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09. März 2007Matthias Böttger
Bauwelt

Content Unfinished

„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende...

„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende...

„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende in der Berliner Akademie der Künste stattfand. In 20 Jahren hat sich die Veranstaltung von einem „Videofest“ zu einem bedeutenden, mittlerweile von der Kulturstiftung des Bun­des als „Leuchtturm“ geförderten Medienkunstfestival gewandelt. Heute sind elektronische Medien in der Kunst- und Alltagswelt längst selbstverständlich, und so suchten die Macher der Transmediale nach ei­ner Öffnung des Diskurses, verbanden Klassik mit Avantgarde – und Analog mit Digital. Eine solche Rückkopp­lung wurde im Ausstellungsteil der Transmediale sehr schön von Aram Bartholls „Random Screen“ illustriert. Der in Apple-Ästhetik aufblinkende 5x5 Pixel Screen sieht aus wie eine digitale Lava-Lampe, entpuppt sich aber von der Rückseite betrachtet als rustikale Konstruktion aus Teelichtern und modifizierten Bierdosen, die sich in der erhitzten Luft drehen.

Ähnliche Rücktransfers präsentierte Bartholl auch auf dem „Salongespräch“ zum Trendthema „Second Life“. In das Foto einer Straßenflucht hat er ei­nen merkwürdigen Baum montiert, es ist ein digita­ler Baum im Augenblick des Downloads. Noch sind nicht alle Daten angekommen, er besteht nur aus zwei sich kreuzenden Flächen, die auf dem Bildschirm in den nächsten Sekunden mit Bildern eines echten Baums gefüllt werden. Hier aber bleibt dieser Baum als Skulptur eingefroren, „unfinished“, im Straßenraum stehen und lässt Parallelen und Differenzen von „erstem“ und „zweitem Leben“ hervortreten. „Second Life“ ist eine Online-Parallel-Welt, geschaffen nach dem Vorbild des Metavers aus Neal Stephensons Ro­man SnowCrash. Derzeit erlebt sie eine im Verhält­nis zu ihrer Population völlig überzogene Medienaufmerksamkeit. Realistisch gesehen treffen sich dort Teenager im Körper des anderen Geschlechts, um ih­ren Identitätskonflikt auszuleben und um über Sex zu reden. Spannend an „Second Life“ aber ist die Ver­sprechung eines zweiten, eines virtuellen Raums, in dem sich eine eigene Ökonomie entfalten könnte – und auch eine eigene Ästhetik, Kunst und Architektur. Da dieses neue Phänomen in unglaublich kur­­zer Zeit in die Öffentlichkeit katapultiert wurde, fehlt es an einem fundierten Diskurs und etablierten Inhalten. Das Potential dieser gestalterisch momentan zwischen Las Vegas und Suburbia verorteten Räume gerade für die Architektur ist aber unverkennbar und wird zunehmend an Hochschulen behandelt.

Auch auf dem zweiten Salongespräch über „Ur­ban Screens“ ging es um die Produktion von Inhalten, dabei wurde die Bandbreite von städtischen Medienwänden und -fassaden dargestellt. Mike Gibbons stellte seine für die BBC in verschiedenen britischen Städten installierten „Big Screens“ vor, die er als Teil einer Innenstadtbelebung versteht. BBC-Screens sind werbefreie Massenfernseher, vor denen sich – ganz im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Privatisie­rung öffentlicher Räume – Zuschauer versammeln und gemeinsam an Großveranstaltungen teilnehmen können. Ergänzend werden auch lokale Ereignisse und Kulturproduktionen verbreitet, um die Interaktion mit den Zuschauern zu stimulieren. Stadt(re)­vi­ta­li­sie­rung wird in Zukunft also wohl auch mit diesen Mitteln betrieben.

Der Architekt Tim Edler präsentierte die neu­es­ten Projekte seines Büros realities:united, die sug­­ge­rieren, dass Medienarchitektur gerade erst am Anfang steht. Ganze Häuser könnten zukünftig zu Skulp­turen werden und ihre Fassaden zu Bildschirmen, die man nur noch aus dem Flugzeug entziffern kann; Häuser werden temporär mit Marken und Ima­ges „aufgeladen“; die Hochhaussilhouette einer Stadt wird nachts zu einem tanzenden Ballett, das diese Machtarchitektur destabilisiert. Die Gefahr dabei ist, dass diese Art Fassaden bei zunehmender Verbreitung zu einer Vereinheitlichung im Sinne einer „gene­rischen Universalfassade“ führen – Leuchtrekla­men im ganz großen Stil. Für die mögliche Zukunft der Stadt zeigte die Transmediale in jedem Fall ei­ne Reihe Anknüpfungspunkte. Und ein „unfinish“ kann man der Stadt, vor allem in Berlin, ohnehin nur wünschen.

Bauwelt, Fr., 2007.03.09



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Artikel 12

24. September 2016Wojciech Czaja
Der Standard

Wie viel Watt kos­tet die Stadt?

Ge­ra­de fand in Linz das Ar­chi­tek­tur­sym­po­si­um „Woh­nen im Herbst“ statt. Ei­ner der Vor­tra­gen­den war der Ber­li­ner Ar­chi­tek­tur­den­ker Mat­thi­as Bött­ger. Ein Ge­spräch über Ki­wis, Flug­zeu­ge und Ein­fa­mi­li­en­häu­ser.

Ge­ra­de fand in Linz das Ar­chi­tek­tur­sym­po­si­um „Woh­nen im Herbst“ statt. Ei­ner der Vor­tra­gen­den war der Ber­li­ner Ar­chi­tek­tur­den­ker Mat­thi­as Bött­ger. Ein Ge­spräch über Ki­wis, Flug­zeu­ge und Ein­fa­mi­li­en­häu­ser.

Stan­dard: Wie viel Watt hat Sie der Flug von Ber­lin nach Linz ge­kos­tet?

Bött­ger: Das weiß ich lei­der nicht ge­nau. Aber er war wohl ziem­lich teu­er. Im Ver­gleich zu an­de­ren Leu­ten ha­be ich ein sehr stra­pa­zier­tes Watt­kon­to.

Stan­dard: In Ih­rem kürz­lich er­schie­ne­nen Buch „Spe­ku­la­tio­nen Trans­for­ma­tio­nen“ skiz­zie­ren Sie ei­ne al­ter­na­ti­ve Zu­kunft für die Stadt, in der man nicht mehr mit Eu­ro, son­dern mit Watt be­zahlt. Kann man sich als Nor­mal­ster­bli­cher Mo­bi­li­tät über­haupt noch leis­ten?

Bött­ger: Das Buch ist Re­sul­tat ei­ner For­schungs­ar­beit, die wir im Auf­trag des deut­schen Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bau­en ge­macht ha­ben. Das Watt­land, das wir da­rin als ei­nes von drei mög­li­chen Zu­kunftss­ze­na­ri­os ent­wi­ckelt ha­ben, ist kei­ne Prog­no­se, son­dern ein Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment. Hoch­ge­schwin­dig­keits­mo­bi­li­tät wird in die­sem Sze­na­rio je­den­falls zu ei­nem Pri­vi­leg der wat­trei­chen Ge­sell­schaft. Das Flie­gen wird ge­ne­rell neu ge­dacht wer­den müs­sen – nicht nur, was die Häu­fig­keit der kon­su­mier­ten Flü­ge be­trifft, son­dern auch in Hin­blick auf die Dich­te der Flug­ha­fen­ver­tei­lung. Da ha­ben wir in Eu­ro­pa be­reits den Ze­nit er­reicht.

Stan­dard: Wo­rauf müss­te Ot­to Nor­mal­ver­brau­cher im Watt­land ver­zich­ten?

Bött­ger: Je frü­her wir un­se­ren Le­bens­stil kor­ri­gie­ren und je mehr wir uns heu­te schon in Vor­aus­sicht üben, de­sto we­ni­ger ein­ge­schränkt wird die Zu­kunft sein. Ich per­sön­lich schre­cke vor ei­ner Zu­kunft, in der wir mit Watt be­zah­len, zu­rück. Doch mitt­ler­wei­le ist die Be­völ­ke­rung so gut sen­si­bi­li­siert, dass En­er­gie ein gu­tes, pro­ba­tes Mit­tel ist, um die Fast-Aus­weg­lo­sig­keit, in der wir uns be­fin­den, zu ver­an­schau­li­chen.

Stan­dard: Ma­chen Sie es bit­te an­schau­lich!

Bött­ger: Es könn­te die­je­ni­gen ge­ben, sie sehr wat­treich sind. Die­se wer­den wahr­schein­lich ir­gend­wo im Grü­nen le­ben, di­gi­tal ver­netzt sein, ih­ren ei­ge­nen Strom pro­du­zie­ren und es sich leis­ten kön­nen, Ki­wis und Ba­na­nen zu es­sen und das ei­ge­ne Haus im Win­ter zu be­hei­zen und im Som­mer zu küh­len. Und dann wird es die­je­ni­gen ge­ben, die – um ihr Watt­kon­to in Ba­lan­ce zu hal­ten – auf ur­ba­nes Le­ben, lo­ka­le Pro­duk­te, lo­ka­le Nah­rungs­mit­tel, un­mit­tel­ba­re so­zia­le Kon­tak­te und kur­ze, fuß­läu­fi­ge We­ge an­ge­wie­sen sein wer­den. Wer nicht ge­nug Watt hat, der wird sich in ho­her Dich­te in der Stadt, in Clus­tern, in Mi­kro­öko­no­mien or­ga­ni­sie­ren müs­sen.

Stan­dard: Zu­rück zum Ur­sprung?

Bött­ger: Fakt ist: Der heu­ti­ge Le­bens­stil, den wir in stark ent­wi­ckel­ten Län­dern pfle­gen, ist ei­gent­lich ein Lu­xus­gut. Wir le­ben über un­se­re Ver­hält­nis­se. Und wir le­ben auf Kos­ten an­de­rer.

Stan­dard: Der durch­schnitt­li­che Ös­ter­rei­cher, Deut­sche und Schwei­zer ver­braucht in sei­nem Wohn- und Le­bens­all­tag rund 6500 Watt. Das ist das Drei­fa­che des­sen, was uns res­sour­cen­tech­nisch zu­ste­hen wür­de.

Bött­ger: Das hat vie­le Fa­cet­ten. Das be­trifft die Mo­bi­li­tät, den Kon­sum, vor al­lem aber auch den Flä­chen­be­darf und den da­mit ver­bun­de­nen En­er­gie­ver­brauch in der Er­rich­tung und im Be­trieb. In den deutsch­spra­chi­gen Län­dern le­ben wir mit 40 bis 45 Qua­drat­me­tern pro Kopf auf be­son­ders gro­ßem Fuß. Das ist an sich nicht schlecht. Wer will schon auf ge­rin­ger Flä­che le­ben, wenn er auch mehr ha­ben kann? Die Fra­ge ist nur: Muss ich wirk­lich das ge­sam­te Haus be­hei­zen? Kann ich Tei­le der pri­va­ten Wohn­räu­me viel­leicht mit an­de­ren tei­len? Kann ich mir nicht über­haupt ein al­ter­na­ti­ves Wohn­mo­dell über­le­gen? Da­mit lie­ße sich viel En­er­gie spa­ren.

Stan­dard: In Ös­ter­reich wer­den je­des Jahr zwi­schen 14.000 und 18.000 Ein­fa­mi­li­en­häu­ser ge­baut. Und sie wer­den im­mer grö­ßer und grö­ßer.

Bött­ger: Ja, und ei­nes Ta­ges zie­hen die Kin­der aus, der Ehe­part­ner stirbt, und dann sitzt man al­lein da auf 200 Qua­drat­me­tern. Das ist auch nicht schön.

Stan­dard: Die Schweiz hat sich zum Ziel ge­nom­men, bis zum Jahr 2050 ei­ne 2000-Watt-Ge­sell­schaft zu wer­den. Das wur­de 2008 in ei­ner Volks­ab­stim­mung be­schlos­sen. Ist das ein gang­ba­rer Weg?

Bött­ger: Ich fin­de den Schwei­zer Weg sehr am­bi­tio­niert. Und die Schwei­zer mei­nen es auch wirk­lich ernst! Es gibt vie­le in­no­va­ti­ve, ja fast schon ra­di­ka­le Wohn­mo­del­le und sehr pro­gres­si­ve Wohn­bau­ge­nos­sen­schaf­ten, die dem Be­woh­ner nicht nur ei­ne Woh­nung an­bie­ten, son­dern ei­gent­lich ein Ge­samt­le­bens­mo­dell, das Woh­nen, Mo­bi­li­tät und In­fras­truk­tur gleich­er­ma­ßen be­rück­sich­tigt.

Stan­dard: In Linz ha­ben Sie vor­ge­stern ei­nen Vor­trag un­ter dem Ti­tel „We­ge aus der Wohn­kri­se. Neue Stan­dards“ ge­hal­ten. Was kön­nen die­se Stan­dards zu ei­ner bes­se­ren Wohn­zu­kunft bei­tra­gen?

Bött­ger: Bau­vor­schrif­ten, Richt­li­ni­en und Nor­men sind Re­gel­wer­ke, mit de­nen sich je­der Ar­chi­tekt her­um­plagt, weil sie ei­nem auf tau­sen­den Sei­ten die ei­er­le­gen­de Woll­milch­sau ab­ver­lan­gen. Das ist müh­sam. Es ist qua­si un­mög­lich. Wir woll­ten das The­ma an­ders den­ken und ha­ben zehn Ar­chi­tek­tur­bü­ros ge­be­ten, je­weils ei­nen Stan­dard zu ver­fas­sen, der in Zu­kunft be­ach­tet wer­den soll­te. Al­ler­dings han­delt es sich da­bei nicht um quan­ti­ta­ti­ve Nor­men wie bis­her – son­dern um qua­li­ta­ti­ve. Das Er­geb­nis er­scheint im Ok­to­ber als Aus­stel­lung.

Stan­dard: Wie kann man sich ei­ne sol­che Norm vor­stel­len?

Bött­ger: Die Ber­li­ner Ar­chi­tek­ten Prae­ger Rich­ter bei­spiels­wei­se ha­ben vor­ge­schla­gen, Woh­nun­gen nicht mehr im kom­plett aus­ge­stat­te­ten End­aus­bau zu ver­mie­ten oder zu ver­kau­fen, son­dern im Roh­bau. Die Wohn­kos­ten wä­ren da­durch bil­li­ger, und die Be­woh­ner könn­ten für sich selbst ent­schei­den, wann und wie sie die Woh­nung selbst aus­bau­en. Da­mit wä­ren sie fi­nanz­iell fle­xi­bler. Das ist ein span­nen­des Mo­dell.

Stan­dard: Ein wei­te­res Bei­spiel?

Bött­ger: Die Wie­ner Ar­chi­tek­tin Sa­bi­ne Pol­lak sagt: „Den­ke nicht in Kor­ri­do­ren!“ Sie for­dert ei­nen of­fen­eren Um­gang mit Gang­flä­chen in Wohn­bau­ten und regt an, die­se auch als kol­lek­ti­ve Wohn­zim­mer zu nut­zen. Da­mit könn­ten Le­bens­qua­li­tät und Nach­bar­schaft stei­gen. Und ge­ne­rell ist bei den meis­ten Ar­chi­tek­ten, die wir be­fragt ha­ben, zu er­ken­nen, dass wir im Sin­ne ei­ner le­bens­wer­ten, durch­misch­ten Stadt mehr Cha­os und mehr Ne­ben­ein­an­der un­ter­schied­li­cher Men­schen, Le­bens­sti­le und Wert­evor­stel­lun­gen brau­chen. Das ist si­cher ei­ne der größ­ten und auch schöns­ten Her­aus­for­de­run­gen für die Zu­kunft.

Stan­dard: Ste­fan Berg­heim, Di­rek­tor des Frank­fur­ter Zen­trums für ge­sell­schaft­li­chen Fort­schritt, hat ein­mal ge­sagt: „Die gro­ße Fra­ge für die Bau­kul­tur ist, ob sich die ge­sell­schaft­li­che Er­zäh­lung wan­deln wird – ent­we­der durch ei­nen brei­ten Dis­kurs oder erst nach ei­ner noch tief­eren wirt­schaft­li­chen Kri­se in Eu­ro­pa.“

Bött­ger: Als Op­ti­mist hof­fe ich na­tür­lich, dass wir al­le die Dis­kurs­va­ri­an­te ein­schla­gen. Man kann nicht ge­nug über die Zu­kunft von Ar­chi­tek­tur, Bau­kul­tur und Le­bens­vor­stel­lun­gen dis­ku­tie­ren. Doch gleich­zei­tig er­ken­ne ich, dass wir längst schon von Kri­sen um­ge­ben sind. Die größ­te Her­aus­for­de­rung die­ser Kri­sen ist, dass die sehr kurz­fri­sti­gen Pro­ble­me und Pro­blem­lö­sun­gen meist die lang­fri­sti­gen Zie­le über­la­gern. Hier durch­zu­ma­növ­rie­ren ist nicht ein­fach – auch nicht für die Po­li­tik.

Stan­dard: Al­so?

Bött­ger: Wir dür­fen nicht nur die Bäu­me se­hen. Wir müs­sen im­mer auch den Wald im Blick­feld be­hal­ten. Sonst stimmt die Ba­lan­ce nicht. An­sons­ten fürch­te ich, dass uns die ganz tie­fe Kri­se nicht er­spart bleibt.

Mat­thi­as Bött­ger (42) stu­dier­te Ar­chi­tek­tur und Städ­te­bau in Karls­ru­he und Lon­don. Mit sei­nem Ber­li­ner Bü­ro Raum­tak­tik forscht er zu den The­men Stadt, Mig­ra­ti­on und öf­fent­li­cher Raum. Er lei­tet das Deut­sche Ar­chi­tek­tur Zen­trum (DAZ) in Ber­lin und ist Pro­fes­sor an der Kunst­uni­ver­si­tät Linz. Sein Buch „Spe­ku­la­tio­nen Trans­for­ma­tio­nen“ ist bei Lars Mül­ler Pu­blis­hers er­schie­nen. Am 27. Ok­to­ber wird im DAZ „Neue Stan­dards. 10 The­sen zum Woh­nen“ er­öff­net. Zur Aus­stel­lung er­scheint ein Ka­ta­log (Jo­vis-Ver­lag).

Presseschau 12

09. März 2007Matthias Böttger
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„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende...

„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende...

„Unfinish!“ Ein Wort, das im Englischen ebenso we­nig existiert wie im Deutschen (unbeende!), bildete das Motto der 20. Transmediale, die am ersten Februarwochenende in der Berliner Akademie der Künste stattfand. In 20 Jahren hat sich die Veranstaltung von einem „Videofest“ zu einem bedeutenden, mittlerweile von der Kulturstiftung des Bun­des als „Leuchtturm“ geförderten Medienkunstfestival gewandelt. Heute sind elektronische Medien in der Kunst- und Alltagswelt längst selbstverständlich, und so suchten die Macher der Transmediale nach ei­ner Öffnung des Diskurses, verbanden Klassik mit Avantgarde – und Analog mit Digital. Eine solche Rückkopp­lung wurde im Ausstellungsteil der Transmediale sehr schön von Aram Bartholls „Random Screen“ illustriert. Der in Apple-Ästhetik aufblinkende 5x5 Pixel Screen sieht aus wie eine digitale Lava-Lampe, entpuppt sich aber von der Rückseite betrachtet als rustikale Konstruktion aus Teelichtern und modifizierten Bierdosen, die sich in der erhitzten Luft drehen.

Ähnliche Rücktransfers präsentierte Bartholl auch auf dem „Salongespräch“ zum Trendthema „Second Life“. In das Foto einer Straßenflucht hat er ei­nen merkwürdigen Baum montiert, es ist ein digita­ler Baum im Augenblick des Downloads. Noch sind nicht alle Daten angekommen, er besteht nur aus zwei sich kreuzenden Flächen, die auf dem Bildschirm in den nächsten Sekunden mit Bildern eines echten Baums gefüllt werden. Hier aber bleibt dieser Baum als Skulptur eingefroren, „unfinished“, im Straßenraum stehen und lässt Parallelen und Differenzen von „erstem“ und „zweitem Leben“ hervortreten. „Second Life“ ist eine Online-Parallel-Welt, geschaffen nach dem Vorbild des Metavers aus Neal Stephensons Ro­man SnowCrash. Derzeit erlebt sie eine im Verhält­nis zu ihrer Population völlig überzogene Medienaufmerksamkeit. Realistisch gesehen treffen sich dort Teenager im Körper des anderen Geschlechts, um ih­ren Identitätskonflikt auszuleben und um über Sex zu reden. Spannend an „Second Life“ aber ist die Ver­sprechung eines zweiten, eines virtuellen Raums, in dem sich eine eigene Ökonomie entfalten könnte – und auch eine eigene Ästhetik, Kunst und Architektur. Da dieses neue Phänomen in unglaublich kur­­zer Zeit in die Öffentlichkeit katapultiert wurde, fehlt es an einem fundierten Diskurs und etablierten Inhalten. Das Potential dieser gestalterisch momentan zwischen Las Vegas und Suburbia verorteten Räume gerade für die Architektur ist aber unverkennbar und wird zunehmend an Hochschulen behandelt.

Auch auf dem zweiten Salongespräch über „Ur­ban Screens“ ging es um die Produktion von Inhalten, dabei wurde die Bandbreite von städtischen Medienwänden und -fassaden dargestellt. Mike Gibbons stellte seine für die BBC in verschiedenen britischen Städten installierten „Big Screens“ vor, die er als Teil einer Innenstadtbelebung versteht. BBC-Screens sind werbefreie Massenfernseher, vor denen sich – ganz im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Privatisie­rung öffentlicher Räume – Zuschauer versammeln und gemeinsam an Großveranstaltungen teilnehmen können. Ergänzend werden auch lokale Ereignisse und Kulturproduktionen verbreitet, um die Interaktion mit den Zuschauern zu stimulieren. Stadt(re)­vi­ta­li­sie­rung wird in Zukunft also wohl auch mit diesen Mitteln betrieben.

Der Architekt Tim Edler präsentierte die neu­es­ten Projekte seines Büros realities:united, die sug­­ge­rieren, dass Medienarchitektur gerade erst am Anfang steht. Ganze Häuser könnten zukünftig zu Skulp­turen werden und ihre Fassaden zu Bildschirmen, die man nur noch aus dem Flugzeug entziffern kann; Häuser werden temporär mit Marken und Ima­ges „aufgeladen“; die Hochhaussilhouette einer Stadt wird nachts zu einem tanzenden Ballett, das diese Machtarchitektur destabilisiert. Die Gefahr dabei ist, dass diese Art Fassaden bei zunehmender Verbreitung zu einer Vereinheitlichung im Sinne einer „gene­rischen Universalfassade“ führen – Leuchtrekla­men im ganz großen Stil. Für die mögliche Zukunft der Stadt zeigte die Transmediale in jedem Fall ei­ne Reihe Anknüpfungspunkte. Und ein „unfinish“ kann man der Stadt, vor allem in Berlin, ohnehin nur wünschen.

Bauwelt, Fr., 2007.03.09



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