auch die Erhaltung der gewachsenen Struktur der Innenstadt nahelegt, scheint diese offizielle Absichtserklärung kaum Auswirkungen auf die tatsächliche Entwicklung zu haben. Vielmehr befindet sich momentan fast die gesamte Innenstadt in einem enormen Umbauprozess, dessen verschie­denste, voneinander unabhängige Bauarbeiten ganze Viertel zeitweilig in riesige Brachflächen verwandeln.

Ein Blick auf einige dieser Projekte verdeutlicht die Dimen­sionen dieser Umwälzungen. Das derzeit größte Projekt „Al Shamiyah“ umfasst eine Fläche von 100 Hektar direkt nördlich der Moschee, die über 200.000 Pilger und nochmals doppelt so viele Betende aufnehmen soll. Sechzehn Hektar der Fläche sind dabei für eine weitere Vergrößerung der Gebetsplattfor­men vorgesehen. Westlich von Al Shamiyah schließt der Berg „Al-Ka´bah“ an, auf dem ein kleineres Projekt mit neun 25-geschossigen Hotelhochhäusern geplant ist. Ebenfalls in der westlichen Innenstadt liegt „Jabal Omar“, das auf 23 Hektar eine Million Quadratmeter Bruttogeschossfläche in bis zu 50 Geschosse hohen Gebäuden sowie öffentliche Plätze für 45.000 Betende bereitstellen will.

Langfristige Planungen sehen zudem eine 40 Meter breite Verkehrsachse vor, die eine Schneise in den Westteil der vorhandenen Stadt schlagen würde. Der sogenannte Parallele Weg soll direkt auf die Moschee zuführen und wird von einem 320 Hektar großen Gebiet gesäumt, das neu bebaut werden soll. Auf halber Strecke der fünf Kilometer langen Straße steht ein 55.000 Quadratmeter großer Kuppelbau als Versammlungsstätte mit direkter Sichtverbindung zum Al Haram.

Bereits weit fortgeschritten sind die Arbeiten an den von der Saudi Bin Ladin Group (SBG) gebauten „Abraj Al-Bayt“-Türmen am südlichen Rand der Moschee. Dieser aus sieben Türmen zusammengesetzte Gebäudekomplex wird mit einer Höhe bis zu 485 Metern eines der höchsten Gebäude der Welt sein und soll über 40.000 Pilger aufnehmen. Direkt an die Königspaläste östlich der Moschee soll zukünftig eine weitere Großstruktur aus fünfzehn Gebäuden mit bis zu 28 Geschossen anschließen, die durch ein einheitliches Sockelgeschoss verbunden werden.

Einen weiteren Baustein dieser Entwicklung bildet die „Khandama“-Bergkette, die einen Großteil der östlichen Innenstadt umfasst. Trotz ihrer unmittelbaren Nähe zur Moschee wurde sie aufgrund ihrer bewegten Topografie bisher nicht im großen Stil entwickelt und ist darum nur in den Talbereichen bebaut. Für dieses 60 Hektar große Gebiet wurde von der „Fakieh Group“ Mitte letzten Jahres ein zweistufiger internationaler Wettbewerb ausgelobt, von dessen zehn einge­ladenen Teilnehmern (u.a. aus Spanien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Kanada) man sich neue Impulse für die Stadtentwicklung versprach. Besonderer Wert wurde dabei darauf gelegt, die neue Entwicklung in die bestehende und im Werden begriffene Stadtstruktur einzubinden, um dem Gebiet im Gegensatz zu anderen großen Entwicklungsgebieten der Stadt keinen Inselcharakter zu verleihen. Das Projekt hat mit geplanten 2,6 Millionen Quadratmetern Bruttogeschossfläche ähnliche Dichtevorgaben zu erfüllen wie andere Projekte der Innenstadt. Trotzdem wurde versucht, ihm einen für die Nutzer „fassbaren“ Maßstab zu geben: durch die Begrenzung der Gebäudehöhe auf im Normalfall 20 Geschosse, die Vorgabe von Abstandsflächen und die Forderung nach nutzbaren öffentlichen Räumen.

Welche Risiken allerdings dabei auftreten können, wenn ein Großteil der Teilnehmer den Ort des Wettbewerbs als Nicht-Muslime nicht persönlich betreten darf, zeigt sich in man­chen der Einreichungen mit nahezu stadtfeindlichen Entwürfen. Die Gründe hierfür sind schwer zu benennen. Lag es vielleicht an der mangelnden Identifikation mit dem Ort oder an der Lust, einen gewagten Entwurf zu präsentieren, dessen Realisierung man sich in der boomenden Metropole erhoffte? So finden sich zum Beispiel Vorschläge wie die Pressung des Stadtgrundrisses in ein islamisches Dekormuster oder die fast voll­ständige Überbauung des Geländes mit einer künstlichen Topografie aus Terrassen, über denen auf 100 Meter Höhe auf­gestelzte Wohnriegel schweben sollen. Man kann wohl von Glück reden, dass weder die Mehrzahl der Teilnehmer noch das Preisgericht mit so viel futuristischer Ignoranz gesegnet waren.

Lässt man die Grundskepsis gegenüber solch hohen Dichtemodellen und einem derartig bedenkenlosen Flächenabriss der gewachsenen Stadt einmal beiseite und konzentriert sich auf die Umsetzung des geforderten Programms, so stellt der siegreiche Entwurf von Yves Lion, Paris, und seinen zwei Partnerbüros aus Beirut eine intelligente Möglichkeit dar, mit den extremen Anforderungen dieser Stadt umzugehen. Das Konzept versucht, mit durchweg moderaten Gebäudehöhen von vier bis sechs Geschossen eine Art Altstadtstruktur und Straßenräume zu schaffen, in der vertraute Dimensionen erhalten bleiben, während die erforderlichen Wohntürme sich außerhalb des Blickfelds des Fußgängers in der Blockmitte befinden. Es behandelt die hohe Dichte als das, was sie ist: ein aufgesetztes, funktional erforderliches Element, dem aber nicht zu viel Beachtung gezollt werden soll. Ein fundierter formaler Ansatz, der sich nun in der Praxis wird beweisen müssen.

Bauwelt, Fr., 2007.03.09

09. März 2007 Brigitte Schultz

Content Unfinished

(SUBTITLE) Die 20. Transmediale öffnet den Diskurs

„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende in der Berliner Akademie der Künste stattfand. In 20 Jahren hat sich die Veranstaltung von einem „Videofest“ zu einem bedeutenden, mittlerweile von der Kulturstiftung des Bun­des als „Leuchtturm“ geförderten Medienkunstfestival gewandelt. Heute sind elektronische Medien in der Kunst- und Alltagswelt längst selbstverständlich, und so suchten die Macher der Transmediale nach ei­ner Öffnung des Diskurses, verbanden Klassik mit Avantgarde – und Analog mit Digital. Eine solche Rückkopp­lung wurde im Ausstellungsteil der Transmediale sehr schön von Aram Bartholls „Random Screen“ illustriert. Der in Apple-Ästhetik aufblinkende 5x5 Pixel Screen sieht aus wie eine digitale Lava-Lampe, entpuppt sich aber von der Rückseite betrachtet als rustikale Konstruktion aus Teelichtern und modifizierten Bierdosen, die sich in der erhitzten Luft drehen.

Ähnliche Rücktransfers präsentierte Bartholl auch auf dem „Salongespräch“ zum Trendthema „Second Life“. In das Foto einer Straßenflucht hat er ei­nen merkwürdigen Baum montiert, es ist ein digita­ler Baum im Augenblick des Downloads. Noch sind nicht alle Daten angekommen, er besteht nur aus zwei sich kreuzenden Flächen, die auf dem Bildschirm in den nächsten Sekunden mit Bildern eines echten Baums gefüllt werden. Hier aber bleibt dieser Baum als Skulptur eingefroren, „unfinished“, im Straßenraum stehen und lässt Parallelen und Differenzen von „erstem“ und „zweitem Leben“ hervortreten. „Second Life“ ist eine Online-Parallel-Welt, geschaffen nach dem Vorbild des Metavers aus Neal Stephensons Ro­man SnowCrash. Derzeit erlebt sie eine im Verhält­nis zu ihrer Population völlig überzogene Medienaufmerksamkeit. Realistisch gesehen treffen sich dort Teenager im Körper des anderen Geschlechts, um ih­ren Identitätskonflikt auszuleben und um über Sex zu reden. Spannend an „Second Life“ aber ist die Ver­sprechung eines zweiten, eines virtuellen Raums, in dem sich eine eigene Ökonomie entfalten könnte – und auch eine eigene Ästhetik, Kunst und Architektur. Da dieses neue Phänomen in unglaublich kur­­zer Zeit in die Öffentlichkeit katapultiert wurde, fehlt es an einem fundierten Diskurs und etablierten Inhalten. Das Potential dieser gestalterisch momentan zwischen Las Vegas und Suburbia verorteten Räume gerade für die Architektur ist aber unverkennbar und wird zunehmend an Hochschulen behandelt.

Auch auf dem zweiten Salongespräch über „Ur­ban Screens“ ging es um die Produktion von Inhalten, dabei wurde die Bandbreite von städtischen Medienwänden und -fassaden dargestellt. Mike Gibbons stellte seine für die BBC in verschiedenen britischen Städten installierten „Big Screens“ vor, die er als Teil einer Innenstadtbelebung versteht. BBC-Screens sind werbefreie Massenfernseher, vor denen sich – ganz im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Privatisie­rung öffentlicher Räume – Zuschauer versammeln und gemeinsam an Großveranstaltungen teilnehmen können. Ergänzend werden auch lokale Ereignisse und Kulturproduktionen verbreitet, um die Interaktion mit den Zuschauern zu stimulieren. Stadt(re)­vi­ta­li­sie­rung wird in Zukunft also wohl auch mit diesen Mitteln betrieben.

Der Architekt Tim Edler präsentierte die neu­es­ten Projekte seines Büros realities:united, die sug­­ge­rieren, dass Medienarchitektur gerade erst am Anfang steht. Ganze Häuser könnten zukünftig zu Skulp­turen werden und ihre Fassaden zu Bildschirmen, die man nur noch aus dem Flugzeug entziffern kann; Häuser werden temporär mit Marken und Ima­ges „aufgeladen“; die Hochhaussilhouette einer Stadt wird nachts zu einem tanzenden Ballett, das diese Machtarchitektur destabilisiert. Die Gefahr dabei ist, dass diese Art Fassaden bei zunehmender Verbreitung zu einer Vereinheitlichung im Sinne einer „gene­rischen Universalfassade“ führen – Leuchtrekla­men im ganz großen Stil. Für die mögliche Zukunft der Stadt zeigte die Transmediale in jedem Fall ei­ne Reihe Anknüpfungspunkte. Und ein „unfinish“ kann man der Stadt, vor allem in Berlin, ohnehin nur wünschen.

Bauwelt, Fr., 2007.03.09

09. März 2007 Matthias Böttger

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